Jakob Lorber

Großes Evangelium Johannes - Band 2

Ein Buch der Offenbarungen Jesu durch Jakob Lorber

Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre. Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber. Nach der Siebten Auflage.

Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, Hindenburgstraße 5, D-74321 Bietigheim-Bissingen.

Inhaltsverzeichnis

Zum Gesamtverzeichnis

1. Über die Bestrafung der Verbrecher.

2. Judas Ischariot als Golddieb.

3. Die rechte Anwendung der Wunder- und Heilkraft

4. Besuch und Beschreibung einer Tropfsteinhöhle.

5. Geschichte der gefundenen Schätze

6. Entstehung und Einsturz der Tropfsteinhöhle

7. Faustus findet die Schätze im Magazin wohlgeordnet u. bewacht

8. Vom Himmelreich

9. Der Herr zeigt das Wesen von Himmel und Hölle in Beispielen.

10. Das Gesetz der Ordnung.

11. Des Herrn und seiner Jünger Abreise nach Nazareth.

12. Die zweite Erweckung der Sarah vom Tode.

13. Szene zwischen Jairus und seinem Weibe.

14. Vom Unterschied der menschlichen und göttlichen Macht.

15. Philopolds Zeugnis von der der Gottheit Jesu.

16. Der Herr begibt sich in die Synagoge.

17. Der Herr erklärt einen Jesaiastext.

18. Vom Wesen Gottes und Seiner wahren Anbetung.

19. Die Frechheit und Verwirrung der geistig blinden Pharisäer.

20. Der Templer Angst vor dem römischen Gericht.

21. Cyrenius und die Templer.

22. Heilung eines Gichtbrüchigen. Zeugnis der Nazarener über Jesus.

23. Zurechtweisung der Nazarener.

24. Des Cyrenius Rede über die Nazarener.

25. Über die Unwürdigkeit des Volkes.

26. Winke für Gesetzgeber.

27. Mißhandlung der seelischen Natur durch menschliche Gesetze.

28. Von der Freiheit des Geistes.

29. Der Segen der freien Entwicklung.

30. Entwicklung und Gesetz.

31. Des Jairus Rede über die Wunderwirkungen.

32. Grundzüge vom Wesen Gottes.

33. Heilung der kranken Angehörigen eines alten Juden.

34. Szene zwischen den erbgierigen Pharisäern und dem Schwiegersohne des Alten.

35. Die Pharisäer lesen den 37. Psalm. Robans weiser Rat.

36. Der Pharisäerälteste Roban bei Jesus.

37. Josa, der Alte, dankt dem Herrn.

38. Vom Menschlichen und Göttlichen des Herrn.

39. Vom Einfluß der Engel auf die Menschen.

40. Die Liebe zum Herrn.

41. Vom Wesen der wahren Liebe.

42. Vom jüngsten Tage.

43. Der Herr Jesus und die Seinen beim Fischfang.

44. Persönliches über Borus.

45. Das innere Wesen der Engel.

46. Von der dienenden Nächstenliebe der Ärzte.

47. Vorschlag an Jairus. Über äußere Zeremonien.

48. Die erbschaftlichen Angelegenheiten des Jairus.

49. Des Jairus Abdankung. Der Herr in der Synagoge.

50. Reden der Ältesten über die Zustände im Judentum.

51. Eines Redners Zeugnis von der Bundeslade.

52. Die Verteidigungsrede des Ältesten.

53. Chiwar gibt Zeugnis von den Werken und dem Leben Jesu.

54. Der Engel Rat an die bekehrten Templer.

55. Verhältnis der Völker zu ihren Regenten.

56. Roban und Kisjonah berichten ihre Erlebnisse.

57. Der Engel Weltendienst. Eine Hülsenglobe.

58. Der Verkehr der Erdmenschen mit dem himmlischen Vater.

59. Über den großen Kampf im Menschen.

60. Vom Nutzen der Leidenschaften.

61. Vom Wert des freien Willens.

62. Das Denken im Herzen.

63. Über die Wiederbringung des Verlorenen.

64. Über WEsen, Leben und Arbeit der Naturgeister.

65. Sagen von Berggeistern. Über Zauberei.

66. Von Zauberern und Wahrsagern.

67. Der Herr heilt einen Tollwütigen.

68. Ein Evangelium an die Wohlhabenden.

69. In der Gruft des Jairus.

70. Auferweckung des Josoe.

71. Bab und sein Weib staunen über das Wunder. Verheißung der Unsterblichkeit an Josoe.

72. Der wahre Gottesdienst.

73. Das Abendmahl bei Maria.

74. Streit zwischen Judas und Thomas.

75. Des Herrn Mahnung an Judas.

76. Über Demut und Selbstverleugnung.

77. Ein Maßstab der drei Liebearten.

78. Josoes schlauer Plan.

79. Zwei Engel bieten dem Josoe ihre Dienste an.

80. Cyrenius nimmt Josoe auf.

81. Robans Bericht über den neuen Obersten.

82. Geschichte und Ende Johannes des Täufers.

83. Szene mit dem neuen Tempelobersten zu Nazareth.

84. Chiwars Zeugnis über Johannes und Jesus.

85. Der Herr lobt Roban und Chiwar.

86. Der neue Oberste Korah und Chiwar in der Synagoge zu Nazareth.

87. Chiwar und Rorah über die Erweckung der Sarah von Tode.

88. Chiwars Ansicht vom Tempel

89. Unterredung zwischen Korah und Chiwar über den Messias. Satan fordert Chiwar zum Kampf herraus.

90. Korah erinnert sich des Herrn von der Tempelreinigung in Jerusalem her.

91. Die Freunde Jesu bei Borus.

92. Des Herrn Gnade mit der Menschheit.

93. Borus spricht über des Menschen Wesen.

94. Das Zusammenleben der Freunde des Herrn in Nazareth.

95. Heil- und Speisenwunder an den 5000 Menschen in der Wüste.

96. Die Jünger auf dem stürmischen Meer.

97. Judas preist die Wunder der Essäer.

98. Johannes und Bartholomäus erklären dem Judas die Trugwunder der Essäer.

99. Die Philosophie der Essäer.

100. Die bedrängten Jünger auf dem Meere.

101. Der Petrus Glaubensprobe.

102. Ankunft in der Freistadt Genezareth.

103. Der Herr mit den Seinen beim Wirte Ebahl.

104. Der Herr segnet die Familie des Ebahl und tadelt die Essäer.

105. Der Herr und der römische Hauptmann.

106. Des römischen Hauptmanns Welterfahrung.

107. Der Herr gibt dem Hauptmann Winke von Seinem Wesen und Seiner Mission.

108. Verhältnis eines Propheten zu Gott und den Menschen.

109. Die Propheten als Gesandte Gottes und deren Unterschied vom Wesen des Herrn.

110. Die gesegnete Wiese. Der Spaziergang auf dem Meere.

111. Vom wahren Gebet.

112. Hauszucht und Liebe.

113. Das rechte Lob und die Gefahr beim Loben.

114. Jarah über ihre verschiedenen Gebetserfahrungen.

115. Jarah schaut den Himmel offen.

116. Die Lehren Jesu sollen Gemeingut werden.

117. Kranke kommen zu Ebahl. Die Gäste von Jerusalem und ihre Mission.

118. Szene zwischen dem Hauptmann und den Templern.

119. Die Macht der Liebe.

120. Jarahs Träume von der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn.

121. Unterredung zwischen dem Hauptmann Julius und dem Herrn über die Bosheit der Templer.

122. Große Krankenheilung durch Berührung des Mantels des Herrn.

123. Der Herr und der Oberste.

124. Des Julius scharfe Rede über den Segen des Herrn.

125. Drei Dokumente.

126. Des Herrn Warnung vor der bösen List der Templer.

127. Der Herr spricht über den Geist der Liebe.

128. Gespräch zwischen den Templern und den Essäern.

129. Der Herr und die beiden Essäer.

130. Eine wunderbare Bergbesteigung.

131. Auf der Bergkuppe des Morgenkopfes.

132. Vom Wesen der Furcht.

133. Christus, der Mittler zwischen Himmel und Erde.

134. Die Hebung des Galiläischen Meeres.

135. Eine Liebesprobe der Jarah.

136. Die Macht der Engel. Besuch eines Sternes.

137. Die innere Art, die Schöpfung zu beschauen.

138. Eine jenseitige Selbstverleugnungs-Schulwelt.

139. Ein Blick in die Sternenweltordnung.

140. Jenseitge Entwicklungsperioden.

141. Von der Größe des Menschengeistes.

142. Über die wahre geistige Größe.

143. Die Jünger werden vom Schlaf erweckt.

144. Eine Lobrede der Jarah.

145. Die Realität des gemeinsamen Traumes.

146. Jarah zeigt ihre Gedenkstücke.

147. Der Gläubigen Verkehr mit dem Herrn im Herzen.

148. Naturbetrachtungen und ihre geistige Entsprechungen.

149. Betrachtung des Sonnenaufgangs und der Morgenerscheinungen.

150. Die Essäer werden vom Herrn beauftragt, eine Freimaurerschule zu gründen.

151. Das gesegnete Frühstück auf dem Berge.

152. Satan erscheint auf dem Berge.

153. Der Abstieg vom Berge.

154. Ein Heilwunder in der Herberge Ebahls zu Genezareth.

155. Eifer der Liebe.

156. Über die geschlechtlichen Verhältnisse der urgeschaffenen Engel.

157. Über Almosengeben und Gedenktagefeiern.

158. Dre 47. Psalm Davids.

159. Von der Feindesliebe.

160. Erzählung der Schiffer über ihre Erlebnisse in der vergangenen Nacht.

161. Der Schiffsknecht und Raphael.

162. Empfang der Pharisäer in Genezareth.

163. Der Hauptmann Julius erzählt einige Templerepisoden.

164. Über die Nachfolge Jesu.

165. Szene zwischen Raphael und Jarah.

166. Von der Liebe, Sanftmut und Geduld.

167. Abschied des Herrn und Abfahrt nach Sidon und Tyrus.

168. Szene mit dem kananäischen Weibe bei Tyrus.

169. Von der Besessenheit.

170. Die Wunderquelle.

171. Großes Heilwunder auf dem Berge.

172. Des Herrn Vorraussage über die Zukunft seiner Lehre.

173. Wunderbare Speisung der Viertausend. Ev. Matth. Kap. 15, Vers 32-39

174. Pharisäer und Sadduzäer versuchen den Herrn.

175. Der Herr in einer armen Hütte bei Cäsarea Philippi.

176. Das Zeugnis der Jünger über Christus.

177. Der Hüttenbesitzer Markus erzählt Tempelgreuel.

178. Eine Templergeschichte.

179. Der Jünger Aufregung über die Tempelgeschichte.

180. Der gesegnete Fischzug. Vom Tempelmist.

181. Markus und die pharisäischen Zehntjäger.

182. Des Herrn Voraussage über Sein Sterben und Auferstehen.

183. Der Besuch des Cyrenius wird gemeldet.

184. Markus empfängt und begrüßt Cyrenius.

185. Die Lehrmethode des Engels.

186. Des Cyrenius Geschenk an Markus.

187. Die Gesellschaft auf dem Meere.

188. Des Johannes Rede über den Unterschied der natürlichen und geistigen Auffassung.

189. Ein Militärschiff naht. Der reiche Fischzug.

190. Die neuen Gäste.

191. Über die Lehrmethode der Engel und der Weltschulen.

192. Über die Zehnt- und Tributrechte des Tempels.

193. Die Behandlung der Übeltäter und Besessenen.

194. Der Jarah weise Reden.

195. Materie und Geist.

196. Jarah löst dem Josoe den gordischen Knoten.

197. Über die Wissensbeschränktheit des irdischen Menschen.

198. Was ist Wahrheit ?

199. Das Geheimnis des Urgrundes aller Weisheit.

200. Josoe und Jarah im Gespräch.

201. Jarahs Beobachtungen in ihrem Gärtchen.

202. Anwendung des Entsprechungsbildes der Jarah.

203. Der Materialismus und seine Vertreter.

204. Josoe und Jarah über Judas.

205. Verschiedene Völker bedürfen einer verschiedenen Führung.

206. Josoes Entschuldigungsrede.

207. Josoes Auffassung über die Zulassung der Sklaverei.

208. Gesetzeszwang und Liebe.

209. Über innere Sittenreinheit.

210. Das Wesen der Materie und der Seele.

211. Eine sozialistische Rede des Cyrenius.

212. Die Not als Lehrerin.

213. Die Folge der Wohlversorgtheit.

214. Die Widersprüche in der Schöpfungsgeschichte.

215. Die Entstehung des ersten Menschen.

216. Der Entwicklungsprozeß eines Weizenkornes.

217. Die geistige Entwicklung des Menschen.

218. Seele und Leib.

219. Die Schöpfung des Himmels und der Erde.

220. Erde und Licht.

221. Scheidung von Licht und Finsternis.

222. Das Endziel der gesamten Schöpfung.

223. Zeugnis des Cyrenius über die Schöpfungsgeschichte.

224. Über den Fall der Geister, den Fall Adams und die Erbsünde.

225. Die Macht der Vererbung.

226. Weltsorgen und deren üble Folgen für die Seele.

227. Über den Geisterfall.

228. Kraft und Widerstand.

229. Vom Wesen Satans.

230. Die Belehrung der Urgeister.

231. Die Folgen des Abfalles Luzifers.

232. Hülse und Seele.

233. Vom Wissen.

234. Des Markus Ansicht über seinen Nächsten.

235. Markus rettet schiffbrüchige Pharisäer.

236. Kritik der Pharisäer über Julius.

237. Der Entschluß der Pharisäer.

238. Des Herrn Rat und Hinweis auf die praktische Nächstenliebe.

239. Julius gibt seinen besten Rat den Pharisäern kund.

240. Jarah gibt Zeugnis vom Herrn.

241. Enthüllung der Absichten des Tempels.

242. Das Steinwunder des Erzengels Raphael.

243. Die Entschuldigungsrede des jungen Pharisäers.

244. Belehrung der Pharisäer durch Julius.

1. Kapitel. Über die Bestrafung der Verbrecher.

01. Spät am Abend kommen die Schätze aus der Höhle des Kisjonah an, bestehend in Gold, Silber und in einer schweren Masse geschliffener und ungeschliffener Edelsteine von großem Werte; denn es sind bei drei Pfund geschliffener und bei sieben Pfunde ungeschliffener Diamanten, ebensoviel gleich zuständige Rubinen, noch einmal soviel Smaragde, Hyazinthe, Saphire, Topase und Amethyste, und bei vier Pfunde wie starke Erbsen große Perlen. Des Goldes aber waren über zwanzigtausend Pfunde und des Silbers fünfmal soviel.

02. Als Faustus diesen horriblen Reichtum in Augenschein nimmt, schlägt er die Hände über dem Haupte zusammen und spricht: „O Herr! Ich habe als der Sohn eines der reichsten Patrizier von ganz Rom doch auch Gelegenheit gehabt, große Schätze dieser Erde zu Gesichte zu bekommen; aber so was hat mein Auge noch nicht geschaut! Das geht über alle Pharaonen und über die Fabel vom Krösus, der sich am Ende vor lauter Reichtum nimmer zu helfen wußte und sich im Ernste einen Palast aus Gold erbaut hätte, wenn sein Sieger ihm das zu viele Gold nicht abgenommen hätte.

03. Jetzt sage Du, o Herr, dem alle Dinge bekannt sind, mir armem Sünder, wie möglich diese zwölf Knechte des Satans zu solchen Schätzen gekommen sind! Auf eine nur einigermaßen ehrliche Weise kann das doch nimmer möglich sein, und in einer kurzen Zeit auch nicht! — Wie sonach war solches möglich?“

04. Sage Ich: „Freund, kümmere dich nun nicht mehr darum! Es lohnt sich auch wahrlich nicht weiter mehr der Mühe, dieses Satansdrecks wegen noch mehrere Worte zu verlieren. Daß dabei aber kein ehrlicher Stater weilt, des kannst du vollends versichert sein. Durch was für tausenderlei schändlichste Lumpereien diese Natternbrut, dieses Schlangengezüchte, aber das alles zusammengerafft und —geraubt hat, wäre eine zu weitläufige Sache, so man das Punkt für Punkt dartun sollte.

05. Daß sie Spitzbuben von der allerdurchtriebensten Art sind, darüber wirst du hoffentlich keinen weiteren Zweifel haben; wie sie aber gewisserart noch mehr als Spitzbuben sind, das braucht kein Mensch mehr zu wissen. Sie haben nach den Gesetzen Roms schon lange den zehnfachen Tod verdient, bloß wegen des Verbrechens der Beraubung der kaiserlichen Steuerkarawane; und dieser Raub, den wir jetzt in den unermeßlichen Schätzen vor uns haben, ist um kein Haar besser, wennschon gerade nicht so offen die kaiserlichen Steuergelder betreffend.

06. Wenn du sonach auch alles wüßtest, so kannst du sie dafür doch unmöglich öfter denn einmal töten. Du kannst wohl die Marter verschärfen, aber wozu? Ist die Marter schärfster Art — um in eurer Gerichtsweise zu sprechen —, so ist sie auch alsbald tödlich, und ist sie gelinderer Art, aber dafür andauernder, nun, so verspürt der Sträfling eben nicht viel mehr davon als du von einer dich belästigenden Fliege; denn die vor dem sicheren Tode ihres Leibes sich über alle Maßen fürchtende, wenn auch noch so materielle Seele zieht sich alsbald zurück in ihre innersten Gemächer und fängt freiwillig an, sich von ihrem Leibe, in dem kein Bleiben mehr ist, loszulösen, und der Leib wird bei solchen Gelegenheiten völlig unempfindlich. Du kannst dann solch einen Leib quälen wie du willst, so empfindet er wenig oder auch gar nichts mehr davon. Versetzest du den Leib der Seele aber augenblicklich in einen großen Schmerz, so wird solches die Seele nicht lange aushalten, sondern sogleich einen gewaltigen Riß tun, und du kannst dann einen völlig toten Leib sieden und braten, und er wird nichts mehr fühlen von der Strafe.

07. Ich bin deshalb nicht für die Strafe mit dem Tode, weil diese weder für den Getöteten von irgendeinem Belange ist, und noch weniger irgendeiner Gerechtigkeit zum Schild und Nutzen dient; denn einen hast du getötet, — und Tausende haben dir darum Rache geschworen! Aber einen Verbrecher unter eine allerschärfste Zuchtrute stellen und diese nicht ruhen lassen, bevor nicht eine gänzliche Besserung eingetreten ist, für das bin Ich aus der notwendigen göttlichen Ordnung ganz und gar sehr! Eine rechte Zuchtrute zu rechter Zeit völlig gerecht angewendet, ist besser als Geld und reinstes Gold; denn durch die Zuchtrute wird die Seele von ihrer Materie mehr und mehr losgestäupt und wendet sich endlich zu ihrem Geiste. Und hat solches die Zuchtrute bewirkt, so hat sie eine Seele vor dem Untergange und sonach den ganzen Menschen vor dem ewigen Tode gerettet.

08. Darum soll ein jeglicher Richter nach der Ordnung Gottes auch den größten Verbrecher nicht mit dem Tode des Leibes, der zu nichts taugt, sondern allzeit mit der Rute strafen nach dem Maße des Verbrechens. Tut er das, so ist er ein Richter der Menschen zum Himmel, tut er aber das nicht, — ein Richter zur Hölle, wofür er von Gott wahrlich ewig nie einen Lohn haben wird; sondern: für das Reich er gerichtet hat die Menschen, von demselbigen Reiche soll er auch den Lohn empfangen! — Nun weißt du genug, und laß nun die Schätze verwahren! Morgen werden auch die von Chorazin anlangen, und es soll dann sogleich die Verteilung und die Absendung all dieses Teufelsdrecks geschehen. — Nun aber begeben wir uns in den Speisesaal; denn das Abendmahl harret schon unser! Wahrlich, diese ganze Geschichte ist Mir schon überlästig, und Meine Zeit drängt Mich schon nach Nazareth!“

09. Sagt Faustus: „Herr, daß Dir diese scheußliche Geschichte über alle Maßen zuwider sein muß, sehe ich nur zu gut ein; aber was kann man tun, wenn die Sache sich einmal so gestaltet hat? Übrigens bitte ich Dich, mein Herr und mein größter und bester Freund, daß Du nicht eher von hier ziehest denn ich; denn ohne Dich vermag ich fürs erste nichts, und fürs zweite würde mich ohne Dich die schrecklichste Langeweile trotz meines liebsten Weibchens hier töten! Darum bitte ich Dich, daß Du nicht eher diesen Ort verlassen wollest, als bis ich mit dieser allerlästigsten Geschichte zu Ende sein werde! Mit Deiner Hilfe hoffe ich, morgen bis Mittag mit allem in der Ordnung zu sein!“

10. Sage Ich: „Ganz gut! Aber Ich will von all den Schätzen und den elf Pharisäern nichts mehr sehen; denn es ekelt Mich davor mehr denn vor einem Aase.“

11. Sagt Faustus: „Dafür soll gesorgt sein!“

2. Kapitel. Judas Ischariot als Golddieb.

01. Wir treten nun ins Zimmer, respektive in den Speisesaal, allwo ein reichliches Abendmahl unser harret. Wir aber verzehren noch kaum das Mahl, als zwei Knechte den Judas Ischariot in den Saal hereinbringen und dem Oberrichter melden, daß dieser Jünger, oder was er sonst sei, ein paar Pfunde Goldes habe entwenden wollen, sie ihn aber bei der Tat ergriffen, das Gold ihm wieder abgenommen und ihn hierher zur Verantwortung gebracht haben.

02. Judas steht hier ganz entsetzlich beschämt da und sagt: „Ich habe nicht im entferntesten im Sinne gehabt, das Gold mir zueignen zu wollen, sondern habe ein paar Stänglein bloß versucht, ob sie wohl wirklich so schwer sind, als man sie angibt; diese Narren aber ergriffen mich sogleich und schleppten mich als einen gemeinen Dieb herein! — Ich bitte dich, Faustus, darum, daß mir dieser Fleck abgenommen werde!“

03. Sagt Faustus (zu den Knechten): „Laßt ihn gehen! Er ist ein Jünger des Herrn, und ich will seiner darum schonen; (zu Judas:) du aber greife in Zukunft, besonders zur Nachtzeit — außer du werdest ein kaiserlicher Taxator (Abschätzer) — ja keine Goldbarren mehr an, sonst wirst du wegen versuchten Diebstahls zur unvermeidlichen gesetzlichen Strafe gezogen werden! Hast du den Oberrichter Faustus wohl verstanden?“

04. Sagt Judas ganz entsetzlich beschämt: „Herr, es war im vollsten Ernste auch nicht die leiseste Spur von einem versuchten Diebstahl, sondern wirklich nur eine — freilich etwas unzeitige — Probe über die Pfundschwere eines Goldbarrens.“

05. Sage Ich: „Gehe, und suche dir ein Lager! Denn an diesem Übel, an dem alle Diebe sterben durch die Hand des Satans, wirst auch du in jüngster Zeit sterben; denn du warst, bist und bleibst ein Dieb! Solange dich des Gesetzes Schärfe schreckt, bleibst du wohl, der offenen Tat nach, kein Dieb noch; aber in deinem Herzen bist du es lange schon! Nehme Ich heute alle Gesetze weg, so wirst du als erster deine Hände an die Schätze draußen legen; denn deinem Herzen sind alle Rechts— und Billigkeitsgesetze fremd. Schade für deinen Kopf, daß unter ihm kein besseres Herz schlägt! — Gehe nun schlafen, und werde morgen nüchterner denn heute!“

06. Mit diesem Verweise geht Judas groß beschämt aus dem Speisesaale in sein Schlafgemach und legt sich nieder, denkt aber bei zwei Stunden nach, wie er dem entgehen könnte, was Ich ihm geweissagt habe; aber er findet in seinem Herzen keinen Ausweg, da dieses gleichfort seine golddurstige Stimme von neuem erhebt, und schläft also ein. — Wir aber begeben uns auch zur Ruhe, da uns zwei vorhergehende Nächte sehr in Anspruch genommen haben. Der Morgen aber ließ nicht lange auf sich warten.

07. Als sich Faustus noch einmal umwenden wollte, um noch ein Morgenschläfchen zu machen, da kommen auch die Schätzeführer von Chorazin an, wecken ihn, und er muß von Amts wegen hinaus, die Schätze besichtigen, sie taxieren und in Empfang nehmen. Als er mit dieser Arbeit fertig ist, sind auch wir alle auf den Füßen, und das Morgenmahl, bestehend in frischen, wohlzubereiteten Fischen, ist auch schon auf den vielen Tischen im großen Speisesaale. Faustus kommt schon nahe ganz arbeitsmüde in den Speisesaal am Arme seiner jungen Gattin und setzt sich zu Mir hin.

08. Nach dem genossenen Morgenmahle erst, bei dem ein guter Wein nicht gemangelt hatte, erzählt Mir Faustus, daß sein Morgengeschäft, das ihm sonst bei allem Fleiße eine Arbeit von ein paar Wochen gemacht hätte, nun bereits beendet und alles an den Ort seiner Bestimmung abgegangen sei. Es seien alle Dokumente in aller Ordnung schon fertig auf dem Tische in der großen Amtsstube und die gerichtlichen Geleitbriefe in der besten Ordnung. Der Schatz aus Kisjonahs Höhle sei richtig verteilt und mit Bestimmungsdokumenten bestens versehen, desgleichen auch die Steuergelder nebst dem großen Tempelschatz aus Chorazin, und so sei nun alles expediert; nur finde sich in der großen Amtsstube noch ein bedeutendes Zimmermannszeug vorrätig, zu dem sich noch kein Eigentümer vorgefunden habe.

09. Sage Ich: „Dort unten am Ende des Tisches, neben der Mutter Maria sitzend, sind zwei Söhne des Josef, namens Joses und Joel; diesen beiden gehört es! Es ist ihnen als Pfand genommen worden mit der kleinen Behausung in Nazareth, und soll ihnen auch wieder zurückgestellt werden!“

10. Sagt Faustus: „Herr, samt der Behausung! Dafür stehe ich! O Herr und Freund! Was haben diese Schwarzen mir schon alles für Verdrießlichkeiten bereitet; das dumme Gesetz aber hielt ihnen die Stange, und man konnte ihnen mit dem besten Willen nirgends hinters Genick kommen. Vor meinen Augen begingen sie die gräßlichsten Ungerechtigkeiten, und man konnte ihnen bei aller Macht, die einem zu Gebote steht, nichts machen; aber hier hat sie denn der Satan doch einmal sitzen lassen, und ich habe nun ein Heft in meinen Händen, vor dem diese Kerle beben sollen wie ein lockeres Laubblättchen im die Wälder durchsausenden Sturm! Der Bericht an den Oberstatthalter Cyrenius ist ein Meisterstück, den er vidimiert (beglaubigt) samt den Steuern augenblicklich nach Rom wird abgehen lassen. Von Tyrus, Sidon und Cäsarea ist das Kaiserschiff mit vierundzwanzig Rudern und bei gutem Wind sogar mit einem starken Segel und Steuerruder versehen in zwölf Tagen an der römischen Küste und so gut als in des Kaisers Händen! Freuet euch in noch einmal zwölf Tagen darauf, ihr Schwarzen! Eurem Hochmute sollen ganz sonderbare Schranken gesetzt werden!“

11. Sage Ich: „Freund! — Ich sage dir: Juble nur nicht zu früh! Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus! Es wird den elfen innerhalb der Mauern durchaus nicht wünschenswert ergehen! Sie werden zwar nicht getötet, aber dafür lebenslang in die ewige Bußkammer gesperrt werden! Aber in der öffentlichen Entschuldigung gen Rom werden sie wie Wolle weiß gewaschen werden, und man wird dann erst von dir die weiteren Berichte verlangen, und du wirst eine große Not haben, allen Fragen aus Rom zu genügen. Es wird dir zwar wohl kein Haar gekrümmt werden; aber einer gewissen Not wirst du kaum entgehen, wenn du nicht mit den gehörigen Zeugen und andern Wahrzeichen zurechtkommst. Ich überlasse dir darum den Pilah; der wird dir in allem gute Dienste leisten. Stecke ihn aber nur geschwinde in die Tracht der Römer, daß er von den in Kapernaum stationierten Kollegen nicht erkannt wird! Denn Ich kann dir sagen: Satan hat sein Regiment bei weitem nicht so verschmitzt eingerichtet wie diese Schlangenbrut. Darum sei denn auch du nebst deiner taubenartigen Sanftmut schlau wie eine Schlange, sonst kommst du mit diesem Geschlechte nicht zurecht!“

12. Sagt Faustus: „Ewig Dank Dir für diesen Rat! Doch jetzt sollten wir, da dies Geschäft so gut als möglich abgelaufen ist, denn doch etwas mehr Erheiterndes unternehmen!“

13. Sage Ich: „Ganz wohl! Ich bin schon dabei; nur warten wir noch auf den Kisjonah, der mit seinen Kassen bald in der Ordnung sein wird!“

3. Kapitel. Die rechte Anwendung der Wunder- und Heilkraft

01. Nach einer kurzen Weile kommt Kisjonah, grüßt uns alle auf das zarteste und liebfreundlichste und sagt darauf: „Mein endlos geliebtester Freund Jesus! — Also nenne ich Dich aber nur äußerlich; denn Du weißt, was und wer Du mir im Herzen bist. — Dir allein habe ich alles das zu danken! Nur eine kleine Summe von fünftausend Pfunden im ganzen habe ich bereitwilligst gestrichen aus dem Schuldbuche der armen Bürger Kanas, und Du hast mir dafür fünfzigtausend Pfunde ohne den unschätzbaren Wert der andern Schätze, die vielleicht noch einmal soviel wert sind, zukommen lassen! Ich gelobe Dir aber auch bei all meiner unermeßlichen Liebe zu Dir, daß ich all dieses zum Besten der Armen und Bedrückten verwenden werde, und es soll also aus dem Teufelsunflate am Ende doch noch Gold für die Himmel Gottes werden!

02. Ich werde zwar das Gold und Silber den Menschen nicht in die Hand geben, denn da ist es wahrlich ein Gift für die schwachen irdischen Herzen der Menschen; aber ich werde den Dach— und Besitzlosen Dach und Besitz verschaffen mit steuerfreien Gründen und werde ihnen geben Vieh und Brot und Kleidung. Jedem aber, den ich beglücken werde, wird Dein Wort gepredigt und ihm Dein Name kundgemacht, auf daß er lebendig wisse, wem er alles zu danken habe, und daß ich nichts als nur ein schlechter und träger Diener bin! — Du, o Herr, aber stärke mich allzeit, so ich dienen werde in Deinem Namen! Sollte es mich aber je gelüsten, nur einen Sinn der Welt zuzuwenden, dann laß schwach werden alle meine Kräfte, auf daß ich gewahr werde, daß ich ein schwacher Mensch bin und aus meiner Kraft nichts zu vollbringen imstande bin!“

03. Ich aber lege darauf Meine Hand auf sein Herz und sage zu ihm: „Freund und Bruder! Da innen behalte Mich, und es wird dir nie an Kraft zur Ausführung edler Werke mangeln! Ja, im lebendigen Glauben und in voller und reiner Liebe zu Mir und im Sinne, Gutes zu erweisen den Menschen in Meinem Namen, wirst du den Elementen gebieten, und sie werden dir gehorchen! Den Winden wird nicht unverständlich sein dein Ruf, und das Meer wird erkennen deinen Sinn. Und zu dem einen oder dem andern Berge wirst du sagen können: ,Hebe dich und stürze dich ins Meer!‘, und es wird geschehen, wie du es geboten hast.

04. So aber jemand des Glaubens wegen Zeichen verlangt von dir, so laß es nicht geschehen, daß dem Verlanger ein Zeichen werde; denn wer die Wahrheit der Wahrheit wegen nicht erkennen will, und diese ihm nicht ein hinreichendes Zeichen ist, für den ist es besser, daß er bleibt in seiner Blindheit; denn wird er durch ein Zeichen zur Annahme der Wahrheit gezwungen und tut aber dann doch nicht nach der Lehre, so ist das Zeichen ein doppeltes Gericht für ihn. Fürs erste ist er durch das Zeichen gezwungen, die Wahrheit als Wahrheit anzunehmen — ob er sie in seiner Blindheit als solche erkennt oder nicht erkennt —, und fürs zweite muß er offenbar in ein tieferes Strafgericht in sich selbst zufolge der göttlichen Ordnung verfallen, wenn er nach der durch das Zeichen ihm aufgedrungenen Wahrheit nicht handelt, gleichviel ob er die Wahrheit als Wahrheit völlig erkennt oder nicht; denn das Gelingen des Zeichens hat ihm den bindenden Beweis geliefert. Und das ist schon genug; die Einsicht oder Nichteinsicht rechtfertigt da niemanden.

05. Denn so jemand zur Bestätigung der vernommenen Wahrheit ein Zeichen begehrt und sagt: ,Ich sehe zwar den Grund der Wahrheit aus deiner Rede nicht ein, wenn mir aber nach der Diktion, durch die mir solche und solche Lehre unterbreitet ist, ein Zeichen als tatsächlicher Beweis geliefert wird, so will ich solche Lehre als volle Wahrheit annehmen!‘ Nun, es wird dann dem Verlanger das Zeichen gegeben, und er kann nun nicht umhin, die Wahrheit der Lehre anzunehmen, ob er sie als solche bis auf den Grund erkennt oder nicht; denn nun steht das Zeichen als ein unbestreitbarer Bürge da.

06. Weil es aber seiner Blindheit nicht möglich ist, auf den Grund der Wahrheit zu kommen, und er nach seinen Begriffen durch die Befolgung der Wahrheitslehre in zu bedeutende, nie gewohnte Lebensunbequemlichkeiten gelangen könnte, so denkt er dann bei sich: ,Es mag wohl was daran sein, denn sonst wäre das Zeichen nicht möglich gewesen; aber ich sehe den Grund dennoch nicht ein, und tue ich danach, so kostet mich das eine entsetzliche Selbstverleugnung. Darum tue ich es lieber nicht und bleibe bei meiner angewohnten Lebensweise, die zwar ohne außerordentliche Zeichen dasteht, aber dessenungeachtet ganz wohl schmeckt!‘

07. Sieh, eben darin aber liegt dann auch schon das Strafgericht, das der Zeichenverlanger sich selbst bereitet hat durch das auf sein Verlangen geleistete Zeichen, das ihm den unumstößlichen Beweis geliefert hat, gegen den er keinen Gegenbeweis aufstellen kann; er aber in seiner verkehrten Lebensweise dann doch als ein Bekämpfer der ewigen Wahrheit auftritt und sie tatsächlich weidlichst verwirft, obschon er das unvertilgbare Zeichen, das ihm zur Steuer der Wahrheit geleistet ward, ewig nie als den Erfolg auf die ihm geoffenbarte Wahrheit als nie bestanden seiend aus dem Wege schaffen kann. Darum ist es sonach ums unvergleichbare besser, nie ein Zeichen zur Steuer der Wahrheit zu leisten!

08. Aber zum Nutzen und sonstigen Frommen der Menschen ohne irgendeine Aufforderung magst du im stillen Zeichen wirken, soviel du willst, und es wird das niemandem zur Sünde und noch weniger zu einem Gerichte gereichen. Hast du aber Zeichen zum Frommen der Menschen zum voraus geleistet, so magst du hintendrein den betreffenden Menschen wohl auch eine Lehre geben, so sie ein Verlangen danach tragen; tragen sie aber kein Verlangen, so gib ihnen bloß eine ernste Vermahnung vor der Sünde. Aber in eine weitere Belehrung laß dich nicht ein; denn da sehen dich die, denen geholfen ward, als einen magischen Arzt an, und das Zeichen hat für sie kein weiteres Zwangsgericht.

09. Alle aber, denen die Macht gegeben ward, im Notfalle Zeichen zu wirken, sollen diesen Meinen Rat treu befolgen, so sie wahrhaft Gutes wirken wollen.

10. Vor allem aber hüte sich ein jeder, in einer Art Aufwallung und Ärger ein Zeichen zu wirken! Denn ein jedes Zeichen kann und soll nur auf Grund der reinsten und wahrsten Liebe und Sanftmut gewirkt werden; wird es aber im Zorn und Ärger gewirkt, was wohl auch möglich ist, dann hat schon die Hölle ihren Anteil dabei, und ein solches Zeichen bringt dann nicht nur keinen Segen, sondern einen Fluch.

11. So Ich euch allen aber schon zu mehreren Malen die Lehre gegeben habe, daß ihr sogar die noch segnen sollet, die euch fluchen würden, um wieviel weniger soll von euch den Blinden im Geiste ein Fluch bereitet werden, die euch mit keinem Fluche entgegenkommen, sondern mit eitler Blindheit ihres Herzens nur!

12. Bedenket also solches wohl und handelt auch also, so werdet ihr allenthalben Segen verbreiten, wennschon nicht durchgängig geistig, so doch leiblich, wie auch Ich Selbst es getan habe und noch allzeit tue; denn oft wirket eine pur leibliche Wohltat bei einem Elenden mehr auf sein Herz und seinen Geist als hundert der besten Tugendlehren, und es ist daher auch ordnungsgemäß, bei der Ausbreitung des Evangeliums durch leibliche Wohltaten den Weg ins Herz der Elenden zu bahnen und dann erst den gesunden Gemütern das Evangelium zu predigen, als die Predigt vorangehen zu lassen und hinterher die elenden Anhörer durch ein Zeichen in ein offenbarstes Gericht, also — in ein noch größeres Elend zu stürzen, als da war ihr erstes, pur den Leib betreffend.

13. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so lege ihm vor der Predigt die Hände auf, daß es mit ihm besser werde; so er dich dann fragt und sagt: „Freund, wie war dir solches möglich?“, so erst sage: „Durch den lebendigen Glauben an den Namen Dessen, der von Gott gesandt ward vom Himmel zur wahrhaften Beseligung aller Menschen!“ — Wird er dich dann weiter um den Namen fragen, so gib ihm dann auf Grund der Fähigkeit seiner Fassungskraft so viel einleitender Belehrung, daß er die Möglichkeit solch einer Erscheinung einzusehen beginnt.

14. Ist er soweit gekommen, dann gib ihm im gerechten Maße stets mehr und mehr kund. Findest du nach solchen Gesprächen, daß das Herz des Hörers stets reger und reger wird, so sage ihm endlich alles, und er wird es sicher annehmen und wird glauben jedem deiner Worte. Wenn du ihm aber auf einmal zu viel gibst, so wird es ihn erdrücken und verwirren seine Sinne, und du wirst dann mit ihm ein schweres Stück Arbeit haben.

15. Wie man aber den neugeborenen Kindern nicht sogleich gibt eines reifen Mannes Kost, die sie töten würde, also darf man um so weniger gleich anfänglich dem Geistkinde eine geistig männliche, sondern nur eine solchen Kindlein höchst angemessene geistige Kost geben, sonst werden sie getötet, und es ist dann überaus schwer, sie wieder zu beleben im Geiste. — Habt ihr alle solches nun wohl begriffen und verstanden?“

16. Sagen alle mit gerührtem Herzen: „Ja, Herr, solches ist uns nun so klar wie die Sonne am hellsten Mittage, und wir werden es getreuest beachten!“

17. Sage Ich: „Gut, so gehen wir nun zu der Höhle hin, in der die Pharisäer ihre Schätze verborgen hatten; denn es ist in der Höhle noch eine Höhle, und wir wollen sie durchsuchen. Nehmt aber Fackeln mit in rechter Menge und desgleichen Wein und Brot; wir werden dort Wesen antreffen, die sehr hungrig sein werden.“

4. Kapitel. Besuch und Beschreibung einer Tropfsteinhöhle.

01. nun läßt Kisjonah alles hervorholen. Baram, der sich von uns noch immer nicht trennen konnte, läßt auch seine noch erübrigten Wein— und Brotvorräte holen von seinen Leuten. Jairuth und Jonael, die sich von Mir auch nicht trennen können, bitten Mich auch, ob sie diese Expedition mitmachen dürfen.

02. Und Ich sage: „Allerdings; denn ihr seid sogar notwendig dabei, und Archiel wird uns gute Dienste leisten eigener Art! — Ich sage euch aber noch etwas, und das ist: Es verläßt soeben eine Deputation von euren Erzfeinden Sichar und begibt sich hierher, um euch zur baldigsten Rückkehr zu bewegen; denn das Volk hat sich wider sie erhoben und hat vorgestern schon den neu eingesetzten Priester vertrieben. Dieser wird auch bei der Deputation sein. Sie werden noch heute abend hier eintreffen, allwann wir sie ein wenig bearbeiten werden. Jetzt aber machen wir uns auf den Weg!“ — Es wollten aber auch die Weiber und Mägde bei dieser Expedition zugegen sein und fragten Mich darum.

03. Ich aber sagte zu ihnen: „Meine lieben Töchter! Das ist kein Gang für euch; darum bleibet ihr nur fein zu Hause und sorget, daß wir am Abend ein Mahl im gerechten Maße antreffen!“ — Die Weiber gaben sich zufrieden, auch die Maria, und sorgten fürs Haus. Die Lydia aber wäre zwar sehr gerne mit uns gewandelt; aber da sie sah, daß es Mein Wille nicht war, so blieb auch sie daheim und tat, was die andern taten.

04. Wir aber begaben uns auf den Weg, erreichten in ein paar Stunden die Grotte oder Höhle und betraten sie mit angezündeten Fackeln sogleich. Da staunte Kisjonah über die große Räumlichkeit und über die äußerst interessante Tropfsteinformation, die in dieser Höhle wohl die sehenswürdigste von ganz Vorderasien ist, das eine große Menge solcher Höhlen zählt. Gigantische Gestalten aller Art traten da den schüchternen Beschauern entgegen.

05. Faustus selbst, dem es sonst am römischen Heldenmute nicht gebrach, ward hier ganz kleinlaut und sagte: „Man könnte hier unwillkürlich zu der Meinung geführt werden, daß unterirdisch dennoch eine Art Götter hausen müssen, die durch ihre ungeheure Kraft solche Riesenwerke zustande bringen. Es sind da Abbilder von Menschen, Tieren und Bäumen; aber in welcher Größe! Was wären da die Riesentempel und Statuen Roms dagegen?! — Da, — dieser ganz gut geformte Araber! Wahrlich, so man ihn bis auf sein Haupt besteigen möchte und könnte, eine volle Stunde hätte man auf Stufen aufwärts zu steigen. Er hat dazu noch eine sitzende Stellung, und es schwindelt mir hinaufzuschauen zu seinem Haupte! Ah, das ist wirklich im vollsten Ernste über alle Maßen sehens— und denkwürdig! Der Zufall kann das doch unmöglich bewirkt haben!? — Da ist wieder eine Gruppe von Kriegern mit Schwert und Lanze! Dort aus dem tieferen Hintergrunde grinst uns ein allerriesigster Elefant an; die Zeichnung läßt nichts zu wünschen übrig! — Herr, Herr! Wie, wie ist doch dies alles so wunderbar entstanden?!“

06. Sage Ich: „Freund, betrachte nun alles, was sich deinen Blicken vorstellen wird, und frage nicht viel; die ganz natürliche Erklärung wird nachfolgen. Es wird hier noch so manches vorkommen, das dich noch in ein bei weitem größeres Staunen versetzen wird; aber auch da frage nicht! Wenn wir aus der Grotte wieder im Freien sein werden, werde Ich euch allen alle diese Dinge klarmachen.“

07. Wir gehen nun weiter und gelangen in eine übergroße und hohe Halle, die aber nicht finster, sondern ganz erträglich beleuchtet ist; denn in dieser Halle gibt es mehrere Erdölquellen, die schon vor gar vielen Jahren von Menschen, denen diese Grotte zur Wohnung diente, angezündet worden waren und seit der Zeit in einem fort lichterloh mit unterschiedlich mächtigen Flammen brannten und diese große Halle teilweise erleuchteten, während in diese Halle auch von einem Punkte der hohen Kuppe durch eine ziemlich weite Ausmündung ins Freie ein ziemlich starkes Tageslicht fiel, — und es war somit diese Grotte, wie gesagt, ganz erträglich beleuchtet.

08. Der Boden dieser Grotte oder Grottenhalle aber ließ allerlei Gestalten sehen. Da lagen Schlangen, riesige Kröten und allerlei andere zum Teil gut und zum Teil schlecht und nur halb gebildete Tierbildungen aller Art, sowie auch eine große Masse von kleinen und riesig großen Kristallbildungen in allen Farben, was einen ungemein überraschend schönen Anblick gewährte.

09. Da sagte Faustus: „Herr, da gäbe es des kaiserlichen Schmuckes in einer Fülle, wie von einer ähnlichen wahrlich nie einem Kaiser etwas geträumt hat! Das aber wird etwa doch wohl eine Art Tartarus sein, wie ihn der Griechen Mythe beschreibt!? Es geht nur noch der Styx, der alte Charon, die drei bekannten unerbittlichen Seelenrichter Minos, Äakus und Rhadamanthys, endlich der dreiköpfige Hund Zerberus, darauf einige Furien und am Ende gar noch Pluto mit der schönen Proserpina ab, und der Qualentartarus wäre fertig! Diese vielen Brände aus dem Boden und aus den Wänden, die tausenderlei scheußlichsten Tiergestalten am Boden — wennschon tot und versteinert — und noch eine Menge tartarusartiges Zeug mehr bekunden nur zu laut, daß wir nun entweder schon im Tartarus selbst oder doch wenigstens auf dem besten Wege dazu sind; oder, was mich nun am wahrscheinlichsten dünkt: diese oder irgendeine andere dieser ähnlichen Grotte ist der sichere Grund zur griechischen Tartarusmythe!“

10. Sage Ich: „Das letzte hat viel Wahres an sich, wennschon nicht durchgängig alles; denn die stets am meisten pfiffige Priesterschaft aller Völker hat es zu allen Zeiten und allenthalben stets am besten verstanden, derlei Naturbestände zu ihrem eigenen Vorteile auszubeuten und bestens zu benutzen. Dergleichen benutzte sie auch in Griechenland und in Rom und gab dazu dann noch ihrer argen Phantasie den freiesten Spielraum, wodurch dann natürlich Völker und Völker breit— und blindgeschlagen worden sind bis auf diese Zeit und noch fortan bis ans Ende der Welt breit— und blindgeschlagen werden — bald mehr, bald weniger.

11. Solange die Erde in ihrem notwendigen, sehr verschiedenartigen Gefüge irgend beschauliche Gestaltungen aufzuweisen haben wird, so lange werden auch ihre Menschen, die aus verschiedenen Ursachen blind und lichtscheu sind im Geiste, in ihrer Verstandesphantasie allerlei Zerrbilder formen und ihnen außerordentliche, göttliche Kräfte und Wirkungen beilegen, weil sie als Blinde den wahren Grund nicht ersehen mögen.

12. Da siehe aber nun auch deinen Styx, den Schiffer Charon und über dem bei zwölf Klafter breiten und allenfalls eine Elle tiefen Flusse drüben, der eigentlich nur eine Art Teich ist und an der seichten Stelle sehr leicht durchwatet werden kann, erblickst du im matten Scheine auch deine drei Richter, einige Furien, den Zerberus und den Pluto mit der Proserpina, — Figuren, die sich nur in einer gewissen Entfernung also ausnehmen, in der Nähe und in stärkerem Lichte aber allem andern eher gleichsehen als dem, was die menschliche Phantasie aus ihnen gemacht hat. — Aber nun gehen wir, ohne dem Charon das Naulum (Fährgeld) zu bieten, zu Fuß über den Styx, und wir werden jenseits ein wenig den Tartarus in Augenschein nehmen.“

13. Wir waten an einer sehr seichten Stelle über den sogenannten Styx und dringen durch eine ziemlich enge Spalte in den Tartarus, der durch unsere Fackeln beleuchtet nur zu bald einen, noch von allen Pharisäern nicht verratenen, großen Schatz vorzuweisen beginnt, und es kommt also durch Mich alles, was noch so verborgen war, ans Tageslicht.

5. Kapitel. Geschichte der gefundenen Schätze

01. Faustus schlägt die Hände über dem Haupte zusammen und ruft sogleich den Pilah zu sich, zu ihm sagend: „Hast du keine Kenntnis gehabt, weil du mir davon nichts verraten hast? — Rede, — sonst sieht es übel mit dir aus!“

02. Sagt Pilah: „Herr! Davon hatte ich keine Kenntnis und bin in diese Höhle noch nie so weit gedrungen wie jetzt! Die Alten werden wohl davon gewußt haben; aber sie verschwiegen solches alles, damit ihnen am Ende aus was immer für einem Gefängnisse ein Lösegeld übrigbleibe. Nimm aber alles in Empfang; es ist gottlob von nun an dein!“

03. Faustus fragt auch Mich, ob Pilah die Wahrheit gesprochen habe, und Ich bestätige solche Aussage des Pilah und sage zum Faustus: „Freund, so jemand die Tochter eines angesehenen Hauses zum Weibe nahm, so hat er mit Fug und Recht eine Mitgift zu erwarten. Du hast nun viel zu tun gehabt, und es ist dafür bei der Verteilung der früheren Güter kein Teil auf dich gefallen, — und so nimm du diesen ganzen Schatz in deinen rechtmäßigen Besitz; er ist irdischer Schätzung zufolge tausend mal tausend Pfunde wert.

04. Den größten Wert aber machen die großen Perlen aus, von denen jede die Größe eines Hühnereies hat. Eine ganze eherne Kiste, bei tausend Drachmen maßhältig, ist voll von den großen Perlen, von denen jede eigentlich einen unschätzbaren Wert hat. Solche Perlen kommen jetzt auf der ganzen Erde als neugebildet nicht mehr vor, da derlei Schaltiere nebst vielen anderen Urwelttieren nicht mehr bestehen. Diese Perlen aber wurden auch nicht aus dem Meere gefischt, sondern der König Ninias, auch Ninus genannt, fand sie in der Erde, als er die Stadt Ninive bauen ließ, bei Grabungen des Grundes. Durch die mannigfachen Schicksale kamen sie zum Teil schon zu Davids, zum größten Teile aber zu Salomos Zeiten nach Jerusalem; in diese Höhle aber kamen sie, als die Römer als Eroberer Palästina, eigentlich aber nahezu das halbe Asien, in Besitz nahmen.

05. Die Hohenpriester, denen die Höhle schon gar lange her bekannt war, haben, als sie von dem Einfalle der Römer Nachricht erhielten, sogleich alle die größten und beweglichen Schätze des Tempels zusammengerafft und sie glücklich in die Höhle gebracht. Die goldenen Löwen, die den Thron Salomos trugen und zum Teil dessen Stufen bewachten, sind zur Zeit der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier in den Schutt gekommen, aber bei der nachherigen Wiedererbauung wiedergefunden und von den Priestern für den Tempel in Empfang genommen worden. Diese befinden sich auch zum größeren Teile hier; denn man brachte alles Wertvollste, das man in der Eile zusammenraffen konnte, zur Einfallszeit der Römer hierher, so wie zur Einfallszeit der damals mächtigen Babylonier auch eine bedeutende Masse Tempelschätze in die bekannte Höhle bei Chorazin gebracht worden ist, obgleich hernach die Babylonier im Tempel dennoch genug noch, namentlich die dem Tempeldienste für immer geweihten Gefäße und Schätze, zum Mitnehmen fanden und sie nach Babylon brachten. Beordere nun deine Leute, daß sie alles das aus der Höhle schaffen; nachher soll Archiel dieser Grotte Eingang so verrammen, daß fürder nimmer ein Mensch sie betreten solle.“

06. Faustus gebietet nun sogleich den Dienern, all diese Schätze hinauszuschaffen; als sie diese aber zu heben anfangen, so haben sie nicht Kraft genug, die vielen und schweren ehernen Kisten zu heben. Sie bitten Mich aber, daß Ich ihnen die erforderliche Kraft verleihen möchte!

07. Ich aber berufe den Archiel und sage: „So schaffe du all diesen Unflat hinaus, und zwar sogleich nach Kis ins große Magazin!“ — Im Augenblick verschwanden all die vielen schweren Kisten, und Archiel war aber auch im Augenblick wieder da, so daß niemand merken konnte, wann denn Archiel abwesend war.

08. Sagt darauf Faustus: „Das geht noch in das Allerfabelhafteste! Meine Diener hätten damit wohl drei Tage zu tun gehabt — das aber war ein unmerklicher Augenblick, und es ist von all den vielen Kisten aber auch nicht eine mehr zu entdecken! Da frage ich auch gar nicht mehr um die Möglichkeit solch einer Tat; denn dazu gehört ein göttlicher Sinn, um solche Erscheinungen zu begreifen und nach Recht zu schätzen!“

09. Sage Ich: „Ja, ja, du hast recht! Es wäre auch für den Menschen vorderhand gar nicht gut, so er alles so bald verstände, was sich ihm als Erscheinung beschaulich darstellt. Denn es steht geschrieben: ,Wenn du vom Baume der Erkenntnis essen wirst, wirst du auch sterben!‘ Es ist daher auch besser, jede Wundertat als das zu nehmen, was sie der Erscheinlichkeit nach ist, und sich dabei lebendig zu denken, daß bei Gott kein Ding unmöglich ist, als sie aus dem Wirkungsgrunde erklären zu wollen, wo man nach der Erklärung ebensowenig begreift als vor derselben.

10. Genug, daß du siehst, daß die Erde da ist, tauglich zu tragen und zu ernähren die Menschen! Würdest du den Grund wissen, wie sie gemacht wurde, so verlöre sie für dich den Reiz, und du würdest an ihr kein Wohlgefallen haben, wohl aber eine Gier, irgendeine andere Erde auf den Grund zu erforschen. Und würdest du bei derselben den gleichen Entstehungs— und Bestandesgrund ersehen und desgleichen auch bei einer dritten, vierten und fünften, so würde dich dann weiter auch gar nicht mehr gelüsten, noch eine sechste und siebente zu erforschen; und also würdest du dann träge, lustlos, lebensverächtlich und ärgerlich das Leben zu verwünschen anfangen und verfluchen die Stunde, die dich mit solcher Erkenntnis zu bereichern begann, — und ein solcher Zustand wäre dann ein barster Tod für deine Seele!

11. Da aber nach der göttlichen Ordnung alles so eingerichtet ist, daß sowohl der Mensch wie auch jeder Engelsgeist alles nur nach und nach, und selbst da nur bis zu einem gewissen Grade, von der göttlichen Natur in sich wie in all den geschaffenen Dingen, einsehen kann, so bleibt ihm die stets wachsende Lebenslust und die Liebe zu Gott und zum Nächsten, durch die allein er ewig selig werden kann und wird. — Fassest du solche Wahrheit?“

12. Sagt Faustus: „Ja, Herr und Freund, ich fasse es genau! Und so will ich Dich nicht mehr fragen um den Entstehungsgrund der Gebilde in dieser Grotte.“

6. Kapitel. Entstehung und Einsturz der Tropfsteinhöhle

01. Sage Ich: „Daran liegt auch wirklich nicht viel. Ob du es weißt oder auch nicht weißt, wird dich nicht lebensärmer oder lebensreicher machen. Aber das kannst du dennoch wissen, daß daran nie eine Menschenhand etwas zu tun gehabt hat, sondern die Natur der Elemente allein bildete solches wie zufällig. Die Berge saugen stets eine auflösende Feuchtigkeit aus der Luft; dazu kommt der öftere Regen, der Schnee und die Nebel, die gar oft die obersten Kuppen der Berge einhüllen. Alle die auf den Bergen abgelagerten Feuchtigkeiten sickern zum großen Teile durch Erd und Stein der Berge, und wo sie über einen inneren hohlen Raum gelangen, sammeln sie sich in Tropfen, die nahe zur Hälfte aus aufgelöstem Kalk bestehen. Solche Tropfen fallen herab. Ihr reines Wasser sickert dann entweder noch tiefer, oder es verdunstet in solch einem Raume. Aber die schleimige Kalkmasse wird fester und fester, und es bilden sich durch die stete Vermehrung endlich allerlei Formen, die bald dem einen, bald dem andern Gebilde auf der Erde — bald mehr, bald weniger — ähnlich sehen. Und auf dieselbe Weise entstand denn auch all das Gebilde in dieser Höhle auf einem ganz natürlichen Wege, obschon auch nebenbei anzunehmen ist, daß zur Verblendung der schwachen Menschen Satans Diener zur besseren Ausbildung von allerlei menschenähnlichen Gestalten ein bedeutendes beigetragen haben.

02. Es ist daher besser, daß solch eine den finstern Aberglauben sehr begünstigende Grotte für alle künftigen Zeiten unzugänglich gemacht werde. Und so begeben wir uns nun wieder hinaus ins Freie, auf daß der Archiel seinen Auftrag erfülle mit dieser Höhle!“

03. Faustus dankt Mir innigst für diese Erklärung und sagt: „Mir ist diese Erklärung um so klarer begreiflich, weil ich solches — wenn auch mehr als eine Hypothese — schon von den römischen Naturkundigen aussprechen gehört habe. Aber auch der Beisatz von der Mitwirkung Satans ist viel wert; denn der Feind des Lebens wird dergleichen Dinge sicher nicht unbenutzt lassen, und die bösen Folgen liegen in drei Weltteilen vor unseren Augen! Das ist mir nun alles sonnenklar; aber nur ein Ding kann ich nicht so recht unters Dach bringen, — und das ist die Seligkeit Gottes!

04. Sage mir, welche Lust kann denn Gott, dem der innerste Grund alles Seins ewig fort gleich und durchdringendst bekannt sein muß, an Seinem eigenen unverwüstbaren Leben haben?! Kann denn Ihm solch eine notwendig allergleichste Klarheit, ohne Sich je irgend aus Sich Selbst verändern zu können, zu einer Lust gereichen, die doch jeden Menschen vor Langweile töten müßte?“

05. Sage Ich: „Siehe hier die Menschen! Diese sind die Lust Gottes, wenn sie in Seiner Ordnung das werden, was zu werden sie bestimmt sind. In ihnen findet Gott Seinesgleichen wieder, und ihr stetes Wachsen an Erkenntnissen aller Art und dadurch in aller Liebe, Weisheit und Schönheit, ist Gottes unverwüstbare Lust und Seligkeit! Denn alles, was die Unendlichkeit fasset, ist allein des kleinen Menschen wegen da, und es gibt ewig nichts, das nicht da wäre allein des kleinen Menschen wegen. — Nun weißt du auch das! Aber nun gehen wir aus dieser Höhle, auf daß Archiel seinem Auftrage ehest möglich nachkommen kann!“

06. Wir eilen nun aus der Grotte und erreichen bald das Ende derselben. Als wir alle außerhalb der Grotte uns befinden, gebe Ich dem Archiel einen Wink, und in dem Augenblick geschieht ein heftiger Knall, und der äußerst geräumige Eingang zeigt sich nun als eine hohe Granitwand, durch die mit leichter Mühe wohl kein Sterblicher durchbrechen würde, so er es sich noch so ernstlich vornähme. Um aber den Eingang sozusagen gänzlich unmöglich zu machen, wurde, nachdem wir uns von der Stelle des Eingangs bei dreitausend Schritte entfernt hatten, eine Absitzung des Erdreichs bewerkstelligt, so, daß die ehemalige Eingangsstelle über hundert Manneshöhen dem zugänglichen Erdboden, der in die Tiefe geschoben ward, entrückt wurde, und man hätte nun eine über hundert Manneshöhen hohe Leiter haben müssen, um über die senkrecht steile Wand hinauf zur gewesenen Eingangsstelle zu gelangen, — was aber dann dennoch fruchtlos gewesen wäre, weil der Eingang selbst zur festesten und steilsten Felswand geworden war.

07. Als Faustus und auch alle die Anwesenden solche Veränderung mit dieser Bergesstelle ersehen, sagt Faustus zu Mir: „Herr und Freund! Wahrlich, ich kann mich jetzt nimmer fassen! Die Erscheinungen werden zu schöpferisch groß; sie liegen bereits eine Ewigkeit von meinem Erkenntnishorizonte entfernt! Ich weiß nun wahrlich nicht, ob ich noch lebe, oder ob ich träume! Es geschehen da so seltsam rätselhaft wunderbarste Dinge, daß man selbst bei der größten Nüchternheit als ein total Betrunkener dasteht und kaum mehr im eigenen Bewußtsein zu unterscheiden imstande ist, ob man dem männlichen oder dem weiblichen Geschlechte angehört. — Da sehe man nun diese furchtbare Felsenwand an! Wo war diese vorher, als wir ganz bequem in die Grotte auf einem recht gut zu besteigenden Fußsteige den Weg machten?

08. Und was aber eigentlich noch das Sonderbarste bei der ganzen Sache ist, besteht in dem, daß bei der ganzen Veränderung von mehreren tausend Morgen Grundes keine Spur von irgendeiner gewaltsamen Zerstörung zu entdecken ist. Das Ding sieht doch gerade so aus, als ob hier seit dem Urbestande der Erde nie etwas verändert worden wäre!? Wahrlich, wenn hier tausend Menschen hundert Jahre lang gearbeitet hätten, so steht es dahin, ob sie solche Masse nur von der Stelle geschafft hätten also, daß eine solche Felswand, die im ganzen gut hundertfünfzig Manneslängen Höhe und eine Breite von mehr denn einer Stunde hat, also frei gestellt worden wäre, wie sie nun, von der noch vor wenig Augenblicken keine Spur zu entdecken war, frei dasteht, geschweige in solcher von keiner Zerstörung nur eine leiseste Spur tragenden Weise! Das ist im vollsten Ernste unerhört! Ich bin nun nur neugierig, was dazu die vielen Seefahrer für ein Gesicht machen werden, so sie an der Stelle der früheren üppigen Waldgegend nun diese Riesenwand entdecken werden! — Viele werden sich gar nicht auskennen, wo sie sich befinden; und viele werden dareinschauen, wie das Rind in ein neues Tor, dessen es noch ungewohnt ist!“

09. Sage Ich: „Darum sage Ich euch allen, daß ihr davon schweigt und nicht einmal den Weibern etwas davon meldet; denn Ich habe sie darum diesmal auch nicht mitgehen lassen, weil sie bei gar außerordentlichen Begebnissen trotz alles Verbotes ihren Zungen nie den schweigsamen Gehorsam abgewinnen können. Deshalb wollet auch ihr euren Weibern nichts von den außerordentlichen Begebnissen erzählen, die hier vor sich gegangen sind! Ihr könnet ihnen wohl die Gestaltung der Grotte beschreiben und auch Meldung tun von den neu aufgefundenen Schätzen; aber weiter ja keine Silbe mehr!“ — Alle geloben solches aufs feierlichste, und wir setzen darauf unsern Weg nach Kis ganz ruhig fort und kommen da gerade mit dem Untergange der Sonne an. Da kommen uns freilich die daheimgelassenen Weiber und Mägde haufenweise entgegen und können nicht schnell genug fragen, was wir alles natürlich Wunderbares erlebt hätten. Aber sie bekommen den Bescheid, daß es noch zu früh sei, zu fragen, und an der ganzen Sache nichts anderes gelegen sei als die Hebung eines noch von seiten der Pharisäer verschwiegenen Schatzes. Mit dem Bescheide geben sich die neugierigen Weiber zufrieden und fragen um nicht vieles mehr weiter.

10. Wir aber begeben uns darauf sogleich zum Abendmahle, da alle, die mit waren, kein Mittagsmahl hatten und schon bedeutend hungrig geworden waren und sich daher nach einem gut bestellten Abendmahle schon sehr sehnten.

7. Kapitel. Faustus findet die Schätze im Magazin wohlgeordnet u. bewacht

01. Nach dem bald eingenommenen Abendmahle erst ging Faustus auf Mein Geheiß ins große Magazin, um nachzusehen, ob die durch Archiel aus der Grotte nach Kis geschafften Schätze in der Ordnung da wären. Alles war da in bester Ordnung nebst einem großen Verzeichnisse aller der verschiedenen Schätze samt der Angabe des Wertes, wie sie in der Grotte vorgefunden worden sind. Faustus fragt die Wächter, wer da dieses Verzeichnis gemacht habe.

02. Die Wächter aber antworten: „Herr, dies haben wir schon angetroffen, als wir zur Wache hierhergestellt worden sind. Wer es gemacht hat, wissen wir dir darum nicht anzugeben.“

03. Fragt Faustus weiter: „Sagt mir, wie denn diese Schätze hierhergekommen sind, und wer sie gebracht hat!“

04. Sagen die Wächter: „Auch das wissen wir nicht; es kam bloß ein junger Mensch, den wir schon etliche Tage hier in der Gesellschaft des Wunderarztes aus Nazareth sahen, und befahl, daß die Schätze bewacht werden. Wir wurden darauf vom römischen Unterrichter daherbeordert und halten nun schon bei zwei vollen Stunden die Wache. Das ist alles, was wir von dem Schatze und dessen Hierherstellung wissen, und keine Silbe darunter und darüber!“

05. Faustus begibt sich darauf mit dem zu sich genommenen Verzeichnisse zum Unterrichter und fragt ihn so wie die Wache; aber der Unterrichter weiß von der ganzen Sache ebensowenig wie die vorher befragte Wache. Faustus aber, da er sieht, daß da niemand in Kis etwas von der Herschaffung der Schätze weiß, sagt bei sich: ,Weil sie alle nichts wissen, so will ich sie auch auf nichts weiteres mehr aufmerksam machen, damit die Sache dadurch nicht unnötigerweise im Volke ruchbar werde!‘

06. Mit solcher Selbstbesprechung begibt sich Faustus wieder in seine Wohnung, allwo ihn sein junges Weibchen schon mit offenen Armen erwartet. Aber bevor er noch zur Nachtruhe sich begibt, kommt er noch zu Mir, um wichtige Dinge zu besprechen. Aber Ich bescheide ihn auf morgen zu Mir und beheiße ihn nun zur Ruhe für Körper und Seele, die ihm nun not tue vor allem. Und Faustus begibt sich dann auch sogleich zur Ruhe, die ihm so wie allen andern not tat.

07. Im guten Schlafe hat es mit der Nacht ein baldiges Ende, und so war es denn auch hier der Fall; man glaubte, erst vor ein paar Minuten eingeschlafen zu sein, und schon rief alle der helle Morgen, die süßschmeckenden Lager zu verlassen und wieder des Tages Geschäft zu beginnen. Das schon früh bereitete Morgenmahl rief alle von den verschiedenen Schlafgemächern in den großen Speisesaal, in dem alle wie an den vergangenen Tagen das Morgenmahl einnahmen und nach dem Mahle samt und sämtlich Mir zum ersten Male im Namen Jehovas den Dank und das Lob darbrachten nach der Weise Davids, der da sprach (Psalm 33):

08. „Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten; die Frommen sollen Ihn schön preisen. Dankte dem Herrn mit Harfen, und singet Ihm auf dem Psalter von zehn Saiten. Singet Ihm ein neues Lied, und machet es gut auf dem Saitenspiele mit reinem Schalle; denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was Er zusagt, das hält Er gewiß. Er liebt Gerechtigkeit und ein rechtes Gericht; die Erde ist voll der Güte des Herrn. — Die Himmel sind durch das Wort des Herrn gemacht und all Sein Heer durch den Geist Seines Mundes. Er hält das Wasser im Meere zusammen wie in einem Schlauche und legt die Tiefe in das Verborgene. Alle Welt fürchte den Herrn, und vor Ihm scheue sich alles, was auf dem Erdboden wohnet; denn so Er spricht, so geschieht es, und so Er gebietet, so steht es da. Der Herr vernichtet der Ungläubigen und Bösen Rat und wendet die Gedanken der Völker von ihnen ab. Aber Sein Rat bleibt ewig und Seines Herzens Gedanken für und für. Wohl dem Volke, des der Herr sein Gott ist; denn es ist das Volk, das Er zu Seinem Erbe erwählet hat! — Der Herr schauet vom Himmel und sieht aller Menschen Kinder. Von Seinem festen Throne sieht Er auf alle, die auf Erden wohnen. Er lenket ihr Herz und merket auf ihre Werke. Einem Könige hilft nicht seine große Macht, und ein Riese wird nicht gerettet durch seine große Kraft! Rosse helfen auch nicht, und ihre große Stärke errettet nicht! Denn des Herrn Auge siehet nur auf die, so Ihn fürchten und auf Seine Güte hoffen, daß Er ihre Seele errette vom Tode und sie ernähre in der Teuerung. Unser Herz freue sich des Herrn, und wir alle vertrauen auf Seinen heiligen Namen! — Deine Güte, o Herr, sei über uns, wie wir auf Dich hoffen!“

8. Kapitel. Vom Himmelreich

01. Nachdem nun alle Mir dieses Morgenlob dargebracht haben, fragt Mich schnell Faustus, der natürlich auch beim Mahle wie beim Lobe zugegen war: „Aber woher nahmen denn Deine Jünger alle diese Deiner würdige, gar so herrliche und völlig wahre Exklamation? So etwas Erhabenes habe ich noch nie vernommen!“

02. Sage Ich: „Verschaffe dir von den Pharisäern die Schrift Gottes, und lies darin die Psalmen des Königs David; darin wirst du alles das finden! Der Oberste Jairus, mit dem wir noch heute zu tun bekommen werden, wird dir solche Schrift schon verschaffen. Denn vor zwei Tagen haben sie seine Tochter ins Grab gelegt; sie ist ihm gestorben! Er hat seine Sünde gegen Mich tiefst bereut; darum soll ihm denn auch geholfen werden, und er soll nicht verloren sein für das Himmelreich Gottes!“

03. Fragt Faustus: „Herr, was ist das für ein Reich, und wo ist es?“

04. Sage Ich: „Ja, mein lieber Freund, das eigentliche wahre Himmelreich Gottes ist für die wahren Freunde Gottes überall, für die Feinde Gottes aber nirgends; denn für die ist wieder alles Hölle, wohin du nur immer deine Augen und andern Sinne wenden kannst und magst. Unten und oben ist da gleich. Blicke weder zu den Sternen empor — denn sie sind Erden wie diese, die du betrittst — noch senke deine Augen zur Erde hinab, denn sie ist gerichtet wie dein Fleisch, das einmal sterben und verwesen muß! Forsche und suche aber dafür fleißig in deinem Herzen; dort wirst du finden, was du suchst. Denn in eines jeden Menschen Herz ist der lebendige Same gelegt, aus dem dir des ewigen Lebens ewiges Morgenrot erblühen wird.

05. Siehe, der Raum, in dem diese Erde schwebt so wie die große Sonne, der Mond und all die zahllosen Sterne, die für sich nichts als wieder Sonnen und Erden sind, ist unendlich! Mit der Gedanken Schnelligkeit könntest du diese Erde verlassen und in der geradesten Linie in solcher Schnelligkeit forteilen, — und so du Ewigkeiten auf Ewigkeiten also forteiltest, so würdest du nach vielen Ewigkeiten des gedankenschnellen Fortfluges dennoch nimmer irgendeinem Ende nahekommen! Überall jedoch würdest du Schöpfungen von der seltensten und wunderbarsten Art und Weise treffen, die allenthalben den endlosen Raum erfüllen und beleben.

06. Durch dein Herz wirst du nach dem Tode deines Leibes hinaustreten in den endlosen Gottesraum, und nach der Art deines Herzens wirst du ihn entweder als Himmel oder als Hölle antreffen!

07. Denn es gibt nirgends einen eigens geschaffenen Himmel, noch irgendeine eigens geschaffene Hölle, sondern alles das kommt aus dem Herzen des Menschen; und so bereitet sich ein jeder Mensch im Herzen, je nachdem er Gutes tut oder Böses, entweder den Himmel oder die Hölle, und wie er glaubt, will und handelt, also wird er auch seines Glaubens leben, aus dem heraus sein Wille genährt ward und ins Handeln überging.

08. Jeder aber prüfe die Neigungen seines Herzens, und er wird leicht erfahren, wessen Geistes sein Herz voll ist. Ziehen seine Neigungen das Herz und dessen Liebe zur Welt hinaus, und fühlt er in sich eine Sehnsucht, in der Welt etwas Großes und Angesehenes zu werden, — hat das hochmütig werden wollende Herz ein Mißbehagen an der armen Menschheit, und fühlt es den Trieb in sich, daß es herrschen möchte über die andern, ohne zum Herrschen von Gott erwählt und gesalbt zu sein, so liegt im Herzen schon der Same der Hölle, der, so er nicht bekämpft und erstickt wird, dem Menschen nach dem Tode des Leibes offenbarst nichts denn die Hölle bereitet.

09. Ist aber das Herz des Menschen voll Demut, und fühlt er sich glücklich, der Geringste unter den Menschen zu sein, allen zu dienen, seiner selbst der Liebe zu den Brüdern und Schwestern wegen gar nicht zu achten, dem Vorgesetzten willig zu gehorchen in allen guten, den Brüdern so wie so nützenden Dingen, und liebt er also Gott über alles, dann erwächst im Herzen der himmlische Same zu einem wahren, ewig lebendigen Himmel, und der Mensch, der also schon den gesamten Himmel in der Fülle in seinem Herzen birgt voll des wahren Glaubens, der reinsten Hoffnung und Liebe, der kann nach dem Tode des Leibes denn auch unmöglich irgendwo anders hinkommen als ins Himmelreich Gottes, das er in aller Fülle schon lange im Herzen trug! — Wenn du solches recht erwägst, so wirst du leicht begreifen, was es so ganz eigentlich mit dem Himmelreich sowie mit der Hölle für eine Bewandtnis hat.“

10. Sagt Faustus: „Liebster, höchst weiser Herr, Meister und Freund! Wahrlich, Deine Worte klangen höchst weise wohl; aber ich konnte sie diesmal nicht in aller Tiefe erfassen! Wie da gewisserart Himmel und Hölle auf einem Flecke beisammensein können, so daß eins das andere offenbarst durchdringen müßte, das ist für mich noch sehr materiell denkenden Menschen eine Sache der Unmöglichkeit! Wie aber am Ende aus meinem Herzen eine unendliche glückliche oder unglückliche Unendlichkeit erblühen solle, ist mir noch unbegreiflicher als alles andere! Daher muß ich Dich schon bitten, daß Du mir darüber noch eine faßlichere Erläuterung geben wollest; denn sonst gehe ich bei allem Lichte am hellsten Mittage des Geistes blind von hier nach Hause!“

9. Kapitel. Der Herr zeigt das Wesen von Himmel und Hölle in Beispielen.

01. Sage Ich: „So habe denn wohl acht; denn es liegt Mir daran, daß du sehend nach Hause ziehest!

02. Siehe, in einem Hause wohnen zwei Menschen. Der eine ist mit allem zufrieden, was er im Schweiße seines Angesichtes unter dem Segen Gottes dem Erdboden entlockt. Zufrieden und heiter genießt er den spärlichen Ertrag seines Fleißes, und seine größte Freude ist es, mit den noch ärmeren Brüdern seinen mühsam erworbenen Vorrat zu teilen. So ein Hungriger zu ihm kommt, da hat er eine Freude, ihn sättigen zu können, und fragt ihn nie mit ärgerlichem Gemüte um den Grund seiner Armut und verbietet ihm nicht, daß er wiederkommen dürfe, so es ihn etwa wieder hungern sollte.

03. Er murret nicht über irdische Staatseinrichtungen und sagt, so ihm irgendeine Steuer abgenommen wird, allzeit mit Hiob: ,Herr! Du hast es mir gegeben; Dein ist alles! Was Du gabst, kannst Du allzeit wieder nehmen; Dein allzeit allein heiliger Wille geschehe!‘

04. Kurz, diesen Menschen kann nichts in seiner Heiterkeit sowohl als auch in seiner Liebe und in seinem Vertrauen zu Gott, sowie daraus in der Liebe zu seinen irdischen Brüdern, stören; Zorn, Neid, Hader, Haß und Hochmut sind für ihn fremde Begriffe.

05. Aber sein Bruder ist dafür der unzufriedenste Mensch. Er glaubt an keinen Gott und sagt: ,Gott ist ein leerer Begriff, durch den die Menschen den höchsten Grad der diesirdischen Helden bezeichnen. In der Dürftigkeit kann nur ein dümmster Mensch glücklich sein, gleichwie auch die vernunft— und verstandlosen Tiere glücklich sind, wenn sie nur das spärlich erhalten, was ihr stummer und stumpfer Naturtrieb verlangt. Ein Mensch aber, der sich mit seinem Verstande weit übers Tierische emporgehoben hat, der muß sich nicht mehr mit der gemeinen Schweinskost begnügen, muß nicht mit den eigenen, zu etwas Besserem bestimmten Händen in der Erde herumwühlen — was sich nur für Tiere und Sklaven geziemt —, sondern man muß das Schwert ergreifen, sich zum mächtigen Feldherrn emporschwingen und durch Triumphpforten in die großen Weltstädte einziehen, die man erobert hat. Die Erde muß erbeben unter den Huftritten des Rosses, das von Gold und Edelsteinen strotzend stolz den Herrn der mächtigen Heerscharen trägt.‘

06. Mit solchen Gesinnungen verwünscht dann ein solcher Mensch sein ärmliches Sein, verflucht die Armut in seinem Herzen und sinnt auf Mittel, wie er sich große Schätze und Reichtümer verschafft, um mit ihrer Hilfe seine herrschsüchtigen Ideen zu realisieren.

07. Seinen zufriedenen Bruder verachtet er, und jeder noch Ärmere ist ihm ein Greuel. Von der Barmherzigkeit ist bei ihm gar keine Spur; bei ihm gilt sie als lächerliche Eigenschaft feiger Sklaven und der Gesellschaftsaffen. Dem Menschen gezieme nur Großmut, — aber diese so selten wie möglich! Kommt ein Armer zu ihm, so fährt er ihn an mit allerlei Scheltworten und sagt: ,Weiche von mir, du faule Bestie, du gefräßiges Ungeheuer mit der zerlumpten Larve eines Menschen! Arbeite, Tier, so du einen Fraß haben willst! Gehe zum ungeratenen Bruder meines Leibes, aber nimmer meines erhabenen Geistes; dieser, als selbst ein gemeines Lasttier, arbeitet für seinesgleichen und ist barmherzig wie ein Gesellschaftsaffe! Ich bin nur großmütig — und schenke dir diesmal noch dein gemeinstes Erdwurmleben.‘

08. Siehe nun, diese beiden Brüder, Kinder eines Vaters und einer Mutter, leben in einem Hause beisammen. Der erste ist ein Engel, der zweite nahe ein vollendeter Teufel. Dem ersten ist die ärmliche Hütte ein Himmel, dem zweiten dieselbe Hütte ohne irgendeine Veränderung eine allerbarste Hölle voll der bittersten Qual. Siehst du nun, wie Himmel und Hölle auf einem Flecke beisammen sein können?!

09. Freilich wirst du dir denken: ,Nun, was ist es denn? Man lasse den Herrschsüchtigen einen Thron erreichen, und er wird ganz tauglich sein, Völker zu schützen und zu schlagen die Feinde!‘ O ja, das könnte wohl möglich sein! Aber wo liegt der Maßstab, der ihm vorschriebe, wieweit er seine herrschsüchtigen Pläne verfolgen solle? Was wird er mit den Menschen machen, die sich nicht in aller Tiefe werden beugen wollen vor ihm? — Siehe, die wird er martern lassen auf die möglichst qualvollste Weise, und es wird ihm an einem Menschenleben ebensowenig gelegen sein wie an einem zertretenen Grashalm! — Was ist aber dann ein solcher Mensch? — Siehe, das ist ein Satan!

10. Es müssen wohl Herrscher und auch Feldherren sein; aber verstehe, diese müssen von Gott dazu erwählt und berufen sein und für die Folge Abstämmlinge von altgesalbten Königen sein. Diese sind dann berufen; aber wehe jedem andern, der seine arme Hütte verläßt und hineilet, sich durch allerlei Mittel den Herrscherstab zu erringen! Wahrlich, es wäre für ihn besser, nie geboren worden zu sein!

11. Ich will dir aber noch ein Bild vom Himmelreiche Gottes geben: Es gleichet völlig einem guten Erdreich, auf dem ebensogut die edelsten Trauben fest neben den Dorngesträuchen und Disteln wachsen und reif werden, — und doch haben sie ein und dasselbe gute Erdreich! Der Unterschied liegt nur in der Verwendung desselben: die Rebe verkehrt es in Gutes, der Dornstrauch und die Distelstaude aber in Arges, Nutzloses und für keinen Menschen Genießbares.

12. Also fließet auch der Himmel ein in den Teufel wie in die Engel Gottes; aber jeder von den beiden verwendet ihn anders! —

13. Also ist der Himmel auch noch gleich einem Fruchtbaume, der ein gutes, süßes Obst trägt. Als aber unter seine reichgesegneten Äste Leute kommen, die solche Frucht genießen wollen, da sind etliche nüchtern; diese genießen mit Dank nur soviel, als es ihr Bedürfnis verlangt. Andere aber, da ihnen die Frucht wohlschmeckt, wollen nichts am Baume zurücklassen, sondern verzehren es aus Neid, daß nicht die Genügsamen noch einmal etwas fänden, und essen so lange, bis der letzte Apfel verzehrt ist. Diese aber werden darauf krank und müssen sterben, während sich die Genügsamen vom mäßigen Genusse der Früchte des Baumes sehr wohl und gestärkt fühlen! Und doch haben beide Parteien vom selben Baume gegessen!

14. Also ist der Himmel auch gleich einem guten Weine, der den Mäßigen stärkt, den Unmäßigen aber zugrunde richtet und tötet; und so wird ein und derselbe Wein für den einen ein Himmel und für den andern die barste Hölle, — und doch wird er von einem und demselben Schlauche genommen! —

15. Sage Mir, Freund, ob du nun verstehest, was da ist der Himmel und was die Hölle!“

10. Kapitel. Das Gesetz der Ordnung.

01. Sagt Faustus: „Herr, nun fängt es bei mir an hell zu werden! — Es ist in aller Unendlichkeit nur ein Gott, eine Kraft und ein Gesetz der ewigen Ordnung. Wer aus den Menschen sich dieses Gesetz zum eigenen macht, für den ist alles und überall Himmel; wer aber aus seiner eigenen Freiheit heraus diesem Gesetze widerstreben will, für den ist überall Hölle, Qual und Marter!“

02. Sage Ich: „Ja, also ist es! — Das Feuer ist ein überaus nützliches Element; wer es ordentlich, weise und zweckmäßig benutzt, dem verschafft es einen unberechenbaren Nutzen. Es wäre zu weitläufig, alle die Vorteile herzuzählen, die den Menschen durch die rechte, weise und zweckmäßige Benutzung des Feuers entstehen. Wenn aber jemand das Feuer höchst unweise und allenfalls zum bloßen Vergnügen so leichtsinnig gebrauchen möchte, daß er es anzündete auf den Dächern der Häuser oder in dichten Waldungen, da wird ein und dasselbe Feuer alles zerstören und verderben!

03. Wenn es im Winter frostig ist, so geht jedermann gerne an den Kamin und wärmt sich mit großer Lust beim heiter knisternden Feuer, das den festen Kamin mit wärmenden Flammen füllt; aber wer ins Feuer fiele, den würde es töten und verzehren.

04. Aber Ich sage dir noch etwas: Die Menschen dieser Welt müssen, um wahrhaft Gottes Kinder zu werden, durch Wasser und Feuer geführt werden. Der Himmel im Urwesen ist Wasser und Feuer; was nicht dem Wasser verwandt ist, wird vom Wasser getötet, und was nicht selbst Feuer ist, kann im Feuer nicht bestehen.“

05. Sagt Faustus: „Herr, das verstehe ich schon wieder nicht! Wie ist das zu nehmen? Wie kann man zugleich zu Wasser und zu Feuer werden? Denn bekanntlich sind Wasser und Feuer die gegenseitig feindlichsten Elemente; eines zerstört und vernichtet das andere. Ist das Feuer mächtig, und man gießt Wasser hinein, so wird das Wasser schnell in Dampf und Luft verwandelt; ist aber das Wasser mächtiger als das Feuer, so erlischt dieses im Wasser, sobald es vom selben überflutet wird. Wenn man nun aber, um dem Himmel zu gleichen, zugleich Wasser und Feuer sein soll, da müßte man sich am Ende ja sowieso auflösen!? Wie sähe es dann mit dem ewigen Lebensbestande aus?“

06. Sage Ich: „Oh, recht gut! Beides im rechten Verhältnisse, — und es erzeugt und erhält dann fortwährend eines das andere! Denn siehe, gäbe es in und um die Erde kein Feuer, so gäbe es auch kein Wasser; gäbe es aber in und um die Erde kein Wasser, so gäbe es auch kein Feuer, — denn da erzeugt fortwährend eines das andere.“

07. Fragt Faustus: „Wieso? Wie das?“

08. Sage Ich: „Nimm alles Feuer, aus dem alle Wärme stammt, von der Erde, und die ganze Erde wird zu einem diamantstarren Eisklumpen, auf dem kein Leben fortkommen könnte; nimm aber darauf alles Wasser von der Erde, und sie wird nur zu bald zu nichtigem Staube werden! Denn ohne Wasser wird sich auch kein Feuer halten, das zu Neubildungen auf der Erde so überaus notwendig ist; wo aber keine Nach— oder Neubildung mehr stattfindet, da ist der Tod und die Verwesung eingekehrt.

09. Siehe an einen Baum, der seine Säfte verlor, und du wirst gewahr werden, daß der Baum in kurzer Zeit verfaulen und dadurch zunichte wird. Verstehst du nun solches?“

10. Sagt Faustus: „Ja, Herr, nun verstehen wir alle auch dieses und erkennen, daß Du voll des göttlichen Geistes und der Schöpfer aller Dinge Selbst bist. Denn welcher Mensch kann das aus sich ergründen, wie die ganze Schöpfung bestellt ist, und unter was für Gesetzen sie besteht? Solches kann nur dem klar und in allen Tiefen bekannt sein, der den Geist in sich trägt, durch den alle Dinge gemacht worden sind und nun gleichfort als dieselben bestehen. — Ich kann Dir für alle die mir hier erwiesenen großen Wohltaten geistiger und auch materieller Art nur aus dem für Dich mit höchster Liebe erfüllten Herzen danken! Denn was anderes sollte ich armer, schwacher, sündiger Mensch Dir, dem Herrn der Unendlichkeit, tun können?“

11. Sage Ich: „Du hast recht; aber behalte vorderhand alles, was du weißt und hier gesehen und erfahren hast, bei dir, mache Mich nicht ruchbar vor der Zeit, und vergiß nun in deinem irdischen Glücke der Armen nicht! Denn was du immer den Armen in Meinem Namen tun wirst, das hast du Mir getan, und es wird dir im Himmel vergolten werden. — Jetzt aber, da wir hier in Kis alles beendet haben, was da zu machen und zu schlichten war, wollen wir uns zur Reise nach Nazareth anschicken.“

11. Kapitel. Des Herrn und seiner Jünger Abreise nach Nazareth.

01. Sagt Faustus: „Da muß ich gebieten, meine Sachen auf die Schiffe zu bringen?!“

02. Sage Ich: „Ist schon alles geschehen! Weil deine Schiffe nicht ausgereicht hätten, so haben Baram und Kisjonah ihre zwei großen Schiffe dazu hergeliehen, und es ist also bis auf die Abfahrt alles in der besten Ordnung.“

03. Sagt Faustus: „Daß es sicherst also ist, nimmt mich nun gar nicht mehr wunder; denn was sollte dem Allmächtigen noch unmöglich sein?!“

04. Es treten aber nun Jonael und Jairuth mit Archiel zu Mir und danken für alles, und als sie sich von Mir unter vielen Danksagungen trennen und den Weg nach Sichar antreten, so kommt ihnen auch die von Mir ihnen vorausverkündete Deputation entgegen, nimmt sie in allen Ehren auf und legt dem Jonael die besondere Bitte zu Füßen, daß er das Oberpriesteramt wieder annehmen möchte; und beide, Jonael und Jairuth, erinnern sich dessen, was Ich ihnen vorher verkündigt hatte.

05. Wir aber — als Ich die abermaligen Bilder vom Himmelreiche vollendet hatte (Matth.13,53) und die Sichariten entließ und auch beim Kisjonah, der diesmal auf Meinen Rat daheim verblieb und auch nicht den Faustus begleitete, Mich empfahl mit dem Versprechen, bald wieder bei ihm einzusprechen — begaben uns dann auch bei zwei Stunden vor dem Mittage auf ein großes Schiff und fuhren mit Faustus, der in Meinem Schiffe mit seinem jungen Weibe Platz nahm, in die Nähe von Kapernaum hin, wo der gewöhnliche Landungsplatz für diese Stadt sowohl, wie auch für Nazareth war, das bekanntlich gar nicht weit von Kapernaum gelegen war.

06. Als wir gelandet und aus den Schiffen ans Land gestiegen waren, da sprach Faustus: „Herr, ich werde mit Dir nach Nazareth ziehen und werde Deiner Mutter und Deiner irdischen Brüder und Schwestern Behausung ihnen wieder zu eigen stellen!“

07. Sage Ich: „Auch dieses ist schon geschehen, und du wirst auch zu Hause und draußen in deinem großen Gerichtsbezirke alles in der schönsten und besten Ordnung antreffen; denn bisher hat Mein Archiel alle Geschäfte für dich geschlichtet. Gehe du aber nach Kapernaum, und wenn dir der Oberste Jairus unterkommt — was sich sicher ereignen wird — und wird dir klagen seinen Schmerz, so sage ihm, daß Ich nun in Nazareth auf eine Zeitlang Mich aufhalten werde! Wenn er etwas will, so möge er zu Mir kommen, — aber auch nur er ganz allein!“

08. Sagt Faustus: „Dürfte auch ich ihn nicht begleiten?“

09. Sage Ich: „O ja, aber auch nur du allein!“ — Mit diesen Worten schieden wir.

10. Ich begebe Mich mit Meinen vielen Jüngern nun gen Nazareth in Mein irdisches Vaterland, und Faustus läßt sogleich eine Menge Träger, Packer und Lastwagen kommen, mittels derer er die mitgenommenen Schätze in sein Haus nach Kapernaum schafft. Daß es in Kapernaum ein großes Aufsehen machte, als man den Oberrichter so reich beladen an der Seite einer wunderschönen Gemahlin einziehen sah, braucht kaum erwähnt zu werden; aber daß dem Oberrichter in vieler Hinsicht auch der Oberste der dortigen Pharisäer, namens Jairus, entgegenkam, läßt sich noch leichter denken, — denn er wußte ja auch einiges von dem Zuge der zwölf Pharisäer nach Jerusalem und auch, daß Faustus ihretwegen nach Kis berufen worden war.

11. Faustus empfing ihn mit aller Achtung und sagte zu ihm: „Ein Ehrlicher ward gerettet, und die Pfänder, die ungerecht von diesen Pharisäern im geheimen von den armen Juden erpreßt worden sind, sind ihnen bis auf einen Stater zurückgestellt worden, und elf genießen nun für ihre allseitigen unerhörten Betrügereien und Räubereien zu Jerusalem im Tempel die wohlverdiente Strafe. Es wäre zu weitläufig, dir alles zu erzählen, was die elf alles verübt haben; wenn du aber einmal Muße hast, da komme und lies selbst in den vielen Akten, und dir werden die Haare zu Berge steigen! — Nun aber von etwas anderem! Wie sieht es denn mit deiner lieben Tochter aus? Lebt sie noch, oder ist sie gestorben?“

12. Sagt Jairus übertraurig und sogleich zu weinen beginnend: „O Freund, warum erinnertest du mich daran? — Sie ist mir leider, leider gestorben; denn kein Arzt konnte ihr helfen! Der einzige Arzt Borus aus Nazareth sagte, daß er ihr wohl helfen könnte, aber darum nicht helfen wollte, weil ich mich an seinem Freunde Jesus, der sein Meister war, zu sehr und zu hart versündigt habe. Und so starb meine über alles geliebteste Tochter. Es war zu herzzerreißend, wie die Sterbende Jesum rief, daß Er ihr hülfe, und wie sie mir noch sterbend ein hartes Wort gab darüber, daß ich mich an Jesu, dem größten Wohltäter der armen leidenden Menschheit, dermaßen hart versündigt habe, daß sie nun darum unwiderruflich sterben müsse. Ich wandte ohnehin alles auf, um Jesus zu finden, daß Er ihr hülfe! Aber Jesus wollte meinen Boten kein Gehör mehr geben, obschon ich tausend Male nun bitter bereuet habe, daß ich mich an Ihm versündigte! Jetzt aber ist alles vorbei! Bei vier Tage schon liegt sie im Grabe und riecht wie die Pest! Jehova sei nun nur ihrer schönen Seele gnädig und barmherzig!“

13. Sagt Faustus: „Freund! Ich bedaure dich zwar wohl von ganzem Herzen; aber ich sage dir auch, daß der allmächtige Herr Jesus Sich nun in Nazareth befindet. Ihm ist meiner nun vielfachen Erfahrung nach kein Ding unmöglich! Wie wäre es denn, so du zu Ihm selbst hingingest? Ich sage dir, Er hat Macht genug, deine Tochter aus dem Grabe ins Leben zu rufen und sie dir wieder zu geben!“

14. Sagt Jairus: „Wenn auch letztes nicht mehr möglich sein sollte, so will ich aber dennoch hingehen und Ihn tausend Male um Vergebung bitten, darum, daß ich Ihn, freilich nur genötigt und nicht freiwillig, beleidigt und betrübt habe!“

15. Sagt Faustus: „Gut, so gehe mit mir hin; wir werden Ihn in Nazareth und zwar im Hause Seiner Mutter treffen. Aber es darf uns nach Seinem Ausspruche niemand begleiten!“ — Jairus willigt, von einer beseligenden Hoffnung ergriffen, sogleich in den Vorschlag des Faustus ein. Beide lassen sogleich gut laufende Maultiere satteln und reiten so schnell als möglich nach Nazareth hin. Noch ein paar Stunden vor dem Untergange treffen sie in Nazareth ein, lassen die Maultiere in einer Herberge und begeben sich dann zu Fuß ins Haus Meiner Mutter und treffen Mich da mit Borus, der einer der ersten aus Nazareth war, der Mir mit offenen Armen entgegenkam; denn er bekam Nachricht, daß Ich an diesem Tage in Nazareth anlangen werde.

16. Als nun Faustus mit dem Jairus ins Zimmer trat, da fing letzterer an zu weinen, fiel vor Mir nieder und bat Mich laut, daß Ich ihm vergäbe seine große Sünde des Undanks, die er an Mir begangen habe.

17. Ich aber sage zu ihm: „Stehe auf! Dein Vergehen ist dir verziehen, aber sündige zum zweiten Male nicht wieder! — Wo liegt deine Tochter begraben?“

18. Spricht Jairus: „Herr, Du weißt, daß ich unfern von hier eine Schule für die Kinder des Landes habe errichten lassen, versehen mit einem kleinen Bethause. In diesem Bethause habe ich eine Gruft erbauen lassen für mich; da aber die Tochter vor mir starb, so ließ ich sie dahin bringen und legen in die neue Gruft, darin früher noch nie jemand als Toter gelegen. Diese Gruft ist von hier nur kaum zweitausend Schritte entfernt. So Du, o Herr, sie besehen möchtest, würde mich das über die Maßen selig stimmen; denn ich bin sonst betrübt bis in den Tod!“

19. Sage Ich: „Nun, da führe Mich hin, — aber es darf Mir außer dir und dem Faustus niemand folgen!“

20. Es fragten aber die Apostel, ob denn auch sie nicht dabei sein dürften.

21. Sage Ich: „Diesmal niemand außer den zwei Betreffenden!“

22. Sagt Borus: „Herr, Du kennest mich, daß ich stumm sein kann wie ein Fisch; was täte es denn, so ich als ein Arzt euch geleitete?“

23. Sage Ich: „Es bleibt bei Meinem ersten Ausspruche; wir drei allein, und sonst niemand!“

12. Kapitel. Die zweite Erweckung der Sarah vom Tode.

01. Darauf getraute sich keiner mehr zu fragen und zu bitten, und wir gingen zur Gruft hin, und Ich besah die schon sehr stark stinkende Leiche und fragte den Jairus, ob er nun wohl meine oder gar glaube, daß seine Tochter scheintot sei?

02. Sagt Jairus: „Herr, ich habe auch in meinem Herzen so etwas das erste Mal nicht geglaubt und wußte nur zu bestimmt, daß meine liebste Tochter Sarah vollkommen tot war. Ich war zu dem falschen Zeugnisse wider Dich bei den Haaren gezogen worden, und hätte ich nicht das arge Zeugnis unterzeichnet, so wärest Du noch um vieles ärger verfolgt worden, was ich im vollsten Ernste nie wollte! Da ich aber das falsche Zeugnis unterzeichnet hatte, so sah man in Dir nur mehr einen arbeitsscheuen Landstreicher, der hie und da wohl Leute gesund mache und sich einen Namen in Israel machen wolle als irgendein von Gott erweckter Prophet — oder gar den verheißenen Messias Selbst, den alle nunmalige, über alle Maßen gut und reich stehende Priesterschaft am meisten fürchtet, weil es geschrieben steht, daß, wenn der Hohepriester in der Ordnung Melchisedeks von Ewigkeit auf die Erde kommen werde, es dann mit allen andern Priestern ein volles Ende nehmen werde und der neue Melchisedek dann herrschen wird mit seinen Engeln über alle Geschlechter der Erde in Ewigkeit.

03. Ich sage es Dir: Die sämtlichen Oberpriester und alle Unterpriester fürchten weder das Feuer noch den großen Sturm, der vor der Höhle, darin der große Prophet Elias verborgen war, vorüberzog; aber das sanfte Wehen über der Höhle des großen Propheten fürchten sie, weil sie stets sagen, der Messias in der Ordnung Melchisedeks werde ganz stille kommen in der Nacht wie ein Dieb und werde ihnen nehmen alles, was sie sich bis jetzt erworben haben! — Darum will kein Priester die Ankunft des Gesalbten Gottes von Ewigkeit erleben, sondern so weit als möglich in die fernste Zukunft verschoben haben.

04. Weil aber die sämtliche, besonders alte Priesterschaft an Dir wegen Deiner außerordentlichen Taten und Lehren ungezweifelt so etwas erschaut, so bietet sie auch alles auf, Dich — so möglich — zu verderben! Sollte es nicht möglich sein, so Du vollwahr das wärest, für was sie Dich hält, so wird sie denn hernach für ihre böse Mühe in Sack und Asche Buße tun und mit großem Beben den allmächtigen Schlag erwarten, durch den sie von jeher alles zu verlieren fürchtet und allzeit gefürchtet hat, ansonst sie nicht beinahe alle Propheten gesteinigt hätte. Siehe, das ist der Grund, aus dem ich Dich lieber für einen Landstreicher erklärte als für Den, der Du sicher bist! Denn Menschen können ihre Toten nimmer ins Leben rufen; solches vermag nur der Geist Gottes, der nach meiner Ansicht in aller Fülle leibhaftig in Dir wohnet und wirket.“

05. Sage Ich: „Weil Ich geheim von dir das wohl wußte, aus welchem Grunde du so ganz eigentlich Mich verleugnet hast, so kam Ich denn auch in deiner großen Not wieder zu dir, um dir für eine lange Dauer zu helfen. Das ist aber auch der eigentliche Grund, warum Ich außer euch beiden niemand sonst mitnahm. Wann es aber an der Zeit sein wird, dann auch sollen sie den Grund erfahren. — Nun aber sollst du Gottes Macht und Herrlichkeit sehen!“

06. Hier neigte Ich Mich in die Gruft, in der die junge Sarah in Leinen gewickelt lag, und sprach zu Jairus: „Siehe, es ist Nacht geworden, und das Lämpchen in der Gruft gibt einen höchst matten Schein! Gehe zum Wächter dieses Schul— und Bethauses und laß dir ein stärkeres Licht geben; denn wenn ihr das Leben wiedergegeben wird, muß sie natürlich sehen, um der Gruft zu entsteigen.“

07. Sagt Jairus: „O Herr, sollte das wohl möglich sein? Die Verwesung ist bei ihr schon stark eingetreten! Aber ich glaube, daß bei Gott alles möglich ist, und so werde ich sogleich mit einem stärkeren Lichte da sein!“

08. Jairus eilt nun um ein stärkeres Licht, das er aber nicht so bald bekommen kann, da dem Hauswächter das Feuer ausgegangen ist und er durch das starke Reiben der zum Feuermachen geeigneten zwei Hölzer eine geraume Zeit zu tun hatte, bis solche zu brennen begannen.

09. Ich aber erwecke sogleich, als Jairus zur Tür hinaus war, die Sarah und hebe sie aus der Gruft.

10. Die Erweckte fragt Mich, noch wie ein wenig schlaftrunken: „Um Jehovas willen! Wo bin ich denn nun? Was geschah mit mir? Ich befand mich erst in einem schönen Garten mit vielen Gespielinnen, und nun bin ich plötzlich in dieser finstern Kammer engen Raum versetzt worden!“

11. Sage Ich: „Sei heiter und ruhig, Sarah! Denn siehe, Ich, dein Jesus, der Ich dich noch vor etlichen Wochen kaum das erste Mal vom Tode zum Leben erweckte, habe dich nun auch wieder vom Tode erweckt und gab dir nun ein festes Leben! Es soll dich von nun an keine Krankheit mehr plagen, und wenn nach vielen Jahren deine Zeit kommen wird, werde Ich Selbst dich, aus den Himmeln kommend, abholen und Selbst dich führen in Mein Reich, das ewig kein Ende nehmen wird.“

12. Als Sarah Meine Stimme vernimmt, da erst lebt sie vollends auf und sagt mit der liebevollst freundlichsten Stimme von der Welt: „O Du einziger Geliebter meines jungen Lebens und Herzens! Ich wußte es ja, daß der den Tod nicht zu fürchten hat, der Dich allein über alles liebt! Aus übermächtiger Liebe zu Dir, meinem ersten Lebensbringer, ward ich krank, weil ich von Dir nichts mehr erfahren konnte, wohin Du gekommen seiest; und so ich fragte mit dem heißest liebenden Herzen, wo Du seiest, da sagte man mir, um mich zu beruhigen durch die offenbarste Tötung meines Gemütes, Du seiest gefangengenommen und als ein Staatsverbrecher den scharfen Gerichten überantwortet worden! Das machte mein Herz in meiner Brust brechen; ich ward bald sehr krank und starb zum zweiten Male! — O wie endlos glücklich aber bin ich nun wieder, daß ich Dich, Du meine einzige und höchste Liebe, wieder habe!

13. Ich sagte ja auf dem Sterbebette: ,So mein einziger Jesus noch lebt, so wird Er mich nicht verwesen lassen in der kalten Gruft!‘ — Und siehe da, es ist geschehen, was mein Herz mir gesagt hat. Ich lebe vollauf wieder, und das in den Armen meines geliebtesten Jesus! Aber von nun an soll auch nichts mehr mich von Deiner göttlichen Seite zu trennen imstande sein! Als die geringste Deiner Mägde will ich Dir folgen, wohin Du ziehen magst.“

14. Während die Sarah noch also Mir ihr Herz entdecket, nähert sich endlich Jairus mit einem Harzlichte der Gruftkammer. Ich aber sage zu ihr: „Siehe, dein Vater Jairus kommt! Verbirg dich daher hinter dem Rücken des Faustus, damit er deiner nicht sogleich ansichtig wird, was seiner Gesundheit schaden würde! Wann Ich dich aber rufen werde, dann tritt schnell hervor mit heiterem und fröhlichem Antlitze, und es wird ihm dann solcher Anblick nicht schaden!“ — Sarah befolgt solchen Rat sogleich, und Jairus tritt im Momente in die Kammer, als Sarah sich hinter dem Rücken des Faustus recht wohl versteckt hatte.

15. Jairus entschuldigte sich, mit dem verlangten Lichte so lange ausgeblieben zu sein.

16. Ich aber sage: „Hat nichts zur Sache! Denn übers Mögliche hinaus kann niemand sündigen, und wer einmal tot ist, wird in einer schwachen Viertelstunde nicht toter, sondern eher lebendiger, wenn die Bedingungen zum Leben noch irgend vorhanden sind!“

17. Sagt Jairus: „Nun, Herr, wenn ein armer Sünder es auch wagen darf, Dich zu bitten, so wolle nun Deine Gnade nicht mir Unwürdigem, sondern der Dich sicher über alles liebenden Sarah erweisen!“

18. Sage Ich: „Aber eine Bedingung und einen Grund sage Ich dir darin, daß Ich sie nimmer erweckte für dich, sondern rein nur für Mich! Sie wird von nun an Mir — und nicht dir folgen; willst aber auch du Mir folgen von Zeit zu Zeit, da sollst du in der Nähe deiner Tochter sein!“

19. Sagt Jairus: „Es geschehe alles, was Du willst, wenn mein einziges Kind nur wieder ins Leben zurückgerufen werden könnte!“

20. Sage Ich: „Nun denn, so leuchte hinein in die offene Gruft!“

21. Jairus tritt seufzend hin zum Rande der Gruft und schauet und schauet — und sieht sonst nichts als die Leinen und die Kopftücher und Bindebänder auf einen Haufen zusammengedrückt. Als er die tote Tochter nimmer erschaut, wird er traurig und fragt Mich, sagend: „Herr, was ist denn da vor sich gegangen? Der Geruch ist wohl noch da, aber sonst nichts! Hat denn jemand die Leiche gestohlen? Warum nahm er denn nicht auch die Tücher und Bänder?“

22. Sage Ich: „Weil die nunmehr Lebendige dergleichen nicht mehr bedarf!“

23. Jairus schreit vor Entzückung, die plötzlich seinen Schmerz besiegt hatte: „Wie?! — Was?! — Wo ist denn die wieder lebende Sarah?“

24. Rufe Ich: „Sarah! — Tritt hervor!“

25. Plötzlich trat nun die wunderschöne Sarah hinter dem Rücken des Faustus hervor und sagte mit ganz gesunder und lauter Stimme: „Hier bin ich, vollauf lebendig und gesund! Aber nun nicht mehr dir, sondern allein Jesu, dem Herrn, angehörend! Denn die Liebe meines Herzens zu Jesu, dem Herrn über Leben und Tod, die man mir zur gröbsten Sünde zu machen sich alle Mühe gab, hat meinen schwachen Leib zum zweiten Male getötet! Aber eben diese mächtige Liebe hat ihm nun wieder das Leben gegeben! Und siehe, Vater Jairus, du heißest mich deine Tochter, da du mir doch nur einmal das Leben gegeben hast! Was ist nun Der zu mir, und ich zu Ihm, der mir volle zwei Male das Leben gegeben hat? Wer von euch beiden ist nun mehr mein rechter Vater?“

26. Sagt Jairus: „Du hast recht! Offenbar Der, der dir zwei Male das volle Leben wiedergegeben hat, und ich kann da nimmer deiner Liebe entgegentreten! Folge du von nun an vollkommen deinem Herzen, und ich werde dir samt deiner Liebe auch folgen von Zeit zu Zeit! Bist du damit zufrieden, die du mir alles warst auf dieser Erde und nun wieder nächst Jesu, dem Herrn, alles bist?“

27. Sagt Sarah: „Ja, Vater Jairus, damit bin ich vollauf zufrieden!“

28. Sage Ich: „Und Ich auch! Aber nun begeben wir uns in Mein Haus! Allda wartet ein gutes Abendmahl unser, und Meine Tochter Sarah muß nun vor allem eine gute Stärkung zu sich nehmen; denn ihr neubelebter Leib braucht nun recht wohl eine recht gute Nahrung. Daher gehen wir nun behende von hier!“

13. Kapitel. Szene zwischen Jairus und seinem Weibe.

01. Jairus deckt nun die Gruft zu und verschließt hinter uns wohl die Tür, durch die man zur Gruftkammer und endlich in die Gruft selbst gelangen konnte, und geht dann mit uns. Aber etwa bei siebzig Schritte außerhalb dieses Schul— und Bethauses befindet sich die kleine Wohnung des Aufsehers und Wächters, bei dem Jairus ehedem das Licht geholt hatte.

02. Da der zunehmende Mond den Abend etwas erleuchtete, so bemerkte der Wächter nur zu bald das Töchterchen des Jairus, das im weißen Schleppgewande an Meiner Seite ganz munter einherging. Voll Entsetzen fragte er den Jairus: „Was ist denn das?! Was seh' ich?! Ist das nicht Sarah, euer verstorbenes Töchterchen?! — War sie denn auch diesmal scheintot?“

03. Sagt Jairus: „Sei es nun wie es wolle! Du hast hier nicht zu fragen, sondern über alles, was du hier siehst, völlig zu schweigen, ansonst du des Dienstes verlustig würdest! Das aber präge dir tief ein in dein Gemüt und denke, fasse und begreife, daß bei Gott alle Dinge gar leicht möglich sind! Aber es gehört dazu ein voller Glaube und ein lebendiges Vertrauen! — Hast du es verstanden?“

04. Sagt der Wächter: „Ja, höchstwürdiger Herr!“

05. Sagt darauf Jairus: „In Zukunft bleibe mir vor allem mit derlei ehrbezeigenden Ausdrücken vom Halse und rede mit mir wie mit deinem Bruder! Jetzt aber, da du keine Leiche mehr zu bewachen hast, eile nach Kapernaum und erzähle, was du nun gesehen, dort niemandem, auch meinem Weibe nicht! Sage aber, daß sie sich mit dir, so es möglich ist, alsogleich nach Nazareth und daselbst ins Haus Josephs begeben möchte; denn ich hätte gar wichtige Dinge mit ihr zu besprechen! Nehmet ein paar gute Maultiere, auf daß ihr schneller nach Nazareth ins Haus des Zimmermanns kommet!“

06. Der Wächter, der selbst im Besitze eines schnelltrabenden Esels ist, zäumt und sattelt eiligst das Tier, eilt damit nach Kapernaum und entrichtet dort dem Weibe des Jairus die aufgegebene Botschaft. Das traurige Weib erhebt sich schnell und folgt dem Boten. Die Esel laufen gut, und in knapp einer Stunde sind beide in Nazareth im Hause Meiner Leibesmutter Maria, die nun wieder ganz heiter ist, daß sie das alte Häuschen Josephs ihr eigen nennen darf. Als des Jairus Weib ins Zimmer tritt, in dem wir uns soeben bei einem recht guten Abendmahle befinden, das diesmal der Freund Borus bestellt hatte, ersieht sie alsbald ihre Sarah, die gar fröhlich und munter und dabei besten Aussehens an Meiner Seite einen guten, grätenlosen Fisch mit Salz, Öl und etwas Weinessig mit größtem Appetit verzehrt.

07. Das Weib traut seinen Augen kaum und sagt nach einer Weile, dem Jairus auf die Achsel klopfend: „Jairus, mein Gemahl, hier steht dein trauriges Weib, um das du gesandt hast deinen Boten mit dem Auftrage, als hättest du wichtige Dinge mit mir zu besprechen! Aber ich erschaue bereits die Wichtigkeit aller Wichtigkeiten! Sage mir, Mann! Träume ich nun, oder ist es Wirklichkeit? Ist das Mädchen, das bei Jesus sitzt und gar so gut aussieht, nicht das lebendigste Ebenbild unserer verstorbenen, allerliebsten Sarah? — O Jehova, warum denn hast du mir die Sarah genommen!?“

08. Sagt Jairus, selbst ganz ergriffen, zu seinem Weibe: „Sei getrost, du mein stets gleich geliebtes Weib! Dies Mädchen sieht nicht nur unserer allerliebsten Sarah auf ein Haar gleich, sondern sie ist es vollernstlich selbst! Der göttlichen Geistes vollste Herr Jesus hat sie nun zum zweiten Male erweckt, wie Er sie erst vor wenigen Wochen vom Tode erwecket hatte. Daß sie nun gar so gut aussieht, das macht Seine unbegreifliche, offenbarste Gotteskraft. Störe sie aber nun in ihrer Eßlust nicht; denn sie hat nun wohl schon lange gefastet!“

09. Sagt das Weib, sich vor Verwunderung und Freude kaum fassen könnend: „Sage mir nun, du weiser Meister in Israel, was du nun von diesem Jesus hältst! Mir kommt es immer mehr und mehr vor, daß Er denn doch, trotz Seiner niederen Geburt, dennoch der verheißene Messias ist!? Denn solche Taten hat noch nie irgendein Prophet, geschweige irgendein anderer Mensch, verrichtet!“

10. Sagt Jairus: „Ja, ja, es ist also! Aber es heißt die tiefste Verschwiegenheit beachten, indem Er es Selbst also haben will; denn wenn das zu sehr ruchbar würde, hätten wir alsbald ganz Jerusalem und Rom am Halse, und so Er nicht mit Seiner göttlichen Macht sich entgegensetzte, so sähe es für uns alle übel aus! Darum, Weib, sei verschwiegen wie eine Festungsmauer! Sarah wird aus dem Grunde, um den göttlichen Meister mit ihrer Erscheinung nicht zu verraten und in ihrer Gesundheit für bleibend fest zu werden, wenigstens ein volles Jahr unter der Aufsicht und Leitung entweder Seiner Selbst oder zum wenigsten Seiner lieben, überaus weisen Mutter Maria verbleiben, und wir werden sie nur abwechselnd von Zeit zu Zeit besuchen. Im Grunde des Grundes haben wir beide auch eben kein zu besonderes Recht mehr auf sie; denn nur ein miserables, krankheitsvolles Leben haben wir ihr durch unsere stumme Lust gegeben und wußten, als wir uns beschliefen, nicht, was aus unserem Akte wird. Es ward uns diese himmlische Sarah gegeben, die von Gott aus wohl mit der gesundesten Seele begabt ward, von uns aus aber mit einem schwachen, kranken Leibe! Zwei Male ist sie uns gestorben und wäre für uns auf dieser Erde für ewig verloren gewesen! Er aber gab ihr beide Male ein neues, gesundes Leben! — Es fragt sich hernach, wer nun mehr ihr Vater und ihre Mutter ist, — Er, oder wir beiden armen Sünder!“

11. Sagt Sarahs Mutter: „Ja, du bist weise, kennst das Gesetz und alle die Propheten; daher hast du in allen Dingen allzeit recht, mir aber ist es schon eine überhimmlische Seligkeit, daß sie wieder lebt und wir das Glück haben, sie nur dann und wann zu sehen und zu sprechen.“

12. Sagt Jairus: „Nun seien wir ruhig; denn das Mahl ist zu Ende, und vielleicht wird Er etwas sprechen!“

13. Ich aber berufe den Faustus und sage zu ihm: „Freund und Bruder, sehr leid ist es Mir, daß du heute nicht bei Mir übernachten kannst; aber dich erwarten große Geschäfte zu Hause, und so muß Ich dich für ein paar Tage entlassen. Aber nach ein paar Tagen komme wieder hierher! Sollte von Mir irgend die Rede sein, da weißt du, was du zu reden haben wirst!“

14. Sagt Faustus: „Herr, Du kennst mich besser denn ich mich selbst! Darum magst Du Dich wohl auf mich verlassen; denn ein schwaches Rohr ist ein geborener Römer nicht, daß die Winde mit ihm ihr loses Spiel trieben! Wenn ich Ja sage, da bringt auch der Tod kein Nein aus mir heraus! Nun aber gehe ich; mein Maultier ist noch gesattelt und gezäumt, und in einer kleinen Stunde bin ich schon an Ort und Stelle. In Deinem Namen, o mein größter Freund Jesus, wird mein mich erwartendes Geschäft wohl sein gutes Ende finden. Deiner alleinigen Liebe, Weisheit und göttlichen Macht empfehle ich mich ganz!“ Mit diesen Worten empfiehlt sich Faustus, schnell zur Türe hinausstürzend.

15. Darauf tritt Sarahs Mutter zu Mir und dankt Mir, mit tief zerknirschtem Herzen bekennend, wie sehr sie solch einer unerhörten Gnade unwürdig sei.

16. Ich aber vertröste sie und sage zur Sarah: „Mein Töchterchen, siehe hier deine Mutter!“

17. Hier erst erhebt sich Sarah behende und begrüßt die Mutter überaus freundlich, bemerkt aber sogleich hinzu, daß sie nun bei Mir bleiben werde; denn sie liebe Mich zu sehr, um sich von Mir trennen zu können! Die Mutter wie auch der Oberste Jairus beloben darum das liebe Töchterchen sehr und ersuchen sie aber doch auch zugleich, daß sie ihrer nicht ganz und gar vergessen möchte! Und Sarah gibt beiden die treuherzigste Versicherung, daß sie sie nun mehr liebe als je früher. Damit waren denn auch beide über die Maßen zufrieden, wurden ruhig und liebkosten ihre Tochter.

14. Kapitel. Vom Unterschied der menschlichen und göttlichen Macht.

01. Es trat aber nun der Grieche Philopold aus Kana in Samaria zu Mir und sagte: „Herr, über drei Tage bin ich nun schon bei Dir und konnte noch keinen Augenblick gewinnen, um mit Dir über das zu sprechen, wie ich auf Dein Geheiß alles nach Deinem Willen in die Ordnung gebracht habe, und wie nun durch meine Predigt, die ich ihnen nach Deinem Abgange von Kana gehalten habe, alle zum Glauben an Dich übergegangen sind. Jetzt scheinst Du Muße zu haben; so wolle denn doch auch mich ein wenig anhören!“

02. Sage Ich: „Mein sehr schätzbarer Freund Philopold! Kannst du wohl annehmen, daß Ich dich nicht schon lange um dies oder jenes, Kana betreffend, gefragt hätte, so Ich nicht genau wüßte, wie die Sachen stehen? — Da siehe an Meine Brüder alle! Wieviel rede Ich denn mit ihnen? Viele Tage kein Wort äußerlich, aber desto öfter innerlich geistig durch ihr Herz; und sieh, es steht keiner auf, daß er Mich fragte: ,Herr, warum redest Du mit mir denn nicht?‘ Ich sage dir, wie Ich schon lange zu allen gesagt habe: Ich nehme nicht Jünger an deshalb, daß Ich mit ihnen plaudern solle für nichts und wieder nichts, sondern daß sie hören Meine Lehre und Zeugen seien von Meinen Taten! Denn was sie wissen, das alles weiß Ich schon lange vorher, und was sie besonders wissen wollen, verkündige Ich ihnen im Augenblicke der Notwendigkeit durch ihr Herz. Und wenn so, da frage dich selbst, wozu es da für Meine eingeweihten Jünger noch einer täglichen äußeren Beredung bedürfen sollte! Du aber bist nun auch Mein Jünger und mußt dir darum solche Einrichtung in Meiner Schule schon gefallen lassen.

03. Mit andern Menschen aber, die nicht Meine nächsten Jünger sind, muß Ich freilich äußerlich Worte wechseln; denn diese würden Mich in ihrem sehr weltlichen Herzen nicht vernehmen und noch weniger verstehen. Ich rede aber dennoch auch mit Meinen Jüngern, wenn es Zeit und Umstände verlangen, äußerlich; aber da geschieht solches nicht der Jünger wegen, sondern derer wegen, die keine Jünger sind! — Sage Mir, ob du solches begriffen hast!“

04. Sagt Philopold: „Ja, Herr, nun ist mir Deine Gnade so klar wie die Sonne eines hellsten Mittags, und ich danke Dir für solche Deine allerliebfreundlichste Aufklärung! Aber, Herr, wenn ich nun diese überherrliche, schönste Sarah betrachte, die sich mit ihrer außerordentlichen Schönheit mit jedem Engel im Himmel messen könnte, so kommt es mir beinahe unmöglich vor, daß sie im Grabe je eine Sekunde soll gelegen sein! Denn solch eine Lebensfrische ist mir noch nie untergekommen! Und doch ist es wahr, daß Du sie zweimal vom Tode erweckt hast! Nun drängt es mich gar gewaltig im Herzen, von Dir zu erfahren, wie Dir solches zu bewirken möglich sein kann!“

05. Sage Ich halblaut zu ihm: „Ich meine, du hast es doch zu Kana hinreichend erfahren, wer Ich bin!? Weißt du aber das, da fragt es sich doch sehr gewaltig, wie du darum fragen kannst, wie Ich einen toten Menschen wieder beleben könnte! Sind denn nicht Sonne, Mond und alle Sterne, so wie diese Erde, aus Mir hervorgegangen, und habe nicht Ich diese Erde bevölkert mit zahllosen lebendigen Geschöpfen? So Ich ihnen aber im Anfange Dasein und ein selbständiges Leben geben konnte, wie sollte Mir das nun mit einem Mägdlein unmöglich sein, was Mir mit zahllosen Wesen von Ewigkeit zu Ewigkeit möglich ist? Wenn du aber solches weißt und bist darüber sogar von einem Engel belehret worden, wie magst du dann noch fragen?

06. Siehe, ein jeder Stein sogar, an dem du dich mit deinem Fuße gar gewaltig stoßen kannst, wird nur durch Meinen Willen erhalten; ließe Ich ihn einen Augenblick aus Meinem alles schaffenden und erhaltenden Willen, so träte er auch im selben Augenblick völlig aus dem Dasein.

07. Du kannst zwar den Stein zerstoßen, kannst ihn mit starkem Feuer sogar gänzlich in eine Luftart auflösen, wie solches lehrt die geheime Apothekerkunst; aber das alles kann mit dem Steine und mit jeder andern Materie nur geschehen, weil Ich solches zum Nutzen und Frommen der Menschen zulasse. Ließe Ich es nicht zu, so könntest du auch den kleinsten Stein ebensowenig von der Stelle heben wie einen Berg. Du kannst einen Stein auch in die Höhe werfen, und er wird je nach dem Maße deiner Kraft und Wurfgeschicklichkeit eine ganz ansehnliche Höhe hinauffliegen; aber wenn er eine gewisse, der Wurfkraft angemessene Höhe erreicht hat, so wird er dann alsbald wieder zur Erde herabfallen. Und siehe, das ist alles Mein Wille und Meine Zulassung bis auf einen gewissen Grad, wo es heißt: ,Bis hierher nur und nicht weiter!‘

08. Ein Steinwurf zeigt dir ganz handgreiflich, wie weit des Menschen Kraft und Wille reicht. Einige Augenblicke Zeit, — und der schwache Wille des Menschen wird von dem Meinen ergriffen und zurückgetrieben zu der von Mir von Ewigkeit her bestimmten Ordnung, die bis auf ein Sonnenstäubchen Gewicht abgewogen ist durch die ganze ewige Unendlichkeit! Wenn aber solches alles rein nur von Meinem Willen und von Meiner Zulassung abhängt, wie sollte es Mir dann etwa nicht möglich sein, ein verstorbenes Mägdlein wieder beleben zu können?

09. Gehe aber hinaus und bringe Mir ein Stück Holz und einen Stein, und Ich will dir zeigen, wie Mir alle Dinge möglich sind durch die Kraft des Vaters in Mir!“

10. Philopold bringt sogleich einen Stein und ein ganz morsches Stück Holz. Und Ich sage zu ihm, immer halblaut redend: „Siehe, Ich hebe den Stein und stelle ihn in die freie Luft, und sieh, er fällt nicht! Versuche du ihn aber aus dieser Lage zu schieben!“ — Philopold versucht es; aber der Stein läßt sich nicht um ein Haar verrücken.

11. Ich aber sage: „Nun aber werde Ich es zulassen, daß du den Stein nach Belieben wirst verrücken können; aber so du ihn freilassen wirst, da wird er alsbald wieder diese Stelle einnehmen und wird sich nach einigen Schwingungen oder plötzlich an dieser gegebenen Stelle festhalten!“

12. Sagt Philopold: „Herr, diese Probe unterlasse; denn mir genügt Dein heilig Wort!“

13. Sage Ich: „Nun gut; Ich will aber nun, daß dieser Stein zunichte werde und dies Holz grüne und zum Vorscheine bringe Blätter, Blüte und Frucht nach seiner Art!“ — Der Stein wird darauf unsichtbar, und das alte Holz wird frisch, grünt, treibt alsbald Blätter, Blüte und am Ende die reife Frucht, und zwar etliche Feigen, da das Holz einst einem Feigenbaume angehört hatte.

14. Alles wird nun auf Mich und den Philopold aufmerksam; denn die meisten Jünger haben schon geschlummert. Jairus und dessen Weib aber konnten sich an ihrer Tochter nicht satt kosen. Ich und Philopold aber haben unsere Experimente auf einem abseitigen kleinen Tische unter einer schon etwas schwachen Lampenbeleuchtung vorgenommen und wurden daher von Hunderten nicht bemerkt; aber als sich Philopold etwas stark zu verwundern begann, da wurde freilich bald eine Menge darauf aufmerksam. Aber Ich empfahl ihnen Ruhe, und alles ward wieder ruhig.

15. Ich aber befahl wieder dem Steine, daß er sei, und er lag wieder auf dem Tische und ließ aber den Feigenast mit den Früchten, die am Morgen Meine Sarah mit großer Lust verzehrte.“

16. Ich fragte aber dann den Philopold, ob er nun im klaren sei. Und er verneigte sich tiefst und sagte: „Herr, nun bin ich ganz zu Hause!“

17. Und Ich sagte: „Gut, und so begeben wir uns zur Ruhe!“

15. Kapitel. Philopolds Zeugnis von der der Gottheit Jesu.

01. Es begab sich denn auch Philopold zu der von Mir gebotenen Ruhe. Aber natürlich hatte er eben nicht einen besonderen Schlaf, da die Ereignisse des Tages sein Gemüt zu sehr in Anspruch nahmen; zudem waren die Lager auch eben nicht bestens bestellt, da die Pfandnehmer bis auf etwas weniges Stroh nahezu alles in Empfang genommen hatten und wir daher nur das buchstäblich leere Haus antrafen. Es waren während der Zeit der Wiedererweckung der Sarah Borus, Meine Brüder und viele andere Jünger wohl sehr beschäftigt, Lager, Tische, Bänke, Küchen— und Tischgeräte in entsprechender Anzahl ins Haus zu schaffen; aber für etliche hundert Menschen, von denen freilich viele teils im Freien und teils in andern Häusern Herberge nahmen, war es dennoch für die Kürze auf natürlichen Wegen nicht möglich, auch nur das Nötigste zu besorgen.

02. Und so brachte Ich Selbst diese Nacht auf einer Bank mit ein wenig Stroh unter dem Haupte zu — und Philopold gar am Fußboden ohne Stroh. Er war darum morgens auch einer der ersten auf den Füßen; und als ihn Jairus, der mit seinem Weibe und der Tochter Sarah ein ziemlich gutes Strohlager hatte, fragte, wie er am harten Boden doch geruht habe, so sagte

03. Philopold: „Wie des Bodens Eigenschaft es zuläßt! Aber es kommt alles auf die Angewöhnung an; in einem Jahre würde sich der Leib sicher mehr damit befreunden als in einer Nacht!“

04. Sagt Jairus: „Hättest du mir doch etwas gesagt! Wir hatten Stroh in Menge!“

05. Sagt Philopold: „Da sieh den Herrn an! Dem alle Himmel und alle Welten gehorchen, und alle Engel auf Seinen Willen sehen! Sein Lager ist nicht um ein Haar besser, als da war das meinige!“

06. Sagt Jairus, in dem noch eine starke Portion Pharisäismus steckt: „Freund, sagst du da denn doch nicht vielleicht ein bißchen zu viel? Es ist wohl nicht zu leugnen, daß dieser Jesus voll des göttlichen Geistes ist, mehr als je ein Prophet vom selben Geiste erfüllt war — denn Seine Taten überrragen himmelhoch all die Taten Mosis, des Elias und aller andern großen und kleinen Propheten; aber daß in Ihm gerade alle Fülle der Gottheit vorhanden sein soll, scheint mir dennoch eine zu gewagte Annahme! Die Propheten haben auch Tote erweckt durch den göttlichen Geist, dessen sie voll waren; nur haben sie es nie gewagt, sich selbst, sondern allzeit nur Gott das Gelingen zuzuschreiben. Denn hätten sie das Gelingen sich zugeschrieben, da wären sie zu groben Sündern wider Gott geworden, und Gott hätte ihnen den Geist genommen. Aber Jesus tut alles wie aus Sich und wie ein Herr, — und das ist wohl, was für deine gewagte Annahme spricht, und ich bin in gewisser Hinsicht vollends deiner Meinung; aber wie gesagt: mit aller Vorsicht! Denn es könnte solches auch eine uns prüfende Zulassung von oben sein, in der wir uns bewähren müßten, ob wir wohl allein an einen Gott glauben! Aber wenn in Jesus im Ernste alle Fülle der Gottheit wohnte, da freilich müßten wir unter jeder Bedingung Sein Zeugnis als für ewig wahr annehmen! — Welcher Meinung bist du nun?“

07. Sagt Philopold: „Ich bin vollkommen der letzteren Meinung und glaube, daß Sein Zeugnis über die Fülle der Gottheit in Ihm völlig wahr ist! Er ist es — und kein anderer außer Ihm!

08. Es läßt sich die Sache besonders in dieser unserer wundertätigen Zeit schwer erklären, da man immer sagen kann: ,Ich habe dort und dort Magier gesehen, die wahrlich außerordentliche Taten verübten, und die alten Propheten haben auch Tote erweckt, — ja einer hatte sogar einen Haufen Totengebeine mit Fleisch umgeben und belebt, und so sind Wundertaten noch lange kein Beweis, laut dessen man einen Wundertäter für einen Gott anpreisen soll!‘

09. Aber hier mit Jesus, dem Herrn, ist es ein ganz anderes! Bei allen Propheten mußten anhaltende Gebete und Fasten einer Wundertat vorangehen, bis Gott sie für würdig hielt, eine Wundertat durch sie verrichten zu lassen; die Magier müssen einen Zauberstab haben und eine Menge anderer Zeichen und Formeln, und dazu haben sie noch eine Menge Salben, Öle, Wässer, Metalle, Steine, Kräuter und Wurzeln bei sich, deren verborgene Kräfte sie wohl kennen und solche bei ihren Produktionen in Anwendung bringen; — aber wo hat je jemand bei Jesus, dem Herrn, so etwas gesehen!? Vom Beten und Fasten keine Spur, wenigstens die kurze Zeit hindurch, da ich die Gnade habe, Ihn zu kennen; von einem Zauberstab und all den andern magischen Mitteln ist noch weniger etwas anzutreffen!

10. Dabei haben alle Propheten, einer wie der andere, in einer stets gleichen geheimen Bildersprache geredet und geschrieben, und wer nicht aus ihrer Schule war, konnte sie unmöglich verstehen! Ich bin zwar ein Grieche; aber mir ist deshalb eure Schrift nicht unbekannt, und ich kenne Moses und alle eure Propheten! Wer die durchgehends versteht, der muß wahrlich von besonderen Eltern herstammen!

11. Jesus aber spricht die verborgensten Dinge in einer solchen Klarheit aus, daß sie nicht selten ein Kind fassen muß! Er erklärte die Schöpfung, und ich glaubte beinahe schon, selbst eine Welt erschaffen zu können! Wo ist denn der Prophet und wo der Meister aller Zauberer, daß er führe eine Sprache wie Jesus?!

12. Wer hat noch je eine Silbe von dem verstanden, was der Magier bei seinen Produktionen spricht? In ihren Reden herrscht die dickste Nacht, und in den Reden der Propheten dämmert es wohl hie und da; aber es kennt bei ihrem schwachen Dämmerlichte sich noch niemand aus, was es sei, das er dreißig Schritte vor sich stehen sieht. Hier aber ist alles Sonnenlicht am hellsten Mittage! Was Er spricht, ist alles tiefste göttliche Weisheit, — aber hell und klar vor nahe jedes Menschen Verstand; und was Er will, das geschieht in einem Augenblick!

13. Wenn es denn aber sich mit Jesus wahr auf ein Haar so verhält, da weiß ich dann wahrlich nicht, aus was für einem Grunde ich noch irgendein Bedenken tragen sollte, Ihn als den unleugbarsten Herrn Himmels und der Erde anzuerkennen, Ihn zu lieben über alle Maßen und Ihm allein zu geben alle Ehre!?

14. Da sieh her auf den Tisch! Dieser sehr frische Feigenast mit einer Menge vollreifer Früchte ist eine lebendige Erklärung, die Er mir gestern gab, als ich Ihn, während ihr schon schliefet, fragte, wie es Ihm denn doch möglich sei, völlig Tote zu erwecken. Er verlangte einen schon ganz morschen, also vollends toten Zweig. Ich brachte, was mir in der Nacht zunächst in die Hände fiel. Er rührte das morsche Holz gar nicht an, sondern gebot es bloß, und das morsche Holz fing an zu grünen, zu blühen — und hier hast du die reifen Früchte! Nimm und gib sie der allerliebsten Sarah; sie wird sich wohl erlaben daran!“

16. Kapitel. Der Herr begibt sich in die Synagoge.

01. Jairus weckt die Sarah, die ohnehin schon wach zu werden begann, und überreicht ihr den reichen Zweig, die daran eine große Freude hat und aber auch sogleich in die vollreifen und honigsüßen Früchte beißt und sie verzehrt. Als sie alle verzehrt hat, werde Ich wach auf Meiner Bank.

02. Sarah ist wohl die erste, die Mir einen allerherzlichsten Morgengruß bietet, und Ich frage sie, wie ihr die Feigen geschmeckt haben. Und sie sagte voll Freude: „Herr, die waren himmlisch gut und süß wie Honig! Philopold, Dein Freund, gab sie mir in Deinem Namen, und ich verzehrte sie alle; denn sie waren gar zu gut! Du hast sie sicher für mich hergeschafft!?“

03. Sage Ich: „Meine allerliebste Sarah! Jawohl, für dich; denn du warst die Ursache, der zufolge Ich gestern in der Nacht, um dem Freunde Philopold zu zeigen, wie Ich die Toten erwecke, einen ganz faulen Feigenast belebte, auf daß er für dich, Meine geliebte Sarah, noch einmal trüge süße Früchte, und du hast darum sehr wohl getan, daß du sie verzehrtest; denn sie werden dir eine dauernde Gesundheit vermehren! — Jetzt aber begeben wir uns sogleich ins Freie, bis die Zimmer geräumt und gereinigt sind, dann werden wir ein Morgenmahl nehmen und uns dann zum Geschäfte des Tages wenden!“

04. Auf diese Worte begibt sich alles mit Mir ins Freie und genießt da den heiteren und kristallklaren Morgen; und alle waren erbaut von dem schönsten Morgen.

05. Es trat aber Jairus zu Mir und sagte: „Herr, meines Dankes soll nimmerdar ein Ende sein! Ehe ich mich je wider Dich sollte verleiten lassen, werde ich meine Stelle niederlegen und ein eifrigster Nachfolger Deiner heiligen Lehre sein; und Philopold soll mein Freund bleiben mein Leben lang; denn erst ihm habe ich das wahre Licht über Dich zu verdanken. Ein Grieche zwar ist er; aber er ist in unserer Schrift tüchtiger denn ich und all die Schriftgelehrten von ganz Judäa, Galiläa, Samaria und Palästina! Kurz, ich bin nun über Dich ganz im klaren, und es ist in der Tat also, wie ich es mir oft schon ganz heimlich gedacht habe. Ich aber muß nun von hier nach Kapernaum, allwo Geschäfte meiner harren. Dir aber empfehle ich denn auf eine Dir genehme Zeit Mein Weib und die Tochter Sarah! Denn besser als bei Dir wären sie auch im Himmel nicht aufgehoben! Wenn ich aber abends abkommen kann, so werde ich wohl mit Faustus und Kornelius, vielleicht auch mit dem alten Cyrenius, der etwa heute nach Kapernaum kommen soll, hierher kommen! Und so denn empfehle ich mich Deiner Liebe, Geduld und Gnade.“ — Darauf empfiehlt er sich bei seinem Weibe und der lieben Sarah, läßt sich darauf seine scharftrabenden Maulesel vorführen, besteigt das stärkste Tier und eilt mit großer Schnelligkeit davon.

06. Ich aber berufe nun alle wieder zum Morgenmahle, und wir begeben uns in die geräumten und gereinigten Zimmer, allwo ein von Borus bereitetes gutes Mahl unser wartete.

07. Nach dem Mahle ruft Mich Borus auf die Seite und sagt: „Mein allerinnigst geliebter Freund! Ich weiß, daß Du schon lange wissen kannst, was ich mit Dir insgeheim besprechen möchte; aber es gibt unter Deinen Jüngern einige, die es nicht zu wissen brauchen meiner Ansicht nach, was wir da miteinander zu reden haben, und ich habe Dich bloß darum auf die Seite gebeten!“

08. Sage Ich: „Wäre eigentlich gar nicht nötig; denn das, was du Mir hier erzählen willst, habe Ich in Kis den Jüngern umständlich erzählt und darüber Mein Lob offen ausgesprochen. Sie wissen alles, und wir brauchen daher vor ihnen kein Geheimnis zu machen.“

09. Sagt Borus: „Ah, wenn so, da rede ich ganz offen!“

10. Wir kehren darum wieder zu der Gesellschaft zurück, und Ich sage zum Borus: „Mein allerliebster Freund! Was du Mir sagen willst, weiß Ich, und alle die Jünger wissen es auch, und wir betrachten daher die Sache als abgetan. — Du hast aber als ein Grieche, der du das Judentum nur frei bekennst, aber nicht unterm Gesetze der Juden stehst, auch mit all den Pharisäern leicht reden; wärest du aber ein wirklicher Jude durch die Beschneidung und das Gesetz, da hättest du deiner Zunge einen starken Zaum anlegen müssen. Aber es war also recht, wie du geredet hast, und so lassen wir die Sache nun in den Sand geschrieben sein. — Nun aber führe Mich in die Schule von Nazareth! Ich werde das Volk lehren, auf daß es erkenne, um welche Zeit es nun sei!“ (Matth.13,54).

11. Fragt die Mutter Maria, ob Ich mittags nach Hause kommen werde.

12. Sage Ich: „Sorge dich nicht, ob ich komme; es ist genug, daß Ich alle Sorge auf Mich nehme! Am Abend aber werde Ich kommen.“

13. Fragt die Sarah, ob sie mit Mir gehen dürfe in die Schule.

14. Sage Ich: „Allerdings, gehe du nur, obschon nach dem Gesetze das Weib die Schule nicht betreten soll in männlicher Gesellschaft. Es soll aber nun alles anders werden; denn es hat das Weib gleichwie ein Mann das volle Recht auf Meine Liebe und Gnade, die von Gott dem Vater ausgeht durch Mich. Und so gehe du nur ganz heiter, fröhlich und voll Zuversicht mit, und lerne in der Schule mit erkennen, um welche Zeit es nun sei, — und so gehen wir! Du, Sarah, aber bleibst an Meiner Seite und wirst Mir dienen als ein kräftiger Zeuge! Darum behalte auch dies Grabkleid an deinem Leibe; denn auch das Kleid wird Mir ein Zeuge sein! — Nun aber gehen wir!“

15. Auf diese Meine Worte begeben wir uns sogleich in die Schule.

17. Kapitel. Der Herr erklärt einen Jesaiastext.

01. Als Ich in die Schule trete, saßen bei zehn Älteste von Nazareth mit mehreren Pharisäern und Schriftgelehrten an einem großen Tische und berieten gerade aus Jesajas die Verse, die also lauteten: ,Waschet und reiniget euch; tut hinweg euer böses Wesen von Meinen Augen, und lasset ab von der Sünde! Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht; helfet den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht und helfet der Witwen Sache! — So kommt dann und laßt uns miteinander rechten, spricht der Herr. Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und so sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sie doch wie Wolle werden. Wollt ihr Mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut genießen. Weigert ihr euch aber und seid Mir ungehorsam, so soll euch das Schwert fressen; denn also spricht der Mund des Herrn! — Wie aber geht das zu, daß die fromme Stadt zur Hure geworden ist? Sie war voll Rechts und Gerechtigkeit wohnte darinnen, und nun wohnen da Mörder! Dein Silber ist zu Schaum geworden und dein Getränk mit Wasser vermischt. Deine Fürsten sind Abtrünnige und Diebsgesellen; sie nehmen gerne Geschenke und trachten nach Gaben; den Waisen aber schaffen sie nicht Recht, und der Witwen Sache kommt nicht vor sie! Darum spricht Jehova, der Herr Zebaoth, der Mächtige in Israel: O wehe, Ich werde Mich trösten durch Meine Feinde, und rächen durch Meine Feinde!‘ (Jes.1,16—24). Solcher Verse Sinn berieten sie und kamen nicht ins klare.

02. Da trat Ich vor und sagte zu ihnen: „Was sinnet ihr darüber, was doch so klar als die Sonne des Mittags vor euch in aller Tat enthüllt steht? Beschauet eure Waisen, eure Witwen! Wie sind sie bestellt? Statt für sie zu sorgen, nehmt ihr ihnen noch das weg, was sie haben; und die armen Waisen verkauft ihr als Sklaven an die Heiden, wie ihr solches erst vor etlichen Tagen auf einem geheimen Wege ins Werk setzen wolltet und auch ins Werk gesetzt hättet, wenn euch nicht der Zöllner Kisjonah daran ganz gewaltig gehindert hätte.

03. Wohl spricht der Herr: ,Kommt und lasset uns miteinander rechten! Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und so sie gleich ist wie Rosinfarbe, soll sie wie weiße Wolle werden!‘ — aber Ich frage: wann und unter welcher Bedingung? Wie sieht es aus mit euch und mit der frommen Stadt, die auch ,die Stadt Gottes‘ heißt? Wie viele Sünden der allergröbsten und himmelschreiendsten Art sind darin schon begangen worden, und wie viele werden jetzt begangen!?

04. ,Waschet und reiniget euch und tuet weg von Meinen Augen euer böses Wesen!‘, sprach Jehova durch des Propheten Mund. Wohl waschet ihr euren Leib des Tages siebenmal und reiniget eure Kleider und übertünchet jährlich zwei— bis dreimal eurer Verstorbenen Gräber; aber eure Herzen bleiben verstockt und sind voll Unflates, und daher kommt es, daß ihr euren übertünchten Gräbern gleichet, die von außen geziert und gereinigt aussehen, inwendig aber voll Ekelgeruchs, voll Totengebeine und voll stinkenden Moders sind!

05. Der Prophet sprach von der Reinigung eurer Herzen und ermahnte euch, hinwegzutun eure Sünde vor dem allsehenden Auge Gottes; aber ihr habt diesen Sinn noch nie in euer Herz aufgenommen und reinigtet daher bloß eure Haut und ließet euer Herz versinken in allen Unflat der Hölle! O du Unart der Hölle, wer hat dich je solches gelehrt?!

06. Wohl saget ihr: ,Der Bock, den Moses und Aaron anbefohlen haben, wird bis zur Stunde alljährlich mit den Sünden von ganz Israel belegt, dann geschlachtet und in den Jordan geworfen!‘ (3. Mose 16). O ihr Blinden! Was kann denn der Bock dafür, daß ihr sündiget fort und fort und euch nicht bessert in euren Herzen?

07. Diese Handlung war nur ein Bild, aus dem ihr schon lange hättet lernen sollen, daß der Bock nur eure argen, weltlichen Gelüste anzeigt, dergleichen da sind euer Hochmut, der gleich dem Bocke stößig und über die Maßen stinkend ist, eure Hurerei und eure Unflätigkeit in allen Dingen, euer Geiz und Neid und eure Scheelsucht! Mit der Vernichtung des Sündenbocks hättet ihr für immer euren Herzensbock vernichten sollen, so hättet ihr Mosis und Aarons Gebot lebendig erfüllt und dadurch dessen Segen unfehlbar geerntet! So aber habt ihr wohl die Böcke getötet, das euch nichts nützen konnte, aber eure sündevollsten Herzen sind euch geblieben; darum hat Jehova Seine Drohung ausgeführt und wird sie fürder noch mehr ausführen, wann euer böses Maß voll sein wird.

08. Schön ist es ja, daß nun die Heiden dem Volke Recht schaffen müssen und sorgen für dessen Witwen und Waisen! Aber es ist darum auch wahr, wie der Prophet spricht: ,Ich werde Mich trösten durch die Feinde, das die Heiden sind, und werde Mich rächen durch sie!‘ Wohin ist eure Macht gekommen und verlaufen eure Stärke? Ein kleiner Haufe Heiden beherrscht das einst so mächtige Gottesvolk! Pfui der ewigen Schmach und Schande! Die Kinder der Schlange sind weiser und biederer denn ihr Kinder des Lichtes.

09. Darum aber wird es auch in Kürze kommen, daß dieser heilige Boden den Heiden wird überantwortet werden, und ihr sollt fürder nimmer haben weder ein Land und noch weniger einen König; sondern fremden Tyrannen sollet ihr als Sklaven dienen, und eure edlen Töchter sollen von den Heiden und Knechten der Heiden beschlafen werden, und ihre Frucht soll gehasset sein wie das Gezüchte der Schlangen und Ottern!

10. Da beratet ihr aus dem Propheten, der für euer Herz geschrieben hat, wie ihr die Zeremonie glänzender machen möchtet bei der Handlung der nichtigen Waschung und Reinigung eurer Leiber, Kleider und Gräber, auf daß euch die Zeremonie desto reichere Opfer abwerfe; aber des möget ihr nicht innewerden, was Gott allein wohlgefällig wäre! O ihr argen Knechte des Teufels! Dem dienet ihr mit eurer Zeremonie — und werdet darum von ihm einst auch den Lohn im Pfuhle ernten, wie ihr ihn auch allzeit verdient habt.

11. Man reinigt den Leib, wann es nötig ist, ein—, zwei—, auch dreimal des Tages und reinigt die Kleider, so sie schmutzig sind; denn solches hat Moses verordnet zur Gesundheit des Leibes. Also überdeckt man auch die Gräber gut eine Handspanne dick mit Ziegellehm und übertüncht solche Lehmdecke, wann sie trocken geworden ist, etliche Male mit gutem Kalk, auf daß die Decke nicht Sprünge bekomme, durch die besonders in den ersten Jahren der Verwesung die schädlichen Dünste leicht durchkommen könnten und anrichten allerlei schädliche Krankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen.

12. Seht, darum ist das Übertünchen der Gräber anbefohlen, was doch mit Händen zu greifen ist! Wie mochtet ihr denn daraus eine gottesdienstliche Handlung machen?! O ihr Unsinnigen, ihr Narren! Was sollte denn das der Seele des Verstorbenen nützen?!“

18. Kapitel. Vom Wesen Gottes und Seiner wahren Anbetung.

01. (Der Herr:) „So der Mensch stirbt, wird die Seele aus dem Leibe genommen und, allein als ein Geistmensch für sich dastehend, an einen Ort hinkommen, der ihrem ganzen Lebenswesen vollkommen entspricht; und es wird ihr da nichts helfen als ihr freier Wille und ihre Liebe. Ist der Wille und die Liebe gut, so wird auch der Ort gut sein, den sich die Seele selbst also zurichten wird durch die von Gott ihr eingepflanzte Kraft und Macht; ist aber Wille und Liebe schlecht, so wird auch deren Werk schlecht sein — also, wie auf der Erde ein schlechter Baum keine guten und ein guter Baum keine schlechten Früchte trägt. Gehet hin und schmücket mit Gold und Edelgestein einen Dornstrauch, und sehet, ob er euch darum Trauben bringen wird! Ob ihr aber die Rebe mit Gold zieret oder nicht, so wird sie dennoch süße Trauben voll Wohlgeschmack als Frucht bringen.

02. Wenn aber also und unmöglich anders, da fraget euch selbst, was das Übertünchen der Gräber, darin nichts als Modergebein und ekeliger Unflat rastet, den Seelen der Verstorbenen nützen solle oder könne!

03. Glaubt ihr denn im Ernste, Gott sei so schwachsinnig und eitel töricht, daß Er Sich dienen lasse durch eitelstes und nichtigstes Gepränge der Materie durch Materie?!

04. Ich sage euch: Gott ist ein Geist, und die Ihm dienen wollen, müssen Ihm im Geiste und in vollster, lebendiger Wahrheit ihres Herzens dienen, nicht aber in der Materie mit der Materie, die nichts ist als ein auf eine gewisse Zeit gefesteter Wille des allmächtigen Vaters!

05. Was würdet ihr aber zu einem Menschen sagen, der zu euch käme und verlangte noch einen Lohn darum, daß er euch die Saat verwüstet hat, aber dazu noch behauptete, daß er euch einen guten Dienst geleistet habe?! — Sehet, was ihr zu solch einem kecken Narren sagen würdet, das wird euch auch dereinst der Vater im Jenseits sagen, und ihr werdet von Ihm weichen müssen und dazu noch in die äußerste Finsternis hinausgestoßen werden, allwo Heulen und Zähneknirschen euer Lohn sein wird!

06. Wie ihr aber für der Witwen Sache sorget, dafür dient als Beweis vorerst Meine Mutter Maria, der ihr alles genommen habt, und danach tausend andere, mit denen ihr es nicht besser getrieben habt und noch treibt!

07. Ist es denn nicht himmelschreiend, daß Jüdinnen bei den Heiden ihr Recht suchen müssen und es auch erhalten? Muß es nicht recht lustig für den Satan sein, daß seine Kinder nun die Kinder Gottes an Recht und Gerechtigkeit himmelweit übertreffen? Ja, es sollen denn fürder auch die Weltkinder zu Gotteskindern werden; ihr aber sollet darum Kinder dessen sein, dem ihr noch allzeit treu gedient habt!

08. Habt ihr denn, da ihr schon den Jesajas leset, nicht gefunden, allwo er spricht:

09. ,Ich habe Wohlgefallen an der Barmherzigkeit und nicht am Brandopfer!‘ und wieder: ,Dies Volk ehrt Mich mit den Lippen; aber ihr Herz ist ferne von Mir!‘

10. So ihr saget: ,Dies hat Gott geredet durch den Mund der Propheten!‘, welche Achtung müßt ihr wohl vor Ihm haben, daß ihr allzeit eure schnödesten Satzungen den Geboten Gottes vorziehet, nur die eurigen zu eurem Weltnutzen beachtet, die göttlichen aber mit Füßen tretet?! — O ihr Argen, ihr allzeitigen Knechte des Teufels! Wie wollt ihr einst vor dem Gerichte Gottes bestehen?! Wahrlich, den Sodomitern wird es besser ergehen denn euch! Denn wären dort und damals solche Zeichen geschehen, wie sie bei euch schon geschehen sind, sie hätten in Sack und Asche Buße getan, und Gott hätte sie nicht mit Feuer und Schwefel vom Himmel gerichtet! — Wehe euch, die Zeit ist nahe gekommen, und es wird mit euch werden, wie Ich es euch vorhergesagt habe!“

19. Kapitel. Die Frechheit und Verwirrung der geistig blinden Pharisäer.

01. Hier erheben sich ärgerlichst die Ältesten, die Pharisäer und Schriftgelehrten und sagen: „Was unterfängst du Milchbart dich, mit uns zu rechten? — Welche Zeichen sind denn hier geschehen?“

02. Sage Ich, ihnen die all diesen Schul— und Schriftrittern überaus wohlbekannte Sarah vors Angesicht stellend: „Kennet ihr dies Mägdlein, und wisset ihr, was zum zweiten Male vor sich gegangen ist mit ihr?“

03. Hier machen sie alle große und sehr verdutzte Augen und sagen still unter sich: „Beim Himmel, das ist des Obersten Tochter, wie sie geleibt und gelebt hat! Hat er sie denn wieder erweckt? Wie ist das zugegangen? Wenn er sie aber erweckt hat, diesmal als wirklich tot zum zweiten Male, — was tun wir da? Jairus scheint mit ihm zu sein, sonst hätte er ihm seine allergeliebteste Tochter sicher nicht anvertraut! Oder weiß er etwa nichts davon?! Hat sie etwa der Sohn Josephs heimlich erweckt und will sie dem Jairus bei irgendeiner Gelegenheit wieder zuführen? Sollten wir etwa davon dem Jairus eine Nachricht geben? Diese Sache ist zu auffallend! — Sie ist es, ohne allen Zweifel ist sie es! Und doch waren wir alle bei ihrem Begräbnisse zugegen, sowie auch zuvor in Kapernaum, als sie gestorben ist! Was ist da zu tun? Was wird daraus werden, wenn dieser Mensch— Gott durch was immer für eine Kunst oder Macht solch unerhörte Dinge vollbringt?“ — Hier verstummen sie.

04. Ich aber sage, sie alle scharf ansehend: „Nun, was sagt euer böses Herz dazu? Ist dies Zeichen genügend oder nicht, euch die Wahrheit dessen zu bestätigen, was Ich zu euch geredet habe?“

05. Sagen die Ältesten: „Wir sind weder Ärzte noch Apotheker, die die Kräfte der Natur erforschen und sie in ihrer Kunst zu benutzen verstehen; ebensowenig sind wir mit der Zauberei, die man vom Teufel erlernen kann, vertraut, weil so etwas die größte Sünde vor Gott wäre, und können daher nicht wissen, durch was für Kunst oder Macht du sie erweckt hast! Es ist daher ausgemacht, daß wir uns durch derlei Zeichen nicht können irremachen lassen in unserem Glauben an Moses und die Propheten, sowie in der Auslegung der Schrift, die vom Tempel aus als beim Himmel geschworen autorisiert ist! Zeichen wirken jetzt verschiedene Magier, die teils von den Morgenlanden zu uns kommen, und viele aus Ägypten; alle leisten Wunderdinge, die kein Jude begreift, auch nicht begreifen will und darf, weil alle derlei zauberische Dinge vom Teufel herrühren! Und somit ist hier unter einem soviel gesagt als: Deine Zeichen, weil sie auch der Zauberei angehören können, haben für uns keinen Wert und beweisen uns nur so viel, daß du sie glücklich auszuführen verstehst und daher darin ein vollkommener Meister bist; aber daß wir deiner Zeichen wegen deine Lehre, vor der es uns ekelt, annehmen sollen, das sei ferne von uns! Denn ein Arzt ist uns noch lange kein Priester, und noch weniger ein Prophet — und du schon am wenigsten, da wir dich schon seit nahe dreißig Jahren kennen, so wie wir deinen Vater gekannt haben! Siehe daher, daß du mit deinen Müßiggängern bald aus der Schule kommst, ansonst wir Gewalt brauchen müßten!“

06. Spricht die Sarah: „Herr, ich bitte Dich, verlaß diese Elenden! Denn sie sind verstockter als Steine, finsterer als jede Nacht und liebloser als ein Abgrund! Zweimal hast Du mir das Leben wiedergegeben, und für diese Elenden ist das nichts! Sie halten das noch dazu für eine gotteslästerliche Zauberei und wagen es in ihrer allergröbsten Blindheit, Dich sogar aus der Schule zu weisen! Herr, das ist zu arg! Gehen wir, gehen wir! Es ist mir in dieser Elenden Nähe, als stünde der Satan vor uns!“

07. Sage Ich: „Meine allerliebste Sarah! Sei du nur ruhig! Solange Ich es will, werden wir hier verweilen; denn Ich bin ein Herr! Nennen sich doch die Mächtigen der Erde ,Herren‘ — und haben oft sehr wenig Macht; Ich aber habe alle Macht über Himmel, Hölle und über die ganze Erde! Ich bin darum auch ganz gut ein Herr und lasse Mir ewig nichts gebieten! Was Ich tue, das tue Ich frei; denn Ich bin vollkommen ein Herr!“

08. Als die Ältesten das hören, reißen sie ihre Gewänder auseinander und schreien: „Hinweg mit dir! Denn nun haben wir es klarst vernommen, daß du ein Gotteslästerer bist! Deine Werke verrichtest du durch Beelzebubs Hilfe und willst dadurch und dafür mit deiner Lehre die Völker von Moses und von Gott abwendig machen; es bleibt uns daher nichts übrig, als dich mit Steinen aus der Welt zu schaffen!“

20. Kapitel. Der Templer Angst vor dem römischen Gericht.

01. Es waren aber in allen Schulen wie auch im Tempel für den Zweck der Steinigung Steine vorhanden, und so denn auch in dieser Schule in Nazareth. Da die Ältesten, Pharisäer und Schriftgelehrten dieser Stadt zu blind erbittert waren, so griffen sie nach den Steinen, um sie nach Mir zu werfen. Aber da erhoben sich die Jünger alle und bedrohten die Tollen; diese aber fingen an zu schreien und machten noch ärgere Mienen, die aufgehobenen Steine nach Mir zu werfen. In diesem Augenblick traten Faustus, Kornelius, Jairus und der alte Cyrenius in den großen Schulsaal.

02. Als die Wütenden diese für sie ganz erschrecklich großen Herren bemerkten, die ihnen wohlbekannt waren, so legten sie sogleich ihre Mordwerkzeuge nieder und fingen an, sich ganz entsetzlich tief zu verneigen.

03. Jairus eilt sogleich zu Mir und zur Sarah hin, umarmt Mich und sagt sogleich laut zum Cyrenius: „Hier steht Er, der große Mensch der Menschen, und hier meine geliebte Tochter Sarah, die Er zweimal vom vollkommensten Tode erweckte!“

04. Da tritt der alte Cyrenius zu Mir hin, bekommt Tränen in die Augen und spricht: „O mein Gott und mein Herr! Mit welchen Worten soll ich als ein armer, schwacher Mensch Dir danken für alle die endlos großen Gnaden, die Du mir hast angedeihen lassen?! O wie glücklich bin ich, daß meine Augen noch einmal das unschätzbare Glück haben, Dich, Du mein heiliger Freund, zu sehen! Seit mehr als zwanzig Jahren hörte ich nichts mehr von Dir, trotzdem daß ich an jedem Tage viele Male an Dich dachte und mich auch zu öfteren Malen nach Dir angelegentlichst erkundigte!

05. Ach, wie sehr doch war ich vor wenigen Tagen noch betrübt, als der Kaiser vollernstlichst von mir die unglückseligsten Steuergelder aus Pontus und Kleinasien zu fordern begann und ich nicht wußte, wohin sie gekommen sind! Aber wie glücklich, ja wie unaussprechlich glücklich war ich, als vor etwa drei Tagen nicht nur die in Verlust geratenen Steuern, sondern noch eine bei weitem größere Menge von unschätzbaren Schätzen in Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen mir durch meine biederen Freunde Faustus und Kornelius eingesandt worden sind, und das alles durch Deine heilige Vermittlung!

06. Mein Herr, mein heilig größter Freund Jesus! O sage mir doch, was ich denn nun tun soll, um Dir die zu ungeheuer große Schuld nur ein wenig abtragen zu können! Möchtest Du meine Oberlandpflegerkrone auf Dein Haupt setzen, o mit welch unnennbarer Freude und Würde möchte ich sie Dir zu Deinen heiligen Füßen legen!

07. Wahrlich wahr, Herr, Du mein Leben, es liegt mir, wie es Dir sicher nur zu bekannt ist, ganz entsetzlich wenig an den eitlen Schätzen dieser Erde; wäre das mein, was ich schon nach Rom abgesandt habe, so wäre damit schon lange vielen Tausenden armer Leute geholfen worden! Aber es war des Kaisers, und es mußte mir alles daran gelegen sein, ihm das Verlangte aufzubringen! Wie aber wäre solches je möglich gewesen ohne Dich und hernach ohne meinen lieben Faustus und Bruder Kornelius!? — Oh, eine Weltlast habt ihr von meiner Brust abgewälzt! Nun heißt es lohnen und vergelten, was da nur immer in meiner Macht steht! — O rede, rede, Du heiligst großer Freund der Menschen, was ich nun tun soll!“

08. Bei dieser glänzenden Ansprache des Cyrenius an Mich werden die, die Mich ehedem steinigen wollten, leichenblaß und fangen an zu beben, als ob sie ein überaus starkes Fieber ergriffen hätte, da sie meinten, Ich werde nun vollste Rache nehmen an ihnen und sie verklagen beim Cyrenius, den sie alle mehr fürchteten als den Tod; denn er verstand allzeit keinen Scherz! Bekanntlich waren die römischen Richter über alle Maßen streng in der Ausführung ihrer gefällten richterlichen Aussprüche und Urteile; darum hatten die Juden denn auch eine unbeschreibliche Furcht vor ihnen, — besonders aber diese nazaräischen Ältesten, Pharisäer und Schriftgelehrten, von denen einige Mitwisser waren von dem römischen Steuerraube.

09. Ich aber sagte in großer Freundlichkeit zum Cyrenius: „Meinst du denn, der Mann hätte vergessen, was du dem Kinde getan hast, als es vor Herodes fliehen mußte aus Bethlehem nach Ägypten? Oh, der Mann erinnert sich gar wohl alles dessen! Du hast Mir alles ohne Interesse getan, weil du Mich liebtest, — und Ich sollte von dir nun irgendeinen Lohn begehren? Nein, das sei ewig ferne von Mir! Aber da du schon als ein Stellvertreter des Kaisers über Asien zu gebieten hast, so gebiete diesen widerspenstigen, nicht Gottes—, sondern Satansdienern, daß sie von allem, was Ich hier gewirkt habe, schweigen sollen wie eine Mauer, widrigenfalls sie aufs schärfste gezüchtiget werden sollen! Denn ein jeder, der wider seinen Nächsten einen Stein aufhebt, soll gezüchtigt werden auf das schärfste!“

10. Sagt Cyrenius: „Haben diese Elenden etwa gar gewagt, wider Dich Steine aufzuheben?“

11. Sagt die Sarah: „Ja, ja, hoher Cyrenius! Den Herrn haben die Elenden steinigen wollen, weil Er ihnen die Wahrheit gesagt hat! Sie nennen sich ,Gottesdiener‘ und sind dabei die größten Gottesleugner; denn nur ihre höchst selbst— und herrschsüchtigen Satzungen halten sie und geben ihnen durch schändlichste Gewalttaten den göttlichen Schein!

12. Wer sich von ihnen nicht durch den Trugschein blenden läßt, der wird mit schändlichster Gewalt blind gehalten und hat keine Freiheit mehr auf der lieben Gotteserde! Man lese nur Moses und die Propheten und lese dagegen ihre Satzungen, und man wird mit gar leichter Mühe finden, was ich als ein Mädchen von noch nicht sechzehn Jahren schon lange gefunden habe! Wahrlich, wer an Moses und die Propheten hält, der ist ihr größter Feind! Er wird gleich den Samaritern, die noch reine Mosaisten und Jünger der Propheten sind, täglich von neuem für verflucht angesehen und von den Templern also gehaßt werden, daß sein wie ihr Name im Munde eines Juden den größten Fluch zu bedeuten hat!

13. Ich aber frage nun als ein junges Mädchen: Ist das Gottes Wort, ist das ein Gottesdienst? Jesus hat es ihnen klar bewiesen, daß das nur ein Wort der Hölle sein kann und ein Dienst, wie ihn nur der Satan wünschen kann; und darum wollten sie Ihn denn auch steinigen, weil Er ihnen zu sehr die Wahrheit gesagt hat vor dem Volke, das ihnen am Ende denn doch ihr reiches Einkommen schmälern könnte!

14. Hoher Herr! Ich war schon zwei Male völlig jenseits, und ich weiß es, was meine Seele gesehen hat. Ich sah Moses und all die guten Propheten! Diese hatten Frieden, und ihre Freude ist diese Zeit, die sie den ,großen Tag des Herrn‘ nennen. Aber auch nicht einen Pharisäer und Schriftgelehrten sah ich unter den Heiligen Israels! Ich fragte daher, wo diese wären.

15. Da kam ein lichter Engel und hieß mich, ihm zu folgen. Und ich folgte ihm. Bald standen wir an einem höchst düsteren Ort; es war kaum so hell wie in einer umwölkten Nacht. In tiefer Ferne sah es sehr glühend aus, und der Engel sprach zu mir: ,Dort siehe hin! Das ist der Pfuhl, allwo die wohnen, nach denen du fragtest!‘ Und ich sah hin, erblickte nichts als Teufel und sagte zum Engel: ,Bote des Herrn! Ich sehe pur Teufel und sonst niemand! Wo sind denn hernach die, um die ich gefragt habe?‘ Da antwortete der Engel: ,Die du siehst, die sind es!‘

16. Da erschrak ich gewaltig und gedachte meines Vaters, der gar ein Oberster der Pharisäer ist; aber der Engel merkte, was mich beben machte, und sprach: ,Sei unbesorgt! Dein Vater kommt auf den rechten Weg, und du wirst ihm noch einmal zu einem Führer werden auf Erden!‘

17. Solches habe ich gesehen und gehört und weiß darum, was ich weiß, nicht vom Hörensagen, sondern aus der Erfahrung! Ich brauche daher von diesen Dummköpfen und argen Knechten des Satans nichts zu lernen; denn ich habe es gesehen und gelernt die Wahrheit lebendig und kann daher als eine, die von drüben zurückgekommen ist, zur Steuer der ewigen Wahrheit dessen, was Jesus, der Herr von Ewigkeit, lehrt, bezeugen, daß alles, was diese schwarzen Lehrer sagen und lehren, die vollkommenste Lüge ist, und ist nicht ein wahres Häkchen daran! — Ich habe geredet.“

21. Kapitel. Cyrenius und die Templer.

01. Sagt Cyrenius: „Habt ihr von einer vom Tode Wiedererstandenen vernommen ein Zeugnis wider euch, was euch schwerer inkriminiert (beschuldigt) denn aller Raub und Mord? Was soll ich denn auf diese höchst wahre Anschuldigung mit euch machen? Ans Kreuz hängen wäre viel zu wenig! Euch bis zu den Knochen einen vollen Tag hindurch geißeln und euch dann erst die Köpfe abschlagen lassen, wäre auch noch viel zu gelinde! Aber ich weiß schon, was ich tun werde, und ihr werdet mit mir ganz zufrieden sein können!“ — Auf diese Anrede des Cyrenius werden alle leichenblaß und fangen ganz entsetzlich an zu heulen und zu bitten.

02. Cyrenius aber fragt Mich heimlich, ob er über die Argen im Ernste eine Strafe verhängen solle, nebst dem Verdikte (Wahrspruch), laut dessen ihnen über all das Vorgefallene ein ewiges Stillschweigen aufgetragen werde.

03. Sage Ich: „Erlaß bloß das Verdikt mit einer ernsten Bedrohung, die sie bei der ersten Übertretung ohne alle weitere Gnade zu gewärtigen bekommen sollen! Darauf entlasse sie!“

04. Cyrenius tritt vor, gebietet zu schweigen und sagt hernach: „Höret mich nun an, ihr argen Wichte! Diesem hier, den ihr steinigen wolltet der heiligen Wahrheit wegen, die aus Seinem Munde an euch erging, habt ihr es allein zu danken, daß ich euch nicht samt und sämtlich in die Wüste treiben und daselbst auf Felsen, die ringsum mit Abgründen umgeben sind, setzen und die Augen ausstechen ließ! Aber so es einer wagen sollte, von all dem, was sich zugetragen hat, auch nur eine Silbe aus der Schule zu schwätzen, entweder mündlich oder schriftlich oder durch Gebärden, Mienen oder Handzeichen, an dem wird unerbittlichst die schärfste Strafe in Vollzug gesetzt werden!

05. So werde ich es auch nicht ungeahndet lassen, so ich erfahre, daß ihr durch ungesetzliche Erpressungen das Volk quälen solltet und verfolgen möchtet die göttliche Wahrheit eurer schändlichen, selbstsüchtigen Satzungen halber! Lehret das Volk Gott und dessen Gesetze kennen und danach handeln, so werdet ihr ebenso angesehen sein, wie dieser göttliche Mann Jesus es ist, der durchaus keine neue, sondern nur die uralte Lehre von Gott den von euch in die tiefste Nacht versenkten Völkern verkündet, was Er um so leichter und wahrer tun kann, da Er — was ihr nicht begreifet, aber ich als ein von euch deklarierter Heide ganz wohl begreife — im Geiste Selbst Der ist, der nach eurer Lehre auf Sinai vor etwa tausend Jahren dem Moses für euch die Gesetze gab! Hütet euch daher, diesen Heiligen zu verfolgen; denn solch eine Verfolgung würde euch das doppelte Leben kosten, hier leiblich und jenseits geistig! — Habt ihr mich verstanden?“

06. Sagen alle die Betreffenden: „Ja, hoher Herr, und wir wollen alles tun, was du von uns verlangst! Aber du weißt es ja, daß wir Menschen keine Götter sind und allerlei Schwachheit an uns haben; wenn sich jemand denn doch möglicherweise in irgendwas und —wo ein wenig verginge, so wolle du, als selbst Mensch, uns auch nur menschlich zur Rechenschaft ziehen und strafen!“

07. Sagt Cyrenius: „Griechische Kaufleute und Krämer pflegen wohl mit sich handeln zu lassen, — aber die Römer nie! Dies bedenket wohl und handelt danach, so werdet ihr keiner Nachsicht benötigen; denn nur durch scharfe und unerbittliche Gesetze werden die Menschen stark und werden Helden der Ordnung und werden eines Sinnes und voll Eifer in allen gesetzlichen Bestrebungen!

08. Hätte der Soldat nicht die unerbittlich schärfsten Gesetze, so wäre er ein Feigling, und so es hieße, den Feind verfolgen, bekämpfen und besiegen, da hätte der Feind eine gute Zeit — und mit dem notwendigen Schutze des Vaterlandes hätte es seine geweisten Wege! Aber so das eherne Gesetz dem Soldaten auf Tod und Leben jeden Schritt und Tritt vorschreibt, was er vor dem Feinde zu tun hat, so tut er es sicher! Denn täte er es nicht, so wäre der Tod sein Los; tut er aber, was ihm geboten ist, so ist ihm der Tod durch den Feind ungewiß, und er kann als Sieger und gekrönter Held aus der Schlacht hervorgehen!

09. Das ist denn in Rom strengste Regel: ,Ein strenges Gesetz macht auch strenge und ordentliche Menschen.‘ Daher lassen wir denn auch kein Häkchen groß mit uns handeln, und jeder Mensch steht ohne Rangesrücksicht vor dem Gesetze! Ihr wißt nun meine gesetzliche Gesinnung. Tut danach, so seid ihr frei im Gesetze; tut ihr es aber nicht, so wird das Gesetz euch richten ohne alle Gnade darum, weil es ein Gesetz ist.

10. Die ganze Erde und alles, was in und auf ihr ist, besteht nur durch die ewige Unbeugsamkeit des göttlichen Willens. Ließe Gott nur im geringsten mit Sich handeln, wie sähe es im nächsten Augenblick mit der Erde und mit uns allen aus? Da ginge alles aus den Fugen!

11. Ebenso erginge es einer staatlichen Völkergesellschaft; würde da nur ein Gesetz gelockert, so würden auch die andern ihre Kraft und Festigkeit verlieren, und das große Staatsgebäude würde nur zu bald zu einer Ruine! Also bleibt es unabänderlich bei meiner euch gemachten Androhung!“

12. Auf solch entschiedene Erwiderung des Oberstatthalters machten die Ältesten und die Pharisäer ganz entsetzlich bittere Gesichter, und einer aus ihnen sprach in einer Art schmerzlicher Begeisterung: „O Rom, o Rom! Du bist ganz entsetzlich hart und schwer! — Jehova! Aus der babylonischen Gefangenschaft hast Du Deine Kinder befreit, als sie Buße taten und darum baten; wirst Du uns aus dieser tausendmal härteren Gefangenschaft nimmer erlösen?“ —

13. Sage Ich: „So ihr bleibet wie ihr seid und euch nicht vom Grunde aus bessert, so sollt ihr nicht nur ewige Untertanen Roms verbleiben, sondern vom selben ganz gefressen werden wie ein Aas von den Adlern! Nur noch eine kurze Zeit wird Gott gedulden, dann aber wird über euch das scharfe Los ausgeworfen werden, und es wird dann mit euch werden, was Ich euch zuvor geweissagt habe, und man wird euch verfolgen bis ans Ende der Welt. — Jetzt aber gehet, und ärgert euch nicht mehr!“

14. Auf dieses Mein Wort entfernten sich alle in ihre Nebengemächer; wir aber verblieben in der Schule, in die bald eine Menge Nazaräer kamen, um die hohen römischen Herrschaften zu sehen. Wir mußten uns am Ende auf Tische und Bänke stellen, um nicht erdrückt und um vom gafflustigen Volke gesehen zu werden.

22. Kapitel. Heilung eines Gichtbrüchigen. Zeugnis der Nazarener über Jesus.

01. Es brachte aber Borus selbst einen gichtbrüchigen Menschen, dessen Hände und Füße schon ganz verdorrt und derart verdreht und zusammengezogen waren, daß es wohl keinem sterblichen Arzte mit allen Mitteln in der Welt möglich gewesen wäre, ihn zu heilen.

02. Borus aber, als er durch zwei Träger den Gichtbrüchigen in einem Korbe durch das starke Gedränge zu Mir hatte hinbringen lassen, sagte laut vor dem Volke: „Diesem Kranken kann nur Gott allein helfen! Ich bin doch einer der ersten Ärzte in ganz Galiläa, und es kommen Kranke von Jerusalem und Bethlehem zum Arzte Borus, und er hilft ihnen; aber diesem kann er nicht helfen! Ich bitte Dich aber, Du mein heiliger Freund Jesus, da Dir meines Wissens und Glaubens kein Ding unmöglich ist, daß Du diesem Menschen die geraden Glieder wiedergeben möchtest, so es Dein Wille ist!“

03. Sage Ich: „Freund, hier gibt es viel zuviel Ungläubige, und da ist so eine Heilung immer eine schwere Sache! Ich aber werde ihn schon bei dir unter vier Augen heilen.“

04. Darauf fingen einige im Volke an zu murmeln und sagten: „Oh, des Zimmermanns Sohn ist pfiffig! Dieser Kranke ist ihm zu stark, darum möchte er ihn lieber im geheimen heilen, auf daß wir ja nicht merken sollen, ob es mit ihm besser geworden ist oder nicht.“

05. Ich aber vernahm solche Reden und sagte zu den Schimpfern: „O ihr Tollen und Irrsinnigen! Kennet ihr dies Mädchen an der Seite des Jairus? Ist sie nicht dessen Tochter, und war sie nicht tot zwei Male? Wer gab ihr das Leben wieder? — Ihr Toren! So des Menschen Sohn Macht hat, die Toten wieder ins Leben zu rufen, wird Er nicht auch Macht haben, zu diesem Kranken zu sagen: ,Stehe auf und wandle!‘? Auf daß ihr aber sehet, daß Ich gar wohl diese Macht habe, so gebiete Ich dir, du gichtbrüchiger Mensch, daß du aufstehest und wandelst mit vollkommen gesunden Gliedern!“

06. In diesem Augenblick fuhr ein Feuer in die Glieder dieses Kranken, und er fühlte sich völlig kräftig, stand auf und wandelte, und seine Glieder waren völlig frisch; er hatte Fleisch und volle Muskeln und wandelte heiter und voll dankbaren Herzens und sagte nach einer Weile seines höchst eigenen Staunens: „So etwas kann nur Gott möglich sein! Ohne Arzneien, ohne Händeauflegung, sondern allein durchs Wort eine solche Heilung in einem Augenblick hervorzurufen, das ist noch nie gehört worden! Herr Jesus, ich bekenne und glaube nun vollauf, daß Du entweder Gottes Sohn oder gar der menschliche Form angenommen habende Gott Selbst bist! Es kommt mir gerade vor, als ob ich Dich anbeten sollte!“

07. Sage Ich: „Laß das und mache darob keinen Lärm! Was du aber im Herzen fühlst, das bewahre getreu; es wird eine Zeit kommen, in der du dessen benötigen wirst, und dann magst du beten zum Vater im Himmel, der allein Seinem Sohne gegeben hat solche Macht!“ Mit diesen Worten verstummt der Geheilte.

08. Aber das Volk entsetzte sich und sprach: „Woher kommt dem denn solch eine Weisheit und solche Taten und solche Macht dazu? Ist er nicht des Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? Und seine Brüder: Jakob und Joses und Simon und Judas? (Matth.13,55) Und seine Schwestern, sind sie nicht alle bei uns? Woher um des Himmels willen kommt ihm denn das alles?“ (Matth.13,56)

09. Und da sie also miteinander redeten und einander fragten, ärgerten sich viele und sagten: „Das ist gerade zum Wahnsinnigwerden! Unsere Söhne haben studiert zu Jerusalem und sich Kenntnisse in allerlei Künsten und Wissenschaften gesammelt; auch haben sie die noch bestehende Schule der Propheten durchgemacht und die ägyptische Weisheit in der Deutung der Zeichen vollkommen erlernt! Und dieser Zimmermann, der erweislich nie eine Schule besucht hat, den wir nur stets mit Hacke und Säge arbeiten sahen, beschämt nun uns und unsere Kinder auf eine Art, vor der sogar die allerhöchsten Regierungspersonen erstaunen und den sonst mehr tölpelhaften Zimmermann schon nahe für einen Gott halten! Das ist wahrlich ärgerlich! Er ist alles in allem, spricht alle Zungen, als wäre er darin geboren, er ist ein Prophet ersten Ranges und wirket Zeichen und Dinge, die gewirkt zu haben sich kein Gott schämen dürfte; unsere Söhne aber stehen samt uns, die wir doch unserer Zeit auch etwas gelernt haben, da, als könnten sie nicht einmal ihrer Hände Finger abzählen! Weiß denn niemand von uns irgend etwas, wie dieser Zimmermann das alles sich zu eigen gemacht hat?“

10. Sagen andere: „Wo sollte er sich etwas zu eigen gemacht haben? Er war ja bis auf nunmalige etliche Monde immer zu Hause und baute Häuser bei uns und auch anderswo mit seinem Vater und seinen Brüdern; wir merkten nie eine Spur von etwas Besonderem bei ihm! Er war dazu noch sehr wortkarg, und so man ihn um etwas fragte, da gab er entweder gar keine oder eine allzeit nur sehr einsilbige Antwort, so daß man ihn für eine Art Tölpel hielt, — und jetzt steht er auf einmal als ein Mann da, auf den alle Welt die Augen richten muß! Das ist ja doch allerärgerlichst mehr, als was nur irgendein gesunder Menschensinn fassen kann!

11. Was ist denn mit diesem Menschen vor sich gegangen? Wir wissen es wohl aus seiner frühesten Jugendzeit her, daß er damals als ein noch nahezu unzüngiger Knabe einige zauberische Fähigkeiten gezeigt haben soll! Vater und Mutter glaubten, daß aus diesem Knaben einst etwas Großes werden würde; aber es hätten sich alle die vielversprechenden Fähigkeiten mit den Jahren so ganz und gar verloren, daß davon aber auch nicht eine leiseste Spur bei irgendeiner Gelegenheit zu entdecken war! Eine Schule hat er schon als Knabe nie besuchen wollen und war somit ohne alle wissenschaftliche Bildung ein höchst einfacher Zimmermann. Ich fragte oft den alten Joseph, wie es mit dem Jesus stehe, ob er denn auch zu Hause so einsilbig wäre. Und die Antwort war: ,Noch einsilbiger als irgendwo außer dem Hause!‘ Und seine Brüder sagten dasselbe! — Wenn aber also, woher denn nun solche Fähigkeiten?“

23. Kapitel. Zurechtweisung der Nazarener.

01. Da Ich ihnen aber dennoch vermöge dessen, was sie gesehen hatten, als ein Prophet vorkam, so sagte ein alter Nazaräer: „Ich habe einmal von einem durchreisenden Babylonier, wie solche Menschen gewöhnlich als außerordentliche Bettler öfter unsere Gegenden und Orte zu besuchen pflegen und sich um einige Stater in allerlei Zaubereien und Wahrsagereien produzieren, gehört, wie er bei meinem Nachbar eine Weissagung machte, und zwar mit diesen Worten:

02. ,Nazareth, in deinen Mauern lebt ein Mensch, den du nicht kennst! Er ist still und ist karg an Worten; wann aber Seine Zeit kommen wird, da werden sich vor Ihm und Seiner Rede beugen die Berge; die Winde und das Meer werden Ihm gehorchen, und der Tod wird vor Ihm beben und keine Macht über Ihn haben! Da wird alles Volk dieser Stadt in ein ärgerliches Staunen versetzt werden; aber es wird niemand Seiner Macht trotzen können, und der Tod wird fliehen vor Ihm wie eine furchtsame Gazelle vor einem sie verfolgenden Löwen! Wann Er aber von dieser Welt in die Himmel wird übergehen wollen, so wird Er auf drei Tage Sich töten lassen von Seinen Feinden; aber am dritten Tage wird Er aus höchst eigener Macht den Tod von Sich weisen und wird auferstehen in aller Kraft und Herrlichkeit und wird auffahren mit Fleisch und Blut in die Himmel! Aber darauf wehe allen, die Ihn verfolgt haben; ihr Los wird sein ein allerschrecklichstes Feuergericht, desgleichen noch nie eines auf dem Erdboden stattgefunden hat! Wehe allen hochmütigen Juden! Sie werden fürder bis ans Ende der Welt kein eigenes Land mehr haben, sondern auf dem ganzen Erdboden zerstreut umherirren wie ein verfluchtes Wild in der Wüste, und von Stoppeln, Dornen und Disteln werden sie ein ungenießbares Brot bereiten, um zu stillen ihren Hunger, und werden sterben an solcher Kost!‘ —

03. Solches hat besagter Babylonier geredet vor etwa drei Jahren; und es ist im Ernste ungeheuer merkwürdig, daß in diesem Jesus ein solcher Mann in unsern Mauern nun aufgetreten ist, dessen Reden und Taten alles das vom besagten Babylonier prophezeite nahe auf ein Haar bestätigen! Was aber ist da zu machen? Ist das eine eingetroffen, so dürfte auch das andere, nämlich das Gericht eintreffen! Darum bin ich der maßgeblichen Meinung, daß wir Ihn wirken lassen sollten, wie Er will, mag und kann; denn es dürfte schwer werden, uns mit Ihm in einen Kampf einzulassen! Denn wer einmal Tote erweckt, der muß auch noch mehr vermögen! Vor dem sich die Berge neigen und Winde und Meere lautlos verstummen, mit dem werden wir einen schlechten Kampf bestehen! Darum lassen wir Ihn gehen, zumal da bereits, wie ihr selbst sehet, mehrere Hunderte Seiner Lehre mit Leib und Seele anhängen und Ihn für den verheißenen Messias halten!“

04. Auf diese Rede des alten Nazaräers ärgern sich viele noch mehr; aber es getraut sich niemand mehr ein Wort zu reden.

05. Ich aber sah wohl, daß mit diesem Volke nichts zu machen war, da es keinen Glauben und kein Vertrauen hatte, und sagte daher auch ganz kurz, aber so laut, daß es alle wohl vernehmen konnten: „Warum ärgert ihr euch denn? Habt ihr nie gehört, daß man schon von alters her gesagt hat: ,Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande und in seinem Hause!‘? (Matth.13,57) Wenn aber also, wie es noch allzeit die alte Erfahrung gelehrt hat, was ärgert ihr euch denn? Ihr wollt klug sein, und Ich sage es euch, daß ihr blind, taub und voll Blödsinnes seid! So Ich Der bin, Der Ich bin, und Meine Worte und Meine Taten dafür zeugen, warum glaubet ihr denn nicht? Muß denn ein Prophet allzeit weither sein, damit er Glauben finde? Muß denn sein Geburtsort unbekannt und seine Zunge eine fremde sein?

06. Wenn Ich aus Persien oder gar aus Indien gekommen wäre und täte die Zeichen, die Ich nun tue, und wie sie vor Mir keiner je getan hat, so würdet ihr auf euren Angesichtern vor Mir liegen und schreien: ,Gott hat uns heimgesucht, und wir sind voll Sünden und Gebrechen! Wer wird uns verbergen und schützen vor Seinem Zorn?‘ Weil Ich aber der euch bekannte Josephssohn bin, so fraget ihr: ,Woher kommt ihm solches?‘ O ihr blinden Toren! Ist hier dieser Boden nicht ebensogut Gottes Erde wie in Persien und Indien? Scheint hier nicht dieselbe Sonne, und werden hier nicht, so gut wie in Persien und Indien, durch Gottes gleichfort waltende Kraft und Macht allerart Früchte zum Wachstum und zur Reife fördert? Ist der Mond und sind die Sterne samt der Sonne und dieser Erde hier denn weniger göttlich als in den besagten Ländern?

07. So aber ohne allen Zweifel hier doch alles ebensogut göttlich und Gottes ist wie in andern fernen Landen, warum sollte es dann der Mensch nicht sein? Wenn Ich aber vor euren Augen nun Taten verrichte, die keinem Perser und Indier je möglich waren, wie sollte Ich dann nicht wenigstens ebensogut wie ein dummer Perser oder Indier Mir eure Achtung und euren Glauben erwerben können? Wahrlich, ginge Ich heute zu den Griechen und Römern hin, sie würden Mir Tempel und Altäre errichten!

08. Ihr aber hingegen, da Ich in eurer Mitte aufgewachsen bin und ihr Mich von Kind auf kennet, fragt ganz ärgerlich erstaunt: ,Woher kommt denn auf einmal diesem Zimmermanne das alles, den wir stets als einen wahrhaftigen Tölpel gekannt haben?‘ O wartet nur, der Tölpel hat aufgehört, ein Tölpel zu sein und hat euch viel Gutes getan — früher als Tölpel und nun als Meister und Heiland noch mehr; aber fürderhin wird Er es bleiben lassen!“

09. Auf diese Worte ärgerten sich die Nazaräer noch mehr und verließen die Schule.

24. Kapitel. Des Cyrenius Rede über die Nazarener.

01. Da sagte Cyrenius: „Herr und Meister, wie es mir vorkommt, so ist hier wirklich mehr Dummheit als Bosheit vorhanden! Denn die Nazaräer bis auf wenige sind als Dümmlinge bekannt, und ein Dümmling ist allzeit am schwersten hell zu machen! Wenig Schule, keine Erfahrung, meistens arm, wenig Handel und Wandel! Sie leben meistens vom mäßigen Ackerbau und von einiger Viehzucht und kommen bekanntlich nie — außer im Jahre etwa einmal — nach Jerusalem, wo sie nicht nur nichts in der geistigen Bildung gewinnen, sondern allzeit nur verlieren. Woher sollen sie dann einen bessern Verstand nehmen, um Deine göttliche Lehre und Deine göttlichen Taten zu beurteilen? Dazu sind die dummen Menschen auch gewöhnlich neidisch, und wie ich's gemerkt habe, so ärgerte sie auch das am meisten, daß ihre Söhne, die sie in alle möglichen Schulen haben gehen lassen, Dir in aller Weisheit, Kenntnis und vollendetster Tatkraft gar so endlos weit nachstehen! Ich will ihnen gerade keine Bosheit, sondern die barste Dummheit beimessen, die wohl auch manchmal in Bosheit ausarten kann, aber natürlich in eine sicher nicht gar zu schädliche, da der dumme Mensch es auch notwendig dumm angreift, um jemand wahrhaft zu schaden. Lassen wir sie darum gehen!

02. Sollte Dir aber jemand an den Leib gehen wollen, nun, so ist es mir um Dich am wenigsten bange! Fürs erste besitzest Du in einem hinreichendsten Maße soviel der unleugbarst göttlichen Kraft, um ein ganzes wohlausgerüstetes Kriegsheer weidlichst in die Flucht zu schlagen — und um so leichter diese barsten Dümmlinge; und fürs zweite hast Du uns als höchste römische Gewaltträger über ganz Asien vollauf für Dich, und es kann Dir darum an gerechtem Schutze nie fehlen! Solltest Du hier verfolgt werden, nun, Du weißt doch, wo Sidon und Tyrus liegt! Komme dahin, und Du bist sicher vor jeder wie immer gearteten Verfolgung!

03. Daß aber diese Nazaräer—Bürger Leute nahe ohne alle Bildung sind, hat sich auch aus dem erwiesen, daß sie nahe alle mehr als Maulaffen denn als Menschen in die Schule bloß aus rein tierischer Neugierde gelaufen sind, zum Beweise dessen sie weder mich noch irgend jemand andern hochgestellten Herrn und Gebieter nur im geringsten mit irgendeiner Gebärde begrüßt haben! Gleich Eseln, Ochsen und dummen Schafen fielen sie herein und taten, als wenn sie allein die Herren der Welt wären! Ich kann es diesen Menschen gar nicht zu einer Sünde rechnen, weil sie zu roh, dumm und ungebildet sind, und ich meine, Du, o Herr und Meister, der Du sie noch um tausendmal besser kennst, wirst ihnen das auch zu keiner Sünde anrechnen!“

04. Sage Ich: „Das kannst du wohl sicher annehmen, Ich sicher am wenigsten! Aber es liegt alles daran, daß sie Mich in ihrem Herzen als das erkennen, was Ich bin; denn ihr ewiges Leben hängt ja allein von dem ab! Erkennen sie Mich nicht, so können sie auch unmöglich Den erkennen, der Mich in die Welt gesandt hat — und noch weniger, daß Ich und Der, der Mich gesandt hat, ein und dasselbe Wesen sind! Solange aber ihre Herzen das nicht erkennen, haben sie Mich nicht in sich und somit auch das ewige Leben nicht und sind im Geiste tot! Denn Ich Selbst bin ja eben das ewige Leben Selbst und durch Meine Lehre der Weg zum selben.

05. Wer demnach Mich und Meine Lehre nicht annimmt, der nimmt auch das ewige Leben nicht an, und der ewige Tod muß darum notwendig sein Anteil sein.

06. Ich darf aber dennoch niemanden zum Glauben zwingen, weil jeder Zwang ein Gericht des Geistes wäre, das ihm so gut den Tod gäbe wie der Unglaube, — und es ist darum hier selbst für Gott schwer also zu wirken, daß der Mensch keinen Schaden leide an seiner Seele! Wird er gezwungen durch irgendeine noch so verborgene Macht, so bewegt er sich im Gerichte; wird er aber durch gar nichts gezwungen, so bleibt er ungläubig und zweifelt an allem und beweist eben dadurch, daß er völlig toten Geistes ist. Wer oder was soll dann lebendig machen seinen Geist?

07. Mein lebendig machendes Wort nimmt er nicht an — und somit auch Mich nicht als die in der ganzen Unendlichkeit alleinige Quelle alles Lebens; nun frage dich selbst, woher er dann sonst noch das Leben, das Ich allen Menschen brachte und geben will, nehmen solle!“

08. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, das sehe ich nun ganz klar ein und muß es einsehen, weil ich Dich schon seit dreißig Jahren kenne, wer Du bist; aber lassen wir das nun, ich werde diese Menschen schon noch gläubig machen! Jetzt aber gehen wir weiter und sehen, wo wir ein Mittagsmahl bekommen werden! Es ist schon ziemlich spät nachmittags.“ — Wir verließen darauf die Schule und die Stadt und begaben uns in Mein Haus, allwo schon ein gutes Mahl unser harrte. Wir aßen und tranken ganz wohlgemut und waren diesen ganzen Tag über guter Dinge.

25. Kapitel. Über die Unwürdigkeit des Volkes.

01. Es ward viel geredet von den Begebnissen zu Ostrazine in Ägypten, allwo Ich Meine Kindheit zugebracht hatte, und die Mutter war dabei auch sehr gesprächig und hatte eine große Freude an den Gesprächen des Vizekönigs von Asien, wie man also auch den Cyrenius begrüßte.

02. Jakobus, Josephs Sohn, der des Schreibens wohl kundig war, holte eine ziemlich dicke Rolle aus seinem Schrank und überreichte sie dem Cyrenius mit den Worten: „Hoher Herr, hier habe ich von Seiner Geburt an alles aufgezeichnet bis zu Seinem fünfzehnten Jahre, tatenreich aber eigentlich nur bis in Sein zwölftes Jahr; denn nach dem zwölften Jahre verlor sich Seine göttliche Gabe so ganz und gar, daß davon aber auch nicht die leiseste Spur mehr zu entdecken war. Darum stehen die drei Jahre 13, 14 und 15 auch völlig leer; denn bis auf einige ziemlich weise Worte hat sich da nichts Erhebliches mehr ereignet, und so habe ich es denn auch über Sein fünfzehntes Jahr hinaus nicht mehr für nötig gefunden, die ganz gewöhnlichen menschlichen Begebnisse, die ich an Ihm bemerkte, aufzuzeichnen, und so ist diese Beschreibung über Seine Jugendzeit als vollkommen für abgeschlossen zu betrachten. (Vgl. „Jugend Jesu“.)

03. Es bestehen aber neben dieser meiner Aufzeichnung noch eine Menge falscher Sagen, die wahrscheinlich ein Werk alter, müßiger Fischerweiber sind; ich bitte daher jedermann, nur diese meine Beschreibung als die allein richtige, durchaus wahre und alles umfassende anzusehen. Wenn ich dir, hoher Herr, damit ein Vergnügen verschaffen kann, so bitte ich dich, diese meine kleine Mühe als eine kleine Erkenntlichkeit von meiner Seite für die vielen Wohltaten, die du uns erwiesen, gnädigst anzunehmen!“

04. Cyrenius nimmt die Rolle mit vieler Freude in die Hände, blättert eine Weile darin und liest manches laut vor, und alles hat eine große Freude daran. Eine ganz besonders große Freude aber hatte daran die lieblichste Sarah, wie auch ihre Mutter.

05. Die Sarah wurde alle Augenblicke zu Tränen gerührt und sagte am Ende in einer Art Erregtheit: „Was braucht man da denn noch, um das mit Händen zu greifen, was ich schon seit meiner ersten Heilung eingesehen habe?! Gott! Solche Taten, solche Zeichen — und noch kein Glaube, keine Einsicht, keine Erkenntnis des nur zu wahrhaft Göttlichen?! Herr, ich als eine arme, schwache Sünderin vor Dir, bitte Dich: tue hier keine Zeichen mehr! Denn dieses Volk von Nazareth mit höchst geringer Ausnahme ist nicht des Anspuckens wert, geschweige Deiner zu heiligen Worte und Taten! Ich bekenne es offen, dieses Volk, so mir eine Macht gegeben wäre, ließe ich so lange fasten, hungern und stäupen, bis es zur Einsicht käme und erkennete, wie sehr es dadurch gesündiget hat, daß es diese heilige Zeit seiner Heimsuchung und der großen Gnade nicht erkannt hat!“

06. Sagte Ich zur Sarah: „Ärgere dich, du Mein einziges Herz, der Dummen und Blinden wegen nicht! Ich kenne sie und ihren Unglauben, und wie du es wünschest, also werde Ich auch des Unglaubens willen wenig oder gar keine Zeichen mehr tun (Matth.13,58). Und du, Mein Schreiber Matthäus, merke das an, daß Ich des Unglaubens wegen hier in Meiner leiblichen Heimat wenig Zeichen mehr wirkte, auf daß es sogar in den spätesten Zeiten alle Welt wissen solle, was für harte und ungläubige Knöpfe diese Bürger Nazareths zu Meiner Zeit waren! Wir aber werden uns dennoch einige Tage hier aufhalten und uns als von den Bürgern deklarierte Müßiggänger recht wohl geschehen lassen! Denn weil sie sich ärgern, so sollen sie sich also recht ärgern, auf daß sie desto eher reif werden für den Satan und sein verfluchtes Reich!“

07. Sagt Cyrenius: „Mir ist es endlos leid, daß ich mich vermöge meiner starken Regierungsgeschäfte nicht länger als höchstens einen Tag hier aufhalten kann; aber wenn ich Dir, o Herr, in dem einen oder andern etwas tun kann bei diesem schmählichst ungläubigen Volke, so äußere Dich nur und begehre es, und ich lege sogleich die Hand ans Werk! So Du es willst, lasse ich sogleich die ganze Stadt mit Ruten durchstäupen!“

08. Sage Ich: „Lassen wir das alles! Diese sind schon mit dem durchgestäupt zur Übergenüge und voll gestraft dadurch, daß sie an Mich nicht glauben; denn ihr Unglaube wird dereinst ihr unerbittlichster Richter sein, dem sie auf tausend nicht eins zu erwidern imstande sein werden! Wahrlich, sage Ich dir, eher und leichter werden alle Hurer, Ehebrecher und Diebe ins Gottesreich eingehen denn diese ungläubigen Böcke und Klötze! Oh, Ich sage dir, wie Ich es nur zu gut weiß: Diese Böcke und Klötze sind nicht so ungläubig, wie sie sich zeigen; sie wollen nur nicht glauben, auf daß sie desto freier sündigen können! Denn nähmen sie, durch die Zeichen genötigt, Meine Lehre an, da bekämen sie ja notwendig ein Gewissen, das sie hindern würde in ihrem argen Tun und Treiben; darum glauben sie denn lieber nichts und disputieren sich gegenseitig jede noch so handgreifliche Wahrheit aus ihrem Gemüte, damit sie nur frei tun können, was ihnen ihre argen Gelüste vorschreiben. Freund, da wäre sehr viel zu reden; aber es ist hier besser, zu schweigen! Darum lassen wir sie, wie sie sind; denn was einmal des Teufels ist, das ist auf ordentlichem Wege schwer göttlich zu machen!“

26. Kapitel. Winke für Gesetzgeber.

01. Sagt Cyrenius: „Es ist gut, daß ich das weiß; das andere wird sich schon finden lassen! Weil sie Deine Lehre nicht annehmen, da werde ich für eine andere sorgen. Ich werde ihnen kaiserliche Verordnungen, die mir schon vor einem halben Jahre zur Begutachtung von Rom als schon sanktioniert eingesandt worden sind, durch Faustus und seine Knechte bekanntmachen lassen! Vielleicht wird ihnen das Evangelium aus Rom mehr Respekt einflößen als das Deine aus den Himmeln! Die Verordnung enthält hundert Punkte als Gesetze, hinter deren jedem das Kreuz und die Geißel aufgerichtet sind: Die Mehrweiberei wird aufgehoben, Unzucht und Hurerei mit der Geißel auf das schärfste bestraft, der Ehebruch mit dem Kreuze, Dieberei und Betrug mit dem Kreuze, der Schmuggel mit der Geißel und mit hundert Pfund Silbers, und dazu eine Menge Mein— und Dein—Gesetze, deren Übertretung die Geißel und hundert Pfund Silbers zur Folge haben wird! So wird ihnen auch das Reisen ohne einen Reiseschein auf das strengste untersagt sein; der Reiseschein aber wird gegen Erlegung von hundert Pfund zu bekommen sein! — Ja, das werde ich tun und werde diese neuen Gesetze besonders für diese Städte in Galiläa allerstrengstens handhaben und sehen, ob bei diesem Volke kein Gewissen mehr zu entdecken und zu erwecken ist!“

02. Sage Ich: „Das gehört in Deinen Regierungsbereich, und Ich kann dir dagegen weder mit Nein noch mit Ja antworten. Tue da, was du willst; aber erschwere damit Mir und den Meinen das notwendige Umherreisen nicht!“

03. Sagt Cyrenius: „Durchaus nicht; denn Künstler, Ärzte, Weise und Propheten sind ausgenommen! Ihre Zeugnisse, ihre Taten und Reden dienen ihnen als vollgültigster Reiseschein, und es darf sie bei Todesstrafe niemand daran hindern. Dir aber stelle ich sogleich ein Zeugnis aus, und es wird Dich niemand anhalten, so Du ihm das Zeugnis vorweisest!“

04. Sage Ich: „Mich freuet dein allzeit guter Wille; aber erspare dir dessenungeachtet diese Mühe! Denn solange Ich werde umherreisen wollen, wird es Mir keine Macht in der Welt verwehren können! Werde Ich Mich aber einmal für die gesamte Menschheit opfern wollen, so wird Mir auch keine Macht in der Welt einen Schutz bieten können; und böte sie Mir solchen auch, so würde Ich ihn dennoch nicht annehmen! Denn, Freund: Der, dem Himmel und Erde gehorchen, wird doch mächtiger sein als alle Menschen auf dieser Erde, die Mir kaum zu einem Fußschemel dienen kann!? Darum tue du zwar, was du willst; aber es wird da wenig fruchten! Denn du magst ein Gesetz noch so vollständig geben, so wirst du nur zu bald gewahr werden, mit welcher Geschicklichkeit die Menschen das Gesetz umgehen werden, und du wirst dagegen nichts tun können.

05. Gottes Gebote, die durch Moses dem Volke sind gegeben worden, sind gewiß so erschöpfend als nur etwas Vollendetes erschöpfend sein kann; aber Menschen, wie diese Zeiten zeigen, haben Gottes Gebote ganz geschickt in ihre höchst eigenen bösen Satzungen also umzugestalten verstanden, daß die jetzigen Menschen nun gar kein Gewissen mehr haben, die Gebote Gottes zu übertreten, so sie nur ihre Weltsatzungen erfüllen!

06. Wenn aber die Menschen solches am grünen Holze tun, was alles werden sie tun mit einem dürren Klotze aus Rom!? — Daher tue du zwar, was du willst, und Mir wird es recht sein; aber Ich sage dir auch:

07. Je mehr Gesetze, desto mehr Verbrecher, für die mit der Zeit eure Kreuze und Geißeln lange nicht ausreichen dürften!“

08. Sagt Cyrenius: „Das alles, was Du mir nun sagtest, ist unwidersprechlich wahr, aber ich frage Dich doch noch weiter zu meiner höchst eigenen Belehrung: Was kann man aber anwenden gegen die Widerspenstigkeit der Menschen, die vor allem gleich diesen Nazaräern an keinen Gott und an keine höhere Offenbarung mehr glauben und den Geboten Gottes mit jeder ihrer Handlungen den offenbarsten Hohn sprechen?! Soll man sie denn dann auch noch ohne schärfst sanktionierte weltliche Gesetze lassen, damit sie ohne alle Furcht ihren losen Gelüsten frönen könnten, wie es ihnen beliebig wäre, wenn sie schon seit lange her jedes göttlichen Gesetzes bar sind und es unter sich, wie mit ihren Nachbarn, weit ärger zu treiben anfangen als das reißende Wild der Wüste und Wälder?! Da, meine ich, sind scharfe, weltliche Gesetze ganz an ihrem Platze, um solche ganz wildgewordene Menschen wieder zu einer Ordnung und aus dieser zur Erkenntnis Gottes zurückzuführen!“

09. Sage Ich: „Allerdings; denn da ist kein anderer Weg möglich und denkbar als der durch den Zwang der weltlichen Gesetze! Aber es kommt nun wohl überaus sehr darauf an, was für Gesetze den Menschen zu geben sind!

10. Dazu gehört eine überaus tiefe Kenntnis der menschlichen Natur; und den wahren Grund, durch den die Menschheit zur Entartung geführt ward, darf der Gesetzgeber nie aus den Augen fallen lassen, — sonst gleicht er einem Arzte, der mit ein und derselben Medizin alle bei den Menschen vorkommenden Krankheiten heilen will, aber gar nicht bedenkt, daß die höchst verschiedenen Krankheiten, die den menschlichen Leib befallen können, auch höchst verschiedener Natur sind und jede einen andern Grund hat. Ein solcher Arzt wird dann und wann wohl hie und da einen Kranken finden, für dessen Übel seine Arznei gerade taugt, und der Kranke wird darauf gesund; aber hundert andere Kranke, deren Übel einer anderen Art und Beschaffenheit sind, werden auf solch eine Arznei nicht nur nicht besser, sondern um vieles schlechter und sterben wohl gar darauf!

11. Wenn es aber schon für den kranken Leib, den doch jeder Arzt sehen und greifen kann, schwer ist, eine rechte Arznei zu bestimmen, um wieviel schwerer ist es dann, für eine kranke Menschenseele eine rechte Arznei zu finden und zu bestimmen!

12. Das Gesetz ist wohl die Arznei, so mit dem Gesetze die rechte Lehre, wie und warum das Gesetz zu halten ist, im Verbande ist; aber denke nun selbst nach:

13. Da hast du eine zornmütige Seele, da eine furchtsame, da wieder eine ränkesüchtige, dort eine neidische, geizige und betrugslustige Seele; wieder wirst du eine forschende Seele antreffen, und der gegenüber eine träge und schläfrige; in einem Hause sitzen vier gehorsame, demütige Seelen, in einem andern fünf widerspenstige — und so fort unter zahllos vielen Eigentümlichkeiten, Schwächen und Leidenschaften.

14. Nun gibst du für all diese zahllos vielen Charaktere der Seelen ein gleiches Gesetz; wie aber wird es ihnen frommen? Der Furchtsame wird verzweifeln, der Zornige auf Rache und Umsturz zu sinnen beginnen, der Laue wird lau bleiben, und der Forscher wird allen Mut verlieren und innehalten mit seiner guten Arbeit; der Geizige wird noch geiziger werden, und der Hochmütige wird mit dem Zornigen eine Sache machen, und der Schlaue wird beiden seine Hände bieten!

15. Bedenke nun diese und tausend andere der traurigsten Folgen, die aus einem unweisen, plumpen Gesetze hervorgehen müssen, so wirst du neben der Notwendigkeit eines Gesetzes auch die andere Notwendigkeit einsehen, der zufolge ein Gesetz überaus scharf und genau dahin geprüft werden muß, ob es allen möglichen Charakteren heilsam entsprechen könne oder nicht!

16. Ist ein zu gebendes Gesetz nicht zuvor also geprüft, so soll es nicht den Menschen zur Beachtung vorgestellt werden, weil im allgemeinen es offenbar mehr Schaden als Nutzen verursachen müßte.“

17. Siehe, Gott, der allweiseste Schöpfer, hat aus Seiner endlosesten Weisheitstiefe nur zehn Gesetze gewisserart gefunden, die für alle Seelencharaktere wohltauglich sind, und jeder Mensch kann sie auch überaus leicht beachten, wenn er nur will; wenn aber Gott Selbst nur zehn Gesetze findet, die mit der Natur und Eigenschaft jeder Menschenseele in voller nutzwirkender Entsprechung stehen, wie möglich kann ein heidnischer Kaiser in Rom gleich hundert Gesetze finden, aus deren Beachtung die Menschenseelen ihr Heil schöpfen sollen?“

27. Kapitel. Mißhandlung der seelischen Natur durch menschliche Gesetze.

01. (Der Herr:) „Ich sage dir: Solange das jüdische Volk unter den Richtern stand, die allein die Gesetze Gottes aufrechterhielten, da war es auch eine lange Zeit im Leben, Handel und Wandel bis auf wenige Eigenheiten völlig der Ordnung Gottes gemäß; als es aber späterhin Gelegenheit bekam, den Glanz der Könige der Heiden zu erschauen, wie diese in großen, prunkvollen Palästen wohnten, und wie sich ihre Völker vor ihnen bis in den Staub beugten, so gefiel das den blinden Narren aus dem jüdischen Volke wohl, und sie verlangten, da sie sich für das mächtigste Volk der Erde hielten, von Gott auch einen König. Gott wollte dem dummen Verlangen des Volkes aber nicht sogleich nachkommen, sondern warnte es und zeigte ihm all die bösen Folgen, die sie unter dem Könige würden zu gewärtigen haben! Aber Gott ließ da durch die Propheten tauben Ohren predigen; es half nichts, das Volk wollte um jeden Preis einen König!

02. Und Gott gab dem Volke in Saul den ersten König und ließ ihn salben durch den alten, treuen Knecht Samuel. Als das Volk nun einen König hatte, der ihm sofort schwer zu erfüllende Gesetze gab, da erst fing es an zu sinken immer mehr und mehr — bis auf den gegenwärtigen Punkt der äußersten Verworfenheit.

03. Wer aber schuldet hauptsächlich daran? — Siehe, — die ungeschickten Gesetze, die von Menschen herrühren, die weder ihre eigenen und sicher noch weniger ihrer Nebenmenschen Naturen gekannt haben und mit ihren plumpen und nur auf den speziellen Eigennutz berechneten Gesetzen alles innere Seelenleben gänzlich zugrunde richteten!

04. Sage dir es selber und denke wohl darüber nach: Wenn da irgendwo bestünde ein mechanisches Kunstwerk, das lange Zeit gut ging und dem Willen des Meisters entsprach, aber endlich doch stehenblieb, weil daran irgendein Teil schadhaft geworden war, und es käme dann ein Mensch voll Aufgeblasenheit und Eigendünkel und spräche zum Besitzer der Maschine: ,Übergib mir das Werk, ich werde es herstellen!‘, und der Besitzer täte dies in der Meinung, daß der Großsprecher ein Verständiger sei, — was wird, wenn der Maulreißer seine höchst ungeschickten Hände ans Werk legt, nur zu bald und zu sicher aus der Maschine werden? Wird dieser, aller mechanischen Kenntnis im Grunde des Grundes völlig bare Maulreißer, der vom ebenfalls blinden Maschinenbesitzer nur einige Goldstücke herauspressen will, der Maschine nicht mehr schaden als nützen? Oder wird er sie am Ende nicht also gänzlich verderben, daß darauf sogar der wirkliche Meister, der die Maschine gebaut hatte, sie kaum mehr wird zurechtbringen können?

05. Wenn aber das schon bei einer höchst einfachen, plumpen Maschine, deren Teile offen liegen, leicht zu zählen, zu übersehen und allenthalben mit Händen zu greifen sind, notwendig der Fall ist und sein muß, so ein unverständiger Maulreißer sie herstellen will, um wie viel mehr muß der Mensch, der in allen seinen Teilen die allerweisest kunstvollste Lebensmaschine ist, von deren totaler Zusammenfügung nur Gott allein die vollste Kenntnis und Einsicht hat, notwendig verdorben werden, so ein unwissender und höchst unweiser, selbstsüchtiger Gesetzgeber ihn durch allerplumpste und zweckwidrigste Gesetze bessern will, wo er doch nicht die leiseste Spur von einer Kenntnis besitzt, durch die er wenigstens nur zum tausendsten Teile einsähe, was alles dazu gehört, um nur ein Haar auf dem Haupte eines Menschen wachsen zu machen!

06. Darum, Mein liebster Freund Cyrenius, laß du deine vermeinten hundert Gesetze fein zu Hause; denn du würdest damit niemanden wahrhaft bessern! Laß aber dafür die Gesetze Gottes walten und sanktioniere sie; durch die Beachtung derselben wirst du aus den Menschenmaschinen wirkliche Menschen machen.

07. Sind sie erst Menschen geworden, dann kannst du ihnen des Staates Bedürfnisse vortragen, und sie werden dann als wahre Menschen freiwillig mehr tun, als sie je als geknebelte Sklaven harter, plumper Gesetze tun könnten.

08. Ich sage dir: Nur das, was ein Mensch aus freiem Willen nach seiner frei und somit wohlgebildeten Einsicht tut, ist wahrhaft getan und bringt Nutzen auf eine oder die andere Art; jede erzwungene Arbeit und Tat aber ist nicht eines Staters wert. Denn bei jeder gezwungenen Arbeit und Tat arbeitet allzeit Zorn und Rache gegen den Zwinger (Zwingherrn) mit, und das kann ewig kein Segen für was immer für ein Werk sein.

09. Wenn du, liebster Cyrenius, diese Meine Worte recht durchdenken wirst, so wird es dir vollends klar sein, daß Ich dir nun die vollste Wahrheit gesagt habe!“

10. Sagt Cyrenius: „Edelster, göttlichster Freund, da brauche ich wahrlich nicht viel nachzudenken; denn Deine Worte sind ja so klar und wahr wie die Sonne am hellsten Mittage, und ich werde das tun, was Du mir geraten hast. Das Mosaische Gesetz werde ich neu sanktionieren und das Volk zu nötigen verstehen, danach zu handeln! Edelster Freund, so es Dir genehm wäre, würde ich mit Deiner geheimen geistigen Hilfe auch den Griechen das mir wohlbekannte Mosaische Gesetz zu strenger Beachtung verkündigen lassen! Mir kann es dazu sogar an einem politischen Grunde nicht fehlen; denn bekanntlich gibt es zwischen den Juden und Griechen gleichfort Reibungen, die stets und zumeist auf Grund des verschiedenen Glaubens an Gott und der ebenso verschiedenen Erkenntnis desselben entstehen. Die Juden behaupten auf Mord und Brand das ihrige, und die Griechen dagegen, die den Juden in der Dialektik bei weitem vor sind, verhauen mit ihren geläufigen Zungen die schwerfälligen Juden auf eine solche Weise, daß sie den Griechen nicht eins auf tausend zu erwidern imstande sind, und es kommt daher nicht selten zwischen beiden Parteien zu blutigen Tätlichkeiten, was doch sicher keine wünschenswerte Folge von den bestehenden Glaubens— und Gottesgesetzesdifferenzen ist.

11. So ich aber auch den Griechen das jüdische Gottesgesetz zur strengen Beachtung gebe und es, wie gesagt, auch aus politischen Gründen vom Staate sanktioniere, so werden derlei mir stets äußerst unangenehmen Reibungen sicher unterbleiben. Herr und Meister, habe ich recht, wenn ich das tue? Und so ich es tue, da sage es mir aus Deiner unergründlichen Weisheitstiefe, wie ich das anstellen soll, um den vorgestellten guten Zweck zu erreichen!“

28. Kapitel. Von der Freiheit des Geistes.

01. Sage Ich: „Freund, dein Wille ist gut, aber das Fleisch ist schwach! Dein gutes Vorhaben wird wohl im Verlaufe eines Säkulums (Jahrhunderts) zur vollen Wirkung kommen, und du wirst dazu noch manches Gute als Vorbereitung zustande bringen, — aber hüte dich in geistigen Lebensdingen vor nichts mehr als vor dem römischen ,Muß‘; denn solches schadet dem Menschen allzeit mehr, als es ihm je nützen kann! Denn jedes Muß ist ein Gericht und läßt keine Freiheit zu, die in den rein göttlichen Lebensdingen doch das einzige wohlgedüngte Feld ist, auf dem der Same des Lebens keimen, treiben und endlich zur segensreichen und reifen Lebensfrucht gedeihen kann!

02. So du einen jungen Vogel, der erst dem Ei entkrochen ist, nimmst und fütterst, auf daß er eher flugstark werde, ihm aber neben der sonst guten Fütterung gleichfort die Flügel stutzest, sage, wird da dem Vogel selbst die beste Fütterung zu etwas nütze sein? Der Vogel wird wohl vegetieren, aber mit dem freien Fliegen wird es so lange einen ganz mächtigen Haken haben, als wie lange du ihm die Flügel stutzen wirst!

03. Wie aber der Vogel ohne Flügelfedern nicht fliegen kann, so kann auch der Geist des Menschen nie zur freien Lebenstätigkeit gelangen, wenn ihm durch das sanktionierte Muß die Flügel der freien Erkenntnis gestutzt werden. Ein Geist ohne freie Tätigkeit aber ist schon darum tot, weil er das nicht hat, was im Grunde des Grundes sein Leben bedingt und ausmacht.

04. Du kannst dem Menschen tausend Gesetze geben für seine bloß irdische Lebenssphäre und sie alle unter Muß sanktionieren, so wirst du damit dem Geiste des Menschen viel weniger schaden, als so du ihm ein einziges Gottesgebot weltlich sanktionierest.

05. Das Geistige muß frei bleiben und muß die Sanktion in sich selbst frei bestimmen, sowie das damit verbundene Gericht; und so erst kann es in und aus sich des Lebens Vollendung erreichen.

06. Die freien Erkenntnisse des Guten und Wahren sind des Geistes Lebenslicht; aus diesen bestimmt er für sich dann selbst die ihm zusagenden Gesetze. Diese Gesetze sind dann freie Gesetze und sind allein mit des Lebens Freiheit für ewig verträglich. Des Geistes Wille nach den Erkenntnissen ist das freie Gesetz im Geiste, und die ewige Notwendigkeit, nach dem freien Willen zu handeln, ist die ewige Sanktion, nach der auch sicher kein Geist anders handeln kann, als er eben frei handeln will.

07. Und siehe, das ist denn auch die sich ewig selbst bestimmende Ordnung in Gott, der doch sicher keinen Gesetzgeber über Sich hat.

08. Gottes freiester Wille bestimmt nach den ewig vollkommensten Erkenntnissen und weisesten Einsichten in Ihm Selbst das Gesetz und sanktioniert dieses durch die höchst eigene, obschon noch immerhin freie Notwendigkeit; und diese ist dann der Grund aller geschaffenen, irdischen Dinge und ihres Bestandes insoweit, als dieser zur inneren Ausbildung, Konsistierung (Festigung) und endlichen freien Isolierung (Verselbständigung) des Geistes notwendig ist.

09. Der menschliche Geist aber soll ebenso vollkommen werden in sich und durch sich, wie der Urgeist Gottes in Sich und durch Sich vollkommen ist, ansonst der Geist kein Geist, sondern ein gerichteter Tod ist.

10. Damit aber der Menschengeist das werden kann, muß ihm die Gelegenheit geboten werden, sich ebenso entwickeln zu können in der Zeit, wie sich der göttliche Geist in Gott Selbst von Ewigkeit her in, aus und durch Sich Selbst gebildet hat!

11. Siehe, Ich hätte doch sicher von Ewigkeit her Macht genug, alle Menschen mit unwiderstehlicher innerer Gewalt zu zwingen, nach irgendeinem gegebenen Gesetz also genau zu handeln, daß sie davon nicht um ein Haarbreit abweichen könnten; aber dann würde der Mensch aufhören ein Mensch zu sein, und er wäre ebensogut ein Tier wie irgendeines aus dem großen Reiche desselben. Er würde dann seine Arbeit freilich höchst genau verrichten, aber an der Arbeit selbst würdest du ebensowenig irgendeinen Unterschied entdecken wie bei der zellenbauenden Arbeit der Bienen und zahllos vieler andern großen und kleinen Tiere.

12. Wolltest du aber dann mit deiner freien Erkenntnis solche Tiermenschen zu etwas Höherem bilden, so würdest du dann mit ihnen ebensowenig auszurichten imstande sein, als wenn es dir einfiele, die Bienen in eine Schule zu geben, in der sie endlich einmal ihre Zellen auf eine bessere und zweckmäßigere Weise zu bauen anfangen sollten.

13. Deshalb mußt du die Fähigkeit der Menschen, daß sie sündigen können, nicht so niedrig und nicht als zu sehr verbrecherisch anschlagen; denn ohne die Fähigkeit, den gegebenen Gesetzen zuwiderzuhandeln, wäre der Mensch ein Tier und kein Mensch!

14. Und Ich sage es dir: Die Sünde gibt dem Menschen erst das Zeugnis, daß er ein Mensch ist; ohne diese wäre er ein Tier!“

29. Kapitel. Der Segen der freien Entwicklung.

01. (Der Herr:) „Es ist daher zwar wohl gut und recht, die Sünder zu strafen, wenn sie zu sehr von der Ordnung abweichen, die Gott Selbst zur sicheren und in kürzester Zeit möglichen Vollendung gesetzt hat; aber mit einem eisernen Muß soll niemand von der Möglichkeit zu sündigen abgehalten werden. Denn wahrlich sage Ich dir: Mir ist ein Sünder, der frei aus sich Buße tut, lieber als neunundneunzig Gerechte nach dem Maße des Gesetzes, die der Buße nie bedurft haben; der ist ganz Mensch, die andern nur zur Hälfte!

02. Ich will aber damit freilich nicht sagen, daß Mir darum ein Sünder lieber wäre denn ein Gerechter, weil er etwa allzeit ein Sünder ist — denn in der Sünde verharren heißt: ebenfalls ein Tier werden, das nur mehr aus der falschen instinktartigen Begründung ein schmutziges Leben fristet —; sondern es ist hier nur von einem Sünder die Rede, der das Unrecht, dem Gesetze zuwidergehandelt zu haben, in sich frei erkennt, sich nach der erkannten Ordnung Gottes neu zu bestimmen anfängt und zu einem Menschen wird, dem keine Schule des Lebens fremd geblieben ist.

03. Solch ein Geist wird in Meinem Reiche dereinst endlos Größeres zu leisten imstande sein als einer, der stets aus einer sklavischen Furcht nie um ein Haar vom Gesetze abgewichen ist und sich in solcher, durch die Furcht gezwungenen Beachtung des Gesetzes zu einer keinen eigenen Willen habenden Maschine herab begründet und sich leiblich und geistig in dieselbe hineingelebt hat.

04. Nimm einen Stein und wirf ihn in die Höhe! Es wird nicht lange währen, so wird er, nach dem in ihn wie in die ganze Erde gelegten Mußgesetz, nur zu bald in sicher kürzester Zeit zur Erde herabfallen. Ist der Stein darum zu loben, daß er das Gesetz gar so genau beachtet? Du kannst zwar mit dem Steine da, wo es sich um eine feste Unterlage handelt, alles mögliche tun; schaffe aber dem Steine irgendeine freie Tätigkeit, und er wird seine tote Ruhe nie verlassen!

05. Darum sollst du aus Menschen nicht Steine machen durch Mußgesetze, sondern sie nur bilden in ihrer Freiheit, — dann hast du völlig der Gottesordnung gemäß gehandelt.

06. Siehe, wären die Menschen, die hoch obenan stehen auf der Erde, nicht so träge, wie sie mit seltener Ausnahme sind, so würden sie bei nur einigem Beobachtungsgeiste gar leicht wahrgenommen haben, daß der Mensch, wenn er nur einen gewissen Grad von irgendeiner Bildung erreicht hat, sich ewig nimmer mit der tierischen Einförmigkeit begnügt. Er baut sich zu seiner Wohnung keine Hütte mehr aus Reisern, Stroh und geknetetem Lehm, sondern er behaut Steine und macht aus Lehm Backsteine, baut sich daraus ein stattliches Haus mit Ringmauern und baut dazu feste Türme, von deren Zinnen er weit umhersehen kann, ob sich seinem Hause kein Feind nahe!

07. Und so bauen tausend gebildete Menschen sich sicher auch tausend Häuser, von denen keines dem andern gleicht — weder in der Form, noch in der inneren Einrichtung; betrachte aber dagegen die Nester der Vögel und die Lager der Tiere, und du wirst nie irgendeine Veränderung daran entdecken! Betrachte das Nest der Schwalbe, des Sperlings, siehe an das Gewebe der Spinne, die Zelle der Biene und tausend andere von den Tieren herrührende Produkte und Machwerke, und du wirst nie eine Verbesserung und auch so nie eine Verschlechterung daran entdecken; betrachte aber dagegen das Machwerk des Menschen: welch eine nahe ans Unendliche streifende Mannigfaltigkeit wirst du daran entdecken! Und doch sind es immer die einen und dieselben Menschen, die das alles mit oft großen Mühen zustande bringen!

08. Daraus aber läßt sich ja schon mit den Händen greifen, daß Gott, der dem Menschen einen Ihm ähnlichen Geist gab, eben den Menschen nicht zum Tierwerden, sondern zum völlig freiesten Gottähnlichwerden erschaffen hat.“

30. Kapitel. Entwicklung und Gesetz.

01. Der Herr: „Wenn aber der Mensch, ohne Unterschied des Geschlechtes, der Hautfarbe und des irdischen Standes, für solch allerhöchsten Beruf von Gott erschaffen worden ist — was du nun sicher mit den Händen greifen kannst —, so kann seinem geistigen Teile ewig kein Mußgesetz gegeben werden, so aus ihm endlich das werden solle, wozu ihn Gott bestimmt hat; sondern da solle ein jedes Gesetz mit ,Soll‘ gegeben sein, und nur für offenbar böswillige Gegner des freien Gesetzes solle eine taugliche, stets auf die freie Besserung des Menschen berechnete Züchtigung gesetzt sein, die aber allzeit so gestellt sein solle, daß sie nicht als eine willkürliche, sondern nur als eine notwendige Folge des unterlassenen Ordnungsgesetzes erscheint. So wird der menschliche Geist dadurch zuerst zum selbständigen Denken gelangen und wird das gegebene Gesetz ehest zu dem seinigen machen und danach handeln, während eine ganz willkürlich bemessene Strafe auf ein Vergehen das menschliche Gemüt allzeit verhärtet und erbittert und aus dem Menschen einen Teufel zieht, dessen Rachgier nicht eher erlöschen wird, als bis er sich, entweder noch in dieser, ganz sicher aber in der andern Welt, auf das unerhörteste rächen wird, — was ihm zugelassen werden muß, weil er sonst in der Hölle seines eigenen Herzens ewig nie zu bessern wäre!

02. Der Gesetzgeber und Züchtiger soll nie vergessen, daß der Geist des Menschen, ob gut oder böse, nicht getötet werden kann, sondern fortlebt! Solange er noch sichtbar auf der Erde umherwandelt, kannst du dich ihm zur Wehr stellen und ihn vertreiben, wenn er dich verfolgt; ist er aber einmal aus dem Leibe und kann sich dir nahen auf tausendfache Art, um dir zu schaden bei jedem Schritte und Tritte, ohne von dir gesehen und wahrgenommen zu werden, — sage, mit welchen Waffen kannst du ihm dann entgegentreten?

03. Siehe, nun sage Ich dir: Dein großes Unglück, das dich ohne Mich gänzlich zermalmt hätte, hast du rein jenen Geistern zu verdanken, die du dir durch deine oft zu straffe Handhabung der römischen Staatsgesetze zu unversöhnlichen Feinden gemacht hast! Laß dir daher diese Meine umfassende Belehrung fruchtbringend zu Gemüte führen, so wirst du dadurch selbst ein guter Arbeiter im Weinberge Gottes werden, denn dir fehlt es weder an Macht, noch an Mitteln und an einem stets gleich guten Willen; was dir aber gefehlt hat, das hast du nun von Mir empfangen. Wende es treulich an, und der segensreichsten Früchte Krone wird für dich sicher nicht unterm Wege verbleiben!“

04. Sagt Cyrenius ganz gerührt von der praktischen Weisheit dieser Meiner an ihn ergangenen Lehre: „O Du mein heiligster, erster und größter Freund, Meister und Gott meines Herzens! Nun erst bin ich vollends klar, und tausend und aber tausend Begebnisse aus meinem Leben tauchen nun auf, und ich sehe nun erst, daß eben ich selbst bei meinem sonst ehrlichen und guten Willen an jenen gegen die Ordnung Gottes bei weitem mehr und stärker gesündigt habe als alle, die ich deshalb, leider nach der ganzen Strenge der Gesetze, habe richten lassen. Wer aber wird nun solche meine gröbsten Sünden vor Dir, o Herr, je gutmachen können?“

05. Sage Ich: „Freund, sei darum ruhig! Bei Gott ist kein Ding unmöglich, und Ich habe für dich schon lange alles gutgemacht, — ansonst du nicht bei Mir wärest!“

31. Kapitel. Des Jairus Rede über die Wunderwirkungen.

01. Sagt darauf auch Jairus: „Ja, ja, du mächtiger Cyrenius, du hast völlig recht, daß du von dir selbst aussagst, daß du nun vollends im reinen bist in deinen nunmaligen Einsichten; denn auch ich und sicher ein jeder aus uns ist es und kann die ewige Notwendigkeit auf Grund der allerunbestreitbarsten Wahrheit einsehen, wie da alles beschaffen ist, und wie der Mensch beschaffen sein soll. Aber was kann man da tun? Die Menschheit ist zu tief herabgekommen; sie versteht eine sanfte freie Lehre nicht, und es wäre — gerade herausgeredet — schade um die Zeit, die man dazu verwenden möchte, weil man sich damit nichts als eine fruchtlose Mühe gäbe, aus der kaum Disteln und Dornen als Frucht zum leersten Vorscheine kämen! Also auf die sanfte Art ist keine Wirkung möglich, wenigstens nicht bei den mir nur zu bekannten Juden!

02. Das Volk aber durch Wunder lehren, ist zwiefältig schlecht: einmal schlecht, weil der Mensch, durch ein Wunder zur Wahrheitsannahme bewogen, ein gerichteter, unfreier Mensch ist und dem durch ein Wunder bekräftigten Worte nicht der kaum erkannten Wahrheit, sondern nur des mächtigen Wunders wegen glaubt und nicht aus innerer Überzeugung und daraus hervorgehender Selbstbestimmung, sondern aus purer knechtischer Furcht vor irgendeiner plötzlichen Strafe nach dem vernommenen Worte tätig wird. Versteht aber einer, ihm das Wunder recht geschickt auszureden, so wird er auch sicher der erste sein, der dem Worte und dem Glauben darauf ein ganz fröhliches Lebewohl nachrufen wird! Und zum andern Male ist die durch ein Wunder bekräftigte Lehre schlecht, weil das Wunder, das als solches kein Bleibens haben kann, nicht auf die späteren Generationen übergeht, ein erzähltes und nicht erlebtes Wunder aber ohnehin keinen andern Wert als ein erzähltes Kindermärchen hat und haben kann.

03. Könnte man aber ein Wunder auch bleibend machen, oder würde man allen Lehrern dieser hier vernommenen Wahrheiten die Fähigkeit geben, allzeit Wunder zu wirken, so würde fürs erste ein bleibendes Wunder von dem Menschenverstande nur zu bald in die Reihe der täglich natürlichen Erscheinungen gestellt werden und den kräftigen Beweisgrund verlieren. Ein Wunder aber, das von allen Wahrheitslehrern zu allen Zeiten gewirkt werden würde, würde fürs zweite eben auch alltäglich werden wie sonst irgendeine alltägliche Zauberei der Gassengaukler, die ich zwar auch nicht nachzuahmen imstande bin, und bei der ich nicht einsehe, wie und mit welchen Mitteln sie zustande gebracht wird; aber weil man derlei nur zu oft sieht, so verliert es den Wert des eigentlich Wunderbaren und sinkt zum Alltäglichen und ganz Gewöhnlichen herab.

04. Ist nicht alles Wunder über Wunder, was uns täglich umgibt? Was wir hören, sehen, fühlen, riechen, schmecken — ist nichts als Wunder über Wunder! Aber weil alles das bleibend ist und in einer stets gleichen Ordnung fortschreitend geschieht, so verliert es den Charakter des Wunderbaren und nimmt auch keines Menschen Gemüt mehr wie ein Gericht für den Glauben gefangen; nur einige Naturkundige beschäftigt es wissenschaftlich. Diese legen ihr Ohr auf die Erde und geben sich alle Mühe, um etwa doch das Gras wachsen zu hören; aber da sie mit aller ihrer Mühe dabei wenig oder nichts herausbringen und nicht erfahren können, wie da das Gras wächst, so tun sie am Ende doch mit weise tuender Miene, als verstünden sie es. Weil sie aber das Gras nicht wachsen machen können, so lernen andere alte, schon sehr abgenutzte Zauberstücklein, schlagen damit die Blinden breit und machen dabei aber die Sehenden darüber lachen, wie die Blinden sich von ihnen auf die harmloseste Weise breitschlagen lassen.

05. Es ist demnach gewiß, daß die Wunder im Grunde des Grundes entweder wenig oder, was meistens der Fall ist, zur Besserung der Menschen gar keinen Wert haben, weil das, was ich von den Wundern nun gesagt habe, leider nur zu wahr ist; sie erwecken wohl zumeist die neugierdevolle Gafflust der Zuseher, aber die finsteren Bande des Herzens lösen sie bei aller Ängstigung der Seele dennoch nicht, und die Wundergaffer bleiben unverändert dieselben, die sie ehedem waren, und fragen sich höchstens untereinander, zumeist so dumm als möglich: ,Aber wie er, der Wundermann, doch das zustande gebracht hat!?‘ Der noch dümmere Teil aber sieht um den Wundermann ohnehin lauter Teufel und deren Spukwerk.

06. Wenn aber sogestaltig auf dem Felde der Wundertäterei so wenig erwünschte Früchte zum Vorschein kommen und nach Deiner klarsten Darstellung, o Herr und Meister, durch die äußere Zwangsgewalt der Gesetze noch wenigere und schlechtere, für die freie Belehrung aber nun unter tausend Menschen kaum fünf aufnahmefähig sind, so glaube ich nun nicht mit Unrecht noch einmal die wichtige Frage zu stellen: Was soll man als Lehrer endlich tun? Das Wunder verdirbt, das strenge Gesetz verdirbt auch, — und für die freie Belehrung aus der göttlichen Weisheitstiefe ist nur überaus selten ein Mensch völlig aufnahmefähig! Wie kann man sich aus diesem Dilemma (Zwangslage) wirkend frei machen? Wie kann man denn mit einem Schiffe durch die weltbekannte Szylla und Charybdis also kommen, daß man weder von der einen noch von der andern verschlungen wird?“

32. Kapitel. Grundzüge vom Wesen Gottes.

01. Sage Ich: „Mein Freund, du hast ganz richtig geurteilt; aber eines hast du dennoch vergessen, und das besteht darin, daß bei Gott gar viele Dinge möglich sind, die die Menschen als unmöglich erachten. Siehe und zähle Meine Jünger! Es sind wenig Schulgebildete darunter; Ich aber habe sie zuerst durchs Wort geweckt und an Mich gezogen und habe sie darauf erst die vorgesagte Macht des göttlichen Wortes tatsächlich erfahren lassen. Eine Wundertat aber nach dem vorangegangenen reinen Worte ist kein Gericht mehr, sondern nur eine Bekräftigung des Wortes.

02. Aber Ich setze die Beweise dennoch nicht in die Wundertaten, die Ich verrichte, sondern in das Licht des Wortes selbst und sage: Wer völlig nach Meinem Worte leben wird, der wird es erst in sich zur lebendigen Überzeugung bringen, daß Meine Worte keine leeren Menschen—, sondern Gottesworte sind!

03. Wahrlich, wer in seinem Herzen nicht diesen nun ausgesprochenen Beweis überkommen wird, dem werden alle andern Beweise wenig oder nichts nützen! Denn Meine Worte sind selbst Licht, Wahrheit und Leben.

04. Wer daher Mein Wort hört, es annimmt und danach lebt, der hat Mich Selbst in sich aufgenommen; wer aber Mich aufnimmt, der nimmt auch Den auf, der Mich in die Welt gesandt hat, aber dennoch vollkommen eins ist mit Mir. Denn was Ich will, das will auch Er! Und Er ist kein anderer denn Ich und Ich kein anderer denn Er bis auf die Haut, die uns beide umgibt. In wem aber, wie in Mir, Liebe und Weisheit in einem Herzen wohnen, der ist wie Ich und Der, der Mich in diese Welt gesandt hat zur Heilung und Beseligung aller, die an den Sohn des Menschen glauben werden! — Verstehet ihr das?“

05. Sagen viele: „Ja, Herr!“; aber einige sagen: „Herr, dies ist zum ersten Male eine etwas harte Lehre, und wir fassen ihren Sinn kaum. Wie kannst Du und Dein Wort ein und dasselbe sein?“

06. Sage Ich: „Wenn ihr das nicht zu fassen vermöget, was so klar wie die Sonne des Mittags vor euch leuchtet, wie werdet ihr dann Größeres fassen? Wenn ihr das Irdische nicht begreift, wie werdet ihr dann Himmlisches fassen? — Was und wer ist denn der Vater? Sehet und vernehmet: Die ewige Liebe in Gott ist der Vater! — Was und wer ist denn der Sohn? Was aus dem Feuer der Liebe hervorgeht, das Licht, welches da ist die Weisheit in Gott! Wie aber Liebe und Weisheit eines ist, so sind auch Vater und Sohn eins!

07. Wo ist denn jemand unter euch, der in sich nicht hätte irgendeine Liebe und nicht irgendeinen entsprechenden Grad Verstandes? Ist er aber darum zweifach in seinem Wesen? Oder so da brennt eine Lampe mit einer hellen Flamme, die doch sicher Feuer ist, muß er denn überall eine Flamme anzünden, wo er in der Nacht in einem und demselben Zimmer etwas sehen will? Oder beleuchtet nicht eine helle Flamme dasselbe eine Zimmer so gut, daß man im ganzen Zimmer hell genug hat? Geht denn nicht das Licht von der Flamme, die ein Feuer ist, aus? Und weil es von der Flamme ausgeht, ist es darum etwas anderes als die leuchtende Flamme selbst? — O ihr Blinden! So ganz natürliche Dinge vermöget ihr nicht zusammenzubringen, — wie wollt ihr hernach Himmlisches begreifen?

08. Darum, wer aus euch an Mir sich irgend ärgert, der ziehe heim und tue und glaube, was ihn gut und recht dünkt! Denn dereinst wird jeder seines Glaubens leben, und die Taten, die er nach dem Glauben aus seiner Liebe verrichtet hat, werden seine Richter sein!

09. Denn Ich werde niemanden richten, sondern jedes Menschen Richter wird seine eigene Liebe sein — nach diesem Meinem Worte, das Ich nun zu euch geredet habe!“

10. Nach dieser Erklärung treten die, welche früher Meine Rede nicht verstanden haben, zu Mir und bitten Mich, daß sie bleiben dürfen; denn es finge nun bei ihnen an, schon heller zu werden, und sie würden sich alle Mühe geben, Mein Wort klarer zu verstehen, als es bisher der Fall gewesen sei!

11. Und Ich sage: „Habe Ich euch doch nie fortgeschafft, sondern nur den Rat erteilt allen, die sich an Mir ärgern möchten, daß sie um ihres Heiles willen lieber gehen sollten, als sich etwa noch fürderhin zu ärgern! Da Ich euch sonach nicht fortgeschafft habe, warum solltet ihr nicht bleiben dürfen? Bleibet, so ihr ärgerlosen Herzens seid!“ — Nach solchem Bescheide treten sie zurück und sind damit ganz zufrieden.

33. Kapitel. Heilung der kranken Angehörigen eines alten Juden.

01. Aber da kommt auf einmal ein alter Jude aus der Gegend von Nazareth ins Zimmer und fragt gar ängstlich nach Mir. Die Jünger zeigen Mich ihm, und er tritt zu Mir hin, fällt auf seine Knie nieder und spricht mit einer weinerlichen Stimme:

02. „Lieber Meister, Sohn meines alten Freundes Joseph! Ich habe von deiner wunderbaren Art, die Kranken zu heilen, vernommen und begab mich daher in meiner größten Not zu dir, da ich gehört habe, daß du dich nun wieder in Nazareth aufhieltest.

03. Siehe, ich zähle bereits neunzig Jahre und bin schon sehr mühselig; ich habe aber Kinder und Kindeskinder, die mich allzeit mit aller Liebe und Aufmerksamkeit gepflegt haben. Nun aber kam eine unbekannte, böse Krankheit unter sie, so daß sie nun alle daniederliegen, und ich als ein kraftloser, alter Greis bin der einzige Verschonte im Hause und weiß mir nicht zu helfen. Kein Nachbar getraut sich zu mir ins Haus aus Furcht, von der bösen Krankheit selbst ergriffen zu werden, und so stehe ich hilflos allein und weiß mir nicht mehr zu raten und zu helfen! Ich habe zu Gott dem Herrn gebetet, daß Er mir helfe — auch durch den Tod, so es Sein Wille sei!

04. Als ich aber also betete, siehe, da kam ein Mensch ans Fenster meines Gemaches und sagte: ,Was zweifelst du denn, da die Hilfe dir so nahe ist?! Gehe hin ins Haus Josephs! Der Heiland Jesus ist daselbst; Der allein kann und wird dir helfen!‘ — Darauf raffte ich alle meine Kräfte zusammen, übergab alle meine Kranken, denen ich ohnehin nicht helfen kann, Gott dem Herrn und machte mich auf den eben nicht weiten Weg hierher zu dir. Und da ich denn so glücklich war, dich, du guter, lieber Heiland, anzutreffen, so bitte ich dich denn nun auch aus allen meinen Lebenskräften, daß du hingingest und Hilfe gäbest meinen siebzehn Kranken, die gar entsetzlich von der unbekannten Krankheit geplagt werden!“

05. Sage Ich: „Ich habe es Mir für diese Gegend zwar vorgenommen, wegen des zu großen Glaubensmangels kein Zeichen mehr zu wirken; aber wenn du glauben kannst, daß Ich dir zu helfen vermag, so ziehe getrost heim, und dir geschehe, wie du geglaubt hast!“

06. Auf diese Worte dankte der Greis voll tiefster Rührung und begab sich nach Hause. Und als er, selbst ganz gestärkt, sich dem Hause nahte, da kamen ihm alle siebzehn so gesund, als wären sie nie krank gewesen, entgegen, begrüßten ihn wie stets aufs freundlichste und gaben ihm die vollste Versicherung, daß sie vor einer halben Stunde urplötzlich gesund geworden wären, versucht hätten aufzustehen und sich beim Aufstehen viel stärker fühlten denn je früher im gesunden Zustande. Sie hätten ihn schon überall gesucht und sich schon sehr gesorgt um ihn.

07. Als der Alte solches vernahm, da merkte er, daß die böse Krankheit die Seinen um dieselbe Zeit verließ, als Ich in Meinem Hause zu ihm gesagt hatte: ,Dir geschehe, wie du geglaubt hast!‘

08. Im Hause erst, als ihn die Seinen baten, daß er ihnen kundgeben möchte, wo er war, sagte er: „Ich hatte vernommen, daß der nun weltberühmte Heiland Jesus sich wieder in Nazareth aufhalte, und ich machte mich auf und ging hin, — und seht, er erhörte mich und sagte bloß: ,Dir geschehe, wie du geglaubt hast!‘ Und ihr seid auf dieses sein Wort im Augenblick gesund geworden! Saget nun selbst, ob so etwas je in ganz Israel ist erlebt worden!“

09. Sagen die Gesundgewordenen: „Höre du, Vater, wenn so, da muß er mehr sein denn ein Wunderheiland allein! Vater, dies ist am Ende gar einmal wieder ein großer Prophet, größer denn Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel, ja vielleicht so groß wie Moses, Aaron und Elias! Nur denen war es möglich, mit der Hilfe Jehovas solche Wunder zu tun, da ihnen alle Geister sowohl unter der Erde als auf der Erde, im Wasser und in der Luft völlig untertänig sein mußten! Wenn sie aber einem so übergroßen Propheten untertänig sind, dann muß er freilich wohl alles im Augenblick zu bewirken imstande sein, was er nur will!

10. Aber wie kam der Zimmermannssohn zu solch einer unermeßlichen Gnade von Gott? Wir kennen ihn ja alle recht wohl; es werden kaum drei Jahre her sein, daß er mit seinen Brüdern bei uns gezimmert hat! Da war nichts Ähnliches an ihm zu entdecken! Er müßte solch eine Gabe erst vor kurzem erhalten haben!? Ein sehr frommer Mensch war er wohl immer; sein Benehmen war immer höchst anständig; er war ein stiller Arbeiter und redete nur das Nötigste; lachen sah man ihn nahezu nie, aber auch nie trauern; und so kann Jehova seine Tugenden wohl angesehen haben und hat ihm nun gegeben solche Gnade! Denn Jehova sieht ja auf das weltliche Ansehen der Person eines Menschen nie, sondern bloß auf dessen reines, unbescholtenes Herz!“

11. Spricht der Alte: „Ja, ja, da möget ihr wohl recht haben, — es wird schon also sein; aber wenn es unfehlbar also ist, da müssen wir morgen in aller Frühe hingehen und ihm unser Lob und unsern Dank darbringen! Denn vor einem von Gott sichtbar berufenen und mit Seinem Geiste gesalbten Propheten soll jeder Mensch seine Knie beugen! Denn nicht der Prophet, sondern Gott Selbst ist es, der da redet und wirket durch das Herz und durch den Mund desselben!“

12. Sagen alle: „Amen, dies sei unsre erste und höchste Pflicht!“ — Diese Menschen begaben sich nun ins Haus, und die Jungen bereiteten ein Abendmahl; denn sie waren alle hungrig.

34. Kapitel. Szene zwischen den erbgierigen Pharisäern und dem Schwiegersohne des Alten.

01. Es hatten aber die Pharisäer von Nazareth erfahren, daß dieses Hauses Bewohner also gefährlich krank seien, daß sie nimmer gesund zu werden vermöchten. Sie gingen hin, um über das Erbzehntel und über die Begräbnisse zum voraus alles abzumachen; denn nach dem Tode hatten sie kein Recht mehr auf die Hinterlassenschaft, weil der Kranke ohne ihren Beistand verstorben ist, — in welchem Falle dann der Staat als Erbe eintrat. Als also aus diesem Grunde die Pharisäer hinkamen schon spät in der Nacht, als dieses Hauses Leute sich nach dem Abendessen schon zur Ruhe zu begeben anfingen, da machten die schon sehr habgierigen Beförderer der Seelen ins andere Leben ganz verzweifelt große Gesichter, als sie dieses Hauses, wenigstens zur Hälfte tot vermeinten Leute bei der besten Gesundheit antrafen.

02. Der erste, ganz behutsam mit verhaltenem Atem eintretende Pharisäer sagte: „Ja, was ist denn das? Lebet ihr denn noch? Wir vermeinten, daß ihr schon wenigstens zur Hälfte dahingeschieden wäret, und sind daher gekommen, eure Seelen einzusegnen und eure Leiber zu beerdigen nach der Sitte unserer Väter! Wer hat euch denn gesund gemacht? Borus sicher nicht! Wir wissen, daß er nicht zu euch ging, als er gerufen ward; denn er hatte sicher gleich uns eine starke Furcht vor eurer äußerst bösen Krankheit. Wer also war euer Arzt?“

03. Sagt der Schwiegersohn des Alten, der ein kräftiger Mann war im Arbeiten und Reden: „Was fraget ihr darum? Ihr habt uns nicht geholfen, und somit sind wir einander gegenseitig nichts schuldig! Ihr seid nicht unseres Heils willen zu uns gekommen, sondern des Erbzehntes wegen; und ich sage es euch: da könnet ihr euch ewig von unserem Hause fernhalten! Denn könnet, wollet und getrauet ihr euch einem in aller Gefahr stehenden Hause keine Hilfe zu schaffen, dann brauche euch, wer euch will! Dieses Haus wenigstens wird nimmer ein Begehren nach euch haben! Wahrlich, ihr seid mit all eurem Tun schlechter denn das böse Gewürm der Erde, das allein da ist zu fressen, nichts Gutes zu tun, wohl aber allerlei gute Frucht der Erde elend zu machen und zu verderben! Gehet uns daher bald aus den Augen, sonst vergreifen wir uns an euch!“

04. Sagt ein Ältester: „Nun ja, wir werden schon gehen; aber den Gefallen könnt ihr uns ja tun, daß ihr uns saget, wer euch geholfen hat! Wir haben täglich sieben Stunden lang für euch gebetet und möchten daher erfahren, ob ihr doch etwa wunderbar durch unser Gebet geheilt worden seid! Denn mit natürlichen Mitteln wäre euch wohl in keinem Falle mehr zu helfen gewesen! Saget es uns daher; es kostet euch so etwas ja ohnehin nichts!“

05. Sagt der Schwiegersohn: „Hebet euch von hinnen, ihr Lügner! Ihr möget des Erbzehntes wegen wohl täglich sieben Stunden um unsern Tod gefleht haben, aber für unser Leben sicher nicht; denn ihr seid nun nicht darum hergekommen, um uns als Wiedergenesene zu begrüßen, sondern um von uns, den vermeintlich Verstorbenen, den Erbzehnt zu beschreiben und nach aller Tode in den gierigen Besitz zu nehmen! O ihr losen Wichte, ich kenne euch nur zu gut und eure Gebete auch! Darum hebet euch von hinnen, sonst werde ich genötigt sein, von meinem Hausrechte Gebrauch zu machen! Ihr seid ja ewig nicht wert, den Namen dessen auszusprechen, der uns geholfen hat!“

06. Sagt der Älteste noch einmal: „Nun, es sei denn, daß wir also sind, wie du meinst; wir aber können ja doch noch anders sein oder werden! Denn da ist ein Wunder geschehen, und das kann uns ja sehr leicht anders gestalten in allem unserem Denken und Handeln! Darum saget es uns!“

07. Sagt der Schwiegersohn ganz erregt: „Euch ändert auf dieser Welt nichts mehr, auch Gott nicht! Wäret ihr zu ändern, so hättet ihr euch schon lange geändert; denn ihr habt Moses und alle die Propheten, die wider euch zeugen! Aber euer Gott ist der Mammon und besteht im Golde und Silber! Diesem Gotte dienet ihr in eurem Herzen und umhüllet euch bloß äußerlich zum Scheine mit dem Kleide Mosis und Aarons, auf daß ihr als reißende Wölfe im Schafspelze desto leichter mit euren todbringenden Zähnen in die Herden der Lämmer einfallen und sie zerreißen und verschlingen könnet!

08. Jehova aber kennt euch und wird euch auch sicher ehestens den schon seit gar lange her wohlverdienten Lohn geben! Gott hat nun Jesus, den Sohn des Zimmermanns Joseph, erweckt wie dereinst Moses, und dieser Jesus, der uns alle bloß durch sein mächtiges Wort aus der Ferne her augenblicklich gesund gemacht hat, wird euch sicher auch sagen, wieviel eure Verdienste vor Gott wert sind; denn er ist vom Geiste Gottes erfüllt, ihr hingegen aber vom Geiste Beelzebubs! Daher lasset euch's nun zum letzten Male gesagt sein, daß ihr gehet und nimmer betretet dies Haus, — sonst soll euch Arges widerfahren!“

09. Nach diesen Worten verlassen die Pharisäer das Haus und denken ganz sonderbare Dinge über Jesus, der ihnen hier schon wieder in die Quere gekommen ist, und beraten, wie sie seiner loswerden könnten, ansonst es weidlichst zu befürchten wäre, daß er in kurzer Zeit alle Juden also wie dies Haus wider sie aufwiegeln werde.

10. Als sie aber solche argen Gedanken in sich recht lebhaft aufkommen lassen, geschieht hinter ihnen ein donnerartiger, mächtig starker Knall, daß sie darob alle über die Maßen erschrecken und darauf gar stille und sehr behende in die Stadt zu laufen beginnen.

35. Kapitel. Die Pharisäer lesen den 37. Psalm. Robans weiser Rat.

01. Als sie in ihre Wohnung kommen, da greifen sie sogleich nach Davids Psalter und schlagen gerade auf den ersten Wurf den 37. Psalm auf, und der Älteste fängt an, ihn zu lesen also:

02. „,Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch über die Übeltäter; denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken. Hoffe auf den Herrn und tue Gutes; bleibe im Lande und nähre dich redlich! Habe deine Lust am Herrn; Er wird dir geben, was dein Herz wünschet: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf Ihn! Er wird alles wohl machen und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen wie ein Licht, und dein Recht wie den Mittag.

03. Sei stille vor dem Herrn und warte auf Ihn; erzürne nicht über den, dem sein Mutwille glücklich vor sich geht! Stehe ab vom Zorn, und laß den Grimm; ja erzürne dich nicht, daß du dann auch übel tuest! Denn die Bösen werden ausgerottet; die aber des Herrn harren, werden das Land erben.

04. Es ist noch um ein kleines, so ist der Gottlose nimmer; und wenn du nach seiner Stätte sehen wirst, wird er weg sein. Aber die Elenden werden das Land erben und Lust haben in großem Frieden. Der Gottlose droht dem Gerechten und beißt seine Zähne zusammen über ihn. Aber der Herr lacht über den Gottlosen; denn Er sieht es, daß sein Tag kommt. Die Gottlosen ziehen das Schwert aus und spannen ihren Bogen, daß sie fällen den Elenden und Armen und schlachten die Frommen; aber ihr Schwert wird in ihr eigenes Herz dringen, und ihr Bogen wird zerbrechen.

05. Das wenige, das ein Gerechter hat, ist besser denn das große Gut vieler Gottlosen. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen; aber der Herr wird erhalten den Gerechten. Der Herr kennt die Tage der Gerechten und Frommen, und ihr Gut wird ewiglich bleiben; sie werden nicht zuschanden in der bösen Zeit, und in der Teuerung werden sie genug haben. Denn die Gottlosen werden umkommen, und die Feinde des Herrn, wenn sie gleich sind wie eine köstlich grünende Aue, werden sie doch vergehen, wie da vergehet der Rauch. Der Gottlose borgt und bezahlt nicht; der Gerechte aber ist barmherzig und milde.‘“

06. Nach diesem Verse erhebt sich ein Pharisäer und sagt zum lesenden Ältesten: „Was liesest du da für ein dummes Zeug?! Merkst du es denn nicht, daß dies alles auf der schlechten Seite uns angeht und auf der guten Seite niemand andern als den Sohn des Zimmermanns? Das ist ein ganz verdammtes Zeugnis wider uns, und du liesest die Sache so leicht und heiter fort wie irgendeine Lobschrift des Hohenpriesters aus Jerusalem an uns!“

07. Sagt der Älteste: „Freund, es schadet uns gar nicht, wenn wir dadurch vor uns selbst ein wenig heller beleuchtet werden, als wir beleuchtet sind! Es ist besser, wir erkennen uns vorher unter uns, als daß wir um eine kurze Zeit später vor der ganzen Welt als Volksbetrüger nackt dastehen sollen, verachtet und verlassen von jedermann! Denn es hängt denn doch am Ende nur allein von Gott ab, wie lange wir in unserer gegenwärtigen Art und Weise als unentdeckt bestehen sollen, und ich lese darum den sehr merkwürdigen Psalm weiter!“

08. Sagen mehrere: „Hast recht, tue das!“

09. Und der Älteste liest also weiter:

10. „,Denn Seine Gesegneten erben das Land; aber Seine Verfluchten werden ausgerottet werden!‘“

11. Hier fragt der Pharisäer ganz hastig wieder: „Wer sind die Gesegneten und wer die Verfluchten?“

12. Sagt der Älteste: „Daß wir die Gesegneten nicht sind, das ist nun bei der stets zunehmenden Verfolgung der Römer wider uns wohl schon mit den Händen zu greifen! Denn wären wir die Gesegneten, so würde uns Gott nicht solch eine nie erhörte Plage in unser gesegnetstes Land gesetzt haben! Alles andere kannst du dir leicht selbst enträtseln. — Ich aber lese nun weiter:

13. ,Von dem Herrn wird solches Mannes Gang gefördert, und Er hat Lust an seinem Wege. Fällt er, so wird er nicht weggeworfen; denn der Herr hält ihn bei der Hand. Ich bin jung gewesen und bin alt geworden; aber ich habe noch nie den Gerechten verlassen oder seinen Samen nach Brot gehen gesehen. Denn der Gerechte ist allzeit barmherzig und leihet gern dem Armen; darum wird sein Same gesegnet sein.

14. Laß ab vom Bösen und tue Gutes! Bleibe gerecht immerdar; denn der Herr hat das Recht lieb und verläßt Seine Heiligen nie. Ewiglich werden sie bewahrt; aber der Gottlosen Same wird ausgerottet werden. Allein die Gerechten erben das Land und bleiben ewiglich darinnen.

15. Der Mund des Gerechten redet die Weisheit, und seine Zunge lehret das Recht; das Gesetz Gottes ist in seinem Herzen, und seine Füße gleiten nicht. Der Gottlose aber lauert stets auf den Gerechten und sucht ihn zu töten. Aber der Herr läßt ihn nicht in des Gottlosen Händen, und verdammt ihn nicht, wenn er vom Gottlosen verurteilt wird.

16. Harre auf den Herrn und halte Seinen Weg, so wird Er dich erhöhen, daß du das Land erbest; und du wirst es dann sehen, daß die Gottlosen ausgerottet werden!

17. Ich habe einen Gottlosen gesehen, der war sehr trotzig, breitete sich aus und grünte wie ein Lorbeerbaum. Als man aber vorüberging, siehe, da war er schon dahin; und als ich nach ihm fragte, war er nirgends zu finden!

18. Darum bleibe fromm und halte dich recht; denn solch einem wird es zuletzt gut gehen! Die Übertreter des Gesetzes Gottes aber werden vertilgt werden miteinander, und die Gottlosen werden zuletzt ausgerottet! Der Herr allein aber hilft den Gerechten in jeglicher Not und ist ihre alleinige Kraft und Stärke. Der Herr wird ihnen beistehen und wird sie erretten. Er Selbst wird sie von den Gottlosen erretten und wird ihnen helfen; denn sie trauen auf Ihn.‘“

19. Als der Älteste nun mit dem Psalm zu Ende war, fällt ihn der Pharisäer ganz zornig an und schreit: „Du alter Esel, merkst du es denn nicht, daß wir durch diesen Psalm als die Gottlosen bezeichnet werden, und die, die es mit Jesus halten, als die Gerechten? Merkst du nicht, daß wir ausgerottet werden, und sie bleiben im Lande? Trachten nicht eben wir, ihn als den Gerechten zu töten, während Gott ihn erhält? Das ist ein schöner Psalter für uns!“

20. Sagt der Älteste: „Ich habe ihn nicht geschrieben! Er steht im Buche; und so wir bleiben, wie wir sind, so werden wir ihn uns auch tatsächlich gefallen lassen müssen! Verstehst du solches und die Macht Gottes?!“

21. Sagt ein anderer: „Diese Sache verstehe ich besser als ihr alle! Unser Freund Roban hat müssen diesen Psalm lesen; das hat des Zimmermanns Sohn mit seiner, uns allen freilich höchst unbegreiflichen Zaubermacht bewirkt! Denn so er die ganze Familie, bei der wir soeben vergebens unser goldenes und silbernes Heil suchten, mit einem Worte zu heilen imstande ist, so ist er ebensogut auch imstande, uns zu nötigen, nur solche Psalmen zu lesen, die alleroffenbarst ebensogut wider uns, als dereinst wider die Feinde Davids, Zeugnis geben.

22. Zudem soll der alte Joseph wirklich von David in guter Linie ein Abkömmling sein, und man nennt nun Jesus, weil auch Josephs zweites Weib, Maria, aus demselben Stamme sei, einen ,Sohn Davids‘, aus welchem Grunde der alte Joseph, der stets ein schlauer Fuchs war, auch höchstwahrscheinlich ganz geheim alle möglichen Künste mag seinen Sohn haben lernen lassen, auf daß dieser mit seinen Zaubereien die abergläubischen Römer und Griechen breitschlüge, sich dann als ein Sohn Jupiters oder Apollos vorstelle und die Römer ihn sonach unfehlbar zu ihrem Kaiser ausrufen und erheben müßten! Und wenn die in Rom residierenden Herren so blind sind wie diese, die hier über Asien zu befehlen haben, die Jesus schon sozusagen in seinem Sacke hat, so kann es ihm auch gar nicht fehlen, daß er in jüngster Zeit den Römern Gesetze vorschreiben wird, — und wir sind dann alle versorgt!“

23. Sagt ein anderer: „Solch einem Unternehmen wird sich etwa durch ein Geheimschreiben an den Kaiser wohl ein Riegel vorschieben lassen!“

24. Sagt der erste: „Du wirst dem schwer einen Riegel vorschieben, der mit seinem zauberischen Sehvermögen alles erschaut, was du noch so verborgen denkst! Wer sonst als er hat uns auf dem Heimwege mit dem Donnerknall erschreckt, weil er sicher vernommen hatte, was wir untereinander geredet haben wider ihn?! Und wer sonst als er hat uns den scharf wider uns zeugenden Psalm lesen lassen? Und warum? Weil er sicher gewußt hat, was wir wider ihn beschließen wollten! Gehe hin, setze dich an den Schreibtisch und versuche es mit einem Geheimschreiben an den Kaiser — und ich stehe dir dafür, daß du entweder nicht imstande sein wirst, auch nur ein Wort niederzuschreiben, oder du wirst wider dich ein gräßliches Zeugnis zu zeichnen genötigt werden durch seine unbegreifliche, geheime Zaubermacht!

25. Zudem ist selbst unser Oberster Jairus für ihn nun mit Leib und Seele eingenommen, da er ihm zwei Male die Tochter erweckt hat vom Tode, und unterstützt ihn mit allem, was dieser nur wünscht — und wir vermögen darum auch nichts in Jerusalem wider ihn auszurichten. Kurz und gut, wir sind nun von allen Seiten vernagelt und gebunden und können uns gegen ihn nicht rühren. Am besten dünkt es mich noch, zum bösen Spiele eine gute Miene zu machen oder uns vollends zu seinen Jüngern zu bekennen — sonst können wir nichts für uns Ersprießliches wider ihn tun, da wir nicht einmal also etwas zu denken vermögen, daß er es nicht auf der Stelle in die durchdringendste Erfahrung brächte.“

26. Sagt der alte Roban: „Der Meinung bin ich auch! Es steht uns wirklich nur der einzige Weg offen: daß wir uns entweder ganz indifferent verhalten, oder wir alle schlagen uns zu seiner Lehre und tun, was er uns ratet oder gebietet; denn wider diesen Stachel läßt sich vorderhand gar nicht löcken!“

27. Sagen alle: „Wir wollen uns ganz indifferent halten, das wird das beste sein; denn da verfeinden wir uns weder mit Rom noch mit Jerusalem, und darin besteht nun alle Klugheit, nach der wir unser Leben einzurichten haben.“

28. Nachdem begeben sich alle zur Ruhe, und ein jeder denkt sich seinen Teil heimlich, was er für sich tun solle.

36. Kapitel. Der Pharisäerälteste Roban bei Jesus.

01. Am Morgen aber kommt der Roban dennoch zu Mir ins Haus und bittet, ob er mit Mir reden dürfe.

02. Ich aber sage zu ihm: „Was du Mir sagen willst, das weiß Ich; aber was Ich dir zu sagen habe, das weißt du nicht, und so magst du Mich hören.“

03. Sagt Roban: „So du reden willst, so rede, und ich will dich hören!“

04. Sage Ich: „Du hast gestern den Psalm vorgelesen; es war gerade der 37. Dieser Psalm hat dich, wie deine Kollegen, stark getroffen, und ihr seid dadurch ein wenig in euch gegangen und habet dann beraten, ob ihr euch Mir gegenüber ganz indifferent verhalten, oder ob ihr Meine Jünger werden sollet. Ihr habt euch fürs Indifferentsein erklärt! Du aber dachtest in der Nacht nach, ob du nicht Mein Jünger würdest, und bist nun gekommen, Mich darum zu fragen.

05. Ich aber sage zu dir weder ja noch nein, sondern: willst du bleiben, so bleibe; willst du gehen, so gehe! Denn sieh, Ich habe der Jünger zur Genüge! Es sind hier in Meinem Hause etliche Gemächer, und sie sind alle voll von Jüngern. Draußen im Freien siehst du Zelte aufgerichtet; sie werden von Meinen Jüngern bewohnt. Da, neben diesem Meinem kleinsten Gemache, ist das große Arbeits— und zugleich Speisezimmer; darin ruhen nun noch, da es frühe ist, die großen Weltherren Roms, und die sind ebenfalls Meine Jünger. In einem kleinen Gemache daneben wohnt der Oberste Jairus mit Weib und Tochter, die Ich erweckt habe zweimal vom Tode; und sieh, auch er ist Mein Jünger. Wenn Ich aber solche Menschen zu Meinen Jüngern habe, so kannst du ja auch ebensogut Mein Jünger werden; aber wie du auch siehst, so stehe Ich nicht an auf dich! Willst du, so bleibe; und willst du nicht, so gehe! Denn es stehen dir die beiden Wege offen.“

06. Sagt Roban: „Herr, ich bleibe, — und es ist sehr leicht möglich, daß von meinen Kollegen noch mehrere kommen und bleiben werden gleich mir! Denn ich fange nun an zu begreifen, daß hinter dir mehr sein muß als bloß die geheime Zauberkunst eines morgenländischen Zauberers! Du bist ein von Gott gesalbter Prophet eigener Art, wie vor dir nie einer da war, und ich bleibe darum!

07. Es steht zwar wohl geschrieben, daß aus Galiläa nie ein Prophet aufstehen solle; aber ich halte mich nun nicht mehr daran, — denn bei mir gilt die offene Tat mehr als das rätselhafte Wort der Schrift, das niemand in der rechten Wahrheitstiefe verstehen kann. Zudem bist du meines Wissens nicht einmal ein Gebürtiger Galiläas, sondern Bethlehems, und da kannst du vermöge der Geburt auch ganz gut ein Prophet sein! Ich fühle mich von dir sehr angezogen, und es tut mir wohl deine Nähe, und so bleibe ich. Ich habe zwar kein großes Vermögen; aber was ich habe, reicht für uns alle hin, davon volle dreißig Jahre zu leben! So du ein Lehrgeld verlangst, steht dir mein halbes Vermögen zu Gebote!“

08. Sage Ich: „Gehe hin und frage Meine Jünger, wieviel sie Mir zahlen für Lehre und Kost; das zahle dann auch du!“

09. Roban fragte sogleich mehrere der anwesenden Jünger darüber. Diese aber sprachen: „Unser heiliger Meister hat noch nie auch nur einen Stater von uns verlangt, obschon wir alle stets mit allem von Ihm versorgt werden. Sicher wird Er von dir nicht mehr verlangen, als Er von uns verlangt! Glaube und Liebe ist alles, was Er von uns verlangt.“

10. Fragt Roban weiter: „Könnet ihr denn auch schon einige besondere, für den menschlichen Verstand unbegreifliche Taten ausüben? Und so ihr das könnet, verstehet ihr es auch, wie so etwas möglich sein kann?“

11. Sagt Petrus: „So es not tut, da können auch wir durch des Meisters Kraft in uns solche Taten verrichten und verstehen auch ganz durchgreifend gut, wie sie gar wohl und überaus leicht möglich sind. So du Sein wahrhaftiger Jünger sein willst, da wirst auch du solche Taten ausüben können und dann wohl verstehen, was du tust! Denn hier gibt die Liebe das Gesetz, und die Weisheit übt es aus!“

12. Fragt Roban noch weiter, sagend: „Aber davon hast du doch nie etwas bemerkt, daß etwa bei solch außerordentlichen Taten manchmal, so ganz unvermerkt, der Satan einen Anteil hätte!?“

13. Sagt Petrus: „Was Arges fragst du armer, blinder Mensch doch! Wie kann da Satan einen Anteil nehmen, wo alle Himmel den allerhöchsten und allmächtigsten Einfluß haben!? Ich und wir alle haben die Himmel offen gesehen und die Engel Gottes in zahllosen Scharen danieder zur Erde kommen; und wir sahen, wie sie Ihm und uns allen dienten — wenn aber also, wie möglich dann ein Anteil des Satans!?

14. Kannst du mir aber solches nicht glauben, so ziehe hin nach Sichar und erkundige dich dort beim Oberpriester Jonael und bei dem Großkaufmanne Jairuth, der nun außerhalb Sichar das bekannte Schloß Esaus bewohnt! Diese unsere Freunde werden es dir treu kundgeben, wer Der ist, dessen Jünger zu sein wir die nie verdiente, allerhöchste Gnade haben! Beim Jonael sowohl als beim Jairuth wirst du noch dienende Engel in scheinbar leiblicher Gestalt antreffen.“

15. Als Roban solches vernimmt, da tritt er voll Ehrfurcht zu Mir hin und fragt Mich, ob Ich nichts dawider hätte, so er eine Reise nach Sichar unternähme.

16. Sage Ich: „Nicht im geringsten irgendwas! Gehe hin und erkundige dich um alles; und so du wieder hierhergekommen sein wirst, da unterrichte deine Brüder und Kollegen von allem, was du gehört und gesehen hast! Wenn du solchen Auftrag mit guter Wirkung wirst vollzogen haben, da komme wieder und folge Mir nach! Denn du wirst es schon erfahren, wohin Ich Mich in der Zeit werde gewendet haben! So du aber durch Sibarah, den ersten Mautort von hier, dann durch Kis und Kana in Samaria ziehest und man dich fragen wird, wohin und in wessen Namen du diese Reise machest, so nenne Meinen Namen, und man wird dich allenthalben frei ziehen lassen. Aber mit dem Kleide eines Ältesten der Pharisäer ziehe nicht! Denn damit möchtest du nicht weit kommen; sondern ziehe du eine ganz einfache Bürgerkleidung an, und man wird dich dann auch in Samaria nirgends beanstanden.“

17. Als Roban solches vernommen hatte, machte er sich sogleich auf den Weg und ging in die Fremde, das zu suchen und zu erkennen, was er nun daheim gar so nahe hatte.

18. Aber es gibt immer Menschen und Geister, die stets der Meinung sind, daß man in der Fremde mehr sehen, erfahren und lernen kann als daheim; und doch scheint überall ein und dieselbe Sonne. Ja, man kann in der Fremde wohl andere Gegenden, andere Menschen und andere Sitten und Sprachen kennenlernen; ob aber dabei das Herz etwas gewonnen hat, das ist eine andere Sache!

19. Wer nur aus purer Neugierde in die Fremde zieht, um sich dort besser zu vergnügen und zu zerstreuen, der wird für seines Herzens Bildung wenig gewinnen; wer aber in die Fremde zieht, um den dortigen Menschen zu nützen und ihnen zu bringen ein neues Licht, der wandere und wirke, und die Reise wird ihm viel Gewinnes abwerfen!

20. Jeder Prophet macht in der Fremde mehr Geschäfte denn daheim in seinem Hause.

37. Kapitel. Josa, der Alte, dankt dem Herrn.

01. Als der Roban fort war, da kam der Alte, der Josa hieß, mit seinen in dieser Nacht geheilten Kindern und Kindeskindern und brachte Mir Dank, Lob und Ehre und bat Mich, ob er mit den Seinen nicht den Tag über in Meiner Gesellschaft sich aufhalten dürfe.

02. Und Ich sprach zu ihm: „Was du willst, das tue! Du hast gestern in der Nacht Meinetwegen noch einen Kampf mit den Pharisäern zu bestehen gehabt, und ihr alle habt euch in Meinem Namen gut benommen. Darum aber sollet ihr in Zukunft von aller solcher Plage befreit sein, und es soll fürder kein habgieriger Zelot (Glaubenseiferer) mehr die Schwelle eures Hauses betreten! Gehet aber nun zu Meinen Jüngern hin; diese werden euch unterweisen, was ihr alle für künftighin zu glauben und zu tun haben sollet!“

03. Bei diesen Worten tritt Petrus vor und führt die ganze Gesellschaft zum Matthäus dem Schreiber hin, und dieser gibt ihnen zu lesen, was alles sich bei Meinen Jüngern zugetragen hat, und was Ich gelehrt habe.

04. Als diese also für ihren Geist versorgt sind, da erst treten Cyrenius, Kornelius, Faustus und der Oberste Jairus mit Weib und Tochter aus ihren Schlafkammern, begrüßen Mich auf das allerfreundlichste und bedanken sich bei Mir für den guten und überaus stärkenden Schlaf und für die überaus schönen Träume, die sie diese Nacht hindurch gehabt haben; Ich aber begrüße sie auch und zeige ihnen die soeben Angekommenen, die geheilt worden waren.

05. Und Cyrenius tritt zu ihnen hin und fragt sie um alles klein aus. Als er aber von den nächtlichen Umtrieben der Pharisäer gehört hatte, da ward er völlig zornig und sprach: „Nein, Herr, bei Deinem mir nun über alles heiligen Namen, das kann ich diesen Satansjüngern nimmer nachsehen! Ich muß sie züchtigen lassen, und sollte ich darob auch mein Leben verlieren! Sind aber das doch Wölfe, Hyänen und Füchse, wie es keine zweiten in ganz Palästina, ja in ganz Asien gibt! Welcher Unterschied ist denn zwischen ihnen und den ärgsten Dieben und Straßenräubern? O ihr Argen, ihr Bestien erster und reißendster Klasse! Gottesdiener nennen sie sich und lassen sich dafür auch allenthalben überhoch ehren und preisen am Tage; bei der Nacht aber ziehen sie dann auf offenbarsten Raub aus! Nun, wartet, wartet, ich werde euch das nächtliche Auf—den—Raub— Ausgehen schon auf eine Art vertreiben, daß euch darob das Hören und Sehen vergehen soll!“

06. Sage Ich zum ganz erbosten Oberstatthalter: „Freund, laß du das; denn was du nun tun möchtest, habe Ich geistig schon in dieser Nacht auf eine viel empfindlichere Art getan, und die Folge davon wird sein, daß sie alle bald Meine Lehre annehmen werden. Ihr Ältester, namens Roban, war heute schon hier und hat Meine Lehre angenommen; und Ich habe ihn darum denn auch schon als bereits Meinen Jünger nach Sichar gesandt, allwo er vieles sehen und lernen wird. In zwei Tagen kommt er wieder zurück und wird seine Kollegen ganz sicher unter Mein Dach bringen! Und siehe, das ist besser denn Rute, Kreuz und Beil!“

07. Sagt Cyrenius etwas weniger erregt: „Wenn so, da nehme ich mein Wort zwar wohl zurück und werde über sie kein scharfes und peinliches Gericht ergehen lassen; aber Rede stehen müssen sie mir!“

08. Sage Ich: „Aber nur nicht vormittags, sondern nachmittags! Denn diese schöne Zeit wollen wir mit etwas Besserem zubringen. Nun aber gehen wir vor allem zum Morgenmahl!“

09. Es hatte nämlich Borus im Freien eine Menge Tische aufrichten lassen, bei welcher Arbeit ihm Meine Brüder als Zimmerleute natürlich Hilfe leisteten, und so war heute als an einem Vorsabbat, respektive an einem Freitage, das Morgenmahl im Freien einzunehmen. Es waren bei fünfzig große Tische mit Bänken versehen, voll mit Speisen und Wein besetzt, und es war wahrlich recht ergötzlich, zu sehen, wie da Hunderte von Gästen aller Art schon an den Tischen saßen, Lobpsalmen sangen und das reichliche Morgenmahl verzehrten. In der Mitte der vielen Tische war eine Art Tribüne errichtet, auf der ein großer, zierlich geschmückter Tisch mit Speisen unser harrete und wir — Ich, Cyrenius, Kornelius, Faustus, Jairus mit Weib und Tochter, Meine Mutter und die zwölf Apostel — Platz nahmen und daselbst unter allerlei erbaulich heiteren Gesprächen das Morgenmahl einnahmen, welches Faustus und Borus also bestellt hatten.

10. Es fehlte aber die Lydia, des Faustus junges Weib, das er in Kapernaum daheim ließ wegen seiner vielen häuslichen Geschäfte, obschon es überaus gerne auch mit nach Nazareth gezogen wäre. Meine Mutter machte ihm darum, natürlich ganz sanfte, Vorwürfe; und er bereute es, sein liebstes Weib daheim gelassen zu haben und beschloß, es sogleich selbst zu holen.

11. Ich aber sagte zu ihm: „Laß das; so Ich will, wird sie bis gen Mittag ganz wohlbehalten hier sein!“ Faustus bat Mich darum, und Ich versprach ihm, solches zu tun.

12. Es waren aber an Meiner Seite sogleich zwei überaus holde Jünglinge in lichtblauen Faltenkleidern zu sehen. Diese verneigten sich vor Mir bis zur Erde und sprachen: „Herr, Deine Diener harren in tiefster Ehrfurcht Deiner heiligsten Befehle!“

13. Und Ich sage zu ihnen: „Gehet, holet die Lydia, auf daß sie bei uns sei!“

14. Die beiden verschwinden, und Cyrenius fragt Mich ganz erstaunt: „Freund, wer waren diese beiden gar so ungemein schönen und holdesten Jünglinge? Beim Himmel, solch herrliche Gestalten hat mein Auge noch nie gesehen!“

15. Sage Ich: „Sieh, ein jeder Herr hat seine Diener, und so er sie ruft, müssen sie da sein und ihm dienen. Da Ich auch ein Herr bin, so habe auch Ich Meine Diener, die Meine Befehle der ganzen Unendlichkeit zu verkünden haben. Sie sind dir freilich nicht sichtbar, aber wohl Mir; und wo du nichts ahnest, da harren dennoch gleichfort zahllose Legionen Meiner Winke! Und solche Meine Diener sind dazu — ob sie auch noch so zart aussehen — dennoch stark genug, diese Erde, so Ich es ihnen gebieten würde, in einem Augenblick zunichte zu machen! — Nun aber sehet, dort kommen die beiden schon zurück mit der Lydia!“

16. Nun ergreift fast alle bei Meinem Tische ein Entsetzen, und Cyrenius sagt: „Wie ist das möglich? Die beiden können kaum noch fünfhundert Schritte von hier entfernt gewesen sein — nach Kapernaum sind von hier nahe zwei Stunden Weges —, und nun sind die beiden schon wieder da! Ach, das ist doch über alles, was ein armer Mensch auf dieser Erde je erleben kann!“

17. Als die Lydia, vom erstaunten Faustus überzart empfangen, an unsern Tisch gebracht ward, so fragte Cyrenius sie sogleich: „Aber holdeste Lydia, wie kamst denn du so schnell von Kapernaum hierher?! Bist du etwa schon auf dem Wege gewesen?“

18. Sagt Lydia: „Siehst du denn nicht die beiden Engel Gottes? Diese trugen mich mehr denn in Pfeiles Schnelle hierher. Ich sah am Wege weder Erde noch Luft, sondern dort und hier war nur ein Moment, und ich bin nun hier. Frage aber die beiden Engel; diese werden davon mehr denn ich kundzugeben verstehen.“

38. Kapitel. Vom Menschlichen und Göttlichen des Herrn.

01. Cyrenius wendet sich nun sogleich an die beiden Engel und fragt sie, wie da doch solches möglich wäre. Diese aber weisen allerehrfurchtsvollst mit ihren himmlisch schönsten Händen auf Mich hin und sagen mit einer höchst reinen und wohlklingenden Stimme: „Sein Wille ist unser Sein, unsere Kraft und unsere Schnelligkeit! Aus uns selbst vermögen wir nichts; so Er aber will, da nehmen wir Seinen Willen in uns auf und vermögen dann alles durch denselben. Unsere Schönheit aber, die nun dein Auge blendet, ist unsere Liebe zu Ihm, und diese Liebe ist wieder nichts als Sein Wille in uns! Wollt ihr uns aber gleich werden, so nehmet Sein lebendiges Wort auf in euer Herz und tut freiwillig danach, so werdet ihr dadurch auch gleich uns solches Seines Wortes allmächtige Kraft und Stärke in euch haben; und so Er euch dann berufen wird, zu handeln in Seinem Willen, da werden euch alle Dinge möglich sein, und ihr werdet mehr tun können denn wir, da ihr pur aus Seiner Liebe seid, während wir nur mehr Seiner Weisheit entstammen. — Nun weißt du, wie uns das, was dich in Erstaunen setzte, gar leicht möglich ist. Handle in der Zukunft vollends nach Seinem Worte, so werden dir auch gar wunderbare Dinge möglich sein!“

02. Cyrenius macht hier große Augen und sagt: „Also habe ich denn doch recht, so ich Jesus für den alleinigen Gott und Schöpfer der ganzen Welt halte!?“

03. Sagen die Engel: „Da hast du wohl recht; aber nur rede davon nicht zu laut! Und so du an Ihm Menschliches erschauest, da ärgere dich nicht; denn alles Menschliche wäre kein Menschliches, wenn es nicht von Ewigkeit zuvor Göttliches gewesen wäre. So Er Sich daher zuweilen in dir bekannten und angewöhnten Formen bewegt, so bewegt Er Sich aber dennoch in keinen Seiner unwürdigen Formen; denn jede Form, jeder Gedanke war zuvor in Ihm, ehe sie durch Seinen Willen einen außer Ihm bestehenden, freien Willen auszumachen und zu bestimmen anfingen. In der Unendlichkeit gibt es kein Ding und kein Wesen, das nicht aus Ihm hervorgegangen wäre. Diese Erde und alles, was in ihr und auf ihr lebt, ist nichts als Sein ewig gleich festgehaltener Gedanke, der durch Sein Wort zur Wahrheit ward. So Er nun, was Ihm ganz überleicht möglich wäre, diesen wesenhaften Gedanken in Seinem Gemüte und Willen fallen ließe, so wäre auch in demselben Augenblick keine Erde mehr, und alles, was sie enthält und trägt, würde ihr vernichtendes Los teilen.

04. Aber des Herrn Wille ist nicht wie der eines Menschen, der schlecht genug heute so und morgen anders will. Des Herrn Wille ist ewig ein und derselbe, und nichts kann diesen beugen in der von Ewigkeit her festgestellten Ordnung; aber innerhalb dieser Ordnung herrscht dennoch die größte Freiheit, und der Herr kann tun, was Er will, gleichwie auch jeder Engel und Mensch. Daß aber das also ist, kannst du an deinem höchst eigenen Wesen und an tausend andern Erscheinungen ersehen.

05. Du kannst in deiner persönlich wesenhaften Form tun, was du willst; daran kann dich nichts als allein dein Wille hindern. Aber die persönlich wesenhafte Form läßt durchaus keine Veränderung zu, weil sie sich unter der festen göttlichen Ordnung befindet.

06. Also kannst du das Äußere der Erde wohl sehr bedeutend verändern; du kannst Berge abgraben lassen, kannst den Strömen einen neuen Weg vorzeichnen; du kannst Seen austrocknen und für neue Seen Bette graben lassen; kannst über Meere Brücken bauen und die Wüste in ein gesegnetes und fruchtbares Land durch Fleiß und Mühe umgestalten, kurz, du kannst auf der Erde eine Unzahl Veränderungen zuwege bringen; — aber du kannst den Tag nicht um ein Haar länger und die Nacht nicht um ein Haar kürzer machen und kannst den Winden und Stürmen nicht gebieten.

07. Den Winter mußt du ertragen und dulden des Sommers Hitze, und aller Kreatur kannst du bei all deinem Wollen keine andere Gestalt und Beschaffenheit geben. Aus dem Lamme wirst du ewig keinen Löwen und aus dem Löwen ewig kein Lamm ziehen; und siehe, das ist wieder Gottes feste Ordnung, innerhalb welcher dir zwar eine große Freiheit zu handeln gegeben ist, während du die eigentliche Gottesordnung nicht um ein Haarbreit zu verrücken imstande bist.

08. Hier vor dir aber ist Der, der solche Ordnung von Ewigkeit her gegründet hat und sie allein wieder auflösen kann, wenn Er will. Wie aber du in solcher gefesteten Gottesordnung, die zuerst dein Sein und das Sein alles dessen, was dich umgibt, bedingt, dennoch frei bist im Denken, Wollen und Handeln, also ist der Herr um so mehr frei und kann tun, was Er will.

09. Wir aber sagen dir darum noch einmal: Ärgere dich deshalb nicht, so der Herr vor euch Sich in menschlicher Form bewegt; denn es ist ja jegliche Form Sein höchst eigenes Werk.“

39. Kapitel. Vom Einfluß der Engel auf die Menschen.

01. Als Cyrenius solche Lehre von den beiden Engeln vernahm, ward ihm das nun zur vollen Gewißheit, und er riet nun bei sich nicht mehr, daß Ich sicher ein höheres Wesen sei, sondern er sprach nun bei sich: „Ja, Er ist es!“ Er ging darauf ganz ehrfurchtsvoll zu Mir hin und sagte zu Mir: „Herr, nun ist mir alles klar! Du bist es!

02. Mein Herz hatte mir das wohl schon lange gesagt; aber da traten immer wieder Deine menschlichen Formen und Bewegungen auf und machten mich bald hier, bald dort in meinem Glauben zweifeln. Aber nun sind alle meine geheimen Bedenklichkeiten aus meinem Gemüt verschwunden, und es kann nun geschehen, was da will, so werde ich in meinem Glauben wie ein Fels fest verbleiben. O wie endlos glücklich bin ich nun, daß sogar mein fleischlich Auge Den schauet, der mich erschaffen hat, und der mich nun erhält und ewig erhalten kann und wird!“

03. Sage Ich: „Mein liebster Freund, was du nun hast, das soll dir auch bleiben für ewig! Aber nur behalte es vorderhand für dich und für nur sehr wenige deiner eingeweihtesten Freunde; denn sprächest du nun zu offen davon, so würdest du Meiner Sache und dadurch den Menschen mehr schaden denn nützen! Zudem aber behalte auch das, daß du dich nicht ärgerst, so du hie und da Menschliches an Mir gewahrst; denn bevor alle Engel und Menschen waren, war Ich von Ewigkeit her wohl der erste Mensch und habe daher auch sicher das Recht, unter Meinen geschaffenen Menschen auch noch fortan Mensch zu sein!“

04. Sagt Cyrenius: „Tue, was Du willst, und Du bleibst mir dennoch ewig gleichfort Das, was Du mir nun ohne allen Zweifel bist! Aber diese beiden Engel möchte ich bis an mein irdisches Lebensende bei mir haben! Sie sind gar so schön, lieb und weise!“

05. Sage Ich: „Das kann nicht sein; denn du würdest ihre persönlich sichtbare Gegenwart nicht ertragen, und sie würde deiner Seele zu nichts nütze sein. Aber unsichtbar für deine irdischen Sinne sollen sie fortan deine Beschützer bleiben, wie sie es schon von deiner Geburt an waren. Für jetzt aber, da sie den heutigen Tag über hier sichtbar zu verweilen haben, kannst du noch viel mit ihnen verkehren.

06. Du kannst aber, wenn du sie auch nicht siehst, mit ihnen reden und kannst sie fragen um allerlei, und sie werden dir die Antwort in dein Herz legen, die du allzeit als einen klar ausgeprägten Gedanken im Herzen vernehmen wirst. Und das ist besser denn die äußere Rede! Ich sage es dir: Ein Wort, das dir ein Engel in dein eigenes Herz gelegt hat, ist für deine Seele heilsamer als tausende Worte, durch das Ohr von außen her vernommen! Denn was du im Herzen vernimmst, das ist schon dein Eigentum; was du aber von außen her vernimmst, das mußt du dir erst zu eigen machen durch die Tat nach dem vernommenen Worte.

07. Denn hast du das Wort im Herzen und sündigest deinem Außenwesen nach dennoch von Zeit zu Zeit, so ist dein Herz dabei nicht einstimmig und zwingt dich sobald zur Erkenntnis der Sünde und der Reue über dieselbe, und du bist schon dadurch kein Sünder mehr; hast du aber das Wort im Herzen nicht, sondern nur im Gehirne, durchs Ohr dahin gebracht, und sündigest, so sündiget das leere Herz mit und zwingt dich weder zur Erkenntnis noch zur Reue der Sünde, und die Sünde bleibt in dir, und du machst dich schuldig vor Gott und den Menschen!

08. Und so, Freund, ist es dir heilsamer, deine geistigen Beschützer nicht zu sehen, solange du im Leibe zu verweilen hast; wenn du aber dereinst den Leib zu verlassen haben wirst, dann wirst du sie, als selbst Geist, ohnehin für ewig zu sehen und zu greifen haben — nicht nur diese zwei, sondern zahllos viele andere.“

09. Sagt Cyrenius: „Ich bin schon wieder zufrieden, aber heute will ich mich vollauf mit ihnen allergeistigst unterhalten!“

10. Sage Ich: „Aber wie wird es denn sein? Du hast ja den harten und diebischen Pharisäern verheißen bei Meinem Namen, daß du ihnen einen starken Verweis geben wirst; da wird der Nachmittag dir ja die Gesellschaft der beiden Engel entziehen!?“

11. Sagt Cyrenius: „Ja fürwahr, das hätte ich nahezu ganz vergessen! Ei, ei, das ist mir nun wohl sehr ungelegen! Was soll ich da tun?“

12. Sage Ich: „Wie wäre es denn, so Ich dich des Eides entbinde, wenn du den Pharisäern den beabsichtigten Verweis ganz erließest, da sie ohnehin an deiner gestrigen Androhung genug zu kauen haben?“

13. Sagt Cyrenius: „Herr, wenn es Dir genehm ist, so erlasse ich ihnen nun überaus gerne den beabsichtigten Verweis und überlasse alles Dir und dem alten Roban, der sie nach ein paar Tagen schon zurechtbringen wird.“

14. Sage Ich: „Oh, da habe Ich sicher am allerwenigsten etwas dawider! Denn Ich habe darum schon dein Vorhaben mit den Pharisäern auf den Nachmittag verschoben, weil Ich nur zu gut wußte, daß du bald anderen Sinnes werden würdest. — Jetzt aber, da der heutige Tag sich so schön gemacht hat, wollen wir alle ans Meer hinausgehen und uns für den Mittag und Abend einige Fische holen. Wer mit will, der mache sich auf die Füße!“

40. Kapitel. Die Liebe zum Herrn.

01. Fragen Petrus und Nathanael: „Aber Herr, wir haben kein Fischzeug bei uns; wie wird das gehen? Sollen wir etwa vorauseilen und bei den Fischern am Meere ein Fischerzeug ausborgen?“

02. Sage Ich: „Daran hat es keine Not; aber eine andere Not hat es, und das ist euer Gedächtnis, das alle Augenblicke zu vergessen scheint, daß Ich der Herr bin, dem kein Ding unmöglich ist! Bleibet daher in der Gesellschaft, und erkläret beim Fischen dem alten Josa und dessen Familie die Kraft und Macht Gottes auch im Menschen!“ — Auf diese Meine Worte ziehen sich beide zurück und denken darüber nach, wie sie so blind sein mochten, Mir mit solch einer höchst weltlichen Frage zu kommen. Selbst Josa bemerkt ihnen, daß er kaum begreife, wie sie Mich darum haben fragen können!

03. Sagt Nathanael: „Freund, wir beide sind gleich dir noch Menschen und als solche zu sehr an die weltlichen Verhältnisse gewöhnt, als daß aus uns nicht noch dann und wann etwas so recht Dummes zum Vorschein käme; aber für die Zukunft werden wir uns schon ganz besonders zusammennehmen! Wir waren ja von unserer Jugend auf Fischer, und so wir vom Fischen etwas vernehmen, so fallen wir leicht wieder ein wenig, des Geistigen vergessend, in unsere alten Besorgnisse zurück. Aber jetzt ist es schon wieder gut.“

04. Es kommt aber auch die Sarah zu Mir und bittet Mich, ob sie mitgehen dürfe.

05. Sage Ich: „Ganz natürlich; dir zuliebe veranstalte Ich ja diese Arbeit! Du bist ja gleichfort Meine Geliebte! Warum setztest du dich denn heute beim Morgenmahle nicht an Meine Seite?“

06. Sagt Sarah, vor Liebe ordentlich zitternd: „Herr, ich habe mich ja nicht getraut; denke, — die drei höchsten Gebieter Roms an Deiner Seite, und ich eine arme Magd! Wo hätte ich den Mut hernehmen sollen?“

07. Sage Ich: „Nun, nun, Mein Liebchen, Ich habe es dir nur zu gut angemerkt, daß du viel lieber bei Mir als überall anders gewesen wärest! Oh, Mir entgeht nichts, was da vorgehet in jemandes Herzen, und Ich habe dich darum aber auch gar so überaus lieb!

08. Aber sage Mir nun, du Meine allerliebste Sarah, wie dir die beiden Jünglinge gefallen? Möchtest du etwa den einen oder den andern nicht lieber haben denn Mich? Denn sieh, Ich bin denn der Gestalt nach doch nicht so schön wie die beiden!“

09. Sagt die Sarah: „Aber Herr, Du meine ewig alleinige Liebe, wie kannst denn Du mir so etwas ansinnen? Einen ganzen Himmel voll noch tausendmal schönerer Engel nähme ich nicht um ein Haar Deines Hauptes, geschweige einen der beiden für Dich als Ganzen, voll Liebe in meinem Herzen. Wenn sie auch schön sind, so frage ich: Wer gab ihnen denn solch ihre Schönheit? Das warst ja Du! Wie aber hättest Du ihnen solch eine Schönheit geben können, wenn sie zuvor nicht in Dir gewesen wäre!?

10. Ich sage es Dir: Du bist für mich alles in allem, und ich lasse nimmer von Dir, und wenn Du mir darum auch alle Himmel voll der herrlichsten Engel gäbest!“

11. Sage Ich: „So ist es recht, so habe Ich es am liebsten! Wer Mich liebt, der muß Mich ganz und über alles lieben, so er von Mir auch über alles geliebt werden will. Siehe, die beiden Engel sind sicher überaus schön; aber du bist Mir nun auch lieber als zahllose Scharen der reinsten Engel, und darum bleibe nun nur fest bei Mir! Ich sage es dir: Du bist aus vielen eine rechte Braut von Mir! — Verstehst du das?“

12. Sagt die Sarah: „Herr, das verstehe ich wohl nicht! Wie sollte ich Deine Braut sein? Kann ich Dir denn das werden, was meine Mutter meinem Vater ist? Du bist der Herr Himmels und der Erde, und ich bin nur ein Geschöpf von Dir; wie sollte das zugehen, daß das Niederste sich mit dem Allerhöchsten verbinden könnte?“

13. Sage Ich: „Siehe, das geht ganz leicht, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil das von dir vermeinte Niederste auch aus dem Allerhöchsten hervorgegangen ist — und sonach mit Allerhöchstes ist.

14. Ich bin ein Baum des Lebens, und du bist seine Frucht. Die Frucht ist dem Anscheine nach freilich kleiner und unbeständiger als der Baum; aber in ihrer Mitte ruht ein aus der Frucht genährter und gereifter Same, in dem Samen aber liegen wieder Bäume derselben Art, fähig, selbst dieselben Früchte zu tragen mit wieder lebendigem Samen, aus welch einem einzelnen sie hervorgegangen sind.

15. Aus dem aber kannst du denn auch ganz leicht entnehmen, daß der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf in einer gewissen Hinsicht kein gar so großer ist, als du es dir vorstellst; denn das Geschöpf selbst ist in und für sich der Wille des Schöpfers, der sicher durchaus gut und würdevoll ist. Erkennt dieser vom Schöpfer ausgegangene und unter der Form des Schöpfers Selbst frei gestellte Wille sich in seinem frei gestellten Alleinsein als das, was er im Grunde des Grundes ist, und handelt danach, so ist er seinem Schöpfer gleich und ist in seinem kleinen Maße vollkommen das, was der Schöpfer in Seinem unendlichen Maße ist; erkennt aber der vom Schöpfer frei gestellte Teilwille sich nicht als das, was er ist, so hört er darum zwar dennoch nicht auf, das zu sein, was er ist, aber er kann so lange die höchste Bestimmung nicht erreichen, bis er sich nicht als das erkannt hat, was er im Grunde des Grundes ist.

16. Um aber solchen frei gestellten Willensteilen, die da Menschen heißen, die Mühe der Sichselbsterkennung leichter zu machen, hat der Schöpfer zu allen Zeiten Offenbarungen, Gesetze und Lehren aus den Himmeln herab den Menschen gegeben und ist nun sogar im Fleische Selbst zur Erde gekommen, um den Menschen bei der Arbeit der Sichselbsterkennung zu helfen und ihnen für die Folge mehr Licht zu geben, auf daß ihre Mühe eine leichtere würde, als sie bis jetzt war.

17. Nun wirst du wohl verstehen, wie sich Schöpfer und Geschöpf zueinander verhalten, und somit auch leicht einsehen, wie du, als Mir völlig ebenbürtig, gar leicht Meine Braut und Mein Weib sein kannst, für ewig gebunden durch deine große Liebe zu Mir! — Verstehst du nun das, was Ich dir nun enthüllt habe?“

41. Kapitel. Vom Wesen der wahren Liebe.

01. Sagt die überaus schöne und liebenswerteste Sarah: „Ja, jetzt bin ich schon mehr im klaren; aber da haben dann ja alle Töchter Evas dasselbe Recht auf Dich wie ich!?“

02. Sage Ich: „Allerdings, wenn sie sind, wie du nun bist; sind sie aber nicht so, da können sie wohl Meine Mägde, auch Bräute, aber dennoch nicht völlig Meine Weiber werden. Hatte aber Meines Leibes Urvater David doch auch viele Weiber gehabt und war ein Mann nach dem Herzen Gottes; warum sollte Mir das nicht freistehen, viele Weiber zu haben, da Ich doch mehr bin denn David? Und Ich sage dir noch dazu, daß Ich das Vermögen habe, so viele Weiber allerseligst zu erhalten, als es da gibt des Sandes im Meer und des Grases auf der Erde, und daß eine jede also versorgt sein wird, daß sie ewig nie einen Wunsch wird haben können, der ihr nicht aufs zuvorkommendste befriedigt würde. Wenn aber so, kann dich das dann etwa genieren, wenn Ich vielen das Glück geben will, das Ich dir in Überfülle gebe?“

03. Sagt die Sarah: „Du bist ja allein der Herr und bist die unbegrenzteste Liebe und Weisheit Selbst, und was Du tust, ist weise getan; aber ich kann dennoch nicht dafür, daß ich Dich gar so sterbensmächtig liebe und Dich darum wie allein besitzen möchte! Du mußt aber das meinem kindlichen Herzen schon nachsehen, das in der Liebe noch so blöde ist!“

04. Sage Ich: „Das ist gerade recht, sage Ich dir. Wer Mich nicht wie du völlig eifersüchtig liebt und Mich in seinem Herzen wie nahe ausschließend allein besitzen will, der hat noch keine wahre, lebendige Liebe zu Mir! Hat er aber diese nicht, so hat er auch die Fülle des Lebens nicht in sich; denn Ich bin ja das eigentlichste Leben im Menschen durch die Liebe in seiner Seele zu Mir, und diese Liebe ist Mein Geist in jedem Menschen.

05. Wer also die Liebe zu Mir erweckt, der erweckt seinen von Mir ihm gegebenen Geist, und da dieser Geist Ich Selbst bin und sein muß, weil es außer Mir ewig keinen andern Lebensgeist gibt, so erweckt er dadurch eben Mich Selbst in sich und ist dadurch ins ewige Leben vollauf eingeboren und kann dann hinfort ewig nimmer sterben und ewig nimmer vernichtet werden — auch durch Meine Allmacht nicht, weil er mit Mir eins ist. Ich aber kann Mich Selbst auch nicht vernichten, weil Mein unendliches Sein sich ewig nie ins Nichtsein umgestalten kann. Darum denke ja nicht, daß deine Liebe zu Mir blöde ist, sondern sie ist gerade so, wie sie sein muß! Beharre darin, so wirst du ewig keinen Tod weder sehen, noch fühlen oder schmecken!“

06. Diese Meine Erklärung an die Sarah machte sie so ganz glücklich, daß sie Mich mit aller Kraft umarmte und gar überaus zärtlich zu kosen begann.

07. Die Mutter Sarahs verwies ihr das und sagte: „Aber liebe Sarah, das schickt sich ja nicht! Geh, du bist wohl recht unartig!“

08. Sagt die Sarah: „Ei was, schicken oder nicht schicken! Es schickt sich auch nicht zu sterben und dann fein tot zu sein; aber wenn dann der Herr kommt und den Toten erweckt und aus dem Grabe zieht, was auch gewiß ganz höchst ungewöhnlich ist, wie schickt sich dann so etwas vor der Welt? O Mutter, den Herrn lieben vor aller Welt über alles, das schickt sich für jeden Menschen sicher am allerbesten! — Nicht wahr, Herr Jesus, ich habe recht geurteilt?!“

09. Sage Ich: „Ganz rechtens und vollauf wahr! Wer in der Welt sich geniert, Mich offen über alles zu lieben, da geniere dann auch Ich Mich, ihn vor allen Himmeln zu lieben und ihn zu erwecken zum ewigen Leben am jüngsten Tage!“

42. Kapitel. Vom jüngsten Tage.

01. Es fragten aber nun auch mehrere, wann der „jüngste Tag“ kommen werde.

02. Ich aber sagte: „Wann der ältere vergangen ist, so kommt auf den älteren Tag dann stets ein jüngster; und da Ich niemanden an einem schon vergangenen Tage erwecken kann, so muß das ganz natürlich an einem jüngsten Tage geschehen, weil dazu ein vergangener, älterer Tag unmöglich mehr zu gebrauchen ist. Ist denn nicht jeder neue Tag, den ihr erlebt, ein jüngster Tag? Oder kann etwa jemand noch einen jüngeren erleben, als da eben der ist, in dem er lebt? Seht, wir alle leben heute doch sicher in einem möglichst jüngsten Tage! Denn der gestrige kann kein jüngster mehr sein, und der morgige ist noch lange nicht da. Aus dem aber läßt sich hoffentlich doch mit Händen greifen, daß es am Ende ebenso viele jüngste Tage gibt und geben muß für jeden Menschen, als so viele er deren durchlebt hat! Ich sage es euch, daß ihr alle am jüngsten Tage sterben werdet und werdet auch unmöglich anderswann als an einem jüngsten Tage vom Tode zum Leben erweckt werden; und so ein Mensch oder alle Menschen ihm zu bestehen bekommen, so wird solches auch unmöglich an einem alten, vergangenen Tage, sondern an irgendeinem künftigen, also offenbar jüngsten Tage geschehen! Welcher dazu bestimmt wird, das ist weder von Mir noch von irgendeinem Engelsgeist zum voraus bestimmt; denn es ist dazu jeder kommende Tag ganz überaus gut und sehr brauchbar. — Versteht ihr nun das?“

03. Die Fragenden ziehen sich etwas verdutzt zurück und sagen: „Wahrlich, die Sache ist so klar wie die reinste Luft, und doch mochte unsere Dummheit fragen!? Es ist wahrlich mit Händen zu kneipen und zu greifen! So wir gar oft von den alten Tagen reden, so muß es ja auch junge und jüngste geben! Es ist, ist, ist, ist — das doch sehr dumm von uns gewesen! Es gehört von Seiner unendlich weisen Seite wahrlich unendlich viel Geduld dazu, um uns zu ertragen!“

04. Sagt die Sarah, ein wenig lächelnd: „Ja, der Herr hat wohl die größte Geduld mit uns allen! Aber was ein jüngster Tag ist, und wann er kommen werde, das habe ich schon in der Wiege gewußt; und hatte mich jemand darum gefragt, so sagte ich allzeit: ,Morgen wird der jüngste Tag kommen!‘ Habt ihr denn das im Ernste nicht gewußt?“

05. Sagen die, die gefragt haben: „Ja, ja, wir waren richtig so dumm, es nicht zu wissen, und hatten immer eine schreckliche Furcht vor solch einem einst kommen sollenden Tage! Nun sind wir freilich darüber im klaren; aber nun schämen wir uns auch ganz ordentlich, daß uns so etwas hat entgehen können, was doch so klar vor jedermanns Augen und Ohren liegt!“

06. Sage Ich: „Machet euch nichts daraus; denn es ist dies dennoch ein Stein, über den in der Zukunft noch viele tausendmal Tausende fallen werden und werden darüber viel weissagen und schreiben und predigen dem blinden Volke.

07. Nun aber sehen wir, wie wir mit den Fischen zurechtkommen werden; denn wie ihr sehet, so stehen wir bereits am Meeresstrande, und Fischerboote sind in Menge zu unserem Gebrauch hier vorrätig. An Netzen und andern zum Fischfange nötigen Geräten fehlt es auch nicht; und so können wir sogleich an die Sache gehen. Die beiden Jünglinge, mit denen sich Cyrenius noch sehr eifrig bespricht, sollen uns auch gute Dienste leisten! Legen wir sonach gleich unsere Hände ans Werk!“

43. Kapitel. Der Herr Jesus und die Seinen beim Fischfang.

01. Es fingen aber nun alle an, sich zu wundern, da sie nicht wußten, wie sie von Meinem Hause hierher ans Meer gekommen sind.

02. Ich aber sagte: „Wie möget ihr euch noch wundern?! Habt ihr denn nicht schon einige Male Ähnliches bei Mir erlebt? Daß sich der alte Josa mit seinen Kindern und Kindeskindern wundert, ist begreiflich; aber bei euch, Meinen nun schon vielerfahrenen Jüngern, ist es eigentlich unbegreiflich, wie ihr euch noch verwundern könnet, da ihr doch schon nur zu klar einsehen solltet, daß Mir kein Ding unmöglich ist und sein kann!

03. Seht, Ich sagte nicht umsonst ,unbegreiflich‘; denn jede Verwunderung über irgendeine von Mir vollführte außerordentliche Tat setzt auch irgendeinen kleinen, noch immer irgendwo in der Seele versteckten Unglauben voraus. Der Mensch bezweifelt im voraus die Möglichkeit irgendeiner besonderen Tat oder Erscheinung; so aber die Tat trotz seines Zweifels dennoch vollführt wird, so steht dann der am Gelingen derselben zweifelnde Zeuge verblüfft da, staunt und fragt: ,Wie war denn das möglich?‘ Was sagt er aber mit solcher Frage? Ich sage es euch, nichts als: ,Ich zweifelte an der Möglichkeit des Gelingens, und doch ist es gelungen! Das ist merkwürdig und sonderbar!‘

04. So ein Laie sich also verwundert, so ist das wohl begreiflich; aber wenn Tiefeingeweihte sich noch wundern, so zeigen sie dadurch an, daß sie selbst auch noch sehr zu denen gehören, die mit Recht ,Laien‘ genannt werden! Wundert euch daher in der Folge besonders vor den Fremden nicht mehr, wenn Ich irgendeine außerordentliche Tat vollführe, auf daß euch die Fremden nicht auch für Mitfremde ansehen!“

05. Sagen die Jünger: „Herr, Du weißt es ja, daß wir Dich über alles liebhaben und gar wohl wissen, wer und was Du bist; aber trotz alledem können wir denn doch oft nicht umhin, uns über ein neues Wunder auch wieder von neuem zu verwundern, weil Deine offenbarsten Wundertaten zumeist so ganz unerwartet und unvorbereitet kommen, daß man bei aller Fassung und allem Glauben denn doch ein wenig verblüfft dastehen muß. — Siehe, man hat ja auch oft genug die Sonne auf— und untergehen sehen; aber wo ist oder wo lebt wohl der Mensch von einem nur einigermaßen besseren Gefühle, dem nicht ein jeder neue, herrliche Sonnenaufgang irgendeine Verwunderung abnötigen möchte?! Und siehe, Herr, so ist es auch mit uns! Du bist aber endlos mehr denn zahllos viele Sonnenaufgänge und wollest uns daher schon ein wenig solche Fehler nachsehen, die stets von neuem mit Dich über alles liebenden Herzen zu begehen wir im Grunde des Grundes von Dir genötigt werden.“

06. Sage Ich: „Nun, nun, es ist schon alles wieder gut; aber in Zukunft beachtet solchen Meinen Rat der Fremden wegen, damit diese in euch Meine wahren Jünger erkennen! — Nun aber gehen wir ans Fischen! Es werden dabei auch wieder kleine Wunder geschehen; aber ihr tut dabei, als wären das keine Wunder! Die Fremden sollen sie selbst finden und beurteilen, ob das ganz gewöhnliche, oder ob es außerordentliche Taten sind!“

07. Nach dieser nötigen Belehrung bestiegen die Jünger eilends die Boote, spannten die Netze aus und warfen sie ins Wasser nach der Kunst der Fischer, und machten einen Zug um den andern; aber der Fang war sehr wenig ergiebig.

08. Petrus bemerkte, daß da der ziemlich heftige Westwind ungünstig wirke und die Fische zu Boden treibe.

09. Ein anderer bemerkte wieder, daß man vor dem Abende nicht viel ausrichten werde; die Sonne scheine, durch kein Wölklein getrübt, zu heftig, und die Fische eilten darum der Tiefe zu, weil sie das heftige Licht nicht ertrügen.

10. Nun bestiegen aber auch die zwei Jünglinge zwei Boote, spannten ein großes Netz und stießen mächtig weit in die See hinaus.

11. Da sprach Andreas, der auch ein Meister im Fischen war: „Wenn die nicht wunderbarerweise durch ihre geistige Macht Fische in ihr Netz treiben, so können sie draußen auf der hohen See wohl zehn Jahre lang fischen, und sie werden nicht ein Stück ans Ufer bringen!“

12. Aber die beiden Jünglinge machen einen heftigen Zug, sind bald am Ufer und bringen bei dreißig gute Stücke ans Land.

13. Da sagt Andreas: „Das ist zwar kein Wunder, aber sonst dennoch recht viel, von der hohen See her dreißig Stück Waller (Welse) zu fangen.“

14. Endlich bestieg auch Ich ein Boot, die mutige Sarah aber auch eines. Wir spannten ein ziemlich großes Netz und ließen es ins Wasser. Als wir einen kleinen Zug unfern des Ufers taten, hatte sich das Netz schon mit fünfhundert Stück Lachsen, Salmen und Wallern gefüllt, so daß die beiden Jünglinge der Sarah zu Hilfe eilen mußten, weil sie das Netz sonst nicht hätte halten können. Die Fische wurden alsbald ans Land und da in die vielen Lägel gebracht, die hier auch in hinreichender Menge vorhanden waren.

15. Die Jünger aber machten noch einen Zug, und als sie das Netz ans Land zogen, fanden sie wieder nur wenige und das nur kleine Fischlein im Netze.

16. Petrus sagte: „Nun habe ich für heute wohl den letzten Zug getan! Es zahlt das ja bei weitem die Mühe nicht, die ein solcher Zug verursacht, daß man als ein alter, erfahrener Fischer nur ein Boot besteigt!“ — Darauf wollte er diese kleinen Fische wieder ins Meer zurückwerfen lassen.

17. Aber Ich sagte zu ihm: „Behalte, was du gefangen hast; denn die kleinen Fische sind oft recht gute Fische und sind Mir lieber denn die großen, die nicht selten ein zähes und schwer verdauliches Fleisch haben. Merke dir aber diese entsprechende Erscheinung!

18. Wenn du als Menschenfischer hinausgehen wirst, so laß es dich nicht verdrießen, so in das Netz des Evangeliums sich kleine Fischlein einfangen lassen werden; denn wahrlich, Mir sind sie lieber denn die großen! Alles aber, was da groß und wertvoll ist vor der Welt, ist in einer gewissen Hinsicht vor Mir ein Greuel! — Lassen wir aber nun die Fischerei, und begeben wir uns wieder nach Hause! Für heute und morgen sind wir versorgt; der Nachsabbat wird sich dann, so es not täte, schon wieder versorgen.“

19. Man zog nun alle Netze ein und brachte noch eine Menge von allerlei Fischen ans Land, gab sie in die Lägel und schaffte sie auf Karren und Tragen in den ziemlich großen Fischbehälter bei Meinem Hause, den seinerzeit Joseph selbst angelegt hatte.

44. Kapitel. Persönliches über Borus.

01. Als wir von der Fischerei etwa eine Stunde nach dem Mittage nach Hause kamen, wartete abermals ein gutes Mittagsmahl unser, das nun wieder Borus, der darum nicht mit uns fischen ging, hatte zubereiten lassen; denn es war dies seine größte Freude, für recht viele Menschen Gastmähler zu bereiten, und besonders gern kochte er mit seinen Köchen und Köchinnen im Freien. Er war auch dazu wie ein Kisjonah reich genug, um täglich wenigstens sechs— bis siebentausend Menschen zu speisen und zu tränken mit bestem Weine. Denn fürs erste war er der Sohn eines überaus reichen Griechen aus Athen, der aber auch in Asien große Besitzungen und auch mehrere kleine Inseln in seinem Besitze hatte; fürs zweite war er der einzige Erbe solcher großen und weitausgedehnten Besitzungen; und fürs dritte war er der bei weitem geschickteste Arzt vom ganzen Judenlande und verdiente sich durch seine Kunst, besonders von den großen und reichen Häuptern, große Summen Goldes und Silbers, wogegen er wieder den armen Kranken ganz umsonst alle mögliche Pflege zukommen ließ und daher von diesen als des Landes größter Wohltäter gepriesen war.

02. Zu alledem war er ledig, hatte weder Weib noch Kinder und hatte aber dennoch eine große Freude, arme junge Männer mit eben wieder jungen und gesunden Mädchen zu verbinden und zu segnen mit Wort und einer genügenden Aussteuer. Und so war er denn auch jetzt in seinem allerglänzendst besten Humor, weil er heimlich der Meinung war, Ich würde die überschöne und überzarte Sarah im Ernste ehelichen.

03. Als wir alle voll guten Mutes bei Tische saßen, aßen und tranken, da kam er und fragte Mich so ganz heimlich, ob da etwa doch etwas daraus würde!?

04. Erwiderte Ich ihm: „Liebster Freund und Bruder! Dein übergutes und edelstes Herz ist Mir nun zu bekannt. Ich weiß nur zu gut, daß du nur dann über Hals und Kopf glücklich bist in deiner Seele, so du andere glücklich gemacht hast. An dich hast du noch kaum je gedacht, und weil du zwischen Mir und der schönsten Sarah eine wirklich beachtenswerte große Liebe bemerkt und auch vernommen hast, wie wir heute vormittag von Braut und Weib geredet haben, so bist du bei dir heimlich der fröhlichen Meinung einer zwischen Mir und der schönsten Sarah sehr nahe bevorstehenden ehelichen Verbindung geworden. Aber Ich sage dir: da bist du in einer kleinen Irre! Denn siehe, so viele Weiber da auf der Erde leben, gelebt haben und noch leben werden, sie alle sind, so sie einen reinen Lebenswandel führen, mehr oder weniger Meine Bräute, und auch ebensogut Meine Weiber; aber solch eine noch so innigste Verbindung mit Mir hindert sie niemals, eines ordentlichen Mannes Weib zu werden, — und ein ganz notwendig gleiches Verhältnis findet soeben zwischen Mir und der allerliebsten Sarah statt. Aber sie kann darob ganz gut dein Weib werden, und doch im Geiste jetzt wie für ewig Mein wahrhaftigstes Weib sein!

05. Ich meine aber nun also: Da du schon so vielen biederen Männern, wenn sie auch noch so arm waren, zu lieben und braven Weibern verholfen hast, was die jungen, noch wie immer bei der Jugend, brennenden Männer wohl für ein größtes Glück hielten, so will denn auch Ich dir zu einem solchen Glück verhelfen! Siehe, gerade diese wahrhaft himmlisch schöne Sarah soll dein Weib werden! Du hast Mich verteidigt nach ihrer ersten Erweckung, als sie zum zweiten Mal auf dem Sterbebette lag, und Ich habe sie für dich erweckt zum andern Male und habe sie schon damals dir zum gebührenden Lohn bestimmt. Wie sie nun aussieht, so wird sie aussehen in ihrem siebzigsten Lebensjahre; dieses Kind wird nicht altern auf dieser Erde! Siehe an die beiden Engel, mit denen Cyrenius nun spricht, ob sie so schön sind wie dieses Mädchen! Sage Mir aufrichtig, ob du diese allerliebste Sarah denn doch nicht schon einige Male sehr bedeutungsvoll angeschaut hast, und ob dabei dein Herz gar nichts empfunden hat!“

06. Sagt Borus etwas verlegen: „Herr, vor Dir das zu verbergen, wäre eine allerreinste Unmöglichkeit! Daher sage ich es lieber ganz frei heraus: Sarah ist das einzige Wesen auf der Erde, das ich denn doch lieber selbst besäße, als daß ich jemand anderm zu ihrem Besitze verhülfe! Ich bin zwar auch schon stark über die dreißig Jahre hinaus, und sie kann erst sechzehn Frühlinge zählen; aber mein Herz scheint da noch kaum ihr schönstes Alter erreicht zu haben. So sie möglicherweise doch mein Weib würde, so liebte ich sie tausendfach mehr denn mein eigenes Leben!“

07. Sarah hatte diesem Gespräch heimlich sehr aufmerksam zugehört, und als Ich sie darauf ansah und fragte, wie ihr diese Unterredung zwischen Mir und dem stattlich aussehenden Borus gefallen habe, schlug sie, etwas schamrot, die Augen nieder und sagte nach einer Weile: „Aber so mußt Du denn doch alles bemerken! Ich habe den lieben Borus ja nur ein einziges Mal so ganz flüchtig angeschaut, weil er ein gar so lieber und überaus dienstfertiger Mann ist!“

08. Sage Ich, so mehr im scherzhaften Tone: „Aber in deinem Herzen hast du ihn, wenn Ich Mich nicht irre, schon etliche Male angeschaut!?“

09. Sagt Sarah, noch mehr ihr Gesicht verdeckend: „Aber Herr, Du fängst ja ganz ordentlich an, ein wenig schlimm zu werden! Daß aber Du doch um alles wissen mußt!?“

10. Sage Ich: „Sarah, wenn es also darauf und darum ankäme und er dich darum so recht herzlich um deine schönste Hand bäte, würdest du sie ihm verweigern?“

11. Sagt Sarah, ganz angenehm verblüfft über solch eine Frage: „Wenn ich das nicht täte, wie könnte ich dann Dein Weib werden? Lieben kann ich ja doch nur Dich, obschon ich vor Dir auch offen bekennen muß, daß ich den guten Borus überaus hochachte und schätze; denn er scheint mir nach Dir wohl der beste Mensch im ganzen Judenlande zu sein, obwohl er von Geburt aus ein Grieche ist und erst bloß der Wissenschaft, aber nicht der Beschneidung nach ein Jude geworden ist, seit kurzem erst.“

12. Sage Ich: „Nun ja, die Sache wird sich schon machen! Denke nur ein wenig nach, und sieh da uns gegenüber die Lydia an, die auch gleichfort Mein Weib ist geistig, aber dem Leibe nach dennoch als Weib dem biederen Faustus angehört! Unser Verhältnis aber stört das nicht im geringsten; denn du bleibst nach wie vor Meine Braut und Mein himmlisches Weib.“

13. Sagt nach einer Weile die Sarah: „Wenn es denn auch mir genehm wäre, dem guten Borus meine Hand zu reichen, so weiß ich ja doch nicht, was meine irdischen Eltern dazu sagen! Diese müßte ich denn doch auch fragen! Ich möchte zwar wohl schon darum den guten Borus, weil Du es gerne sähest; aber den Vater und die Mutter sollte man denn doch auch fragen!“

14. Sage Ich: „Nun ja, siehe hin, die sind schon gefragt worden und stimmen ganz mit Mir überein; aber Ich nötige dich durchaus nicht dazu. Dir bleibt dein völlig freier Wille!“

15. Sagt die Sarah, stets mehr verlegen: „Herr, — ja, daß ich es wohl weiß, — aber — ich, — ja, ja, ich — möchte aber — aber — doch nicht!“

16. Sage Ich: „Was möchtest du nicht?“

17. Sagt Sarah: „Ei, ei, Du bringst mich aber nun schon in eine ungeheure Verlegenheit! Ach, wenn ich doch den sonst gar so lieben Borus nur nicht angeschaut hätte!“

18. Frage Ich: „Ja, jetzt hast du Mir aber noch nicht gesagt, was es eigentlich ist, das du nicht möchtest! Also, geh, liebste Sarah, sage es mutig heraus, was das ist, was du so ganz eigentlich nicht möchtest!“

19. Sagt Sarah: „Aber Herr, wie magst Du mich noch fragen!? Weißt es ja ohnehin, was es ist, das ich nicht möchte! Laß Du mich raten, und ich werde durch ein leises Kopfnicken Dir schon zu erkennen geben, was das sei, was ich nicht möchte!“

20. Sage Ich: „Nun denn, weil du es willst, so will Ich dich erraten lassen, was Ich meine, was das sei, das du nicht möchtest. Und so höre denn: Du möchtest gewiß nicht, daß etwa der gute Borus darum aus Gram krank würde, so du ihm deine schöne Hand nicht reichtest!?“

21. Steht die Sarah auf und klopft Mir mit ihrer Hand auf Meine Schulter und sagt, zum Schein sanft ärgerlich: „Ehhh — heißt denn das raten lassen, wenn man gleich mit — hätte mich bald versprochen!“

22. Sage Ich: „Nun, — nur heraus mit der Wahrheit!“

23. Sagt Sarah: „Nun ja, hast so schon gesagt ,Mit der Wahrheit‘; ist aber auch wahr, daß das nicht ,raten‘ heißt, wenn man gleich mit der Wahrheit herauskommt!“

24. Sage Ich: „Nun sieh, Ich wußte es ja, daß du für Meinen liebsten Freund Borus mehr Sinn hast, als du es uns äußerlich wolltest merken lassen! Aber es ist das schon alles recht also! Das Mädchen soll bis auf den letzten Augenblick nur höchst wenig merken lassen, daß sie zu einem Manne eine besondere Neigung in ihrem Herzen trägt; erst wenn es sich um einen vollen Ernst handelt, soll sie dem Mann, der sie zum Weibe nehmen will, ihr Herz eröffnen, — sonst verlockt sie ihn vor der Zeit, und so dann möglicherweise sich Hindernisse erheben, da macht sie dann traurig sein Herz und unruhig sein Gemüt! Und das alles ist dann von großem Übel.“

25. Sagt die Sarah: „Aber Herr, das alles habe aber ich doch nicht getan!?“

26. Sage Ich: „Nein, nein liebste Sarah; darum habe Ich dich ja als ein Muster belobt! — Jetzt kannst du dem lieben Borus aber schon nach und nach sagen, wie es dir so ganz eigentlich ums Herz ist!“

27. Sagt die Sarah: „Ach, — jetzt sage ich's ihm noch nicht; wenn er erst mein Gemahl ist, dann ist es schon noch Zeit!“

28. Sage Ich: „Wenn er aber von Mir aus zum Beispiel schon dein Gemahl wäre, wie dann?“

29. Sagt die Sarah, heimlich fröhlich überrascht: „Nun ja, wie dann? — Nun ja, dann — — dann — nun ja, — dann — müßte ich ihm freilich mein Herz vollends enthüllen!“

30. Sage Ich zum Borus: „Sieh, wie unbeschreiblich lieb sie ist! Nimm sie, liebe recht und pflege sie wie eine zarteste Pflanze; denn Ich gebe sie dir aus den Himmeln als einen wohlverdienten Lohn. Gehet hin zu den Eltern, auf daß sie euch segnen, und kommet dann zu Mir, daß auch Ich euch nochmals segne!“

31. Borus dankt Mir, vor lauter Freude kaum reden könnend, und die Sarah erhebt sich gar züchtig von ihrem Sitze und sagt mit fröhlich erregter Stimme: „Herr, nur weil Du es also willst, tue ich es gerne; wäre es Dein Wille, so hätte ich dennoch gegen mein Herz gekämpft, — aber so danke auch ich Dir für den besten Mann vom ganzen Judenlande!“

32. Nach diesen Worten begeben sich beide zu dem Elternpaare hin und bitten es um den Segen, und als dieser ihnen mit allen Freuden zuteil wird, so kehren sie sogleich wieder zu Mir zurück; und Ich segne sie auch sogleich zu einer wahren, auch für alle Himmel gültigen Ehe, wofür Mir dann beide mit dem gerührtesten Herzen vollauf danken.

33. Es ist also hier eine ganz unvermutete Ehe geschlossen, die als eine der glücklichsten auf der ganzen Erde zu finden sein möchte. Und es geht daraus hervor, daß jemand das, was er Mir völlig zum Opfer bringt, nie verliert, sondern voll des höchsten Segens wiedererhält, und das allemal zu einer Zeit, in der er es sicher am wenigsten vermutet. Borus war in die Sarah überaus verliebt und hätte alle Schätze der Welt um sie gegeben, so man sie von ihm gefordert hätte; denn ihre wunderbare Schönheit, besonders nach der zweiten Erweckung, war für den Borus etwas, das er nicht beschreiben konnte, — und doch opferte er sie Mir ganz und wollte mit allem, was ihm zu Gebote stünde, Meinen vermeinten Hochzeitstag feiern. Ebenso fühlte auch Sarah überaus viel für den Borus, opferte ihn aber auch ganz Mir und wollte entschieden nur Mir allein angehören. Aber da wandte Ich das Blättchen auf einmal um und gab beiden, was sie Mir wahrlich von ganzem Herzen gegeben hatten. — Wer so handelt wie diese beiden, dem werde Ich auch tun wie diesen beiden!

34. Dies zur Belehrung für jedermann, der dies hören oder selbst lesen wird; denn auf diesem Wege kann man von Mir alles erlangen. Wer Mir alles opfert, dem opfere dann auch Ich alles; wer aber reichlich opfert, aber dabei dennoch vieles für sich zurückbehält, dem wird nur das wiedergegeben, was er geopfert hat. — Und nun wieder zur Sache!

45. Kapitel. Das innere Wesen der Engel.

01. Nach dieser recht herrlichen Begebenheit trat abermals Cyrenius zu Mir und sagte: „Herr, ich habe mich über manche Dinge mit beiden Engeln besprochen; aber ich habe aus allem, was sie mir sagten, nichts anderes gelernt, als was ich durch Deine Güte und Gnade schon ohnehin gewußt habe. Da hat also nichts Neues herausgeschaut! Aber was mich wenigstens sehr gewundert hat, ist, daß die beiden unbeschreiblich schönen Jünglinge gewisserart so ganz kalt sind für alles, was da vor sich geht! Sie sprechen voll tiefster Weisheit, und der Klang ihrer Stimme übertrifft die reizendste Harmonie der Äolslyra; aus ihren Mienen lächelt gleichfort ein reinstes Morgenrot; ihr Hauch duftet wie Rosen, Jasmin und Ambra; ihre Haare sind wie reinstes Gold, und ihre alabasterweißen Hände sind so rund und im vollüppigsten Ebenmaße so zart, daß ich auf der Erde dafür wahrlich keinen Vergleich finden kann; ihre Brust ist im vollendetsten Maße gleich der einer aufblühenden Jungfrau, wie ich nur eine einzige einmal in einer Gegend am Pontus gesehen habe; und ebenso schön und strotzend üppig im herrlichsten Ebenmaße sind ihre Füße; kurz, — man könnte vor lauter Liebe zu diesen beiden Wesen ganz rasend werden! Aber bei all diesen glorieartigen, unbeschreiblichen Vorzügen, aus denen nichts als Liebe und wieder tausendfache Liebe duftet, womit sie sogar den härtesten Stein zu Wachs erweichen müßten, sind sie dennoch so kalt und teilnahmslos wie eine marmorne Statue im höchsten Winter! Und das macht mich nahezu auch so kalt, als wie kalt da die beiden sind.

02. Sie haben zwar durchaus nichts von sich Abstoßendes, weder in der Rede noch in der Gebärde; aber es rührt sie nichts und bringt sie auch nichts aus ihrer überstoischen Gleichgültigkeit gegen alles, was ist und geschieht. Sie äußern sich über Dich Selbst zwar in großer Weisheitstiefe, aber mir kommt ihre Rede vor wie das Herablesen eines Briefes in einer Sprache, die man nicht versteht.

03. Sage mir doch, wie denn das bei den zwei reinst himmlischen Wesen möglich ist! Ist denn das der reinen Geister Sitte in Deinen Himmeln?“

04. Sage Ich: „Das wohl mitnichten! Aber diese beiden verhalten sich hier nur darum also, weil sie sich also verhalten müssen; sie aber haben für sich dennoch den vollkommenst freien Willen und ein Herz voll der heftigsten Liebesglut, die dich im Augenblick verzehren würde, so sich die beiden dir gegenüber ihrer Liebe entäußern würden!

05. Der irdische Mensch kann wohl die höchste Weisheitstiefe der Engel ertragen, aber ihre Liebe nur dann, wenn er in seinem Herzen ihrer Liebe gleichgekommen ist.

06. Daß die Sache sich aber also verhält, kannst du schon aus den ganz natürlichen Verhältnissen des irdischen Feuers und Lichtes ganz leicht ersehen. Das Licht kannst du ertragen wohl, das der Flamme entströmt; kannst du darum aber auch die Flamme selbst, die das Licht gibt, ertragen?

07. Die Sonne hat für die Welt doch sicher das stärkste Licht, und du kannst es noch ganz behaglich ertragen! Und wenn sich mit der Zunahme des Lichtes auch die Wärme mehrt, so wirst du das Licht freilich wohl schwerer ertragen; aber könntest du mit deinem Leibe auch gleich einem Engel in der über alle deine Begriffe lichtglühenden Sonnenluft bestehen? Ich sage es dir: Diese Sonnenluft würde die ganze Erde samt allem, was sie trägt, in einem Augenblick also zerstören, als wie da zerstört wird ein Tropfen Wassers, so er auf ein weißglühendes Erz fällt!

08. Wer in solchem Licht und Feuer bestehen will, der muß zuvor selbst das gleiche Licht und Feuer sein! Und sieh, aus eben diesem Grunde können die beiden Engel sich ihrer Liebe dir gegenüber nicht entäußern, weil dich ihre zu mächtige Liebe verzehren würde! — Verstehst du das?“

09. Sagt Cyrenius: „Beinahe verstehe ich es, aber so ganz klar dennoch nicht — wie so manches andere! Denn wie mich eine zu große Liebe töten könnte, will mir noch nicht recht einleuchten!“

10. Sage Ich: „Nun denn, so soll dir auch das soviel nur immer möglich einleuchtend gemacht werden, und so höre denn: Du hast eben auch einen Sohn und eine überaus liebenswürdige Tochter. Diese beiden Kinder liebst du nahe fabelhaft stark; ja, dein Herz kann vor lauter Liebe kaum beurteilen, wie mächtig es die beiden Kinder liebt, weil es von den Kindern wieder überaus mächtig geliebt wird. Aber nun stelle dir so recht lebendig vor, als wären dir die beiden Kinder gestorben, und frage dein Herz, ob es den Schmerz über solch einen Verlust wohl ertragen würde! Siehe, dich ergreift schon jetzt ein förmliches Fieber, wo Ich den möglichen Fall bloß als ein Beispiel aufgestellt habe! Wie würde es dir ergehen im Falle der Wirklichkeit? Ich sage es dir, wie Ich dein Herz kenne, daß du den Schmerz nicht drei Stunden lang ertrügest; er würde dich unfehlbar töten!

11. Nun, was aber ist die Liebe und die Liebenswürdigkeit deiner Kinder gegen die Liebe und allerfreundlichste Liebenswürdigkeit dieser zwei Himmelsboten!? Wenn diese beiden dich nur ein wenig mit einem liebenden Auge ansähen und gäben dir nur einen Finger zum Kosen, so würde die Liebe in deinem eigenen Herzen sich zu einer solchen Mächtigkeit steigern, daß du solche nicht viele Augenblicke ertragen könntest; und verließen dich dann die Engel auch nur scheinbar, so würde sich dann deines Herzens eine solche Trauer bemächtigen, daß du darob sterben müßtest!

12. Denn siehe, so schön nun auch diese Meine beiden Lieblingsengel sind, so ist solch ihre Schönheit doch nichts gegen jene von ihnen, wenn ihr Wesen von Meiner Liebe in ihrem Herzen so ganz durchdrungen wird! Ich sage es dir: da verschwindet endlos weit zurück alles, was die Welt Schönes und Liebes aufzuweisen hat! — Nun meine Ich, daß du Mich wohl wirst verstanden haben!?“

46. Kapitel. Von der dienenden Nächstenliebe der Ärzte.

01. Sagt Cyrenius: „Ja, Du mein Herr und offenbarst mein Gott, nun verstehe ich auch das wieder; ihre scheinbare Kälte ist dennoch pur Liebe!

02. Ich entsinne mich da der Mythe von einer Jungfrau, die durch sonderbare Fügungen der Kräfte der Natur wohl unbegreiflich schön und reizend war. Das merkten die Jünglinge, Männer und Greise und gerieten bald in einen großen Kampf, damit es sich entscheide, wessen Weib sie würde. Aber der Kämpfer Schar mehrte sich von Tag zu Tag zum Verderben der vielen Kämpfenden. Da man endlich sah, daß man da mit dem Kampfe auf Leben und Tod nimmer zum Ziele gelangen konnte, so trafen die Kämpfer endlich unter sich dahin das Übereinkommen und sprachen: ,Dies Wesen gehört nicht dieser Erde an, sondern den hohen Himmeln, und ist eine Göttin! Daher müssen hier hohe Opfer entscheiden! Wem aus den vielen Opfernden sie ihre schönste Hand reichen wird, der soll sie dann fürderhin ungestört besitzen!‘ Und man brachte auf diesen Beschluß von allen Seiten her unermeßliche Schätze zum Opfer und gab ihr göttliche Verehrung. Die Adoration (Anbetung) dieser Schönheit ging am Ende so weit, daß man die Verehrung und Anbetung der Götter gänzlich beiseite setzte. Darob erzürnten sich die Götter und gaben der schönen Jungfrau einen noch größeren Reiz, machten aber dafür ihren Odem giftig, daß davon ein jeder, der von ihr nur in die Ferne hin angehaucht wurde, besinnungslos zu Boden fiel und stundenlang in solcher Betäubung liegenblieb; dazu gaben sie in der Jungfrau Zunge einen überaus tödlich giftigen Stachel, mit dem sie nach Willkür jeden töten konnte, der sich, als ihr mißliebig, ihrem Munde nahte.

03. Als aber einer kam, ein Jüngling von blühend schönster Gestalt, da ward es auf einmal lebendig im Herzen der Jungfrau; aber was sollte sie tun, um ihn zu lieben, da sie darin sicher ist, von dem Jüngling glühend geliebt zu werden? Kehrt sie ihm ihr Antlitz zu, so wird ihr Liebling betäubt zu Boden sinken; küßt sie ihn, so wird er sterben. Sie wandte darum aus Liebe ihr Antlitz vom Jünglinge ab und stellte sich kalt gegen ihn, auf daß er sich ja nicht ihrem Munde nähern möchte. Auf daß ihr sonach ihr Liebling nicht stürbe, mußte sie ihn mit der scheinbar möglichsten Kälte lieben.

04. Und so, dieser Mythe völlig ähnlich, lieben diese beiden Jünglinge denn auch die Menschen dieser armseligen Erde mit der scheinbar größten Kälte, weil sie nur zu gut wissen, daß die Menschen die Liebesglut ihrer himmlischen Herzen nicht ertrügen!“

05. Sage Ich: „Ja, ja, also ist es; nur ist natürlich ihr Odem nicht giftig, und ihre Zunge führt keinen tödlichen Stachel; sondern ihr Odem belebt, und ihre Zunge segnet die Erde.“

06. Hier trat wieder Borus mit der Sarah zu Mir und fragte Mich, was er denn doch tun müßte, um sich für diese überschwenglich große Gnade dankbarer zeigen zu können, als solches bis auf diesen, für ihn überglücklichen Augenblick der Fall war!

07. Sage Ich: „Sage Mir, du Mein Freund und Bruder, wo ist denn der Mensch, der von seiner Kindheit an Mir mehr zugetan gewesen wäre als du!? Du warst als Knabe Mein täglicher Gefährte und tatest Mir, was du nur Meinen Augen ansahest, daß es Mir eine Freude wäre. Wann du alle Jahre mit deinen Eltern auf deren Besitzungen in Griechenland zogst und nach etlichen Wochen wieder heimkehrtest, so war stets Ich der erste, den du besuchtest, und dem du allerlei gute und oft recht kostbar schöne Sachen als Geschenk mitbrachtest, und du bist nicht ärgerlich geworden, als Ich einmal einen Mir geschenkten silbernen Dianatempel mit einem Hammer zerschlug und verbot, Mir je so etwas wieder zum Geschenke zu bringen!

08. Als Ich ein Jüngling ward und fast niemand auf Mich achtete, warst du der einzige, der sich gleichblieb; und wie du allzeit warst, so bist du noch und wirst auch also bleiben. Darum habe Ich dir hiermit nichts als einen schon seit vielen Jahren schuldigen Gegenfreundschaftsdienst erwiesen. Mache darum nicht viel Aufhebens davon! Du hast das sicher liebenswerteste junge und schöne, wie auch geistig geweckteste Weib bekommen — und die Sarah an dir den besten, treuesten und in jeder Hinsicht den reichsten und angesehensten Mann. An Meinem Segen in jeder guten Hinsicht sollt ihr von Mir aus auch ewig nie einen Mangel haben, und du bleibst zudem der beste Arzt nicht nur in diesem Lande, sondern in der ganzen Welt! Und so meine Ich, werdet ihr wohl recht gut leben können!?

09. Aber nur vergesset der wahrhaft Armen nie, und laß dir deine, von keinem Menschen der Welt erreichbare Kunst in der Heilung aller Krankheiten von keinem armen Bürger und noch weniger von einem Diener zahlen, sei's mit Geld, mit Abdienen, mit Getreide oder mit Vieh!

10. Aber den großen Geldbesitzern, Maklern und Wechslern, Kaufleuten und den großen Grundbesitzern rechne deine Kunst nach Recht und Gebühr; denn wer da hat und leben will, der soll dann und wann für sein Leben nur ein Opfer bringen! Es gibt dann schon Arme genug, denen du das zubringen kannst, um was sich ein begüterter Reicher sein Leben erkauft.

11. Ein Arzt wie du verkauft den Menschen das Leben, das besonders für die Weltmenschen das größte Gut ist. Darum sollen sie sich's auch nur ums teure Geld und Gut allzeit erkaufen und dabei noch überfroh sein, daß es auf der Erde irgendeinen Menschen gibt, bei dem sich das Leben erkaufen läßt.

12. Denn Ich sage es dir: Das ist wahrhaft eine übergroße und allererste Kunst in der Welt, die kein Weltmensch je erlernen kann: durchs Wort, durch den Willen und nur zuweilen durch die Auflegung der Hände alle Krankheiten, vom ärgsten Besessensein — alle Pestarten mit inbegriffen — bis zum leichten Schnupfen herab, in einem Augenblick zu heilen und alle Aussätzigen zu reinigen, die Blinden sehend, die Tauben hörend, die Lahmen gehend und die Krüppel gerade zu machen — und dazu noch den Armen Kunde zu geben vom Reiche Gottes! Freund, gehe hin in die ganze Welt und suche, ob du einen findest, der dir vollends gliche! Ich sage dir, da gibt es außer dir und Mir keinen!

13. In Sichar habe Ich wohl auch einen Arzt geweckt, daß er sehr namhafte Heilungen bewerkstelligen kann; aber er kann sich von seinen Kräutersäften nicht völlig trennen und steht daher dir bei weitem nach.

14. Meine Jünger werden dir in etlichen Jährchen auch nachkommen, aber nicht alle, die du hier siehst.

15. Meine allerliebste Sarah aber soll auch eine Kunst sich aneignen, und zwar die einer Wehemutter (Hebamme); denn es ist vor Gott ein sehr wertvoller Dienst, den stets mit vielen Schmerzen gebärenden Weibern beizustehen. Und so seid ihr beide sicher also versorgt, wie noch nie ein königlich Paar versorgt war!

16. Aber diesen Rat gebe Ich dir auch: Wenn ein Kranker zu dir kommt oder du zu einem gerufen wirst, so frage ihn stets ganz ernstlich: ,Glaubst du, daß ich dir im Namen Jesu, des Heilandes aus den Himmeln, helfen kann?‘ Sagt der Kranke darauf vollernstlich: ,Ja, ich glaube!‘, so heile ihn; zweifelt er aber, da heile ihn nicht, bis er glaubt, daß du ihn in Meinem Namen heilen kannst! — Nun aber noch ein Wort zu dir, Jairus!“

47. Kapitel. Vorschlag an Jairus. Über äußere Zeremonien.

01. Sagt Jairus: „Herr, rede, ich will dich hören und danach auch tun nach Deinem Worte!“

02. Sage Ich: „Ganz gut also; wirst du danach tun, so wirst du zeitlich und ewig glücklich sein. Und so höre denn:

03. Du bist nun ein Oberster der Pharisäer und ihrer Schulen in dieser ganzen Gegend von Nazareth, Kapernaum und Chorazin, von Kana in Galiläa und vielen andern Flecken, Dörfern und Weilern. Du stehst darum in Galiläa in einem großen Ansehen, das nicht viel geringer ist denn das des Hohenpriesters zu Jerusalem. Aber siehe, all dies dein großes Ansehen konnte deine Tochter nicht vor dem zweimal erfolgten Tode erretten und noch weniger sie vom Tode erwecken, als sie vollwahr gestorben war!

04. Du siehst, daß solch ein großansehnliches Amt zu gar nicht viel anderem nütze ist, als vor allem den Hochmut des Hochbeamteten noch mehr zu erhöhen, ihm das immer steigende Wohlleben zum Bedürfnisse zu machen, aber in der Nützung und wahren Hilfe den Menschen gegenüber stets schwächer und hilfloser zu werden und sich sonach den Hilfebedürftigen als selbst hilflos oder zu helfen ohnmächtig gegenüberzustellen; denn wer jemandem, der irgendeiner Hilfe bedürftig ist, nicht helfen kann oder will, der ist ebenso hilflos wie der Hilfsbedürftige selbst.

05. Es ist demnach ein hohes Amt, besonders das deine, von einem höchst geringen Belange. Wie wäre es denn, so du es in die Hände des Hohenpriesters nach Jerusalem zurücklegtest und darauf zu deinem nunmaligen Schwiegersohne zögest, bei dem du sicher besser und ansehnlicher versorgt wärest, als wie du es jetzt vom stockblinden Jerusalem aus bist? Du könntest dem Borus die Schrift, in der du wohlbewandert bist, nach und nach stets heller und heller machen, was für ihn von großem Nutzen wäre; er aber würde dich dafür so manches in der Heilkunde lehren. Ich aber lege dir damit kein Gebot auf, sondern stelle es dir ganz frei! Willst du diesen Meinen Rat befolgen, so wirst du wohl tun; willst du aber das nicht, so wirst du deshalb keine Sünde begehen.“

06. Sagt Jairus: „Herr, da bist du meinem höchst eigenen Wunsche wahrlich zuvorgekommen! Das ist nicht jetzt, sondern schon lange mein Wunsch gewesen, mein lästiges Amt niederzulegen; jetzt aber, da sich alles gar so überaus wundervoll günstig für mein Sein gestaltet hat, werde ich morgen schon einen Boten mit einem Dienstentlassungsgesuche nach Jerusalem senden mit der Bitte, dieses Amt einem andern zu verleihen! Aspiranten um solche Ämter gibt es in Jerusalem stets eine Menge, die für die Verleihung solch eines Amtes dem Tempel zehnfache Taxen bezahlen können, und so wird den Herren im Tempel ein solches Gesuch sicher sehr erwünscht sein, weil sie sogar Anträge denen machen, die irgendein hohes Amt besitzen, daß sie davon abstünden, weil dadurch ein neuer Aspirant in die Gelegenheit versetzt werden könnte, den Tempel um einige hundert Pfunde Silbers und Goldes reicher zu machen, als er vorher war! Mit den Ämtern wird nun in Jerusalem ja ein ganz ergiebiger Handel getrieben!“

07. Sage Ich: „Oh, das weiß Ich am allerbesten, wie es nun in Jerusalem zugeht! Da wird nur aufs Gewicht des Silbers und Goldes und der Perlen und Edelsteine gesehen, nie aber auf den Geist des Menschen. Wenn du als ein Prophet über Moses und Elias hinaus in den Tempel kämest und fingest an, als solcher zu predigen, so würde man dir nur zu bald die verfluchten Steine zeigen, mit denen die meisten der Propheten gesteinigt worden sind; aber so du kämest mit zehntausend Pfunden Goldes, so würde man dir die größten Ehren erweisen! Laß du nur zwei fette Ochsen in den Tempel treiben, und du kannst versichert sein, daß sie ihnen um vieles lieber sein werden denn Moses und Elias. — Aber lassen wir nun das! Die Zeit ist nicht mehr ferne, die den Templern und ganz Jerusalem den wohlverdienten Lohn geben wird; denn gar lange wird man diesem Greuel nicht mehr zusehen. — Nun von etwas anderem!

08. Was hört man denn nun vom Johannes? Ist er noch in der Haft des Herodes?“

09. Sagt Jairus: „Ich habe nichts vernommen, daß er irgend wieder in Freiheit gesetzt worden wäre! Aber ich werde mich durch den morgigen Boten, den ich in der bewußten Sache nach Jerusalem absenden werde, darüber ganz angelegentlich erkundigen, so es Dir, o Herr, genehm ist!“

10. Sage Ich: „Laß das; denn Herodes ist ein schlauer Fuchs, und dein Bote könnte als Galiläer Anstände bekommen. Ich aber sehe es im Geiste ohnehin, wie es mit Johannes steht. Wir werden übermorgen traurige Nachrichten erhalten, an denen samt Mir niemand eine Freude haben wird.“

11. Nach diesen Worten fragen Mich Cyrenius und Kornelius, ob Ich denn haben möchte, daß auch sie ihre hohen Ämter niederlegen sollen.

12. Sage Ich: „Oh, mitnichten! Eure Ämter sind ganz anderer Art und überaus nötig und von großer Wichtigkeit! Aber nur verwaltet eure wichtigen und hohen Ämter stets nach Recht und Billigkeit und stellet vor dem Gesetz jedermann gleich! Nur — wie ihr es schon wisset aus Meinem Munde — lasset die Liebe stets vor dem Gesetz einhergehen, und denket, daß der Sünder, der gegen die sehr weitläufigen Staatsgesetze als ein dieser vielen Gesetze völlig Unkundiger nur zu leicht zu handeln imstande ist, auch ein Mensch ist, bestimmt, so wie ihr, fürs ewige Leben im Reiche Gottes! Werdet ihr stets also euer Gesetz handhaben, so werdet ihr gleich den Engeln handeln, die eben auch also Gottes Diener sind, wie ihr Diener des Kaisers seid.“

13. Sagt Cyrenius: „Das wollen und werden wir! Aber nun haben wir noch eine äußerst wichtige Frage, und diese besteht darin: Wir sind, wie Dir nur zu wohl bekannt ist, Römer und sonach, wie ihr sagt, Heiden (Irrgläubige). Sollen wir dem Äußeren nach bleiben was wir sind, nämlich Heiden, oder sollen wir öffentlich dem Heidentume abschwören und uns beschneiden lassen?“

14. Sage Ich: „Weder das eine noch das andere! Sondern wer, wie ihr, im Herzen beschnitten ist durch den Glauben an und durch die Liebe zu Gott, braucht weiter nichts mehr; denn das genügt vollkommen zur Erreichung des ewigen Lebens. Nach etlichen Jahren aber werden schon ohnehin Meine vom Gottesgeiste erfüllten Jünger zu euch kommen und euch taufen mit dem Geiste Gottes, und ihr werdet dadurch alles erhalten, was euch not tut. — Nun wisset ihr alles. Der Abend ist nicht mehr fern, und wir wollen uns der Juden wegen heute, als am Vorsabbate, etwas früher zur Ruhe begeben als an einem andern Tage. Nach dem Abendmahle werden wir denn für heute nichts weiteres mehr verhandeln.“

15. Hier treten die zwei Engel zu Mir in der tiefsten Ehrfurcht und bitten Mich, ob sie denn nicht noch die paar Tage sichtbar hier in Meiner leiblichen Nähe verweilen dürften; es sei für sie das die höchste Seligkeit, die sie je empfunden haben.

16. Und Ich sage es laut: „Ihr habt von jeher die vollste Freiheit, und so tut, was euch frommt; aber vergesset darob nicht, welchen Dienst ihr zu leisten habt! Die Mittelsonnen bedürfen einer großen Pflege, und ihr wisset es, wie viele es deren im unendlichen Gottesraume gibt!“

17. Sagen die beiden Engel: „Herr, dies alles ist besorgt und wird fortan gleich besorgt!“

18. Sage Ich: „Ja, ja, das weiß Ich, darum auch möget ihr nach eurem Wunsche hier verweilen; denn der Geringste hier aus diesen Menschen, die um Mich sind, ist mehr denn zahllose Mittel—, Neben— und Planetarsonnen! Die Sonnen aber sind der Menschen wegen gemacht und müssen dieser wegen denn auch stets allersorgfältigst besorgt werden!“ — Die Engel verneigen sich überseligst und gehen wieder zu Meinen Jüngern, mit denen sie sich gleichfort besprechen und ihnen über gar viele Dinge in der Welt überwichtige Aufschlüsse geben.

19. Borus aber eilt nun ins Haus und sorgt für ein gutes Abendmahl, das er reichlich bereiten läßt.

48. Kapitel. Die erbschaftlichen Angelegenheiten des Jairus.

01. Nach dem Abendessen, das über eine gute Stunde angedauert hatte, fragte Kornelius den Cyrenius sagend: „Hoher Bruder, was meinst du denn?! Sollen wir heute noch hier verweilen, oder sollen wir uns vielleicht — irgend wichtiger, auf uns wartender Geschäfte halber — von dannen begeben? Ich bin dir tief untergeben und füge mich deinem Worte.“

02. Sagt Cyrenius: „Ich hätte eigentlich schon heute in der Frühe abreisen sollen, da meiner sicher schon irgend dringende Geschäfte harren. Aber sage: Wer, wenn er weiß, was hier ist, kann sich von da trennen? Man könnte schwer einen freundlichen Kaiser verlassen, so er sagete: ,So du bleiben willst, so bleibe!‘ Was ist aber ein Kaiser gegen hier, wo unleugbar der Schöpfer Himmels und der Erde weilt als Mensch unter Seinen Menschen und unter Seinen Engeln?! Zudem haben Seine Engel auch eine längere Frist zum Hierbleiben erhalten, von denen wir noch sehr viel lernen und erfahren können. Ah, jetzt gehe ich schon gar nicht fort! Nicht ums ganze römische Kaiserreich brächte mich jetzt jemand von der Stelle, und sollte da schon kommen, was da wollte! — Bleibe nur du auch! Von mir aus hast du die volle Erlaubnis dazu; und käme da auch etwas aus, so wird wegen ein paar Tagen die Erde noch lange nicht zugrunde gehen! Dazu meine ich, daß wir bei diesem Herrn viel besser versorgt sind denn von Rom aus!? Und sollte auch etwas noch Dringendes ausfallen, so gibt es in der Hand des Allmächtigen Mittel genug, auch das Dringendste im Augenblick zu schlichten.“

03. Sagt Kornelius: „Hoher Bruder! Mit diesem Bescheide bin ich ja ohnehin über alle Maßen zufrieden, und es verlangt mich noch lange nicht, diesen Ort zu verlassen! Ich habe ohnehin nur der politisch—staatlichen Ordnung wegen diese Frage getan. Aber es wäre in einer gewissen Hinsicht denn vielleicht doch gut, eine geheime Spioniererei durch unsere Wachleute, die wir bei uns haben, die heutige Nacht hindurch in der Stadt anzuordnen, um zu erfahren, was denn etwa doch die Leute von unserm Hiersein halten und untereinander reden!?“

04. Sagt Cyrenius: „Wenn es dem Herrn genehm ist, können wir die Sache anordnen; aber ich bin da dieser Meinung, daß wir am Herrn vor allem, und dann auch an den zwei Engeln, die allerverläßlichste geheime Polizei haben und es nicht nötig sein dürfte, uns, solange als wir hier sind, einer andern zu bedienen. Sind wir fürderhin wieder von dieser heiligen Gesellschaft aus den Himmeln entfernt, dann werden wir uns leider wohl wieder der geheimen Auskundschafter bedienen müssen, um die Gesinnungen der Menschen in der nötigen Evidenz (augenscheinliche Gewißheit) zu erhalten und dort sogleich Vorsichtsmaßregeln zu treffen, wo sich für den Staat ungünstige Konspirationen zu zeigen beginnen. Aber wie gesagt, wenn es dem Herrn genehm ist und Er es wünscht, da bin ich gleich bereit, das Allertriftigste anzuordnen.“

05. Sage Ich zum Cyrenius: „Laß das; denn fürs erste weiß Ich ohnehin vom Alpha bis zum Omega, was in der Stadt nun alles für und wider uns geredet wird. Im ganzen aber liegt durchaus keine Gefahr darin; denn dies Volk ist auch für gewisse Bosheiten viel zu blind und zu dumm. Darum lasset das alles gehen! Von Nazareth aus wird nie eine Emeute ausgehen, des könnt ihr versichert sein. Übrigens ist Mein Freund Borus stets die allerverläßlichste geheime Polizei; ihm entgeht gar zu leicht nichts, — was in der eben nicht gar großen Stadt sicher nicht schwer ist. Zudem könnte Ich Meinen Engeln sagen, daß sie die Spionage vornehmen, und ihr könntet durch sie in einem Augenblick mehr erfahren, als so ihr zehn Jahre hindurch die allerklügsten Spione hieltet. Aber wie gesagt, hier tut weder das eine noch das andere not, — und wir begeben uns daher ganz ohne Sorge zur Ruhe. Nur Jairus wird noch einen Boten nach Jerusalem bestellen und ihn mit der Amtszurücklegungsanzeige versehen müssen. Denn morgen werden wir ganz andere Dinge zum Verhandeln bekommen.“

06. Sagt Jairus, ganz traurig, daß er jetzt die Gesellschaft verlassen solle: „Herr, wäre es denn nicht möglich, hier die Urkunde auszufertigen und sie nach Jerusalem, mittels eines Boten, von hier aus zu befördern? Das Haus in Kapernaum ist ohnehin mein volles Eigentum und alles, was darin ist, Gründe, wie Äcker und Wiesen, durften wir Priester ja ohnehin nicht besitzen, und so ist mein alles in meinem Hause, das Dir wohlbekannt ist. Ich habe somit vorderhand in Kapernaum nichts zu tun und werde wahrscheinlich auch nachderhand dort nichts mehr zu tun bekommen; mein Haus samt allem, was darin ist, gebe ich nun sogleich meinem lieben Schwiegersohne. Mit einer Schrift von mir in seiner Hand wird er hingehen und alles unter staatsgerichtlicher Assistenz (Hilfe) in den vollen Besitz nehmen — gleich einem rechtmäßigen Erben nach meinem Tode, und ich und mein Weib sind dabei ganz überflüssig. Was aber die Freunde in Kapernaum betrifft, so sind diese hier; die aber noch in Kapernaum sich befinden und sich zu meinen Freunden zählen, sind wahrlich keines Abschiedsbesuches wert; denn es sind das lauter Freunde ins Gesicht, aber im Herzen doch sind s' ohn' Gewicht!“

07. Sage Ich: „Nun, so bleibe denn auch du, und Ich werde an deiner Stelle einen Meiner zwei hier anwesenden Boten nach Jerusalem senden; der wird mit solcher Botschaft eher fertig werden, als so du einen Boten nach Jerusalem absenden würdest. Aber nicht mehr heute, sondern morgen als an einem Sabbat!“

08. Sagt Jairus: „Am Sabbat wird sich's wohl im Tempel am wenigsten schicken; denn die Hohenpriester und Oberpriester im Tempel halten auf nichts strenger als auf die Sabbatsfeier!“

09. Sage Ich: „Laß du das gut sein! Sie halten auf die Feier des Sabbats nur darum so große Stücke, weil notwendigerweise zum öftesten dawidergehandelt wird und werden muß, da ein jeder Mensch denn doch oft an einem Sabbat irgend etwas zu tun genötigt wird, die Pharisäer aber dabei auch am öftesten die Gelegenheit bekommen, den Übertretern der Sabbatfeier recht derbe Strafbußen zu diktieren.

10. Bringe du ihnen aber an einem Sabbat nur Gold und Silber soviel du willst, so werden sie sogleich im Tempel den Sabbat brechen und sodann ganz vergnügt dein Gold und Silber annehmen. Sei du darum des Sabbats im Tempel wegen ganz unbesorgt; Mein Bote wird das ihm anvertraute Geschäft ganz überaus wohl zustande bringen!

11. Meinest du denn, daß da es den Pharisäern angenehm wäre, so es niemanden gäbe, der durch irgendein dringendes Geschäft dann und wann schändete den vermeinten Tag des Herrn? Oh, da seien wir ganz ruhig! Je mehr Sabbatschändungen, besonders bei Reichen, vorkommen, desto mehr jubeln im geheimen die Tempelherren!

12. Darum noch einmal gesagt: Sei du darob ganz ohne Besorgnis! Mein Bote wird morgen, sogar während der Opferung, die an jedem Sabbat geschieht, ganz vortrefflich aufgenommen werden! Denn er wird mit einer schweren goldenen Beilage in den Tempel eintreten und sogestaltig von den Pharisäern mit den freundlichsten Mienen und offensten Armen aufgenommen werden; zudem warten ohnehin schon zehn Aspiranten auf eine Oberstenstelle, für die sie große Summen bieten. Und so wird ihnen, und besonders aber den Templern, deine Abdankung überaus erwünscht kommen.

13. Es wird darauf sogleich der Sabbat im Tempel unter der bekannten Zeremonie gebrochen und darauf sogleich die Versteigerung der Oberstenstelle von Kapernaum vorgenommen werden; und du wirst durch den zurückkehrenden Boten sogar den Namen deines Nachfolgers erfahren.

14. Siehe, so stehen die Dinge nun im Gotteshause zu Jerusalem, das da auch heißet ,die Stadt Gottes‘, aber nun ganz eigentlich eine Stadt des Satans ist. Da nun aber alle Dinge gut geordnet sind, so begeben wir uns zur Ruhe; denn morgen soll es für uns früh Tag werden!“

49. Kapitel. Des Jairus Abdankung. Der Herr in der Synagoge.

01. Auf diese Meine Worte begibt sich nun alles zur Ruhe; nur Meine Brüder, die Mutter Maria und der Borus sind noch in der Küche beschäftigt, um für den kommenden Sabbat alles Nötige vorzubereiten. Auch die Sarah und die Lydia sind der Maria behilflich und tummeln sich recht emsig in der Küche herum. Als sie alles in der Ordnung haben, begeben auch sie sich zur Ruhe, und wie gewöhnlich ist auch am Morgen die Maria zuerst auf den Beinen und weckt die, die sie braucht, noch lange vor dem Aufgange, auf daß sie alles, was wir den Tag hindurch vonnöten haben, nach jüdischer Sitte noch vor Beginn des Sabbats in der Ordnung und Bereitschaft hat. Borus ist auch sehr geschäftig, und so sind zum Morgenmahle schon alle Tische bestellt, als wir alle uns von den Lagern erheben.

02. Im Freien werden Morgenpsalmen gesungen, und auf den vielen Tischen im Freien harren schon wohlzugerichtete Fische und Brot und Wein derer, die sie verzehren werden.

03. Wir begeben uns dann auch zum Morgenmahle, und Ich entsende nach dem Mahle den Boten in der bewußten Angelegenheit nach Jerusalem. Jairus harret mit großer Sorge auf die Rückkunft des abgesandten Boten, der natürlich nur so lange ausbleibt, als er auf rein menschliche Weise mit den Templern zu verhandeln hat. Da aber die Verhandlung dennoch bei zwei Stunden angedauert hatte, so kam der Bote auch nur erst in zwei Stunden, zur großen Freude des Jairus, zurück und hinterbrachte dem Jairus nebst der Nachricht von der freudigen Annahme seiner Abdankungsurkunde auch eine Lob— und Dankadresse für dessen treu verwaltetes Amt, und es wird ihm zugleich auch der Name seines Nachfolgers kundgegeben mit der Bitte, selbem im Falle der Not mit Rat und Tat an die Hand zu gehen, falls er dessen bedürfe.

04. Jairus ist nun ganz heiter und sagt zu Mir: „Herr, aus aller Tiefe meines Herzens danke ich Dir für diese wunderbare Errettung von einem Amte, in dem ich nach solchen gotteswiderlichen Dienstverhältnissen alleroffenbarst eine Beute des Satans werden müßte!“

05. Sage Ich: „Nun, habe Ich es dir nicht gesagt: Wenn es sich um glänzende Geschäfte der Templer handelt, da kann nun der Sabbat inmitten der Opferung zu jeder Stunde des Tages gebrochen werden! Aus dem aber kannst du leicht ersehen, wie viel die Templer auf Gott und Seine heiligen Gesetze halten!

06. Nun aber wollen wir des Volkes wegen dennoch wieder die Synagoge besuchen und dort sehen, was die Pharisäer alles machen und lehren werden; aber wir nehmen ganz rückwärts Platz, auf daß wir von den aufgeblähten Pharisäern und Volksältesten nicht so bald bemerkt werden!“

07. Sagt Jairus: „Aber ich werde nicht hineingehen, denn mich kennt ein jeder Knabe; wäre ich in der Synagoge, so müßte ich vorne im Presbyterium des Obersten Platz einnehmen, und ihr wäret dadurch verraten!“

08. Sage Ich: „Laß nur du dir kein Kummerhaar wachsen! Denn so Ich etwas anrate, was da zu geschehen hat, so kannst du ohne alle weiteren Besorgnisse danach handeln, und es wird dir dennoch kein Haar gekrümmt werden! Und so machen wir uns sämtlich auf den Weg!“ — Wir setzen uns darauf in Bewegung und erreichen bald die Synagoge.

09. Als wir in dieselbe treten, so zeigt es sich, daß sie sehr leer ist, und nur allein die diensttuenden Pharisäer erfüllen das Presbyterium. Nach und nach kommen einige alte Juden und nehmen in ihren Bänken Platz, um darin so recht con amore (mit Liebe) ihr Vormittagsschläfchen zu machen.

10. Nach vollbrachter Opferung und stumpfer Herabmurmelung der Gesetze, einiger professionsmäßiger Psalmen und des Hohenliedes Salomonis besteigt ein Redner den Rednerstuhl und fängt mit einer sehr heiseren Stimme folgendes zu predigen an: „Meine Geliebten in unseren Vätern Abraham, Isaak und Jakob! Wir leben nun in einer sehr bedrängten Zeit — nahe gleich derjenigen, als Noah die Arche baute und endlich, auf Jehovas Geheiß, sich samt seiner Familie in dieselbe einschloß! Wir stehen nun an der heiligen Stätte, von der Daniel geweissagt hat, sehen den von ihm vorhergesagten Greuel der Verwüstung an — wie die gebannten Sklaven der heidnischen Hexe Megära die Qualen ihrer Brüder ansehen und schmerzlich erwarten mußten, bis man auch sie in kochendes Erz legen werde — und können uns weder links noch rechts hin irgend bewegen! Wir stehen so verlassen da wie irgendein schon lange abgestorbener Baumrumpf auf einer Bergspitze zum klaffenden Beweise, daß einst auch in solcher Höhenregion üppige Wälder mögen gestanden haben! Was ist aber da zu machen? Das ist eine große Frage! Eine diamantene Krone dem, der darauf eine taugliche Antwort zu finden imstande ist! Aber er bedenke wohl unsere höchst gebannte und mit allen Ketten der Welt gefesselte Stellung!

11. Auf der einen Seite sitzen uns die Römer wie der ganze Berg Sinai knapp auf dem Genicke, auf der andern Seite des Zimmermanns Sohn, der auf einmal, wie aus den Wolken gefallen, aus einem barsten Haustölpel zu einem Propheten erstanden ist, wie seit Abraham noch nie einer unter den Juden gelebt hat. Alles läuft ihm nach, groß und klein und jung und alt! Wenn heute Jehova Selbst zur Erde herabkäme, so fragt es sich sehr, ob Er größere Taten vollbringen würde oder könnte! Jede Krankheit heilt er bloß durchs Wort in die Ferne hin, die Toten ruft er aus den Gräbern und gibt ihnen ein vollkommen gesundes Leben wieder! Also gebietet er den Winden und den Meereswogen, und sie gehorchen ihm wie ein Sklave seinem Gebieter! Wenn er redet, so leuchtet allenthalben die allertiefste göttliche Weisheit heraus, und alles ist von der Macht seines Wortes hingerissen und folgt ihm von einer Stadt zur andern. Dazu hat er noch die Großen Roms fest auf seiner Seite, die ihm mit Legionen zu Dienste stehen, wann er deren benötigen würde. Wir aber stehen gerade am Rande des scheußlichsten Abgrundes, um in jedem Augenblick verschlungen zu werden, und haben aber auch nicht ein sterbliches Wesen auf unserer Seite — außer diese alten Schläfer in der Synagoge! Da frage ich noch einmal: Was sollen wir tun?

12. Was nützen uns nun Moses und alle die Propheten, was selbst Jehova, der mit Moses und den Propheten geredet hat, uns aber nun schon seit mehr denn einem ganzen Säkulum im tiefsten Moraste stecken läßt!? Und ob wir schon schreien, daß man uns bis zu den Sternen vernehmen solle, so meldet sich dennoch kein Jehova mehr und läßt uns ärger in der schmählichsten Patsche, als ein vollendet windbeutliger Bräutigam seine arme, von ihm zehnmal verführte und unglücklich gemachte Braut! Wir aber haben dafür noch den Ehrentitel, ,Gottes Volk‘ zu heißen, während die gottlos sein sollenden Heiden in allem Ansehen und im Besitz aller Macht und aller Reichtümer der Erde stehen also, wie solches Jehova Seinem David nach der Schrift verheißen hat, — was aber nie in Erfüllung ging!

13. Da heißt es, ganz göttlich groß gesprochen: ,Und deines Reiches wird fürder ewig kein Ende sein!‘ Sehen wir nun das ewige Reich Davids an! O du schöne Lüge eines dem David schmeichelnden Propheten! Wie oft schon ist des Reiches Davids ein Ende gewesen! Er selbst hat schon das Vergnügen gehabt, es an der Seite seines Sohnes zu erleben, und hätte den Sohn nicht eine Eiche gefangengenommen, so hätte der gute David seinem süßen Jehova noch zehntausend Psalmen vorsingen können, und Absalom wäre dennoch auf dem Throne gesessen! — Lassen wir aber das Vergangene beiseite und besehen uns jetzt das verheißene ewige Reich Davids! O du schönes Reich! Vielleicht hat sich die Seele Davids in die Cäsaren Roms begeben, deren Reich wenigstens jetzt ein bei weitem besseres Gesicht hat für einen ewigen Bestand als das Schneckenreich des großen Mannes nach dem Herzen Gottes! Brüder, greifet ihr es noch nicht mit den Händen, daß unsere ganze alte Lehre eine pure Fabel ist, an der sonst nichts ist als erdichtete Namen aus der Vorzeit?! Und wir sind noch die Narren und hängen daran, als wenn da wirklich irgendein Heil zu gewinnen wäre! Welch ein Esel oder Ochse von einem Menschen wird denn noch einen alten, klein zerlumpten Rock am Leibe dulden, so er für den alten zehn neue vom besten Stoffe haben kann?!

14. Die Geschichte und die höchst eigene Erfahrung zeigen uns sonnenhell, daß an der ganzen Mosaischen Lehre und an allen Propheten nicht mehr von irgendeinem reellen Belange ist, als an einer hohlen, tauben Nuß, — und doch hängen wir schier verhungert daran wie an irgendeiner sicheren Berechnung und weichen vor lauter alteingewurzelter Dummheit dennoch nicht von der Stelle, wenn uns auch schon das Wasser bei allen unsern Leibesöffnungen hineinrinnt wie der Jordan in das Tote Meer!

15. Auf darum, Brüder, schließen wir uns auch an den Sohn des Zimmermanns an, und wir sind geborgen! Denn er tut vor unsern Augen das, was die Alten nie von Jehova, den sie so wenig als wir je gesehen, gefabelt haben! Ich meine, mit diesem meinem Vortrage nun die von mir aufgestellte schwere Frage unter einem beantwortet zu haben; tut danach, und es soll uns allen sogleich physisch und moralisch besser ergehen!

16. Roban, unser Ältester, ist uns zuerst mit einem guten Beispiele vorangegangen; folgen wir ihm nach, und es soll für keinen aus uns gefehlt sein! Vielleicht ist gerade dieser vorher wenig beachtete Zimmermann Jesus dazu ganz vollkommen geeignet, das wahrlich unglückliche, ewig sein sollende Reich Davids wenigstens auf eine Zeitlang wieder herzustellen! Denn bei seiner unbegreiflichen magischen Macht, mit der sich keine Macht der Welt messen kann, ist es am ersten möglich, den sehr abergläubischen Römern einen derartigen Respekt einzutreiben, daß davon ihre mächtigen Legionen nur zu bald tausend Füße zum Davonlaufen bekommen könnten.“

17. Hier erheben sich die Ältesten, die Schriftgelehrten, Pharisäer und Leviten und sagen: „Du verstehst die Schrift schlecht, wenn du solch eine ketzerische Rede führen kannst, an der zwar wohl in einer gewissen irdischen Hinsicht was zu sein scheint, die aber in geistiger Hinsicht ein schwarzes Verbrechen gegen die unleugbare Majestät Gottes ist, und wir darum genötigt sind, dich unseres Heiles willen aus unserer Gesellschaft unter die Heiden zu stoßen!“

18. Sagt der Redner: „Meinet ihr etwa, mich dadurch zu strafen? Oh, da irret ihr gewaltig! Wollt ihr Narren bleiben und als solche verhungern, so tut ihr das immerhin, damit ihr verbleibet in eurer alten Nacht und Finsternis! Ihr alten Dummköpfe, gebet mir ein Beispiel an, wo irgendein Gottesredner einen Toten aus dem Grabe ins Leben zurückgerufen hätte, wie dieser unser Zimmermann!“

19. Sagen die Ältesten: „Das wird Gott tun am Jüngsten Tage!“

20. Sagt der Redner: „Euer Gott wird euch am Jüngsten Tage was vorpfeifen! Kein Mensch weiß irgendeine Silbe davon, daß Jehova, wie wir Ihn kennen aus der Schrift, je irgendeinen Menschen vom Tode ins Leben zurückgerufen hätte! Weil solches nie ein Mensch erlebt und am Rande seines kurzen irdischen Lebens nichts als den sichern ewigen Tod vor Augen hatte, so ward es ihm sehr bange, und er fing sehr traurigen Gemütes ängstlich zu fragen an: ,Was bin ich, und wohin komme ich, wenn dieses Leben zu Ende ist?‘ Und da es an sogenannten Gottesknechten, wie wir zu sein die spottschlechte Ehre haben, nie gemangelt hat, so mußten sie zum Troste der vielen Fragenden und zum besten ihrer eigenen möglichst besten Zwecke denn doch etwas erfinden, das die vielen sehr scharf Fragenden in etwas beruhigte, und es kam dadurch die Erweckung am jüngsten Tage, den die weiten Himmel wahrscheinlich nie werden erstehen lassen, zum Vorscheine; und wir denkenden Narren lassen uns damit aber auch noch breitschlagen und sind darob blind für die unerhörtesten wahren Taten und Begebenheiten, die vor unseren Augen, Nasen und Ohren zustande gebracht werden! Ist es denn im Ernste gar so etwas Erhabenes für einen Mann, so er sich als Greis noch immer nicht von dem schon ganz verschimmelten sogenannten Kinderzuzel zu trennen vermag?

21. Was wollt ihr denn noch fernerhin mit dem alten Kram der Juden, der sich bei der gegenwärtigen Aufhellung der Völker kein halbes Säkulum mehr halten kann? Ich werde der Narr sicher nicht sein und abwarten das Ende dieser blinden Lehre, an der sonst nichts ist als leere geschichtliche Namen oder aber auch Namen und märchenhafte Fabeln, die zuerst die Ammen ihren Säuglingen aus dem Stegreife erzählt haben mögen, und aus denen dann die erwachsenen Säuglinge eine fabelhafte Gotteslehre zusammengestoppelt haben, in der kein System und kein Funke von irgendeiner nach griechischer Art logischen Ordnung zu entdecken ist!

22. Sollte denn Jehova nicht einmal so logisch zu reden und zu lehren imstande sein wie ein armseliger griechischer Philosoph, da mag Er erst zu den Griechen in die Schule gehen, bevor Er Seine durchaus nicht allgemein auf den Kopf gefallenen Völker Wahrheit, Ordnung und Weisheit lehren will!

23. Aber das sei von mir ewig ferne, daß ich mir den Jehova nicht weiser vorstellen sollte als einen durch seine Kindsmagd gebildeten Propheten, der bei aller seiner sonstigen Dummheit gerade noch so viel Mutterwitz besitzt, eine so dunkle Lehre von sich zu geben, daß er sie zuerst und als der erste durchaus nicht versteht und verstehen kann, was eigentlich schon in seinem Plane darum gelegen ist, auf daß solch eine Lehre desto weniger von irgendeinem andern Menschen verstanden werden solle! — Höret mir auf mit eurem Jehova! Wahrlich, als ein ehrlicher Mensch muß ich mich nun erst so recht zu schämen anfangen, daß ich je solch einer unmenschlich dummen Lehre habe anhangen können!

24. Wenn an der Lehre Mosis aber im Beginne etwas gewesen war, so ist dieses ,Was‘ nun sicher so entstellt durch die niedrigsten menschlichen Lumpereien, daß wir davon aber auch nichts mehr als den vielleicht auch schon ganz falsch ausgesprochenen Namen besitzen!

25. Ich bin daher heute noch ein Jünger des Zimmermanns Jesus! Er ist gut und wird einen ehrlichen Kerl sicher nicht, wie ihr, von sich weisen!“

50. Kapitel. Reden der Ältesten über die Zustände im Judentum.

01. Sagen die Ältesten, ganz grimmig erstaunt über den Redner: „Gottesleugner! Gotteslästerer! Weißt du, daß du genau nach Mosis nun durch diese deine übergotteslästerliche Rede verdient hast, gleich in der Synagoge gesteinigt zu werden? Wie kannst du es wagen, andere Menschen in ihrem festesten Glauben zu erschüttern, an Gott und Moses zweifeln zu machen, weil du keinen Glauben hast?

02. Hast denn du wirklich so blutwenig Verstand, daß du darob nicht einsehen kannst, daß da keines Menschen Alter hinreicht, daß man in sich, selbst durch mehrtausendjährige Erfahrung, klug würde und nur das glaubte, was man selbst erlebt hat? Gott hat darum aus Seinem Geiste die Menschen Schriftzeichen kennen gelehrt, durch die sie das, was sie erlebt haben, und was ihre Nachkommen kaum je wieder erleben dürften, für eben diese Nachkommen aufzeichnen sollen, auf daß auch diese eine heilsame Kenntnis davon bekämen, was sie selbst in ihrer Zeit kaum erleben können, weil eine jede Zeit etwas anderes hervorbringt. Dies lehrt uns handgreiflich schon die Erfahrung unserer wenigen Tage, die wir auf der Erde zu durchleben haben, da kein Jahr, kein Monat, keine Woche und sogar kein Tag dem andern völlig gleicht in dem, was da geschieht! Forsche nach der Chronik zurück, und wir geben dir alles, was wir haben, so du uns eine Zeit nachzuweisen imstande bist, in der sich gerade das ereignet hätte, was sich vor unsern Augen und Ohren zuträgt!

03. Wenn aber unleugbar die Sachen auf der Erde sich also und nicht anders verhalten, was willst du sonach mit deinen losen und groben Verdächtigungen der Schrift, die ein heiliges Vermächtnis unserer Urväter an uns, ihre Nachkommen, ist und uns in klaren Zügen lehrt, was sie als fromme, gottergebene Menschen alles erlebt haben, und welche Anstalten getroffen wurden, durch die ihre Nachkommen leichter und geordneter ein Gott wohlgefälliges Leben führen könnten, als es wahrscheinlich bei ihnen der Fall war?!

04. Glaubst du denn, daß wir gar so dumm sind, daß es uns unmöglich wäre, das zu beurteilen, was nun vor unsern Augen geschieht? Oh, da irrest du dich groß! Aber wir benützen die Weisheit unserer Väter, die alles früher viele Jahre einer gewaltigen Prüfung unterzogen haben, bis sie es als das, als was es sich gezeigt hat, angenommen haben!

05. Wären unsere Ahnen so leichtgläubig gewesen wie du, so hätten sie die Propheten nicht gesteinigt! Wenn sie aber sahen, daß ein echter Prophet auch unter dem tötenden Steinregen von dem, was er aussagte, auch nicht um ein Haarbreit wich, dann bekam seine Aussage freilich ein anderes Gesicht, und die Väter nahmen sie als von Gott ausgehend an!

06. Wenn aber unsere Väter also kritisch bei der Annahme einer von einem Propheten aufgestellten neuen Verkündigung des Willens Gottes an die Menschen verfuhren, ist es dann nur einigermaßen vernünftig, anzunehmen, als sei unsere Gotteslehre nichts als ein Pamphlet (Schmähschrift) irgend vorzeitlicher, gutmütig leichtsinniger junger Burschen, denen es ein Vergnügen machte, alle späteren Generationen für einen Narren zu halten?!

07. Du hast uns als Narren und Dummköpfe deklariert; aber es ist da eine große Frage, ob du unter uns nicht der allergrößte bist!? Denn so lieblos gegen seine Brüder zu urteilen wie du, ziemt einem Manne aus dem Stamme Levi nicht!

08. Hast du uns aber durch deine schlechte Rede bloß prüfen wollen, ob wir bei den außerordentlichen Begebnissen dieser Zeit wohl noch das seien, was wir als echte Juden sein sollen, so hast du dazu eine schlechte Art gewählt und hast dich vor uns nur so ganz eigentlich selbst enthüllt, wie du in deinem Herzen beschaffen bist.

09. Denn ein jeder Mensch verrät sich in seinem blinden Eifer am meisten und zeugt über sich, wie er in seinem Gemüte beschaffen ist; denn da läßt er seinen Lieblingsideen, Gesinnungen und Leidenschaften den vollen, freien Lauf.

10. Aber der nüchterne Zuhörer denkt sich sein Teil und hat dabei den Vorteil, seinen Freund aus dem Fundamente kennenzulernen.

11. Glaubst du denn, daß wir es nicht wissen, wie sich in unsere Gotteslehre, besonders in ihrem auszuübenden Teil, gar große Mißbräuche eingenistet haben, die leider den Moses und die Propheten nicht selten noch ärger bedecken als die dicksten Gewitterwolken die Sonne? Aber die reine, unverfälschte Schrift kann nicht mit derlei Wolken bedeckt werden, und ein echter Schriftgelehrter wird dennoch stets wissen, wie er mit der reinen Wahrheit daran ist.

12. Wir alle sehen es so gut wie du, daß diese Mißbräuche am Ende die reine Gotteslehre, wie die bösen Holzwürmer einen frischen Baum, bei den Menschen töten werden, aber auch nur bei dir ähnlichen Menschen; aber die Lehre in sich selbst wird darum dennoch rein verbleiben und wird zu allen Zeiten ihre reinen und festen Bekenner haben.

13. Hast denn du noch nie einen Baum gesehen, auf dessen Ästen zum Verderben des Baumes für die Menschen eine Menge böser Afterpflanzen sich eingewurzelt haben und ihre Nahrung aus demselben Baume nehmen? Höret aber darum der eigentliche Grundbaum auf, das zu sein, was er im Grunde des Grundes ist?

14. Wir Menschen mit unsern blöden Sinnen können den Grund von dergleichen Ausartungen freilich wohl nicht einsehen; aber das sehen wir doch ein, daß sie unmöglich entstehen könnten, wenn es der allmächtige und allweiseste Gott nicht wollte. Warum muß es denn Wölfe geben, die bloß da sind, die friedlichen und unschädlichsten Lämmerherden zu zerstören und sich zu sättigen an ihrem Blute und Fleische? Warum müssen der Löwe, der Bär, der Tiger, die Hyäne und andere reißende Raubtiere dasein, warum neben der sanften Taube der mächtige, gefräßige Aar? Siehe, das sind unergründliche Geheimnisse für uns kurzsichtige Menschen, und wir können sie nicht aufhellen!

15. Ein Landmann bebaut sein Feld; es steht alles im vollsten Segen da; er erweitert schon seine Vorratskammern, auf daß sie aufnähmen den neuen Segen. Aber da kommt an einem Tage auf einmal ganz unerwartet eine Sturmstunde, — und der ganze Segen ist vernichtet! Könnte man da nicht füglich die Frage stellen und sagen: ,Gott, so Du gewollt hast, daß dies Feld dem Landmanne keine Früchte tragen solle, weil er vielleicht ein Sünder ist, so hättest Du ja Macht genug gehabt, des Feldes Segen im Keime zu zerstören, wodurch dem Landmanne Kosten und Mühe erspart worden wären!‘ Aber siehe, solches geschieht gar oft vor unsern Augen, und niemand ist imstande, davon nur irgendeinen vernünftigen Grund anzugeben.

16. Ebenso sehen wir praktische Abweichungen sowohl in der reinen Lehre Mosis im Tempel als wie bei allen Bekennern desselben, hie und da mehr oder weniger; wir sehen die Wandler auf Irrwegen; wir sehen auf dem alten Baume des Lebens eine große Masse Schmarzotzerpflanzen. Was aber können wir darum und dafür? Wir haben das alles nicht gemacht und gewollt, daß es also ist, sondern wir haben es schon also gefunden und müssen es erdulden, wenn es uns auch noch so bitter im Munde vorkommt!

17. Aber deshalb ist unserem Geiste dennoch keine Schranke gezogen, daß wir darum die Schmarotzerpflanzen an dem Lebensbaume als ein und dasselbe mit in den Kauf nehmen sollten. Uns bleibt dennoch der Baum in seiner ursprünglichen Echtheit, und seine Aftergewächse werden als das betrachtet, was sie sind; und gegen diese Lebensweisheit kann kein Gott irgendeine Einwendung machen. Da wohl wäre Gott ein alberner Gott, so Er zu jedem einzelnen von uns sagen möchte: ,Gehe hin und breche den Tempel, der voll Unflates geworden ist, ab; denn Ich, Gott, habe ein großes Mißfallen an dessen Greueln!‘ Könnte da der einzelne schwache Mensch seinem Gott nicht erwidern und sagen: ,Herr, siehe, was Unsinniges verlangst Du von mir, Deinem armseligen, schwachen Geschöpf? So Dich mein Dasein geniert, so kostet es Dich bloß einen Gedanken, und ich bin nicht mehr; aber von mir Unmögliches verlangen, heißt einer Mücke gebieten, daß sie mit ihrer unvermehrten natürlichen Kraft einen Elefanten auf ihren Rücken nähme und davontrüge!‘

18. Wir meinen aber, daß Gott viel zu weise ist, als daß Er nicht einsähe, daß kein Mensch gegen einen reißenden Strom schwimmen kann!

19. Sage uns nun, ob du die volle Wahrheit unserer Rede eingesehen hast, und wir wollen dir alles nachsehen, was du blinder— und törichterweise uns angeworfen hast!“

51. Kapitel. Eines Redners Zeugnis von der Bundeslade.

01. Sagt der Redner, der unter dieser im Ernste ganz triftigen Belehrung seine wahrhaft stoische Fassung nicht einen Augenblick verloren hatte: „Liebe Freunde und Brüder! Das, was ihr mir nun vorgepredigt habt, weiß ich so gut wie ihr; aber dennoch freut es mich nun zum ersten Male in meinem Leben unter euch, daß mir bei dieser Gelegenheit das große Glück zuteil ward, zu erfahren, daß ihr ebenso wie ich nicht auf den Kopf gefallen seid! Was ihr geredet habt, ist wahr; aber meine Frage ist darum dennoch nicht beantwortet.

02. Es ist so, wie ihr geredet habt, was ich bei mir recht klar einsehe, obschon ich euch mit scheinbaren Widergründen nur einen Rippenstoß habe versetzen wollen, durch den euer stets verschlossener Mund geöffnet werden sollte. Und seht, es ist mir gelungen, daß ihr das erste Mal während unseres zwanzigjährigen Beisammenseins und Wirkens ganz offen mit mir geredet habt!

03. Aber weder meine noch eure klare Einsicht vermindert das Übel, in dem wir uns augenscheinlichst befinden. Es ist und bleibt die große, wichtige Frage, was wir nun beginnen sollen.

04. Ich, der Sohn eines Oberpriesters aus Jerusalem, im Tempel aufgewachsen und erzogen, weiß nur zu genau, wie es mit der Arche des Bundes steht. Holz, Silber und Gold ist noch das alte; aber der immergrüne Aaronsstab ist zum Pulverisieren trocken, die Gesetzestafeln sind zerbrochen, das Manna besteht bloß noch in der Idee! Und die Feuersäule, wo etwa die ist?! Man weiß es aus den Annalen (Jahrbüchern) der Schrift, daß jeder Unberufene das Leben verlor, so er mit ungeweihten Händen die Lade anrührte; nun kann man auf der Lade herumsteigen und sie anrühren, wie man will, und es fährt kein tötend Feuer aus ihr.

05. Wenn fremde Reisende um vieles Geld und heiligst beschworener Verschwiegenheit das alte Wunder besichtigen wollen, so wird ihnen das ohne allen Anstand bewilligt, aber erst am nächsten Tage nach der erteilten Bewilligung. Da wird dann die Feuersäule wieder künstlich dargestellt, aber wohlgemerkt, nicht über der wirklichen, alten, sondern über einer aus Metall künstlich nachgemachten Lade! Diese Lade hat zuoberst, in der Mitte eingerichtet, einen schwarzen Becher, aber so, daß man dieses Bechers, der im Oberdeckel befestigt und bis auf dessen Fläche in ihn eingesenkt ist, in der für sich ganz dunklen heiligsten Kammer der hervorquellenden hellen und sehr dichten Flamme wegen nicht leichtlich ansichtig werden kann. In diesen Becher wird feinstes, ätherisches Naphthaöl, mit andern wohlriechenden feinsten Ölen vermengt, gegeben und etwa eine Stunde vorher angezündet; also brennt es dann bei sechs Spannen hoch empor und stellt also die Feuersäule vor.

06. Wenn die Schaulustigen diese recht schöne Feuersäule mit großem Behagen angegafft haben und das Innere der Lade zu sehen wünschen, so wird mit stets formeller Zeremonie und leeren Gebeten der Oberdeckel samt gleichfort hoch auflodernder Feuersäule ganz behutsam auf ein vergoldetes Gestell herabgehoben, und den Beschauern werden natürlich die neuen Mosaischen Tafeln als echte gezeigt, so das Manna, das aber auch ganz frisch, ein grünender Aaronsstab und dergleichen mehr, was die Lade enthält.

07. Manche Beschauer werden dadurch ganz ergriffen; manche, besonders Griechen, aber gehen wieder heimlich schmunzelnd aus dem Allerheiligsten und sagen am Ende: ,Das ist wirklich eine ganz artige Komposition!‘ Nur bedauern die meisten, daß der übrige Tempel gar so schmutzig gehalten werde. Ich sage euch, ich möchte sogar eine große Wette machen, daß in der Zeit die alte Bundeslade für alle Zeiten aus dem Wege geräumt ist, und daß nunmehr für beständig die neue aus Erz ihre Stelle und ihr Amt vertritt.

08. Wollt ihr mir aber darin keinen Glauben schenken, so verkleiden wir uns zum Beispiel als Römer, ziehen hin nach Jerusalem, betreten den Tempel und tun wie Fremde darin; sogleich wird sich ein dienstbarer Geist einfinden, der uns haarklein ausfragen wird, woher wir sind, was wir in Jerusalem suchen, wie lange wir in der ,Stadt Gottes‘ verweilen werden, wohin wir uns dann begeben, und ob wir mit großem Gelde reisen, ob wir kein Gold oder Silber zu verkaufen hätten, und ob wir nicht etwa gegen Entrichtung einer ganz unbedeutenden Taxe das Allerheiligste sehen wollten. Dann fragen wir bloß um den Preis, und man wird uns von einhundert Pfunden Silbers was sagen. Wir aber sagen dann, das ist zuviel, und wir stehen überhaupt nicht darauf an, solche Dinge zu sehen; wenn's um zehn Pfunde möglich ist, dann lassen wir uns herbei. Und wir kommen alle um zehn schlechte Pfunde ins Allerheiligste, so wir dem betreffenden Oberhüter zuvor ein feierliches Gelöbnis geben, davon um alles in der Welt ja nie, weder im Judenlande noch in einem weit entlegenen fremden Lande, etwas davon zu verraten, wie auch niemandem zu sagen, im Allerheiligsten gewesen zu sein. Solches geloben wir ganz leicht, und wir kommen so als Pseudo— Römer ins Allerheiligste, und ihr könnt euch dann selbst überzeugen, ob eine Silbe von all dem erlogen ist, was ich euch ehedem über die Lade des Bundes mitgeteilt habe!

09. Und, liebe Freunde und Brüder, wenn man als Mensch von einem etwas helleren Verstande solche Sachen im Allerheiligsten, wo man selbst bei solchen Gelegenheiten als ein pfiffig brauchbarer Handlanger gedient hat, mit höchst eigenen Augen gesehen hat, da wird es einem ehrlichen Menschen dann wohl für immer eine bittere Sache, einen schmählich bezahlten Betrüger und Lügner des Volkes zu machen! Wie oft dachte ich dann bei mir selbst nach und sagte zu mir: ,Wenn das lebendigst sein sollende Allerheiligste, auf das die ganze Gotteslehre und alle die Gesetze basiert sind, eine pure, geheim gehaltene Lumperei ist, was soll man dann von der ganzen Lehre und von den Gesetzen halten?‘ — Ich habe nun geredet, jetzt redet wieder ihr; ich bin geneigt, euch zu hören.“

10. Sagt ein Ältester: „Ward es dir denn erlaubt, solches Geheimnis zu verraten? Hast du nicht einen Eid der ewigen Verschwiegenheit leisten müssen, bevor man dich als Eingeweihten aus dem Tempel entließ?“

11. Sagt der Redner: „Allerdings; aber ich bin nun so frei, diesen dummen Eid, der für mich gar keinen Wert hat und haben kann, nicht mehr zu halten, sondern der ganzen Welt laut zu verkünden, wie sie betrogen ist! Und hier in Nazareth nehmen wir es mit derlei Sachen ja ohnehin nicht gar zu genau, und so kann man es ja wagen, einen solchen Betrugseid zu brechen, ohne sich daraus ein Gewissen zu machen.“

52. Kapitel. Die Verteidigungsrede des Ältesten.

01. Sagen die Ältesten: „Wir sehen nun wohl ein, daß du in einer gewissen Hinsicht recht hast, — aber durchgehends dennoch nicht; dazu bist du wenigstens um zwanzig Jahre an Erfahrung zu jung. Es sieht nun im Tempel wohl so aus, wie du gesagt hast; aber es war nicht allezeit also. Denn siehe, so du recht gründlich und folgerecht zu denken vermagst, so mußt du ja notwendig den Satz als unumstößlich wahr aufstellen: ,Wenn nie ein Wahres und Wirkliches dagewesen wäre, so würde es auch nie einem Menschen einfallen können, ein Falsches und Unwahres nachzubilden.‘ Warum bekommt man nur zu oft in unserer in allerlei Künsten übergeweckten Zeit falsche Diamanten, falsche Perlen, so auch falsches Gold und Silber?

02. Wir wissen, daß die Perser die besten und feinsten Schals und andere Kleiderstoffe bereiten und ihnen auch die haltbarste Farbe geben nach ihrer geheimen Kunst, darum ihre Erzeugnisse auch in einem hohen Werte stehen. So du aber heute nach Jerusalem, nach Sichar oder gar nach Damaskus auf den Markt ziehst, so mußt du ein feiner Warenkenner sein, um nicht schier in unseren Landen nachgemachte, also falsche und schlechte Stoffe für echt persische um den hohen Wert zu kaufen, um den man gewöhnlich persische Stoffe kauft! — Was geht aber daraus hervor?

03. Siehe, so es nie einen echten Diamanten, nie eine echte Perle, nie ein echtes Gold und Silber und nie echte kunstvolle persische Stoffe gegeben hätte, so würde es auch nie einem Menschen einfallen, derlei falsch nachzumachen! Und hätte das Echte nicht einen so hohen Wert, dann würde auch die falsche Nachahmung sicher unterbleiben; denn es wird sicher keinem Menschen einfallen, einen falschen Kalkstein nachzumachen, weil des echten Kalksteins eine unsägliche Menge vorhanden ist. Nun kannst du dir wohl sehr leicht denken, daß man eben sogestaltig nie eine falsche Lade mit der Feuersäule nachgemacht hätte, wenn früher nicht in der Tat eine echte und wundervoll wahre bestanden hätte.“

04. Sagt der Redner, der Chiwar hieß: „Ganz gut! Das ist klar; aber es fragt sich, was denn da vor sich gegangen ist, daß die alte Bundeslade gewisserart gestorben ist! Sie existiert richtig noch und befindet sich noch dann und wann an der Stelle der falschen in der allerheiligsten Halle, — was aber in dieser Zeit fast gar nicht mehr geschieht wegen der häufigen Besuche, die jetzt der allerheiligsten Halle zuteil werden, da man es doch ganz genau weiß, daß noch vor kaum dreißig Jahren außer dem Hohenpriester, der das Recht hatte, auf dem Stuhle Aarons zu sitzen, kein Mensch ins Allerheiligste treten durfte und der Hohepriester selbst nur zweimal im Jahre nach der gewöhnlichen Vorschrift; nur bei außerordentlichen Fällen durfte er auch drei— oder viermal ins Allerheiligste treten.

05. Wie ging also das zu, daß das Allerheiligste nun bloß nur dem Namen nach ein Allerheiligstes geblieben ist, im Grunde des Grundes aber nun ein ebensowenig Allerheiligstes ist wie diese unsere Synagoge hier?“

06. Sagt ein erfahrener Ältester: „Was dazu die Veranlassung und die Ursache gewesen sein mochte, weiß weder ich noch irgendein Eingeweihter in ganz Israel; nur das ist faktisch gewiß, daß die Feuersäule nach der argen Ermordung des Priesters Zacharias zwischen dem Opferaltar und dem Allerheiligsten auf einmal erlosch und hinfort mit allem Bitten und Beten nicht mehr zum Vorschein kam.

07. Daß man aber solchen Vorgang dem Volke nicht offenbaren konnte, wirst du hoffentlich doch einsehen! Denn das hätte eben bei dem Volke eine zu große Bewegung verursacht; dazu die Römer im Lande! Welch ein Blutbad und welch eine Verwüstung hätte das nach sich ziehen müssen!

08. So aber weiß außer uns Eingeweihten kein Mensch in ganz Israel etwas davon, und diese Galiläer, die hier schlafen und unser leises Geflüster schwer vernehmen dürften, wenn sie auch nicht schliefen, würden auch nichts machen, so sie es auch wüßten, weil sie samt und sämtlich wenig glauben und mehr Griechen als Juden sind und fürs praktische Leben schon lange von dem Grundsatze ausgehen: eine Religion müsse es geben zur Darniederhaltung des gemeinen Volkes, dessen sich der kleine gebildete Teil desto leichter zu seinem Vorteile bedienen kann, und es sei da ganz gleichgültig, was für ein Mysterium einer Religion zugrunde liege.

09. Was kümmert es da einen echten besseren Galiläer, ob die Lade echt oder unecht ist, wenn sie nur fürs gemeine Volk, das abergläubisch und überleicht zu blenden ist, die nötige Wirkung macht!? Man kann darum hier in Nazareth, in Kapernaum und Chorazin unter guten Bekannten und Freunden schon ziemlich offen sein, ohne dadurch einen Schaden anzurichten; was aber die Griechen und Römer betrifft, nun, da wissen wir, mit wem wir es zu tun haben!

10. Darum zumeist hat man ja auch den Prediger Johannes, der mehrere Jahre lang zu Bethabara sein Unwesen trieb, ins Gefängnis gebracht, weil man befürchtete, daß er als ein Sohn des Zacharias, der den Priestern zu Jerusalem durchaus kein gutes Zeugnis gab, leicht von der falschen Lade etwas wissen und solches dem Volke offenbaren könnte!

11. Es wird darum auch der Zimmermann so verfolgt, weil man Ihn bei seiner offenbarst prophetischen Eigenschaft fürchten muß, da er davon dem Volke etwas kundgeben könnte! Darum bleibe das unter uns noch gleichfort ein Geheimnis, und wir dürfen uns gar so leichten Kaufs noch lange nicht wegwerfen!“

12. Sagt Chiwar: „Das ist freilich wohl eine ganz verzweifelte Geschichte; wenn nur die dort unten beim Haupteingange von unserem Diskurse nichts vernommen haben!“

13. Sagt der Älteste: „Nun, wir haben eigentlich nur mehr gemurmelt als gesprochen, und die dort unten werden wenig oder nichts davon vernommen haben! Und hätten sie auch etwas vernommen, so sind sie zumeist Griechen und Römer und verstehen nicht, was wir da unter uns verhandelt haben.“

14. Sagt Chiwar: „Aber ich habe des Zimmermanns Sohn Jesus, den Oberstatthalter Cyrenius, den Obersten Jairus, den Obersten Kornelius, den Faustus und andere bekannte Leute unter ihnen bemerkt!“

15. Sagt der Älteste: „Das sind Menschen, gegen die wir uns ohnehin nicht schützen können; ob die es gehört haben oder nicht, das ist einerlei! Wollen sie das dem Volke kundtun, so bedürfen sie unserer Besprechung lange nicht, da sie sicher auch ohne uns schon lange nur zu klar wissen werden, wie es mit der Lade im Tempel steht; und wollen sie es nicht, so wird diese unsere Besprechung sicher kein Motiv dazu sein — und so können wir schon ganz ohne Sorge sein! Nun aber seien wir darauf bedacht, daß wir als Eingeweihte die fragliche Sache nicht irgendwo ruchbar machen; und wird solches dereinst geschehen müssen, so wird dazu wohl die höchste Vorsicht notwendig sein!“

53. Kapitel. Chiwar gibt Zeugnis von den Werken und dem Leben Jesu.

01. Sagt Chiwar: „Wahrlich, ich muß eure Weisheit loben! Wie lange wir auch schon beisammen leben und wirken, so hat sich dennoch nie eine Gelegenheit ergeben, bei der ich euch, meine Gefährten, so wie heute hätte kennenlernen können, und es freut mich nun ganz besonders, an euch auch Menschen statt dummer Tempelknechte an meiner Seite zu haben; aber alles dessen ungeachtet bleibt die Erscheinung des Zimmermanns das Außerordentlichste, was je, solange die Erde von Menschen bewohnt ist, von Menschensinnen wahrgenommen worden ist. Da geht Adam mit allen seinen tausendjährigen Erlebnissen und Gesichten unter! Ein Henoch gehört zum geistigen Bettelvolke; Abraham, Isaak und Jakob, Moses, Aaron und Elias sind arme Schlucker gegen uns! Ein Tag bringt nun mehr des Wunderbarsten und nie Erhörten zustande, als alle die Ur— und Erzväter je erlebt haben!

02. Ich selbst habe gestern und auch heute schon so von weitem hin einen geheimen Beobachter alles dessen gemacht, was in und außer dem Hause des alten Joseph vor sich gegangen ist. Ich sage es: nichts als Wunder über Wunder! Zwei sichtbare, vollkommen lebendige Engel dienen ihm! Des Faustus Weib war in Kapernaum, und der Zimmermann wollte sie an der Morgentafel haben; aber es wären dazu nahe vier Stunden Zeitdauer erforderlich gewesen, um sie von Kapernaum nach Nazareth zu bringen. Was geschieht aber? Der Zimmermann winkt den zwei offenbarsten Engeln. Diese verschwinden nur auf ein paar Augenblicke und bringen ganz heiteren Mutes die schöne Lydia, des Faustus Weib, nach Nazareth! — Was sagt ihr dazu? Das wird doch offenbar mehr sein, als was wir zu fassen vermögen?!“

03. Fragen die Ältesten: „Was hast du denn noch gesehen?“

04. Sagt Chiwar: „Ihr kennet doch des Jairus Tochter und wisset auch, daß sie zweimal gestorben ist, und daß sie das zweite Mal schon etliche Tage im Grabe gelegen ist, wißt ihr auch; aber ihr wißt es nicht, daß diese Sarah, des Jairus himmlisch schöne Tochter, des Borus Weib geworden ist! Ist das nicht unerhört, daß ein zweimal vollkommen gestorbenes weibliches Wesen eines Mannes Weib wird, und das in einer Art und Weise, wie die Erde noch nie eine Vermählung erlebt hat?! Als des Zimmermanns Sohn sie gesegnet, sah sie den Himmel offen, und zahllose Scharen erfüllten die Luft und lobten Gott, daß Er den Menschen der Erde solche Ehren und Gnaden erweise. Als das Paar aber von Jesus gesegnet war, da verschlossen sich die Himmel auf einen sichtbaren Wink des Zimmermanns, und nur die zwei Engel blieben, wie sie früher waren, und wie ihr sie sehen könnt hier in der Synagoge, dort, nahe an der Türe stehend in der Gestalt zweier himmlisch schöner Jünglinge. Betrachtet sie und saget, ob sie von wo anders her sein können als rein aus den Himmeln nur!

05. Wenn aber nun das alles sich also wunderbar verhält, was niemand von uns leugnen kann, warum sollen wir den Sohn des Zimmermanns denn nicht für etwas Höheres halten als bloß für einen Schüler der Essäer, die er nie gesehen haben kann, weil er meines Wissens sich nie aus dieser Gegend entfernt hat, außer ein paar Male mit seinem Vater und seinen Brüdern nach Jerusalem und, glaube ich, einmal nach Sidon, um dort ein Haus aufzubauen; sonst aber war er stets zu Hause.

06. Obschon man weiß, daß er gleichfort ein stiller, eingezogener Arbeiter war, und daß man ihn sogar für ein wenig blöde hielt, so weiß man aber doch auch, daß sich von seiner Geburt an bis in sein etwa zwölftes Jahr ganz sonderbare Dinge mit ihm zugetragen haben; sogar seine Geburt soll eine ganz wunderbare gewesen sein — nach der Erzählung des nun römischen Obersten Kornelius, der mir solches erst unlängst in Kapernaum bei einer festlichen Gelegenheit erzählt hat!

07. Wenn sich aber die Sachen so verhalten, da frage ich aber doch vollernstlich, ob man noch Bedenken tragen soll, diesen Jesus wenigstens als einen Gottessohn anzusehen; denn dergleichen Dinge, die er verrichtet, und wie er den Engeln gebietet und sie ihm auf einen Wink gehorchen, dies alles läßt doch offenbarst den Schluß zu, daß da hinter diesem Jesus eine Fülle des urgöttlichen Geistes stecken muß!

08. Wenn aber das — was seine Taten und Lehren zeigen —, so weiß ich wahrlich nicht, aus welchem Grunde wir noch fortan an der toten Lade hängen, während hier die lebendige vor unsern Augen wandelt und handelt! Wir können pro forma (zum Schein) vor dem Volke das sogar bleiben, was wir nun sind, um die Sache nicht zu auffallend zu machen; aber im Herzen sollten wir uns alle fest zu ihm bekennen!“

09. Sagt der weise Älteste: „Entweder ganz oder gar nicht! Denn, ist Göttliches in ihm, so wird dieses jede Halbheit verabscheuen; ist aber das nicht der Fall, dann ist es dennoch besser, bei der toten Lade mit wenigstens einer lebendigen Erinnerung an ihren früheren Bestand zu verbleiben, als etwas anzunehmen, davon man den Grund nicht kennt!“

10. Sagt Chiwar: „Darum wollen wir die Sache prüfen euretwegen; denn meinetwegen braucht sie gar nicht geprüft zu werden. Ich bin im klaren und weiß ganz genau, was ich tue, wenn ich ihm nachfolge.“

11. Sagt der Älteste: „Meinst du aber, daß der Tempel keine Schritte mehr tun werde, wenn eine Gemeinde und eine Ortschaft um die andere von ihm abfällt wie eine vollreife Frucht vom Baume? Ich glaube, daß der Tempel gar nicht lange auf sich warten lassen und seine Strafpriester in alle Orte hinaussenden wird! Und dann wehe allen abgefallenen Menschen; die werden mit allerlei bitter geplagt werden! Besser dürfte es dann noch denen ergehen, die der weisen Griechen Lehre angenommen haben, als eben den Jüngern Jesu, die weder völlig Juden und noch weniger Griechen sind und wohlbewußtermaßen wissen, daß diese oder wenigstens einige aus ihnen mit den schlechten und nun vollends leeren Tempelverhältnissen und dessen heiligen Mysterien ganz wohl vertraut sein dürften!

12. Ich sage es euch: nichts wird die Templer nun in eine größere, natürlich ganz geheimgehaltene, aber für uns desto gefährlichere Unruhe versetzen — als das offenbarste prophetische Wesen Jesu und dessen Jünger! Und solch eine Unruhe wird alle Satanskniffe ergreifen lassen, um eine Lehre zu verderben, durch die dem Tempel der offenbarste Untergang bereitet werden muß.

13. Oder habt ihr nicht im vorigen Jahre gesehen, was die Templer sogar mit einem Griechen gemacht haben, der es unters Volk brachte, daß diese nun auch römisches Silber— und Goldgeld als Opfer im Tempel annähmen, während dazu allein nur Aarons Münze bestimmt ist und außer diesem kein anderes Geld je angenommen werden dürfte? Seht, man lockte ihn in den Tempel mit Gewinnversprechungen; und als man auf diese feine Weise seiner im Tempel habhaft ward, wurde er sobald auf eine Weise ums Leben gebracht, von der die Chronik kein Beispiel aufzuweisen hat! — Es ist demnach eine große Vorsicht anzuwenden! Wir müssen entweder ganz Griechen werden und als solche dann erst zu den Jüngern Jesu uns gesellen mit Leib und Seele, oder wir müssen ganz das bleiben, was wir sind; denn mit der Halbheit ist uns nirgends etwas geholfen!“

14. Sagt Chiwar: „Da hast du wieder recht, insoweit es die weltliche Vorsicht erheischt; aber unter uns geradeheraus gesagt: Wenn dieser scheinbare Zimmermann eben der verheißene Messias, also — wie David Ihn nennt in tiefster Ehrfurcht — Jehova Selbst wäre, sollen wir auch dann noch auf schlauen Umwegen Seine Jünger werden, oder sollen wir nicht vielmehr sogleich zu Seiner himmlischen Fahne stoßen und uns von all den Kniffen des Satans schon darum nicht abschrecken lassen, weil wir durch Ihn des ewigen Lebens vollauf versichert sein können, so es uns auch dieses wenigsagende, armselige Erdenleben, das ohnehin nur sehr kurz dauert, kosten sollte?!“

15. Bei diesem Antrage Chiwars stutzen alle und wissen nun nicht mehr, was sie entschieden tun sollen.

54. Kapitel. Der Engel Rat an die bekehrten Templer.

01. Da treten die zwei Engel zu ihnen hin und sagen: „Chiwar hat recht geredet einesteils, und du Ältester hast auch recht in dem, daß man Gottes ganz sein müsse, da Gott jede Halbheit verabscheue! Wir aber sagen euch als Seine Zeugen aus den Himmeln: Fürchtet die nicht, die eurer Seele nichts anhaben können, sondern fürchtet vielmehr Den, der ein Herr ist über alles Leben im Himmel und auf Erden! Ohne Ihn gibt es kein Leben, weder im Himmel noch auf Erden! Darum sei euch von uns, als Seinen wahrhaftigsten Zeugen aus den Himmeln, geraten, das zu tun, was euch der Freund Chiwar geraten hat.“

02. Sagt der Älteste: „Wer seid ihr holdesten Jünglinge denn, daß ihr euch vor uns Zeugen aus den Himmeln nennet?“

03. Sagen die beiden: „Fraget den Chiwar, der uns gesehen hat aus Kapernaum des Faustus Weib holen, und er wird es euch sagen, wer wir sind!“

04. Sagt der Älteste: „Wenn so, da gibt es wohl nichts weiteres mehr zu bedenken, und dem Tempel werde der Rücken zugewendet!“

05. Sagen die beiden: „Nicht so, liebe Freunde; denn der Herr ist billig in allen Dingen! So ihr im Herzen Ihm anhanget, lebendig an Ihn glaubet, und daß durch Ihn allein die Schrift erfüllt wird und zum großen Teile schon erfüllt ist, so tut ihr genug; sonst aber bleibet, wie ihr seid, auf daß die Diener der Welt und des Teufels, von denen der Tempel vollgestopft ist, nicht vor der Zeit geweckt werden! Lehret das Volk Moses und die Propheten und haltet auf die Beachtung der wahren Gebote Gottes; aber auf die Beachtung der weltlichen Satzungen des Tempels haltet wie auf laues Wasser, so werdet ihr dadurch ebensogut Seine Jünger sein wie jene, die Er aus den Fischern berufen und erwählt hat.“

06. Nach zwei Tagen aber werdet ihr aus Jerusalem einen neuen Obersten bekommen, der anfangs sehr templerisch gesinnt sein wird, später aber mit sich wird ganz bedeutend handeln lassen und ums Geld Dispense über Dispense (Ausnahmegenehmigungen) geben wird; denn er selbst glaubt an den Tempel auch nicht ein Sonnenstäubchen groß, und ihr werdet dabei ein leichtes Spiel haben. Jairus aber hat sich in den Ruhestand gesetzt und wird leben im Hause seines Schwiegersohnes. Saget aber dem neuen Obersten nichts von all dem Wunderbaren, das sich hier zugetragen hat!“

07. Sagt Chiwar in tiefster Ehrfurcht: „Diener Gottes aus dem Reiche des Lichtes und des ewigen Lebens! Es ist so ganz gut zu tun, wie ihr nach der Gnade des Herrn uns geraten habt; aber ich für mich möchte es dennoch ein wenig besser haben! Wie wäre es denn, so ich für meine Person ganz zu den Jüngern, als selbst Jünger, überginge?“

08. Sagen die beiden: „Ein jeder der Menschen dieser Erde ist frei und kann tun, was er will, und glauben und reden, was er will; aber so jemandem, wie nun euch, aus den Himmeln die Gnade zuteil wird, einen Rat bekommen zu haben, so tut er wohl, so er dessen achtet; denn es werden über die Jünger, die nun stets beim Herrn sind, noch Zeiten starker Versuchung kommen, wo sie sich, im Geiste, auch im Feuer werden bewähren müssen, und da werden viele schwach werden und abfallen! Ihr aber werdet es leichter haben und werdet in aller Ruhe das erreichen können, was die Jünger unter großer Angst und Verfolgung erreichen werden! Du, Chiwar, kannst nun tun, was du willst; aber für dich ist es besser, wenn du bleibst in deiner Stellung.“

09. Sagt Chiwar: „Ja, ich werde bleiben; aber solange Sich der Herr noch hier aufhalten wird, möchte ich denn doch in Seiner Nähe zubringen und so manches von Ihm hören und sehen! Soll ich auch das nicht?“

10. Sagen die beiden: „Ach, das kannst du schon, obwohl der Herr hier weder viel reden und noch weniger etwas Besonderes tun wird, weil die Menschen hier fast glaubenslos sind und den Herrn für einen Zauberer halten. Ihr aber werdet hinreichend Gelegenheit haben, diese Menschen nach und nach eines Besseren zu belehren, wofür euch der Herr den Lohn nicht vorenthalten wird. Heute gen Abend wird auch Roban wieder zu euch kommen und euch wichtige Zeugnisse für Jesus den Herrn mitbringen, und ihr werdet an ihm einen sehr klugen und weisen Leiter haben; denn Roban ist einer der stärksten Geister unter euch.“ — Nach diesen Worten entfernen sich die beiden Engel und begeben sich wieder zu unserer Gesellschaft.

55. Kapitel. Verhältnis der Völker zu ihren Regenten.

01. Nun fragt Cyrenius Mich, ob es wohl rätlich wäre, diese seiner Ansicht nach total bekehrten Pharisäer, Ältesten, Leviten und Schriftgelehrten von seinem über sie verhängten harten Gesetze freizusprechen.

02. Sage Ich: „Man soll, wenn man das Gesetzgebungsrecht hat, nie zu voreilig ein neues Gesetz geben! Ist aber ein Gesetz gegeben, so soll man noch weniger voreilig sein, das gegebene Gesetz aufzuheben; denn da muß der Rat der Verständigen das Rechte zeigen. Siehe, wenn du ein neues Gesetz gibst, so wirst du dir alle jene zu Feinden machen, denen das Gesetz auferlegt ward; hebst du dann aber das Gesetz auf, so wird dir darum niemand dankbar sein, sondern man wird dich der Schwäche zeihen, wird triumphieren und sagen: ,Da sieht man den Tyrannen! Weil er sieht die Überzahl seiner Feinde, so möchte er sich durch die plötzliche Aufhebung des harten Gesetzes beim Volke wieder in Gunst setzen! Aber er wird der Freunde im Volke wenige finden; denn wer einmal ein Tyrann ist, der ist es zum zweiten Male, so er wieder zur Macht kommt, ein zweifacher!‘

03. Und es ist daher besser, ein gegebenes Gesetz zu belassen, als dasselbe sobald wieder aufzuheben; aber man kann dafür das Gesetz ganz geheim fallen lassen, und wenn Übertretungen desselben vorkommen, so übe man Nachsicht und sei im Urteil nicht zu streng. Kommt dann ein anderer Regent, so steht es ihm frei, die Gesetze, die sein Vorgänger erlassen hat, ganz aufzuheben und dafür dem Geiste des Volkes gemäß mildere zu geben. Es müßte denn sein, daß sie kämen und dich darum bäten, da wohl kannst du den strengsten Teil des einmal erlassenen Gesetzes wegtun, aber stets mit dem Vorbehalt, das Gesetz sobald wieder mit aller Strenge zu erneuern, wenn sich Spuren zur böswilligen Verfolgung der durch das Gesetz zu bewerkstelligenden guten Sache zeigen sollten!

04. Siehe, das ist die Klugheit, nach der jeder Regent seine ihm untergebenen Völker leiten sollte, so er glücklich regieren will! Ein lauer und nachlässiger Regent aber wird bald zu der stets traurigen Überzeugung gelangen, daß er sich durch zu große Nachgiebigkeit die Völker nicht hätte über den Kopf wachsen lassen sollen!

05. Denn die Völker verhalten sich zu ihren Regenten wie die Kinder zu ihren Eltern. Strenge und dabei weise Eltern werden auch gute, gehorsame und dienstfertige Kinder haben, die ihre Eltern lieben und ehren werden, wogegen den zu nachgiebigen Eltern die Kinder nur zu bald über den Kopf wachsen und sie am Ende aus dem Hause treiben und stoßen werden.

06. Liebe mit Ernst und Weisheit ist ein ewiges Gesetz; wer danach handelt, macht keinen Fehltritt, und die Früchte davon werden gut und köstlich schmecken. Hast du Mich wohl völlig verstanden?“

07. Sagt Cyrenius: „Ja Herr, ganz vollkommen, und es ist das in der Welt immer der gleiche Fall gewesen. Ein zu guter, nachgiebiger Regent ist mit seiner Regierung bald fertig; aber auch ein zu tyrannisch strenger hat selten eine lange Dauer. Ich meine, so in der Mitte zwischen beiden ruhet die Weisheit, das Glück und dessen dauerhafte Festigkeit!?“

08. Sage Ich: „Ja, ja, also ist es: in der Mitte, wie Ich es dir gezeigt habe! Nun aber gehen wir wieder nach Hause; denn es ist schon stark Nachmittag geworden!“

09. Fragt Kornelius: „Aber Herr, bleiben die alten Bürger, nun schon hier schlafend? Diese Menschen könnten ja auch daheim diese löbliche Sabbatfeier verrichten, auf daß sie nicht durch ihr gewaltig starkes Geschnarche die Anwesenden störten! Denn es ist ja zum Davonlaufen, wie diese Leute schnarchen, — eine Erscheinung, die mir im höchsten Grade unangenehm ist! Ich kann viel Ungemach ertragen, aber das Schnarchen eines Schlafenden kann mich zu einer Art Verzweiflung treiben!“

10. Sage Ich: „Nun, nun, laß das nur gut sein! Solange sie schnarchen, begehen sie keine Sünde! Es ist gut, daß sie nun schnarchen; denn wären sie wach gewesen, so hätten sie manches gehört, was sie sehr geärgert hätte, und das wäre nicht gut! Weil sie aber fest geschlafen haben, so haben sie von all dem Vorgefallenen nichts gehört und gesehen und haben sich darum auch nicht geärgert; und siehe, das ist gut! Aber jetzt gehen wir und lassen diese Leute schlafen!“

11. Darauf fingen wir an, uns zur Türe zu bewegen; aber die Pharisäer und Ältesten eilten hin zur Türe, die zur Hälfte geöffnet war, und machten schnell die ganze, große Türe auf und sagten: „Herr, es stehet geschrieben: ,Machet die Türen hoch und die Tore weit, auf daß der König der Ehren einziehe! Wer aber ist dieser König? Es ist Jehova Zebaoth! Dem von uns allen sei alles Lob, alle Ehre und aller Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit!‘“

12. Und der Cyrenius sagt mit freundlicher Miene: „Ja, also ist es und soll es bleiben ewig! Der Herr sei allzeit mit euch!“

13. Und sie rufen: „Und mit deinem Geiste, auf daß du uns, wie Er, gnädig sein möchtest! Denn deine Gesetze haben uns hart gedrückt bis jetzt, ärger denn der Tod; aber da wir nun selbst vollends Seine Jünger geworden sind und uns deine Gesetze selbst lebendig auferlegen, so sind deine harten Gesetze für uns so gut wie gar nicht mehr da. Aber wir danken dir dennoch für eben diese Gesetze; denn ohne sie hätten wir leicht zu Verrätern dieser allerheiligsten Sache werden können! Wir bitten dich darum nun auch gar nicht mehr um die Aufhebung der gegebenen strengen Gesetze; denn wir selbst, als mit dir gleich Denkende, Glaubende und Handelnde, heben sie eben durch unser höchst eigenes Tun und Lassen bis aufs letzte Häkchen auf, für alle Zeiten der Zeiten!“

14. Sagt Cyrenius: „In der Hinsicht ist das Gesetz euch auch von mir erlassen, und ich bin der sicheren Hoffnung, euch dies harte Gesetz nie mehr erneuern zu brauchen. Lasset euch daher nimmer irreleiten und befolget strenge, was euch die beiden Engel Gottes geraten haben, so werden wir die besten Freunde in Gott dem Herrn verbleiben, und meine Regierung wird euch nicht drücken! Und sollte es sich unter dem neuen Obersten eurer Schulen zeigen, daß er euch wie immer verfolgen möchte darum, daß ihr Freunde Jesu, des Herrn von Ewigkeit, und zugleich Freunde der euch wohlwollenden Römer seid, so werdet ihr den Weg bis zu mir wohl finden, — und dann werden schon jene Vorkehrungen getroffen werden, durch die eure physischen und ganz besonders geistigen Rechte aufs beste geschützt werden! Und nun abermals sage ich: Der Herr sei mit euch!“

15. Und sie alle rufen wieder: „Und mit deinem Geiste ewig!“

16. Darauf machen sie eine tiefste Verbeugung vor uns, und wir gehen durch die weitgeöffnete Tür und begeben uns nach Hause, allda ein gutes Mahl unser harret, bestehend aus Brot, Wein und allerlei süßen und vollreifen Früchten. Wir setzen uns an die Tische, danken und verzehren nach und nach, was die Tische tragen, — bleiben aber zugleich an den Tischen sitzen bis zum Untergang unter allerlei erbaulichen Reden und Gesprächen.

56. Kapitel. Roban und Kisjonah berichten ihre Erlebnisse.

01. Nahe dem Untergange kommt Roban, von Kisjonah aus Kis begleitet, bei Meinem Hause an, grüßt schon von weitem alles, was ihm unterkommt, und Kisjonah eilt eben auch mit offenen Armen zu Mir hin, grüßt vor allem Mich auf das wahrhaft freundlichste mit Tränen in den Augen und grüßt darauf nach einer Weile erst seine Tochter, die ihn schon lange bei der Hand hielt und viele Küsse darauf heftete; also grüßt er auch seinen Schwiegersohn, den Kornelius, und als er es erst erfährt, daß der neben Mir sitzende glänzende Römer der Oberstatthalter Cyrenius ist, so bittet er ihn um Vergebung, ihn übersehen zu haben!

02. Aber Cyrenius ergreift ganz gerührt des Kisjonah Hand, drückt sie an seine Brust und sagt ganz laut: „Nicht du mich, sondern ich muß dich um Vergebung bitten, daß ich dich nicht zuvor gegrüßt habe; aber als Entschuldigung diene, daß ich dich persönlich nicht gekannt habe! Denn nebst dem Herrn Jesu, dem natürlich allein alles Lob und alle Ehre gebührt, bin ich auch dir, du treuer, biederer Mann, einen nie zu erschöpfenden Dank schuldig; denn unter allen Menschen jener Gegend hast du entschieden das meiste dazu beigetragen, daß ich aus einer Verlegenheit gerettet wurde, die mich sonst wohl sicher das Leben gekostet haben würde! Das ist mir wirklich eine große Freude, dich, du mein überaus schätzenswerter Freund, nun persönlich kennenzulernen.“

03. Kisjonah ist nun wieder einmal ganz glücklich und erzählt uns vieles, was er alles unterdessen erlebt hat, und erzählt uns am Ende auch, daß er mit dem recht biederen alten Roban Sichar besucht und dort mit Jonael, Jairuth und sehr viel mit dem Archiel gesprochen habe, der nun ganz natürlich wie ein Mensch lebe und handle, so daß es einem Fremden aber auch nicht im Traume einfallen könne, als stäke hinter ihm ein rein geistiges Wesen.

04. Also habe er auch den Arzt Joram und dessen wundervoll herrlichstes Haus, sowie dessen liebes, herrlichstes Weib besucht und von beiden überaus wundervollste Dinge vernommen; und Roban sei allenthalben bloß Ohr und Auge gewesen und hätte sich über alles nicht genug verwundern können; und wenn er so recht mächtig ergriffen gewesen, da habe er immer vor sich hingesagt: Ja, ja, Blut und Leben für den göttlichen Meister aus Nazareth! Denn Er kann kein Mensch, sondern Er muß Gott Selbst sein, ansonst Ihm dergleichen Dinge nicht möglich sein würden!

05. Als Kisjonah also noch erzählt, tritt Roban zu Mir hin und sagt nichts als: „Herr, ich bin Dein, und keine Macht, außer allein Dein Wille, kann mich von Dir trennen!“

06. Sage Ich: „Ich habe es wohl zum voraus gewußt, daß du einer der Meinigen werdest; aber du weißt es noch nicht, daß nun auch alle deine Brüder und Amtsgefährten zu den Meinigen gehören, ohne deshalb aufzuhören, das zu sein vor der Welt, was sie ehedem waren, — desgleichen auch du vorderhand das bleiben wirst, was du warst, so lange, bis der neue Schuloberste, der die Stelle des Jairus übermorgen beziehen wird, sich ein wenig abgestoßen haben wird.

07. Deine Brüder aber werden dich schon in allem unterweisen, was du zu tun, zu reden und wie du dich zu benehmen haben wirst gegen den neuen Obersten, der im Anfange zwar mit einem sehr buschigen Besen zu kehren beginnen wird; aber es wird kein halbes Jahr währen, und ihr werdet mit ihm um einiges Geld alles ausrichten können, da er keinen Glauben hat an den Tempel, sondern vorderhand allein ans Geld; nachderhand aber wird er schon auch an etwas Besseres zu glauben imstande sein. — Nun aber gehe zu deinen Brüdern und benachrichtige sie von allem, was du gesehen und gehört hast!“

08. Auf diese Meine Worte empfiehlt sich Roban beim Kisjonah, ihm für alles dankend, was er ihm Gutes erwiesen hatte, und sagt am Ende: „Kisjonahs dürften auf der Erde wohl wenige mehr anzutreffen sein! Darum bist du der einzige, der mein Herz getroffen und gefunden hat! Der Herr segne dich für alles, was Gutes du mir und tausend andern erwiesen hast!“ — Nach diesen Worten verneigt er sich tief vor uns und eilt zu seinen Brüdern, die heute noch in der Synagoge versammelt sind — jedoch ohne die Schlafenden, die bald nach unserem Abgange aus der Synagoge entfernt wurden. Er wird überraschend freundlich aufgenommen, und sie teilen sich nun gegenseitig fröhlichen und heiteren Geistes unter Staunen und Staunen alles mit, was sie erlebt, gehört und gesehen haben.

09. Wir aber sind ebenfalls guter Dinge; denn Kisjonah kam nicht allein, sondern mit mehreren vollbeladenen Lasttieren und ihren Führern und brachte Wein, Mehl, Käse, Brot, Honig und eine Menge der edelsten Fische in geräuchertem Zustande, so daß die Mutter Maria kaum Platz hatte, all das Mitgebrachte unterzubringen.

10. Es ward daher ein Nachbar ersucht, den Überschuß sorgsam in seiner großen Speisekammer aufzubewahren, was er denn auch tat, obschon eben nicht gar zu gerne aus purer Gefälligkeit, da er stets ein habsüchtiger Filz war. Aber da ihm nun Kisjonah ein Paar Goldstücke für seine Mühe und Gefälligkeit anbot und gab, so war er gleich gut gesinnt und über die Maßen dienstfertig und stieß im Tragen der Säcke, da es schon stark dämmerlich geworden war, einmal stark an den Jünger Johannes. Dieser aber sagte zu ihm: „Freund, sei vorsichtiger in deinem bezahlten Eifer, sonst wirst du für dich und die andern einen Schaden anrichten! Glücklich aber wärest du, so du fürs Gottesreich, das gar so nahe zu dir gekommen ist, so eifrig wärest wie für die zwei elenden Goldstücke, und du würdest dabei dich an niemanden stoßen! O der großen Blindheit, die das Allerhöchste nimmer erkennen kann und mag!“

11. Der Nachbar aber ließ sich nicht irremachen, verrichtete seine bedungene Arbeit und kümmerte sich um nichts weiteres mehr.

12. Da fragte Johannes: „Herr, ist es denn doch möglich, daß ein Mensch soviel Stumpfsinn in seinem Leibe und in dessen Seele haben kann?“

13. Sage Ich: „Laß ihn gehen! Es gibt dergleichen nun zu vielen Tausenden im Judenlande, die da stumpfer und eigensinniger sind als ein Esel! Darum gebührt ihnen aber auch nur der Lohn eines Esels!“

14. Darüber entstand eine kleine Lache durch die Gesellschaft, die Philopold mit seinen sehr treffenden Bemerkungen noch mehr erhöhte und bewies, wie ein Mensch gewöhnlich alles besser zu sehen imstande ist als gerade das, was ihm auf der Nase sitzt! Und alles bewunderte seine ausgezeichnete Dialektik.

15. Nach dieser Szene aber erhoben wir uns vom Tische und begaben uns bald zur Ruhe.

57. Kapitel. Der Engel Weltendienst. Eine Hülsenglobe.

01. Alles nahm nun sein Lager ein und schlief bis zum hellen Morgen; auch Ich ruhte und schlief ein paar Stunden. Die beiden Engel aber verrichteten ihr Weltenleitungsgeschäft in der Nacht und waren mit dem Aufgange der Sonne auch schon wieder bei uns, traten zu Mir hin, dankten und sprachen: „Herr, es ist alles in der größten Ordnung im ganzen großen Weltenmenschen. Die Hauptmittelsonnen stehen unverrückt in ihren Stellen, und ihre Umdrehungen sind gleich; die Bahnen der zweiten Mittelsonnen sind unverrückt, die Bahnen der dritten Klasse Mittelsonnen um die zweiten sind eben auch in der größten Ordnung, ebenso die Mittelsonnen der vierten Klasse mit ihren zehnmal hunderttausend Planetarsonnen, hie und da mehr und hie und da weniger, — wie Du, o Herr, vom Urbeginn an das Maß gelegt hast! Die zahllos vielen Planetarsonnen aber mit ihren kleinen, zumeist lichtlosen Planeten und Monden hängen ohnehin von der Ordnung der großen Leitsonnen ab, und somit ist in dieser uns beiden zum Überwachen gegebenen Hülsenglobe alles in der größten und besten Ordnung, und wir dürfen darum wieder hier bei Dir, heiliger Vater, und bei Deinen uns gar so teuren Kindern einen hellen Tag zubringen!“

02. Sage Ich: „Ganz gut, bringet aber jede Minute wohl zu durch allerlei nützliche Belehrungen; denn Meine Kindlein bedürfen derer noch sehr!“

03. Die beiden Engel treten nun ganz heiter und überselig zurück und begrüßen Maria und darauf die Jünger, den Cyrenius, Kornelius, Faustus, Jairus, den Kisjonah und den Borus. Cyrenius aber, der von den vielen Sonnen etwas gehört hatte, fragt die beiden gleich, von was für Sonnen sie da mit Mir geredet hätten, da er nur eine Sonne kenne.

04. Die beiden aber sagen überaus liebreich: „Liebster Freund und Bruder im Herrn, wolle nicht wissen das, was du nun unmöglich fassen kannst, und wovon das Heil deiner Seele auch gar nicht abhängt; denn das, was wir mit dem Herrn geredet haben, würde dich töten, so du es in dem Maße verstündest und einsähest, wie wir es verstehen und allzeit einsehen müssen. Denn so viele Sterne du in einer schönen Nacht erschauest und noch viele andere, die dein Auge ob ihrer zu großen Entfernung von hier aus nicht erschauen kann, sind lauter Sonnenwelten von einer für deinen Verstand unmeßbaren Größe. Die eine Sonne, die du siehst, ist eine der kleinsten Planetarsonnen; sie ist aber dennoch schon über tausendmal tausend Male größer denn diese Erde. Nun denke dir dann erst eine Mittelsonne nur der vierten Abstufungsklasse, um die wenigstens zehnmal hunderttausend solcher Planetarsonnen in weitgedehnten Kreisen samt ihren Planeten oder lichtlosen kleinen Erden, wie die von dir bewohnte eine ist, bahnen! Deren Umfang ist für sich allein so groß wie die Summe aller Umfänge aller der Planetarsonnen und ihrer um sie kreisenden Erden und Monde um tausend vervielfacht. — Sage uns, Freund, kannst du dir nun wohl einen Begriff von solch einer Größe machen?“

05. Sagt Cyrenius: „Lieblichste Diener Gottes, ich bitte euch, mir davon nichts Weiteres mehr kundzutun; denn es fängt an, mich ganz schwindlig zu ergreifen! Wer hätte je sich so etwas im Traume einfallen lassen mögen? Und ihr könnet das alles so gewisserart mit einem Blick übersehen? Welche Macht und welch eine Tiefe der göttlichen Weisheit muß in euch sein! Aber weil ich schon so voll Wißbegierde bin, so saget mir so im höchst allgemeinen noch dazu, was denn eigentlich in den so endlos vielen und endlos großen Sonnen ist!?“

06. Sagen die beiden: „Was du auf dieser Erde ersiehst, das und ähnliches in freilich viel edlerer und oft auch riesenhaft größerer Art kannst du auch auf einer großen Sonnenwelt antreffen. Menschen, Tiere und Pflanzen aller Art gibt es dort wie hier, dazu übergroße und unbeschreiblich herrliche Wohngebäude, gegen die der Tempel von Jerusalem und der Palast des Kaisers in Rom die allerelendesten Schneckenhäuschen sind, und allenthalben ist dieser Eine ewig allein der Herr und gleichfortige Schöpfer von Ewigkeit!“

58. Kapitel. Der Verkehr der Erdmenschen mit dem himmlischen Vater.

01. Als Cyrenius solches vernimmt, da sagt er von einer übergroßen Ehrfurcht ergriffen: „Freunde und Diener des Herrn, jetzt weiß ich erst, wer der Herr ist, und wer ich bin! Ich bin total nichts, und Er ist endlos alles! Nur begreife ich unsere menschliche Keckheit nicht, die da mit Ihm so mir und dir nichts reden kann, als hätte sie ihresgleichen vor sich!“

02. Sagen die beiden Engel: „Er Selbst will es also; denn die Kinder haben von Ewigkeit her das Recht, mit dem Vater zu reden nach ihrer Herzenslust! Frage daher nicht um alberne Dinge und Verhältnisse; denn an dir liegt es nicht, daß du ein Mensch bist, sondern an Dem allein, der dich also, wie du bist, erschaffen hat aus Sich Selbst heraus und hat Sich dabei an niemandes Rat gebunden denn an Seinen höchst eigenen. Wie aber hätte Er auch jemand anders fragen können als nur Sich Selbst allein, da vor Ihm in der ganzen Unendlichkeit kein Wesen da war?!

03. Wenn du demnach mit Ihm sprichst wie mit deinesgleichen, so tust du ganz wohl daran; denn Gott hat niemanden außer Sich, mit dem Er reden könnte. Aber Seine Geschöpfe, die aus Ihm sind, sind also frei gestellt, daß sie nun mit Gott und Gott mit ihnen wie ein Mensch mit dem andern reden können, und es ist sonach ganz in der Ordnung, daß du mit Ihm sprichst wie mit deinesgleichen; denn das Geschöpf ist seines Schöpfers wert und der Schöpfer Seines Geschöpfes.

04. Jedes Geschöpf ist ja ein Zeuge von der Allmacht, Weisheit und Liebe Gottes, und es ist ohne Seine Macht kein noch so mächtiger Geist fähig, aus sich selbst etwas zu erschaffen, sondern das kann nur Gott allein! Da aber jedes Geschöpf ein Zeuge ist der göttlichen Allmacht, Weisheit und Liebe, wie sollte es dann nicht seines Schöpfers wert sein? — Verstehst du dieses?“

05. Sagt Cyrenius: „O ihr überweisen Diener des allmächtigen Gottes, wie höchst klar und verständig ist doch eure überaus weise Lehre! Ja, also ist es! Der Mensch hat sich wahrlich nicht zu schämen dessen, was er ist; denn er ist ja das wahrste Meisterwerk des Schöpfers, so er lebt nach dem frei erkannten Willen Gottes. Aber wenn ein Mensch dem Willen Gottes zuwiderhandelt, so meine ich, verpfuscht er sich selbst und kann dem nicht mehr entsprechen, was er uranfänglich war und ewig sein und bleiben soll.

06. Und so denn muß die Sünde eine Handlung wider die ursprüngliche Ordnung Gottes sein, durch welche Handlung sich der Mensch als im sich ausbildenden Teile selbst Schöpfer seiner Gott ähnlich werden sollenden Natur verpfuscht und dadurch sich selbst unwürdig macht, ein Geschöpf des ewigen, allmächtigen Meisters zu sein!“

07. Sagen die Engel: „Da hast du ganz recht! Insoweit bleibt wohl ein jeder Mensch ein Gottes würdiges Meisterwerk, als er seiner Form, Tauglichkeit, Fähigkeit und lebendigen Freiheit nach gewisserart eine pure Maschine ist, in der sich der Geist frei und lebendig äußern kann.

08. Aber was die ihm selbst notwendig anheimgestellte moralische Ausbildung seines Herzens und seiner Seele betrifft, so kann er sich selbst zu einem Scheusale der Hölle herabwürdigen und begeht eben dadurch die größte Sünde, weil er in sich selbst durch sich selbst das höchste Meisterwerk Gottes zu einem erbärmlichen, Gottes unwürdigsten Pfuschwerke umgestaltet, worauf es dann Gott Selbst eine große Mühe kostet und eine nie berechenbare Geduld, bis aus dem verpfuschten Werke wieder ein Meisterwerk wird.

09. Wegen gar unnennbar vieler durch sich selbst verpfuschter Werke ist eben diesmal der Meister Selbst in diese Welt gekommen, um diese vielen Werke, die sich selbst verdorben haben, für alle Zeiten der Zeiten zurechtzubringen! Aber es werden sich auch fortan die Werke verderben; darum aber wird Er auf dieser Welt eine neue Anstalt gründen, in der sich alle verdorbenen Werke von sich selbst aus werden zurechtbringen können. Aber wer von dieser Anstalt frei aus sich selbst keinen Gebrauch wird machen wollen, der wird verdorben bleiben ewig, so sein Wille sich nimmer ändern wird! Verstehst du solches?“

10. Sagt Cyrenius: „Auch das verstehe ich ganz und bin eben darum der Meinung, daß man die Menschen durch gewählte, aber strenge Gesetze wird anhalten müssen, von der Anstalt vollsten Gebrauch zu machen!“

11. Sagen die Engel: „Es wird zwar solches wohl geschehen, aber der Menschheit wenig nützen; denn nur allein das nützet dem Menschen, was er frei aus sich selbst tut. Alles andere ist ihm zum größten Schaden.

12. Denn könnte der Mensch durch irgendeinen Zwang entweder von außen oder von innen vollendet werden, so hätten wir Macht zur Übergenüge, alle Menschen so zu binden und zu zwingen, daß sie unmöglich je wider irgendein Gesetz zu handeln imstande wären! Aber dadurch würden wir aus dem in aller Freiheit Gott völlig ähnlich werden sollenden Menschen nur eine stummbelebte Maschine erzeugen, die sich selbst ebensowenig je zur zweckdienlichen, freien Tätigkeit bestimmen könnte — wie das noch so scharfe Schwert der Gerechtigkeit, ohne von einer geübten Hand geführt zu sein!

13. Aus dem aber kannst du schon ganz klar ersehen, daß es sich mit was immer für einem Zwange für ewig nicht tut, sondern allein mit der wahren Belehrung und dann darauf mit der freien Selbstbestimmung nach der vernommenen Lehre, durch die jedem der wohlerleuchtete Weg der göttlichen Ordnung nach allen Seiten hin kundgemacht wird, zu handeln und zu wandeln. Verstehst du auch dieses?“

59. Kapitel. Über den großen Kampf im Menschen.

01. Sagt Cyrenius: „Ja, auch das verstehe ich leider; denn ich sehe daraus wenig gute Erfolge! Wo sind die Menschen, und wie viele gibt es von denen, die nur eine Belehrung aufzunehmen und zu begreifen fähig wären? Und wie viele gibt es dann selbst aus der Zahl der Belehrten, die den überwiegend starken Willen in dem Grade besitzen, die an sie ergangene und auch wohl begriffene Belehrung in die volle Tat umzugestalten? Ich stelle tausend Wohlbelehrte her und setzte alles darauf, wenn darunter zehn zu finden sind, die den vollen Willen und auch den erforderlichen Mut besitzen — besonders unter fanatisch abergläubischen Volksmassen —, die vernommene und wohlbegriffene Lehre ins Werk zu setzen! Denn was würde es ihnen nützen, die Lehre der ewigen, klarsten Wahrheit ins Werk zu setzen, wenn sie darob schon am nächsten Tage von den selbstsüchtigen und grausamen Fanatikern auf das qualvollste erwürgt werden?!

02. Ihr seid zwar endlos weise und mächtige Diener des Allerhöchsten, aber da sage ich als ein alterfahrener Staatsmann: Ganz ohne irgendeinen Zwang wird diese noch so wahrhaft göttliche Lebenslehre nie einen besonderen offenen Eingang finden! Wenigstens muß der gar zu krasse fanatische Aberglaube mit aller Zwangsgewalt verdrängt werden, ansonst es ewig schade wäre, sie auch nur eine Tagereise von hier weiterzutragen!

03. Wir glauben hier freilich ungezweifelt fest an die reinste ewige Wahrheit, die uns hier gar reichlich geoffenbart wird, aber dennoch nicht so ganz ohne Zwang; denn ihr beide, der Herr und Seine Taten sind denn doch eben auch kein gar zu geringfügiges Zwangsmittel, ohne welches auf diesem Platze nicht nahe über tausend Zuhörer und Lehrbefolger beisammen wären. So aber dieses überaus beachtenswerte Zwangsmittel uns noch immer zu keinen schon ganz toten Maschinen umgestaltet hat, wie euch solches diese meine vielleicht nicht jeden Grundes entbehrende Einrede hinreichend kundtut, so dürfte ein bloß äußeres Zwangsmittel den Menschen, die sich künftig nach dieser neuen Lehre aus den Himmeln zu wahren Kindern Gottes umgestalten sollen, von keinem gar zu großen Schaden sein!“

04. Sagen die beiden Engel: „Du hast in einer Hinsicht allerdings recht, und es werden auch äußere Zwangsmittel nicht unterm Wege verbleiben; aber du wirst auch daneben zu der Überzeugung kommen, daß ein äußerer Zwang im Grunde noch schlechter ist als ein unsichtbarer innerer! Denn der äußeren Zwangsmittel bedient sich auch der Satan, um den bösen Aberglauben aufrechtzuerhalten; wenn wir aber bei der Ausbreitung der Lehre aus den Himmeln uns am Ende auch der schnöden Mittel des Satans bedienen und sogestaltig in seine Fußstapfen treten, — Frage: Was können wir dabei zum ewig Besten des Menschen gewinnen?

05. Mit Feuer, Schwert und großem Blutvergießen hat sich noch allzeit der böse Aberglaube den Weg und Eingang in die Welt verschafft; so aber nun das reinste Wort Gottes sich auch auf demselben Wege Eingang verschaffen sollte, könnte es da je ein Mensch von nur einigem Geiste wohl als ein Friedenswort Gottes aus den Himmeln anerkennen? Würde er nicht sagen müssen: ,Gott, genügt es Dir denn nicht, daß die Menschheit vom Satan geplagt wird zum Haarsträuben, daß auch Du, Allmächtiger, auf den Wegen des Satans zu uns armen und schwachen Menschen kommen mußtest?‘

06. Siehe, du liebster Freund und Bruder, wie gar sehr ungereimt das herauskäme, so Sich Gott der Herr je solcher Mittel zur Ausbreitung Seiner Lehre unter den Menschen zu ihrer ewigen Beseligung bedienen möchte, deren sich die Hölle noch allzeit bedient hat, um ihren harten Früchten und Speisen in der Welt bei den Menschen Eingang zu verschaffen!

07. Ja, es werden dereinst leider Zeiten kommen, in denen man die verunreinigte Lehre Jesu des Herrn mit Feuer und Schwert den Völkern predigen wird; aber das wird für die Menschen von großem Übel sein! — Verstehst du das?“

08. Sagt Cyrenius: „Leider verstehe ich auch das und frage immer noch, ob denn solche ganz äußeren Kalamitäten von den allmächtigen Himmeln nicht wollen verhütet werden, und warum überhaupt je einmal dem Bösen vollster Eingang in diese Welt mußte oder wollte gestattet werden!“

09. Sagen die beiden: „Liebster Freund und Bruder, wenn du irgendeine Weisheit besitzest, so urteile selbst, ob es ohne ein Kontra je ein Pro geben kann! Wo ist noch je ein Mensch ohne Kampf ein Held geworden? Wäre es aber je unter den Menschen zu einem Kampfe gekommen, wenn es unter ihnen lauter fromme Lämmlein gegeben hätte? Oder könntest du je deine Kraft erproben, so es keine Gegenstände gäbe, die deiner Kraft zu widerstreben vermöchten? Könnte es je ein Hinauf geben, so es kein Hinab gäbe? Oder könntest du jemandem etwas Gutes tun, so da nie jemand in die Lage käme, deine Hilfe zu benötigen? Was wäre dann eine gute Tat, so deren niemand bedürfte? Oder könntest du einen Allwissenden je etwas lehren, das er zuvor nicht wüßte?

10. Siehe, in einer Welt, wo der Mensch aus sich selbst sich zu einem wahren Kinde Gottes gestalten soll, muß ihm auch alle mögliche gute und schlechte Gelegenheit geboten sein, die Lehre Gottes im Vollmaße ausüben zu können!

11. Es muß kalt und warm sein, damit der Reiche Gelegenheit bekommt, seine armen und nackten Brüder mit Kleidung zu versehen. Also muß es Arme geben, auf daß wieder die Reichen sich in der Barmherzigkeit und die Armen in der Dankbarkeit üben können. Ebenso muß es Starke und Schwache geben, auf daß die Starken Gelegenheit bekommen, den Schwachen unter die Arme zu greifen, die Schwachen aber in der Demut ihres Herzens erkennen, daß sie schwach sind. Also muß es auch gewisserart Dumme und Weise geben, ansonst denn ja den Weisen ihr Licht ein vergebliches wäre!

12. So es keine Bösen gäbe, an wem würde denn der Gute ein Maß haben, ob und inwieweit er wirklich gut sei?!

13. Kurz, in dieser Sichselbstbildungsanstalt der Menschen zu den freiesten Kindern Gottes muß es auch möglichst viele Pro— und Kontra—Gelegenheiten geben, durch die sich die Kinder vom Grunde aus in allem üben und völlig ausbilden können, ansonst sie unmöglich zu wahren, allmächtigen Kindern des Allerhöchsten werden könnten!

14. Wir sagen es dir: Solange ein Mensch nicht in allen möglichen Dingen und Verhältnissen den Satan mit höchst eigener Macht aus dem Kampffelde treiben kann, hat er die volle Kindschaft Gottes noch lange nicht! Wie sollte er aber je dieses Feindes Sieger werden, wenn man ihm alle Gelegenheit nähme, auch nur mit einem Haare des Feindes in Berührung zu kommen? Ja, das wahre Reich Gottes kostet einen großen Kampf der vollsten Freiheit des ewigen Lebens wegen, und so muß euch ja Gelegenheit zum Kampfe gegeben sein zwischen Himmel und Hölle!“

60. Kapitel. Vom Nutzen der Leidenschaften.

01. (Die Engel:) „Also wirst du finden, daß da verschiedene Leidenschaften die Menschen beherrschen. Der eine fühlt in sich das Bedürfnis, alles zu besitzen, was nur irgendeinen Wert hat; das ist offenbar Geiz, der ein Laster ist. Und siehe, diesem Laster hast du die Schiffahrt zu verdanken; denn nur überaus hab— und gewinnsüchtige Menschen konnte die lebensgefährliche Begierde anwandeln, Mittel zu finden, über das überweit gedehnte Meer zu schwimmen, um zu suchen, ob es über dem Meere auch noch Länder gäbe, die vielleicht von unerhörten Schätzen strotzen. Sie kommen nach vielen ausgestandenen Mühseligkeiten und Lebensgefahren wirklich in ein über dem Meere gelegenes, noch gänzlich unbevölkertes Land. Die ausgestandenen großen Gefahren haben ihre Habsuchtsleidenschaft sehr abgekühlt und haben sie mutlos gemacht für eine Rückfahrt; sie siedelten sich gleich dort an, wohin sie der Wind gebracht hatte, bauten sich Hütten und Häuser und bevölkerten auf diese Weise ein noch ganz menschenleeres Land. — Nun urteile selbst, ob die Menschen ohne die Leidenschaft der Hab— und Gewinnsucht je das fremde Land entdeckt hätten!?

02. Nehmen wir die Leidenschaft des fleischlichen Sinnlichkeitsgenusses. Denke du dir diese Leidenschaft ganz weg und stelle dir die Menschheit so himmlisch keusch als möglich vor, und du wirst an dem reinsten Jungfern— und keuschesten Junggesellenleben bis ins graue Alter ein lobenswertes Wohlgefallen haben. Denke dir aber nun alle Menschen in solch einem höchst keuschen Zustande und sage dir es selbst: Wie wird es dabei mit der in der Gottesordnung bedungenen Fortpflanzung des Menschengeschlechtes aussehen? Du siehst also hieraus, daß dem Menschen auch diese Leidenschaft innewohnen muß, ansonst die Erde nur zu bald menschenleer werden müßte! Daß ein und der andere Mensch in dieser Leidenschaft nur leider zu oft ausartet, wie es die tägliche Erfahrung lehrt, ist sicher wahr, und es ist solch eine Ausartung allzeit wider die Ordnung Gottes, und somit eine Sünde. Aber es ist die oftmalige Ausartung dieser Leidenschaft wider die göttliche Ordnung dennoch gleichfort um vieles besser als die allergänzlichste Ausrottung derselben.

03. Alle Kräfte aber, die dem Menschen gegeben sind und sich im Anfange als schwer zu zügelnde Leidenschaften kundgeben, müssen nach oben oder nach unten der höchsten Ausbildung fähig sein, ansonst der Mensch sowieso gleich einem lauen Wasser bleiben und in die stinkendste Trägheit versinken würde.

04. Wir sagen es dir: Nichts kann dir ein vollwahreres Zeugnis von der göttlichen Bestimmung des Menschen geben als die größten Laster gegenüber den höchsten Tugenden der Menschen; denn daraus erst ist ersichtlich, welch endlose Fähigkeiten den Menschen dieser Erde gegeben sind! Vom allerhöchsten Himmel Gottes, der sogar uns Engeln unzugänglich ist, bis zur tiefsten Hölle ist des Menschen Bahn; und wäre sie nicht, nie könnte er die Kindschaft Gottes erreichen!

05. Wir haben mit Menschen zahlloser anderer Welten zu tun; aber welch ein Unterschied zwischen hier und dort! Dort sind den Menschen in geistiger wie auch in naturmäßiger Hinsicht Schranken gestellt, über die sie höchst schwer einen Schritt tun können. Ihr Menschen dieser Erde aber habt im Geiste ebensowenig eine Beschränkung als der Herr Selbst und könnet tun, was ihr nur immer wollt. Ihr könnet euch erheben bis in die innerste Wohnung Gottes, aber eben darum auch so tief fallen als der Satan selbst, der einst auch der höchst freieste Geist aus Gott war; und da er fiel, mußte er auch in die tiefste Tiefe alles Verderbens notwendig fallen, aus der er kaum je einen Rückgang finden wird, weil dem Laster von Gott aus eine ebenso endlose Vervollkommnungsfähigkeit gegeben ist wie der Tugend.“

61. Kapitel. Vom Wert des freien Willens.

01. (Die zwei Engel:) „Es kommt demnach auf dieser Erde bei den Menschen alles allein nur auf den freien Willen an und auf die möglichst zwanglose Belehrung, die schon vom Herrn aus so gestellt ist, daß sie für den ausübenden Teil jedem Verstande der Menschen schon auf einmaliges Sagen hinreichend verständlich ist; es kann sich daher niemand entschuldigen, er habe die Lehre nicht verstanden. Denn das ,Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst!‘ ist so allgemein verständlich wie nur etwas, das jeder Blinde sogar mit Händen greifen kann! Und befolgt jemand tatsächlich diese kurze, leicht faßliche, aber dennoch alles in sich enthaltende Lehre, so wird er dadurch aus seinem Herzen schon ohnehin in alle erdenkliche Weisheit geleitet werden vom Herrn Selbst aus und kann darauf wieder zum Lehrer der Nebenmenschen werden. Und so kann denn einer den andern ziehen so weit, bis ihn der Herr Selbst ergreift und großzieht zu einem wahren Gotteskinde.

02. Das aber ist dann die rechte Verbreitung der heiligen Lehre in der Ordnung der Himmel; alles, was darunter oder darüber, ist vom Übel und ziehet wenig oder gar keinen Segen bei den Pflanzen der Himmel Gottes. — Hast du das wohl alles verstanden?“

03. Sagt Cyrenius: „Ja, ich habe alles verstanden! Ich sehe nun vollkommen, zu was Großem diese Erde und ihre Menschen von Gott aus bestimmt sind; nur das einzige Fatale dabei ist, daß neben den Kindern Gottes auch die Kinder der Hölle gewisserart in ein und derselben Schule großgezogen werden, und zwar jegliches für seine Sphäre! Aber ich sehe nun auch wirklich ein, daß es, vom Standpunkte der tiefsten himmlischen Weisheit aus betrachtet, nicht anders sein kann. Der Herr jedoch ist weise, gut und allmächtig zur Übergenüge, einst auch der Hölle eine andere Richtung zu geben! Die Ewigkeit ist ja lang genug dazu, um in ihrer endlosen Dauer allerlei Modalitäten (Arten von Verhältnissen) zu treffen, unter denen sich ihre Kinder am Ende samt ihrem Verlocker und Erzieher ergeben werden!“

04. Sagen die beiden Engel: „Da geht deine Vermutung wohl schon weit über unsern Weisheitshorizont! Aber du, als ein Kind des Herrn, stehst deinem Vater offenbar näher, als wir Ihm als pure Geschöpfe nahestehen, und kannst daher auch ein rein göttliches Bedürfnis in dem Herzen eher wahrnehmen denn wir; aber soviel wissen wir auch, daß bei Gott kein Ding unmöglich ist. Weiteres darüber aber vermögen wir dir auch nicht eine Silbe mehr zu sagen.

05. Willst du in dieser Sache tiefere Aufschlüsse haben, so wende dich an den Herrn Selbst; Ihm ist alles übersonnenklar, was die künftigen Ewigkeiten allerdickst verhüllt enthalten. Aber wir meinen, daß Er so etwas wohl kaum einem Sterblichen, wegen der feinen Ohren des Satans, offenbaren wird. Denn der Feind hat tausendmal tausend Ohren, und man muß in der Rede von ihm auf der größten Hut sein, so man ihn nicht noch ärger machen will, als er ohnehin schon ist!“

06. Sagt Cyrenius: „Ich verstehe! Ich werde darum davon dem Herrn auch nichts vermelden!“

07. Sage Ich: „Brauchst ja nicht laut zu reden; denn Ich verstehe es ja auch, was du in deinem Herzen ganz geheim redest und fragest.“

62. Kapitel. Das Denken im Herzen.

01. Sagt Cyrenius: „Herr, es geht bei mir mit dem Denken im Herzen durchaus nicht, weil ich schon von meiner Jugend an gewöhnt wurde, im Kopfe zu denken; mir scheint es nahe unmöglich, im Herzen denken zu können! Wie soll man es denn anfangen, um im Herzen denken zu können?“

02. Sage Ich: „Das ist ja ganz leicht und ganz natürlich! Alles, was du dir nur immer denken kannst und magst nach deinem Gefühle im großen Gehirne, kommt zuvor aus dem Herzen; denn jeder noch so geringe Gedanke muß ja doch zuvor irgendeine Anregung haben, durch die er als notwendig hervorgerufen wird. Wenn der Gedanke erst im Herzen irgendeines Bedürfnisses halber angeregt und erzeugt ward, so steigt er dann erst auf in das Gehirn des Kopfes zur Beschauung der Seele, auf daß diese darauf die Glieder des Körpers in die geeignete Bewegung setze, damit der innere Gedanke sogestaltig zum Worte oder zur Tat werde; aber daß je ein Mensch pur im Kopfe denken könnte, wäre die platteste Unmöglichkeit! Denn ein Gedanke ist eine rein geistige Schöpfung und kann darum nirgends entstehen denn allein im Geiste des Menschen, der im Herzen der Seele wohnt und von da aus den ganzen Menschen belebt. Wie möglich aber könnte sich je eine Schöpfung aus irgendeiner noch so subtilen (feinen) Materie entwickeln, da alle Materie, somit auch das Gehirn des Menschen, nichts als eine purste Materie ist und somit nie Schöpfer, sondern nur Geschaffenes sein kann?! — Verstehst du nun wohl solches und fühlst es vielleicht gar schon, daß kein Mensch etwas im Kopfe zu denken vermag?“

03. Sagt Cyrenius: „Herr, ja ich fühle das nun ganz lebendig! Aber wie geht das denn zu? Es kommt mir jetzt wahrlich so vor, daß ich von jeher bloß nur im Herzen gedacht habe! Merkwürdig! Wie ist denn das? Ja, ich fühle förmliche Worte im Herzen, und das als ausgesprochene Worte, und es kommt mir nun gar nicht mehr vor, daß es möglich wäre, im Kopfe einen Gedanken zu fassen!“

04. Sage Ich: „Das ist die ganz natürliche Folge deines stets mehr und mehr geweckt werdenden Geistes im Herzen, der da ist die Liebe zu Mir und durch Mich zu allen Menschen.

05. Bei Menschen aber, bei denen solche Liebe noch nicht erwacht ist, bilden sich die Gedanken zwar auch im Herzen, werden aber im selben, weil es zu materiell ist, nicht wahrgenommen, sondern erst im Gehirne, wo die Gedanken des Herzens, als schon mehr materiell wegen des Antriebes zur Handlung, sich bildlich gestalten und sich mit den Bildern, die von der Außenwelt durch die äußersten Leibessinne sich in die Gehirntäfelchen eingeprägt haben, amalgamieren (vermischen) und sogestaltig vor den Augen der Seele selbst materiell und schlecht werden und sodann auch als notwendiger Grund der schlechten Handlungen der Menschen angesehen werden müssen.

06. Darum muß ein jeder Mensch zuvor im Herzen und daselbst im Geiste wiedergeboren werden, ansonst er ins Gottesreich nicht eingehen kann!“

07. Sagt Cyrenius zum nebenstehenden Petrus: „Verstehst du das wohl von der Wiedergeburt des Geistes im Herzen, und was und wo so ganz eigentlich das Reich Gottes ist, von dem Er und die beiden Engel in einem fort reden und solches als Künftiges für unsern Glauben verheißen?“

08. Sagt Petrus: „Allerdings verstehe ich solches, und so ich's nicht verstünde, bliebe ich nicht hier, sondern würde daheim für mein Haus sorgen. Forsche du, hoher Herr, aber nur in deinem Eigenherzen, da wirst du in Kürze mehr finden, als was ich dir in hundert Jahren erörtern könnte!

09. Siehe uns an, die wir Seine ersten Jünger und Zeugen waren, ob wir viel mit Ihm äußerlich reden! Und siehe, dennoch reden wir mehr mit Ihm denn du und viele andere durchs äußere Mundwort; denn wir reden mit Ihm rein nur im Herzen und fragen Ihn um tausenderlei, und Er antwortet uns in klaren, wohlausgeprägten Gedanken, und so gewinnen wir doppelt. Denn eine Antwort des Herrn in des Menschen Herzen ist gewisserart schon sein Lebensanteil, während das äußere Wort erst durch die fortgesetzte Tat wegen der Übung der Seele zum Lebensanteil werden muß.

10. Und so kannst du, hoher Herr, denn in der bewußten Satanssache ja auch in deinem Herzen fragen, und der Herr wird dir dann schon die rechte Antwort in dein eigenes Herz so ganz still und geheim legen, daß sie der vielohrige Satan unmöglich wird zu vernehmen imstande sein! Und auf die gleiche Weise kannst du den Herrn auch wegen der Wiedergeburt des Geistes im Herzen und wegen des Reiches Gottes fragen, und es wird dir alsbald die klarste Antwort zuteil werden!“

11. Sagt Cyrenius: „Ja, nun ist es mir klar, warum ihr — was mich schon einige Male sehr gewundert hat — mit dem Herrn fast nie ein Wort redet! Nun, ich werde es versuchen. Wenn der Herr euch also geheim gnädig ist, da wird Er es wohl auch mir sein können! Denn daß ich Ihn über alle Maßen liebe, beweist, daß ich mein großes und schweres Regierungsgeschäft unterdessen gewisserart an den Nagel hänge und mich bei Ihm aufhalte und meine Seele stärke mit jeglichem Worte aus Seinem heiligsten Munde!

12. Ich glaube auch, daß ich aus purer Liebe zu Ihm mehr tue und mehr getan habe denn ihr alle; denn ich kannte Ihn schon als zartes Kind und habe im fremden Heidenlande gesorgt für Ihn, für Seine Eltern und Brüder! Und während ihr nur eure Fischernetze Ihm geopfert habt, bin ich, so Er es annehmen möchte, sogleich bereit, alle meine Weltwürden niederzulegen und Ihm dann als Geringster unter euch allen getreuest zu folgen und jeden Augenblick mein Leben für Ihn und euch alle in die Schanze zu schlagen, wie ich es schon ein paar Male getan habe, abgesehen von dem, was deshalb gar leicht von Rom aus über mich hätte kommen können!

13. Wenn ich aber solches alles tue aus purer Liebe zu Ihm, so wird Er mich ja doch wohl auch einer Gnade für wert halten, die Er euch in so reichem Maße zukommen läßt!?“

14. Sage Ich: „Hast sie ja schon, Mein teuerster Freund und Bruder! Was du aber hast, das brauchst du ja nicht mehr zu suchen und dich nicht mehr zu ereifern, als ob du es noch nicht hättest! Sei daher nun nur ruhig und versuche es einmal in deinem Herzen, Mich um was immer zu fragen, und Ich werde dir die Antwort klar, deutlich, verständig und wohlvernehmlich in dein Mich wahrlich über alles liebendes Herz legen!“

63. Kapitel. Über die Wiederbringung des Verlorenen.

01. Auf dieses Mein Anraten fragt Cyrenius in Hinsicht des Satans, was einst aus ihm wird, und ob von dessen Seite je an eine Umkehr zu denken ist.

02. Und Ich lege ihm folgende Antwort in sein Herz: „Was da geschieht, geschieht dessentwegen: Der verloren ist, wird gesucht, und dem Überkranken wird Arznei geboten, aber dessen Wille bleibt frei und muß frei bleiben; denn seinen Willen hemmen, hieße die ganze, nahe endlose materielle Schöpfung und alle ihre Elemente in den härtesten Stein verwandeln, darin sich kein Leben regen kann. Die ganze materielle Schöpfung ist der so weit als möglich gerichtete große Geist, und dieser wird getrennt in zahllose Welten, die aber in ihrer endlosen Zahl dennoch sein komplettes Wesen bedingen. Aber aus diesem einen Wesen werden zahllose Myriaden der Myriaden Wesen, wie da sind die meisten Menschen dieser Erde, genommen und werden durch Gottes Kraft, Macht, Liebe und Weisheit zu ganzen, gottähnlichen Wesen umgestaltet, und das ist eine sichere Umkehr des einen großen Geistes!

03. Wenn aber alle Erden und alle Sonnen in lauter Menschen aufgelöst sein werden, dann wird auch von dem einen nichts mehr übrig sein als sein pures ,Ich‘, das im völligsten Alleinsein sich nach Zeiten der Zeiten zur Umkehr anschicken müssen wird, ehe es sich einem ewigen Verschmachten preisgeben wird. Dann wird keine materielle Sonne und keine materielle Erde mehr kreisen im endlosen ewigen Raume, sondern all und überall wird eine überherrliche neue geistige Schöpfung mit seligen freien Wesen den endlosen ewigen Raum erfüllen, und Ich werde ewig gleichfort aller Wesen Gott und Vater sein von Ewigkeit zu Ewigkeit, und dieses allerseligsten Zustandes wird fürder nimmer ein Ende sein; es wird da sein eine Herde, ein Schafstall und ein Hirte!

04. Wann aber dieses alles also wird, nach der Anzahl der Erdjahre, kann nimmer bestimmt werden! Und würde Ich dir die Zahl auch kundtun, so würdest du sie unmöglich fassen; und sagete Ich dir auch die Zahl damit, daß tausendmal tausend so viele Zeitläufe von tausend zu tausend Jahren vergehen werden, als wieviel es da gibt des Sandes im Meere und auf der ganzen Erde, und wieviel es da gibt des Grases in allen Landen und auf allen Bergen der Erde, und wieviel es da gibt der Tropfen im Meere, in allen Seen und Strömen, Flüssen, Bächen und Quellen, so könntest du dies alles dennoch nicht zählen, um dadurch die endliche Hauptlösezeit zu bestimmen!

05. Darum gedulde dich mit dem: Trachte du nur vor allem nach dem Reiche Gottes und nach dessen wahrer Gerechtigkeit, so wirst du nach deines Leibes Tode von Mir sogleich zum ewigen Leben erweckt werden, und im Reiche der reinen Geister werden tausend Erdjahre vergehen wie ein Tag!

06. Und, Freund, in Meinem geistigen Reiche voll all der höchsten Seligkeiten wird sich das, was dich hier unendlich dünkt, ganz seligst leicht und kurz erwarten lassen! Jetzt kannst du nicht und keiner Meiner Jünger in alle Weisheit der Himmel eingeführt werden —, dann aber, wenn du nach wenig Jahren getauft wirst mit dem heiligen Geiste aus Gott! Dieser Geist wird dich und alle andern leiten in alle Weisheit der Himmel. Dann erst wirst du das alles im hellsten Lichte schauen, was dir nun noch dunkel und verworren sein muß! — Dies dir nun Geoffenbarte aber behalte fest bei dir und laß davon niemanden etwas merken; denn das muß noch lange geheimgehalten werden!“

07. Als Cyrenius solches in sich vernommen hatte, stutzte er ganz gewaltig und sagte nach einer Weile besonderen Nachdenkens: „Es war ohne weiteres Dein Wort, das ich nun wie einen guten Redefluß in meinem Herzen treu und klar vernommen habe; aber soll die Schlußermahnung wohl so strenge gehalten sein und werden? Gar vertrauten, redlich und ehrlich denkenden und glaubenden Menschen dürfte so etwas ja doch — etwa nur so einiges davon wie teilweise hingeworfen — kundgemacht werden!? Denn so etwas könnte ja doch keinem Menschen schaden!“

08. Sage Ich laut: „Ja Freund, einem Menschen, wenn er es wie du auf innerem Wege erhält, schadet es freilich nicht, ansonst Ich es dir nicht kundgetan hätte; aber wenn so etwas viele Menschen von außen her empfingen, so würde es ihnen ganz gewaltig schaden. Wie und warum, — das haben dir Meine Engel ganz genügend enthüllt, und so lassen wir diesen Gegenstand ruhen; denn wir haben noch viele andere Sachen von großer Wichtigkeit zu schlichten, die vorderhand um vieles notwendiger sind als diese deine Frage, deren volle Antwort erst in der Ewigkeit zur Reife gelangen muß.“

64. Kapitel. Über WEsen, Leben und Arbeit der Naturgeister.

01. Cyrenius gibt sich nun mit diesem Bescheide zufrieden, dafür aber erhebt sich Kisjonah und bittet Mich, ob er auch eine Frage über eine von Mir getroffene Anordnung, die nicht wurde, stellen dürfe.

02. Sage Ich: „Rede, Freund der Freunde und Feinde!“

03. Spricht Kisjonah: „Siehe, als wir den letzten Rest aus der Grotte in meinen Bergen holten, da ordnetest Du an, Brot und Wein in rechter Menge mitzunehmen, da wir dort viel Hungrige und Durstige antreffen würden! Ich ließ darauf gleich Brot und Wein in großem Maße mitnehmen und wartete hernach bei und in der Grotte, ob da jemand käme, der des Brotes und Weines bedürfe! Aber siehe, Herr, es fand sich niemand vor, dem man das Mitgenommene hätte verabfolgen können!

04. Als wir aber aus der Grotte gekommen waren und Du diese durch Deine Macht im Archiel hast für ewige Zeiten verrammen lassen, so waren wir ohne Brot und Wein, und keiner von den Trägern wußte mir zu sagen, wer ihnen das Brot und den Wein abgenommen hätte. Ich habe solches in der Grotte, wie auch außer derselben, im wundervollsten Momente wahrlich nicht bemerkt; aber einen Tag darauf, als Du Kis verließest, sprach natürlich mein ganzes Haus von nichts als von Dir, und — wie die Menschen schon sind, besonders bei so wunderbarsten Begebnissen — es wurden da wenigstens noch einmal soviel Taten erzählt, als Du meines Wissens gewirkt hast! Viele dergleichen erzählte Taten, die die Erzähler wollen von Dir verrichten gesehen haben, verwies ich den Erzählern und erklärte sie als Erfindungen ihrer erhitzten Phantasie, das denn doch am Ende nichts als eine fromme Lüge sei; aber die Erzählung vom Verschwinden des mitgenommenen Brotes und Weines hatte selbst mich im Vollernste stutzen gemacht. Denn ich konnte mich wahrlich nicht entsinnen, was da mit dem mitgenommenen vielen Brot und Wein geschehen war, da wir davon nichts genossen hatten.“

05. Sage Ich: „Ich wußte es wohl, daß dich so etwas Mir nachsenden würde; aber es liegt daran wahrlich nicht gar so besonders viel, als du es dir vorstellst. Da du jedoch schon gekommen bist, auch darüber ins klare zu kommen, so muß Ich dir die Sache gleichwohl aufhellen; und so höre denn:

06. „Siehe, in den Bergen, so wie in der Luft, wie auch in der Erde, im Wasser und im Feuer, gibt es gewisse Naturgeister, die noch nicht den Weg des Fleisches durchgemacht haben, weil sich dazu noch nicht die Gelegenheit geboten hat, in der sie bei einem menschlichen Zeugungsakte den Eingang ins Fleisch hätten finden können, um durch den Leib eines Weibes im Fleische zur Welt geboren zu werden. Massen solcher noch ungeborener Seelen sind in allen Elementen vorhanden.

07. Nun, die in den Bergen waltenden Naturgeister aber haben aus der Luft irgend mehr Konsistenz (größere Dichtigkeit) angenommen. Diese haben kein besonderes Bedürfnis, ins Fleisch eingezeugt und darauf im Fleische aus einem Weibe geboren zu werden; ihnen ist es bei einiger, manchmal ziemlich scharfen Intelligenz lieber, solange als möglich im freien, ungebundenen Zustande zu verbleiben. Sie haben sogar ein Rechtsgefühl und fürchten den Geist Gottes, von dem sie manchmal eine ziemlich helle Kenntnis haben, das heißt nur immer einige aus ihnen, die schon alt geworden sind; die jungen in diese Gesellschaft aufgenommenen Geister sind gewöhnlich noch sehr finster und mitunter auch böse und könnten viel Übles anrichten, wenn sie nicht von den älteren im Zaume gehalten würden. Ihr Hauptgeschäft ist, allerlei Metalle in den Bergen zu gestalten, zu ordnen und sie gedeihen zu lassen in den Spalten und Gängen der Berge.

08. Solche Geister nehmen zuweilen auch Nahrung aus der Natur, und zwar nur aus dem Reiche der Pflanzen. Solches tun sie bei starker Arbeit im Reiche der Berge bei der Umgestaltung der Felsen, bei der Abtreibung großer Bergteile, bei der Ausschöpfung innerer, mit Wasser zu voll gewordener Höhlen und bei dergleichen Arbeiten mehr, mit denen diese Geister oft auf das vollgemessenste beteiligt werden, damit sie, als oft zu mächtig geplagt, die Liebe zu ihren Bergen verlieren sollen und sucheten ins Fleisch eingezeugt zu werden, weil besonders von nun an kein Geist zur voll lebendig freien Seligkeit gelangen kann, der nicht den Weg des Fleisches durchgemacht hat.

09. Diese Geister, Mein lieber Kisjonah, und namentlich die, die deine Berge bestellen, hatten in der Verrammung der schnöden Grotte eine überstarke Arbeit vor sich und mußten dazu mit Brot und Wein gestärkt werden! Und siehe, diese sind es, die Ich gemeint habe, da Ich sagte: ,Wir werden der Hungrigen und Durstigen in großer Menge antreffen, die solcher Stärkung bedürftig sein werden!‘ Sie ist auch ohne irgendein Überbleibsel verzehrt und darauf auf das Geheiß Meines Engels auch die überschwere Arbeit auf das vollendetste verrichtet worden. Darin besteht nun die voll erhellte Antwort auf deine Frage. — Hast du sie wohl verstanden?“

65. Kapitel. Sagen von Berggeistern. Über Zauberei.

01. Sagt Kisjonah: „Ja, Herr, ich habe sie ganz verstanden, und das um so mehr, weil mir von meinen Bergleuten, die in meinen Bergschächten allerlei Erz graben, solche Dinge schon gar oft erzählt worden sind, wie ihnen manchmal Brot und Wein weggekommen sei und sie nicht wußten, wer unter ihnen sich etwa solch einen Diebesscherz mochte gemacht haben! Wenn die hungrigen Bergleute dann recht ärgerlich wurden, so vernahmen sie nicht selten ein schallendes Gelächter, und einige von ihnen wollen auch kinderkleine Menschengestalten vor ihnen herhüpfen gesehen haben, und zwar der Farbe nach blaue, rote, grüne, gelbe und auch ganz schwarze.

02. Also erzählte mir auch erst unlängst mein ältester Bergmann, daß ihm ein blaues Männchen geraten haben soll, künftighin Brot und Wein bei sich in einer umgehängten Ledertasche zu tragen, so würden sich die hungrigen Berggesellen desselben nicht bemächtigen können. Und also solle auch niemand in den Schächten der Berge zu laut reden, durchaus nicht pfeifen oder gar fluchen; denn alles das möchten die Berggesellen nicht vertragen und täten darum allen jenen, die solches Gebot nicht halten möchten, Übles! Auch solle niemand lachen in der Berge Tiefe; denn das Lachen könnten die Gesellen auch nicht vertragen. So meine Bergleute manchmal Brot und Wein den Berggesellen überlassen wollten, so würden ihnen dafür die Berggesellen in reicher Auffindung edler Metalle behilflich sein.

03. Ich hielt solche Sagen gewöhnlich für Fabeln, da ich selbst nie etwas Ähnliches erfahren konnte, obschon ich recht oft die Schächte meiner Berge betreten habe; aber jetzt, nach dieser Deiner gütigen Erklärung, ist mir alles auf ein Haar klar! Nur dies einzige kann ich wenigstens für den Augenblick noch nicht fassen: wie denn die Berggesellen, die doch eigentlich Geister sind, eine naturmäßige Kost verzehren können! Wie essen und trinken denn diese etwas unheimlichen Wesen?“

04. Sage Ich: „Ungefähr auf diese Weise, wie das Feuer die Dinge verzehrt, die es ergreift! Gib in selbes einen Tropfen Wein oder vom Brote ein Bröckchen, und du wirst beides schnell verschwinden sehen! Und siehe, auf diese Weise ungefähr verzehren die Geister oder Berggesellen die naturmäßige Kost. Sie lösen das Materielle schnell auf und verkehren das in der Materie vorhandene Geistig— Substantielle in ihr seelisches Wesen, es aufnehmend in ihr Selbstiges, — und das in einem Augenblick! — Nun weißt du auch das und brauchst dich darüber um nichts weiteres mehr zu bekümmern.“

05. Sagt Kisjonah: „Herr, ich danke Dir für diese Mitteilung; denn sie erheitert nun mein ganzes Gemüt, und ich erkenne nun noch klarer, daß da alles nichts als pur Leben ist, was mich von allen Seiten umgibt.“

06. Sage Ich: „Ganz gut, Mein geliebtester Freund! Aber nur um das bitte Ich dich, daß du wie jeder, der davon nun Kenntnis erhielt, die Sache bei sich behalten möchte, denn so etwas ist nicht für jedermann heilsam, wenn er es wüßte; denn all die ägyptischen und persischen Zauberer stehen nicht selten im Verbande mit den Geistern und Kobolden und führen mit ihrer Hilfe allerlei Zaubereien aus. Aber alle solche Zauberei ist ein Greuel vor Gott, und der sie übt, fürwahr, der wird schwerlich je ins Reich Gottes kommen! Denn solche Zauberer versperren obbenannten Geistern den Eintritt ins Fleisch; und wenn sie sterben, werden sie zu Gefangenen solch unreifer Seelen und sind überaus schwer davon zu befreien, weil sie gleichfort Naturmäßiges von den unreifen, nackten Naturseelen in sich aufnehmen. Ich sage es euch: Verflucht sei ein Zauberer! Denn noch nie ist erlebt worden, daß ein wahrer Zauberer mit seiner Zauberei irgendeinen nur halb guten Zweck verbunden hätte! Überall sieht bergedick die bellendste Hab— und Gewinnsucht, daneben aber auch die frechste Herrschgier heraus, und solche Geister sollen in der tiefsten Hölle ihren demütigenden Lohn erhalten!“

07. Sagt einmal Faustus: „Herr, Herr, da wird es mit den vielen Zauberern und Wahrsagern im weiten römischen Reiche schlecht aussehen! Denn diese Art Menschen stehen eben in Rom in einem götterähnlichen Ansehen und vermögen mit einem Worte den Willen des Kaisers sowie jedes noch so großen und tapferen Helden zu erlahmen, — im Gegenteile freilich auch wieder so zu beleben, daß vor seinem Mute die Berge erbeben müssen!“

08. Sage Ich: „Ja, Freund, diesen halbgöttisch tuenden Menschen wird es dereinst wohl nicht am besten ergehen; denn sie wissen es, daß sie die in ihre Kunst nicht Eingeweihten auf das schmählichste betrügen und sie durch solche Betrügereien nicht selten zu allerlei Greuel verleiten. Darum aber kann es solchen Wichten auch nimmer gut ergehen; denn das sind die wahren Nichtsverkäufer um vieles Geld und die echten Erzeuger von zahllosen Greueln und Sünden zum Verderben der Menschen!“

09. Sagen mehrere: „Aber wenn sie sich besserten, könnten sie auch dann nicht selig werden?“

10. Sage Ich: „Ja, ja, wenn sie sich besserten, dann könnten auch sie selig werden; aber das ist eben das Traurige, daß eben derart Menschen am wenigsten zur Besserung geeignet sind! Mörder, Räuber, Diebe, Hurer und Ehebrecher möget ihr bekehren, und ein Kaiser, ein König kann leicht seine Krone niederlegen; aber ein Zauberer trennt sich nicht von seinem Zauberstabe! Denn seine unsichtbaren Gesellen lassen solches nicht zu und sind allzeit seine Meister, wenn er sich von ihnen trennen wollte.

11. Darum sage Ich noch einmal: Verflucht sei die böse Zauberei; denn durch sie kamen alle Sünden in die arge Welt!

12. Wer Wunder wirken will, der muß dazu die innere Kraft von Gott aus haben; und dann wirke er nur dort ein Wunder, wo es die äußerste Notwendigkeit erheischt!

13. Wer aber falsche Wunder wirkt und durch allerlei Sprüche und Zeichen einen Wahrsager macht, der braucht nicht mehr verdammt zu werden, denn er ist schon vollauf verdammt durch seinen eigenen Willen. Darum hütet euch alle vor der argen Zauberei, sowie vor der Wahrsagerei; denn solches alles ist vom größten Übel für den Geist des Menschen!“

14. Nach diesen Worten waren alle, die sie vernommen hatten, nahe durch und durch erschreckt und fragten, ob man denn auch nicht auf die aus uralten Erfahrungen verläßlichen Witterungsvorzeichen halten solle.

15. Sage Ich: „O ja, dann, wenn sie auf einer rein wissenschaftlichen berechenbaren Basis ruhen; ist aber das nicht der Fall, so ist auch solches eine Sünde, weil der Mensch dabei einen zweiten Glauben, der den reinen Glauben an die alleinige göttliche Vorsehung schwächt, annimmt und am Ende mehr an die Zeichen als an den allein wahren, allmächtigen Gott glaubt.

16. Wer beim reinen Glauben bleibt, der darf bitten, und es wird ihm gegeben werden, um was er gebeten hat, und möchten auch die durch Erfahrung erwahrten (bestätigten) bösesten Zeichen der Erde und der Luft das schroffste Gegenteil anzeigen; wer sich aber auf die Zeichen verläßt, dem solle auch nach den Zeichen werden. Die Pharisäer halten auf die Zeichen und lassen sich ums teure Geld von den Menschen befragen darum; sie werden aber dereinst auch desto mehr Verdammnis überkommen!

17. Hat denn nicht Gott alles, was da den Menschen zum Zeichen dient, erschaffen? Wenn aber das alles Gott erschaffen hat, so wird Er wohl bleibend Herr darüber sein und wird alles leiten und lenken! So aber Gott allein der Herr und der Lenker aller geschaffenen Dinge und Erscheinungen ist, wie sollen dann diese ohne Ihn etwas anzuzeigen haben? Können sie aber solches unmöglich je, so bitte der Mensch Gott, der allein alles vermag, ob nun die Zeichen so oder so stehen! Ist das nicht tröstlicher denn tausend der allerverläßlichsten Zeichendeutereien?“

18. Sagen alle Anwesenden an Meinem Tische: „Herr, das ist gewiß und wahr! Wolltest Du doch auch machen, daß die ganze Welt also dächte und täte, dann sähe es in der Welt anders aus, als es nun aussieht! Wir hier um Dich Versammelten aber haben es nun freilich leicht, da wir Dich als den Grund alles Seins und Erscheinens bei der Hand haben; aber nicht also wie uns geht es gar vielen hunderttausendmal Tausenden, die das unschätzbar große Glück nicht haben, in Deiner allerheiligsten Gesellschaft zu sein und aus Deinem Munde zu vernehmen die Worte des Lebens! Diese sehnen sich sicher auch gleich uns nach Dem, von dem die ganze Schöpfung ein nur zu lautes Zeugnis gibt; aber ihre Blicke zu den Sternen entdecken Dich nimmer, und ihre große Sehnsucht wird nicht befriedigt. Was Wunder, daß bei solchen Menschen dann die wundertätigen Zauberer und Zeichen und deren Deuter nur zu leicht Anklang finden, weil sie den nach göttlichen Dingen sehnsüchtigen Menschen etwas bieten, das, wenn auch falsch, aber dennoch immerhin einen gottähnlichen Anstrich hat!?“

66. Kapitel. Von Zauberern und Wahrsagern.

01. Von hier an fängt Cyrenius wieder allein zu reden an und sagt mit ziemlich ernster Miene: „Herr, es ist vollkommen wahr, daß Du ganz sicher Der bist, als den wir Dich schon seit lange her erkannt haben, und niemand aus uns kann das in Abrede stellen; aber ich muß Dir dennoch nun ganz offen gestehen, daß ich bei Deiner gegenwärtigen Erklärung über die Zauberer, Zeichendeuter und Wahrsager von Deiner mir sonst nur zu gut bekannten Barmherzigkeit und Liebe nahe gar nichts verspürt habe! Bei solchen Umständen und Verhältnissen ist es dann denn doch allein von Dir abhängig, — denn Du Selbst versetzest dem Menschen gewaltige Hiebe, die sehr schmerzen; aber wehe dem geschlagenen Menschen dann, wenn er bei den mächtigen Hieben wehezuschreien anfängt! Ob das aber auch recht ist, weiß ich kaum!

02. Sieh, die Menschen der Erde sind sicher zuallermeist blind und dumm, und dadurch auch böse. Aber ich frage, worin da die Schuld liegt, und woher das Übel veranlaßt wird! Und so, wie ich nun, fragen viele Hunderttausende der sicher durchaus nicht unreifen Römer!

03. Es ist durchaus nicht anzunehmen, daß der Mensch uranfänglich schlecht aus Deiner Hand hervorging, sowenig als ein Kind je einmal schon als ein Teufel zur Welt geboren wird; wenn aber der erste Mensch gut war, wie ist hernach der zweite oder der dritte schlecht geworden? War es Dein Wille also, oder der dessen, der ihn nachderhand gezeuget hat? Es muß also das alles, wie es da ist, doch nach Deinem Willen gekommen sein! Wenn das alles aber Dein Wille also gewollt hatte, warum dann die schwerste Verdammnis über dergleichen Menschen, die im Grunde die arme Menschheit nur vor der sicheren Verzweiflung gerettet haben, weil Du auf ihr Rufen Dich ihnen nicht hattest zeigen wollen?! Ich bitte Dich, darum wohl gerecht, aber nicht hart zu sein; denn das Geschöpf hat gegen seinen Schöpfer keine Waffe, — es kann nur bitten, dulden, leiden und verzweifeln!“

04. Sage Ich: „Aber Freund Cyrenius! Hast du denn schon alles wieder vergessen, was du sowohl von Mir als auch von den beiden Engeln vernommen hast? Sagte Ich denn, daß Ich Selbst solche Leute richten oder verdammen werde? Hast du doch vor wenigen Tagen noch die Pharisäer gleich züchtigen lassen wollen, weil sie Mich steinigen wollten, und Ich ließ es dich nicht! Und nun scheint es, daß du nahe ihre schlechte Partei nehmen möchtest! Oder verstehst du's etwa besser, den Menschen so zu stellen, daß er in solcher Stellung ein Kind Gottes werden muß, wenn er es will? Sieh, wie schwach du noch bist!

05. Bist du denn in der allerallgemeinsten Geschichte aller Menschen wohl so meisterlich bewandert, daß du auf deren Grund Mir vorhalten kannst, daß Ich Mich um die Rufenden und Suchenden erst jetzt bekümmere und früher nie?

06. Haben nicht die ersten Menschen steten Umgang mit Mir gehabt? Wer war seit Noah bis Moses der Hohepriester zu Salem, der Melchisedek hieß, und auch zugleich als ein rechter König der Könige zu Salem wohnte? Wer war hernach der Geist in der Arche des Bundes? Und da der Geist aus der Arche in Mich trat, — Frage: Wer bin nun Ich?

07. Die Rufenden wollten Mich freilich von den Sternen herab haben, weil Ich ihnen, als Ich unter ihnen war, zu gemein und zu wenig göttlich war, da Ich nicht also glänzen wollte wie die Sterne!“

08. Siehe, was dich also nun bewegt hat, war grundfalsch, und der Satan, der es ein wenig gemerkt hatte, daß du sein Geheimnis in dir trägst, hat dir nur ein wenig auf den Zahn gefühlt, und schon wolltest du mit Mir zu hadern anfangen! So bedenke doch, ob du ein Recht in deiner Rede haben kannst!?

09. Kann Ich je hart oder ungerecht sein gegen jemanden? Oder bin Ich ungerecht, so Ich dir fürs falsche, gemachte Gold das echte, allerreinste biete? Oder soll Ich euch denn bei dem alten, bösen und auch nutzlosen Aberglauben lassen? Hätte Ich als der Herr nicht mehr Recht gehabt, die bösen, widerspenstigen Pharisäer zu verderben, denn du?! Habe Ich sie aber gerichtet? Ja, sie wären auch ihrem eigenen inneren Richter als Beute verfallen, wenn Ich sie nicht wunderbar gerettet hätte!

10. Sieh, sieh, wie kurzsichtig du noch bist! Ich meine, Freund, das alles, was du schon gehört und gesehen hast, hätte dich denn doch schon ein wenig weitsichtiger machen sollen!“

11. Cyrenius bittet Mich um Vergebung, sowie auch alle andern, und sie sehen ihre falsche Meinung ein; Ich aber vertröste sie alle und sage: „Oh, ihr werdet noch öfter in noch stärkere Proben kommen; aber dann vergesset dieses Begebnis und diese Meine nun an euch erflossene Lehre nicht, sonst könntet ihr trotz dem, daß ihr alle Mich gesehen und gesprochen habt, in noch größere Versuchungen geraten und von Mir ebensogut abfallen und wieder in alle Welt, in ihre Lügen und Betrügereien übergehen und denen ganz gleich werden, von denen ihr meinet, daß sie Mich gesucht und gerufen haben und Ich ihnen dann, um sie desto leichter verdammen zu können, an Meiner Statt Zauberer und Zeichendeuter gegeben habe!“ — Alle bitten noch einmal um Vergebung, — und Ich segne sie alle.

67. Kapitel. Der Herr heilt einen Tollwütigen.

01. Gleich darauf aber kommen aus der Stadt eine Menge Bürger und geben kund, daß ein Mensch tobend geworden sei.

02. Ich aber frage sie, was Ich mit dem Tobenden machen solle.

03. Und die Bürger sprechen: „Wir wissen, daß du ein Wunderarzt bist, da uns heute die Pharisäer das verkündet haben und erzählten, wie du bloß durch den Willen das Haus des alten Josa völlig gesund gemacht hast, und daß du mehr seist als allein der uns allen wohlbekannte Zimmermann Jesus! Und so bitten wir dich als unsern wohlbekannten Landsmann, daß du diesen tobenden Menschen wieder gesund machen wollest!“

04. Frage Ich: „Wie ist er denn zu dieser Tobsucht gekommen?“

05. Sagen die Bürger: „Ja, lieber Meister, das hat er von einem tollen Hunde, der ihn gebissen hatte, geerbt, und das ist ein schrecklich gefährliches Übel, das bis jetzt noch nie von einem Arzt hat geheilt werden können! Wenn er stirbt, muß das ganze Haus mit ihm verbrannt werden; denn wer ihn nur anrührete, würde kurz darauf auch von solcher schrecklichen Tobsucht befallen werden! Darum haben wir ihn in seinem Hause wohl verwahrt, damit er nicht ins Freie kann, allwo er einen großen Schaden anrichten würde. Lieber Meister, befreie uns doch von dieser Plage!“

06. Sage Ich: „So gehet und bringet ihn heraus, auf daß er gesund werde, und alle, die er schon angesteckt hat, als sie ihn einfingen und ins Haus sperrten!“

07. Sagen die Bürger: „O Meister, wer wird den herausführen? Wer ihn anrührt, ist ja so gut als schon des schrecklichen Todes!“

08. Sage Ich: „So ihr nicht glaubet und kein Vertrauen habt, da kann Ich weder ihm noch euch helfen!“

09. Sagen die Bürger: „Meister, konntest du doch dem Hause Josa helfen, das von einem nahezu ähnlichen Übel behaftet war, und die Kranken wurden nicht zu dir geführt, also könntest du ja auch diesem Tobenden helfen, ohne daß es nötig wäre, ihn zu dir herauszubringen!?“

10. Sage Ich: „Josa glaubte, ihr aber glaubet nicht und seid vielmehr gekommen, Mich aus eurem Halbglauben heraus zu prüfen, was Ich mit dem unheilbar Tobenden tun würde. Darum sage Ich euch noch einmal: Bringet ihn heraus, so soll ihm und euch geholfen werden! Denn ihr habt schon alle, wie ihr da seid, dasselbe in euch, das in kurzer Zeit ausbrechen kann; so ihr aber glaubet und ihn herausbringet, so soll eben dadurch das Satansgift in euch vertilgt werden!“

11. Auf diese Meine Worte begeben sie sich von dannen und bringen in kurzer Zeit gebunden den Tobenden heraus, der ganz schrecklich wild aussah und also geifernd brüllte wie ein hungriger Löwe. Als Meine vielen Gäste dieses Tobenden ansichtig wurden, überfiel sie eine große Angst, und die Weiber flüchteten sich samt und sämtlich ins Haus; denn sie hatten nicht Mut, dieses schrecklich verzerrte und gräßlich brüllende Bild anzusehen. Selbst Meine Mutter verbarg sich ins Haus, und Meine Jünger erweiterten ebenfalls ihren Weilkreis, Judas verbarg sich hinter einem Baume; nur Cyrenius, Faustus, Kornelius, Kisjonah und Borus blieben fest bei mir.

12. Da sprach Ich zu den Bürgern: „Löset ihn los und lasset ihn frei!“

13. Da entsetzte sich alles und schrie: „Herr, da sind wir verloren!“ — Und die Bürger getrauten sich solches auch nicht zu tun, weil das andere Volk samt den Jüngern zu viel schrie!

14. Da sagte Ich zum Borus: „Gehe hin und löse du ihn los; denn er ist schon geheilt und kann niemandem mehr schaden!“

15. Da ging Borus ganz beherzt auf den noch Tobenden zu und sprach: „Der Herr Jesus sei mit dir, und du sei geheilt in Seinem Namen!“

16. In dem Augenblick ward der Tobende ruhig; seine schon nahe ganz mohrenschwarze Gesichtsfarbe ward wieder wie früher natürlich, und er bat den Borus mit dankbarer Miene, daß er ihm die harten Bande abnähme; und Borus löste ihm sogleich die Bande, die ganz rein und unbegeifert waren. Und der Genesene ging zu Mir hin und dankte Mir allerinbrünstigst für diese ihm erwiesene, nie erhörte Wohltat, bat Mich aber auch, daß er künftighin vor solch einem Übel möchte verschont bleiben.

17. Und Ich sagte zu ihm: „Du und alle, die durch dich unfehlbar in dein Übel verfallen wären, ihr seid nun vollkommen geheilt; aber seid in Zukunft Menschenfreunde und keine Hundefreunde mehr! Wozu müsset ihr Hunde halten im Übermaß? Hunde sollen diejenigen halten, die ihrer nötig haben bei Jagden der wilden, reißenden Tiere, und die Schafhirten großer Herden als Schutz gegen die Wölfe, Bären und Hyänen; außer diesen bedarf niemand eines Hundes. Wer aber schon einen hält, der halte ihn an einer Kette wohl angehängt, auf daß sich die Armen nicht der bösen Hunde wegen fürchten, in eure Häuser zu treten und euch um ein Almosen zu bitten. Wer aus euch künftighin solchen Rat nicht befolgen wird, der soll von seinen Hunden denselben Lohn erhalten, der dir zuteil ward.

18. Nehmet lieber Kinder armer Eltern in eure reichen Häuser denn nutzlose und leicht große Gefahr bringende Hunde, so werdet ihr nie von der bösesten Tobsucht, die vom Gifte des Satans, den die Hunde in sich tragen, herstammt, befallen werden!“

19. Nach diesen Worten versprechen Mir alle, daß sie an diesem Tage noch ihre Hunde vertilgen und fürder nimmer derlei Tiere halten werden. Es fragen Mich aber dennoch einige Schwachgläubige, ob sie nun wohl vollkommen von diesem Übel befreit seien und solches sie wohl nimmer befallen werde.

20. Sage Ich: „O ihr Kleingläubigen! Sehet ihr denn nicht, daß der, den ihr gebracht habt, vollkommen genesen ist? Wenn aber ihm geholfen ward, so wird wohl auch euch geholfen sein, die ihr noch lange nicht von solcher Toberei befallen worden waret! Wenn Ich Tote aus dem Grabe rufen kann, so werden wohl solche Übel nicht größer sein als der wirkliche Tod selbst! Die Zeit aber soll euch den Beweis liefern, daß ihr alle völlig wieder geheilt seid! Nun aber möget ihr wieder ganz ruhig nach Hause ziehen. Gehet aber nun auch zu den Ältesten und Pharisäern hin, zeiget euch, daß ihr völlig geheilt seid, und gebet dann auf dem Altar euer Opfer, das Moses anbefohlen hat den Aussätzigen, wann sie rein geworden sind!“

21. Nach diesen Worten danken Mir alle auf das inbrünstigste und fragen Mich, was sie denn Mir für diese übergroße Wohltat entgegentun sollen.

22. Und Ich sage: „Das glauben und tun, was euch die Pharisäer und Schriftgelehrten lehren werden!“

23. Nach diesen Worten treten sie ihren Rückweg ganz getrost an, begeben sich gleich in die Synagoge und erzählen den Pharisäern alles, was sich hier zugetragen hat, und geben dafür eine reiche Opfergabe.

24. Die Pharisäer aber, die vorher von diesem Tobenden noch nichts vernommen hatten, fangen an, sich überaus zu verwundern und sagen: „Wahrlich, das ist eine Heilung, die nur Gott allein möglich sein kann! Solches ist in ganz Israel noch nie erhört worden! Wahrlich, dieser Mensch tut Dinge, die noch nie einer der allergrößten Propheten getan hat! Es gibt keine Krankheit, die er nicht zu heilen imstande wäre, und keinen Toten im Grabe, den er nicht wieder ins Leben zurückzurufen vermöchte! Ist das doch ein Mensch, wie die Erde noch nie einen ähnlichen getragen hat! Gehet nun nach Hause und kommet morgen wieder, und wir wollen dann mehreres über ihn mit euch verhandeln!“

68. Kapitel. Ein Evangelium an die Wohlhabenden.

01. Die Bürger begeben sich nun nach Hause und geben in dem Geheilten dessen Kindern den Vater und dessen über die Maßen traurigem Weibe den ganz gesunden Mann wieder, das anfangs ihren Sinnen kaum traut, aber darauf bald in einen Strom von Dankes— und Freudentränen ausbricht und mit den Kindern, deren sie zehn hatte, sogleich hinaus zu Mir eilt und samt den Kindern Mir auf den Knien für solch eine ihr und ihren Kindern erwiesene nie erhörte Wohltat dankt. Sie bittet Mich aber auch zugleich, Meinem Hause mit allem möglichen, was nur immer in ihren Kräften stünde, dienen zu dürfen, wie auch jedem andern, den Ich ihr nur immer anempfehlen möchte!

02. Sage Ich: „Alles, was du den Armen um Meines Namens willen tun wirst, wird also angesehen werden, als ob du es Mir tätest! Mein Haus aber ist nun versorgt zur Genüge für die kurze Zeit, die Ich noch hier zubringen werde; wenn Ich aber wiederkommen werde, dann wirst du es schon erfahren.“

03. Das Weib weint vor Freude und Dankbarkeit und sagt: „Herr, du wahrhaftigster Meister, aus den Himmeln uns gegeben! Ich habe ein großes Vermögen; die Hälfte will ich sogleich den wirklich Armen zukommen lassen, und die andere Hälfte will ich für sie verwalten, auf daß sie bei mir immer etwas finden sollen. Denn ich meine, daß solches gut sei, da mir bekannt ist, daß die Armen mit einem größeren Vermögen nicht haushälterisch umgehen können, gewöhnlich auf einmal zuviel ausgeben und zur Zeit der Not dann wieder nichts haben!“

04. Sage Ich: „Tue das, liebes Weib! Also sollten es alle Reichen tun, dann würden die Armen nie Not zu leiden haben; denn die Not ist ein übles Ding und verleitet den Menschen oft zu größeren Lastern als der Reichtum. Der Reiche bleibt wenigstens in seiner Ehre öffentlich vor der Welt und gibt selten so viel Ärgernis der Welt wie ein Armer, den die Not nur zu leicht für die schlechtesten Taten fähig macht; aber der unbarmherzige Reiche, der die Armen zur Ausführung seiner Laster benützt, ist dennoch bei aller seiner Weltehre um tausend Male schlechter denn der lasterhafte Arme. Denn der Arme wird lasterhaft durch die Not, und der Reiche ist des Lasters Schöpfer in seinem unverzehrbaren Überflusse.

05. Aber wie du, Mein liebes Weib, nun deinen Reichtum verwenden willst und auch wirst, da ist der Reichtum ein Segen aus den Himmeln und wird zeitlich und ewig dessen Verwaltern den größten Gewinn abwerfen! Darum, wer da recht tugendhaft sein will, der sei allzeit sparsam und haushälterisch, auf daß er zur Zeit der Not fähig sei, den Armen und Schwachen unter die Arme zu greifen.

06. Ich sage es euch allen: Eure Liebe zu euren Kindern brenne wie ein Licht; aber die Liebe zu den fremden Kindern armer Eltern sei ein großer Feuerbrand! Denn niemand in der Welt ist ärmer denn ein armes verlassenes Kind, ob ein Knabe oder ein Mägdlein, das ist einerlei. Wer ein solch armes Kind aufnimmt in Meinem Namen und versorget es leiblich und geistig also wie sein eigenes Blut, der nimmt Mich auf, und wer Mich aufnimmt, der nimmt auch Den auf, der Mich in diese Welt gesandt hat und vollkommen Eines ist mit Mir!

07. Wollt ihr Segen von Gott in euren Häusern ziehen und ihn wie ein wohlbestelltes Feld zur reichen Ernte erheben, so leget in euren Häusern Pflanzschulen für arme Kinder an, und ihr sollet mit allem Segen überschüttet werden also, wie ein hoch angeschwollener Strom die niederen Ebenen, die er überschwemmt, mit Sand und Steingerölle überschüttet; aber so ihr arme, hungrige Kindlein von euch weiset und sie obendrein noch angrollet, als wenn sie euch schon einen Schaden zugefügt hätten, der kaum ersetzlich wäre, da wird der Segen von euren Häusern also weichen wie der sterbende Tag vor der ihn raschen Schrittes verfolgenden Nacht. Wehe dann solchen Häusern, die von solcher Nacht ereilt worden sind! Wahrlich, darin wird es nimmer wieder zu tagen beginnen! Und nun gehe du, Mein liebes Weib, nach Hause und tue, was du dir vorgenommen hast, und gedenke vorzüglich der armen Witwen und Waisen!“

08. Nach dieser Lehre erhebt sich das Weib mit seinen Kindern, dankt Mir noch einmal samt seinen Kindern und ruft endlich laut aus: „O Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie groß, gut und heilig bist Du und wie endlos mächtig und weise, der Du uns armen Sündern einen Menschen aus Deinem Herzen gegeben hast, der wohl imstande ist, zu heilen alle unsere Gebrechen, leiblich und geistig! Dir, heiliger Vater, sei allein alles Lob, alle Liebe, alle Ehre und aller Preis ewig! O Du lieber Vater Du, wie gut doch bist Du denen, die auf Dich allein vertrauen! Du züchtigest wohl scharf alle, die Deine Gebote nicht achten; aber wenn Dich dann der reumütige Sünder wieder rufet: ,Lieber heiliger Vater, vergib mir Schwachem!‘, o dann erhört ihn der heilige gute Vater gleich wieder und hilft ihm mit Seinem allmächtigen Arm aus jeglicher Not!

09. O Menschen, nehmt euch alle an mir ein Beispiel! Auch ich war eine Sünderin, und Gott hat mich gewaltig unter Seine allzeit heilige Zuchtrute getan; aber ich wankte in meinem Vertrauen nicht, bereuete meine Sünden und betete inbrünstig zum Vater im Himmel; und seht, Er, Er allein hat mein Flehen erhört und half mir wunderbarst aus der größten und schrecklichsten Not!

10. Darum vertrauet und bauet alle allein auf Ihn! Denn wo kein Mensch mehr helfen kann, da kommt Er und hilft dem Bedrängten! Darum lobe Ihn alles unaufhörlich! Denn Er allein nur kann jedermann wahrhaft helfen! Dir, du lieber Gesandter aus den Himmeln, aber danke ich auch noch einmal; denn du selbst mußt ein heiliges Werkzeug in der Hand des allmächtigen Gottes sein!“

11. Diese Exklamation, die Mich, dem Weibe unbewußt, allein anging, kostete Mich etliche Tränen der innigsten Rührung, daß Ich Mich von ihr abwenden mußte.

12. Es bemerkte aber solches der Cyrenius und sprach: „Herr, was ist Dir, daß Du weinest?“

13. Und Ich antwortete: „Freund, solcher Kindlein wie dieses gibt es wohl wenige auf der Erde! Sollte Ich als der Vater, den es so herzlich lobte, denn nicht auch vor Freude zu Tränen gerührt werden können? Oh, Ich sage es dir: Mehr als jeder andere Vater! Siehe, das ist eine, die da ist, wie jede sein sollte, und Ich habe eine unbeschreibliche Freude an ihr! Aber sie soll es auch gewahr werden, was das ist, wenn Ich über sie vor großer Freude geweint habe!“

14. Nach diesen Worten trocknete Ich Mir die Tränen an Meinen Augen und sagte zum noch ganz durch und durch für Gott allein liebeglühenden Weibe und deren Kindern: „Du Mein liebes Weib! Weil deine Liebe und dein Glaube zu Gott so mächtig ist, wie dergleichen noch selten vorkam, so kann Ich dich so, wie du nun bist, denn doch nicht entlassen. Sende den ältesten Sohn nach deinem Manne, daß er herauskommen solle; denn Ich habe mit ihm noch so manches sehr Wichtige zu besprechen!“

15. Nach diesen Worten läuft der Knabe sogleich in die Stadt und kommt in kurzer Zeit mit dem geheilten Vater wieder.

16. Als die beiden ankamen, sagte Ich zu ihm: „Freund, auf daß du nicht nur dem Leibe nach, sondern vorzugsweise auch der Seele nach, die ewig leben wird, völlig gesund werdest und wissen sollst, wie du daran bist mit all dem, was sich hier alles ereignet hat, so habe Ich dich nun herausrufen lassen. Fürs erste wirst du diesen Abend hindurch Mein Gast sein samt deinem lieben Weibe und deinen Kindern, und fürs zweite wirst du hier so manches sehen und hören und daraus leicht entnehmen, wer Der ist, der dich geheilt hat. Nachdem du und dein Weib dessen innesein werdet, wird es euch noch ums tausendfache leichter ums Gemüt werden, und du wirst es einsehen, daß du wahrhaft vollkommen geheilt bist.

17. Bevor aber noch die Zeit des Abendmahles kommt, wollen wir einen kleinen Weg nach der neuen, vom Jairus erbauten Synagoge machen, und Jairus, sein Weib, seine Tochter, ihr Gemahl Borus, der Cyrenius, Kornelius, Faustus, Kisjonah, dein Weib und deine Kinder sollen uns begleiten. Dort soll dir etwas gezeigt werden, was dich in deinem Glauben sehr stärken soll!“

18. Sagt der Geheilte, der Bab hieß: „Meister, es geschehe, was und wie du es willst! Ich bin bereit, dir bis ans Ende der Welt zu folgen.“

19. Auf dies Wort Babs begaben wir uns sogleich nach der Synagoge, die man bei mäßigem Schritte in einer Viertelstunde, ganz bequem aber in einer halben Stunde, erreichen konnte.

69. Kapitel. In der Gruft des Jairus.

01. Wir kamen also auch bald daselbst an, betraten die Synagoge und begaben uns in die Gruft, in der die Sarah schon über vier Tage gelegen hatte, in der noch die Leichenbänder und Tücher lagen, mit denen Sarah als Leiche umhüllt war, und in welcher Gruft aber auch noch ein Leichnam aus der Freundschaft des Jairus lag. Das war ein Knabe von zwölf Jahren, der an einer bösen Krankheit schon vor ein und einem halben Jahre verstorben ist; dieser lag in einem aus Zedernholz angefertigten Sarge und war schon völlig in die Verwesung übergegangen bis auf die Knochen.

02. Beim Anblick dieses Sarges kamen dem Jairus die Tränen in die Augen, und er sagte halb weinend: „Was ist doch die Welt für ein arges Ding! Die zartesten Blumen läßt sie auf ihrem Boden entstehen, und was ist ihr Los? Daß sie sterben und vergehen! Der Rose balsamischer Duft wird nur zu bald zum Ekelgeruch, und die zarte, unschuldige Lilie verbreitet widrigen Gestank in ihrer Verwesung; der Hyazinthen Himmelblau wird totengelblich grau, und die Nelke stirbt — gleich Tausenden ihrer lieblich duftenden Schwestern.

03. Dieser Knabe war, man könnte sagen, ein Engel! Gottesfurcht hatte ihn schon von der Wiege an beseelt, und in seinem zehnten Jahre verstand er schon die Schrift und hielt die Gebote wie ein frommer erwachsener Jude; kurz, sein wahrhaft kindlich frommer Lebenswandel und seine zum Verwundern geweckten Geistesfähigkeiten berechtigten uns zu den schönsten Hoffnungen. Aber da kam eine böse Krankheit über ihn, und kein Arzt konnte derselben Meister werden, und so starb in diesem Knaben alles, was man in Kürze von ihm mit Recht hätte erwarten können.

04. Da läßt sich denn doch fragen, warum Gott der Herr, der voll Liebe und Barmherzigkeit ist, solches den Menschen tut, die auf Ihn hoffen und vertrauen! Tausend arme Kinder irren ohne Obdach und jegliche Bildung herum, und Gott ruft sie nicht von dieser Erde; aber Kinder solcher Eltern, die jegliches Vermögen besitzen, ihren Kindern jene Erziehung zu geben, die Gott allein nur wohlgefällig sein kann, müssen gewöhnlich ins Gras beißen! Warum denn also?

05. Wenn es Gott wohlgefällig ist, lauter Wildlinge auf diese Erde zu setzen, die kaum fünf Worte zu reden imstande sind, dann tut Gott wohl daran, jedes Kind, das nur irgendeinen besseren Geist zu verraten beginnt, sogleich von der Erde zu nehmen und allein die Trottel leben zu lassen neben den Affen! Aber wenn es Gott darum zu tun ist, im Geiste geweckte, fromme, Gott erkennende und liebende Menschen auf dieser Erde zu haben, so glaube ich, daß Gott das Leben solcher Kinder mehr beachten sollte, als es bisher der stets traurige Fall war!“

06. Sage Ich: „Mein lieber Freund Jairus, du redest, wie du es in menschlicher Weise verstehst; aber Gott tut, wie Er es in Seiner göttlichen Weise von Ewigkeit her einsieht und versteht und einsehen und verstehen muß, ansonst du und alles, was da ist, kein Dasein hätte! Danebst aber tust du in deinem Hader Gott dennoch unrecht.

07. Denn so Gott alle Kinder, die schon in ihrer Kindheit Geist und Talente verraten, von der Welt nähme, so wäret ihr alle, die ihr nun hier bei Mir seid, schon in der Erde verwest! Aber da ihr nun noch hier seid in einem bedeutenden Alter, so ist dein Vorwurf gegen Gott ein ungerechter! Denn gleich also habt auch ihr in eurer Kindheit besonders viel Geist verraten, waret auch Kinder in jeder Hinsicht überaus vermögender Eltern, und Gott hat euch dennoch leben lassen, während Er draußen den Heiden viele Tausende armer Kinder durch Ruhr und durch manche andere böse Krankheiten von dieser Erde genommen hat, wofür die armen Eltern ebensoviel Leid getragen haben wie die Eltern dieses Knaben, die noch leben und für diesen Knaben drei arme Kinder an Kindes Statt aufgenommen haben. Diese drei Kinder sind nun ganz würdige Nachfolger dieses einen Kindes, das mit der Zeit ob seiner bedeutenden Talente von seinen es mehr denn Gott liebenden Eltern zu sehr verzärtelt und verweichlicht worden wäre und am Ende den hochgestellten Hoffnungen seiner Eltern nicht im geringsten entsprochen hätte; denn es wäre am Ende aus ihm nichts als ein eingebildeter, stolzer und eigensinniger Tropf geworden, mit dem kein Hoherpriester etwas ausgerichtet hätte!

08. Gott aber sah das im voraus, nahm ihn zur rechten Zeit von dieser Welt und gab ihn jenseits den Engeln zur besseren Erziehung, auf daß er desto eher jene Bestimmung erreichen möge, die ihm, wie jedem Menschen, von Gott aus besonders gestellt ist.

09. Zu all dem aber hatte Gott auch vorgesehen, daß nun eine Zeit kommen werde, in der für euch wenige Gottes Name verherrlicht werden soll. Und siehe, darum auch ließ Gott eben diesen Knaben schon vor anderthalb Jahren sterben, auf daß dieser sich in der rechten Verwesung dann befinden solle, wenn ihn Gott der Herr wieder erwecken werde. Hebet darum den Sarg heraus und öffnet ihn!“

70. Kapitel. Auferweckung des Josoe.

01. Auf diese Worte stiegen sogleich Borus und Kisjonah in die Gruft und versuchten den Sarg zu heben; aber sie vermochten ihn nicht von der Stelle zu rühren, denn er war sehr schwer, indem er aus massivem Zedernholz angefertigt war und obendrauf noch eine Menge schwerer Verzierungen von Erz, Gold und Silber hatte. Nach mehreren Versuchen sprach Borus: „Herr, der Sarg ist zu schwer, wir können seiner durchaus nicht Meister werden! Dieser Sarg ward meines Wissens mit Maschinen hineingelegt und wird auf natürlichem Wege nur wieder durch Maschinen herausgehoben werden können!“

02. Sage Ich: „So steiget heraus aus der Gruft; die beiden Jünglinge, die hier sind, sollen ihn herausheben!“ — Borus und Kisjonah steigen nun schnell aus der Gruft, und die zwei Jünglinge heben den Sarg schnell und mit einer solchen Leichtigkeit heraus, als hätten sie es mit einer Federflaume zu tun.

03. Bab machte große Augen samt seinem Weibe und seinen Kindern und sagte, ganz erstaunt ob solcher Kraft in den beiden Jünglingen: „Aber heißt das doch eine unglaubliche Kraft und Stärke besitzen! Diese zwei zarten Knaben, von denen keiner über fünfzehn Jahre zählen kann, spielten — wie der Sturmwind mit einer Flaume — mit dieser Last, der doch die Kraft von zwei starken Männern nichts anhaben konnte! Ah, so etwas ist denn doch auch noch nie erhört worden!“

04. Sage Ich: „Laß es nur gut sein; denn du wirst nun Zeuge von noch größeren Dingen sein! Aber das sei euch allen ganz ernstlich ins Herz geredet: daß ihr davon ja keinem Menschen, nicht einmal Meinen Jüngern, etwas meldet! Denn es ist die Zeit für sie noch lange nicht da; wenn es aber an der Zeit sein wird, dann werden sie schon ohnehin alles in die Erfahrung bekommen. — Nun aber öffnet den Sarg, auf daß wir sehen, inwieweit der Knabe schon verweset ist!“

05. Der Sarg ward sogleich geöffnet, und der bis auf die stärkeren Knochen gänzlich verweste Knabe war von den Tüchern und Bändern durch des Borus geschickte Hände für alle Anwesenden zur Besichtigung enthüllt. Alle besahen das jämmerlich aussehende Skelett mit sichtlichem Schaudern.

06. Und Faustus sagte: „Ecce homo! Sieh, das auch ein Mensch! Ein schönes Los des üppigen Fleisches der Menschheit! Ein gräßlich aussehender Knochenschädel, mit einigen zusammenklebenden Haaren noch sparsam versehen; eine zusammengefallene, grünlichbraune Brusthaut, hie und da von halbabgefaulten Rippen durchbrochen, das schwarze Rückgratgebein, über dem doch noch einige Spuren von verwesten Gedärmen hängen, die mit Schimmel bedeckt sind. Endlich die Füße, — wie sehen diese doch gar schrecklich entstellt aus; voll Verwesung und Schimmel! Und unsere Nasen aber verspüren es auch, daß wir uns nun nicht im Verkaufsgewölbe eines Balsamhändlers befinden; denn der Gestank ist stärker, als ich ihn erwartet hätte! Nein, das ist eine Gestalt, die ganz geeignet ist, dem Menschen sein Sein so verächtlich wie möglich zu machen, weil solch ein Los am Ende denn doch ein jeder von uns zu erwarten hat! Aus diesem Grunde ziehe ich das Verbrennen der Leichen den Begräbnissen bei weitem vor.“

07. Sage Ich: „Aber so des Menschen Sohn die Macht hat, auch solche Leiber wie auch alle, die seit Adam in der Erde als völlig verwest ruhen, zu erwecken und ins Leben zurückzurufen, ist auch dann ein solches Bild des Schreckens Gestaltung für die Menschen der Erde? Kann der Tod noch etwas Fürchterliches an sich haben, wenn sich ein Meister über ihn erhoben hat? Auf daß ihr aber alle, die ihr hier seid, sehet, daß Ich, als auf dieser Erde ein Menschensohn, vollkommen die Macht habe, auch solche Leiber ins Leben zurückzurufen und sie neu und unsterblich zu beleben, so soll eben dieser Knabe euch davon ein Zeuge werden!“

08. Hierauf sage Ich zum Knaben: „Josoe, Ich sage es dir, richte dich auf und lebe, und zeuge, daß Ich Macht habe, auch solche Tote zu erwecken, wie du einer bist!“

09. In diesem Augenblick entstand ein starker Luftzug; der Verwesung Schimmel verschwand, über den Knochen ergänzte sich schnell die Haut, und innerhalb derselben fing der Leib also zur Vollgestaltung zu schwellen an, wie ein mit Sauerteig vermengter Brotteig in den Brotkörben, und in wenig Augenblicken erhob sich der Knabe als vollkommen lebendig aus dem offenen Sarge, erkannte gleich den Jairus, den Faustus und Kornelius, die er von Nazareth aus gar wohl kannte, und fragte besonders den Jairus, sagend: „Aber lieber Oheim, wie kam denn ich hierher in diesen Sarg? Was ist denn mit mir vorgegangen? Ich war ja erst in einer gar lieben Gesellschaft und weiß wahrlich nicht, wie ich nun auf einmal daher komme!“

10. Sagt Jairus: „Mein lieber Josoe, Den siehe an, der neben dir steht, das ist ein Herr über Leben und Tod! Du warst dem Leibe nach tot und bist schon anderthalb Jahre hier in diesem Sarge gelegen, und keine Macht, von den Menschen ausgehend, wäre vermögend gewesen, dir für diese Erde das Leben wiederzugeben; aber Dieser, der zwar auch so aussieht wie ein Mensch, aber viel mehr denn ein Mensch ist, hat dich vom Tode wieder ins Leben zurückgerufen! Daher sollst du auch Ihm allein danken für dieses dir nun wieder geschenkte Leben!“

11. Der Knabe sah Mich groß an und betrachtete Mich vom Kopfe bis zum Fuße und sagte nach einer Weile reiferen und helleren Entsinnens: „Das ist ja eben Der, der mich von der schönen Gesellschaft abrief und zu mir sagte: ,Josoe, komme, denn du mußt Mir auf der Erde ein Zeuge werden, daß Mir alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden!‘

12. Und ich folgte Ihm willig; denn ich habe es gleich gemerkt, daß Er von Gott ausgegangen ist und in Sich trägt die Fülle der göttlichen Kraft und Macht über alles, im Himmel und auf Erden. Denn also, wie Er hier ist, sah ich Ihn ehedem in der Geistwelt, in der ich sicher war, da ich von Ihm gerufen ward, zurückzukehren in diese Welt.

13. Es wird mir nun erst alles klar, und ich erkenne nun auch, daß ich schon gelebt habe auf dieser Erde und bin dann gestorben; aber wie das Sterben war, weiß ich nicht! Denn kaum mochte ich diese Welt verlassen haben — was ich nicht weiß, wie und auf welche Weise —, so war ich auch schon in einem schönen Hause unter einer gar lieben Gesellschaft, in der es mir gar wohl erging. Ich sah auch dann und wann meine Eltern und Geschwister und besprach mich mit ihnen über göttliche Dinge, die mir von meinen vielerfahrenen Gesellen gezeigt und gelehrt wurden. Aber diesen Heiligen der Heiligen habe ich eher nie gesehen denn um einige Augenblicke früher, als ich in diese Welt zurückgekehrt war!“

14. Hier sage Ich zu den zwei Jünglingen: „Schaffet ihm ein Gewand und etwas Brot und Wein, auf daß sein Fleisch stark werde und er mit uns nach Nazareth ziehen kann!“ — Als Ich solches den zweien gebot, waren sie auch schon mit dem Verlangten da.

71. Kapitel. Bab und sein Weib staunen über das Wunder. Verheißung der Unsterblichkeit an Josoe.

01. Das war für unsern Bab und sein Weib nun zuviel, und sie sagte zu ihrem Manne: „Lieber Bab, merkst du nicht, daß wir beide große Sünder sind, und daß hier in dem Menschen Jesus die Fülle Gottes ist? Ist Er nicht Der, von dem alle Propheten bis auf Zacharias und dessen Sohn Johannes weissagten? Ist Er nicht Der, den David seinen Herrn nannte, indem er sprach: ,Der Herr sprach zu meinem Herrn‘? Ist Er nicht Der, von dem eben der große David spricht, indem er sagt: ,Machet die Tore der Stadt hoch und die Pforten weit, auf daß der König der Ehren einziehe! Wer aber ist der König der Ehren? Es ist der Herr Jehova Zebaoth!‘? Mein Gemahl, hier ist Jehova und niemand anders! Wir aber sind Sünder und sind unwürdig, vor Ihm zu weilen! Komme, daß wir uns reinigen nach dem Gesetze Mosis, dann erst können wir wiederkommen und uns Ihm nahen!“

02. Sage Ich zu den beiden tiefst Ergriffenen: „Der die Toten erwecken kann, der kann euch auch ohne Moses reinigen! Darum bleibet; denn Moses ist nicht mehr denn Ich und Der, der ihn dazu, was er war, erweckt hatte! Eure Sünden sind euch vergeben, und so seid ihr rein und braucht den Moses nimmermehr; denn Moses ist nichts ohne Mich!“

03. Sagt Bab: „Wenn also, woran ich nun nicht den allergeringsten Zweifel habe, da bleiben wir; denn reiner als der Allmächtige Selbst wird uns Moses nimmer waschen!“

04. Sagt das Weib: „Ich bin nur gleichfort eine Magd meines Herrn, und so geschehe, was du willst und einsiehst, daß es also recht sei! Aber mich erdrückt nahezu diese zu überheilige Gegenwart Gottes!“

05. Sage Ich: „Weib, Ich habe deine Gottesverehrung in Nazareth vernommen und tat nun, was du sahst, vor allem deinetwegen! Darum magst du es bei Mir wohl aushalten! Aber nun sage Ich es euch allen, daß ihr davon ja niemandem eine Silbe meldet, und das zwar nicht Meinetwegen und auch nicht euretwegen, sondern allein der vielen ungläubigen Menschen wegen, auf daß diese nicht gerichtet glauben an den Sohn des Menschen, sondern frei, wenn zu ihnen das Evangelium gepredigt wird!

06. Denn die gegenwärtigen Menschen würden durch solch ein Zeugnis wie mit ehernen Ketten gezwungen sein, an Mich zu glauben, wodurch ihr freies Leben einen großen Schaden erlitte, die späteren Nachkommen aber würden solche erzählten Zeugnisse als übertrieben ohnehin nicht annehmen, sie als pure Erfindungen der menschlichen Phantasie betrachten und sich dadurch an der reinen Lehre und ewigen Wahrheit stoßen; und also ist es besser, daß dergleichen Taten, als von Mir verübt, gänzlich verschwiegen bleiben, weil sie niemandem etwas nützen würden — besonders in dieser Meiner ersten Lehrzeit.

07. Du Jairus aber, der du den Knaben Josoe wieder seinen Eltern zuführen sollst nach einer Zeit, die sich dazu günstig gestalten wird, sollst demselben ganz gewissenhaft treu beibringen, wie er die Sache für sich zu nehmen habe. Er soll glauben, aber er soll dabei vor den Menschen kein Aufsehen bewirken wollen! Dieser nun erweckte Knabe aber, da er die Verwesung durchgemacht hat, wird fürder nicht mehr sterben dem Leibe nach; sondern wenn seine Zeit kommen wird, wird er von einem Engel gerufen werden und wird dem Rufe frei folgen, — und darauf wird ihn kein sterbliches Auge mehr wandelnd auf dieser Erde je mehr irgendwo erschauen.

08. Nun, da der Knabe sein Brot und den Wein vollauf verzehrt hat und die Dämmerung schon sehr bemerkbar wird, wollen wir uns nach Hause begeben!“

09. Wir begeben uns nun sogleich aus der Synagoge, deren Gruft Jairus und Borus wieder hinter sich zusperren, nachdem sie zuvor die beiden Jünglinge gebeten hatten, den Sarg in die Gruft zu schaffen, was diese auch in einem Augenblick ins Werk setzten.

72. Kapitel. Der wahre Gottesdienst.

01. Im Freien sagt zu Mir Cyrenius: „Herr, wenn so etwas zu Rom geschähe, da würden sogar die Steine vor Dir niederfallen und Dich laut anbeten; und wir tun hier, als wenn da so etwas ganz Gewöhnliches vorgefallen wäre! Herr, habe doch Geduld mit — entweder unserer Schwäche oder Dummheit!“

02. Sage Ich: „So Ich das wollte, da wäre Ich ja wohl in Rom statt in Nazareth zur Welt gekommen! Tut nur das, was Ich von euch verlange! Alles, was darüber ist, gehört dem Heidentum an und ist Sünde. Weißt du denn das noch nicht, daß ,Gott lieben über alles und seinen Nächsten wie sich selbst‘ unaussprechlich mehr ist, denn dem Herrn Himmels und der Erden elende Tempel aus Steinen und Holz zu erbauen?

03. Wenn, wie Salomo sprach, schon Himmel und Erden zu klein sind, die Majestät Gottes zu fassen, was soll dann ein elendes Steingehäuse aus behauenen oder gebackenen Steinen, da die ganze Erde doch so gut wie die ganze Unendlichkeit von Gott erschaffen ist?!

04. Sage Mir: Was würde denn ein Vater zu seinen Kindern sagen, so diese dumm genug wären, aus den Exkrementen des Vaters ein fliegengroßes Häuschen zu erbauen, oder auch größer, und möchten dann eben aus des Vaters Kot ein Bild machen, das den Vater vorstellte, und wenn das alles fertig wäre, sich dann vor dem Kottempel auf die Knie niederwerfen und ihren Vater also verehren und anbeten? Was würdest du tun, wenn deine Kinder dir so etwas täten und, so du ihnen so etwas auch als dumm und säuisch und deiner völlig unwürdig verwiesest, sie aber dennoch desto eifriger um den Drecktempel kröchen und dein Bild aus gleichem Stoff verehrten, ja sogar wider deinen Willen ihre mitunter vielleicht doch etwas heller denkenden Brüder mit Strafen auf Leben und Tod dazu zwängen und von ihnen noch eine fromme Steuer verlangten? Sage, was würdest du da tun? Könnte dich solch eine über alle Maßen schweinisch dumme Verehrung von seiten deiner Kinder erfreuen?

05. Siehe, du verneinest solches ganz gewaltig in deinem Herzen, und Ich sage es dir, daß solch eine Verehrung der dummen Kinder ihrem irdischen Vater gegenüber noch viel besser wäre denn die der Menschen in den Tempeln Gott gegenüber! Denn die Kinder benützten zu ihrem Tempelbau doch noch das, woraus der Vater seine Nahrung erhielt; aber die Menschen bauen aus dem Kote des Satans — Tempel und beten darin ihren Gott und Vater an! Sage, wie gefällt dir denn hernach solch eine Gottesverehrung — und Anbetung?“

06. Sagt Cyrenius: „Herr, so wollte ich jetzt doch mit tausend Blitzen alle Tempel auf der Erde zerstören lassen! Oder Deine beiden Engel kostete es ja doch nur einen Augenblick, und alle Tempel lägen im Staube!?“

07. Sage Ich: „Freund, solches geschah, geschieht noch und wird in der Zukunft gar oft noch geschehen, und die Menschen werden dennoch nicht aufhören, Tempel zu bauen! Der zu Jerusalem wird verwüstet sein, und von den Götzentempeln wird man nichts mehr sehen. Aber an Stelle der auch wenigen werden viele Tausende kommen, und solange auf der Erde Menschen wohnen werden, werden sie auch Tempel bauen, große und kleine, und werden in denselben ihr Heil suchen; aber einen lebendigen Tempel im Herzen für Gott zu erbauen, darin Er allein würdig erkannt, verehrt und angebetet werden kann und soll, weil das allein das ewige Leben der Seele bedingt, werden nur wenige unternehmen!

08. Solange die Menschen in Palästen wohnen werden und sich durch die Paläste und wegen der Paläste werden ehren und hochpreisen lassen von denen, die keine Paläste haben können, wird man auch neben den Palästen einen Tempel für irgendeinen Gott erbauen und wird ihn darin verehren, wenn nicht in der Wahrheit, so doch zur Erhöhung der Ehre des Palast— und Tempelerbauers.

09. Und also wird es kommen, daß die Menschen die Ehre für sich nehmen werden, die sie Gott geben sollen; ihr Lohn für ihre Werke soll aber dann auch in dem erschöpft bestehen, was sie sich selbst genommen haben! Jenseits aber wird man sie nicht erkennen, und sie werden in die äußerste Finsternis gestoßen werden, allda Heulen und Zähneknirschen ihr Los sein soll, das da ist ein ewiger Hader und Krieg der großen Finsternis wegen! Darum lassen wir vorderhand alles also, wie es ist; denn alle Knoten werden erst jenseits die vollste Lösung finden!“

73. Kapitel. Das Abendmahl bei Maria.

01. Als Ich solches dem Cyrenius mitgeteilt hatte, hatten wir auch die Heimat erreicht, allwo schon ein ganz tüchtiges Abendmahl unser harrte, bestehend wie gewöhnlich aus Brot, Wein und einer Menge wohlzubereiteter Fische. Der Knabe Josoe war besonders lüstern auf die Fische und zeigte eine große Freude über die wohlbesetzten Tische.

02. Jairus aber sagte zu ihm: „Mein lieber Neffe, du mußt nun nicht gar so heißhungrig das Abendmahl verzehren, weil dein gewisserart neu erschaffener Magen doch noch nicht fähig sein dürfte, eine zu starke Masse dieser irdischen Speisen zu vertragen!“

03. Sagte der Knabe: „Sei du, lieber Oheim, deshalb nur ganz unbesorgt! Der mich vom Tode erweckt hat, würde meinem Magen sicher keine so große Eßlust eingepflanzt haben, so es dem Magen im Ernste schädlich sein sollte, nun etwas mehr Nahrung zu sich zu nehmen als sonst in einem schon immer gesättigten Zustande; denn es ist kein Scherz für den Menschen, anderthalb Jahre tot und ohne Nahrung gewesen zu sein! So du das einmal an dir erführest und nun meinen neugeschaffenen Magen in dir hättest, dann würdest du meine Eßlust ganz leicht begreifen. Aber es kann nicht ein jeder Mensch in meine Lage kommen, und darum läßt sich in dieser Sache nun mit mir denn auch kein Streit anfangen. Ich weiß es nun am besten nächst Dem, der mich erweckt hat, wie es mir geht, und du sorge dich darum ja nicht, daß mir nun ein paar Fische, ein Stück Brot und ein Becher Wein nur im geringsten schaden werden!“

04. Sagt Jairus: „Von mir aus ist dir alles von Herzen vergönnt; ich habe es mit dir nur gut gemeint.“

05. Nach diesem kleinen Gespräche zwischen dem Jairus und dessen Neffen Josoe begaben wir uns zu Tische und verzehrten das Abendmahl recht fröhlich und heiter; und es ward dabei viel geredet über manches, was da geschehen ist, und was etwa zu Jerusalem darüber geredet wird.

06. Die Jünger aber erkundigten sich um den Knaben und wußten nicht, was sie aus ihm machen sollten. Bald fragten sie den Knaben, bald den Jairus, bald die beiden Jünglinge, die auch mit uns an der Haupttafel saßen, was es denn da mit diesem Knaben für eine Bewandtnis hätte. Es müßte dahinter gar etwas Außerordentliches stecken; denn es sei ihnen nur zu bekannt, daß Sich der Herr mit gar zu gewöhnlichen Knaben nie über die Gebühr abzugeben pflege. Aber der Jünger Fragen war hier ein vergebliches, da ihnen darüber niemand eine befriedigende Antwort erteilte.

07. Als aber die Maria merkte der Jünger Ungeduld, da sagte sie zu ihnen: „Was euch not tut, wird euch nicht vorenthalten; das euch aber offenbar nicht not tut, warum forschet ihr danach? Tut, was Er euch sagt, und wollet nie mehr wissen, als was Er euch als für euch notwendig zu wissen offenbart, so werdet ihr Seinem Willen gemäß leben und handeln und eures ewigen Lohnes versichert sein; alles aber, was ihr wollt wider Seinen Willen, ist Sünde wider den Meister, der euer Heiland ist — leiblich und geistig! Merket euch diese Lehre!“

08. Auf diese recht weise Ermahnung der Mutter Maria stellten die Jünger ihre Forschungen über den Knaben ein und besprachen sich über ihn bloß unter sich, und Petrus wandte sich an Meinen Liebling Johannes und fragte ihn, was er von diesem Knaben halte.

09. Aber Johannes sagte zu ihm: „Hast denn du nun die lieben Worte der herrlichen Mutter überhört, daß es dich noch gleichfort jucken kann zu erfahren, was vorderhand der Herr sicher aus höchst weisen Gründen nicht gewillt ist uns kundzugeben? Sieh, mich juckt es aber wieder gar nicht; wir wissen, was wir wissen, und das ist genug! So wir aber auch wissen wollten, was der Herr über unser Wissen endlos weit hinaus weiß, so wäre solch ein Verlangen von unserer Seite doch sicher die größte Torheit, und wir alle verdienten eher alles — denn Seine Jünger zu sein!“

10. Sagt Petrus: „Ja, ja, du hast auch recht; aber es ist die Wißbegierde auch ein großes Gut, vom Herrn Selbst in des Menschen Herz gelegt, und hätte der Mensch diesen höchst edlen Drang nicht, so wäre er gleich wie ein Tier, das meines Dafürhaltens von einem wissensgierigen Drange sicher keine Spur in seiner stumpfen Seele besitzt. Das rein Göttliche des Wissensdranges scheint mir wenigstens schon darin zu liegen, daß dieser einem Durste im Traume gleicht, zu dessen Stillung die träumende Seele nicht selten ungeheure Gefäße voll Wasser oder Wein verzehrt und dabei aber dennoch gleichfort durstig bleibt und nach stets größeren Quantitäten von durstlöschenden Getränken den unversiegbaren Reiz bekommt. Unsere unersättliche Wißbegierde sagt uns auch klar und deutlich, daß in Gott eine unendliche Fülle von Weisheit liegen muß, die kein forschender Geist ewig je ergründen wird! Und so meine ich denn, lieber Bruder, daß auch mein gegenwärtiger Wissensdrang keine Sünde sein wird.

11. Sieh, mir und mehreren unserer Brüder geht es nun wie so manchen genäschigen Kindern, die nach allerlei Leckerbissen keine Eßgier haben, solange sie von dergleichen Süßigkeiten nichts wissen und nichts zu sehen bekommen; setze sie aber an einen mit allerlei süßen Speisen besetzten Tisch und verbiete ihnen, etwas davon zu genießen, und du wirst bald Tränen in ihren Augen und noch mehr Eßlustwasser in ihrem Munde entdecken. Aber dessenungeachtet hast du dennoch recht; denn wie ein weiser Vater seinen Kindern, um sie in der höchst wichtigen Tugend der Selbstverleugnung zu üben, auch dann und wann Leckerspeisen vorsetzen wird, die zu essen ihnen untersagt sein werden, ebenso scheint unser himmlischer Vater uns auch von Zeit zu Zeit geistige Speisen aufzutischen, die zu genießen uns so lange vorenthalten sein sollen, bis wir in einem gewissen Grade der Selbstverleugnung fest geworden sind. Haben wir nach Seiner Ordnung diesen Grad erreicht, den Er unserer Seele für nötig vorgesteckt hat, so wird Er uns die Speise zum Genusse geben, nach der es uns nun gieret. Und somit wollen wir uns für heute, und für so lange Er es will, vollkommen mit dem zufriedenstellen, was wir wissen und haben, und allzeit geschehe Sein allein heiliger Wille!“

12. Sage Ich: „Mein lieber Bruder Simon Juda, so ist es recht und wahr! Nicht jedes Wissen und Erfahren taugt zur Erweckung des Geistes und zur Belebung der Seele. Denn siehe, es stehet geschrieben: ,Und Gott sprach zu Adam: Wenn du vom Baume der Erkenntnis essen wirst, wirst du sterben!‘ Und so ist es!

13. In der Erkenntnis liegt das Gesetz und das Gericht; denn solange dir ein Gesetz nicht gegeben oder dir nicht verkündet ist, so lange auch gibt es kein Gericht, das hinter dem Gesetze einherschreitet. Daher wolle du nur das wissen, was Ich dir zu wissen offenbare, und du weißt dadurch für deinen Teil für ewig genug. Wenn es an der Zeit sein wird, wird dir alles offenbar werden.“

74. Kapitel. Streit zwischen Judas und Thomas.

01. Mit diesem Bescheide begnügen sich bis auf den Judas alle Jünger und loben Meine Güte und Weisheit und die Macht Gottes, die durch Mich waltet; Judas aber schmollte und sagte ziemlich laut vor sich hin: „Über Pharisäer, die den Fremden das Allerheiligste geheim ums teure Geld sehen lassen, eifert Er bis auf den Schwefelregen vom Himmel; aber so Er den Fremden Sein Heiligtum zeigt und uns einheimische Kinder ausschließt, das ist dann ganz recht und der göttlichen Ordnung völlig gemäß! Hat jemand aus uns schon so etwas erlebt? Wenn es die zu Jerusalem tun, so ist es gefehlt beim Himmel und bei der Erde; aber wenn Er für sich nahe dasselbe tut, so ist das recht und vollkommen nach der Ordnung Melchisedeks! Man kann dagegen freilich nichts tun und unternehmen; aber ärgern muß man sich denn doch!“

02. Sagt Thomas, als der noch immer auf Judas Ischariot scharf absehende Jünger: „Nun, ist dir endlich einmal schon wieder etwas nicht recht? Mich wundert es schon sehr, daß du mit dem Herrn darum nicht schon lange einen Hader begonnen hast, daß Er die Sonne so weit von der Erde gestellt hat und du deine Töpfe in ihrer sicher überheißen Nähe nicht billiger hartbrennen kannst als durch das gewöhnliche Holzfeuer!

03. Schau, wie gut wäre es, gleich Vögeln fliegen zu können! Ja, es hat sogar mich schon mehrere Male an den Achseln gejuckt, und es kam mir vor, als müßte ich mit einer Schar lustig dahinschwebender Kraniche ziehen; ich versuchte zu hüpfen und zu springen, aber der schwere Leib wollte durchaus nicht sich auch nur eine Elle über die Erde erheben!

04. Ich stellte mich aber damit bald wieder zufrieden und dachte mir: Wenn es Gott gewollt hätte, daß die Menschen gleich den Vögeln sollten fliegen können, so hätte Er ihnen ebensogut wie den Vögeln taugliche Flügel gegeben; aber Gott sah es, daß solch eine Eigenschaft dem Menschen mehr schaden als nützen würde und gab ihm daher lieber ein Paar gute und starke Füße, mit denen er sich ganz gut von einem Orte zum andern tragen kann. Auch gab Er ihm nebst den zwei starken Füßen ein Paar sehr brauchbare Hände und den über alle Sterne hinausreichenden Verstand, mittels dessen er an der Stelle eines tauglichen Flügelpaares tausend andere Bequemlichkeiten sich verschaffen kann, die ihm offenbar mehr Vergnügen bereiten können, als den Vögeln ihre Flügel; denn es steht sehr dahin, ob die Vögel ihre Flügel so zu schätzen verstehen wie der Mensch seine Füße, seine Hände und seinen Verstand!

05. Sieh, der Mensch kann auch im Wasser nur sehr schlecht fortkommen, — denn er hat keine Flossen und keine Schwimmhaut zwischen seinen Zehen und Fingern; aber sein von Gott ihm verliehener Verstand lehrte ihn Schiffe bauen, mittels welchen er nun weitere Reisen im Wasser machen kann als ein Fisch, dem ein Wassertümpel ein Wohnhaus ist, von dem er sich nie gar zu weit entfernt. Und wir können mit vollster Gewißheit annehmen, daß unsere späten Nachkommen in der Schiffsbaukunst noch äußerst große Fortschritte machen werden. Wer weiß es, ob es nicht noch irgendeinem Weisen abermal gelingen wird, vermittels eines künstlichen Flügelpaares sich, den alten Indiern gleich, in die freie Luft zu erheben!“

06. Hier unterbricht Judas den Thomas und sagt etwas ärgerlich: „Habe ich dich denn je als meinen Hofmeister gedungen, daß du bei jeder Gelegenheit mir Predigten machst? Behalte du deine Weisheit für dich und deine Kinder und laß mich in der Ruhe, sonst wirst du mich nötigen, dir einmal ganz scharf über deinen Mund zu fahren! Denn darauf verstehe ich mich ganz gut, wenn ich's will. Ich habe dir bei allen deinen, den meinen ganz gleichen freien Reden und Handlungen noch nie ein ungeschaffenes (ungeschliffenes) Wort gegeben und weiß es daher wahrlich nicht, was du an mir immer zu schnitzen und zu hobeln hast! Kehre du nur fleißig vor deiner Hausflur, für die meinige werde schon ich sorgen! Ist mir etwas nicht recht, so ist es für mich allein und braucht's für dich ja nicht auch nicht recht zu sein; ich gehe dich nichts an, und das von jetzt an für immer! — Verstehst du solches?

07. Denke nur nach Kis zurück, wie der Herr die strittige Sache zwischen mir und dir abgemacht hat; das genüge dir und mir, und Weiteres haben wir beide mit und unter uns nicht mehr zu tun! Wenn ich dich um etwas fragen werde, so kannst du mir auf die Frage eine gute Antwort geben, — vorausgesetzt, daß du einer solchen fähig bist! Aber du wirst es am spätesten erleben, daß ich dir solch eine Ehre antun werde!“

08. Sagt Thomas: „Aber sage mir, Bruder Judas, was Arges und Beleidigendes habe ich zu dir denn nun gesagt, darum du über mich gar so aufgebracht bist? Ist es denn etwa unwahr, daß du nur zu oft, meines guten Wissens, mit Gott dem Herrn gehadert hast, daß Er die Sonne so weit von der Erde gestellt, und daß Er dir keine Flügel zum Fliegen gemacht hat gleich all den stummen Vögeln unter dem Himmel?“

09. Sagt Thomas nach einer Weile weiter, weil ihm Judas Ischariot keine Widerrede geben wollte: „Wenn du mir gram sein willst, so sei mir gram ohne Grund und Ursache! Im Angesichte des Herrn zeigt ein solches höchst unbrüderliches Benehmen sich nicht am löblichsten! Ein Gemüt wie das deine gehört auch durchaus nicht unter die Zahl der Jünger des Herrn, und du tätest tausendmal besser, so du heimzögest zu deiner Töpfemacherei, als daß du hier für nichts und wider nichts die Gesellschaft Gottes belästigst und verunreinigst mit deinem höchst gottesordnungswiderlichen Gemüte. Hast du denn schon ganz der Bergrede des Herrn bei Sichar in Samaria vergessen, wo der Herr gebietet, sogar die Feinde zu lieben, die uns Fluchenden zu segnen und Gutes zu erweisen denen, die uns Böses tun?

10. Willst du aber das Wort Gottes nicht befolgen und dich nicht bei jeder Gelegenheit üben in der Selbstverleugnung, so frage dich in Gottesnamen selbst, wozu du unsere Gesellschaft mit deiner Gegenwart belästigest!

11. Du redest mit keinem von uns auch nur ein Wort tagelang; und fragt dich jemand um etwas, so gibst du ihm entweder gar keine Antwort, oder du fährst ihn so roh und grob als nur immer möglich an, so daß er dir zum zweiten Male sicher nimmer mit einer Frage kommt. Ist denn das ein Benehmen für einen Jünger des Herrn? Pfui, schäme dich, und werde ein anderer Mensch, — ansonst packe dich zum Plunder!

12. Wahrlich, es reut mich schon mehr, als wenn ich einen Raubmord begangen hätte, daß eben ich dich zu dieser Gesellschaft brachte! Ich will den Herrn auf den Knien bitten, daß Er dich mit Seiner allmächtigen Gewalt von uns entfernt, wenn du mit Güte nicht flottzumachen sein solltest!“

13. Sagt endlich Judas mit sichtlich verbissenem Zorn, aber lächelnder Miene: „Weder du noch der Herr könnet mir schaffen (mich heißen), ob ich gehen oder bleiben soll! Denn ich bin so gut wie jeder andere aus euch ein ganz freier Mensch und kann tun, was ich will! Sieh, wüßte ich, daß ich dir weniger ein Dorn im Auge wäre, als ich es dir sicher bin, so hätte ich eure Gesellschaft schon lange verlassen und mir eine andere gesucht; aber um dich so recht nach Herzenslust zu ärgern, bleibe ich und will dir zu einem Probiersteine dienen, an dem du deine Geduld, Langmut und Feindesliebe auf die gleichfort schönste Probe stellen kannst, und will von dir die angewandte Bergpredigt Jesu erlernen und sie dann selbst ausüben! — Hast mich verstanden, du weiser Thomas?“

14. Sagt Thomas, zu Mir sich wendend: „Herr, ich und wir alle bitten Dich um Entfernung dieses räudigen Schafes! Denn neben ihm ist keine brüderliche Existenz denkbar, und wir können Deine heilige Lehre unmöglich ins Werk setzen; denn er ist und bleibt gleichfortig ein Aufhetzer und Verräter! Warum soll er denn hier unter uns sein, so er von Deiner heiligen Lehre nicht nur nichts ins Werk setzen will, sondern uns nur allzeit belächelt, so wir nach Deinen Worten zu leben und zu handeln uns die Mühe geben?“

75. Kapitel. Des Herrn Mahnung an Judas.

01. Sage Ich zu Judas Ischariot: „Der Bruder Thomas führt eine gerechte Klage wider dich! Ich sage es dir: Ermahne dich im Herzen und werde ein Mensch! Als Teufel bist du Mir widerlich und kannst gehen! Denn Meine Gesellschaft ist eine heilige Gesellschaft, weil sie vom Geiste Gottes durchwehet wird, und in solcher Gesellschaft kann und darf kein Teufel bestehen!“

02. Diese Worte bewirken, daß Judas sogleich vor dem Thomas auf die Knie niederfällt und ihn um Vergebung bittet.

03. Thomas aber sagt: „Freund, nicht mir gebührt die Abbitte, sondern Dem, wider dessen heilige Lehre du an mir schlecht genug gehandelt hast!“

04. Da erhebt sich Judas und begibt sich schnell zu Mir hin, fällt vor Mir auf die Knie und fängt an, Mich um Vergebung zu bitten.

05. Ich aber sage zu ihm: „Ermahne dich selbst im Herzen; denn deine Mundbitte hat ohne die innere, wahrhafte Besserung nicht den allergeringsten Wert vor Mir, da Ich dein Herz durchschaue und finde, daß es durchaus schlecht ist. Die bloß äußerlich freundliche Form gleicht einer Schlange, die durch ihre zierlichen Windungen die Vöglein des Himmels betört, daß sie ihr dann zum Fraße in den Rachen fliegen. Ich sage es dir: Nimm dich in acht, auf daß du dem Satan nicht in Kürze zur Beute wirst! Denn der läßt das, was er einmal sein nennt, nicht gerne fahren.“

06. Auf diese Worte erhob sich Judas wieder und sagte zu Mir: „Herr! Tote rufst Du aus den Gräbern, und sie leben; warum läßt denn Du mein Herz im Grabe des Verderbens zugrunde gehen? Ich will ja ein besserer Mensch werden und kann es dennoch nicht, weil ich mein Herz nicht umändern kann; daher gestalte Du mein Herz um, und ich bin ein anderer Mensch!“

07. Sage Ich: „Darin eben liegt das große Geheimnis der Selbstgestaltung des Menschen! Alles kann Ich dem Menschen tun, und er bleibt Mensch; aber das Herz ist sein eigen, das er vollkommen selbst bearbeiten muß, so er das ewige Leben sich selbst bereiten will. Denn würde Ich Selbst zuerst die Feile an des Menschen Herz legen, so würde der Mensch zur Maschine und gelangte nie zur freien Selbständigkeit; wenn aber der Mensch die Lehre bekommt, was er zu tun hat, um sein Herz für Gott zu bilden, so muß er diese auch frei befolgen und sein Herz nach ihr bilden!

08. Hat er sein Herz danach gebildet und es gereinigt und gefegt, sodann erst ziehe Ich im Geiste in dasselbe und nehme Wohnung darin, und der ganze Mensch ist dann im Geiste wiedergeboren und kann fürder ewig nimmer verlorengehen, da er dadurch eins mit Mir geworden ist, wie Ich Selbst eins bin mit dem Vater, von dem Ich ausgegangen bin und gekommen in diese Welt, um allen Menschenkindern den Weg zu zeigen und zu bahnen, den sie zu gehen haben im Geiste, um zu Gott in der Fülle der Wahrheit zu gelangen!

09. Du mußt daher, so wie jeder von euch, zuerst die Hand an die Bearbeitung deines Herzens legen, sonst bist du verloren, — und hätte Ich dich tausendmal aus den Gräbern ins Leben des Fleisches gerufen!“

10. Sagt Judas Ischariot: „Herr, da bin ich verloren! Denn ich habe ein unbändiges Herz und kann mir selbst nicht helfen!“

11. Sage Ich: „So höre die Brüder und zürne ihnen nicht, so sie dich liebfreundlich ermahnen; denn sie helfen dir ja bearbeiten dein Herz!

12. Siehe an den Thomas, der sich von aller deiner Grobheit nicht abschrecken läßt, dich zu ermahnen, wenn du deinem bösen Herzen einen zu freien Spielraum zu gewähren anfängst; horche darum auf seine um dich besorgten Mahnworte, so wird es nach und nach schon besser werden in deinem Herzen! So du dir aber gleichfort, wie es bis jetzt der Fall war, von niemandem etwas sagen läßt, so wirst du in Kürze zugrunde gehen und, wie gesagt, dem Satan zur Beute werden; denn da werde nicht Ich, sondern der Satan in deinem Herzen Wohnung nehmen.

13. Hüte dich also vor allem vor dem Zorne und vor der Habsucht, ansonst du ein Kind des ewigen Todes werden wirst! Denn die Reue und Buße über dem Grabe haben einen geringen Wert und können einer unreinen, schwarzen Seele wenig nützen. Gehe nun und überdenke diese Meine Worte wohl!“

14. Judas tritt nun zurück, nachdenkend, faßt wohl so einen halben Entschluß, sich nach Meinen Worten zu bessern, und sagt zum Thomas: „Nun, Bruder, sollst es sehen, wie Ischariot ein ganz anderer Mensch wird, und am Ende noch euch allen zu einem Vorbilde! Denn Ischariot kann viel, wenn er will; er will es aber nun und wird daher auch vielvermögend werden!“

15. Sagt Thomas: „Bruder, wenn du dich schon im voraus rühmest, da wird die Tat wahrscheinlich im Hintergrunde verbleiben, und du wirst oder kannst dadurch auch zu einem Vorbilde werden, aber zu keinem aneifernden, sondern zu einem abschreckenden, — und es wird auf dieser Welt schwerlich je besser werden mit dir!

16. Denn siehe, so du besser werden willst, als da wir alle sind, die wir unsere großen Schwächen auch ohne deine Vorbildschaft kennen und nur zu klar einsehen, wie elend und gar nichts wert wir vor dem Herrn sind, so mußt du dich geringer dünken für alle Zeiten der Zeiten, als da sind deine Brüder vor dem Herrn, und sogar nie daran denken, uns ein nachahmungswürdiges Vorbild werden zu wollen, sondern dich stets als der Letzte und Geringste dünken; dann wirst du, ohne es sein zu wollen, das in der Tat uns sein, was du nun noch stark hochmütigerweise zu werden dir vornimmst. — Lebe also nach dieser Regel, die nicht auf meinem Grund und Boden, sondern auf dem heiligen des Herrn für dich gewachsen ist, dessen Grundlage die wahre Demut und Selbstverleugnung ist, so wirst du nach der Gottesordnung das erreichen, was du erreichen willst! — Gehe aber hin zum Herrn und erkundige dich, ob ich dich unrecht und unwahr belehrt habe!“

76. Kapitel. Über Demut und Selbstverleugnung.

01. Ruft Judas nach Mir und fragt: „Herr, ist es also, wie nun Thomas zu Mir geredet hat in einem stark herrschenden Ton?“

02. Sage Ich: „Ja, also ist es! Wer aus euch sich erniedrigt am meisten vor seinen Brüdern, der ist der Erste im Gottesreiche; jedes Sichbesserdünken setzt ihn aber im Gottesreiche auf eine letzte Stufe zurück.

03. So jemand von euch noch irgendein Hoheits— und somit Besserseinsgefühl in sich verspürt, da ist er von der alles verzehrenden, gierigsten Hölle noch nicht frei und noch lange nicht geschickt zum Reiche Gottes; denn solch ein Mensch ist nicht freien Geistes.

04. So aber jemand sich unter alle seine Brüder herabgesetzt hat und also bereit ist, allen zu dienen nach seiner Fähigkeit, so ist er der Erste im Reiche Gottes, und alle andern können sich ganz füglich nach ihm bilden. Wahrhaft göttlich großen Geistes ist nur derjenige, der sich unter alle menschliche Kreatur herabzuwürdigen vermag!“

05. Sagt Judas: „Da kann dann nur ein Mensch, der sich am meisten zu erniedrigen versteht, der Erste im Reiche Gottes sein!? Denn so er beflissen ist, allen zu dienen nach seinen Fähigkeiten, so müssen die andern ihm doch offenbar erst den Gefallen erweisen, sich von ihm bedienen zu lassen, um ihm dadurch zur himmlischen Priorität (Vorrang) zu verhelfen! — Was aber dann, wenn die andern seine Dienste entweder gar nicht annehmen wollten oder dem Himmelreichsprioritätsbestreben selbst ihre Dienste anbieten? Wer wird dann der Erste im Reiche Gottes werden?“

06. Sage Ich: „Alle, die aus redlichem Herzen solches zu tun sich bemühen! Aber Menschen, die gewisserart aus Selbstsucht ihres Bruders Dienste darum nicht annähmen, um ihm jede Gelegenheit zu entziehen, ein Erster im Reiche Gottes werden zu können, ohne je nach solcher Priorität (Vorrecht) zu streben, die werden dennoch die Letzten sein, und er der Erste, weil er wahrhaft aus Liebe und wahrer Demut allen Brüdern dienen wollte!

07. Ah, ganz etwas anderes wäre es, so jemand auf dieser Welt bloß der einstigen himmlischen Priorität (Erstrecht) wegen der Geringste und ein Diener aller werden wollte! Oh, der wird auch einer der Letzten im Reiche Gottes sein! Jenseits wird alles mit der feinsten Waage abgewogen und nach dem genauesten Maße bemessen werden. Wo immer etwas Selbstsüchtiges zum Vorschein kommen wird, wird die Waage den Ausschlag nicht geben und das Maß der Himmel nicht decken! Daher mußt du die volle Wahrheit ohne allen Hinterhalt in dir haben, sonst kannst du ins Reich Gottes nicht eingehen. Nur die reinste Wahrheit ohne Falsch und hinterhältigen Trug kann und wird euch frei machen vor Gott und aller Seiner Kreatur! — Verstehest du das?“

08. Sagt Judas Ischariot: „Ja, das verstehe ich wohl, sehe aber auch zugleich ein, daß solches unmöglich zu bewerkstelligen ist; denn es ist dem Menschen unmöglich, alle Selbstliebe fahren zu lassen! Er muß doch essen und trinken und sich um eine Wohnung und Kleidung umsehen, — und das geschieht denn auch aus einer geringen Art von Selbstliebe! Man nimmt sich ein liebes Weib und will dieses allein für sich haben, und wehe dem, der es wagte, seines Nächsten Weib zu begehren! Das wird aber etwa doch auch eine Art Selbstliebe sein!?

09. Wenn ich einen wohlbearbeiteten Grund habe, und es kommt die Zeit der Ernte, werde ich wohl nun aus lauter Selbstverachtung und gänzlichem Mangel an Selbstliebe zu meinen Nachbarn hingehen und sagen: ,Meine Freunde, gehet hin und erntet, was auf meinen Feldern gewachsen ist; denn ich habe als der Geringste unter euch, als euer aller Knecht ohne allen Wert vor euch, nur für euch gearbeitet!‘ Ich meine, da sollte die so hochgestellte Selbstverleugnung und Selbstverachtung doch irgend einige bestimmte Grenzen haben, ohne welche es sogar unmöglich wäre, Deine Lehre den Menschen zu verkünden, weil man dadurch offenbarst anzeigete, daß man seine Brüder für dümmer und blinder hielte als sich selbst! Denn sich im Geiste für vorzüglicher halten als seine Brüder, da wird doch etwa auch ein wenig von einem Hochmut dabei sein! Wenn aber so, da sehen wir uns die Menschheit in hundert Jahren an, und wir werden sie gleich dem Ochsen auf der Weide Gras fressen sehen, und von einer Sprache wird keine Spur mehr zu finden sein und ebensowenig von irgendeinem Wohnhause oder gar von einer Stadt! — Wie weit darf also des Menschen Eigenliebe gehen?“

77. Kapitel. Ein Maßstab der drei Liebearten.

01. Sage Ich: „Ganz gut, Ich will dir denn ein Maß geben, nach welchem du und ein jeder wissen soll, wie er mit der Eigenliebe stehen soll, wie mit der Liebe zum Nächsten und wie mit der Liebe zu Gott.

02. Nimm die Zahl 666, die in guten und schlechten Verhältnissen entweder einen vollendeten Menschen oder einen vollendeten Teufel bezeichnet!

03. Teile du die Liebe im Menschen gerade in 666 Teile; davon gib Gott 600, dem Nächsten 60 und dir selbst 6! Willst du aber ein vollendeter Teufel sein, dann gib Gott sechs, dem Nächsten sechzig und dir selbst sechshundert!

04. Siehe, die rechtschaffenen Dienstleute und Knechte und Mägde sind es, die die Felder ihrer Herrschaft bearbeiten. Nach deiner Ansicht sollen sie denn nun auch die Ernte nehmen, weil sie durch ihren Fleiß und ihre Mühe geworden ist; aber sie tun diese in die Scheuern und Scheunen ihrer Herrschaft und haben eine große Freude daran, so sie zu ihrer Herrschaft sagen können: ,Herr, alle deine Scheuern und Scheunen sind bereits voll, und noch ist die Hälfte auf dem Felde! Was sollen wir da tun?‘ Und ihre Freude wird größer, so der Herr zu ihnen sagt: ,Ich lobe euren großen und uneigennützigen Fleiß und Eifer; gehet und bringet Bauleute her, auf daß sie mir Vorratskammern in kürzester Zeit erbauen und ich des Feldes Segen aufbewahre für Jahre, die vielleicht weniger gesegnet sein möchten, denn dieses da war, an allen Früchten!‘ Sieh, nichts gehört den Dienstleuten, sie haben keine Scheuer, keine Scheunen und keine Vorratskammern, und doch arbeiten sie um einen geringen Lohn, als gelte es für ihre Scheuer, Scheunen und Vorratskammern; denn sie wissen es, daß sie nicht Not zu leiden brauchen, wenn der Herr alle Vorratskammern voll hat.

05. Und siehe, im Tun eines rechtschaffenen Dienstboten liegt das ganze Verhältnis jedes wahren Menschen zu sich, zum Nächsten und zu Gott. Der wahre Dienstbote sorgt für sich 6fach, für seine Dienstgefährten, damit sie ihm wohlwollen, 60fach und für seinen Dienstherrn 600fach und sorgt dadurch, ohne es zu wollen, dennoch 666fach für sich; denn die Nebendiener werden ihrem Gefährten, bei dem sie die wenigste Selbstliebe merken, am meisten wohlwollen, und der Dienstherr wird ihn bald über alle setzen. Aber einen Diener, der nur für seinen Sack sorgt, bei der Arbeit gern der letzte ist und da seine Hände nur an die leichteste Arbeit legt, den werden seine Gefährten mit scheelen Augen ansehen, und sein Dienstherr wird es wohl merken, daß der selbstsüchtige Diener ein fauler Knecht ist. Er wird ihn daher nie über seine Dienerschaft setzen, sondern ihm vermindern den Lohn und ihn setzen zuunterst am Speisetische. Und wird sich dieser selbstsüchtige, faule Knecht nicht bessern, so wird er mit schlechten Zeugnissen aus dem Dienste getan werden und also schwerlich je wieder einen Dienst erhalten. So er aber einen einzigen Freund noch hat, dem gegenüber er sich uneigennützig bewiesen hatte, so kann dieser ihn in seine Wohnung aufnehmen, wofür ihn der Herr nicht schmähen wird. — Verstehst du das?

06. Ein jeder Mensch hat und muß einen gewissen Grad von Eigenliebe haben, ansonst er nicht leben könnte, — aber, wie gezeigt, nur den möglich geringsten Grad; ein Grad darüber hebt schon das rein menschliche Verhältnis auf, und es ist die Sache in der göttlichen Ordnungswaage also auf ein Haar abgewogen! — Nun sind dir die Grenzlinien gezeigt, und wir wollen sehen, wie du diese tatsächlich befolgen wirst!“

07. Sagt Judas: „Dazu gehört viel tiefste Weisheit, um beurteilen zu können, ob man das genaue Maß mit der Eigenliebe getroffen hat! Wie kann der kurzsichtige Mensch das beurteilen?“

08. Sage Ich: „Er tue mit redlichem Willen das, was er tun kann; das Abgängige wird schon von Gott aus hinzugetan werden. Für weniger aber als sechs Teile für sich darf man wohl bei keinem Menschen irgendeine Sorge tragen! Am allerwenigsten für Menschen deiner Art!“

09. Hier verstummt Judas und geht nachdenkend vom Tische, um sich eine Lagerstätte für die schon stark hereingebrochene Nacht zu bereiten.

10. Nun aber tritt erst der Knabe Josoe auf und sagt: „Aber hat mich dieses Menschen Dummheit doch schon über all die Maßen geärgert! Ein Jünger ist er und noch so dumm wie eine Nachteule am hellen Tage. Ich habe alles gleich verstanden, was Du, o Herr, zu ihm geredet hast; er aber verstand nichts, indem er immer fragte und allerlei Einwürfe machte, und nun am Ende des Endes noch so dumm davonging, als wenn Du, o Herr, ihm kein Silbenswörtlein gesagt hättest! Wenn ein Kind fragt, so ist das verzeihlich; aber wenn so ein alter Mensch, der auf der andern Seite doch wieder weiser sein will denn seine Nebenmenschen, auch noch fragt — und das ersichtlich nicht gut—, sondern böswillig —, so muß man sich ja doch ärgern! Ich will noch dreimal sterben, wenn dieser Mensch sich auf dieser Welt je bessern wird! Er ist allem Anscheine nach ein Geizhals und rechnet, wie er, wenn er das vermöchte, was Du, o Herr, vermagst, sich in kürzester Zeit zu ganzen Bergen von Gold und Silber aufschwingen könnte! Und ich, so wahr ich Josoe heiße, will alles darum geben, was ich habe, und alles erleiden, was nur je ein Mensch erleiden kann, wenn dieser Mensch je eine Besserung ergreifen wird!“

11. Sage Ich: „Mein lieber Josoe, laß das nur gut sein; denn wir brauchen allerlei Handlanger bei der Erbauung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, und da ist eben Judas auch einer, den wir brauchen können! — Aber nun sage du Mir, was du deinen irdischen Eltern sagen wirst, wenn du wieder mit ihnen zusammenkommen wirst! Wie wirst du reden?“

78. Kapitel. Josoes schlauer Plan.

01. Sagt Josoe, freudig lächelnd: „Herr, ich meine, diese Geschichte wird sich ganz einfach machen lassen! Ich komme vom Oheim Jairus geleitet ins Haus meiner sicher noch immer um mich trauernden Eltern. Diese werden ganz verwundert große Augen machen, daß sie in mir einen Knaben erblicken, der ihrem Josoe so ähnlich sieht wie ein Auge dem andern; dann mag Jairus sagen, daß ich ein Findling sei und sogar den Namen des Verstorbenen führe, und meine Eltern werden mich ohne weiteres an Kindes Statt aufnehmen und mich lieben mehr denn ihren Josoe. Nach und nach können sie dann durch allerlei rare Wendungen in die volle Wahrheit eingeleitet werden, und sie werden am Ende denn doch glauben müssen, daß ich ihr wirklicher Sohn Josoe bin. In einer Zeit aber, die Du, o Herr, bestimmen kannst, können sie dann denn auch in die vollste Wahrheit geführt werden. — Ist es also recht, o Herr?“

02. Sage Ich: „Die Sache ist gar nicht übel ausgedacht, Mein lieber Josoe; aber nur ein Umstand kommt dabei vor, und zwar der, daß da eine offenbare Lüge vorkommt, und eine jede Lüge ist vom Übel und erzeugt wieder Übel. Siehe, ein Findling bist du denn doch offenbar nicht; wie wirst du den ,Findling‘ hernach vor deinen Eltern und Gott rechtfertigen?“

03. Sagt der Knabe: „Herr, wenn Du lächelst, so ist das sicher ein gutes Zeichen, und ich bin schon gerechtfertigt vor Dir, so wie einst der Jakob mit seinen in Lammfelle gewickelten Händen vor seinem blinden Vater Isaak! Siehe Herr, das war denn doch mehr Lüge denn bei mir, so ich als ein Findling meinen Eltern vorgeführt werde, und doch war vor Gott Jakobs Erstgeburtssegen als gerecht angenommen! Wenn aber Gott damals einen doch offenbarsten Betrug, der eine tatsächliche Lüge ist, mit gnädigen und segnenden Augen ansehen konnte, so wird Ihn ja doch der nunmalige Findling Josoe nicht anwidern, zudem er doch ein allerwahrster Findling ist wie kein zweiter auf der ganzen weiten Gotteserde! Ich meine, Du mein Gott und mein Herr, es dürfte für diese Erde wohl nichts so sehr verloren sein als einer, der gestorben ist; und so dürfte es auch nichts im vollwahrsten Sinne Gefundeneres geben als einen — —, Herr, Du verstehst mich, wen ich hier meine!“

04. Sage Ich: „Gut hast du es gemacht! Ich wußte es ja, daß du einen rechten Grund finden wirst; aber nun möchte Ich denn von dir auch noch hören, wie du dich deinen Eltern durch allerlei rare Wendungen am Ende als der wirkliche Sohn Josoe aufführen wirst.“

05. Sagt Josoe: „O Herr, das ist doch eine überaus leichte Sache! Wenn ich einmal im Hause bin, so werde ich, was mir ein leichtes ist, mich gerade so benehmen, wie ich mich früher benommen habe; ich werde nach und nach um dies und jenes fragen, wie ich es früher getan habe, werde auch meine Spielereien hervorsuchen und damit die bekannten Verfügungen treffen, was meinen Eltern offenbar auffallen wird und sie am Ende werden sagen müssen: ,Das ist unser Josoe, der vielleicht vom Borus im Grabe durch seine geheimen Mittel erweckt und mit der Zeit bis her vollends geheilt worden ist!‘ Und ich lasse sie einstweilen bei der Meinung. Kommt dann die rechte Zeit, so sollen sie die Wahrheit schon erfahren, und ich meine, daß die Sache sich also ganz gut machen wird.“

06. Sage Ich: „Aber da kommt schon wieder eine Lüge vor! Siehe, jemanden geflissentlich im Irrtum belassen, heißt ebensoviel wie jemand anlügen! Wie wirst du dich denn da reinwaschen?“

07. Sagt Josoe: „Herr, solange Du lächelst, wenn Du prüfest, ist es immer und ewig ein gutes Zeichen; ich meine aber so, daß die Lüge auch von einer sehr unterschiedlich zweifachen Art ist. Jemandem geflissentlich aus bösem Willen eine Lüge als eine verbürgte Wahrheit auftischen, ist und bleibt eine satanische Bosheit! Aber eine Scheinlüge, durch die man die nackte Wahrheit nur so lange umhüllt, als eben die nackte Wahrheit für den Menschen, den sie betrifft, noch unerträglich wäre, ja ihm offenbar mehr schaden als nützen würde, kann nicht vom Übel sein, weil sie dem edlen, guten und wohlwollendsten Herzen und Willen entstammt!

08. Es müßte in dieser Hinsicht dann ja auch jedes Gleichnis, hinter dem doch die erhabenste Wahrheit verborgen sein kann, eine barste Lüge sein. Und doch haben die weisesten Väter und Propheten zumeist in lauter Gleichnissen gesprochen! Und daß hier Borus als der allgemein bekannte, berühmte Arzt eben als Arzt eigenschaftlich Deine Stelle vertritt, ist im Grunde denn doch auch nichts anderes, als wie zu den Zeiten Abrahams die drei zum Erzvater gekommenen Engel die Stelle Jehovas vertreten haben, und gar nichts anderes als die mir immer recht hart vorkommende Lüge des Joseph in Ägypten vor seinen Getreide suchenden Brüdern! Aber Gott hatte es Selbst also gewollt und rechnete dem Joseph solch sein Benehmen gegen seine Brüder sicher nicht zur Sünde. Und so meine ich, daß solch eine Scheinlüge bloß nur eine Klugheit aus den Himmeln ist, während die wirkliche Lüge in die Reiche der ärgsten höllischen Verschmitztheit gehört!“

09. Sage Ich: „So komme her, du Mein liebster Josoe, und laß dich küssen; denn du bist ja schon als ein noch zarter Knabe weiser denn ein alter Schriftgelehrter!“

10. Mit diesen Worten eilt Josoe sogleich um den ganzen Tisch, umarmt Mich und küsset Mich klein ab und sagt darauf in völlig ausgelassener, aber dabei dennoch sehr weiser Heiterkeit: „Da sehet her alle ihr alten himmlischen Geister, Mächte und Kräfte, und verhüllet euer Angesicht! Denn das, was hier geschah, habet ihr noch nie erlebt! Der ewige heilige Vater hier vor uns, im Sohne Jesus völlig gegenwärtig, läßt Sich fleischlich liebkosen von einem Seiner Geschöpfe!

11. So zieht, Der ewig war, das zeitlich Seiende an Sich, koset es und macht es dadurch Ihm gleich ewig! O Du wahrer, alleiniger Vater aller Menschen, wie süß doch schmecket Deine Liebe!“

79. Kapitel. Zwei Engel bieten dem Josoe ihre Dienste an.

01. Hier treten die zwei Engel hervor und sagen: „Ja, holdester Knabe, du hast wahr gesprochen! Das war unseren Augen, die schon lange den endlosen Raum Gottes durchstierten, ehe noch eine Sonne ihr Dasein weithin durch den ewigen Raum Gottes mittels ihrer Strahlen verkündete, noch nie ersichtlich geworden! Bleibe du daher aber auch gleichfort in dem Geiste, der dich jetzt so rein göttlich hehr belebt, und wir bleiben ewig Brüder!“

02. Sagt Josoe: „Wer seid ihr denn, daß ihr gar so erhaben weise Worte auszusprechen vermöget? Seid ihr denn nicht auch Menschen, so gut wie ich einer bin?“

03. Sagen die beiden: „Liebster Bruder, im Geiste wohl sind wir völlig das, was du bist und noch mehr und mehr werden wirst; aber Fleisch und Blut haben wir nie getragen! Wir sind Engel des Herrn und sind hier, Ihm allein allzeit zu dienen. So uns aber Der einst auch gnädigst will durchs Fleisch, Ihm gleich, gehen lassen, so werden wir dir dann auch in dieser Hinsicht vollends gleichen. Für jetzt aber bist du uns bedeutend voraus; doch die Ewigkeit ist lang und endlos, und in ihr werden sich dereinst alle Unterschiede ausgleichen. Wir aber tragen nun auch dir unsere Dienste an; willst du etwas, so schaffe (befiehl) und wir werden dir dienen!“

04. Sagt Josoe: „Was sollte ich euch mir zu dienen schaffen? Wir alle haben einen Gott und einen Herrn und Vater von Ewigkeit. Dem allein kommt das Recht zu, zu schaffen mit mir wie mit euch; wir aber, die wir samt und sämtlich von Ihm erschaffen worden sind, sollen einander nicht schaffen, sondern aus Liebe zuvorkommend uns allzeit gegenseitig dienen, so aus uns einer oder der andere Engel oder Mensch, gleichviel irgendeines Dienstes bedarf!

05. Ich halte aber schon den nicht für vollkommen, der, wenn auch noch so willfährig, seinem hilfsbedürftigen, um irgendeinen Beistand flehenden Bruder beispringt; denn da wird nur dem geholfen, der Gelegenheit, Mut und Kraft besitzt, seinem in was immer für einer Hinsicht vermögensreichen Bruder seine Not darzustellen und ihn um die entsprechende Hilfe anzuflehen. Wer aber hilft dann dem, der die Gelegenheit, den Mut nicht besitzt, seinen vermögensreichen Bruder um Hilfe anzuflehen? Wenn ich aber schon eine erbetene Hilfe durchaus nicht gutheißen kann, um wieviel weniger dann erst eine befohlene!

06. Darum sage ich euch hier in der Gegenwart Dessen, der ein Herr ist über Leben und Tod: So ihr sehen werdet, daß mir eine Hilfe not tut, so helfet mir, ohne daß ich euch darum bitte oder gar schaffe, als ob ich ein Herr wäre! Und ich werde dasselbe tun, so ich es wüßte, daß auch ich euch wo dienen könnte; sonst brauche ich keine Hilfe und keinen Dienst von euch, am allerwenigsten aber einen befohlenen, der schlechter ist denn gar keiner!

07. Es solle sich aber ein in was immer für einer Hinsicht Vermögensreicher mit Fleiß umsehen unter seinen hilfsbedürftigen Brüdern, ob nicht einer bald in dieser und bald in einer andern Hinsicht irgendeiner Hilfe bedarf. Und hat er einen gefunden, so solle er ihm die Hilfe antragen! So wird er meines Erachtens dem Herrn und Vater, der ewig gleichfort also handelt, sicher angenehm sein und wird das heilige Ebenmaß Gottes, nach dem er erschaffen ist, rechtfertigen; wer aber seinem Nächsten erst dann hilft, wenn dieser ihn um die Hilfe angefleht hat, — oh, wie weit ist ein solcher Helfer noch vom vollen Ebenmaße entfernt, und wie weit dann erst der, der sich eine Hilfeleistung befehlen läßt!

08. Seht ihr, meine lieben Freunde, wenn eure Weisheit nicht weiter reichen sollte als dahin nur, den Menschen Anträge zu machen, daß sie euch gebieten sollen, wenn sie eurer Hilfe bedürfen, da gehe ich als ein Knabe mit euch nicht tauschen; habt ihr mich aber bloß nur prüfen wollen, so glaube ich, meine Prüfung vor euch wenigstens nicht schlecht bestanden zu haben. Und solltet ihr vielleicht aus meinem Munde etwas vernommen haben, was euch vielleicht ein wenig hart berührt hätte, so müßt ihr das mir schon zugute halten; denn um euch zu belehren, habe ich meinen Mund nicht aufgetan, sondern der Wahrheit willen, weil ihr euren Antrag mir nicht der Wahrheit gemäß gemacht habt. Als vollkommene Himmelsgeister aber hättet ihr doch mein Inneres insoweit zum voraus durchblicken und erkennen sollen, daß ich euch auf euren Antrag mit solch einer Antwort sicher entgegenkommen werde, und ihr hättet dann eurem Antrage, für den ich euch durchaus nicht danken kann, sicher ein anderes Gesicht gegeben!“

09. Die beiden Jünglinge treten nun etwas gedemütigt zurück und sagen: „Wahrlich, diese hohe, rein göttliche Weisheit hätte kein Engel in diesem Knaben gesucht!“

10. Sage Ich: „Ja, Meine Lieben, Gottes Auge sieht gar scharf und entdeckt auch in den vollkommensten Engeln Flecken, — also auch eines Menschen reinstes Herz, das da ist wie ein Augapfel Gottes. Ich ließ aber das nicht euretwegen, sondern der Gäste wegen geschehen, auf daß sie aus dem reinen Munde eines erweckten Knaben erfahren sollten, wieviel es ihnen an der Gottähnlichkeit noch mangelt. Im übrigen aber hat der Knabe schon von Geburt an einen außerordentlich scharfen Geist, und es meine ja niemand, Ich hätte nun bei dieser Gelegenheit ihm die Worte ins Herz und endlich in den Mund gelegt. Sie sind auf seinem höchst eigenen Grund und Boden gewachsen; darum wird er Mir zu einer Zeit ein tüchtiges Rüstzeug sein.“

80. Kapitel. Cyrenius nimmt Josoe auf.

01. Sagt Cyrenius: „Herr, diesen Knaben möchte ich zu mir nehmen, und so er zu mir wollte, möchte ich ihn nicht nur meinen Kindern gleich, sondern in allem über dieselben stellen. Wahrlich, ich würde es mir zum größten Glücke rechnen, so ich diesen lieben Knaben, der ohnehin mehr Engel als Mensch ist, mein nennen könnte! Er wird ohnehin einen etwas schweren Stand bei seinen einstigen Eltern haben, und es ist die Frage, ob diese ihn noch annehmen werden. Ich weiß aber um alles und kann mit der Zeit Einleitungen treffen, daß seine, mir als sehr templerisch gesinnt bekannte Eltern ganz gut ihren Josoe erkennen werden. Wollen sie ihn annehmen, so wird es ihnen auch freigestellt sein, jedoch mit der Bedingung, daß er in meinem Hause zu verbleiben und um mich zu sein hat, wo ich bin, — bald in Asien, bald in Europa und bald in Afrika; denn seine Weisheit geht mir über alles!“

02. Sage Ich: „Mache du das mit dem Jairus und dem Knaben ab! Mir ist alles recht; denn der Knabe, Mein lieber Josoe, wird Mir ja überall getreu verbleiben!“

03. Sagt der Knabe: „Vater, daran wirst doch Du nicht zweifeln? Du müßtest mir nur Selbst eine andere Gesinnung ins Herz legen! Das aber wirst Du ewig nicht tun, und so werde ich Dir auch ewig getreu verbleiben. So ich aber über mein künftiges Sein auf dieser Erde zu wählen hätte, da bliebe ich am liebsten geradewegs bei Dir! Denn was Höheres, was Besseres und was Seligeres kann es denn in der ganzen Unendlichkeit und in allen alten und neuen Himmeln noch geben, als bei Dir, dem Urquell der Liebe, der Weisheit und alles Lebens, zu sein? Aber das ist auch nur der eigentliche, innerste Wunsch meines Herzens; im übrigen aber verstehe ich schon auch zu gehorchen und begebe mich überall willig hin, wohin mich Dein heiliger Wille nur immer bestimmen mag! Ich gehe zum Cyrenius, den ich überaus achte und schätze, also gehe ich auch zu meinen irdischen Eltern zurück, die mir auch sehr lieb und wert sind; aber ohne Deinen Willen werde ich nicht leichtlich etwas tun.“

04. Sage Ich: „Daß du bei Mir bleiben möchtest und mit der Zeit auch bei Mir bleiben wirst, davon zeugt dein ganzes Wesen; aber für jetzt bedarfst du noch einiger Ruhe, die dir in der äußeren Abgeschiedenheit von Mir notwendig ist, auf daß zwischen deiner Seele und dem neuen Leibe eine festere Konstistenz gebildet werde. Wenn solches etwa im Verlaufe von einem Jahre geschehen wird, dann kannst du schon wieder zu Mir kommen und wirst dich alsdann in Meiner Nähe ganz gut erhalten können, ohne daß Ich, wie nun, nötig haben sollte, mit der Macht Meines Willens deine Seele in deinem Leibe festzuhalten. Siehe, das ist der Grund, warum Ich zu deinem Wohle nun dich auf eine kurze Zeit von Mir gehen lasse! Frage aber nun deinen Sinn, ob du lieber mit dem römischen Oberstatthalter Cyrenius von hier ziehest, oder ob du lieber zu deinen irdischen Eltern heimkehrst! Mir ist es da ganz einerlei, — nur das ist wahr, daß du beim Cyrenius immer mehr gewinnen kannst denn als ein scheinbarer Fremdling in deiner Eltern Hause; denn diese werden lange nicht wissen, was sie aus dir machen sollen.“

05. Sagt Josoe: „Ganz gut, weil ich nun so viel weiß, so ziehe ich mit dem hohen Statthalter Cyrenius. Sehen aber möchte ich die Eltern doch und erfahren, was sie bei meinem Anblick für fragende Gesichter machen werden.“

06. Sagt Cyrenius: „Das können wir morgen, so wir von hier über Kapernaum nach Sidon und Tyrus ziehen werden, ganz leicht zustande bringen! So wir in Kapernaum bei diesem meinem Bruder, den du hier neben mir siehst und dessen Name Kornelius ist, zu Mittag speisen werden, da sollen nebst einigen Hauptständen der Stadt auch deine Eltern zu Tische gezogen werden, und du wirst dann eine hinreichende Gelegenheit haben, deine Eltern zu sehen, zu hören und sie zu beobachten, was sie alles für Bemerkungen über dich machen werden. Aber du mußt dabei wohl dich sehr in acht nehmen, daß du dich nicht etwa durch ein hingeworfenes Wörtlein zu sehr verrätst! An der Kleidung werden sie dich nicht erkennen, da ich dir morgen sogleich aus meinem Vorrate eine Toga, wie sie die Römer tragen, werde anziehen lassen. Aber, wie gesagt, auf deinen Mund mußt du allein recht wohl achthaben, daß du dich nicht verrätst vor der Zeit!“

07. Sagt der Knabe: „Darüber sei du ganz ohne Sorge! Der römischen Zunge bin ich ziemlich mächtig, sowie der griechischen, und werde darum in diesen Zungen reden, so ich um etwas gefragt werde. Freilich sind auch meine Eltern dieser Zungen mächtig; aber das macht nichts! Kurz, mit der Hilfe des Herrn, der mich erweckt hat, werde ich alles in der sicher besten Ordnung darzustellen verstehen.“

08. Cyrenius drückt den Knaben an seine Brust, küßt ihn und sagt: „Kurz und gut, ich liebe dich überaus und betrachte dich von nun an als einen Sohn, den ich mehr liebe als alle meine Leibeskinder und eine Menge anderer Kinder, denen ich freiwillig, wie nun dir, ein Vater geworden bin. Denn allen wirst du mit deinem Geiste vieles nützen können.“

09. Sagt der Knabe: „Ich freue mich auch darauf; denn das ist meine größte Freude von jeher gewesen, so ich jemand habe in was immer nützlich sein können.“

10. Sage Ich: „Gut, Mein Josoe! Wenn Ich sehen werde, daß du deinem Vorsatze getreu verbleiben wirst, so werde Ich dir dann auch eine Kraft aus den Himmeln zukommen lassen, mit deren Hilfe du dann noch mehr Gutes zu wirken imstande sein sollst. Worin aber die Kraft bestehen wird, wirst du erst dann innewerden, wann du sie überkommen wirst. Nun aber wollen wir uns zur Ruhe begeben; denn es ist bereits die Mitternacht herbeigekommen. Morgen ist auch wieder ein Tag, und Ich will ihn nicht zum voraus erforschen, was er bringen wird, sondern, was er bringen wird, das werden wir alle annehmen. Das Gute soll unser Anteil sein, und das Schlechte werden wir auszuscheiden verstehen. Und also begeben wir uns zur Ruhe!“ — Nach diesen Meinen Worten begibt sich alles zur Ruhe.

81. Kapitel. Robans Bericht über den neuen Obersten.

01. Der Morgen des kommenden Tages war wieder einer der heitersten, und viele der anwesenden Gäste, die auch früher als wir sich zur Ruhe begeben hatten, tummelten sich schon im Freien herum, als Ich, die Jünger, die Römer und der Kisjonah uns aus dem Hause ins Freie begaben.

02. Als wir uns aber eine kurze Zeit im Freien aufhielten, kam auch Bab mit seiner Familie aus der Stadt; denn er ging am späten Abend nach Hause in die Stadt, um nicht Ungelegenheiten in Meinem Hause zu machen. Als er aber ankam — so erzählte er uns in entschiedener Eile —, habe in der Stadt, und namentlich in der Synagoge, eine große Aufregung geherrscht, so zwar, daß er sich gar nicht getraute, jemanden zu fragen, was es da gäbe. Es müßte aber etwas sehr Bedeutendes vor sich gegangen sein, da er sonst noch nie eine solche Aufregung unter den Dienern und Herren der Synagoge bemerkt habe.

03. Sage Ich: „Das wird eine Folge des neuen Besens sein, der nach dem Austritte des Jairus aus Jerusalem angekommen sein wird und wahrscheinlich heute hier in Nazareth eine Visitation halten will! Da liegt gar wenig daran, und wir wollen uns darum unser bereits fertiges Morgenmahl ganz gut schmecken lassen.“

04. Darauf wandte Ich Mich zu den beiden noch anwesenden Jünglingen: „Eilet hinein in die Synagoge und bringet Mir Roban, den Ältesten, heraus; Ich habe mit ihm zu reden! Gehet aber gemächlichen Schrittes, auf daß ihr euch durch euer plötzliches Auftreten nicht verratet!“ — Die beiden Engel tun sogleich, was Ich ihnen geboten habe; wir aber begeben uns zum Morgenmahle und verzehren es mit frohem Mute.

05. Als wir die Tische wieder verlassen, kommt auch schon Roban mit den beiden Engeln daher, verneigt sich tief vor Mir und vor den noch anwesenden hohen Römern und sagt ganz erschöpften Gemütes: „Ach, Herr, hier der Himmel, und dort in der Synagoge die Hölle im vollsten Toben! Herr, ich brauche es Dir zwar nicht zu sagen, da ich nur zu gut weiß, daß Dir nichts in der ganzen Welt unbekannt sein kann; aber es ist nun schon wahrlich zum Verzweifeln, was unser neuer Oberster treibt!

06. Wenn der Mensch nicht ein leiblicher Bruder des Satans ist, so leiste ich auf meine Menschheit den vollsten Verzicht! Fürs erste plündert er uns nicht nur was das Geld betrifft, sondern auch in allen andern Habseligkeiten rein aus, so daß wir nicht einmal wissen, wovon wir nun in der Folge mit unseren Familien leben sollen; nimmt alles Mehl, alle Hülsenfrüchte, alles Getreide, alle geräucherten Fische; bezeichnet unsere Ochsen und Kühe und Kälber, Schafe und Esel als ein Eigentum des Tempels und wird sie uns auf diese Weise ohne alle Gnade nehmen! Dazu erklärte er uns alle als Abtrünnige des Tempels und will uns noch obendrauf mit allen möglichen Strafen belegen; denn man wisse in Jerusalem haarklein alles, was hier geschehe, und er habe zugleich den gemessensten Auftrag, Dich als Volksverführer und Volksaufwiegler ergreifen und den Gerichten ausliefern zu lassen! — Was sagst Du zu solcher Bestialität?

07. Herodes wisse jeden Tritt und Schritt von Dir; er hätte schon lange ganz ernste Schritte gegen Dich getan, so er etwa nicht von der irrigen Meinung befangen wäre, die ihm sein Wahrsager, der geheim ein Jünger Johannis war, beibrachte, daß Du der vom Tode wieder auferstandene Johannes seiest; denn er hatte ihn auf Verlangen der Metze Herodias im Kerker enthaupten und ihr dessen Haupt auf einer Schüssel präsentieren lassen, zum Beweise, daß er den ihr gemachten Eid erfüllt habe!

08. Aus dem wenigen kannst Du, o Herr, nun schon entnehmen, wie die Sachen stehen! Ich sage es Dir: wenn Du nicht mit aller Deiner Macht Dich entgegenstellst, so bist Du samt allen, die hier bei Dir sind, dem Fleische nach verloren! Denn mehr kann ich Dir nicht sagen, als daß nun buchstäblich die ganze Hölle los ist; auf Deinen Kopf sind bloß zehntausend Pfunde Goldes gesetzt!“

09. Ich berufe hier den Matthäus und sage zu ihm: „Was du nun hören wirst, das zeichne auf!“

10. Matthäus bringt sogleich seine Schreibgeräte her und richtet sich zum Schreiben.

11. Ich aber sage noch einmal zum Roban: „Freund, du hast nun die traurige Geschichte vom Johannes nur flüchtig hingeworfen; sei so gut und erzähle sie also, wie sie euch der neue Oberste kundgegeben hat! Denn es liegt Mir daran, daß die Sache also aufgezeichnet werde!“

12. Sagt Roban: „Mit der größten Bereitwilligkeit von der Welt tue ich das; nur fürchte ich, daß ich vermißt werde, und wir stehen in der Gefahr, daß der Satansbruder von einem Obersten herauskommt und uns hier einen gräßlichen Spektakel macht!“

13. Sage Ich: „Fürchte nichts; denn so viel Macht haben wir noch hier, ihm einen Mentor (Führer) zu stellen!“

14. Sagt Roban: „Wenn so, dann will ich die Johannesgeschichte sogleich wörtlich also wiedergeben, wie sie uns der neue Oberste kundgegeben hat. Also lauteten aber seine Worte:

82. Kapitel. Geschichte und Ende Johannes des Täufers.

01. (Roban:) „Vor kurzem berichteten die Steuereinhebungsknechte des Vierfürsten Herodes eben diesem Herodes die Gerüchte von Dir und Deinen Taten (Matth.14,1), erzählten ihm, wie Du sie beim Steuererpressen in die Flucht geschlagen habest, und wie sie Deiner Macht durchaus nichts anhaben konnten. Darauf berief Herodes sogleich seinen Wahrsager. Dieser aber, als erstens eine feine Kundschaft, und zweitens insgeheim ein Jünger des Johannes, der die Ermordung dieses Propheten dem Herodes nicht verzeihen konnte, fand hier Gelegenheit, eine erste Rache an Herodes zu nehmen, und erklärte ihm mit fester Miene und Rede: ,Das ist Johannes, der von den Toten auferstanden ist und wirket nun gegen Dich solche Taten!‘

02. Darüber erschrak Herodes und kam bebend zu seinen Knechten zurück und sagte zu ihnen: Das ist nicht der Zimmermann Jesus, den ich kenne, da er vor noch kaum fünf Jahren mit seinem Vater Joseph bei mir einen neuen Thron angefertigt hat und bei dieser Arbeit als Kunstzimmermann, obschon er sonst als ein ganz einfältiger Mensch dastand, eine bedeutende Geschicklichkeit an den Tag legte, sondern das ist der von mir enthauptete Johannes, der von den Toten wieder auferstanden ist und nun als unverwüstlicher Geist gegen mich solche Taten verrichtet, die sonst kein Mensch verrichten kann. (Matth.14,2) Daher sollet ihr wider ihn nichts mehr unternehmen; denn solches könnte euch und mir das größte Unheil bereiten!

03. Auf diese Erklärung sollen die Knechte ganz große Augen gemacht haben und ganz verdutzt von dannen gegangen sein; denn sie wußten es bei sich, daß Du nicht Johannes seiest, — aber sie getrauten dem erregten Herodes keine Widerrede zu machen.

04. Wir fragten aber auf diese Erzählung des Obersten, was es denn mit der Ermordung des Johannes für eine Bewandtnis habe. Denn wir wußten wohl, daß ihn Herodes ins Gefängnis geworfen hatte; aber daß er ihn auch ermorden ließ, davon wußten wir noch keine Silbe. Darauf erzählte uns der Oberste ganz kurz: Herodes war anfangs selbst — freilich ganz schwachweg nur — ein Anhänger Johannis und achtete ihn als einen besonderen Weisen; er nahm ihn daher an seinen Hof und wollte von ihm erlernen die geheime Weisheit. Da er aber daneben die schlechte Liebe zur Herodias, die seines Bruders Philipp Weib war, nicht aufgeben wollte (Matth.14,3), so erregte sich Johannes und sprach in dem ernstesten Ton zum Herodes: ,Es ist nicht recht vor Gott und deinem Bruder, daß du sie hast! (Matth.14,4) Denn es steht geschrieben: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!‘ Da ergrimmte der stolze Herodes, ließ Johannes in ein Gefängnis werfen und hätte ihn auch gleich mögen töten lassen, so er das Volk nicht gefürchtet hätte, das den Johannes für einen Propheten hielt. (Matth.14,5)

05. Es begab sich aber wenige Tage darauf, daß Herodes seinen Jahrestag hielt. An diesem Tage tanzte die schöne Tochter der Herodias vor ihm und seinen hohen Gästen, was Herodes überaus wohl gefiel. (Matth.14,6) Er verhieß daher der schönen Tänzerin mit einem Eide, daß er ihr geben werde, was sie von ihm fordern möchte. (Matth.14,7) Die Tochter aber ging zuvor zu ihrer Mutter, die dem Johannes Rache geschworen hatte, weil er ihr den Herodes abwendig machen wollte; und die Mutter richtete daher ihre Tochter also zu, daß sie das Haupt Johannis verlangen solle.

06. Da ging die Tochter hin und sprach zu Herodes: ,Gib mir das Haupt Johannis auf einer goldenen Schüssel!‘ (Matth.14,8) Da ward der König denn doch traurig, zwar nicht so sehr des Johannes, als vielmehr des Volkes wegen, das er fürchtete, daß es an ihm Rache nähme. Doch des Eides willen und derer, die mit ihm zu Tische saßen, befahl er seinen Knechten, das Verlangte der Tochter zu geben. (Matth.14,9) Und die Knechte gingen hin, enthaupteten Johannes im Gefängnisse (Matth.14,10), nachdem sie zuvor unter einem Vorwande etliche seiner Jünger von ihm entfernten, und trugen dann sein Haupt auf einer Schüssel in den Speisesaal, um es der Tochter zu übergeben; und diese übergab es darauf ihrer argen Mutter. (Matth.14,11)

07. Darauf kamen wieder seine Jünger und trafen zu ihrem größten Schrecken und Leidwesen den Leichnam Johannis. Sie aber nahmen den Leichnam, trugen ihn hinaus und begruben ihn (Matth.14,12) im Angesichte von vielen Tausenden, die da weinten und den Herodes und dessen ganzes Haus mit zahllosen Flüchen belasteten. Die Herodias aber soll beim Anblick des Hauptes Johannis augenblicklich unter gräßlichen Verzerrungen ihres Gesichtes tot zu Boden gesunken sein und ihre Tochter ein paar Augenblicke darauf; und Herodes und alle seine Gäste flohen voll Entsetzen aus dem Saale.

08. Herr, das ist wörtlich die überaus traurige Geschichte Johannes des Täufers am Flusse Jordan unweit der Wüste zu Bethabara, allwo dieser Fluß in den See fällt, denselben durchströmt und sich endlich dem Toten Meere zuwendet. — Was sagst Du nun dazu? Ist es denn wohl möglich, daß Menschen gar so zu Teufeln werden können, und zwar zu einer Zeit, wo Du, dem Himmel und Erde gehorchen, Selbst als Mensch auf der Erde wandelst? Hast Du denn keine Blitze und keine Donner mehr?“

09. Treten darauf Cyrenius und Kornelius zu Mir und sagen ganz ergrimmt: „Herr, da ist Gefahr im Verzuge! Hier können wir nicht mehr auf Deine zu große Geduld und Langmut harren; da heißt es: augenblicklich Hand ans Werk legen! In längstens zehn Tagen muß die ganze Höllenbrut samt Jerusalem und Tempel von der Erde vertilgt sein!“

10. Sage Ich: „Siehe her, diese beiden Jünglinge genügen, in einem Augenblick auszuführen, was aller römischen Macht in hundert Jahren nicht gelänge! Wenn solches alles nicht geschehen müßte der Ordnung Gottes wegen, glaubet es, Mir wäre es ein leichtes, alles dieses zu vernichten im schnellsten Augenblick! Aber es muß solch Äußerstes geschehen der Gestaltung eines neuen Himmels und einer neuen Erde halber.

11. Sehet aber nun, daß ihr von hier kommet, denn dieser neue Oberste ist ein böser Mensch, und der Satan zeigt ihm tausend Wege, auf denen er euch allerweidlichst schaden könnte; darum sehet, weiterzukommen!

12. Auch Ich werde heute Mich von hier begeben und nicht so bald wieder in diese Gegend kommen; denn einem wütigen Hunde muß man ausweichen! Das ist einer, der viel Gold und Silber hat, ansonst er sich diese Amtsstelle nicht hätte erkaufen können; und mit viel Gold und Silber kann man in der Welt bei den Weltmenschen viel ausrichten, und wer sich dazu noch eine solche Stelle aus purer Gewinn— und Herrschsucht kauft — wie dieser da es getan hat —, dem ist durchaus nicht zu trauen. Darum machet euch nun alle auf und begebet euch von hier, und du, Roban, kehre auch wieder heim; denn bis jetzt bist du noch nicht vermißt worden!“

13. Sagt Roban: „Wenn ich aber Deinetwegen befragt werde, was soll ich antworten?“

14. Sage Ich: „Das wird dir ins Herz und in den Mund gelegt werden!“

83. Kapitel. Szene mit dem neuen Tempelobersten zu Nazareth.

01. Mit diesen Worten begibt sich Roban schnell nach Hause, und als er kaum einige Augenblicke in seinem Hause weilt, da kommt schon ein Bote und nötigt ihn, in die Synagoge zu kommen, wo der neue Oberste mit ihm eben über Mich reden will; denn er hatte es erfahren, daß Roban Meinetwegen in Sichar gewesen war. Roban begibt sich auch schnell hin, und der Oberste geht ihn gleich scharf an.

02. Aber Roban sagt: „Ich bin ein Ältester von Nazareth, stehe zwischen siebzig und achtzig Jahren Alters, und du hast die dreißig noch lange nicht erlebt! Darum aber, daß du durch dein Geld dich zum Obersten über uns gemacht hast, bist du noch lange kein Moses und kein Aaron und wirst mich nichts lehren, das ich nicht schon gewußt hätte, ehe du noch gezeugt warst! Wir alle haben unser Amt allzeit zur Zufriedenheit deines würdevollen Vorgängers und des gesamten Tempels verwaltet, alle Erscheinungen mit den rechten Augen gottergebener Juden betrachtet und haben dort Dämme gesetzt, wo sie nötig waren; verstehst du aber die Sache besser und willst nun mit einem Hiebe etwa gar alle Griechen und Römer zu Juden machen, so fahre nur so fort, und ich stehe dir dafür, daß du nächst uns der einzige Jude in ganz Galiläa bist!

03. Sieh, der bedeutende Flecken Jesaira ist in dieser Hinsicht aus einem gleichen Grunde ganz griechisch geworden, und alle Pharisäer, Schriftgelehrten und Priester haben den Ort verlassen müssen! Gehe hin und fange dort solch scharfe Untersuchungen an, und die Jesairer werden dir dafür etwas zu erzählen anfangen, daß du sicher nicht Füße genug haben wirst, um dich so schnell als möglich auf die Flucht zu begeben! Warum aber sind die Jesairer abgefallen? Infolge der zu habsüchtigen Strenge der dortigen Priesterschaft, und sie bekennen nun den Pythagoras an der Stelle Mosis!

04. Und auf ein Haar dasselbe wird hier der Fall sein in aller Kürze, und du und wir alle können dann das Weite suchen! Sei also nicht blind, und erkenne die Wahrheit!

05. Die höchsten Staatsgewaltträger sind die Römer und Griechen und sehen es gerne, wenn die Juden zu ihrer Lehre übertreten. Wie willst du solche Übertritte verhindern, zumal es nun in ganz Galiläa eine nur zu bekannte Sache ist, daß das ganze Tempelwesen nur zu sehr einer hohlen Nuß gleich geworden ist? Und wer anders schuldet daran als die habsüchtigen Templer selbst, die den reichen Fremden ums Geld das Allerheiligste öffnen und diese, trotz aller Eide, hernach lachend und unter großem Gespött die ganze Sache unters Volk bringen?! Gehe hin und frage sie, die Bürger dieser Stadt, und sie werden dir das erzählen, was sie uns erzählt haben!“

06. Sagt der Oberste: „Was sagst du? Solches alles wüßte das Volk?“

07. Sagt Roban: „Ja, solches alles weiß das Volk! Gehe aber hin und nimm ihm die Wissenschaft (das Wissen)!“

08. Der Oberste geht ganz ernst in der Synagoge auf und ab und sagt nach einer Weile: „Da wird wohl dieser Nazaräer Prophet seinen gehörigen Teil daran haben! Darum soll mit ihm geschehen, was da mit dem Johannes geschehen ist durch den König Herodes!“

09. Sagt Roban: „Ja, ja, es kommt da nur auf einen Versuch an, sich an dem Wunderarzte zu vergreifen, und das Volk, Römer, Griechen und Juden, die ihn wie einen Gott verehren, werden dir dann ebenfalls etwas zu erzählen wissen! Ich, als Ältester von Nazareth, sage es dir und gebe dir den treumaßgeblichen Rat: Tritt du in die bescheidenen Fußstapfen deines würdigen Vorgängers Jairus, so wirst du noch eine Zeitlang gut fahren; aber wenn du so, wie nun, alles Oberste zuunterst und alles Unterste zuoberst zu verkehren dich bemühest, so kannst du dich bald um eine Gelegenheit nach Jerusalem zurück umsehen! Jairus selbst ist in den Händen der Griechen. Borus ist sein Schwiegersohn; Borus, der zweite Wunderarzt, mächtig an Schätzen aller Art, wird dir nur zu bald etwas zu erzählen anfangen! Kurz, versuche es nur und sage es mir hernach, ob ich dir einen falschen Rat erteilt habe!“

10. Der Oberste stampft mit dem Fuße vor Zorn in den Boden und sagt: „Ihr seid ja schon alle des Teufels und scheinet es mehr mit unsern Widersachern zu halten als mit uns und seid Anhänger der Lehre des Volksbetrügers! Darum werde ich euch alle aus der Synagoge stoßen, sie von Jerusalem aus mit neuen Leuten besetzen und euch den Gerichten überantworten! Ich frage dich darum noch einmal: Was hast du in Sichar bei den Samaritern zu tun gehabt?“

11. Sagt Roban: „Ich bin neunundsiebzig Jahre alt und weiß, was ich tue und zu tun habe! Deine Drohung erschreckt weder mich, noch irgend jemand anders; willst du uns aber den Gerichten überantworten, so kannst du es ja versuchen, und wir werden es sehen, wer von den Gerichten am Ende eher ergriffen wird, — wir oder du!

12. Glücklicherweise stehen wir beim Oberstatthalter, der ein Bruder des Kaisers Augustus ist und in Rom den größten Einfluß hat, sehr gut angeschrieben, darum er uns nicht gar so leicht, wie du es meinst, ins Gefängnis legen wird! Dem Jesus aber, den der Tempel haßt aus purem allerselbst— und herrschsüchtigen Grunde, hat eben der Tempel es zu verdanken, daß er von den Römern nicht schon jetzt der Erde gleichgemacht ist!

13. Von dem berühmten Steuerraube, der von den Agenten des Tempels unter der Maske des Oberstatthalters erst vor kaum fünf Wochen verübt worden ist, und dessen schnöder Transport — sowie viele andere rein geraubte und mit schändlicher Gewalt erpreßten Objekte — in Kis durch die Aufseher des endlos reichen Kisjonah aufgefangen worden war, wirst du sicher etwas vernommen haben! Siehe, da war eben der vom Tempel ohne allen Grund verhaßte Jesus, den selbst die höchsten Römer mehr denn ihren Jupiter verehren, derjenige, der durch sein Wort und durch seine nie erhörten Wundertaten den allerverderblichsten Sturm von Jerusalem abgewendet hat! Er ist aber darum noch lange nicht aufgehoben; nur irgendeine Hartnäckigkeit von eurer Seite, — und der Sturm bricht los!

14. Auch bedarf es nur einer Anzeige vom Borus, Jairus und respektive auch von mir, und ich erlaube dir dann, dich, dein Jerusalem und deinen Tempel in dreimal sieben Tagen anzusehen, und du wirst schwer den Platz finden, an dem einst der Tempel gestanden ist! — Hast du mich wohl verstanden?“

15. Hier stampft der neue Oberste wieder in den Boden voll Zorn und Ärger und sagt: „Wer kann solches mit einem Eide bekräftigen? Denn die solches verübt haben sollen, sitzen im Tempel!“

16. Sagt Roban: „Nach den römischen Gesetzen wird der Täter auch nie zu einem Eide zugelassen, sondern nur die anderwärtigen Zeugen, und deren bringen sie im nötigen Falle zehntausend zusammen, und ich meine, daß diese gegen etliche zehn Verbrecher genügen dürften!“

17. Sagt völlig niedergeschlagen der Oberste: „Also ist auf Jehova, Moses und die Propheten nichts mehr zu halten, und ihre Gebote darf — der Römer wegen — kein Mensch mehr beachten?!“

18. Sagt Roban: „Rede nur du mir nicht von Moses und Jehova und von all den Propheten! Von all dem ist weder bei dir und noch viel weniger bei den Oberen und Allerobersten des Tempels mehr eine Spur anzutreffen; denn der ganze Tempel ist schon seit dreißig Jahren in ein Wechsel— und Verkaufshaus umgewandelt worden, und da ist von dem wahren Jehova und vom Moses schon lange keine Spur mehr anzutreffen! Das, was noch da ist, ist pur Larve und Maske, und die reißenden Wölfe gehen in Schafspelzen einher, um der armen Schafe desto leichter habhaft zu werden. Gingest du nach den Gesetzen Mosis, da hätte dich nie gelüstet, dir diese Stelle um viel Gold und Silber zu erkaufen! Ich aber setze dir darum mein Leben ein, wenn Moses je irgend befohlen hat, sich die Oberpriesterstellen durch Gold und Silber zu erkaufen!“

19. Bei dieser Erwiderung des Roban zerbarst der neue Oberste nahezu vor Zorn und sagte: „Macht aber alles nichts! Ich werde darum euch allen dennoch einen Herrn finden, daß ihr euch bis zur Hölle hinab verwundern sollet; denn ich weiß auch noch um so manches, das ihr nicht wisset, und kenne so manche Wege, die euch unbekannt sein dürften!“

20. Sagt Roban: „Wohl möglich; aber es ist sehr möglich, daß uns alle deine Wege und Stege vielleicht noch besser bekannt sind denn dir, und es steht sehr in der Frage, ob wir dir nicht schon alle Wege verrammt haben, auf denen du dir heimlich gedacht hast, uns hinter den Rücken zu kommen! Wie gesagt, mache du nur einen einzigen Versuch, dann sollst du gleich erfahren, was alles wir dir erzählen werden!“

21. Sagen die andern zum Roban: „Aber Bruder, warum wahrest du denn diesen Unmenschen vor seinem sicheren Verderben? Er ist ja in unseren Händen und soll sich eine Hilfe vom Himmel rufen, so wir uns die außerordentliche Freiheit nehmen, ihm die Steine von Nazareth zum Verkosten zu geben!“ — Hierauf zu dem Obersten: „Wir sind Pharisäer und Schriftgelehrte so gut wie du, und eigentlich mehr; denn wir stammen von Levi ab, während wir es wohl wissen, daß du die Abstammung dir erkauft hast, wie in dieser Zeit nun schon alles samt dem Himmel verkäuflich ist! Du bist sonach ein Eindringling ins Allerheiligste und ein Gottesbetrüger und solltest für solchen Frevel füglichst gesteiniget werden; du darfst darum ja nicht gar zuviel mehr machen, und wir greifen nach den Steinen!“

22. Diese sehr energisch ausgesprochene Drohung machte den Obersten wenigstens zum Scheine erträglicher, aber dafür desto erbitterter, und er sprach nach einer Weile: „Ihr müßt mich aber auch nicht verkennen; denn mir sind die großen Mängel des Tempels so bekannt wie euch, und es handelt sich nur darum, wie dieselben zu verdecken sind, und wie der Tempel wieder zu seiner früheren Geltung gebracht werden könnte.“

84. Kapitel. Chiwars Zeugnis über Johannes und Jesus.

01. Sagt darauf der Redner Chiwar: „Wozu bedarf es denn für uns Eingeweihte solch unsinnigster Plackerei? War ich nicht von meinem elften Jahre an bis in mein fünfundzwanzigstes ein Diener im Tempel und weiß es nur zu gut, wie dort die Dinge stehen? Hätte ich schlecht sein wollen, was alles hätte ich schon seit lange her verraten können! Aber ich dachte mir: Das blinde Volk hängt dennoch am Tempel — wie zuvor!

02. Warum sollte ich dem Volke den Glauben nehmen, auf den meines Dafürhaltens es noch immer seine unbegrenzten Hoffnungen setzt, und bei dem wir Priester wenigstens ein weltliches gutes Sein haben? Spannen wir aber nun, wo wir keinen reellen Hintergrund mehr haben, unsere Saiten zu hoch, so werden sie reißen, und mit unserem Gesange wird es dann auf einmal aus sein, und wir können uns nachher um Fischernetze umsehen und dort zu fischen anfangen, wo das Meer am bodenlosesten sich zeigt.

03. Was vermögen wir dann gegen die Macht unserer von Tag zu Tag zahlreicher werdenden Feinde? Glaubst du, daß uns dann der Tempel schützen werde? Dessen sei du ja nicht gewärtig; denn in Rom leben nun schon gar viele Juden, die dort von den im Tempel widerrechtlich zusammengerafften großen Schätzen glänzende Häuser führen! Diese werden unsere Vertreter sowenig sein wie die gegenwärtigen Templer, die ihre Flügel gleich den Schwalben schon jetzt in der Spannung halten, bei der ersten besten Gelegenheit eine Reise übers große Meer nach Italien in Europa zu machen, um nimmer wieder nach Asien heimzukehren.

04. Darum sollte es uns allen nun ein gepriesener Rat sein, fürs erste unserem Fache als Priester so würdig als möglich in aller Gelassenheit vorzustehen, und fürs zweite das römische ,In medio beati‘ (,In der Mitte liegt das Richtige!‘) ja recht wohl zu beachten, sonst könnten wir schon in wenig Jahren uns aufs Fischen verlegen!

05. Zu allem dem treten gerade in dieser Zeit zwei Männer auf, deren ewig unbegreifliche Macht imstande wäre, mit ihrer neuen Lehre die ganze Erde in wenigen Jahren rein für sich zu gewinnen! Johannes, der zwar dem Leibe nach nicht mehr unter den Sterblichen, ist der erste, zu dessen Lehre sich halb Judäa und Galiläa bekannt haben und sich jetzt noch hartnäckiger bekennen, als das zu seinen Lebzeiten der Fall war! Herodes konnte also wohl in seiner Geilheit dem Leibe des offenbarsten Propheten das Haupt nehmen; wird er aber solches auch seinem Geiste und dem Geiste seiner göttlichen Lehre zu tun imstande sein? Ich glaube es ewig nicht; denn erst durch die Verfolgung wird jede gute Lehre groß und unüberwindlich stark!

06. Johannes ist zwar dem Leibe nach aus dem Wege geräumt, aber an seine Stelle trat der bekannte Jesus, gegen den sich Johannes kaum so verhält, wie ein Maulwurfshügel gegen den mächtigen Berg Ararat! Sein übermenschlich sanftes und über alle Maßen menschenfreundliches, allerfreisinnigstes Auftreten und Benehmen, die tiefste Weisheit in jedem Satze Seiner Reden, deren rein göttlich salbungsvolle und leichtfaßliche Wahrheit keinen Menschen, der nur einen erbsengroßen Verstand in seinem Herzen besitzt, auch nur einen Augenblick zweifeln läßt, daß sie aus den Himmeln herabkommt — und endlich Seine Taten, von denen jeder Mensch sagen muß: So etwas kann nur Gott allein möglich sein!

07. Was wollen oder können wir nun mehr wohl gegen Ihn ausrichten? Verhaßt und unerträglich können wir uns solchen zu außerordentlichen Erscheinungen gegenüber wohl machen, aber sicher nicht zu unserem Nutzen, sondern nur zu unserem größten Schaden.

08. Darum heißt es hier, sich so klug als möglich zu benehmen und nie auf das Gegenwärtige, sondern vielmehr auf das Künftige all unser Augenmerk zu richten, sonst ist es mit unserem Bestande über Nacht aus!“

09. Sagt der Oberste: „Du meinst sonach, daß man diesen Jesus nicht solle aufgreifen lassen, sondern fein abwarten, bis er uns total zugrunde gerichtet haben wird?“

10. Sagt darauf Chiwar: „Greife Ihn auf, wenn dir solches möglich ist! Was haben wir nicht alles gegen Ihn unternommen, und was hat es genützt? Ich sage es dir: Sonst nichts, als daß Er um ein paar tausend Jünger reicher geworden ist und wir um dieselbe Zahl ärmer, — und daß wir bald alle das große Glück gehabt hätten, über die scharfen Klingen der Römer zu springen, die Ihn für einen barsten Gott halten!

11. Zudem hat Er, was auf der Erde nie erlebt wurde, stets ein paar Engel in Seinem Gefolge, die bei all ihrer scheinbaren Zartheit und Knabenschwäche aber dennoch eine Macht und Kraft besitzen, von der sich unsere überaus kurze Weisheit noch nie etwas hat träumen lassen. Und an Den möchtest du deine Hände legen und Ihn aufgreifen? Ich bitte dich: sei alles, aber nur nicht wahnsinnig! Ehe du einen Tritt in böser Absicht gegen Ihn machst, bist du schon gelähmt! Oder glaubst du, Er weiß es etwa nicht, was wir hier verhandeln? Ich sage es dir: da irrst du dich himmelhoch! Diese alle stehen als Zeugen hier, wie Er vor ein paar Tagen um jede Kleinigkeit gewußt hat, was wir um Mitternacht über Ihn geredet und so leise weg beschlossen haben!

12. Es ist ganz angenehm, sich von einem großen Sturm auf dem Meere etwas vorerzählen zu lassen; aber eine ganz andere Sache ist es, ihn selbst bestanden zu haben! Ich sage es dir: Verwalte du ganz ruhig und ohne Aufsehen dein Amt, und es werden dich von keiner Seite her Unannehmlichkeiten treffen; wie du aber tyrannisch zu Werke gehen wirst, so stehen wir alle dir dafür, daß nicht nur du und dein Kapernaum, sondern ganz Jerusalem über den Haufen geworfen wird! Wir können durch große Klugheit das Jerusalem wohl allfällig noch fünfzig Jahre erhalten, — aber auch dessen Sturz in wenigen Wochen herbeiführen durch unsere höchst unzeitige Torheit!

13. Dir steht nun die Wahl frei, zu tun, was dir beliebt; wir haben nur einen Katzensprung zu den Römern! Sie sind, gottlob, unsere Freunde; aber für dich dürfte der Weg ein sehr weitgedehnter werden! Es erheischt ja doch die menschliche Klugheit, eine hohle Nuß allzeit für eine volle hintanzugeben! Was willst du denn vom habgierigen Tempel aus, der schon lange eine total hohle Nuß ist, noch fischen? Ist es denn nicht bei weitem klüger, sich an das Werdende zu halten, wo etwas darin ist? Ich sage es dir ganz unverhohlen, daß nun all die großen und mächtigsten Herren aus Rom sich von Jesus wie die Lämmer leiten lassen! Hat Er diese für Sich und Seine wahrhaft göttlich reine Lehre, was sollen wir dann gegen Ihn anfangen? Wirst du nur eine Miene machen, Ihn aufzugreifen, so wirst du schon so gut wie aufgegriffen sein, und es wird kein Mensch für deine Freilassung auch nur einen Schritt tun; benimmst du dich aber klug, so werden die Römer auch deine Freunde werden, und du wirst also gleich dem Jairus ein gutes Sein haben! Tue aber nun, was du willst; die Folgen werden es dir sagen, ob wir dir einen freundschaftlichen oder einen feindlichen Rat erteilt haben!“

14. Diese Rede des Chiwar hatte ihre Wirkung nicht verfehlt; der Oberste ward sanfter und fing an einzusehen, daß sowohl Roban wie Chiwar vollkommen recht hatten und versprach ihnen, daß er ihren Rat getreu befolgen werde. — Und es war so der erste Sturm in der Synagoge gut abgelaufen.

85. Kapitel. Der Herr lobt Roban und Chiwar.

01. Nach einer Stunde kam Chiwar zu Mir hinaus und wollte Mir erzählen, was in der Synagoge mit dem neuen Obersten alles verhandelt ward.

02. Ich aber sagte: „Freund, erspare dir die Mühe; denn du weißt es, daß Mir nichts unbekannt sein kann. Übrigens sage Ich dir, daß du und der Roban eure Sachen vollkommen gut gemacht habt; denn der Oberste hätte sonst noch gar manche tolle Sachen unternommen. Aber so ist er nun überzeugt, daß es ein Unsinn wäre, gegen die Römer irgend etwas zu unternehmen, und so wird er wenigstens eine Zeitlang ruhen; aber ganz trauen dürft ihr noch lange nicht, sondern ihr müßt auf der beständigen Hut sein und ihn sozusagen nie aus dem Bereiche eurer Augen lassen. Dir aber will ich, weil du Mein einfrigster Verteidiger warst und noch bist, die Fähigkeit verleihen, die Kranken durch ein rechtes Gebet und durch die Auflegung der Hände zu heilen, in deinem Herzen die Pläne des neuen Obersten zu erfahren und dagegen die rechten Mittel zu ergreifen, — was aber jedesmal gleich geschehen muß, ansonst es keine Wirkung hätte! Die rechten Mittel aber werden dir ebenfalls angezeigt werden. Und so empfange von Mir nun dafür den Segen!“

03. Hier warf sich Chiwar vor Mir auf die Knie und bat Mich inbrünstig darum. Ich aber legte Meine rechte Hand auf sein Herz und Meine linke Hand auf sein Haupt, und es ward in dem Augenblicke helle in ihm. Und er sprach: „Herr, nun sind alle Finsternisse aus mir verschwunden; alles ist helle in mir, und es kommt mir vor, als wäre nun mein ganzer Leib aus einer diamantenartig durchsichtigen Materie, durch die das Licht des Tages ungehindert dringt. O Herr, belaß mir für immerdar diesen Segen; ich werde ihn sicher zu wahren und allzeit dankbarst zu würdigen verstehen!“

04. Sage Ich: „Bleibe zu allzeit tätig in Meiner Lehre, und du sollst nie über den Verlust dieses Lichtes zu trauern Ursache haben!“

05. Hier erhebt sich Chiwar und bemerkt, daß außer dem Borus und Jairus und außer der Maria und Meinen Hausbrüdern kein fremder Gast mehr gegenwärtig ist, auch sogar die zwölf Hauptjünger nirgends zu ersehen sind, und fragt Mich, was denn da vor sich gegangen sei.

06. Sage Ich: „Dies alles mußte also gehen! Siehe, es kommt bald der Herbst und dann der Winter. Die Zeit der Vollernte ist nahe, und Ich muß hinaus, muß Arbeiter dingen für Feld und Weinberg. Ist für dieses Jahr alles gut eingebracht, so wird sich im Winter gut ruhen lassen; und kommt dann das Frühjahr, so werden wir dann wieder mit erneuten Kräften vollauf zu tun bekommen.

07. Ich werde Mich heute noch aus dieser Gegend machen; denn Herodes ist ein schlauer Fuchs, und der neue Oberste ist in seinem Solde; und es soll darum Mein Haus kein Kampfplatz des Satans werden. Meine Jünger aber habe Ich schon vor ein paar Stunden ausgesandt. Sie zogen mit Meinem Bruder Kisjonah und werden dort in Kis die Jünger des Johannes erwarten und ihnen verkünden, daß das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist; sie werden aber noch heute mit den Jüngern des Johannes hierher kommen und dann mit Mir am Abende diesen Ort verlassen. Wohin wir aber ziehen werden, das wirst du schon, wie vieles andere, in dir selbst erfahren.

08. Wirke du aber häufig mit dem Borus und Jairus; denn das sind nun die zwei würdigsten Männer in ganz Nazareth und besitzen Meine vollste Liebe und durch Mich auch die vollste Gnade Gottes! Denn so, wie Mich diese beiden lieben und kennen, liebt und kennt Mich bis jetzt auch nicht einer aus der Zahl Meiner Jünger!

09. Alle Meine Jünger werden sich in einer gewissen Zeit, die nicht gar lange auf sich wird warten lassen, an Mir noch ärgern genug. Aber die beiden wird keine Erscheinung an Mir mehr irremachen; denn sie kennen Mich durchaus ganz. — Halte dich daher an diese, so wirst auch du das erreichen, was sie selbst erreicht haben!“

10. Mit diesem Bescheide ist Chiwar auch ganz zufrieden und fragt nur noch, was da mit den beiden Engeln geschehen sei, weil auch diese nirgends mehr sichtbar wären.

11. Ich aber sage zu ihm: „Erhebe deine Augen, und du wirst nicht nur die zwei, sondern noch zahllose Scharen um sie herum erschauen!“

12. Hier erhebt Chiwar seine Augen. Er sieht im großen Lichte die zwei Erzengel, und um sie herum zahllose Myriaden von Engeln, die jeden Augenblick bereit sind, Mir zu dienen.

13. Chiwar aber senkt seine Augen bald wieder zur Erde und sagt: „Herr, ich bin ein Sünder, und meine Augen können darum den zu heiligen Anblick nicht ertragen; aber es soll mein eifrigstes Bestreben sein, mich solch eines Anblickes würdig zu machen!“

14. Sage Ich: „Tue alles recht, und dein Lohn in den Himmeln, deren Saum du nun gesehen hast, soll groß werden! Jetzt aber begib dich wieder in die Synagoge; denn dich darf der Oberste, der sich noch etliche Tage hier in Nazareth aufhalten wird, nicht vermissen, denn er hält nun auf deinen Rat große Stücke.“

86. Kapitel. Der neue Oberste Korah und Chiwar in der Synagoge zu Nazareth.

01. Mit diesen Worten entfernt sich der ehrliche Chiwar und gelangt bald in die Synagoge und überzeugt sich aber auch gleich, daß er dem Obersten schon sehr abgegangen ist. Der Oberste fragt ihn auch gleich, wo und was er nun so lange gearbeitet habe.

02. Und Chiwar sagte: „Herr, ich hatte einen gefährlichen Kranken, und dem mußte ich Hilfe schaffen. Und siehe, er ist geheilt und kann nun, da er ein Reisender ist, seinen Weg getrost fortsetzen!“

03. Fragt der Oberste: „Wohin reist er, wann reist er ab, und von wo ist er hierher gekommen? Kann ich ihn noch sehen und sprechen?“

04. Sagt Chiwar: „Er ist ein Jude, kam von oben her und ist jetzt schon nach unten hin abgereist; du kannst ihn nicht mehr sehen und sprechen — außer, wenn er wieder zurückkommt! Wann aber das? Da dürften viele Tage verrinnen!“

05. Sagt der Oberste: „Mit dieser fuchsschwänzigen Auskunft kann ich mich nimmer begnügen! Wo ist die Herberge, daß ich selbst hingehe und mich fest erkundige nach dem von dir geheilten Reisenden nach unten hin, denn solch eine wunderbare Heilung von seiten eines Pharisäers ist eine wichtige Sache und muß von möglichst vielen Zeugen bestätigt werden, ansonst sie keinen Glauben und somit auch keinen Wert finden kann!“

06. Sagt Chiwar: „Wenn du mehr wissen willst, als ich weiß, so wende dich an die, die mehr wissen als ich; soviel ich wußte, habe ich dir auch allertreulichst kundgemacht. Wie möglich aber sollte ich dir mehr kundtun, als ich selbst weiß? Die Herberge aber war draußen im Hause des Zimmermanns Joseph. Willst du dich aber weiter darum erkundigen, so gehe hinaus! Vergiß aber ja nicht, deinen Rücken mit etwas zu verwahren; denn dort wird es an Schlägen durchaus keinen Mangel haben! Glaubst du denn, daß etwa die Leute einen gar so außerordentlichen Respekt vor dergleichen Menschen haben, wie wir da sind? Ich sage es dir: Keine Spur von so etwas! Bei der kleinsten Unbesonnenheit kann man seine Schläge nach dem Alphabet haben, und kein Gott nimmt sie dir dann mehr von deinem Leibe! Wie gesagt, es kommt nur auf einen Versuch an, und man kann dann schon aus der Erfahrung sprechen!“

07. Sagt der Oberste: „Aus solch einer zuversichtlichen Rede kann ich nur zu gut entnehmen, daß ihr euch samt der ganzen Bürgerschaft von Nazareth gegen mich verschworen habet. Aber das tut nichts, wir werden für diese Hacke schon auch noch einen Stiel finden! Jetzt weiß ich schon so ziemlich, wie ich hier daran bin! Ich hoffe aber, daß es mir in Kürze gelingen wird, dieses Komplott ganz zu entlarven; dann aber wehe euch und der ganzen Stadt! — Wo führt der Weg hinaus zum Hause des Zimmermanns?“

08. Sagt Chiwar: „Da sieh zu diesem Fenster hinaus! Dort in der Entfernung von etwa zweitausend Schritten siehst du ganz bequem des Zimmermanns Behausung samt dem dorthin führenden Wege. Gehe hin und überzeuge dich von allem — nota bene auch von den sicheren Schlägen!“

09. Sagt der Oberste: „Aber ihr begleitet mich und dienet mir als Sicherheitswache!“

10. Sagen alle: „Daß wir Narren wären! Das werden wir bleibenlassen! Wen es juckt, der trage seinen Rücken hinaus!“

11. Sagt der Oberste: „Nun denn in Jehovas Namen gehe ich selbst hinaus, und wir wollen es dann doch sehen, ob jemand mich, als einen Gesalbten Gottes, anrühren wird; denn es stehet geschrieben: ,An dem Gesalbten aber soll sich niemand vergreifen; wehe dem, der seine Hand an das Haupt eines Gesalbten legt!‘“

12. Sagt Chiwar: „Ja, ja, was du weißt, das wissen wir schon lange! Aber Gesalbte wie wir, deren Salbung nichts als ein elendes Blendwerk ist, gelten nichts mehr vor Gott, und Er wird unsere pseudo—gesalbten Häupter nicht beschützen, wenn sie den Fäusten unserer Feinde nach aller Gerechtigkeit ausgesetzt sein werden! Denn wie ich schon lange vorher erwähnt habe, so weiß das Volk nur zu gut, was da hinter uns und hinter dem Tempel steckt.“

13. Sagt der Oberste: „Gleichviel, ich gehe einmal hinaus! Aber dann wehe euch allen, so ich die Sache anders finde, als du, Chiwar, es mir mitgeteilt hast, als ich dich gefragt habe, wo du gewesen seiest!“

14. Sagt Chiwar: „Das, was du erfahren willst, wirst du wohl schwerlich erfahren, sondern etwas ganz anderes — und wird dir höchstens ein bedeutendes Weh verursachen, während wir gar kein Weh verspüren werden!“

15. Auf diese Worte begibt sich der Oberste schnell hinaus.

16. Als er aber in der Gasse geht, schreien die Jungen und die Mädchen: „Das ist der neue böse Oberste, der uns alle verderben will! Hinweg mit ihm!“ — Von allen Seiten läuft ihm jung und alt mit Knitteln und Steinen zu, und einige Steine treffen auch schon seinen Leib und versehen ihn mit blauen Flecken.

17. Der Oberste merkt es nur zu bald, daß die Nazaräer keinen Spaß verstehen, kehrt sehr schnellfüßig wieder in die Synagoge zurück und schließt hinter sich die Türe hastig zu, in die noch eine ganze Ladung nachgeworfener Steine einige Merkmale eindrücken, die nur zu klar besagen, wie die Nazaräer gegen den neuen Obersten gesinnt sind.

18. Als der Oberste zu den Pharisäern kommt, sagt er voll Zorn: „Das ist euer Werk, und ich werde mich dafür an euch zu rächen wissen!“

19. Sagt Chiwar nun sehr erregt: „Was sprichst du, elender Narr! Wie kann das unser Werk sein, so wir alle dich gewarnt haben, hinauszugehen? Erst wenn du von uns dem Volke angepriesen wirst, kannst du mit dem Volke reden und mit ihm verhandeln; solange wir dich aber nicht anpreisen, wirst du allzeit mißhandelt werden, sooft du es wagst, allein die Straßen der Stadt zu betreten! Denn du bist schon darum beim Volke schwarz, weil du dir die Stelle erkauft hast! Nun du aber bei deiner ersten Ankunft uns wie das gesamte Volk auch tyrannisieren willst, um alles durch den Terrorismus ins Gleichgewicht zu bringen, so haßt dich alles wie die Hölle, und ich sage es dir, du wirst nun am besten tun, deine Stelle an einen Würdigeren zu verkaufen. Denn für deine Zukunft gebe ich keinen Stater!

20. Ein wie himmelhoch anderer Mensch müßtest du werden, wenn du dich unter uns günstig erhalten wolltest! Das aber scheint dir platterdings unmöglich zu sein. Denn bloß äußerlich eine freundliche Miene zeigen, innerlich im Herzen aber dennoch ein reißender Wolf sein, geht bei uns durchaus nicht, da wir alle merkwürdigerweise soviel prophetischen Geistes besitzen, dir auf ein Haar zu sagen, was du dir in deinem durch und durch bösen Herzen denkst!

21. Ja, wenn du dein Herz gänzlich umgestaltest und dasselbe von der reinen, göttlichen Weisheit und Wahrheit durchglühen lässest, dann werden wir dich auch anpreisen vor dem Volke, und du wirst dann hier ein gutes Sein haben; aber dein Hoherpriester, dein Pilatus, und noch weniger dein Herodes, werden dir hier zu nichts nütze sein!“

22. Sagt der Oberste: „Wie kannst du wissen, daß ich nun im Ernste an diese drei Helfer gedacht habe?“

23. Sagt Chiwar: „Weil auch ich etwas prophetischen Geist besitze, der dich haarklein durchschaut, und du dich vor uns unmöglich verbergen kannst, — auch in Kapernaum so wenig wie hier; und wärest du tausend Tagreisen von hier, so würden wir dich auch in solcher Entfernung durchschauen! Du wirst sonach gegen uns schwer etwas zu unternehmen imstande sein, wo wir nicht schon im voraus die tauglichsten und wirkungsvollsten Gegenmittel ergreifen könnten! Bist du so mit uns zufrieden?

24. Denn siehe, wir sind noch Priester vom alten Schrot und Korn! Der Geist Jehovas ist noch in uns, wenn er auch schon lange den Tempel zu Jerusalem total verlassen hat. Willst du sonach aber unter uns bestehen, so mußt auch du ein echter Priester sein; denn als Scheinpriester wirst du dich unter uns nie halten können und wirst besser tun, deine Stelle an irgendeinen Würdigen zu veräußern, wie ich es dir schon früher bemerkt habe!“

25. Sagt der Oberste: „O ihr verfluchten Hurenknechte im Tempel zu Jerusalem! Mein schönes Gold und Silber hat euch geschmeckt, — aber das habt ihr nicht bedacht, daß mir dafür statt einer ansehnlichen und einträglichen Stelle ein wahres Wespennest zuteil ward! Nun wartet, es soll euch bald klar werden, daß Korah sein Gold und Silber nicht umsonst in euren Rachen gesteckt hat!“ — Nach einer Weile wendet er sich abermals an den Chiwar und fragt ihn: „Was soll ich denn tun, um mich eurer Freundschaft und der Freundschaft des Volkes teilhaftig zu machen?“

26. Sagt Chiwar: „Ich, wie der Roban, haben dir die Weisung schon gegeben, und hier auf dem Tische liegt die Schrift; diese zeigt dir den Willen Jehovas genau an. Handle danach und nicht nach den verdammlichen Menschensatzungen des Tempels, so wirst du unter uns ein wahrhaft gutes Sein haben! Du mußt dir das Wohlgefallen Gottes erringen, so wird dir auch alles andere von selbst hinzufallen!“

27. Sagt Korah: „Ja, das werde ich tun von nun an, soweit es nur immer in meinen Kräften steht. Aber es wird euch doch nicht unangenehm sein, wenn ich wenigstens auf ein Jahr meinen Sitz hierher nach Nazareth verlege? Denn hier bei euch kann ich wahrlich etwas lernen, während in Kapernaum — und sicher auch in Chorazin, wie in den andern kleineren Städten am Galiläischen Meere — lauter elende Kriecher anzutreffen sind!“

28. Sagen alle: „Da wirst du sehr wohl daran tun, und uns allen wird es eine große Freude sein, dir als unserem Obersten wahrhaft dienen zu können! Denn hier wird kein Betrug mehr geübt, kein Tempelmist verkauft und um keine Ochsen, Kühe, Kälber und Schafe im Bethause gefeilscht; sondern unser kleines Bethaus ist noch das, was es sein soll, und in der Synagoge werden keine Wechseleien getrieben!

29. In unserem kleinen Bethaus lodert zwar keine Flamme über irgendeiner Bundeslade, dafür aber desto mehr und wahrhaftiger lebendig in unseren Herzen, und das ist Gott wohlgefälliger als aller Tempeldienst in Jerusalem, hinter dem kein Wahrheitsfunke mehr glüht; und es bewahrheitet sich am Tempel, was Gott durch den Mund des Propheten Jesaja geredet hat, da er sprach: ,Siehe, dieses Volk ehrt Mich mit den Lippen, aber sein Herz ist ferne von Mir!‘ Ist die Falschheit Jerusalems ja doch mit den Händen zu greifen! Schmücken die Priester nicht alljährlich die oft falschen Gräber der Propheten, während diese von ihren Vätern gesteinigt worden sind? Und handeln die jetzt Lebenden etwa anders? O nein, sie treten ihren bösen Vorfahren genau in die Fußstapfen! Den Zacharias haben sie getötet zwischen dem Opferaltar und dem Allerheiligsten, und dem Johannes hat Herodes den Kopf vom Leibe schlagen lassen! Sage, was für Gottesdiener sind das wohl? Wir sagen es dir ganz unverhohlen: Das sind Diener des Satans, aber ewig nie Diener Gottes! Glücklicherweise stehen sie in unseren Händen, was sie wohl wissen; darum lassen sie uns auch fein ungeschoren!

30. Sollten sie jedoch einen oder den andern von uns noch so freundlich nach Jerusalem zu irgendeinem Feste laden, so sind wir allzeit so keck, die Einladung um keinen Preis der Welt anzunehmen, und erwarten lieber hier den natürlichen Tod, als daß wir etwa in allen Ehren auch nach einem künstlichen in den geheimen Gemächern um den Tempel herum suchen sollten! Glaube uns, so klug wie die Herren im Tempel sind auch wir und schmecken den Braten schon lange eher, als diese ihn ans Feuer setzen! Darum halte du dich nur schön fest an uns, und es wird dir durchaus nichts abgehen!“

31. Sagt Korah: „Jetzt bin ich mit euch schon ganz im klaren, was mir sehr lieb ist; aber der Tempel soll sich freuen über die mannigfachen Freundschaften, die wir ihm bei guten Gelegenheiten erweisen werden!“

32. Sagt Chiwar: „Weißt du, absichtlich Böses werden wir ihm nicht zufügen; aber wenn er uns angreifen sollte, dann auch wehe ihm! Denn am Material dazu fehlt es uns doch wahrhaftig nicht!“

33. Nach diesen Worten Chiwars kommt der Koch und ladet sie alle zum Mittagstische.

87. Kapitel. Chiwar und Rorah über die Erweckung der Sarah von Tode.

01. Als alle beim Mittagstische es sich unter allerlei geistigen Besprechungen recht wohl schmecken lassen, tritt Borus in den Speisesaal, grüßt alle und führt ihnen sein Weib Sarah auf, mit dem Ersuchen, sie, weil der jüdischen Lehre angehörig, als sein rechtmäßiges Weib in ihren Büchern zu vermerken!

02. Und Chiwar holt gleich das große Ehebuch und schreibt beide sogleich als vor Gott und aller Welt vollkommen rechtmäßige Eheleute ein!

03. Aber der Oberste fragt den Chiwar, ob solches hier wohl ginge, da doch erwiesenermaßen Borus ein Grieche sei.

04. Sagt Chiwar: „Freund, hier bei uns geht alles, und es wäre eine Torheit, ein Ehepaar nicht verbinden zu wollen, das Gott schon lange zuvor verbunden hatte!“

05. Sagt der Oberste: „Woher weißt du denn das?“

06. Sagt Chiwar: „Wie ich um gar manches weiß, um was du jetzt noch lange nicht weißt, so weiß ich auch das, wenn du es jetzt auch noch nicht weißt! Darum sei du nun nur ganz ruhig; denn hier wird alles anders gehandhabt als im Tempel!“

07. Der Oberste lächelt und stellt sich zufrieden.

08. Borus aber zieht gleich einen schweren Beutel Goldes aus seiner Tasche hervor und entrichtet damit nach der Vorschrift seine Taxe, die freilich bei weitem nicht so groß war wie das, was er in den Beutel hineingelegt hatte, und empfiehlt sich darauf sogleich.

09. Als Borus den Speisesaal verläßt, hebt der Oberste den Beutel und sagt: „Da sind ja über fünf Pfunde Goldes in den reinst geprägten Augustus— Stücken, — auch sind einige Tiberiusse darunter! Ist denn hier das so üblich? Im Tempel wäre ein Pfund Goldes schon eine Ehrengabe!“

10. Sagt Chiwar: „Solche Gaben sind hier nichts Seltenes; aber Borus, nach Jesus wohl der erste Arzt in der Welt, ist ein zu großer Ehrenmann und dabei zu reich, als daß er sich nur bei irgendeiner Gelegenheit schmutzig zeigen möchte!“

11. Fragt der Oberste weiter: „Wer war denn sein gar überaus schönes und liebenswürdigstes Weibchen?“

12. Sagt Chiwar: „Das ist des Obersten Jairus Tochter, von der ich dir schon gemeldet habe, daß sie der Wunderheiland Jesus zweimal nacheinander vom Tode erweckt hat.“

13. Sagt der Oberste: „Sie war vielleicht nur in einer starken Ohnmacht, was bei so zarten, reizenden Wesen eben nichts Neues ist!“

14. Sagt Chiwar: „Oho, wenn man über vier Tage im Grabe modert und den Leichengeruch jede noch so stumpfsinnige Nase nur zu gut empfindet — wie wir alle solchen trotz aller Salben nur zu martialisch empfunden haben, als wir sie zur Gruft begleiteten und dort die Klagelieder absangen —, da ist von einer Ohnmacht keine Spur mehr vorhanden! Aber Jesus, dem guten Heilande, war das wunderbarst möglich, was nur Gott allein möglich sein kann, sie dennoch, bloß mit einem Worte, ohne alle sonstigen Mittel, in das schönste Leben augenblicklich wieder zurückzurufen; und sie ist jetzt lebhafter und gesünder, als sie es je in ihrem ganzen Leben war, — denn sie ist noch sehr jung und zählt kaum sechzehn Jahre!“

15. Fragt der Oberste: „Wie lange ist es denn schon her, daß sie vom Tode erweckt wurde?“

16. Sagt Chiwar: „Höchstens sechs bis sieben Tage! Ganz genau wüßte ich die Zeit nicht anzugeben; aber soviel ist gewiß, daß sie zu Anfang der vergangenen Woche vom Tode wieder zum Leben erweckt worden ist.“

17. Sagt der Oberste, ganz außer sich vor Verwunderung: „Das ist wirklich etwas, das auf der Erde noch nicht erlebt worden ist! Nun die heitere Frische dieses liebsten Weibchens und doch schon als Leiche vier Tage im Grabe!? Wahrlich, das ist unerhört, vorausgesetzt, daß ihr mir wohl die volle Wahrheit kundgebet, was ich nun nicht mehr bezweifeln will; denn dieser Ort scheint aus lauter Wundern zusammengesetzt zu sein!“

18. Sagt Chiwar: „Jawohl, es ist wahrlich also! Besonders aber zieht vor allem eben der besagte Heiland Jesus alle erdenkliche Aufmerksamkeit auf Sich; denn Seine Leistungen überbieten in einem unbeschreibbar höchsten Grade alles und jedes, was je von den Erzvätern durch Moses geschrieben worden ist, und was alles wir von den großen Propheten wissen! Denn das ist noch nie dagewesen! Es gibt dir keine noch so böse Krankheit, die Er nicht augenblicklich durchs pure Wort heilt, ohne den Kranken zu sehen oder zu berühren! Will Er etwas anderes, so geschieht es im Augenblick!

19. So ist zum Beispiel die vor etwa vier Tagen erfolgte Abdankung des Jairus und die im selben Augenblick im Tempel zu Jerusalem dem Hohenpriester präsentierte Abdankungsurkunde ja doch mehr als ein Wunder! Auf dem natürlichen Wege wäre diese Urkunde vielleicht kaum heute erst in die Hände des Hohenpriesters gelangt; so aber hast du schon vor zwei Tagen in Kapernaum und heute in aller Frühe von dort hier eintreffen können, — und es ist dabei durchaus kein Versehen in der Regel und alten Herkömmlichkeit geschehen! Du bist nun auf diesem wunderbarsten Wege vollkommen oberster Priester von ganz Galiläa, und die Abdankung des Jairus liegt vollkommen mit allen erforderlichen Beigaben und Erklärungen in den Händen des Oberpriesters im Tempel, und alles das kostete einen und denselben Augenblick! Also ist es uns von getreuen Zeugen erzählt worden, daß eben dieser Jesus erst vor wenigen Wochen einen allergewaltigsten Meeressturm bedrohte, — und das Meer und die Winde gehorchten augenblicklich dem Worte des Heilandes! Dergleichen Histörchen könnte ich dir noch in Menge kundtun; aber es ist für den Augenblick die Zeit nicht dazu. Man könnte nun meinen, dieser Mensch sei ein Söldling des Satans, wenn einen Seine Worte, Lehren und lieblich ernsten Ermahnungen nicht eines Bessern belehrten!

20. Ich sage es dir offen, treu und wahr: Unbegreiflich wunderbar sind Seine Taten; aber sie verschwinden als leere Nebensachen gegen die wunderbarste Macht Seiner Reden und Lehren! Da vernimmst du Wahrheiten, von denen es nie einem Propheten geträumt hat! Er stellt dir das Leben eines Menschen auf eine Art dar, nach der kein Mensch nur einen allergeringsten Zweifel haben kann, ob seine Seele sterblich oder unsterblich ist. Die Unsterblichkeit wird dir auf eine so handgreifliche Weise dargestellt, daß du aber auch keinen Augenblick zweifeln kannst, daß es nach des Leibes Tode ein ewiges Fortleben der Seele durch den in ihr wohnenden göttlichen Geist gibt.

21. Kurz, es ist dieser Jesus dir ein Mensch von so ungewöhnlichen Fähigkeiten, daß man mit dem besten Gewissen sagen muß: Solch einen Menschen hat die Erde seit Adam nie zu ihrem Bewohner gehabt! Alle Elemente gehorchen Ihm, Myriaden Geister sind zu Seinen Diensten stets bereit, und so habe ich auch von mehreren Seiner Jünger erfahren, daß Er auf Seiner Reise von Sichar nach Kana in Galiläa am hellsten Mittage die Sonne augenblicklich total finster gemacht hat, aber sie dann in einigen Augenblicken darauf wieder so hell wie zuvor hat leuchten lassen!

22. So erzählten uns Roban und mehrere hundert Zeugen, die wir ausgeforscht haben, daß Er in Sichar zwei alte, verfallene Burgen, das alte Haus Josephs und Benjamins und das alte Schloß Esaus, das nun dem reichen Kaufmanne Jairuth gehört, auf Sein Wort in einem Augenblick derart hergestellt hat, daß darüber alle dortigen Baumeister ganz offen bekennen, daß sie mit einer solchen Herstellung der beiden alten Burgen bei allem Fleiße zum wenigsten zehn volle Jahre zu tun gehabt hätten, so sie solchen Wiederaufbau auf natürlichem Wege hätten zur Bewerkstelligung überkommen! Dazu aber ist das überaus weitläufige Gebäude in einem Augenblick aus dem festesten Baumaterial nicht für sich allein fertig dagestanden, sondern mit allen möglichen Erfordernissen eingerichtet, und das in einer so zweckmäßigen und zugleich überaus schönen Art, wie man so etwas, aus den Händen der Bauleute hervorgehend, auf dieser Erde wohl nirgends mehr zu sehen bekommen kann!

23. Ebenso erzählte mir ein gewisser Grieche aus Kana in Samaria — sein Name war Philopold — nahezu unglaubliche Dinge, die ich dennoch glauben mußte, weil er mir dafür tausend Zeugen vorführte.

24. Wenn aber meiner, nur für mich geltenden Ansicht nach ein Mensch solche Dinge vollbringt, so halte ich ihn für mehr als einen Menschen und für mehr als den größten Propheten! Er sagte freilich vor etlichen Tagen — ich glaube am See bei einer Fischerei, die auch eine vollkommen wunderbare zu nennen war —, daß solches jeder Mensch bewirken könnte, so er einen festen, vollkommen zweifellosen Glauben hätte. Aber da meine ich, daß ein solcher Glaube ebenso wunderbar wäre als das größte Wunder selbst; denn ein solcher Glaube kann nur eine helle Folge der in sich klar bewußten Fähigkeit sein, die jedes erdenkliche Gelingen in sich schließt.

25. Wer seine Kräfte kennt, der muß ihnen auch soweit trauen, als er sie für die Effektuierung einer Sache oder überhaupt eines Werkes als hinreichend aus vieler Erfahrung schon lange im klaren Bewußtsein hat. Wenn der Mensch aber seinen Glauben aufs Gelingen über seine ihm bewußten Kräfte hinaus spannen sollte, so wird solch einen Glauben meiner Ansicht nach sobald der Zweifel zu begleiten anfangen, als er eine zu hebende Last vor sich erschauet, für deren Bemeisterung er, sich nur zu klar bewußt, bei weitem nicht die hinreichenden Kräfte in sich fühlt.

26. Wenn ich einen Stein von etlichen Pfunden vor mir auf der Straße liegen sehe, der mir im Wege ist, so werde ich wohl keinen Augenblick zweifeln, daß ich den Stein mir, wenn ich es nur will, aus dem Wege räumen kann; liegt aber auf dem Wege ein Felsblock von vielleicht hunderttausend Pfunden, da glaube ich, daß es mit dem ungezweifelten Glauben ganz verzweifelt schwer halten wird. Wenn ich meinen Willen noch so anstrengte, so wird das wahrscheinlich nichts nützen, weil mir die subjektive Überzeugung total fehlen muß, daß man mit einer Hebekraft für höchstens zweihundert Pfunde auch einer Last von hunderttausend Pfunden Meister werden kann.

27. Nun aber ist diesem Jesus wie einem Gott alles möglich! Seinem Willen ist ein Berg ebensowenig wie ein Sonnenstäubchen! Erde, Luft, Wind, Wasser und Feuer gehorchen Ihm wie die Lämmer ihrem Hirten, und den Blitz leitet Er tausend Male sicherer als der beste Schütze den Pfeil von seinem Bogen! — Was folgt aber hieraus? Ich bitte nun dich, darüber als unser Oberster uns deine Meinung kundzutun!“

88. Kapitel. Chiwars Ansicht vom Tempel

01. Sagt der Oberste: „Wenn das alles sich also verhält, was ich geradewegs nicht bezweifle, so muß er auf eine unbegreifliche Weise ohne weiteres mit dem allmächtigen Geiste Jehovas in einem engsten Bunde stehen, etwa gleich einem Moses oder Elias, welch letzterer auch das Feuer vom Himmel rufen konnte, das ihm gehorchte. Er mag vielleicht auch noch so manches Wunderbare gewirkt haben, das da nicht aufgezeichnet worden ist, wovon aber wohl noch Volkssagen vorhanden sind, denen man freilich nur wenig Glauben schenken kann; aber im ganzen könnte doch viel Wahres daran kleben!

02. So soll eben der Elias, so mich mein Gedächtnis nicht trügt, einmal bei einer Gelegenheit einen ganzen Haufen Totengerippe auf einem Schlachtfelde belebt und mit Fleisch, Haut und Haaren versehen haben! Also habe er auch bei einer andern Gelegenheit alle Grundquellen des großen Euphrat versiegen lassen auf drei Jahre und gebot dazu auch den Wolken, drei Jahre lang den Himmel zu meiden. Erst als die Menschen eine rechte Buße taten, öffnete er wieder die Quellen der Ströme und gebot den Wolken, daß sie aufzögen am Firmamente und Wasser gäben dem dürre gewordenen Erdboden! Und so erzählt man noch eine Menge von diesem merkwürdigsten aller Propheten, das aber mit der Zeit doch sehr entstellt werden mochte, und man sagt, daß eben dieser Elias vor dem Ende der Welt noch einmal wiederkommen werde, daß er durch große Zeichen die Menschen bekehre zur Buße, indem bekanntlich dieser rätselhafte Prophet nie gestorben, sondern in einem feurigen Wagen in die Himmel aufgefahren ist. Es kann sonach ja sehr leicht sein, daß dieser Jesus ein Träger des Geistes des großen Propheten ist und deshalb, als mit der Macht Jehovas im engsten Verbande stehend, nun solche Taten, die nur Gott möglich sein können, verrichtet!“

03. Sagt Chiwar: „Deine Ansicht ist durchaus nicht schlecht, und ich möchte dir fast beistimmen, wenn ich nicht eben bei diesem Jesus so manche Dinge mit meinen höchst eigenen Augen gesehen hätte, die den ganzen Elias eine ganze Unendlichkeit weit hinter sich zurücklassen. Du möchtest hier freilich fragen und sagen: ,Welche denn? Wie heißen sie?‘ Aber ich müßte dir offenbar gestehen, daß mir, um das zu beschreiben, die Worte vollkommen mangeln würden; denn das muß man selbst gehört, gesehen und gefühlt haben, sonst kann man sich davon durchaus keinen Begriff machen. Und ich bin darum der Ansicht von nun mehreren Tausenden, daß dieser Jesus platterdings der verheißene Messias ist! Denn ich frage jeden, ob dieser, so er noch zu einer andern Zeit kommen sollte, größere Zeichen tun werde!? Zudem stammt Er nach der Chronik, die bis zum Großvater Josephs reicht, in der geradesten Linie von David ab. (Matth.1,1—17). Achim war ein Vater Eliuds, Eliud ein Vater Eleasars, dieser ein Vater Matthans, dieser ein Vater Jakobs, und Jakob war der Vater Josephs, und dieser ein Vater unseres Jesus. Gehe nach dieser Chronik weiter zurück, und du kannst in der geradesten Linie auf David zurückkommen; nun aber steht es geschrieben, daß der Messias von David abstammen werde, und daß Ihn jedermann an Seinen Taten erkennen werde.

04. Diesem Jesus fehlt dafür meiner Ansicht nach nun gar nichts; die Abstammung ist authentisch gewiß, und Taten, wie solche, die die Erde auf ihrem Boden nie erlebt hat, sind auch in der überschwenglichsten Fülle vorhanden. Ich weiß demnach wahrlich nicht, was uns daran hindern sollte, Ihn als Denjenigen anzunehmen, der Er offenbarst ist!?

05. Daß sich der herrschsüchtige Tempel nicht leichtlich dazu bequemen wird, läßt sich wohl mit den Händen greifen; aber wir sollten uns da durchaus nicht mehr nach dem Tempel richten, der meiner Ansicht nach vollkommen tot ist und uns fürderhin weder einen Schutz, noch eine Weisheit und noch weniger irgendeinen bleibenden Unterhalt verschaffen kann, — außer wir geben ihm zuvor für eine Stelle so viel, daß davon zehn Menschen hundert Jahre lang ganz gut leben könnten.

06. Berechne du nur die Summe, die du für die Oberstenstelle im Tempel mit Gold und Silber bezahlt hast, und du wirst es leicht finden, daß du mit dem Gelde gar leicht, und das fürstlich, hundert Jahre lang ausgereicht hättest! Laß dich aber hier von den Römern bedrängen und suche dagegen im Tempel um Schutz an, und man wird dir nicht nur keinen gewähren können, sondern auch nicht wollen, und man wird dich höchstens, um einige Hände voll Silberlinge, mit doppelsinnigen Tröstungen ungefähr auf die Art abfertigen, wie das berühmte Orakel zu Delphi — natürlich um viel Gold und Silber — die Fragesteller abfertigt, daß hernach das Orakel allzeit recht hat, ob nun dem Fragesteller etwas Gutes oder etwas Böses widerfährt!

07. Ich kenne gottlob die ganze gegenwärtige Lumperei des Tempels und mache mir darum auch durchaus kein Gewissen daraus, denselben so dick als nur immer möglich hinters Licht zu führen, welcher Art es auch sei! Denn, Freund, wer in dieser Zeit vom Tempel nicht auf das allerdickste hintergangen sein will, der muß sich die kluge Mühe geben, den Tempel selbst so dick als nur immer möglich zu hintergehen! Oder meinst du, daß du mit einem ehrlichen und rechtlichen Gemüte und Gesichte im Tempel etwas ausrichten wirst? Oh, dessen rühme sich ja keiner! Gehe aber mit einem so recht verschmitzten Gemüte und Gesichte hin, und ich stehe dir dafür, daß du die Templer nach deinem Belieben wie eine Schnur um den Daumen winden kannst!

08. Ich kann mich noch sehr gut eines gewissen Bars entsinnen, der da ein beschnittener Grieche war. Er mußte schon ein großes Vermögen besessen haben, weil er voll Perlen und Diamanten war. Dieser Mensch hatte dir so ein verschmitztes Gesicht, sprach wenig, und was er sprach, war doch so gewiß eine allerabgefeimteste Lüge, wie ich Chiwar heiße. Er verlangte aber bloß tausend Pfunde Goldes und gab dafür eine Pergamentrolle, die höchstens einen halben Stater wert war. Der Hohepriester zuckte zwar sehr mit den Achseln; aber Bar schnitt dazu eine Miene, wie ich sie in meinem Leben kaum je wieder zum zweiten Male sehen dürfte, und sprach dazu ganz höhnisch: ,Hm, aut Caesar — aut nihil!‘, worauf der Hohepriester — Gott weiß, aus welchem Grunde — ganz blaß wurde und dem Bar sogleich die tausend Pfunde Goldes verabfolgen ließ, von denen der Tempel nie mehr auch nur um ein Haar schwer zurückbekam; denn es hatte sich erst nach einem Jahre aufgeklärt, daß dieser Bar nichts als ein allerabgefeimtester Betrüger war, der mit allen Satanszaubersalben gesalbt war, um auch dem Hohenpriester tausend Pfunde Goldes herauszuschrecken.

09. Es kamen aber daneben auch oft ganz ehrliche Juden, die im Tempel ein Geld ausborgen wollten gegen gute Pfänder; nichts bekamen sie, denn sie taten viel zu ehrlich und hatten auch viel zu rechtliche Gesichter! — Und so ist mein Grundsatz bei mir festgestellt: Man muß den Tempel hinters Licht führen, so man von ihm nicht hinters Licht geführt werden will! Und so werde ich auch ewig den Tempel nicht fragen, ob Jesus der verheißene Messias sei, sondern Er ist es für mich auch ohne Tempel! — Was sagst du zu dieser meiner Meinung?“

89. Kapitel. Unterredung zwischen Korah und Chiwar über den Messias. Satan fordert Chiwar zum Kampf herraus.

01. Sagt der Oberste: „Freund, ich liebe dich; denn eine so ehrliche Seele wie du ist mir noch nicht untergekommen! Wahrlich, du hast ganz recht! Ich kenne diesen Jesus noch viel zu wenig, als daß ich gleich vollauf deiner Ansicht mich anschließen könnte! Aber soviel meine auch ich: wenn die Verheißung nicht eine ganz hohle Nuß ist, die sich geschichtlich gewiß seit David her wenigstens irdisch noch nie bestätigt hat — denn vom ewigen Reiche Davids sind nun die Römer ein noch handgreiflicherer Gegenbeweis als die vierzig Jahre andauernde babylonische Gefangenschaft —, so bin ich gar nicht abgeneigt, mit dir den Glauben zu teilen. Aber es fragt sich nun nur darum, was zu all dem ihr alle saget, und was die Priester und Pharisäer der anderen Städte!?“

02. Sagt Chiwar: „Was ich dir hier sage, ist unser aller Stimme in dieser Stadt; die zu Kapernaum sollen zufolge einiger derber Lektionen, die ihnen bei verschiedenen Gelegenheiten zuteil geworden sind, nicht ferne davon sein, und was die noch andern Städte betrifft, das lassen wir einstweilen auf sich beruhen und lassen sie bis auf ein günstiges Weitere bei ihrem alten Wahne!

03. Wenn hier dein Sitz für die Zukunft ist, da laß nur mich Sorge tragen, und Galiläa steht in wenigen Jahren, als für sich abgeschlossen, vom Tempel vollkommen unabhängig da! Galiläa steht ohnehin im Tempel auf dem letzten Pergamentblatte angeschrieben! Was liegt nun daran, so wir auch dies letzte Blatt ausreißen? Die Römer und Griechen haben wir für uns, und das fest, und so ein bißchen von der allmächtigen, lebendigen Gnade Gottes auch, und es soll dem Tempel ganz verzweifelt sauer werden, unsere Ysopstauden zu belecken!“

04. Sagt Korah, der Oberste: „Ich gebe dir in allem ganz recht und bin nun auch auf einmal mehr noch denn früher überzeugt, daß du recht hast; aber bedenken müssen wir immer, daß der Erzengel Michael, als der mächtigste aller Himmelsgeister nach Gott, mit all seiner Kraft und Macht drei Tage und Nächte einen harten Kampf mit dem Satan um den Leib Mosis zu bestehen hatte! Nun, wenn es der Satan mit uns aufnähme, wie würden da wir den Kampf mit ihm bestehen?“

05. Sagt Chiwar: „Nicht mit einem, sondern mit zehntausend Satanen nehme ich's allein auf, obschon ich noch gar lange kein Michael bin! Man muß nur Mut haben und dem bösen Luder alle Wege verlegen, so richtet er auch mit seiner ganzen Hölle voll Teufel nichts aus; aber wenn man ihm einmal Blößen zeigt, wo er leicht einen Anhangspunkt finden kann, dann dürfte der Kampf freilich ums hundertfache schwerer werden!

06. Aber so wahr ein Gott mich erschaffen hat: einen Tempel werde ich darum dem Satan nie erbauen und ihm Weihrauch streuen, daß er mich darum in der Ruhe belassen möchte! Er komme, so es ihn gelüsten sollte, mit Chiwar einen Kampf zu beginnen, und ihr sollet Zeugen sein, daß ich mit ihm eher denn in drei Tagen fertig werde!“

07. Sagt der Oberste: „Freund, du wagst viel, als Mücke es mit einem Löwen aufzunehmen und ihn sogar zum Kampfe ordentlich herauszufordern, während du nur Gott bitten solltest, daß Er dich für ewig vor den Nachstellungen des Satans verschonen möchte!“

08. Sagt Chiwar: „Freund, ich kenne aber einen Namen, und dieser genügt für Legionen von Satanen und Teufeln! Wo ist er denn, so er Mut besitzt, sich mit mir in einen Kampf einzulassen?

09. Die Mücke ist zwar hinsichtlich der Stärke ein purstes Nichts gegen einen Löwen; aber so die Mücke es will, treibt sie den stärksten Löwen dennoch in eine tagereisenweite Flucht! Sie stößt fliegend in sein Ohr und summt ihm im Ohre also, daß der Löwe am Ende der Meinung wird, es brause der höchste Sturm, und der Tiere König ergreift bald die schmählichste Flucht!

10. Und so ist es gerade nicht notwendig, dem Mächtigen gegenüber übermächtig zu sein, sondern da geht die rechte Klugheit über alles! Siehe, du selbst bist mit einer starken Portion des echten Satanismus zu uns gekommen; und siehe meine etwaige Klugheit hat ihn zuschanden gemacht, und du stehst nun als ein freier Mann und als ein von uns erwählter Oberster vor uns allen, und es hat uns darum der Satan noch keinen Schaden zuzufügen vermocht — und wird uns auch fürder keinen zuzufügen vermögen!

11. Ich weiß, was ich weiß, und kann, was ich kann; aber dafür stehe ich, daß der Satan in Ewigkeit mein Meister und Herr nicht wird!“

12. Sagt Korah: „Freund, rede nicht zu laut; denn der Böse soll seine Augen und Ohren überall haben! Mit der Hilfe Jehovas und deines mir noch zu wenig bekannten Messias wird er uns wohl freilich nichts anhaben können; aber herausfordern wollen wir ihn durchaus nicht! Gott behüte uns vor seinem wie immer gearteten Besuche!“

13. Sagt Chiwar: „Allerdings werde auch ich den Kampf nicht wünschen, — aber auch nicht die allerleiseste Furcht davor haben!“

14. Als Chiwar solche Worte ausgeredet hatte, siehe, da trat auf einmal ein unbändig großer Riese in den Speisesaal und mit hohnzorniger Miene vor den Chiwar hin und sagte mit einer donnerähnlichen Stimme, daß darob die Pfeiler des Saales erbebten: „Bist du die lose Mücke, die in des Löwen Ohr ein Sturmgetobe erheben will? Versuche es, du elender Wurm des Erdstaubes, wie du kämpfend mit mir zurechtkommen wirst! Ich vermag auch etwas, das dir noch sehr unbekannt sein dürfte! Siehe, dein Messias hängt nur von meiner Großmut ab, weil es für mich denn doch nicht gar zu ehrenvoll ist, mit Mücken mich in einen Kampf einzulassen; aber wenn er mir viel Flausen macht, so laß ich ihn ohne weiteres ans Querholz spannen, und du kannst dann deinen Messias am Querholze anbeten! — Was aber willst du nun machen, so ich dich augenblicklich in sonnenstaubgroße Stückchen zerreiße?“

15. Hier erhebt sich Chiwar ganz sachte von seinem Platze und herrscht den Riesen, respektive Satan, mit folgenden Worten an: „Wie du Elender hereingekommen bist, so siehe wieder — und zwar mit dem ernsten Vorsatze, ewig nie mehr diese heilige Stätte zu betreten — ebenalso hinauszukommen, sonst richte dich Jesus der Herr!“

16. Bei der Nennung des Namens Jesus wich der Riese gleich mehrere Schritte zurück und drohte höchst zornglühend, ihm diesen verhaßtesten Namen ewig nie wieder zu nennen!

17. Chiwar aber sagt: „Ich muß in deinem Ohr ja ein Gesäuse machen, auf daß du erfahrest, wie der Löwe vor einer summenden Mücke flieht!“ — Hierauf beginnt er wieder: „Jesus, der Sohn des Allerhöchsten, richte und züchtige dich! Jesus, der Sohn des Allerhöchsten, treibe dich ewig von hier aus! Jesus, der Sohn des Allerhöchsten, züchtige dich für deine zahllosen Frevel!“

18. Der Satan wartete aber die letzte Strophe nimmer ab, sondern entfernte sich mit einem Donnergeheule.

19. Hierauf sagt Chiwar zu dem vor Angst noch wie das Espenlaub bebenden Korah: „Hast du nun gesehen, wie man den Löwen in die Flucht treiben kann? Warum hat er mich denn nicht sogleich zu Staub zerrissen? Siehe, das ist seine Ohnmacht! Er komme nur wieder, wenn es ihn jucken sollte, und ich stehe dir bei dem Namen meines Jesus dafür, daß er ein zweites Mal noch geschwinder hinauskommen wird, als er diesmal hinausgekommen ist!“

20. Sagt der Oberste: „Höre Freund, deinen unbegreiflichen Mut bewundere ich über alle Maßen, und — bei allen Erzvätern! — ich fühle mich nun ganz in deren wundervolle Zeiten zurückversetzt! Aber laß es dir dennoch gesagt sein, den Satan ja nie wieder zu einem neuen Kampfe aufzufordern; denn er ist endlos erfinderisch und soll alle Gestalten, selbst die eines Lichtengels, annehmen können, und ich glaube, daß er in einem sanften himmlischen Anzuge bei weitem gefährlicher ist als in dem, in welchem wir ihn jetzt zu erschauen die wahrhaft höllische Ehre hatten!“

21. Sagt Chiwar: „Den Probierstein haben wir ja, und an dem läßt sich gleich erkennen, wessen Geistes Kind irgendeine wie immer gestaltete Erscheinung ist! Aber wir können nun völlig ruhig sein; denn für diesmal dürfte er auf lange Zeit genug haben!“

90. Kapitel. Korah erinnert sich des Herrn von der Tempelreinigung in Jerusalem her.

01. Darauf fragte Korah den Chiwar, ob Ich Mich noch in dem Orte aufhielte, und ob er mit Mir nicht eine nähere Bekanntschaft machen könnte. Und er redete weiter und sprach: „Ich bin nun vollkommen innegeworden, daß in deinem Messias etwas außerordentlich Göttliches liegen muß; denn in der Gunst des Satans steht er in keinem Falle, und sein Name scheint dem Satan die größte Qual zu sein! — Das sind zwei, freilich auf dem wunderbarst außerordentlichen Wege erfahrene Tatsachen, die ich mir ewig nie werde hinwegleugnen können, und ich entnehme nun ruhigeren Gemütes daraus, daß du mit dem Ausrufe ,Sohn des Allerhöchsten‘ auch im allerhöchsten Grade recht haben dürftest, und so möchte ich, wenn es tunlich wäre, dennoch eine Bekanntschaft mit ihm machen. Führe du mich hinaus!“

02. Sagt Chiwar: „Es wäre alles recht, und ich wäre wohl am ersten geneigt, dich hinaus zu Ihm zu führen; aber das Volk ist nun gegen dich noch ein wenig schwierig, und wir liefen durch den Mutwillen des gemeinen Pöbels in die Gefahr, mit einem Steinwurfe verwundet zu werden; und zugleich bereitet Er Sich zur Abreise vor, so daß es Ihm darum etwa doch nicht angenehm wäre, so wir Ihm zur Last fielen! Er kommt aber gegen den Winter entweder wieder hierher oder nach Kis und wird an einem dieser benannten Orte den Winter zubringen, und wir werden da Gelegenheit genug bekommen, Ihn näher kennenzulernen; darum meine ich, daß wir für diesmal das Vorhaben, Ihn näher kennenzulernen, bis zum Winter hin aufgeben sollten.“

03. Sagt Korah: „Es ist alles wahr, was du nun gesagt hast; aber dessenungeachtet kann ich mich der Sehnsucht nicht erwehren, diesen gar zu außerordentlichen Menschen, durch den alle Fülle der göttlichen Macht, Kraft und Herrlichkeit tätig ist, persönlich kennenzulernen! Oder warte, mir fällt nun eine Geschichte vom Osterfeste zu Jerusalem im Tempel ein! Am Ende war es eben dieser Jesus, der an einem Nachsabbat, wenn ich mich nicht irre, alle Käufer und Verkäufer aus dem Tempel trieb und allen Wechslern ihre Buden wie ein Sturm umstieß!? Alle verkäuflichen Tiere fingen gräßlich zu heulen an und rannten in wildester Hast aus den Verkaufshallen des Tempels!

04. Denn jener Mann, den ich selbst gesprochen habe — freilich in keinem freundlichen Sinne —, war auch ein Galiläer und hieß ebenfalls Jesus, und mit ihm waren eine Menge anderer, höchst ordinär aussehender Männer und Weiber, und es sah die ganze Gesellschaft einer ganz gewöhnlichen galiläischen Landstreichergesellschaft gleich; aber ihr Anführer Jesus sah ganz einem Menschen gleich, hinter dem etwas Ungewöhnliches verborgen ist.

05. Er sprach im Grunde nicht viel; aber was er sprach, war tief, wahr und gehaltvoll! Er hat damals auch in Jerusalem eine Menge Kranker geheilt; als aber die Sache, ich glaube — vor den Herodes kam, den dieser Jesus bedeutend fürchten soll, da verschwand der Wundermann bei Nacht und Nebel plötzlich aus Jerusalem, und wir konnten es nicht erfahren, wohin er sich gewendet hatte. Nach Galiläa muß er nicht gekommen sein — gleich von Jerusalem weg; denn da hätten wir von ihm sicher sobald eine Nachricht erhalten, da wir viel Kundschafter nach ihm ausgesandt haben.

06. Es kamen uns wohl nach ein paar Wochen Gerüchte vom Zimmermannssohne Jesus zu; aber wir konnten es denn doch nicht annehmen, daß jener bekannte, einfache, stille und wissenschaftlich durchaus ungebildete, sogar des Lesens und Schreibens unkundige Mensch eben derselbe gewaltige Jesus sein könnte, vor dem im Tempel zu Jerusalem Tausende wie vor einem Gottesgerichte gebebt haben. Aber wenn hier der bekannte Zimmermann Jesus es ist, der solche Gottestaten übt, so wird er sicher auch der gleiche Jesus sein, der zu Ostern ganz Jerusalem erschreckt hat! Nun, wenn der es ist, so kenne ich ihn schon von Jerusalem aus und brauche ihm daher nun gar nicht lästig zu fallen!“

07. Sagt Chiwar: „Ja, es ist ein und derselbe! Ich kenne Ihn schon mehrere Jahre, wie auch den alten Joseph, der erst vor etwa einem Jahr gestorben ist; ich habe an Ihm fürwahr nicht die leiseste Spur von etwas Außergewöhnlichem entdeckt, obschon — wie man mir hie und da erzählt hat — sich bei Seiner Geburt, die zu Bethlehem in einem Schafstalle erfolgt ist, ganz außerordentliche Dinge sollen zugetragen haben, sowie nachher bis in Sein zwölftes Jahr. Aber vom zwölften Jahre an habe sich all das Außerordentliche verloren, die großen Hoffnungen Seiner Eltern gingen unter, und Er blieb bis nun, respektive in Sein dreißigstes Jahr, das eben das gegenwärtige ist, ein höchst unbeachteter, allereinfachster Zimmermann!

08. Er war überaus wortkarg; man bekam auf zehn Fragen kaum eine, höchst einsilbige Antwort; dagegen war Er aber dennoch stets wohltätig gegen Kinder und Arme. Man habe Ihn öfter beten und auch weinen — aber stets im stillen —, doch nie lachen sehen; lustige, lärmende Gesellschaften floh Er und liebte vor allem die Einsamkeit; das Merkwürdigste von allem aber war, daß man Ihn nur höchst selten in einer Synagoge sah, ebensowenig in einer Schule, die Er nur auf vieles Zureden Seiner Eltern ein paarmal im Jahre besuchte, dieselbe auch allzeit sichtbar ärgerlich bald verließ; in einem Bethause aber habe Ihn nie jemand gesehen. Wegen solcher Seiner Sonderbarkeit kam es denn auch, daß Er von vielen als etwas blödsinnig angesehen wurde.

09. Aber mit Seinem dreißigsten Jahre verschwand Er auf einmal aus Seinem elterlichen Hause und soll Sich eine Zeitlang in der Wüste bei Bethabara, wo am kleinen Jordan der berühmte Johannes sein Wesen trieb, aufgehalten haben und Sich von selbem haben taufen lassen. Von da zog Er dann also, wie Er jetzt ist, voll göttlicher Kraft aus, lehrte das Volk vom Gottesreiche, machte alle die Kranken gesund und trieb von den Besessenen die bösen Geister aus. Das ist so ungefähr, ganz kurz gefaßt, Seine diesirdische Lebensgeschichte, die ich zum Teil selbst von Ihm erfahren, jedoch zum Großteile durchs Hörensagen in meine Wissenschaft gebracht habe.“

10. Sagt Korah: „Ja, ja, du wirst recht haben! Diese Geschichte in Bethlehem hat vor ungefähr dreißig Jahren viel Aufsehen gemacht; und so ich mich nicht irre, so hat der alte Herodes eben seinetwegen den grausamen Knäbleinmord anbefohlen. Er aber sei nach Ägypten entflohen. — Nun siehe, da bin ich nun ja schon ganz im klaren! Nun, nun, das also ist derselbe Jesus!? Ja, an dem kann allerdings etwas Außerordentliches sein, und du wirst mit deiner Annahme sicher nicht weit vom Ziele sein! Aber sprechen möchte ich ihn denn doch noch, bevor er diesen Ort zu verlassen gedenkt!“

11. Sagt Chiwar: „Wie du es willst, — mir ist das gleich! Aber da muß denn doch von uns zuvor ein Herold in die offene Stadt gehen und dich dem Volke als nun vollends günstig anpreisen, ansonst es denn doch nicht ganz geheuer sein dürfte, sich in die offenen Straßen zu begeben; denn meine Nazaräer kenne ich!“

12. Sagt Korah: „Nun, entsende schnell mehrere Herolde und laß durch sie meinen Namen als einen dem Volke günstigen anpreisen, sonst reist er uns früher ab!“

13. Chiwar sendet sogleich zwölf Herolde aus, und diese preisen den neuen Obersten dem Volke so günstig an, daß es eine Weile dauernd darob in einen lauten Jubel ausbricht und allerlei kostbare Geschenke vorzubereiten anfängt, mit denen es am nächsten Vorsabbat den neuen Obersten begrüßen will.

14. Als die Herolde wieder mit der guten Nachricht in die Synagoge zurückkommen, sagt der Oberste zum Chiwar: „Nun gehen wir aber nur schnell hinaus, sonst weiset er uns am Ende ab, — und ich möchte ihn denn doch sprechen!“

15. Chiwar sagt: „Ich bin schon bereit, und es schickte sich, daß wir alle Ihm einen Abschiedsbesuch machten; aber gehen dennoch wir beide allein!“ —

16. Chiwar und der neue Oberste begeben sich nun sogleich hinaus. Als sie aber einige Schritte außer dem Stadttore sich befinden, kommen ihnen Borus, Jairus, dessen Weib, die Sarah und die Mutter Maria entgegen und bringen dem Chiwar und dem Obersten die für sie betrübende Nachricht, daß der Herr vor einer halben Stunde Zeit mit Seinen zwölf Jüngern und mit den sieben angekommenen Jüngern Johannis abgereist sei.

91. Kapitel. Die Freunde Jesu bei Borus.

01. Diese Nachricht betrübt den Obersten, und er kehrt, von Borus geladen, mit Chiwar in dessen großes, palastartiges Haus, wo Borus natürlich auch sogleich alles aufbieten läßt, um den neuen Obersten so glänzend als möglich zu bewirten.

02. Es kommen auch Bab und Roban dazu, und es wird den ganzen Abend hindurch natürlich von nichts gesprochen als von Jesus dem Herrn.

03. Aber endlich fragt der Oberste und sagt: „Aber saget mir denn doch, was denn ganz eigentlich der Grund gewesen sein mag, daß er sich nach alledem, was ich bis jetzt alles von ihm und über ihn vernommen habe, nicht mehr getraut hat, hier zu verweilen? Denn ganz etwas anderes wäre es, so er vorgeblich seines allerhöchsten Berufes wegen sich irgendwohin von hier auf eine Zeitlang hätte begeben müssen; aber so scheint die Furcht vor Herodes allein ihn von hier entfernt zu haben! Ein Mann aber wie er, insoweit mir nun Sein Wesen bekanntgegeben worden ist, dem Himmel und Erde gehorchen, der dazu noch den römischen Oberstatthalter zu seinem intimsten Freunde hat, sollte doch offenbarst ewig keinen Grund haben, vor dem schwachen Pachtkönige Jerusalems die Flucht zu ergreifen!

04. Wahrlich, man nehme die Sache, wie man will; aber so viel ist gewiß, daß es für die Bewohner der Erde dann durchaus nicht gut aussieht, so ein Gott einmal vor den Teufeln Sich zu fürchten anfängt und vor ihnen die Flucht ergreift! — Hm, hm, je mehr ich darüber nachdenke, desto rätselhafter erscheint mir die ganze Sache!

05. Gebet mir darüber bessere Aufschlüsse, sonst muß ich euch allen, so lieb ihr mir seid, ganz offen erklären, daß ihr samt mir euch an diesem Manne doch gewaltig möget geirrt haben; denn der Allmächtige hat wahrlich nicht nötig, Sich vor einem Herodes, der vielleicht gar noch nie daran gedacht hat, Ihn verfolgen zu wollen, zu fürchten! Denn ich, als ein Günstling dieses Pachtkönigs, kenne ihn besser als jeder von euch und weiß, daß er schon tausendmal in dieser kurzen Zeit bereut hat, den Johannes getötet zu haben. Denn der plötzliche Tod der Herodias und deren Tochter haben den Pachtkönig in eine solche Angst versetzt, daß er sein Leben lang sicher nie wieder einen Propheten wird töten lassen!

06. Jesus muß daher aus einem ganz andern Grunde von hier so schnell abgereist sein! Und hätten ihm auch die erregten sieben Jünger Johannis noch so gräßliche Dinge von Herodes erzählt, da frage ich, ob ein allwissender Mann, der, von Gott ausgehend, sicher weiß, was wir hier nun über ihn verhandeln, denen Glauben schenken kann, die offenbare Lügen hervorgebracht haben werden!? Weiß von euch denn niemand mir zu meiner Beruhigung einen besseren Grund seiner so plötzlichen Abreise anzugeben?“

07. Sagt Borus: „Lieber Freund, da wird es allerdings einen kleinen Haken haben, da uns alle Seine Flucht so gut wie dich befremdet hat, obschon wir vollkommen überzeugt sind, daß Er dennoch das und Der ist, als den wir Ihn anerkannt und angenommen haben. Er hat Sich auch — so ganz offen gesprochen — vor dir gefürchtet und darum schon heute früh alle die vielen Jünger entlassen samt den hohen Römern, die bei Ihm waren nun etliche Tage hindurch. Aber wie ich es nun sehe, so hätte Er wenig Grund haben sollen, Sich vor dir zu fürchten, da du nun für Ihn und durchaus nicht wider Ihn bist; es muß daher in Ihm doch ein ganz anderer Grund sein, der Ihn zu dieser plötzlichen Abreise bestimmt hat, als der, den wir aus der Erscheinung füglich annehmen müssen.“

08. Spricht der Oberste: „Saget mir aber doch, wie die Sache herging und sich verhielt, bevor er sich zur Abreise anschickte! Vielleicht gelingt es dann mir, oder noch eher dem Freunde Chiwar, einen vernünftigeren Grund herauszufinden!“

09. Sagt Borus: „Die Sache ging also her: Schon vormittags sandte Er Seine zwölf Jünger, die Er ,Apostel‘ nennt, gegen das Meer hinaus, daß sie irgendein Schiff für Ihn herrichten sollten, und wahrscheinlich um zugleich Erkundigungen einzuholen, ob nicht irgend von Jerusalem ausgesandte Laurer und bedungene Meuchelmörder sich vorfänden. In Sibarah, dem Mautorte, der einem gewissen Matthäus, der auch ein Jünger Jesu ist, gehört, kamen die Jünger Jesu mit den sieben Jüngern des Johannes zusammen, mit denen sie schon früher einmal zusammengekommen waren — ich glaube bei der Gelegenheit, als Johannes schon im Gefängnisse war und die Worte Jesu vernommen hatte. Diese sieben Jünger erzählten den Aposteln alles, was sich in Jerusalem mit ihrem Meister zugetragen hatte. Und zugleich erzählten sie, wie denn doch ganz geheim Herodes — obschon er denen, die ihm von Jesus die Nachricht hinterbrachten, offen gestand, daß dieser der vom Tode auferstandene Johannes sei — Laurer und Mörder ausgesandt habe, sie dahin bescheidend: Würden sie finden, daß der vermeintliche Jesus im Ernste der auferstandene Johannes ist, so sollen sie ihm nichts tun, sondern ganz friedlich heimkehren; sei es aber im Ernste Jesus, so sollen sie Ihn ohne weiteres zu töten versuchen! Gelänge ihnen der Mord, so hätten sie von Herodes eine große Belohnung zu gewärtigen; gelänge ihnen aber der Mord nicht, und zwar darum, daß Jesus gleichsam ein nicht zu tötender wirklicher Gottmensch sei, so hätten sie von Herodes den gleichen Lohn zu gewärtigen, und er werde dann mit seinem ganzen großen Hofstaate ein Anhänger Jesu werden! — Solche Nachricht brachten die Jünger Johannis, mit den Jüngern Jesu hierher nach Nazareth kommend, Jesu dem Herrn.“

10. Als Er solches vernommen hatte, da sagte Er: ,Durch diese schnöde Probe soll Herodes ewig nie Mein Jünger werden! Die Erde ist groß, und Ich werde schon noch ein Plätzchen finden, allwo Mich die schnöden Apostel des Herodes nicht finden sollen! Ist denn des Menschen Sohn gekommen, durch bedungene Mörder das zu werden, was Er ist? Nein, und ewig nein! Wer Mich mit Mordwerkzeugen in der Hand fragt, wer Ich sei, dem soll ewig nie eine Antwort werden! Es ist aber ohnehin Zeit, daß wir von hier aufbrechen, und so gehen wir und sehen, auf fremdem Boden uns Menschen zu gewinnen, die uns auch ohne Mordwerkzeuge gegen unser Leibesleben glauben werden, daß wir das sind, was wir sind!‘

11. Auf diese Worte Jesu aber geschah denn auch sogleich die Abreise; denn Er sagte: ,Gehen wir, denn nun will Ich es und sehe es darum auch, daß und wo sich bereits sechshundert solche Herodianische Mordapostel gegen Mich, und zwar schon sehr nahe, befinden; darum begeben wir uns aber auch sogleich von hier!‘ — Mit dem begaben sich dann alle Seine und des Johannes Jünger auf den Weg gegen Sibarah hin und werden sich nun schon auf der hohen See befinden!“

92. Kapitel. Des Herrn Gnade mit der Menschheit.

01. Sagt darauf der Oberste: „Ah, nun hat die Sache ein ganz anderes Gesicht! Da reiste er ja lange nicht aus Furcht, sondern aus reiner Klugheit ab, um dem Herodes aus wohlverdienter Strafe jede Gelegenheit abzuschneiden, daß er darum nun weder noch schlechter, aber auch nicht leichtlich besser werden kann! Ah, da hat er sehr wohl getan, und ich kann ihn darum nur loben.

02. Es ist aber dieser Herodes auch im eigentlichsten Worte ein Mensch, bei dem sich so ganz eigentlich kein Mensch recht auskennt, wie er mit ihm daran ist. Er ist zur Hälfte ein guter, hie und da über die Maßen wohltätiger Mensch, zur Hälfte aber auch wieder gleich darauf ein Teufel ersten Ranges! Er macht dir heute in einer Art Anwandlung von Herzensgüte und Großmut die allerlobenswertesten Verheißungen und erfüllt sie auch an dem, der bald nach der Verheißung zu ihm kommt. Aber wehe dem, der ihn am nächsten Tage dessen erinnern würde; der bekommt nicht nur nichts von all dem Verheißenen, sondern er wird noch auf eine so empfindliche und bösbeleidigende Weise abgewiesen, daß ihm für ein zweites Mal sicher aller Mut vergeht, sich ihm je wieder zu nahen und ihn an die gemachte Verheißung zu erinnern!

03. Es ist mit ihm darum auch nie irgendein besonderer Freundschaftsbund zu schließen; denn der ihn sicher nicht hält, — das ist Herodes! Und unser erhabener Heiland Jesus wird das so gut wie unsereiner wissen und ist ihm darum mit allem Fug und Recht ausgewichen; denn so sich auch Herodes hundertmal überzeugt hätte, daß Jesus unverletzbar sei, so würde das für den Herodes dennoch soviel wie gar nichts beweisen. Für ihn liefert das, was heute geschah, für morgen durchaus keinen Beweis; denn dieser Mensch hat entweder kein Gedächtnis oder er lebt in solchen Grundsätzen, mit denen bloß er, aber neben ihm kein anderer Mensch mehr bestehen kann!

04. Daß er aber übrigens ein schlauer Fuchs ist, bedarf wohl keines weiteren Beweises. Denn die Steuern zu erpressen, versteht er aus der Kunst, sowie den Römern den Pachtzins schuldig zu bleiben. Ich aber weiß es, wie er es macht; jedoch davon ein anderes Mal!

05. Ich möchte aber nun dennoch erfahren von euch, ob unser Heiland Jesus nicht noch einmal wieder nach Nazareth kommen wird. Hat er euch allen nichts davon gesagt?“

06. Sagt Borus: „Bestimmtes wohl nicht; aber ich hoffe, daß Er den Winter über bei uns zubringen wird! Es ist freilich auch möglich, daß Er den Winter gar in Sidon oder Tyrus zubringen wird; aber dann werden wir von Ihm schon Nachricht erhalten und uns zeitweilig dahin begeben.“

07. Sagt die ganz traurig aussehende Mutter Maria: „Er wird wohl hierher kommen; aber sicher nur wieder auf ein paar Tage!“

08. Sagt der Oberste: „O liebe Mutter, mache nur du dir nichts daraus; denn er wird weder uns und sicher noch weniger dich vergessen!“

09. Sagt die Mutter: „Das wird Er nicht; aber für mich ist es dennoch traurig, wenn ich sehen und erfahren muß, wie die bösen, blinden Menschen ihren ewig größten Wohltäter mutwillig verkennen, Ihn verfolgen und Ihm fast allenthalben mit dem größten Undank begegnen!“

10. Sagt der Oberste: „Siehe, liebe Mutter, die Menschen sind einmal so wie sie sind, und David hat in seiner Not nicht umsonst ausgerufen: ,O wie zu gar nichts nütze ist aller Menschen Hilfe; denn sie können dem Bedrängten alle nicht helfen!‘ Übrigens war das ja noch allzeit das traurige Los aller von Gott mit höheren, geheimnisvollen Fähigkeiten begabten, großen Menschen, daß sie von den Erdwürmern von Menschen gleich also verfolgt worden sind, wie da die kleinen Schwalben mutwillig verfolgen den großen mächtigen Aar. Denn die kleinen Menschen wollen bei all ihrem Nichtssein dennoch groß sein und können es daher nicht ertragen, wenn ein wahrhaft großer Mann auftritt, an dem sie nur zu augenscheinlich das Maß ihrer vollsten Nichtigkeit nehmen müssen!

11. Siehe an die großen Propheten! Was war ihr Erdenlos? Allzeit Armut von Geburt an, allerlei Mangel und Entbehrung, Mißgunst, Verfolgung und endlich gar ein gewaltsamer Tod durch die Hände der selbstsüchtigen Erdwürmer! Warum Gott das stets so haben will, ist mir seit meiner Kindheit her ein Rätsel gewesen; aber die allzeitige Erfahrung lehrt uns, daß es leider allzeit so war, und wir können dagegen ebensowenig etwas unternehmen, wie gegen den lästig kurzen Tag des Winters. Gott hat einmal die Sache also eingerichtet, und wir können sie nicht ändern, hoffen aber, daß es dereinst im andern Leben besser gehen werde!

12. Dein göttlicher Sohn hätte wohl nach dem, was ich von ihm vernommen habe, Macht in mehr als hinreichender Fülle, dem ganzen Weltmenschenunfug mit einem Schlage ein Ende zu machen; daß er es aber nicht tut, können wir ja leicht aus dem entnehmen, daß er gewisserart vor dem Erdwurme Herodes lieber flieht, als daß er ihn vernichtete mit einem Hauche! Er, der es leicht könnte, tut es nicht, und wir können es nicht tun, — und so bleibt immer die alte bekannte schlechte Sache! Wenn er einmal hierher kommt, so will ich mit ihm in dieser Hinsicht eine ganz ernste Zwiesprache führen.“

13. Sagt Borus: „Wird aber wenig fruchten! Denn ich war Zeuge, was alles in dieser weltverbessernden Hinsicht der Oberstatthalter, der dazu noch ein Oheim des Kaisers ist, Ihm alles für Vorschläge und Angebote gemacht hat; aber da war alles umsonst! Er zeigte mit Händen zu greifen klar, was die Menschheit ist, und wie sie möglichst ohne besondere Gerichte und Strafen zu führen und zu lenken ist, wenn sie lediglich durch reinen Unterricht und durch ihre höchst eigene freie Bestimmung danach ihre einstige, von Gott gestellte ewige Bestimmung erreichen will! Der Statthalter mußte Ihm, so gut wie wir alle, das vollste, ungezweifeltste Recht zuerkennen, und das mehrmals fest angetragene Dareinhauen unterblieb völlig und vollkommen; und so kann ich dir schon zum voraus versichern, daß es mit deiner dir vorgenommenen Zwiesprache ebenfalls seine geweisten, abschlägigen Wege haben wird!“

93. Kapitel. Borus spricht über des Menschen Wesen.

01. Sagt der Oberste: „Das werden wir erst sehen; denn vom Standpunkte der irdischen Verhältnisse betrachtet ist die Menschheit noch immer schlechter statt besser geworden! Was sind nun Moses und alle die großen Propheten? Ich sage es euch: In den sogenannten besseren Kreisen lacht man darüber und hält sie zwar für fromme, aber für den Geist der Menschen ganz zwecklose Fabeln und stellt die Lehre eines Pythagoras und eines Aristoteles himmelhoch über alle die Propheten! Ein lebendiger Beweis, daß die Einrichtung Jehovas, so erhaben und wahr sie im Grunde des Grundes auch ist, dennoch den Zweck bei den Menschen durchaus nicht erreicht, den sie nach Seinem Wortlaute erreichen will!

02. Was nützt alle Offenbarung, wenn ihr die handgreiflichen Mittel nicht für immer belassen werden, durch die es allein möglich ist, die Menschen im stets gleichen Respekte vor der göttlichen Offenbarung zu erhalten? Es sollte nur ein Elternpaar versuchen, seine Kinder ohne Rute zu erziehen, und wir würden es nur zu bald erfahren, welchen Respekt die unmündigen Kinder vor ihrer Eltern noch so weisen und guten Lehren haben werden!

03. Darum halte ich auf alle Lehren und selbst Gesetze nichts, wenn sie ohne Rute und Schwert den Menschen überantwortet werden; denn der Mensch ist vom Grunde aus schlecht und muß zum Guten erst mit Ruten gepeitscht werden!“

04. Sagt Borus: „Bin mit dir in dieser Hinsicht ganz einverstanden; aber es gibt dennoch ein großes Aber, das du erst dann wirst kennenlernen, wenn du einmal darüber von Seinem höchsteigenen Munde wirst belehrt werden!

05. Siehe, so wir ein mechanisches Werk vor uns haben, mit dem irgendeine Arbeit verrichtet wird, so werden wir im Anfange staunen; werden wir aber mit dem Werke näher bekannt gemacht, so werden wir gleich eine Menge Mängel entdecken, und es wird uns sofort die förmliche Gier anwandeln, dieses Werk von den sichtlichen Mängeln frei zu machen. Wir verfügen uns darum zum Werkmeister und sagen ihm dies und jenes.

06. Aber der Werkmeister wird zu lächeln und unfehlbar also mit uns zu verkehren anfangen und wird sagen: ,Liebe Freunde, das ginge wohl, — aber es geht dennoch nicht; denn die Maschine richtet sich hier nach vielen sehr beachtenswerten Punkten! Der sie erbauen ließ, hat sie nach seinem Bedarfe bestellt; für diesen Bedarf kann sie nur die beobachtete, bestimmte Einrichtung haben, und da wäre jede Zutat ein offenbares Gebrechen der Maschine selbst! Die Maschine hat nur eine gewisse Kraft zu besiegen nötig und darf darum keine höhere Kraft besitzen, als die ihr für den bestimmten Zweck nötig ist. Würde man ihr eine höhere Kraft zu wirken geben, so würde der Weber mit ihr sein Gefäde mit jedem Schlage zerreißen und auf diese Art nie auch nur eine Elle Zeug zutage fördern. Darum muß die Maschine für den Zweck, dem sie zu entsprechen hat, gerade diese Einrichtung haben, die sie hat, und jedes Mehr oder Weniger ist ein Fehler der Maschine! Ah, wenn die Maschine einmal durch langen Gebrauch abgenutzt sein wird, dann erst ist es an der Zeit, sie wieder in den Stand zu setzen, wie sie anfangs war, damit sie ihrem Zwecke wieder entsprechen kann.‘

07. Siehe, so wird der kluge Werkmeister uns bescheiden, und wir beide werden es uns am Ende denn doch selbst sagen müssen: Der Werkmeister hat recht; denn ein jeder Meister muß seine Sache doch offenbar besser verstehen als so ein paar Pseudomeister, wie wir da sind! Und ungefähr eine fast ähnliche Antwort könnten wir in dieser Hinsicht von Jesus dem Herrn bekommen, so wir Ihn fragten, wie es möglich ist, daß die Menschen an der Seite der göttlichen Weisheit dennoch gar so teufelsschlecht werden können!

08. Was wissen wir wohl von des Menschen innerer Einrichtung und Beschaffenheit? Wir mögen oft fluchen, wo der Herr noch vollauf segnet! Denn wir sehen weder das Gute noch das Schlechte vollkommen ein.

09. Jeder noch so gute Mensch hat mehr oder weniger etwas von Selbstsucht in seinem Gemüte. Nach dieser seiner Eigenschaft ist er dann auch stets ein Richter seiner Nebenmenschen und rechnet es ihnen schon allzeit am ersten und liebsten zu einem Fehler an, wenn sie Handlungen begehen, die mit seiner Selbstnutzungsidee nicht im Einklange stehen. Da aber ein jeder Mensch für sich ebenso ein wenig selbstsüchtig denkt, so kommen auf der Erde nichts als lauter schiefe Urteile der Nebenmenschheit gegenüber heraus. Diese Schiefurteile bewirken gegenseitig Unzufriedenheiten, nach und nach Ärger, Neid, Zorn und dergleichen moralische Löblichkeiten mehr.

10. Wer anders ist hernach schuld an der Verschlimmerung der Menschen als eben die Menschen selbst? Die Lebensmaschine nützt sich denn mit der Zeit auch ab, muß darum von ihrem erhabenen Werkmeister auch von Zeit zu Zeit wieder neu ausgebessert oder dann und wann gar von Grund aus neu gestaltet werden.

11. Und solch eine totale Ausbesserungszeit scheint nun wieder, nach mehr als fast einem Jahrtausend, dazusein. Darauf werden die Menschen zum besseren Teile wieder auf eine Zeitlang halten; aber für länger als höchstens zweitausend Jahre werden die ausgebesserten Menschen abermals nicht halten, und wir werden jenseits scharfsehende Zeugen sein, daß es also gehen wird, wie ich dir's nun gesagt habe!“

12. Sagt der Oberste: „Nun, ich gratuliere dir! Du bist ein würdiger Jünger deines Meisters! Ich sehe es nun schon, daß ich es vorderhand in der wahren Weisheit mit dir nicht aufnehmen kann. Aber ich werde mir alle Mühe geben, es an der Seite meines lieben Freundes Chiwar in Kürze so weit zu bringen, daß ich über dergleichen Dinge mit dir werde Rücksprache führen können; denn mit gegenwärtiger Tempelweisheit in Jerusalem reicht man hier nicht aus, — was eben kein Wunder ist, da die gegenwärtige Tempelweisheit auch nicht weit her ist!“

94. Kapitel. Das Zusammenleben der Freunde des Herrn in Nazareth.

01. Als der Oberste lächelnd diese Bemerkung ausgesprochen hatte, brachten ein paar Bürger der Stadt einen Kranken, der viele Jahre schon an der Raserei litt. Da er aber arm war, so getrauten sich die Seinen nicht, sich bei einem Arzte für ihn um Hilfe zu verwenden, und ihn zu Mir zu bringen, getrauten sie sich auch nicht, da bei mehreren Bürgern die böse Sage war: wer sich von Mir heilen ließe, der verschriebe seine Seele dem Beelzebub! In einem fast gleichen Geruche stand auch Borus, von dem man sagte, daß er von Mir solche Stücke des Teufels erlernt habe!

02. Als darum Borus des ihm schon bekannten Rasenden ansichtig ward und seiner ihn hertragenden schwachsinnigen Freunde, so sprach er zu ihnen: „Nun, was ist euch denn nun eingefallen, diesen Kranken zu mir zu bringen? Was tat er euch denn, daß ihr ihn nun dem Teufel ausliefern wollt?“

03. Sagen die beiden: „Herr, wir sind aber eines Bessern belehrt worden und haben ihn darum nun zu dir gebracht!“

04. Sagt Borus: „Wer hat euch denn eines Bessern belehrt?“

05. Sagen die beiden: „Herr, gerade diejenigen, die uns lange zuvor in solcher Dummheit, wie mit Ketten geknebelt, belehrt und erhalten haben!“

06. Sagt Borus, etwas lächelnd: „Verstehe, verstehe! Aber, was soll ich denn nun mit diesem Rasenden anfangen? Denn sein Übel ist in ihm verhärtet infolge eurer großen Dummheit, und es wird nun bei eurem schwachen Glauben schwerhalten, diesem Menschen zu helfen!“

07. Sagen die beiden: „Herr, so wir schwachgläubig wären, hätten wir den Kranken nicht zu dir gebracht!“

08. Sagt Borus: „Nun gut, so wollen wir sehen, was Gottes Kraft im Menschen vermag!“ — Hier trat Borus mit entblößtem Haupte hin zum Kranken und sagte laut: „Ich will es im Namen Jesu, des Herrn von Ewigkeit, daß du gesund seiest, und so sei gesund und wandle fortan frei!“

09. In diesem Augenblick ward der Rasende völlig gesund und gab Gott die Ehre, daß Er dem Menschen solch eine Kraft verliehen hatte.

10. Borus aber lobte Gott selbst laut mit, beschenkte den Geheilten sowie seine beiden Freunde reichlich und ließ sogleich beiden und dem Geheilten zu essen und zu trinken geben, was da vorrätig war auf den Tischen der Gäste.

11. Da trat der Oberste zu Borus hin und sagte: „Wahrlich, das hätte ich in dir nicht gesucht! Daß im Namen Jesus eine besondere Kraft liegt, vor der, von mir wohlerfahrenermaßen, sogar die Mächte der Unterwelt einen ganz verzweifelten Respekt haben, habe ich heute in der Synagoge gesehen; aber daß vor diesem Namen sich auch die Leibeskrankheiten, welcher Art sie auch sind, beugen müssen, das haben meine Augen erst hier gesehen. Wahrlich, hinter diesem Jesus muß noch viel mehr stecken als ein bloß eliasartiger Prophet; denn durch dessen Namen ist meines Wissens noch nie ein Kranker geheilt worden! Über diesen Namen, meine lieben Freunde, werden wir miteinander noch vieles zu reden haben!“

12. Nach diesen Worten begab sich der Oberste zu dem Geheilten und fragte ihn, ob er sich nun wohl als völlig geheilt fühle!?

13. Antwortet der Geheilte: „So gesund wie ich nun bin, war ich nie zuvor in meinem ganzen Leben, — und ich zähle bereits fünfzig Jahre, und das wird etwa doch geheilt sein!?“

14. Der Oberste belobt ihn und gibt ihm ein schönes Goldstück.

15. Der Geheilte aber schiebt es mit den Worten zurück: „Herr, es gibt noch viel Ärmere hier in Nazareth, — denen gib es! Ich kann nun arbeiten, und das ist für mich Reichtum zur Genüge!“

16. Sagt der Oberste: „Das heißt wahrhaft uneigennützig sein! Wahrlich, das hätte ich in dir nicht gesucht! Nun, ich bin der Oberste der Synagoge hier in Nazareth und von ganz Galiläa und werde hier und nicht in Kapernaum residieren; daher wirst du mich wohl finden, wenn über dich je eine Not kommen sollte!“

17. Sagt der Geheilte: „Der guten Menschen gibt es wenige, und so muß jeder Arme sich die wenigen merken und zu ihnen gehen, so es ihm not tut! Ich danke dir für diesen Antrag; wenn ich in der Not sein werde, werde ich schon zu dir kommen.“

18. Nach diesen Worten erheben sich die drei, der Geheilte und seine zwei Führer, danken dem Borus und dem Obersten und entfernen sich dann ganz wohlgemut nach Hause. Ihre gemietete Wohnung hatten sie einige hundert Schritte außerhalb der Stadt, gleich Meinem Hause, das auch bekanntlich außerhalb von Nazareth stand, gerade am entgegengesetzten Ausgange.

19. Nach dieser Begebenheit im Hause des Borus wird noch viel davon geredet, und die Gesellschaft geht erst nach Mitternacht auseinander; die Mutter Maria aber bleibt eine Zeitlang im Hause des Borus, wo sie wohlversorgt ist und vielen Trost hat. Das ganze Hauswesen aber besorgen Meine zwei ältesten Brüder, die daheim geblieben sind, und Borus verschafft ihnen alles, was sie nur immer nötig haben. Und so leben Meine Freunde in Nazareth im besten Einvernehmen in Meiner persönlichen Abwesenheit und beschäftigen sich tagtäglich mit Mir, Meinen Lehren und Meinen Taten, die sie selbst erlebten.

20. Der neue Oberste aber prüft alles mit stets erhöhter Schärfe, aber er wird allzeit vom Gegenteile überzeugt; denn er gehörte auch zu den Menschen, die das am nächsten Tage ganz leicht nehmen, was sie am vorhergehenden Tage erlebt haben, und dessen vergessen, was sie versprochen haben. Und so hatten Chiwar und Roban an jedem Tage eine neue Not mit dem sonst guten Menschen, der immer die Absicht hatte, streng gerecht zu sein und zu handeln, aber dabei stets zwischen allerlei Grundsätzen von Recht und Unrecht hin— und herschwankte; denn er fragte stets, was eigentlich ,Recht‘ ist.

21. Und wenn man ihm auch tausendmal an den Fingern bewies, daß das eigentliche Recht in nichts anderem bestehen kann als allein in dem, daß der Mensch nach den Geboten Gottes lebe, so begriff er das heute ganz gründlich gut; aber am nächsten Tage fand er dafür schon eine derartige Menge von Vernunftgründen dawider, daß es dem Chiwar nicht selten sehr schwer ward, dem Obersten alle seine Gründe zu widerlegen. Und Chiwar begriff nun, warum Ich zu ihm gesagt hatte, daß er auf den Obersten stets ein scharfes Auge haben solle, da diesem noch lange nicht völlig zu trauen sein werde.

22. Am meisten aber beschäftigte den Obersten doch die Kraft Meines Namens. War er auch zu öfteren Malen unerträglich, so brachte ihn Chiwar am leichtesten mit Meinem Namen zurecht. Borus aber übte dennoch stets am meisten eine Bevormundung über ihn aus und brachte ihn allzeit auf wenigstens einige Tage zurecht, daß er fest an Meinen Namen glaubte.

23. Hiermit ist im allgemeinen gezeigt, was die Nazaräer nach Meiner Wegreise gemacht haben, und so gehen wir nun wieder zu Mir Selbst über und zu dem, was Ich nach Meiner Abreise am Abend von Nazareth weiter getan und gelehrt habe, und wohin und wie dahin Ich Mich begeben habe.

95. Kapitel. Heil- und Speisenwunder an den 5000 Menschen in der Wüste.

01. Als ich — wie schon bekanntgegeben — von den angekommenen Jüngern des Johannes vernommen hatte, was Ich ganz sicher schon früher wußte — ansonst Ich nicht schon des Morgens die ganze, große Gesellschaft zur rechtesten Zeit von Mir hinweg beschieden hätte —, da verließ Ich alsbald Nazareth und ging mit den zwölf Jüngern gen Sibarah an das Meer und da sogleich in ein Schiff und fuhr in die Gegend oberhalb von Bethabara. Im Schiffe selbst erzählten Mir die Jünger, was sie den Tag über auch sonst noch gelehrt und getan hatten, darum Ich sie denn auch belobte.

02. Als wir aber an den Ort der vorgenommenen Bestimmung gelangten, da hieß Ich die Jünger, allein im Schiffe zu verweilen, und stieg allein ans Land und ging, bloß von ein paar Jüngern begleitet, in die Wüste, um ein Plätzchen zu suchen und zu bestimmen, wo Ich Mich einige Tage lang aufhalten könnte und sicher wäre vor den bekannten Nachstellungen des Herodes.

03. Aber unserem Schiffe folgten in einiger Entfernung auch eine Menge anderer, kleiner Fahrzeuge und erfuhren dadurch leicht Meinen Aufenthalt, und das um so leichter, weil Ich durchaus nicht die Absicht hatte, Mich vor der hilfsbedürftigen Menschheit völlig zu verbergen.

04. Es dauerte darum Mein Aufenthalt in dieser Wüste auch keinen Tag, als schon von allen Städten, Märkten und Dörfern eine große Menge Volkes herbeiströmte nebst den schon alten, über achthundert zählenden Jüngern, die in den früheren Städten und Märkten zu Mir gestoßen und am Morgen des vorhergehenden Tages von Mir in ihre Heimat beschieden worden waren. (Matth.14,13)

05. Von diesen waren etliche von Kana in Galiläa und Kana in Samaria, etliche von Jesaira, etliche von Kis und Sibarah, von Kapernaum, Chorazin, Caesarea, Genezareth und Bethabara und machten Mich ruchbar noch in vielen anderen Orten, so daß aus allen diesen Märkten und Städten eine große Masse Volkes teils über den See und teils zu Fuß in die Wüste zu Mir kam, natürlich mit einer großen Menge von allerlei kranken und bresthaften Menschen. Wie schon früher erwähnt, so war kaum der Tag angebrochen, als schon bei tausend Pilger, Mir nach, Meine Lagerstätte auffanden und umlagerten.

06. Es war aber Meine Lagerstätte, die Ich in der Wüste Mir gewählt hatte, eine geraume Höhle ohne eine hinterhaltige Öffnung. Diese Höhle lag ziemlich hoch und war mit Bäumen dicht umwachsen. Es war vor der Höhle auch ein sehr geräumiger freier Platz, auf dem etliche tausend Menschen mehr denn einen hinreichenden Lagerplatz finden konnten; und auf diesem Platze hatten sich denn auch die Menschen mit ihren Kranken gelagert.

07. Da die Jünger, die um Meinen Aufenthalt wohl wußten, aber sahen, daß von allen Seiten her sich Massen von Menschen hinaufzogen und Meine Lagerstätte stets mehr und mehr umlagerten, so wurde ihnen bange um Mich. Sie überließen das Schiff ihren acht Schiffsknechten und begaben sich zu Mir hinauf, um Mir Nachricht zu geben, welche Massen von Menschen da zusammenkämen, und daß sie im Ernste nicht mehr dafür gutstehen könnten, ob nicht etwa Herodianer darunter sich befänden.

08. Als die gutmütigen und besorgten Jünger Mir solche Nachricht brachten von dem, das Mir auch also bekannt sein mußte, da ging Ich aus der Grotte hervor und besah Mir das wahrlich große Volk, und es jammerte Mich wahrhaft desselben, als es Mich da mit tränenden Augen bat, daß Ich ihre mitgebrachten Kranken heile

09. Und Ich heilte denn auch in einem Augenblick alle die anwesenden Kranken (Matth.14,14), wie auch alle, die noch auf dem mühevollen Wege zu Mir hin waren. Darauf gab es natürlich des Lobens und Preisens kein Ende. Bis gen Abend noch strömten Menschen herbei, obschon ihre Kranken auf dem Wege heil geworden waren, damit sie ihren Dank und ihren Preis darbrächten. Der Platz vor der Grotte war schon nahe gedrängt voll, so daß es den Jüngern förmlich bange zu werden begann; junge Leute stiegen sogar auf Bäume, daß sie Mich besser beschauen konnten.

10. Als aber der Abend hereinzubrechen begann, da traten die Jünger zu Mir und sprachen: „Herr, hier ist eine Wüste; die Nacht fällt schon herein und, wie wir allgemein bemerkten, so hat niemand etwas Eßbares bei sich! Laß daher das Volk von Dir, daß es in die näherliegenden Märkte ziehe und sich Brot und Speise kaufe!“ (Matth.14,15)

11. Sagte Ich zu den Jüngern: „Es ist nicht nötig, daß die Menschen darum in die Märkte gehen, sondern gebet ihr ihnen zu essen! (Matth.14,16) Zu trinken brauchen sie nichts denn Wasser, das hier in reichen Quellen vorhanden ist.“

12. Sagen die Jünger, etwas verwundert über Mein Begehren: „Herr, wir haben hier mit uns nichts denn fünf Brote aus Gerstenmehl und zwei gebratene Fische. (Matth.14,17) Was ist das für so viele Menschen?“

13. Sage Ich zu den Jüngern: „Bringet sie Mir hierher!“ (Matth.14,18)

14. Als die Jünger das taten, hieß Ich das Volk samt und sämtlich sich lagern aufs Gras, nahm darauf die fünf Brote und die zwei Fische, sah auf gen Himmel und dankte dem Vater, brach darauf die Brote und gab sie den Jüngern, und diese gaben sie dem Volke. (Matth.14,19) Die beiden Fische aber und ein wenig Brot blieben diesmal für die Jünger.

15. Und alle, die da waren, aßen genüglich davon und wurden alle genüglich satt. Da sie aber nicht alles aufessen konnten, so sammelten sie die übriggebliebenen Brocken in Körbe, die das Volk auf einer Reise gewöhnlich mitnahm; und die Körbe waren gewöhnlich ziemlich groß, da sie mittels der Achselbänder auf dem Rücken getragen wurden; und von den übriggebliebenen Brocken wurden zwölf solcher großen Körbe voll. (Matth.14,20) Derer aber, die da gegessen hatten, waren — ohne Weiber und Kinder gerechnet — bei fünftausend Mann. (Matth.14,21)

16. Daß diese Speisung, die eine gute Stunde angedauert hatte, bei diesem Volke ein großes Staunen erregte, wird hoffentlich leicht zu begreifen sein, wie auch, daß dies Volk darauf gleich unter sich beschloß, Mich zu seinem Könige auszurufen.

17. Da Ich aber solchen Plan des Volkes merkte, so gebot Ich den Jüngern, sogleich das Schiff zu besteigen und vor Mir hinüberzufahren ans jenseitige Ufer, bis Ich das Volk entließe. (Matth.14,22) Das tat Ich aber, um das Volk durch diese Bewegung an seinem Plane zu hindern, selben in die Ausführung zu bringen. Denn es begannen einige Männer eben mit den Jüngern darob Zwiesprache zu führen, an Mir das zu begehen aus übergroßer Dankbarkeit. Mir aber getraute sich niemand zu nahen!

18. Mit der alsbaldigen Hinwegsendung der Jünger räumte Ich sonach dem Volke das Mittel aus den Händen, und als die Jünger sich auf Mein Wort hin schnell auf das Schiff begaben zur mondhellen Nachtzeit, da stand auch alsbald das Volk mehr und mehr von seinem Plane ab. Nach dem Abzuge der Jünger aber, die bereits schon einige Ruten weit in die See getrieben hatten, entließ Ich sogleich das gesamte Volk, das sich auch sogleich willig von dannen begab.

19. Darauf bestieg Ich ganz allein einen nahen kahlen Berg und betete da, um Mein Fleischlich—Menschliches noch inniger mit dem Vater zu einen. Auf dieses Berges Kuppe weilte Ich denn ganz allein (Matth.14,23) und konnte recht gut sogar mit den fleischlichen Augen beim hellen Mondscheine ausnehmen, wie das Schiff der Jünger, schon auf der Mitte des Meeres, da es eben nicht sehr breit war, große Not litt von den Wellen, die ein widriger, ziemlich heftiger Wind dem Schiffe entgegentrieb. (Matth.14,24)

96. Kapitel. Die Jünger auf dem stürmischen Meer.

01. Daß die Jünger darob gerade nicht bei der besten Laune waren, läßt sich leicht denken; sie machten über Mich mannigfache Bemerkungen und Glossen, und selbst ein Petrus sagte: „Hat Er denn für diese Nacht nichts Besseres für uns gewußt, als uns dem sicheren Tode in den Wellen preiszugeben? Ist wahrhaft ein wenig sonderbar von Ihm! Ich getraue mir kaum weiter rudern zu lassen; denn ein paar Ruten weiter kommen wir auf Untiefen, Klippen und Sandbänke, und ich, als ein grau gewordener Schiffer, stehe dann weiter für nichts gut! Daher ist es besser, daß wir uns sogar bis gen Morgen hier auf der Höhe halten!“

02. Sagt Thomas: „Möchte aber auch wissen, was Er damit gewollt hat, daß Er uns so plötzlich von Sich wies und förmlich gebot, daß wir vor Ihm herüberfahren sollten!“

03. Sagt Andreas: „Meines Wissens weilt nun längs der wüsten Küste kein Schiff; ich frage: Wie wird Er uns nachkommen? Will Er etwa den Weg zu Land machen, so braucht Er gut vierzehn Stunden, um auf der unteren Seite des Meeres über Sibarah und Kis dahin zu gelangen, wo wir zu landen beabsichtigen; will Er aber über den Oberteil des Meeres dahin gelangen, so braucht Er zwei gute Tagereisen; denn dort ist unser Meer am breitesten und hat starke Einbuchtungen und weitgedehnte Versumpfungen.“

04. Sagt Judas Ischariot: „Ihr wißt alle zusammen nichts! Ich habe es schon lange gemerkt, daß wir ihm lästig geworden sind; aber es hat sich nur keine günstige Gelegenheit dargeboten, uns auf eine gute Art loszuwerden. Und seht, die Gelegenheit hat sich gemacht, und er ist uns und wir ihn los! Nun können wir ihn mit allen Fackeln suchen gehen, und wir werden ihn schwerlich je wieder zu Gesicht bekommen! Ob das von ihm aber — unter uns gesagt — gerade löblich ist, das ist eine andere Frage!“

05. Sagt Johannes der Liebling: „Nein, das tut Er ewig nie! Da kenne ich Ihn zu lange und zu gut! Das würde er nicht einmal als Mensch tun, geschweige als Gottes Sohn, der Er nun wohl ohne allen weiteren Zweifel ist in aller Fülle der Innehabung des göttlichen Geistes! Daß Er das getan, hat sicher — wie alles, was bisher geschehen ist — seinen höchst weisen Grund, und so wird das auch seinen sicher höchst weisen Grund haben! Und ich ahne es lebendig in mir, daß wir uns davon jüngst überzeugen werden!

06. Mein Gott, wenn Er, dem Himmel und Erde gehorchen, uns weghaben wollte, so bedürfte es nur eines leisesten Hauches aus Seinem Munde, und wir alle ständen am andern Ende der Welt, gleichwie es erst etwa vor drei Wochen oder höchstens einem Monate auf dem Hochgebirge von Kis, das wir von hier aus noch sehr gut sehen, auch nur eines Hauches aus Seinem Munde bedurfte, und wir machten eine blitzschnelle Reise durch die Luft und waren in einem Augenblick auch schon bei Ihm auf der Höhe! — Mein lieber Bruder Judas, nur mit solchen gar lächerlich dummen Meinungen von Ihm mußt du mir nicht kommen; denn damit legst du allzeit ein Zeugnis deines Unglaubens ab!“

07. Sagt Nathanael, der auch im Schiffe war: „Ich bin sonst ganz der Meinung des lieben Bruders Johannes; aber nur das meine ich, daß es denn doch bei aller unserer Gewissenssorgfalt etwa doch möglich wäre, daß wir uns irgendwo und irgendwodurch gegen Ihn versündigt haben und Er es uns nicht hat sagen wollen, sondern uns dafür uns selbst überlassen hat, daß wir uns inniger und tiefer beschauen sollten. Er wird dann schon wieder zu uns kommen, wenn wir uns völlig werden gereinigt haben.

08. Freilich habe ich nun mein Gewissen schon ganz entsetzlich durchforscht, kann aber leider nichts finden, was mir als ein Unrecht dünkte. Wahrlich, für mich wäre nun eine bewußte Sünde eine ordentliche Wohltat; denn sie wäre mir ein Licht, an dem ich erkennen würde, daß ich diese Verweisung vom Herrn aus verdient habe, und eine aufrichtige Reue wäre ein Balsam für mein Herz! Aber so suche ich mit allem Eifer eine Sünde an mir und kann keine finden, um derentwillen es sich der Mühe lohnte, in Sack und Asche Buße zu tun! Wahrlich, jetzt beneide ich einen Sünder! Es sei ferne, daß ich darum ein Sünder werden möchte; aber so ich nun einer wäre, wäre es mir leichter ums Herz! Oh, wie süß muß es sein, vor Gott und den Menschen ein rechter Büßer zu sein! Aber wie kann ein stets gerechter Mensch, ohne sich vor Gott lächerlich zu machen, das Gewand der strengsten Buße anziehen?“

09. Sagt Bartholomäus: „Aber was du doch für sonderbare Ideen oftmals hast! Wem könnte es denn je einfallen, einen Sünder als glücklicher anzupreisen denn einen Gerechten?“

10. Sagt Johannes: „Hat nicht ganz unrecht! Freilich wird hier nur ein Sünder aus Schwäche und manchmal unüberlegter Leidenschaft, nicht aber ein abgefeimter Knecht der Hölle verstanden; und da möchte unser Bruder Nathanael eben nicht ganz unrecht haben!“

11. Sagt Jakobus: „Ja, ja Brüder! Unser Nathanael ist ein Mann, dem wir, was die tiefe und feine Weisheit betrifft, alle zusammen nicht das Wasser reichen können; denn er versteht es so recht aus der Tiefe herauszuholen! Er ist immer der Stille und Wortkarge; aber wenn er spricht, da muß man ihn hören! Denn seine Worte sind stets inhaltschwer!“

12. Sagt Nathanael: „Aber Bruder Jakobus, lobe mich doch nicht immer, wenn ich dann und wann etwas sage! Der Herr weiß es ja am besten, was an mir und meiner schwachen Weisheit ist; denn wäre etwas daran, da wäre ich auch schon lange dir gleich ein Bote geworden, so aber bin ich noch immer nur ein Schüler, weil es der Herr wohl wissen wird, was mir noch abgeht. Ich habe wohl einen poetischen, aber darum noch lange keinen prophetischen Geist! Da siehe dir den jungen Bruder Johannes an, der ist ein Prophet schon von der Wiege an; das weiß der Herr und hat ihn darum zu Seinem Geheimschreiber gemacht!“

13. Sagt Johannes: „Ah, warum nicht gar! Was wäre denn hernach der Bruder Matthäus?“

14. Sagt Nathanael: „Der ist des Herrn Offenschreiber — und nur du Sein Geheimschreiber!“

15. Sagt Johannes: „Mag wohl sein! Und wenn es so ist, so will es der Herr also, und wir müssen es nehmen, wie es uns der Herr gibt!“

16. Brummt Judas Ischariot darein: „Wird euch fortan wahrscheinlich nichts mehr geben! Der Stundensand ist bereits viermal abgelaufen, während wir hier noch immer zwischen Luft und Wasser schweben, was soviel sagen will: als zwischen Leben und Tod; und ich entdecke noch immer kein Fahrzeug, das uns nachführe!“

17. Sagt Johannes: „Das macht ja auch nichts; denn Er hat es uns ja nicht zeitbestimmlich gesagt, wann Er nachkommen werde!“

18. Sagt Judas: „Dafür wird er wahrlich seinen wohlweisen Grund haben! Das verstehen wir!“

19. Sagt Johannes: „Freund, sage du mir einmal denn doch ganz aufrichtig, ob du denn nach allem dem, was du doch mit deinen höchst eigenen Augen gesehen und mit deinen höchst eigenen Ohren gehört und sicher mit allen deinen Sinnen gefühlt und empfunden hast, noch nicht glaubst, daß unser Herr Jesus, so gewiß ich Johannes heiße, wahrhaft Gott ist und Ihm alle Gewalt, in den endlosen Himmeln und auf dieser Erde zu schaffen, zu schalten und zu walten, vollkommen eigen ist! Ich bitte dich, daß du mir ein aufrichtiges Wort redest!“

97. Kapitel. Judas preist die Wunder der Essäer.

01. Sagt Judas: „So ich das gleich so ohne alles Bedenken glaubte, da müßte ich so schwach sein wie du und mehrere von euch! Es ist im ganzen noch kaum ein halbes Jahr, daß wir bei ihm sind und so manches gehört und gesehen haben, was unleugbar außerordentlich und wunderbar ist, und ihr, die ihr ganz einfache Leute seid und noch nie etwas anderes gesehen und gehört habt als diesen, uns alle freilich himmelhoch überragenden Jesus, ihm allerdings die volle Göttlichkeit beimessen müsset. Für euch genügen diese seine Werke und Reden ganz sicher; aber bei mir steht die Sache ganz anders, da ich weit herumgekommen bin und viel anderes Wunderbare gesehen und gehört habe hie und da! Gehet zu den Essäern und sehet, welche Werke sie verrichten, und ich wette, ihr haltet sie alle für lauter Götter, gleich den Römern und Griechen, die ihnen sogar reiche Opfer spenden, weil sie meinen, daß sie Götter seien.

02. Sehet, alles das, und hie und da noch Außerordentlicheres, was unser Jesus tut, könnt ihr ebensogut bei den Essäern sehen. So es aber auf der Erde noch eine Menge Menschen gibt, die das leisten, was unser Meister Jesus leistet, da sehe ich denn doch unmöglich ein, wie und warum wir ihm so ganz eigentlich die ausschließlichen Prärogative (Vorrechte) der totalen Göttlichkeit als ungezweifelt wahr beilegen sollten.

03. Ja, wenn er der einzige auf der Erde wäre, dem die Elemente gehorchen, dann wäre es mit dem Glauben an seine Göttlichkeit ein leichtes; aber da es, meiner nur zu lebendigen Erfahrung zufolge, mehrere solcher Menschen auf der lieben Erde gibt, die einen Rock ohne Naht am Leibe tragen, so muß unser Jesus noch viel mehr leisten, auf daß wir ihm die ausschließlichen göttlichen Prärogative beilegen und dann sagen und ungezweifelt glauben können: Das ist Jehova, wie Er von Ewigkeit her war!

04. Ihr haltet die Erweckungen vom Tode, die plötzliche Vermehrung von Speisen und Getränken, die Herstellung von Gebäuden und das Zeichentun in den Mond und in die Sonne für Gotteswunder! Das ist aber noch lange nicht genügend, die Göttlichkeit eines, solches zu wirken imstande seienden Menschen zu erweisen; denn solches und ähnliches habe ich zu öfteren Malen bei den Essäern gesehen. Die Heilung der Kranken wird dort nur so nebenbei betrieben; aber ich selbst war Zeuge, wie der Oberste der Essäer in den Mond hineingeschrieben hat in drei Sprachen! So war ich Zeuge, wie er die Sonne einmal am hellen Mittage total verfinstert hat! Er hatte seine Zeichen und eine Rechnung gemacht und sagte zu uns darauf: ,In einer Stunde will ich eine Plage den Menschen geben; ich werde die Sonne auf mehrere Augenblicke lang vollkommen finster machen, und es soll finster sein auf der ganzen Erde!‘

05. Wir andern machten auf diese, eben nicht gar zu angenehme Verheißung ganz große Augen und warteten mit ängstlicher Spannung auf die verheißene Plage, welche mit jedem Augenblick an der Wahrscheinlichkeit gewann, da es nach und nach auf diese Verheißung stets dunkler und dunkler zu werden begann! Als der Sand nahezu abgeronnen war, streckte der Oberste seine Hände aus und sprach in langsamem Pathos: ,Ich will es! Sonne, werde finster!‘ Da ward die Sonne finster, und auf der ganzen Erde war es finster wie zur Nachtzeit. Nach einigen Augenblicken, und zumeist durch unsere glühende Bitte bewogen, streckte er wieder seine Hände aus, deren Finger wie glühend aussahen, und sprach zur Sonne: ,Es genügt die Plage den Menschen; darum entzünde dich nach und nach wieder und erleuchte und erwärme den Erdkreis!‘ Und sehet, auf solch sein Geheiß ward die Sonne gleich wieder leuchtend und nach einer halben Stunde mit all ihrer Wärmekraft wieder beisammen!

06. Also stand unweit des großen Wohnschlosses der Essäer in ihrem großen, mit hohen Mauern eingefriedeten Garten ein bedeutender Berg, der gut die zweifache Höhe eines Schlosses hatte. Ich kam alle Jahre viermal mit allerlei Kochgeschirren zu den Essäern; einmal sagte einer der Essäer zu mir: ,Wenn du wieder ein großes Wunderwerk von der Kraft des Willens unseres Obersten sehen willst, wie sich auch Berge seinem Rufe fügen müssen, so bleibe heute hier! Siehe, jener Berg dort ist uns im Wege; heute siehst du ihn noch als Berg, und morgen wirst du an seiner Stelle einen prachtvollsten Palast ersehen!‘

07. Ich besah mir den Berg, der kaum vierhundert Schritte vom Wohnschlosse abstand, genau, und meine Augen trügen nicht, es war ein nackter, hie und da nur mit spärlichem Moose und Kleingestrüppe bewachsener Felsblock. Da sagte ich lächelnd zum Essäer: ,Wenn das im Ernste ein Felsberg ist, woran ich nicht zweifle, so muß eurem Obersten eine rein göttliche Kraft innewohnen, so er aus diesem Marmorberge über die Nacht einen Palast zu schaffen imstande wäre!‘

08. Darauf sagte der Essäer: ,Zweifelst du etwa, daß der Berg ein ungeheurer Steinklotz ist? Wenn du zweifelst, so gehe mit mir und überzeuge dich!‘ Ich aber sagte: ,Freund, was meine scharfen Augen sehen, das brauche ich nimmer mit den Händen anzutasten; denn auf vierhundert Schritte unterscheide ich noch die kleinsten Gegenstände!‘ Sagte der Essäer: ,Nun gut denn, so bleibe hier, und ich werde eine Menge wunderbarer Erscheinungen produzieren!‘ — Ich kann noch nicht staunen genug, was ich da alles gesehen habe!

09. Der Essäer führte mich in eine große, dunkle Kammer, in der wenigstens hundert Leichen auf eigenen Leichenbetten umherlagen, und der nur zu bekannte starke Leichengeruch sagte mir nur zu deutlich, daß die da in einer weiten Reihe umherliegenden Leichname keine lebenden Menschen mehr waren. Während wir beide unter den vielen Leichen umhergingen und sie auch hie und da befühlten, brachten vier Träger noch zwei hinzu, legten die Entseelten auf noch leere Betten und verließen darauf die Kammer.

10. Ich fragte meinen Führer, ob er denn keine Scheu habe vor so vielen Toten! Und er entgegnete: ,Warum denn? Solange sie tot sind, können sie uns nichts tun, und wenn ich sie wieder ins Leben rufe, werden sie mir darum nur danken, daß ich sie vom sichern und gewissen Tode wieder zum Leben erweckt habe! Siehe, es sind darunter Männer, Weiber und Mägde! Es ist nur schade, daß diesmal keine Kindlein darunter sind. Aber sei standhaft und erschrick nicht, wenn sich auf mein Wort alle von den Lagern erheben werden!‘

11. Ich stellte mich so hübsch nahe an die Ausgangstüre, um im Falle der Not bald das Freie zu gewinnen.

12. Der Essäer aber erhob seine Hände und rief mit mächtiger Stimme: ,Erwachet ihr Toten alle, lebet danach fort und erwerbet euch mit euren lebendigen Händen redlich euer Brot! Gebet aber auch vor allem dem höchsten Gottgeiste die Ehre darum, daß er uns Menschen solche Weisheit und Kraft gelehrt hat!‘

13. Auf diese Worte des Essäers erhoben sich alle Toten und dankten mit großer Inbrunst dem Essäer für die Erweckung und waren völlig gesund und voll Freundlichkeit. Er begrüßte sie ebenfalls sehr freundlich und entließ sie hernach.

14. Das wird etwa doch auch eine Totenerweckung sein, wenn einhundertundzwei Leichname auf einmal wieder ins Leben gerufen werden!? — Ich fragte darauf den Wundermann, ob so etwas im Jahre mehrere Male geschehe. Und er sagte: ,Das geschieht in jeder Woche einmal. Der Oberste aber kann auch ganz entfleischte Gerippe wieder vollkommen also beleben, daß sie darauf ebenso vollkommen wieder leben wie diese, die ich hier erweckt habe! Aber diese Kraft besitze ich noch lange nicht!‘

15. Er führte mich darauf in eine andere, noch dunklere Kammer und zeigte mir eine große Menge von puren Gerippen, die ebenfalls auf reihenweise gestellten Bänken lagen. Ein Mattlicht nur erhellte diese schreckliche Kammer ein wenig; aber man konnte die Gerippe ganz leidlich ausnehmen.

16. Wir besahen uns eine Weile diese höchst leblosen Gebeine. Da kam der Oberste furchtbar ernsten Aussehens und fragte meinen Führer, ob ihm die Wiedererweckung der Leichen völlig gelungen sei. Und er antwortete darauf mit einem allerehrfurchtsvollsten ,Ja, hoher, weisester Meister!‘. Darauf sprach der Oberste: ,Nun, so habe denn auf alles acht; dich will ich nun auch in Gegenwart dieses Fremden einweihen, daß du in Zukunft auch die entfleischten Totengebeine sollst zum Leben erwecken können! Gehe hin und betaste mit dem Daumen und dem Mittelfinger beider Hände bloß die Brust und den Schädel der Gerippe, darauf zähle langsam bis sieben und rufe darauf laut: ,Umhüllet euch mit Fleisch und Haut, und das Lebensfeuer dringe aus den Wänden hervor und belebe euch zu ordentlichen Menschen!‘

17. Solches tat nun augenblicklich mein Führer, und auf dessen letzten Ruf schossen auch im vollsten Ernste starke und reine Flammen hervor, und die ehemaligen Gerippe, von denen nun keine Spur mehr zu entdecken war, standen als vollkommene Menschen voll Leben und voll Regsamkeit, auch bei hundert an der Zahl, vor uns, begrüßten uns und dankten dem Obersten für diese erwiesene Gnade. Dieser beschied sie hinaus in die frische Luft, die ihnen nun not täte vor allem. —

18. Was saget ihr zu allem dem? Wie weit hinten steht da noch unser Meister! —

19. Darauf ward ich zum Speisen geladen, und wir setzten uns an einen langen, speisenleeren Tisch. Der Oberste verrichtete in einer fremden Zunge ein Gebet, sah gen Himmel, und wir alle folgten seinem Beispiele. Da krachte es auf einmal, als ob des Zimmers Decke eingestürzt wäre; und sehet da, weder ich noch sicher jemand anders konnte sich's versehen, wie die Sache vor sich gegangen war, — und wir saßen an demselben Tische zwar noch, aber er war nun nicht mehr leer, sondern vollbesetzt mit den besten Speisen und Getränken, wie sie sich für ein königliches Abendmahl schicken! Nach dem Abendmahle besah ich mir noch einmal den Berg, der während der Nacht in einen Palast umgestaltet werden sollte, und begab mich darauf nach der Ordnung der Essäer in ein abgesondertes Gemach zur Ruhe.

20. Früh am Morgen schon kam mein Führer zu mir und sprach: ,Komm und schaue!‘ Und ich ging voll Neugierde mit ihm, — und von dem Felsen war keine entfernteste Spur mehr vorhanden! An dessen Stelle stand ein großer königlicher Palast, in dessen weiten Gemächern ich herumgeführt wurde, wobei ich mich fest überzeugt habe, daß das ganze Wunder kein Blendwerk war. —

21. Ich aber frage euch nun, ob uns unser Meister Jesus etwas Höheres und Wunderbareres vorgeführt hat! Und ihr erkläret ihn schon für den Jehova Selbst!

22. Es sollte euch darum in der Folge, wenn wir noch einmal das Glück haben sollten, ihn zu sehen, nicht allzeit ärgerlich erfassen, so ich von Zeit zu Zeit irgend Fragen stelle, die euch, wie ihm, sicher nicht munden; denn ich habe viel Wunderbares vor Jesu gesehen und gehört, und so ihr das recht wohl bedenket, so kann es euch alle, wenn ihr einige männliche Kraft in euch verspüret, nimmer ärgerlich wundernehmen, so ich mich manchmal ein wenig absonderlich gebärde!“

98. Kapitel. Johannes und Bartholomäus erklären dem Judas die Trugwunder der Essäer.

01. Sagt Johannes: „Das, was du uns jetzt von den Essäern erzählt hast, habe ich, und so mancher von uns, schon lange gewußt! Aber wir wissen noch mehr als du, und das besteht darin, daß wir wissen, daß eben deine uns angerühmten Essäer noch viel großartigere Betrüger und Halunken sind als die bekannten, jetzt schon nahezu allen Glauben verloren habenden Seher von dem Orakel zu Delphi!

02. Denn diese Menschen — noch ein Überbleibsel aus der alten ägyptischen Priesterkaste, versehen mit großen Schätzen, bestehend in Gold und Silber und den kostbarsten Edelsteinen und Perlen — haben sich an der Grenze zwischen unserem gelobten Lande und Ägypten eine wahre Wundermühle errichtet und besitzen eine zweite nun schon in der Nähe von Jerusalem, mit der sie auch schon die besten Geschäfte machen! Siehe, das wissen wir, und es wundert uns sehr, daß du, der du doch sonst nicht auf den Kopf gefallen bist, das nicht wissen solltest!“

03. Sagt Judas: „Ich habe doch allzeit meine gesunden fünf Sinne bei mir gehabt!“

04. Sagt Johannes: „Und hast dennoch nichts gesehen und gehört und nichts gefühlt und begriffen! Meinst du denn, daß die Toten, die du hast erwecken sehen, wirkliche Tote waren?“

05. Sagt Judas: „Was sonst?“

06. Sagt Johannes: „Siehst, wie du da in der eigens dafür dunklen Kammer nichts gesehen hast!? Die dir gezeigten Toten waren als dir gezeigte Tote ebenso lebendig wie du, und der Erweckungsruf war nichts als ein Zeichen, wann sich diese von ihren scheinbaren Totenbetten zu erheben hatten. Da frage unsern guten Bruder Bartholomäus, der zwei Jahre lang als Toter bei den Essäern in gutem Dienste war, aber nach zwei Jahren endlich dennoch eine gute Gelegenheit fand, ganz geheim aus dem furchtbaren Kloster dieser Betrüger zu entkommen; der wird es dir schon erzählen, auf welche Art und Weise die Essäer ihre Toten erwecken!

07. Er war, wie er mir oft erzählt hat, alle Wochen hindurch viermal tot! Zuerst in der Kammer der jüngst Verstorbenen und darauf gleich noch einmal in der Kammer der Totengerippe, wo die schwarzen Gestelle, auf deren Deckeln die Gerippe zumeist nur gemalt und nur auf den ersten, wegen des Anfühlens seitens der eingeführten Fremden, aus Holz geschnitzt angeheftet sind, in Reihen angebracht sind. Diese Gestelle sind Bänke mit halbrunden Überdeckeln, die mit der Unterbank mit Bändern zum Auf— und Zumachen versehen sind. Die lebendigen Menschen müssen sich auf die Unterbank legen; dann werden über sie die beiden Seitenflügel, die auf der Außenseite mit der Totengerippgestalt zumeist nur bemalt sind, geschlagen. Kommen dann ein oder mehrere Fremde, und zwar in die sehr dunkel gehaltene Kammer, so wird die Erweckung bewerkstelligt. Der Erweckungsruf ist dann wieder nichts anderes als ein Zeichen zuerst für die zwölf außerhalb der Wände der Gruft vor den bestimmten Öffnungen harrenden Knechte, die auf solchen Ruf fein gepulvertes Harz, das in eine Röhre gestreut ist, über kleine, flammende Pechpfannen in die Öffnungen hinein— und hindurchzublasen haben, was allzeit einen großen Flammenqualm verursacht.

08. Wenn nun auf den Ruf diese Flammen aus den Wänden hervorschlagen, so erschrecken die Fremden, und in diesem wohlberechneten Verwirrungsaugenblick müssen die auf den Bänken Liegenden schnell die Deckel auseinanderreißen und sich dann langsam von ihren Bänken erheben und darauf des Scheines halber in aller Zerknirschtheit ihrem Erwecker den Dank und den Preis darbringen. — Siehe, darin besteht die Totenerweckung in der Gerippekammer! Da aber steht der Bruder Bartholomäus als Zeuge!“

09. Sagt Judas, die Posserei einsehend, ganz verdutzt: „Nicht übel! Der Betrug ist fein ausgedacht und muß diesen Lumpen sehr viel Geld eintragen. Aber, wie machten sie denn hernach aus dem Felsberge den Palast?“

10. Sagt nun Bartholomäus: „Der Palast ist schon lange erbaut! Hast du aber über dem Palaste auf einem starken und hohen Pfeiler nicht eine große Kuppel gesehen?“

11. Sagt Judas: „O ja, die habe ich wohl gesehen und bewundert!“

12. Sagt darauf Bartholomäus: „Siehe, in der Kuppel liegt das leinwandene Geheimnis, wie die Essäer diesen Palast in einer halben Stunde in einen scheinbaren Berg und in einer gleichen Zeit den Scheinberg wieder in den wirklichen Palast verwandeln können! — Verstehst du mich, oder muß ich mich deutlicher ausdrücken?“

13. Sagt Judas: „Oh, ich verstehe dich nur zu gut! Aber wer sollte das meinen, daß diese so fromm und weise tuenden Kerle mit gar so lumpigen Salben gesalbt sein sollen? — Ja, wie ist es denn dann mit der Schrift im Vollmonde und mit der totalen Verfinsterung der Sonne?“

14. Sagt Bartholomäus: „Das geht gar ins Lächerliche, und ich habe diesen künstlichen Mond mit fünfzig andern starken Männern gar oft auf einer ungeheuer langen Stange vom Erker des Schlosses in die freie Luft in einer schiefen Richtung hinaushalten müssen! Der Mond selbst aber besteht aus einem bei zwei Spannen breiten Siebreife, der zu beiden Seiten mit weißem Pergamente überzogen ist. Der Reif hat einen Durchmesser von zehn starken Handspannen und ist inwendig, das heißt innerhalb der beiden Pergamentdeckel — und zwar in der Mitte des Kreises — mit vier Öllampen versehen, die, angezündet, innerhalb der beiden weißen Pergamentdeckel einen starken Schein verbreiten. Die dem Schlosse zugekehrte Seite ist mit ziemlich großen, sehr schwarzen Lettern in drei Zungen beschrieben. Wenn nun ein Fremder schnell an ein bestimmtes Fenster geführt wird, so ersieht er scheinbar am Firmamente den beschriebenen Vollmond, den, wie gesagt, fünfzig starke Menschen auf einer gut bei zwölf Klafter langen Stange, die vom Fremden aus dem bestimmten Fenster nicht bemerkt werden kann, schief quer über hoch in der Luft emporhalten. — Nun, wie gefällt dir der Vollmond?“

15. Sagt Judas: „Ach, höre auf, das geht ja ins rein Scheußliche alles Betruges! — Ja, wie ist dann die Verfinsterungsgeschichte mit der doch wirklichen Sonne?“

16. Sagt Bartholomäus: „Das geht durch eine gewisse kunstvolle Berechnung, aus der sich die Zeit einer künftigen natürlichen Sonnenfinsternis, die, wie mir einer einmal erklärte, durch den Mond, wenn dieser am Tage über die Sonne hinweggeht, bewirkt wird, genau soll ermitteln lassen. An dieser Berechnung ist aber auch allein etwas daran, weil sie wirklich ins Gebiet des menschlichen reinen Wissens und Kennens gehört, und die Essäer haben sie von Ägyptern erlernt. Was aber den anfangs leeren und darauf gedeckten Tisch voll Speisen betrifft, so ist auch das auf einer höchst einfachen Maschine beruhend, die ungefähr auf die Weise wie die Gerippebänke in der dunklen Kammer bestellt ist!

17. Sieh, sogestalt sehen die Wunder der Essäer aus, von denen du aber nicht den hundertsten Teil gesehen hast, und die ganz geeignet sind, jeden Nichteingeweihten, wenn auch sonst noch so vernünftigen und erfahrenen Menschen, auf das allerweidlichste breitzuschlagen.

18. So ist in einem entferntesten Winkel des großen, mit sehr hohen Mauern eingefriedeten Gartens ein Wald, in dem der Fremde die Bäume reden hört; in einem andern Teile des Gartens reden die Felsen, und an einem dritten Ort kannst du sogar eine aus der Erde sprudelnde Quelle reden hören! In einem Bassin aus Quadern, über eine Klafter tief gemauert, befindet sich eine Menge zahmer Schlangen, die täglich mit Milch gefüttert werden. Diese reden auch dann und wann! An einem andern Punkte des Gartens spricht sogar das Gras! — Es wäre da viel zu reden, wenn man das alles beschreiben möchte; es genügt, so ich dir sage, daß da nahezu Tag für Tag bei 30 bis 40 Fremde breitgeschlagen werden um viel Gold und Silber!“

99. Kapitel. Die Philosophie der Essäer.

01. (Bartholomäus): „Das Schönste aber ist noch das, daß dann und wann auch wirklich verstorbene Kinder reicher Eltern zur Wiedererweckung angenommen werden, wo aber der wiedererweckte Sohn oder die wiedererweckte Tochter den Eltern nicht vor einem, manchmal auch zwei Jahren wiedergegeben werden. Wenn durch vieles Bitten und um vieles Gold und Silber eine verstorbene Tochter oder ein verstorbener Sohn in der Erweckungsanstalt der Essäer angenommen wird, so geht so eine Art Heiland von einem Essäer zu den traurigen Eltern und erkundigt sich haarklein um alles, was das verstorbene Kind nur immer betreffen mag. Es muß da genau das Alter angeführt werden, so auch alles, was das verstorbene Kind je gehört, gesehen und gelernt hatte, ob und was es gerne gegessen und getrunken, wie sein Bett und Wohnzimmer aussah, wer und wie beschaffen des Kindes Gespielen und Freunde waren, was sich alles unter ihnen zugetragen, und bei welchen Gelegenheiten und an welchen Orten; kurz, da darf nicht die geringste Kleinigkeit verschwiegen werden, — denn sonst, sagt der Essäer, kann die Wiedererweckung nicht bewerkstelligt werden!

02. Die guten Eltern erzählen das auch gerne haarklein und meinen ungezweifelt, daß der forschende Essäerheiland solches vollwahr zur Erweckung ihres verstorbenen und vielgeliebten Kindes benötige. — Allein der Essäer braucht solches zu etwas ganz anderem!

03. An der Grenze von Ägypten haben die Essäer eine große Menschenzuchtanstalt von allen möglichen Arten und Gestalten, nehmen ganz geschickt ein Abbild von dem Verstorbenen, den sie darauf bald und recht tief in die Erde begraben. Mit dem Abbilde gehen sie dann in ihre große Zuchtanstalt und suchen sich unter den mehreren Tausenden von Kindern jeden Alters das dem Abbilde des Verstorbenen ähnlichste heraus, nehmen es mit und erziehen es dann auf das sorgfältigste in allem dem, was sie vom Verstorbenen wissen, und führen es oftmals ganz geheim an die Orte hin, an denen der Verstorbene oft war, laden nach und nach auch dessen Freunde ins Kloster und machen den Neuerweckten mit ihnen vorteilhaft bekannt. Sie machen ihn mit der Einrichtung des zukünftigen Elternhauses auf das möglichst genaueste bekannt, beschreiben alle Zimmer, damit der seine Eltern dann um alles fragen kann und die Eltern dadurch eine wahrhaftige Freude haben an ihrem Sohne oder an ihrer Tochter. Kurz, es wird die Sache so klug bestellt, daß die Eltern darüber auch nicht den allergeringsten Zweifel haben, daß der von der Erweckungsanstalt ihnen als wieder lebendig zurückgegebene Sohn oder die Tochter echt sei. Natürlich wird dann bei der Rückgabe ungeheuer gezahlt, und das mit vielen Freuden.

04. Den armen Eltern kommt so ein Wunder freilich fast nie zugute; aber sie werden dafür recht herzlich getröstet und durch allerlei kleine, wenig kostende Wunder im Glauben bestärkt, daß ihr verstorbenes Kind in geradester Linie ins Elysium aufgefahren sei, und das macht die armen Eltern dann auch wieder frohgestimmt.

05. Im Grunde aber haben diese Essäer gar keine schlechten Lebensgrundsätze; denn sie sagen: ,Es muß eine Gesellschaft von tiefgebildeten Menschen unter den Menschen sein, die dann für die Beglückung ihrer Nebenmenschen alles aufzubieten hat, was auch immer für Mittel sie zum Zwecke für vollends tauglich findet. Solch eine gebildete Gesellschaft hat durch ihr jahrelanges Lernen, Denken und Forschen gefunden, daß der Tod die letzte Linie aller Dinge ist, und daß es nach dem Tode kein Bewußtsein und kein Leben unter irgendeiner Form mehr gibt. Die Glieder der Gesellschaft aber haben Philosophie genug, um das Leben zu verachten und lange nicht als der Güter Höchstes zu betrachten; aber um die Außenmenschen glücklich zu machen, muß ihnen noch ein vollkommeneres Leben der Seele nach dem Tode gepredigt werden. Um den Außenmenschen aber solches fest begreiflich zu machen, muß man Scheinwunder zu Hilfe nehmen. Je außerordentlicher dieselben zustande gebracht werden können, desto wirksamer sind sie!

06. Dazu aber gehört von seiten der eingeweihten Mitglieder stets die tiefste Verschwiegenheit, und ein jeder hat die strengste Pflicht, vor den Außenmenschen die Wahrheit zu fliehen, mehr denn die Pest; denn jede Wahrheit macht den Menschen zum Sklaven des Todes. Darum auch schon Moses in seiner Genesis auf diesen Umstand in einem einzigen, kurzen Verse mit der reinen Wahrheit zum Vorscheine kam, da er sagte: ,Wenn du vom Baume der Erkenntnis — was soviel heiße als vom Baume der Wahrheit — essen wirst, da auch wirst du sterben!‘ Und so geht es mit jedem Menschen, der allenthalben nach der Wahrheit trachtet und sich ihr, und somit dem Tode, in die Arme wirft. Darum hat auch Moses, als ein in alle Weisheit und Wahrheit der ägyptischen Priesterkaste Eingeweihter, für die Juden sogleich einen Priesterstand gebildet, der sich — freilich schon ganz entartet — bis auf diese Zeit erhalten hat.

07. Der Hauptgrundsatz muß aber Liebe sein, mit der im unwandelbaren Verbande zu leben die Außenmenschen wie von Gott aus verpflichtet sein sollen, und es müssen darum die Menschen sogar durch Gesetze, die Gott geoffenbart habe, streng zur Ausübung dieser Tugend angehalten werden. Damit sie sich solcher Tugend stets mehr und mehr befleißen und sich die gepredigte Gottheit als daseiend mehr versinnlichen, so muß ihnen die Liebe zu Gott vor allem so stark als möglich ans Herz gelegt und Gott Selbst ihnen einerseits als ein guter Vater voll der höchsten Liebe, anderseits den Widerspenstigen gegenüber auch als allergerechtester Richter dargestellt werden, der alles Gute der gepredigten Liebe gemäß ewig belohnt, alles Böse aber auch als der gepredigten Liebe zuwider zeitlich und ewig bestraft; dadurch wird die Menschheit am leichtesten im Zaume gehalten und zu allerlei guten und nützlichen Dingen zu verwenden sein.

08. Sollte sich jedoch ein Mensch vorfinden, der anfinge, seinen Nebenmenschen die Wahrheit zu predigen und dergleichen Anstalten wie die ihrige zu verdächtigen, so solle von der Anstalt aus alles aufgeboten werden, solch ein Ungeheuer, das den Millionen durch seine Wahrheitslehren den Tod bringt, so schnell wie möglich aus dem Wege zu räumen, oder noch besser, womöglich für die Anstalt zu gewinnen! Denn nichts sei den Außenmenschen gefährlicher als was immer für eine Aufklärung im Bereiche des Glaubens an einen Gott und an ein ewiges Leben.‘ —

09. Siehe, das sind die Lebensgrundsätze der von dir, Bruder Judas, so berühmt uns vorgeführten Essäer! Weltlich genommen kann man sie nicht zu sehr tadeln, aber geistig, wie wir nun ein ganz anderes Licht haben, sind sie über alle Maßen verwerflich! Denn aus ihrem Munde hört nie ein Uneingeweihter auch nur eine wahre Silbe; und will er vor ihnen die Wahrheit reden, so schreibt er sich dadurch sein sicheres Todesurteil!“

10. Sagt Judas, ganz zornig aussehend: „Oh, sind das doch Bestien! Nein, daß diese Kerle mit solchen Salben gesalbt sind, davon hätte ich ohne dich auch nie eine Silbe geglaubt; aber da du, als selbst ein einstmaliger Essäer, uns nun solches kundgibst, glaube ich es! — Aber wie kamst du denn mit heiler Haut aus dem Kloster?“

11. Sagt Bartholomäus: „Ich ließ mich vollends einweihen, legte meine Proben ab und kam dann zur Besorgung des Außendienstes hierher. Und weil ich das Vertrauen genoß im Vollmaße, so ward ich auch draußen belassen; denn diesen Vorteil gewährt das Kloster recht gerne, weil es davon nur Vorteile ziehen kann und nie irgendeinen Schaden.

12. Nun aber, da ich statt der Lüge die vollste Wahrheit habe kennengelernt, bleibe ich schon desto sicherer für immer draußen! Von mir aus sollen die im Kloster nie erfahren, was ich weiß; aber mit der Zeit sollen es die, die draußen sind, erfahren, was die Essäer im Kloster tun!“

100. Kapitel. Die bedrängten Jünger auf dem Meere.

01. Sagt Petrus: „Aber es wird nun schon die dritte Nachtwache sein (etwa ein Uhr nach Mitternacht), und noch ist von keiner Seite her ein Fahrzeug auf dem Meere zu entdecken!“

02. Sagt Andreas, der sehr scharfe Augen hatte: „Ich entdecke auch nichts, — kann schauen, wie ich will!“

03. Sagt der Zöllner Matthäus: „Wenn sich nur einmal der uns gar widrige Wind legte! Die Schiffsknechte sind schon vom starken Rudern ganz erschöpft, trotzdem wir sie nun schon einige Male recht tüchtig unterstützt haben. Nur mit aller Anstrengung können wir uns auf der hohen See erhalten. Wenn es nur einmal zu grauen anfinge! Der Morgen bringt uns sicher einen andern Wind!“

04. Sagt Nathanael: „Ich fragte um alles andere wenig, wenn nur der Herr nachkäme, — sonst es vielleicht denn doch rätlich wäre, daß wir wieder zurückführen und Ihn suchen gingen! Am Ende ist Er möglicherweise etwa doch in die Hände der Herodesknechte geraten!?“

05. Sagt Simon: „Ah, was nicht noch alles! Er, dem alle Himmel und alle Elemente zu Gebote stehen — und die elenden Knechte Herodes! Er hat es einmal gesagt, daß Er nachkommen werde, so Er alles Volk entlassen haben wird, und daß wir vor ihm hinüberfahren sollen! Was Er sagt — ist heilig und somit überwahr! Wir werden das andere Ufer noch lange nicht erreicht haben bei diesem widrigen Winde, und Er wird bei uns sein! Denn wer den Winden gebieten kann, der kommt leicht und geschwind übers Meer!“

06. Sagt Johannes: „Bin ganz deiner Meinung! Darum vertrauen wir nur alle fest auf Ihn, Er verläßt uns in Ewigkeit nicht! Sehet, bei dem starken Winde, der uns nun schon bei fünf Stunden lang plagt, würden unsere Ruder eine ganz schlechte Wirkung gegen den Sturm zustande gebracht haben, wenn uns Seine Macht über die Elemente nicht auf der Höhe des Meeres erhalten hätte! Ohne Seine Einwirkung wären wir schon lange wieder dort, von wo wir ausgefahren sind! Denn, wie ich's recht gut merke, so steht unser Schiff wie angemauert auf einem Punkte, und ich meine, daß wir, recht festen Glaubens auf Ihn, das Rudern, das die Schiffsknechte schon ganz erschöpft gemacht hat, ganz füglich einstellen könnten; das Schiff wird sich dennoch nicht von dieser Stelle bewegen, und der Herr wird uns wahrscheinlich auf dieser Stelle einholen wollen, sonst wären wir schon lange Gott weiß wo bei diesem Sturme!“

07. Sagt Petrus: „Ja, ja, du hast aber auch ganz recht! Ich merke es auch, daß uns der sehr heftige Wind nichts anhaben kann, und unsere Ruder würden diesem Winde nicht Meister zu sein vermögen, wenn uns Seine göttliche Macht nicht handgreiflich klar Hilfe leistete. Ich werde nun auch den Knechten sagen, daß sie mit dem Rudern sich keine so große Mühe geben sollen.“

08. Petrus ging nun zu den Knechten und sagte zu ihnen, daß sie mit dem Rudern sich nicht zu sehr abmühen sollten.

09. Aber die Knechte sagten: „Wir sehen die Küste längs der Wüste, wie sie weiß ist vor Schaum; die Küstenbrandung muß mächtig sein! Erhalten wir uns nicht bis zum Morgen auf der Höhe, so gehen wir allesamt zugrunde!“

10. Sagt Petrus zu den Knechten: „Da müßten wir nicht Jünger des allmächtigen Herrn Jesus sein! Da wir aber Seine Jünger sind, so wird uns der Sturm auch ohne das beständige fruchtlose Rudern nichts oder sehr wenig anhaben können. — Wir haben nicht mehr weit bis zum Morgen, und am Tage wird es uns allen besser ergehen!“

11. Auf diese Worte des Petrus stellen die Knechte das Rudern mehr und mehr ein und merken, daß das Schiff sich auch ohne ihr Rudern auf der Höhe erhält. Und so fangen auch die acht Knechte an zu glauben, daß das Schiff im vollsten Ernste durch Meine Kraft auf Höhe des Meeres erhalten werde.

101. Kapitel. Der Petrus Glaubensprobe.

01. Es ist aber bei solcher Gelegenheit um die Zeit der vierten Nachtwache geworden. Da legte sich der Wind ein wenig, und der scharfäugige Andreas sah nach allen Richtungen hin über die noch stark bewegte Meeresfläche und erblickte einen Menschen auf den Meereswogen ganz wie auf dem trockenen Lande einherwandeln. (Matth.14,25)

02. Da berief Andreas die Brüder, machte sie auf die über den Meereswogen wandelnde Gestalt aufmerksam und sagte: „Brüder, das ist kein gutes Zeichen, es ist ein Seegespenst! Wenn solche Wesen sich sehen lassen, da haben die Schiffer nichts Gutes zu erwarten!“ (Matth.14,26)

03. In die Meinung des Andreas stimmten bald alle ein, gerieten darauf in große Furcht und fingen an zu schreien: „O Jesus, warum hast Du uns verlassen, daß wir nun alle unrettbar werden zugrunde gehen müssen!? Oh, wenn Du noch irgendwo bist, so gedenke unser und errette uns vor dem sicheren Untergange!“

04. Während die Jünger noch so schrien und um Hilfe riefen, kam Ich auf zehn Schritte dem Schiffe nahe und redete die vor Furcht Bebenden also an: „Seid getröstet, Ich bin es ja! Fürchtet euch darum nicht!“ (Matth.14,27) — Da wurden die Jünger still.

05. Andreas sagte: „Beim Himmel, es ist Jesus, unser Herr und Meister!“

06. Petrus aber zweifelte noch ein wenig und sagte: „Wenn Er es ist, so muß Er mich aufs Meer steigen lassen, auf daß auch ich wie Er auf dem Wasser für meine Füße eine feste Unterlage erprobe!“

07. Sagt Andreas: „Wirst du wohl auch den Mut haben, so Er dich beriefe, zu Ihm aufs bewegte Meer hinauszutreten?“

08. Sagt Petrus: „Allerdings! Ich weiß es wohl, daß das Meer hier am tiefsten ist; ist Er es, so wird mir nichts zuleide geschehen, — ist Er es aber nicht, sondern ein uns äffendes Gespenst, so sind wir ohnehin verloren. Ich gehe da nur einige Augenblicke vor euch hinab in den tiefen Grund und werde für euch alle eine Wohnung bestellen!“

09. Darauf ging Petrus in die niederste Mitte des Schiffes und schrie hinaus zu Mir: „Herr, so Du es bist, da heiße mich auf dem Wasser zu Dir hinauskommen!“ (Matth.14,28)

10. Da sagte Ich zu ihm: „Komm heraus und überzeuge dich!“

11. Da trat Petrus unter dem Angstgeschrei der Brüder aus dem Schiff aufs Wasser. Als die Brüder aber sahen, daß Petrus nicht unterging, sondern ganz so wie Ich auf dem Wasser dahinging, da wich aller Zweifel von ihnen, und ein jeder glaubte, daß Ich es war.

12. Petrus aber eilte, daß er zu Mir käme. (Matth.14,29) Als er aber kaum noch sieben kleine Schritte von Mir entfernt war, da sah er starken Wind kommen, der hohe Wellen vor sich hertrieb. Er erschrak darum heftig, fing an, daran zu denken, wie ihn die hohen Wellen etwa doch mit sich reißen möchten, verlor dabei ein wenig nur den starken Glauben und bemerkte, daß er mit den Füßen schon über die Knie zu sinken begann. Da fing er an, gar jämmerlich zu schreien: „Herr, hilf mir!“ (Matth.14,30)

13. Ich aber trat schnell zu ihm hin, streckte Meine Hand nach ihm aus, zog ihn heraus und setzte ihn wieder auf des Wassers Oberfläche, die ihn nun wieder trug wie zuvor, — sagte aber darauf zu ihm: „O du Kleingläubiger! Warum zweifelst du? (Matth.14,31) Weißt du denn noch nicht, daß der ungezweifelte Glaube allein ein Meister aller Elemente ist?“

14. Petrus aber sprach: „Herr, vergib es mir! Denn Du siehst es ja, daß ich noch immer nur ein schwacher Mensch bin. Der Wind und die gegen uns ziehenden Wogen haben mich also erschreckt!“

15. Sagte Ich: „Nun ist schon wieder alles gut! Wir stehen nun am Schiffe, und so steigen wir in dasselbe!“

16. Darauf stiegen wir denn auch ins Schiff, und der Sturm hatte sich im selben Augenblick gelegt. (Matth.14,32)

17. Alle aber, die Jünger und die Schiffsknechte, eilten zu Mir, priesen Mich und sagten einstimmig: „Nun erst erkennen wir, daß Du wahrhaftig Gottes Sohn bist!“ (Matth.14,33)

18. Und Mein Johannes umfaßte und herzte Mich aus allen seinen Kräften und sprach: „O Du mein Jesus Du, daß wir nur Dich wieder haben! Jetzt ist alle unsere Furcht dahin! Aber nur Du verlaß uns nimmer; denn es ist gar zu entsetzlich schrecklich, ohne Dich zu sein! Wahrlich, an diese nächtliche Meeresfahrt werde ich denken mein Leben lang! Denn so viel Angst und Schrecken habe ich noch nie ausgestanden! Jetzt kann der Sturm sich um uns her lustig machen, wie er will; denn nun haben wir seinen Meister in unserer Mitte, der ihm zu schweigen gebieten kann, und das Ungetüm muß gehorchen der Stimme des Allmächtigen!“

102. Kapitel. Ankunft in der Freistadt Genezareth.

01. Sage Ich: „Ob ihr Mich sehet oder nicht, so bin Ich dennoch bei euch; denn so ihr Mir glaubet, auf Meinen Namen bauet, vertrauet und hoffet und Mich wahrhaft liebet, dann bin Ich allzeit bei euch und unter euch; aber der an Mir zweifelt, bei dem bin Ich dennoch nicht — und sähe er Mich auch fest an seiner Seite stehen!

02. Im übrigen aber hat der Bruder Bartholomäus sehr wohl daran getan, daß er über das Wesen der Essäer besonders dem Judas die Augen geöffnet hat. Es wird zwar für ihn wenig Heil daraus erwachsen; aber desto mehr für euch andere! Denn Judas gefällt sich heimlich in solchen Trugstücken und meint: ,So ich von Jesus die Wirklichkeit (das Wunderwirken) nicht erlerne, gehe ich zu den Essäern!‘ — Denn er ist und bleibt ein Geizhals, und zehn Pfunde Goldes sind ihm lieber als die allerhimmlischste Wahrheit und das ewige Leben dazu! Wenn ihm Herodes heute ein bedeutendes Angebot macht, da verrät und verkauft er uns alle! Diese Erde wird ihn schwerlich je bessern!

03. Darum ist für den Menschen nichts gefährlicher zum ewigen Leben als die großen Schätze dieser Welt! Was aber nützet es dennoch dem Menschen, so er auch besäße die Schätze der ganzen Welt, aber dafür an seiner Seele Schaden litte? Ehe er sich's versehen wird, wird man seine Seele von ihm nehmen und sie werfen in große Finsternis, da ewiges Heulen und Zähneknirschen waltet! Wieviel werden ihm dann alle seine Schätze nützen!?

04. Darum sammle sich ein jeder von euch Schätze des Geistes, die vom Roste und von den Motten nicht zerstört werden können, dann werdet ihr von allem in großer Genüge haben ewig!

05. Sehet, da unten am Boden des Meeres liegt schon manches beladene Schiff mit seinen Herren und Schiffern begraben! Welchen Gewinn haben die nun, die da wollten auf den Märkten große Summen erbeuten? Ein Sturm machte all ihrem losen Tun und Treiben ein Ende, und ihre Seelen sind mit begraben worden in den Abgrund!

06. Ihr aber hattet auf eurem Schiffe, das diese Nacht hindurch mit einem sehr heftigen Sturme zu kämpfen hatte, nichts als die unverwüstlichen Schätze für Geist und Leben aus Gott geladen, — und sehet, der Orkan vermochte es auch mit all seiner ungestümen Gewalt nicht, euch hinabzuschleudern in den Abgrund! Und Ich kam deshalb zu Fuß über den brausenden Wogen zu euch, um euch in der Tat zu zeigen, daß der, der allein des Himmels ewige Schätze in sich trägt, sich über alle die tollen Stürme und Wogen des Weltgetriebes leicht erhebt und über denselben fein schadlos einherwandeln kann und am Ende dennoch der Herr über all das Ungemach der Welt ist und verbleibt.

07. Wenn er aber sein Lebensschiff beschwert mit den Schätzen der Welt und der Sturm ereilt ihn über den Wogen seiner Weltsorgen, so werden dann Schiff und Schiffer beide untergehen! — Habt ihr alle dies Gesagte wohl begriffen?“

08. Sagen alle: „Ja, Herr, das war klar und sehr verständlich und über alle Maßen vollwahr.“

09. Sage Ich: „Nun wohl denn, so lasset uns hinüberschiffen nach dem Städtchen Genezareth und in das kleine freie Ländchen, welches da führt den Namen seiner kleinen Stadt!“

10. Und die Knechte fingen an zu rudern, und wir kamen eine kleine halbe Stunde Weges unterhalb der Stadt Genezareth ans Land (Matth.14,34). Das Meer machte aber gegen Genezareth eine große Einbuchtung und war mit derselben nur durch eine kaum zehn Klafter breite Meerenge verbunden, darum denn auch diese Bucht eigens den Namen ,See Genezareth‘ führte. An der linken Erdzunge stiegen wir denn auch ans Land, weil die Schiffe, welche die Meerenge passierten und in den See Genezareth fuhren, einen Zoll entrichten mußten. Wir ließen dann an der Erdzunge unser Schiff anbinden und ließen nur zwei Knechte im selben als Wache zurück, die andern sechs aber zogen mit uns in die Stadt und kauften darin für ihren Bedarf Brot, Salz und etwas Wein; die Nacht hatte sie sehr stärkungsbedürftig gemacht.

11. Ich aber habe ihnen das wenige, was sie sich kauften, gesegnet, daß sie alle mehrere Tage lang zu essen und zu trinken hatten.

12. Ich habe Mich in Genezareth mehrere Tage lang aufgehalten; denn das war eine Freistadt, und man konnte dort weder von Jerusalem, noch vom Tempel und ebensowenig von Herodes angegriffen werden, weil diese Stadt unter strengem Schutze der Römer stand, die dort ein beständiges Lager hielten, das von Kapernaum aus befehligt ward. Es steht solches zwar in keiner Schrift gezeichnet, weil es zu geringfügig war, aber dessenungeachtet verhielt sich alles genau also.

103. Kapitel. Der Herr mit den Seinen beim Wirte Ebahl.

01. Als wir in der Stadt ankamen, kehrten wir in die Herberge eines biederen Mannes ein, der Ebahl hieß.

02. Ebahl nahm uns sehr gastfreundlich auf und sagte: „Allem Anscheine und der Kleidung nach seid ihr Galiläer aus der Gegend von Nazareth!?“ Wir bejahten es ihm, und er ließ uns sogleich Brot, Wein und Fische bringen und sagte: „Drei Tage und Nächte hindurch seid ihr völlig zahlungsfrei! Könnet ihr als Nazaräer mir aber einen Aufschluß über den berühmten Heiland namens Jesus geben, der auf die wunderbarste Weise alle möglichen Krankheiten heilen soll, so halte ich euch euer Leben lang zechfrei, und ihr könnet essen und trinken, was ihr wollet und möget!

03. Wenn sich die Sache mit dem berühmten Jesus so verhält, so biete ich alles auf, um ihn zu finden und dann, neben ihm auf Knien gehend, ihn hierherzubringen! Denn unser sonst gutes und freies Ländchen hat aber doch gleichfort das Üble, daß es in einem fort von allerlei argen Krankheiten heimgesucht ist. Es sind die Krankheiten zwar nicht eben so sehr tödlicher Art; aber dafür desto lästiger, und man wird sie nicht los!

04. Wenn es nun denn möglich wäre, diesen Heiland zu uns zu bringen, — beim Jehova, ich wüßte nicht, was ich darum gäbe! Ich selbst habe eine ganz große Herberge voll Kranker, die vor Schmerzen gar keinen Schritt weiterreisen können, und es sind manche weither; sogar Ägypter, Perser und Indier sind darunter und können nicht fort. So liegen bei mir auch Pharisäer und Schriftgelehrte aus Jerusalem und zwei Essäerbrüder schwer krank, und kein Arzt und Heiland, soviel auch ihrer von allen Orten hier waren, kann ihrer Krankheit Meister werden!

05. Wenn ihr mir also diesen Jesus aus Nazareth verschaffen oder mir nur wenigstens sagen könnt, wo ich ihn halbwegs sicher treffe, so seid ihr alle, wie gesagt, meine Gäste euer Leben lang!“

06. Sage Ich: „Warum hast du denn nicht schon lange nach Ihm Boten gesandt, da du wußtest, daß Er Sich in Nazareth aufhält?“

07. Sagt Ebahl: „Das habe ich nicht einmal, sondern schon oftmals getan, habe aber noch nie das Glück gehabt, von den zurückgekehrten Boten zu hören: ,Wir haben ihn gefunden!‘ Wohl erzählten sie mir tausend Wunderdinge von ihm, die ihnen von andern erzählt worden sind; aber sie selbst haben noch nie das Glück gehabt, mit ihm persönliche Bekanntschaft zu machen.“

08. Sage Ich: „Nun denn, weil Ich sehe, daß dich in bezug auf den Heiland Jesus kein Eigennutz beseelt, sondern daß du vollwahr nur einzig und allein den Wunsch hast, den Leidenden, welchen Nationen sie auch angehören mögen, Hilfe zu bringen — was Mich denn auch hierher geführt hat —, so wisse denn zu deiner Freude und zu deinem Troste, daß Ich eben derselbe Jesus bin, den du so oft vergeblich gesucht hast, und den Kranken in deiner Herberge soll in diesem Augenblick geholfen sein! Sende nun deine Knechte nach der Herberge und frage sie, ob noch ein Kranker darin zu finden ist!“

09. Da war Ebahl nahe außer sich vor Freude und sprach: „Meister, so du es bist, dann glaube ich deinem Wort und will gar nicht weiter mich erkundigen; du wirst es schon ganz sicher sein, und ich kann schon im voraus Gott nicht genug loben und preisen, daß Er meinem Hause ein so unerwartet großes Heil hat widerfahren lassen! Meister, großer, göttlicher Meister, schaffe (verlange) nun für dich und die Deinen; denn nun bist du ganz Herr in meinem Hause! Alles, was du darin findest, muß sich deinem Willen fügen!“

10. Als er noch also weiterredete, kam schon die Nachricht von seiner großen Herberge, daß die bei zweitausend Kranken auf einmal vollkommen gesund geworden sind. Es müsse da ein Wunder geschehen sein, ansonst so etwas rein unmöglich wäre! Die Geheilten würden bald selbst kommen und dem Herbergsherrn ihren heißesten Dank mit Wort und Tat abstatten!

11. Sagt Ebahl: „Gehet hin und saget es ihnen, daß ich fürs erste alles dessen nicht bedarf, und daß mir darum auch nicht der geringste Dank gebühre, sondern Gott allein, der den Wunderheiland in unsern Ort gnädiglich geführt hat! Verlanget von den Reichen, die fremd sind, einen mäßigen Herbergslohn für euch, aber tuet mir ja niemandem zu hart! Die Heimischen aber seien frei!“

12. Auf diese Worte entfernen sich die Nachrichtbringer und tun, was ihnen ihr Herr geboten hat.

13. Darauf aber wendet sich Ebahl wieder zu Mir, fällt vor Mir auf seine Knie und dankt Mir mit vielen Tränen großer Freude für die seinem Hause erwiesene wunderbare Wohltat.

14. Ich aber heiße ihn aufstehen und Mir vorführen seine Weiber und Kinder.

15. Und er geht und tut, was Ich von ihm verlangte.

16. Als er seine zwei Weiber und sechzehn Kinder zu Mir brachte, darunter zehn männliche und sechs weibliche, sagte er (Ebahl): „Siehe an mir noch einen echten Israeliten! Wie dereinst Jakob, unser Stammvater, eine Lea und eine Rahel zu Weibern hatte und mit beiden Kinder zeugte, also habe auch ich mir zwei Weiber genommen, die jedoch nicht Schwestern sind, und habe mit dem älteren Weibe die zehn Knaben und mit dem jüngeren sechs Mägdlein gezeugt; allein, wie du siehst, die zehn Knäblein sind nun schon rüstige Männer und Jünglinge, und die sechs Mägdlein sind auch schon, jegliches über zehn Jahre, zu Jungfrauen herangereift, und ich zähle siebzig Jahre.

17. Alle diese Kinder sind nach der Schrift erzogen, und mein ältester Sohn ist ein Schriftgelehrter, aber nicht im Solde des Tempels stehend, sondern bloß für sich und dereinst für seine Nachkommen! Aber auch meine andern Kinder sind in der Schrift tüchtig bewandert, kennen den reinen Willen Gottes und sind allzeit streng gehalten, danach zu handeln. Sie lieben Gott, aber sie fürchten Ihn auch; denn Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit. In meinem Hause werden die wahren Weisheitssprüche des Jesus von Sirach strenge gehandhabt. — Bist du, großer Meister, wohl zufrieden mit meiner Hausordnung?“

18. Sage Ich: „Wie es bis jetzt üblich war, ist deiner Hausordnung nichts auszustellen, und Ich verbiete es auch niemandem, zwei, drei und auch noch mehr Weiber zu haben; denn das Weib ist der Zucht (Fortpflanzung) der Menschen wegen erschaffen worden. Ein unzüchtiges (unfruchtbares) Weib ist Gott nicht wohlgefällig, es müßte denn sein, daß sie von Natur aus unzüchtig ist, — was eine Sache ist, für die kein Mensch kann.

19. Aber in der Folge soll ein jeglicher Mann nicht mehr denn nur eine Jungfrau oder eine Witwe, die noch zuchtfähig ist, sich zum Weibe nehmen; denn wäre es Gottes Wille gewesen, daß ein Mann mehr denn ein Weib habe, so hätte Er dem Adam auch sicher mehr als nur ein Weib erschaffen. Aber Gott wollte, daß ein jeglicher Mann nur ein Weib haben solle und gab daher dem Adam auch nur ein Weib.

20. Daß die Menschen hernach von diesem ersten Gesetze abgegangen sind — was besonders bei den Heiden oft ins lasterhafte Böse ging, da besonders ein Fürst sich gleich alle die schönsten Jungfrauen seines Landes zu seinen Weibern nahm und dazu noch von fremden Fürsten sich auch mehrere dazukaufte —, war nicht Gottes, sondern der sinnlichen Menschen Wille; denn viele der Weiber eines Fürsten oder eines sonstigen Reichen waren nicht Weiber für die Zucht, sondern pure Lustdirnen zur Erweckung der zugrunde gegangenen Mannheit und deren Wollust. Jeder Mann aber lebt dann nicht mehr vollkommen in der göttlichen Ordnung, so er das erste Urgesetz Gottes nicht hält!

21. Ah, was ganz anderes ist es, so das eine Weib unzüchtig (fortpflanzungsunfähig) wäre, wie es bei der Rahel der Fall war; da kann der Mann sich auch ein zweites Weib nehmen und in ihr sich Nachkommen erwecken. Jedoch bei dir ist dennoch alles in der Ordnung; du hattest stets einen gerechten Sinn, der Gott wohlgefällig ist, und so bist du ein Gerechter vor Gott und den Menschen, ansonst Ich in dein Haus nicht gekommen wäre!“

104. Kapitel. Der Herr segnet die Familie des Ebahl und tadelt die Essäer.

01. Hierauf segnete Ich die Kinder und die beiden Weiber wie ein Weib, da beide eines Sinnes und eines Herzens waren und sich nie mit Zank und Hader begegnet sind. Nach der Segnung entließ Ich wieder die zwei Weiber und die sechzehn Kinder und sagte zu Ebahl: „Du kannst eine rechte Freude an deinen Kindern haben; denn darunter ist nicht eines verdorben, weder geistig noch naturmäßig. Alle strotzen vor Gesundheit und haben noch ganz kristallreine Herzen, voll Frömmigkeit und Gehorsam, und deine beiden Weiber sehen noch ganz jugendlich gut aus! Auf dein Haus scheint die krankhafte Luft dieser Gegend keinen Einfluß zu haben!“

02. Sagt Ebahl: „Ja, für die hier Eingeborenen ist die Luft und das Wasser ganz unschädlich, — aber nicht also für die Fremden; denn da darf sich jemand oft nur ein paar Tage lang aufhalten, und er wird so schwer krank, daß er nicht selten ein ganzes Jahr das Krankenbett nicht verlassen kann! Hat er einmal die Krankheit überstanden, so kann er darauf hier verweilen, solange er will, — und er bleibt gesund.

03. Aber es ist das dennoch ein Jammer für dieses Land! Denn wir bekommen nur schwer Arbeiter, und die fremden Reisenden, wenn sie nicht absonderliche Geschäfte haben, meiden diese Gegend wie ein Aas, und die, welche in dringlichen Geschäften kommen, bleiben sicher über die Hälfte krank bei uns. So liegen auch gut zwei Drittel der römischen Soldaten krank, und kein Arzt kann ihrem Übel ein Meister werden! Nach einem, oft auch erst zwei Jahren werden sie von selbst wieder gesund und bleiben gesund.

04. Das Merkwürdigste aber ist, daß da nie zwei eine und dieselbe Krankheit bekommen! Der eine bekommt ein Fieber, der zweite einen Aussatz, ein dritter einen Durchfall, ein vierter einen stechenden Husten, und so ein jeder etwas anderes, und kein Arzt weiß dann, was er mit den Kranken beginnen soll. Und so gibt es in unserem kleinen Lande eine große Menge mit allerlei Krankheiten behafteter Menschen; und es ist da keinem zu helfen. Die Sterblichkeit ist zwar bei allem dem gering, aber desto größer die Zahl der gleichfort Leidenden.

05. Vielleicht wäre dir auch das möglich, daß du alle die Kranken heiltest und dann mir fürs ganze Land ein Heilmittel angäbest, durch dessen rechtzeitigen Gebrauch die Menschen sich vor dem Anfalle der Übel dieser Gegend schützen könnten?“

06. Sage Ich: „Da Ich Mich ohnehin hier einige Tage aufhalten werde, werden die Landeskranken durch die Geheilten wohl erfahren, daß Ich hier bin. Die da kommen werden, denen soll auch geholfen sein, — die aber nicht kommen werden, die sollen auch nicht geheilt werden; denn so schwer krank ist keiner im ganzen Lande, daß er nicht den Weg hierher machen könnte!“

07. Sagt Ebahl: „Wenn es dir, du mein göttlicher Meister, genehm wäre, so würde auch ich Boten ins ganze Land aussenden!“

08. Sage Ich: „Laß das gut sein, sie werden es überall früh genug erfahren!“

09. Bald darauf kommen mehrere Geheilte, darunter Pharisäer und Schriftgelehrte aus Jerusalem und zwei Essäerbrüder, um Mir den Dank für die Heilung zu überbringen und womöglich von Mir die Wissenschaft zu erlernen, wie Ich die Kranken also bloß durchs Wort augenblicklich zu heilen vermöge.

10. Ich aber machte nicht viel Wesens mit ihnen, sondern sagte bloß: „Was forschet ihr? Eure Sache ist diese Welt und ihre für euch allein kostbare Materie; hier aber handelt es sich um rein Geistiges! Ihr aber habt noch nie begriffen, was Materie ist, wie wollt ihr begreifen, was da rein geistig ist? Und ihr Essäer schon ganz besonders, die ihr euren Bekennern einen Gott und eine Auferstehung predigt und mit vielen Kosten Wunderdinge bewerkstelligt, um dadurch für eure Blindlehre Anhänger zu gewinnen! Euer Grundsatz ist: ,Man muß mit gutem Willen die Menschen betrügen und anlügen, wenn man sie glücklich machen will; denn die Wahrheit tötet die Wohlfahrt der Menschen dieser Erde!‘

11. So aber euer Menschenbeglückungsgrund die Lüge ist, wie sollet ihr von Mir nun die Wahrheit hören wollen? Euch geht für die Erkenntnis des Reiches Gottes auf Erden alles ab, und ihr seid die Allerletzten, obschon ihr die Allerersten sein wollet! Wahrlich, wenn ihr bleibet, wie ihr seid, werdet ihr ewig keinen Teil am Reiche Gottes haben!

12. Was nützt euch euer guter Wille, die Menschen durch Betrug und Lüge irdisch glücklich zu machen, so ihr aber dadurch tötet die Seelen der Blinden?

13. Mein Grund aber ist: um alle Kosten des Leibes und alles dessen Glückes die Seele zu retten und ihr zu bereiten ein wahres, ewiges Leben!

14. Wie aber wird und muß es euch zumute werden jenseits, wo euch die von euch Betrogenen zu Richtern werden!? Ihr glaubet es wohl freilich nicht, daß es also sein wird; aber es wird dennoch also sein, wie Ich es euch nun gesagt habe.

15. Glaubet ihr aber schon Meinen Worten nicht, so glaubet es doch Meinen Werken, die Ich verrichte, und die vor Mir nie ein Mensch verrichtet hat!

16. Wenn aber Meine Werke echt und wahr sind und Meinen Worten Zeugnis geben, so werden doch Meine Worte auch wahr sein!?

17. Niemand kann es euch sagen, wie es in Indien aussieht, als der nur, der dort war und von dort zu euch herübergekommen ist; also kann euch auch niemand einen Bescheid übers Jenseits geben als der nur, der von dort zu euch herübergekommen ist, — und der bin Ich!

18. Wer Meinen Worten glaubt, der wird das ewige Leben haben; wer aber nicht glaubt, der wird übergehen in den ewigen Tod! Denn Meine Worte sind nicht wie die eines Menschen dieser Welt; sie sind Leben und geben Leben dem, der sie aufnimmt in sein Herz und hernach handelt nach dem Laute der Worte und nach ihrem alles belebenden Geiste!

19. Eure Worte aber, die ihr Essäer dem Volke predigt, sind pur Lug und Trug, weil ihr selbst nicht glaubet, was ihr lehret! Denn ihr habt eine Doppellehre: eine fürs Volk und eine ganz andere für euch, von der ihr unter euch saget, daß sie wahr sei, daß aber das Volk von solcher nichts vernehmen dürfe, um in der vermeinten Lüge ruhig und glücklich zu sein.

20. Aber Ich sage es euch, daß ihr dem Volke in eurer vermeintlichen Lüge dennoch mehr Wahrheit gegeben habt denn euch selbst! Denn was ihr für Wahrheit haltet, ist ganz Lüge, was ihr aber das Volk lehret, ist nur zur Hälfte Lüge; darum man euch von Gott aus auch geduldet hat.

21. Lehret aber in der Zukunft die Wahrheit und glaubet selbst an sie, dann werdet ihr der Belohnung werte Knechte im Weinberge Gottes sein; aber mit der Lüge und mit dem Truge müsset ihr für alle Zeiten weichen und nie mehr einen Gebrauch davon machen, sonst wird in jüngster Zeit ein übles Gericht über euch ergehen!“

22. Sagen die beiden Essäer: „Meister, wir erkennen es wohl, daß du recht geredet hast, — und was da uns beide betrifft, so werden wir alles Erdenkliche aufbieten, um deinen Worten in unserer großen Gesellschaft Eingang zu verschaffen; aber gutstehen können wir dennoch für nichts! Grausam sind unsere Brüder durchaus nicht, man kann bei verschlossenen Türen schon auch ganz frei reden und wird gerne angehört, — aber ob das also Besprochene von irgendeiner Wirkung sei, das ist eine andere Frage! Aber reden werden wir beide und sind zum voraus versichert, daß wir ohne weiteres mit der größten Aufmerksamkeit angehört werden!“

23. Sage Ich: „Tuet ihr das eurige, so wird Gott das Seinige zu tun nicht unterlassen! Nehmet an die volle Wahrheit, und diese wird euch frei machen für ewig!“

24. Sagen die beiden Essäer: „Herr und Meister, gestatte uns, so lange hier zu verweilen, als wie lange du dich hier aufhalten wirst!“

25. Sage Ich: „Ihr seid frei und könnet hier verweilen, solange ihr wollt!“

105. Kapitel. Der Herr und der römische Hauptmann.

01. Mit diesem Bescheide waren die beiden zufrieden, und Ebahl kam und lud Mich und Meine Jünger zum Mittagsmahle, das er in reichlichem Maße für uns hatte bereiten lassen; außer seiner Familie durfte kein fremder Gast an selbem teilnehmen. Solches aber rauchte den etlichen Pharisäern sehr in die Nase; denn ihr Sinn war, allenthalben die Ersten zu sein und sich grüßen und ehren zu lassen von jedermann. Sie wurden wohl in einem andern Speisezimmer sehr gut bewirtet, waren aber dennoch nicht zufrieden, weil sie wahrnahmen, daß Ebahl Mir viel mehr Aufmerksamkeit schenkte denn ihnen. Sie fragten nach der Mahlzeit auch einen Wärter, ob der Hausherr ihre Gesellschaft denn für zu gering gehalten habe, daß er sie nicht an seinem Tische habe speisen lassen.

02. Aber der Wärter war klug und sprach: „Der Herr hat wegen der vielen Kranken mit dem Wunderarzte so manches zu besprechen und wollte darum mit ihm allein sein!“

03. Sagen die Pharisäer und Schriftgelehrten: „Weißt du und dein Herr denn nicht, daß in einem Hause, da wir eingekehrt sind, uns alle Geheimnisse aufgedeckt werden müssen? Denn wir sind es, die euch reinigen, so ihr euch verunreinigt habt, und euch auch heilen, so ihr von argen Krankheiten geplagt werdet!“

04. Sagt der Wärter: „Wenn ihr aber solche Heilbringer seid, warum konntet denn ihr euch nicht helfen? Wenn der Wunderheiland von Nazareth nicht vielleicht durch einen Wind zufälligerweise hierhergetrieben worden wäre, so hätte euch euer heftiges Gliederreißen durchaus nicht verlassen; nur seiner Wunderkraft habt ihr es zu verdanken, daß ihr nun vollkommen gesund hier in diesem Speisesaale sitzet! Wer aber so etwas vermag, dem gebührt doch vor euch alle und jede Auszeichnung!“

05. Auf diese ganz triftige Antwort des Wärters sagen die Pharisäer und Schriftgelehrten kein Wort mehr und geben sich zufrieden, aber nicht von Herzen, sondern aus einer Art gezwungener Notwendigkeit.

06. Gegen den Abend hin aber kommen aus den Häusern der Stadt und aus deren nächster Umgebung schon über hundert, mit allerlei Krankheiten behaftete Menschen und bitten Mich, daß Ich sie gesund mache; und Ich gehe hinaus unter sie und mache sie allein durchs Wort alle gesund.

07. Die Gesundgemachten aber loben und preisen alle Gott, der dem Menschen eine solche Macht gegeben hat, und gehen froh und gesund nach Hause.

08. Am Abende kommt aber auch ein Hauptmann, der in diesem Orte die Soldaten befehligte, und bat Mich, ob Ich nicht auch den vielen kranken Soldaten helfen möchte.

09. Und Ich sagte zu ihm: „Gehe hin, es geschehe dir nach deinem Glauben!“

10. Und der obbenannte Hauptmann ging ins Lager und fand, daß keiner der Soldaten irgend mehr krank war. Da kehrte er froh wieder zu Mir zurück und wollte Mich belohnen mit Gold und Silber.

11. Aber Ich wies solches alles zurück und sagte zum Hauptmann: „Freund, um Schätze dieser Welt heile Ich niemanden, sondern nur um die Schätze aus den Himmeln; und diese sind fürs erste ein lebendiger Glaube und fürs zweite eine wahre uneigennützige Liebe zu Gott und dem Nächsten, welches Standes er auch sei!

12. Habe lieb deine Untergeordneten, als wären sie deine leiblichen Brüder, und halte sie nicht zu hart, so wirst du Mich damit am wertvollsten belohnen! Das Gold und das Silber aber, das du Mir geben wolltest, gib dem Ebahl; denn seine Herberge kostet ihn viel, und es ist gut, daß sie unterhalten wird.

13. Es wäre aber überhaupt gut, so ihr Römer in der Folge statt der vielen Götzentempel Herbergen für Arme errichten möchtet; denn eure Götter aus Holz, Erz und Stein sind tote Gebilde, von Menschenhänden gemacht; und ihr könnet jahrelang vor ihnen auf den Knien liegen, so werden sie euch dennoch nicht helfen können, weil sie tot sind. Aber so ihr die vielen Armen, Kranken, Bresthaften, Krüppel, Lahmen, Blinden und Tauben in gut eingerichteten Herbergen versorget und suchet den Kranken Heilung zu verschaffen, so wird der eine, wahre, lebendige Gott eure guten Werke ansehen und wird euch darum segnen vielfach; aber eure toten Götter werden euch fürs Gute, das ihr tut, nicht segnen und fürs Böse nicht strafen.

14. Und so ihr in eurem Reiche Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten euch bestrebet, müsset ihr zu Schwert und Lanze greifen! Da machet ihr dann nur mit den Waffen in der Hand, was Gott für euch tun würde, so ihr Ihn erkenntet und Seine Gebote hieltet!“

106. Kapitel. Des römischen Hauptmanns Welterfahrung.

01. Sagt der Hauptmann: „Lieber Freund, ich erkenne es wohl, daß du die Wahrheit redest und es also sein sollte, wie du nun gar weise und menschenfreundlich zu mir geredet hast; aber die Welt der Menschen ist ein gar mächtiger Strom, gegen den sich sehr schwer schwimmen läßt. Wer es noch irgendwo versucht hatte, ist von den mächtigen Stromwirbeln verschlungen worden. So etwas kann nur an kleinen, ruhigen Orten geschehen, dahin der Strom nicht reicht mit seiner verheerenden Macht; wer sich würfe in des Stromes Mitte, der ist verloren!

02. Also hast du, lieber Freund, gut die Wahrheit zu reden in einem ruhigen Orte, dessen Menschen weich und fügsam sind und noch nicht den luxuriösen Pesthauch der großen Welt eingeatmet haben; aber gehe hin nach Rom, nach Athen, nach Jerusalem, und so du nicht völlig ein Gott bist, so wirst du nur zu bald alle Schärfe des Schwertes der Mächtigen der Erde zum Verkosten bekommen gleich dem Johannes von Bethabara, den der mächtige Herodes im Gefängnisse hat enthaupten lassen.

03. Siehe, dieser Johannes war doch sicher ein Mann, der, himmelweit abgesehen von jedem weltlichen Erwerbe, in der tiefst möglichen Selbstverleugnung den Menschen mit hinreißender Redekraft die allernackteste Wahrheit ins Gesicht sagte, und Tausende nahmen seine wirklich von einem göttlichen Geiste durchglühte Lehre an, taten Buße aus freiem Willen und bekehrten sich zum Guten. Aber als er vor etwa ein paar Monaten Bethabara verließ, wie man es mir erzählte, und am großen Jordan in der Nähe von Jerusalem zu predigen und zu taufen begann, da dauerte es nur wenige Tage, — und die Häscher des Herodes bemächtigten sich schon seiner und warfen ihn ins Gefängnis, in das nur seine etlichen wohlhabenden Jünger gegen Entrichtung einer gewissen Taxe einige Male vor seiner Enthauptung kommen durften, von der ich vor ein paar Tagen Kunde erhielt. Nun können freilich wohl seine Jünger die von ihm empfangene Lehre ganz geheim ihren Bekannten und Verwandten mitteilen, und diese ihren Kindern; aber es ist eine große Frage, ob nach ein paar hundert Jahren sich seine Lehre so erhalten wird, wie sie aus seinem Munde kam!

04. Unsere römische Gotteslehre hat sicher den haargleichen Ursprung wie die der Juden; sie basiert ja auch auf nur einem Urgrundwesen, dem sogar alle Götter ohne Unterschied untertan sind! Die Mythe hat diesem Wesen verschiedene Namen beigelegt; die Griechen nennen es noch den unbekannten Gott der Götter, die Römer heißen es das Fatum, dem jede andere Macht untertan ist.

05. Schau die gegenwärtige Gottheitslehre der Griechen und der Römer an, und du findest nichts als für einen denkenden Menschen höchst läppische, nichtssagende Fabeln und Märchen, aus allen Winkeln der menschlichen Tugenden mitunter, aber zumeist dennoch aus den menschlichen Leidenschaften, Schwächen und Lastern zusammengetragen; und das wird als Gotteslehre den Menschen mit Feuer und Schwert aufgedrungen! Mach es aber anders, wenn es dir möglich ist! Von meiner Seite wenigstens wird dir nichts in den Weg gelegt werden!

06. Das schönste Beispiel aber gibt dir deine Mosaische Gotteslehre selbst! Lies den Moses und schaue dir hernach den Tempel an, und sage es mir, ob wohl noch ein Häkchen der alten Weisheitslehre vorhanden ist! Gott Selbst habe in der Wüste am Roten Meer vom Sinai herab unter Blitz und Donner dem bebenden Volke die wahrlich heilsamen Gesetze auf steinernen Tafeln gegeben und befestigte den alten Bund zwischen Sich und Seinem Volke; die es wagten, abtrünnig zu werden, wurden augenblicklich gezüchtigt durch allerlei Übel, ja selbst durch den Tod! Aber wozu war alles das gut? Frage die nun ins Scheußliche gehenden Mysterien des Tempels, und sie werden dir die handgreiflichsten Nichtigkeitsbeweise liefern!

07. Wo ist die wunderbare Bundeslade, über der Gott in der Gestalt einer Flammensäule ruhte? Ja, eine Naphthaflamme kannst du zu sehen bekommen, wenn du ein Römer bist und dafür etwas Gold und Silber dem Tempel opferst; aber von der wunderbaren Bundeslade ist keine Spur mehr anzutreffen!

08. Daher ist es nach meiner unmaßgeblichen Ansicht mit jeder Gotteslehre und mit jeder Offenbarung nichts; sie mag in ihrem Entstehen noch so rein sein, so wird sie in den Händen der Menschen nur zu bald also umgestaltet werden, daß sie der ursprünglichen ebensowenig ähnlich sieht, als ein hundertjähriger Greis mit dem eine Ähnlichkeit hat, wie er als ein neugeborenes Kind ausgesehen hat! Die Zeit und die mannigfachen Leidenschaften und Bedürfnisse der Menschen verwandeln das Reinste in das Unreinste; und als großer, nie besiegbarer Zeuge zur Steuer dieser Wahrheit steht die Geschichte aller Zeiten und aller Völker vor uns, die von niemandem geleugnet werden kann!

09. Siehe weiter, Freund: obschon ich mich nie so weit überschätzen möchte, daß ich mir einbildete, dir einen Lehrer abzugeben imstande zu sein, so glaube ich aber hie und da — abgesehen von deiner sicher allertiefsten Kenntnis der geheimen Kräfte der Natur — in der besseren menschlichen Hinsicht denn doch auch etwas weniges zu verstehen und rate es dir, als sicher ein dir ähnlicher Menschenfreund, die großen Orte, in denen die Menschheit schon zu sehr bis in den tiefsten Lebensgrund verdorben ist, ja mehr noch als die ärgste Pestilenz zu fliehen, sonst wird der Erdboden nicht lange mehr von deinen heilbringenden Füßen betreten werden!

10. Traue den Pharisäern, Schriftgelehrten, deiner eigenen Gotteslehre nicht und betritt jene Gegenden selten, über die Herodes seine Lehensherrschaft ausübt, so wirst du der armen Menschheit noch lange Gutes tun können; setzest du dich aber über alles das hinaus, so wirst du leider nur zu bald das herbe Los mit dem Johannes teilen! Denn ich bin in der Lage, zu wissen aus dem Fundamente, wie unbeschreiblich schlecht nun die Menschen der eigentlichen Welt sind! Nimm der Regierung Roms heute das Schwert aus der Hand und hebe die drückenden Gesetze auf, und du wirst am nächsten Tage die Menschen untereinander noch ärger wirtschaften sehen als eine große Herde von Tigern, Bären, Wölfen und Hyänen! Die Männer werden zu Teufeln und die Weiber zu Furien!“

107. Kapitel. Der Herr gibt dem Hauptmann Winke von Seinem Wesen und Seiner Mission.

01. Sage Ich: „Du bist Mir wohl ein recht lieber Mann und Freund, und was du geredet hast, ist leider nur zu wahr; wäre Ich ein Mensch der Art, wie die Menschen der Erde sind, so würde Ich deinen Rat auch ohne weiteres befolgen, denn in deiner Brust pulst ein redliches Männerherz; aber Ich bin ein ganz anderer Mensch und ein ganz anderes Wesen, als für was du Mich hältst! Siehe, Mir müssen gehorchen alle Mächte der Himmel und dieser Erde; und Ich habe sonach nichts zu befürchten. Es wird wohl an Mir die Schrift bitter und schmerzlich erfüllet werden, aber nicht nach dem Willen dieser Welt, sondern nach dem Willen des Vaters im Himmel, der aber nun in Mir ist, wie Ich in Ihm bin von Ewigkeit her! Aber darum wird Meine Macht über Himmel und Erde nicht den allergeringsten Verlust erleiden. Denn wollte Ich es, so wäre diese Erde im schnellsten Augenblick in den nichtigsten Staub umgestaltet samt allem, was in und auf ihr ist, atmet, lebt und webt; aber da Mein Grund ,Erhaltung‘ heißt, so geschieht solches nicht!

02. Es kann geschehen, daß Ich als ein Aufwiegler des Volkes und Gotteslästerer angeklagt werde aus Ärger und neidigster Scheelsucht des Tempels und darob ans Querholz geheftet werde; aber alles das wird Meine Macht nicht brechen und Meiner Lehre bis zum Ende dieser Welt nicht den geringsten Eintrag tun.

03. Es werden zwar die eigentlichen Weltmenschen mit der Zeit aus Meiner Lehre zum größten Teile dasselbe machen, was die Ägypter, Griechen und Römer aus der Urlehre gemacht haben, die Adam und seine ersten Nachkommen erhielten; aber neben solcher Abgötterei werden dennoch viele sein, die Meine Lehre und Meine Macht geradeso rein erhalten und besitzen werden, wie sie nun kommt aus Meinem Munde, und damit werden sie auch gleichfort haben und besitzen die Macht, die ihnen durch den lebendigen Glauben an Mein Wort verliehen wird für zeitlich und jenseits für ewig! Ich bin also auch ein Herr und fürchte darum keinen Herrn und keine Gesetze desselben!“

04. Sagt der Hauptmann: „Freund, da ist mit wenig Worten viel gesprochen! Nach dem, was du hier geleistet hast, könnte ich es fast glauben, daß dir so etwas möglich sein dürfte, obschon mir ähnliche Heilungen — nur nicht in diesem überweit gedehnten Maße — nicht ganz fremd sind; denn es ist eine bekannte Sache, daß außerordentliche Erscheinungen auf die leibliche wie auch seelische Gesundheit eines Menschen, je nachdem sein Temperament beschaffen ist, einen oft wunderbar entschiedenen Einfluß haben. So zum Beispiel hat ein großer Schreck schon einem Taubstummen das Gehör und die Sprache wiedergegeben! Ich wüßte dir eine Menge ähnlicher Fälle zu erzählen, — aber es ist die Zeit zu kurz.

05. Ich will aber in aller Kürze dir damit nur das sagen, daß deine Heilart, so außergewöhnlich sie auch ist und zu wieviel Dank sie uns auch verpflichtet, mir aber dennoch die volle Überzeugung nicht verschaffen kann, daß dir darum jede andere Macht der Himmel und der Welt nichts anhaben könnte! Ich will dir die Möglichkeit nicht streitig machen, — bei Gott sollen ja alle Dinge möglich sein; aber Freund, es ist eine große Kluft zwischen der Möglichkeit und Wirklichkeit! So ich dich näher werde kennenlernen, werde ich vielleicht auch glaubensfester werden.

06. Aber nun, liebster, teuerster Freund, bitte ich dich, meine vielleicht ein bißchen zu anmaßende Rede ja nicht für ungut aufzunehmen; denn ich habe nur geredet, wie ich es verstehe, nicht etwa aus bösem Herzen, sondern aus einem sicher guten Herzen! Mich aber rufen nun die Amtsgeschäfte, denen ich Folge leisten muß; morgen aber stehe ich dir den ganzen Tag zu Diensten!“

07. Sage Ich: „So du bleiben willst, kannst du auch bleiben; denn dein Dienst ist in deinem Namen verrichtet!“

08. Sagt der Hauptmann: „Es ist zwar schon ziemlich dämmerig geworden; ohne den Mond wäre es schon Nacht; ich werde aber gleich wieder hier sein, — nur muß ich zuvor noch einen Sprung ins Lager tun und sehen, ob die Nachtwachen wohl ordentlich ausgeteilt und aufgestellt sind.“

09. Mit diesen Worten verläßt der Hauptmann eilig das Zimmer, und Ebahl lobt ihn als einen Kommandanten, der wenige seinesgleichen haben dürfte, und daß Genezareth sich es für ein großes Glück rechnen könne, solch einen guten, in allen Dingen erfahrenen, gerechten und in seiner Sphäre äußerst klugen Militärchef zu haben!

10. Sage Ich: „Das ist er allerdings zur großen Beschämung vieler Juden, die Gottes Wort und Gottes Gebote haben, und deren ganzes Herz dennoch voll Lüge und voll Betrug, voll Zank, Zorn, Ehebruch und aller Hurerei ist. Darum auch wird es geschehen, daß den Juden das dem David verheißene Reich nach der Aussage Daniels hinweggenommen und den Heiden gegeben werden wird, und die Nachkommen des Sohnes der Hagar werden herrschen über die Nachkommen Isaaks, obschon alles Heil zu dieser Zeit über die ganze Erde ausgeht vom Stamme Juda.“

11. Sagt Ebahl: „Meister, du bist als Heiland besser denn als Prophet! Ich kann überhaupt noch immer nicht begreifen, warum die Propheten ohne Ausnahme gleichweg allzeit nur Schlechtes, nie aber etwas Gutes aussagten! Muß das also sein, oder glauben die Propheten, lediglich dadurch ihr mysteriöses Ansehen aufrechtzuerhalten, so sie den Menschen nichts als eine Gottesstrafe um die andere verkünden?

12. Lieber, herrlicher Meister, ich habe aus deinen Reden gemerkt, daß du neben dem Wunderheilande noch etwas anderes bist, nämlich ein Prophet gleich einem der vier großen Propheten, und so könntest du mir wohl über das sonderbare Wesen der Propheten irgendeine Aufklärung geben! Wie gesagt, mir sind die Propheten stets ein Rätsel gewesen, und so möchte ich etwas Näheres über sie von dir vernehmen!“

108. Kapitel. Verhältnis eines Propheten zu Gott und den Menschen.

01. Sage Ich: „Ein Prophet ist gerade solch ein ganz einfacher, natürlicher Mensch mit allerlei Schwächen behaftet wie du; aber da er ein verständiges Herz hat, in dem weder Zorn noch Rache, noch Mißgunst, noch Stolz, noch Ehebruch und allerartige Hurerei feste Wurzeln schlagen können, so reinigt der göttliche Geist dessen Herz von den mannigfachen Schlacken der Welt; und wenn das alleinige Herz also gereinigt ist, so gießt der göttliche Geist ein Licht aus den Himmeln in solch ein Herz.

02. Da der Prophet es leicht erkennt, daß dies ein Licht aus den Himmeln ist, das sich allzeit in klar vernehmbaren Worten ausspricht, so darf der sohin fertige Prophet dann nur mit der Stimme seines Mundes laut nachsprechen, was er in seinem Herzen klar und deutlich vernimmt, und er prophezeit dann schon im vollendet prophetischen Maße!

03. Wenn es nun notwendig ist, so wird des Propheten Wille von Gott aus angetrieben, das zu reden zu dem Volke, und desgleichen zu tun vor demselben, was er in seinem Herzen vernimmt, — und solches heißt dann eine vollwahre Prophezeiung oder Weissagung und ist ebensogut reines Gotteswort, als hätte Gott Selbst unmittelbar aus Seinem Munde zu den Menschen geredet.

04. Aber darum gilt ein solcher Prophet um kein Haar mehr vor Gott als jeder andere Mensch, dem diese Gabe ganz mangelt; denn der Prophet muß dann aus seinem höchst eigenen Willen ebenfalls das tun, was der Geist Gottes durch sein Herz und durch seinen Mund zu den Menschen geredet hat, sonst kommt über ihn so gut ein Gericht wie über jeden, der den Willen Gottes vernimmt, aber nicht danach tut, — und es ist da ein Prophet schlimmer daran denn ein anderer Mensch. So ein anderer in der Schwäche und Nacht seiner Seele es schwer glaubt, was der Prophet zu ihm spricht, so wird er ein minderes Gericht zu bestehen haben, dieweil er nicht glauben mochte, was der Prophet zu ihm geredet hat; aber für den Propheten selbst gibt es keine Entschuldigung, sowie auch für den nicht, der da geglaubt hat und dennoch aus Liebe zur Welt und deren Schätzen nicht tat, was ihm vom Propheten zu tun geboten ward.

05. Jedoch aber wird der Lohn eines Propheten dereinst größer sein denn der eines andern Menschen; denn ein Prophet muß allzeit siebenfach soviel tragen als ein jeder andere Mensch für sich. Alle, zu denen ein Prophet geredet hat, werden jenseits, die Guten wie die Schlechten, ihm übergeben, und er wird sie in Meinem Namen richten über jegliches Wort, das er vergeblich zu ihnen geredet hat!

06. Wer aber einen rechten Propheten aufnimmt in Meinem Namen und im Namen des Propheten selbst und verpflegt ihn und ist dessen Freund, der wird dereinst auch eines Propheten Lohn überkommen. Und wer einen Propheten unterstützt, daß es dem Propheten leichter geschieht in seiner schweren Arbeit, der wird auch eines Propheten Lohn überkommen; denn jenseits wird der Knecht des Propheten auf gleicher Stufe stehen neben dem Propheten und wird mithin richten die dem Propheten untergebenen Geister und herrschen über sie immerdar, und seines Reiches wird für ewig nimmer ein Ende sein!

07. Wehe aber denen, die einen Propheten verlassen der Welt wegen oder ihn gar verdächtigen hie und da und in einem und dem andern! Und noch mehr Wehe den Verfolgern eines Propheten; denn diese werden schwerlich ewig je zur Anschauung Gottes gelangen! Wer aber an einen Propheten die Hand legt, soll mit dem ewigen Feuer in der untersten Hölle bestraft werden! Denn eines Propheten Herz ist Gottes, und sein Mund ist Gottes, und so seine Hände, Füße, Augen und Ohren! Wo ein Prophet ist, da ist auch Gott; darum sollt ihr seine Wohnstätte mit tiefer Ehrfurcht betreten, denn der Ort, da er steht, ist heilig. Das soll beachtet sein im Herzen, zwar nicht des Propheten willen, der ein Mensch ist, sondern um Gottes willen, der im Herzen des Propheten redet und zeugt.

08. Daß aber ein rechter Prophet für die Welt nur ein Gericht ums andere verkündet, hat seinen Grund ganz einfach darin, weil Gott nur dann einen Propheten erweckt, wenn diese (d.i.: die Welt) Gottes vergessen und sich in alle Laster eben der Welt hineingestürzt hat!

09. Sage Mir nun, Ebahl, ob du nun über das Wesen eines rechten Propheten im reinen bist!“

10. Sagt Ebahl: „Vollkommen, du mein überaus hochgeachteter Meister! Du bist demnach aber doch sicher auch ein Prophet!?“

11. Sage Ich: „Ich bin kein Prophet; denn es steht geschrieben: ,Aus Galiläa steht kein Prophet auf!‘ Aber Ich bin mehr denn ein Prophet! Denn in Meiner Brust wohnt ebenderselbe Geist, der durch den Mund der Propheten geredet hat und hinfort noch viel mehr reden wird. Denn die in der Folge Meinen Namen vollgläubig in ihrem Herzen tragen werden, denen wird auch der Geist der Weissagung innewohnen! Verstehst du solches?“

12. Sagt Ebahl: „Herr und Meister! Mir kommt es vor, daß so wie du kein gewöhnlicher Mensch reden kann! Hinter dir steckt ein anderer, den dein Rock und deine Haut vor unsern Augen verbirgt!“

109. Kapitel. Die Propheten als Gesandte Gottes und deren Unterschied vom Wesen des Herrn.

01. Während Ebahl, dem schon ein anderes Licht aufzugehen beginnt, noch so fort ratschlagt, kommt auch schon der Hauptmann wieder zurück und erzählt voll Freude und Verwunderung, wie er alles in der besten Ordnung angetroffen habe, und wie sich seine Unterkommandanten gewundert hätten, als er nach ihrer Aussage zum zweiten Male gekommen sei und gefragt habe, ob wohl alles in Ordnung sei, indem er doch um eine halbe Stunde zuvor selbst alles aufs beste bestellt und geordnet hätte! Er aber habe sich damit wieder herausgeputzt, daß er vorgab, hiermit nur eine kluge Nachrevision angestellt zu haben, womit denn auch alle ohne weitere Fragen vollkommen befriedigt waren.

02. Mich aber fragte er darauf höchst wißbegierig, wer denn sonach sein zweites Ich gewesen wäre, das seine Arbeit gar so lobenswert an seiner Statt verrichtet habe.

03. Sage Ich: „Habe Ich dir ja doch zuvor gesagt, daß Mir alle Mächte der Himmel und die Kräfte dieser Erde in jedem Augenblick zu Gebote stehen; du aber mochtest es nicht glauben! Nun aber wirst du es hoffentlich wohl glauben, daß Ich ewig keinen Tod zu fürchten habe, und daß auch Ich ein Herr bin, der etwas zu reden und zu gebieten hat!“

04. Sagt der Hauptmann: „Ja, Herr und Meister, du mußt ein Gott sein! Und es erscheint mir unsere römische Gotteslehre eben nicht mehr so fabelhaft wie ehedem; denn ich habe nun an dir ja die vollkommen lebendigste Überzeugung, daß dann und wann denn doch ein Gott seine Himmel verlassen hat und eine Zeitlang bald in der und bald in einer andern Art sich den sterblichen Kindern gezeigt und sie mit allerlei geistigen und irdischen Schätzen bereichert hat, auf daß die Sterblichen die sonst wüste Erde also kultivierten, daß sie dereinst auch ein Wohnsitz für unsterbliche Götter würde! — Habe ich recht oder nicht?“

05. Sage Ich: „Das ist nichts als eine eitel leere Dichtung, die recht heidnisch zart klingt, aber kein Fünklein von einer Wahrheit in sich enthält in der Art, wie du sie verstehst.

06. Ah, wenn du aber unter der ,Erde‘ die Erkenntnisse und den Willen der Menschen verstehst, dann könntest du wenigstens in einer der Wahrheit gut entsprechenden Art und Weise recht haben; aber Götter, die nicht und nirgends sind, haben wohl nie irgendwo der Erde Boden betreten. Jene Menschen, durch deren Mund der Geist Gottes zu den Menschen der Erde geredet hat, und durch deren Willen gar oft und gar viele Wunder geschehen sind, waren keine Götter, sondern Propheten, an und für sich gleichsogut Menschen wie du, und sind auch gestorben dem Fleische nach, — aber freilich der Seele und dem Geiste nach nicht.

07. In Mir aber betritt der Geist Gottes nun zum ersten Male diese Erde! Das ist derselbe Geist, von dem alle die Urväter und alle die alten Weisen und alle die Propheten oft und oft in ihren reinen Gesichten geweissagt haben.“

08. Während Ich aber solches zum erstaunten Hauptmanne redete, kam ein Diener ins Zimmer und sagte, daß draußen im Freien schon wieder eine Menge Kranker auf die Hilfe harreten, und ob Ich ihnen helfen möchte.

09. Sage Ich zum Diener: „So geh hinaus und sage ihnen, daß sie getrost in ihre Heimat ziehen sollen!“

10. Und der Diener begab sich eiligst hinaus und erstaunte nicht wenig, als er alle, die ehedem vor dem Hausflur jammerten und wehklagten, heiter, munter und fröhlich, Gott lobend, untereinander hin— und herwandelnd erblickte. Nach einer Weile erst sagte er zu den Geheilten das, was Ich ihm zu sagen gebot — und die Geheilten zogen in ihre Heimat.

11. Es ward aber darauf und darüber noch bei zwei Stunden lang geredet, das mit dem, was man schon bei der früheren Heilung geredet hatte, von ein und demselben Geiste war und darum hier füglich übergangen werden kann. Wir nahmen während des Geredes Brot und Wein und begaben uns darauf zur Ruhe.

110. Kapitel. Die gesegnete Wiese. Der Spaziergang auf dem Meere.

01. Am nächsten Tage schon früh morgens war der ganze Platz schon wieder vollgefüllt von allerlei Kranken.

02. Ebahl kam zu Mir und bat Mich, daß Ich ihm helfe; denn sie verstellten den Platz vor seinem Hause schon derart, daß da kein Mensch mehr aus— und eingehen könne. Er habe auch schon den Hauptmann draußen gesehen, der ins Haus möchte, aber durch die Menge der dicht aneinandergereihten Kranken nicht durchzudringen vermöge!

03. Da begab Ich Mich an die Hausflur, hob Meine Hände über die Kranken, — und sie wurden alle auf einmal gesund, schrien vor Freude und lobten und priesen Gott in der Höhe, der dem Menschen solche Macht gäbe!

04. Ich aber gebot ihnen zu schweigen und sich nach Hause zu begeben und fortan zu meiden die Sünde! Und sie gehorchten alle und zogen heim.

05. Darauf aber sagte Ich zu Ebahl: So noch den Tag hindurch mehrere hier Hilfe suchen kämen, so sollen sie sich nicht auf der Straße, sondern auf der über der Straße liegenden großen Wiese lagern, dort werde ihnen geholfen sein; die sich aber auf der offenen Straße lagern würden, denen soll nicht geholfen werden! — Darauf segnete Ich die Wiese, worauf dann ein jeder, der als Kranker die Wiese betrat, sogleich gesund ward.

06. Es kamen aber an diesem Tage aus allen Städten, Märkten und Dörfern mehrere hundert Kranke, und darunter war nicht einer, der nicht geheilt worden wäre.

07. Die beiden Essäer machten von Stunde zu Stunde größere Augen, und die etlichen Pharisäer und Schriftgelehrten ärgerten sich auch von Stunde zu Stunde mehr, da ihr Ansehen eben auch von Stunde zu Stunde sich bis auf nichts verringerte; denn sie wurden gar nicht mehr angesehen und um nichts befragt, und des Ebahls Leute gaben ihnen hin und wieder sogar zu verstehen, daß sie im Hause nun vollends überflüssig seien und, da die Zeit schön sei, sie wohl nach Jerusalem ziehen könnten. — Aber sie nahmen solchen Rat nicht an, sondern blieben allhier.

08. Nach einer Weile trat einer der Pharisäer zu Mir und fragte Mich, ob diese Wiese fortan diesen Charakter behalten werde.

09. Sagte Ich: „Nur den heutigen Tag über, bis zum Untergange!“

10. Spricht der Pharisäer: „Warum denn nicht für immer?“

11. Sage Ich: „Weil es gewisse Menschen gibt, die eine solche Wiese nur zu bald und zu hoch einfrieden würden und dann von denen, die gesund werden möchten, viel Gold und Silber verlangen würden; und da Ich solches nicht will, so bleibt diese Wiese nur bis heute abend heilbringend, dieweil der Zudrang der Menschen zu groß ist. — Morgen, wo wenige der Heilung wegen hierherkommen werden, sollen sie durch ihren Glauben und durch ihr Vertrauen geheilt werden!“

12. Auf diese Erklärung kehrten Mir die Frager voll Ärger den Rücken und fragten Mich den ganzen Tag über um nichts mehr; dafür aber gaben sich die beiden Essäer desto emsiger mit Mir ab.

13. Der Hauptmann ward darob über die Essäer schon ärgerlich und hätte ihnen gerne gesagt, daß sie sich mit Mir wohl schon zur Genüge werden besprochen haben; aber er hielt sich Mir zuliebe dennoch mit aller Gewalt zurück.

14. Nachmittags verwies Ich die beiden aber an den Matthäus und an Meine andern Jünger, unter denen sie bald den Bartholomäus fanden und an ihm eine große Freude hatten, da er bekanntlich auch ein Essäer war. Mit den Jüngern besprachen sich die beiden dann bis Mitternacht über Meine Lehren, Meine Taten und über Meine göttliche Wesenheit.

15. Ich aber machte nachmittags mit dem Hauptmann und mit Ebahl und seiner Familie einen Ausgang an das Meer, wo die acht Schiffsknechte das Schiff bedienten und dasselbe, weil es hie und da schon etwas schadhaft war, recht gut und mit allem Fleiße ausbesserten. Als wir zu ihnen kamen, hatten sie eine große Freude und erzählten dem Hauptmanne, wie Ich auf dem Wasser gegangen sei. Denn diese Erscheinung ging den achten gar nicht aus dem Kopfe und aus dem Gemüt.

16. Als der Hauptmann solches vernahm, fragte er Mich, wie denn das möglich sei.

17. Sagte Ich zu ihm: „Ich habe dir's ja gestern erzählt, welche Mächte Mir untertan sind und Mir dienen müssen! Wie magst du hernach fragen? Übrigens, so du dich getrauest, deine Füße aufs Wasser zu setzen, und Ich es will, so wirst auch du darauf umherwandeln können, solange Ich es will! Wenn es euch allen beliebt, so wollen wir gleich einen Versuch machen! Aber ihr müßt keinen Zweifel haben, sondern ihr müßt Mir ganz beherzt und mutig folgen!“

18. Sagt der Hauptmann: „Es wäre alles recht, wenn nur das Meer hier beim Ufer nicht gleich so tief wäre! Die längste Strecke von hier nach oben und unten geht es gleich senkrecht in die beinahe unergründliche Tiefe hinab! Es dürfte einem der erste Tritt möglicherweise denn doch mißlingen, — und man wäre da unten, wo die großen Molche und Salamander hausen!“

19. „Kleingläubiger“, sagte Ich, „meinst du denn, daß Ich es wagen möchte, tollkühn zu sein, wenn Ich nicht wüßte, wer Ich bin, und wer alles Meinem Willen untertan sein muß? — Wer von euch Mut und Glauben hat, der folge Mir!“

20. Hierauf trat Ich auf des Meeres Fläche, — und sie trug Mich wie festes Land. Also schritt Ich zehn Schritte vom Ufer, wandte Mich um und lud die Gesellschaft ein, zu Mir zu kommen; aber sie getrauten sich nicht.

21. Da berief Ich das jüngste, zwölf Jahre alte Töchterchen des Ebahl, und das Mägdlein bekam Mut und setzte am Anfange den ersten Fuß ganz behutsam aufs Wasser. Als sie sich aber überzeugt hatte, daß das Wasser nicht wich, sondern dem Fuße so gut Widerstand leistete wie ein Steinboden, da fing sie gleich an, ganz munter zu Mir hinzuhüpfen, und hatte eine große Freude daran, daß das Wasser sie trug!

22. Nach dem Mädchen versuchten es denn auch die andern, bis auf den Hauptmann, und alle befanden sich recht wohl und munter auf dem nun freilich sehr ruhigen Wasserspiegel.

23. Der Hauptmann fragte Mich, voll Staunen und nun doch schon halb mutig: „Wie würde es denn dann gehen, wenn ein Sturm käme?“

24. Sage Ich: „Komm und überzeuge dich!“

25. Endlich versuchte auch der Hauptmann, einen Fuß auf das Wasser zu setzen, und da er sich überzeugte, daß das Wasser nicht wich, so setzte er endlich ganz behutsam auch den zweiten nach, ging, sich sehr leicht machend mit zurückgehaltenem Atem, die zehn Schritte zu Mir hin und war ganz glücklich, bei Mir auf einem, nie auf diese Weise betretenen Boden zu stehen.

26. Ich aber sagte: „Nun, da ihr überzeugt seid, daß den Festgläubigen auch das Wasser ein fester Boden ist, so wollen wir nun unsere Lustwandelschaft weiter fortsetzen!“

27. Der Hauptmann wäre zwar lieber auf den festen Boden des Ufers zurückgegangen; aber die überaus munteren sechs Töchter des Ebahl flößten ihm durch ihr munteres Hin— und Herlaufen Mut ein, so daß er dann auch mit uns bei fünftausend Schritte weit hinaus auf die schon ziemlich hohe See wandelte.

28. Da erhob sich aber ein ziemlich heftiger Wind und fing an, starke Wellen zu treiben. Es fing an, allen bange zu werden, und der Hauptmann bat Mich, daß Ich umkehren möchte.

29. Aber Ich sagte: „Fürchte dich nicht! Die Wellen kommen ja nur, um dich zu überzeugen, daß auch sie, samt dem Winde, der sie treibt, Mir gehorchen müssen.“

30. Aber nach einer Weile, als die Wellen stets mächtiger kamen, kehrte der Hauptmann um und lief, was er nur laufen konnte, erreichte bald ganz wohlbehalten das Ufer und war nach mehreren fieberhaften Leibesschüttlern überaus froh, wieder einen undurchsichtigen, festen Boden unter seinen Füßen zu haben. — Wir aber gingen bald darauf auch zurück und kamen zum erstaunten Hauptmann.

111. Kapitel. Vom wahren Gebet.

01. Als wir uns alle wieder am Ufer befanden, da sprach der Hauptmann: „Herr, nun habe ich des Beweises in größter Menge, daß du entweder der allerhöchste Gott Selbst, oder ein Sohn desselben bist; denn das vermag kein Sterblicher!“

02. Darauf fielen alle vor Mir auf ihre Knie und wollten anfangen, Mich anzubeten.

03. Aber Ich behieß sie, sich vom Boden zu erheben, und sagte zu ihnen: „Höret, alles dessen bedarf Gott und Ich nicht, sondern das allein wahre Gebet besteht in der aufrichtigen Liebe zu Gott, dem Vater im Himmel, und gleichermaßen zu den Nebenmenschen, die eure Nächsten sind. Alles andere Gebet hat vor Gott keinen Wert, und vor Mir auch nicht.

04. Gott hat die Menschen auch nie gelehrt, Ihn mit den Lippen zu verehren und die Herzen kalt zu halten. Aber weil ein Samuel vor dem Volke laut gebetet hat, desgleichen mehrere Propheten, und weil David Gott dem Herrn seine Psalmen und Salomo sein Hoheslied sang, so kam das Volk zum leeren Lippengebet und zu den kalten Opfern.

05. Aber vor Gott ist solch ein Beten und Opfern ein Greuel! Wer nicht im Herzen beten kann, der bete lieber gar nicht, auf daß er sich vor Gott nicht unanständig gebärde! Füße, Hände, Augen, Ohren und Lippen hat Gott dem Menschen nicht gegeben, daß er damit eitel und leer beten solle, sondern allein das Herz!

06. Aber dennoch kann ein jeder Mensch auch mit den Füßen, Händen, Augen, Ohren und Lippen beten; und zwar mit den Füßen: wenn er hingeht zu den Armen und ihnen Hilfe und Trost bringt; mit den Händen: wenn er den Notleidenden unter die Arme greift; mit den Augen: wenn er gerne die Armen ansieht; mit den Ohren: wenn er gern und tatwillig Gottes Wort anhört und dieselben vor den Bitten der Armen nicht verschließt; und am Ende mit den Lippen: wenn er sich gerne tröstend mit den armen, verlassenen Witwen und Waisen bespricht und für die Gefangenen nach seiner Macht und Kraft gern ein gutes Wörtlein einlegt bei denen, die die Armen oft schuldlos gefangenhalten, auf daß sie dieselben freiließen.

07. Also betet der Mensch mit den Lippen auch, wenn er die Unwissenden belehrt und sie zum wahren Glauben, zur rechten Erkenntnis Gottes und zu allerlei nützlicher Tugend beredet. Das alles ist dann auch ein Gott höchst wohlgefälliges Gebet.

08. So ihr aber nun das wißt, da tuet auch danach, — und ihr werdet an den Segnungen Gottes nie einen Mangel haben! Denn das heißt dann: Gott im Geiste und in aller Wahrheit anbeten.

09. Es steht zwar wohl geschrieben, daß der Mensch ohne Unterlaß beten soll, so er nicht in eine Versuchung fallen will; wie läppisch und vollkommen närrisch aber wäre es, so Gott von den Menschen ein unablässiges Lippengebet verlangen würde! Da müßten denn die Menschen, um Gott wohlgefällig zu werden, Tag und Nacht in einem fort auf den Knien liegen und unaufhörlich leere, herz— und sinnlose Lippengebete, gleich den Vögeln in der Luft, herschnattern! Wann aber würden sie dann sonst eine nötige Arbeit bestellen können? Aber so ihr mit Händen, Füßen, Augen, Ohren und Lippen in einem fort also tätig seid und liebet in euren Herzen allzeit Gott und eure armen Nächsten, so betet ihr wahr und in der Tat ohne Unterlaß zu Gott, der euch darum auch allzeit segnen und euch darum auch dereinst jenseits geben wird das allerglückseligste ewige Leben! — Habt ihr das wohl alles verstanden?“

10. Sagen alle: „Ja, Herr und Meister, das ist so klar und wahr, wie klar und wahr da ist das Licht der Sonne, und wir werden alle danach tun!“

11. Sage Ich: „Gut denn, Meine lieben Freunde, so lasset uns nun wieder in die Stadt heimziehen!“

12. Die acht Knechte aber behieß Ebahl, daß einige von ihnen mitgehen sollten; und er werde ihnen Brot, Wein, Fische und Früchte geben für ihren Unterhalt. — Da machen sich gleich sechs mit auf den Weg, und Ebahl versieht sie mit allem reichlich.

112. Kapitel. Hauszucht und Liebe.

01. Als wir ins Haus kamen, da wollten die Kinder auch in Meiner Gesellschaft verbleiben.

02. Da aber Ebahl eine strenge Hauszucht hielt, so verwies er, besonders den Mädchen und den beiden Weibern, solches und sagte: „Ihr habt nun gesehen, erfahren und gehört genug; behaltet das und tut danach, so werdet ihr nicht ohne Segen verbleiben, wie es euch der Herr Selbst draußen am Meere verkündet hat. — Nun aber gehet wieder an eure Arbeit!“

03. Die Mädchen und die beiden Mütter beurlauben sich mit wehmütigem Herzen und begeben sich in ihre Gemächer, deren das Haus Ebahls viele hatte; denn es war wohl das größte Haus in ganz Genezareth.

04. Ich aber sage darauf zu Ebahl: „Freund, warum schafftest du sie denn fort? Siehe, es ist wohl recht, eine strenge und gute Hauszucht bei den Kindern zu halten, und sehr lobenswert ist es, die Mädchen vor der Welt zu verwahren; aber siehe, hier, wo Ich bin, ist keine gefahrdrohende Welt, sondern ein segenvollster Himmel nur, und den sollst du deinen Kindlein nicht mißgönnen!“

05. Als Ebahl solches von Mir vernahm, sagte er: „Oh, wenn sie nur Dir nicht lästig sind, so will ich sie gleich wieder hierherbringen lassen! Aber meine Kinder gaffen und plaudern gern, und so schaffte ich sie fort, auf daß sie Dir nicht lästig seien.“

06. Sage Ich: „Was auf der Welt gäbe es, außer der großen Bosheit der Menschen, das Mir lästig werden könnte? — Gehe und bringe sie alle wieder hierher!“

07. Ebahl ging und brachte sie alle wieder zu Mir, und das jüngste Mägdlein setzte sich flugs zu Mir hin und fing an, Mich zu kosen und zu herzen.

08. Ebahl aber verwies es ihr und sagte, daß solches eine Unart wäre.

09. Ich aber sagte zu ihm: „Freund, laß ihr das; denn sie hat sich schon den allerbesten Teil erwählt! Ich sage es dir und euch allen: Wer nicht zu Mir kommt wie dies Mägdlein, wird den Weg ins Reich Gottes nicht finden! Dieses aber hat ihn bereits gefunden! Mit Liebe, und das mit heißester Liebe, müßt ihr zu Mir kommen, so ihr das ewige Leben ernten wollet!

10. Dies Mägdlein beweist es in der Tat, was es im Herzen fühlt; ihr aber machet kluge Reden und haltet kühl euer Herz! Fällt es euch denn noch nicht bei, wer Ich sein könnte und auch wirklich bin?“

11. Hier fallen alle nieder, und Ebahl ergreift Meine Füße und küßet sie klein ab und sagt nach einer ganz von Ehrfurcht verwirrten Weile: „Herr! Gefühlt habe ich es schon lange, nur fehlte mir der Mut dazu!“

12. Sage Ich: „Nun, so strafe das Mägdlein nicht, das euch allen den Mut machte, zu Mir aufs Wasser zu kommen! Hier aber hat sie euch wieder den Mut gemacht, Mich zu lieben! Oh, dies Mägdlein ist denn aber auch Mir überaus lieb! Es hat schon, was ihr noch zu suchen habt und noch nicht sobald finden werdet! Bestrebet euch aber der wahren, lebendigen Liebe zu Gott und dem Nächsten, so werdet ihr der Gnade und des Segens in Fülle haben!“

13. Sagt der Hauptmann: „Herr, ich habe außer zu meinem Weibe und meinen etlichen Kindern, die sich in Rom befinden, nie eine Liebe zu jemandem gefühlt, handelte aber stets redlich nach Recht und Billigkeit. Ich handhabte das Gesetz nie nach dessen Schärfe, sondern stets mehr nach dessen Milde und bin dabei stets gut ausgekommen. Aber jetzt fühle ich es, daß man die Menschen lieben und ihnen aus Liebe Gutes erweisen kann, das heißt: Man kann selbst wollen, den Menschen nach Kraft und Möglichkeit das angedeihen zu lassen, was man gegen sich selbst als recht und notwendig erkennt, — und das ist Liebe zum Nächsten.

14. Nun, wenn man den Nächsten also liebt, so liebt man dadurch ja auch schon Gott; bedenkt man aber bei der Liebe zu Gott, daß Gott Selbst die erste und vollkommenste Liebe sein muß, der zufolge allein Er die Sinnen— und Geisterwelt erschaffen hat, so muß dieser klare Gedanke ja notwendig die höchste Liebe zu Gott dem Schöpfer im geschaffenen Menschen erwecken, und der Mensch kann dann ja nicht mehr umhin, Gott, als den liebevollsten Schöpfer aller Dinge, über alles aus allen Kräften, die ihn beleben, zu lieben.

15. Da ich nun aber nach allem dem, was ich von Dir die paar Tage hindurch gesehen und gehört habe, ohne allen Zweifel annehme, daß Du entweder der Urschöpfer Selbst oder doch sicher Sein Sohn von Ewigkeit her bist und Dich uns hier auf der Erde in unserer Form zeigst und uns lehrst, Gott und Dich zu erkennen, so ist es ja eine notwendige Folge, daß auch ich Dich über alles lieben muß. Habe ich auch den Mut nicht, Dich so zu herzen wie dies wahrlich überzarte Mägdlein, so umarme ich Dich aber dennoch im Herzen und preise Dich über alles! Und ich meine, daß es also auch recht ist.“

16. Sage Ich: „Es ist ganz recht also; aber besser ist es, wenn die Liebe also wächst wie bei diesem Mägdlein! — Sehet sie nur an, ob sie nicht förmlich glüht vor Liebe zu Mir!“

113. Kapitel. Das rechte Lob und die Gefahr beim Loben.

01. Sagt die älteste Schwester, die ein wenig die Eifersucht zu plagen begann: „Die Jarah war schon von jeher sehr verliebter Natur und verliebte sich bald in alles, was ihr unterkam; was Wunder, daß sie sich in einen so schönen Mann, wie du einer bist, bis zum Sterben verliebt?! Das ist wahrlich keine gar so große Lebenskunst! Das könnte ich auch; aber was würde es mir nützen, wenn dich die klein verliebte Jarah nun ganz in Beschlag genommen hat?“

02. Sage Ich: „Siehe, du eifersüchtige Schwester, hättest du je eine rechte Liebe in deinem Herzen gehabt, so würdest du nun auch nicht also geredet haben! Weil du aber nie eine rechte Liebe ob der Verzärtelung in dein Herz bekamst, so kannst du auch nicht umhin, daß du eben also redest, wie du nun redest!

03. Siehe, die Jarah liebt — und fragt nicht, ob sie wiedergeliebt wird! Freund und Feind sind ihr gleich; sie ist ganz glückselig, daß sie nur alles mit Liebe umfassen kann. Daran zu denken nur, ob auch sie geliebt werde, ist noch nie in ihren Sinn gekommen; sie liebt dich und alle ihre Geschwister so wie ihre Eltern mehr, als sie von allen geliebt wird! Sie steht in eurer Liebe aber als die letzte, was sie noch nie in ihrer großen Liebe zu euch beirrt hat! Siehe, das heißt wahrhaft lieben!

04. Wenn du liebst, so willst du dafür noch zehnmal mehr geliebt sein! Und wird dir die Liebe nicht also erwidert, so wirst du voll Unmutes und voll allerlei Verdachtes in deinem von Eigenliebe vollen Herzen!

05. Siehe dagegen die liebe Jarah an, ob sie je noch auf Gegenliebe einen wie immer gearteten Anspruch gemacht hat! Aus dem Grunde aber darf sie Mich denn nun auch lieben, was nur immer ihr Herz vermag! Denn allein dieser zuliebe kam Ich hierher, und ihr zuliebe werde Ich noch etliche Tage hier verweilen; und so habt ihr es alle diesem Mägdelein zu verdanken, daß Ich hierher kam und eure Kranken, sowie den ganzen Ort geheilt habe und hinfort noch mehrere Kranke heilen werde.

06. Denn wohin Ich komme, suche Ich das Niederste und das Gedrückteste! Alles aber, was vor den Augen der Welt groß und hochgeachtet ist, ist vor Gott ein Greuel! Bestrebet euch darum, so zu sein, wie da ist die liebe Jarah, so werdet ihr Mir auch ebenso nahestehen wie sie nun, geistig und leiblich, für zeitlich und dereinst für ewig!

07. So ihr aber jemand lobet, da lobet den, der wahrhaftig ein Lob verdient! Wird der Belobte aber auf das Lob eitel, dann lobet ihn nicht mehr; denn die Eitelkeit ist der Same zum Hochmut, und dieser ist des Satans Geist!“

08. Sagt Ebahl: „Aber Herr, wenn Du meine Jarah gar so auszeichnest vor ihren übrigen Geschwistern, ist es nicht zu besorgen, daß sie eitel wird?“

09. Sage Ich: „Habe du nur darum keine Sorge! Wer einmal Mich umfaßt hat, von dem ist jede Eitelkeit für ewig gewichen! Jarah, sage es Mir, ob du darum dich nun für besser hältst als alle deine Geschwister, dieweil Ich dich nun so ausschließlich liebhabe!?“

10. Sagt ganz schüchtern die Jarah: „O Herr, Du mein einzig Geliebter, dafür kann ich nicht und meine Schwester auch nicht! Ich möchte aber, daß Du meine fünf Schwestern noch lieber hättest denn mich; denn sie sind ja viel schöner und viel gescheiter denn ich. Mich haben sie ja immer die Häßliche und die Dumme genannt, was ich aber auch recht wohl verdient habe; denn so schön bin ich sicher nicht wie sie, und — nun ja — dumm bin ich wirklich auch. Aber ich bin ja noch jung und werde schon noch gescheiter werden, wenn ich so alt werde, wie sie sind!

11. Oh, über meine lieben Schwestern lasse ich nichts aufkommen; denn sie lehren mich ja allerlei nützliche Dinge und haben mich alle recht lieb, aber ich liebe sie auch aus allen meinen Seelen—Leibeskräften. Herr, mußt ihnen auch gut sein! Denn siehe, ich fühle gleich ein starkes Herzeleid, so ich meine Geschwister in etwas bekümmert ersehe; da möchte ich gleich wieder alles hergeben, daß nur meine lieben Geschwister recht heiter und froh sein möchten!

12. Ich kann keinen Traurigen und keinen Unglücklichen sehen; lieber möchte ich alle Traurigkeit und alles Unglück auf mich nehmen, wenn dadurch nur alle Unglücklichen und Trauernden glücklich, froh und heiter sein möchten! Darum sei Du, mein allerallerliebster Herr Jesus, auch meinen Schwestern gleich so gut wie mir; denn sie verdienen es ja auch!“

13. Sage Ich: „Ja — dir, Meine allerallerliebste Jarah, kann Ich freilich nichts abschlagen! Deine Schwestern sehen nun aber auch schon ein, warum Ich dich gar so liebhabe, und so sie dir in ihren Herzen vollends gleichen werden, werde Ich sie auch so liebhaben wie dich; sei du darum ganz unbesorgt!

14. Denn sieh, geradeso, wie du keinen Unglücklichen und Trauernden sehen kannst, ohne den Wunsch, ihm zu helfen, ist es auch bei Mir — nur in einem viel größeren Maße — der Wunsch und mit ihm der allmächtige, feste Wille, jedem Menschen für Zeit und Ewigkeit zu helfen!

15. Das Verlorene zu suchen, das Kranke zu heilen, und alles, was da gefangen ist, zu erlösen, ist Mein Sinn, Meine Absicht und Mein Wille; aber dennoch soll auch einem jeden Menschen sein freiester Wille unverrückt belassen werden. — Sage Mir, du Meine allerliebste Jarah, ob dir Meine Absicht nicht recht gut gefällt.“

114. Kapitel. Jarah über ihre verschiedenen Gebetserfahrungen.

01. Sagt Jarah: „Oh, wie sollte sie mir nicht gefallen? Ich möchte es ja auch so machen, wenn ich es nur könnte! Aber was nützt mir mein menschenfreundlicher Wille, wenn ich nicht helfen kann? Ich kann dann nur, wenn es kleine Sachen sind, meine Eltern bitten, daß sie den Armen und Notleidenden Hilfe schaffen möchten, und da bin ich beinahe noch immer erhört worden, — freilich manchmal wohl auch dafür ein wenig ausgezankt, weil ich gar so ein dumm—weiches Herz habe; aber darüber habe ich mich nie gekränkt, — wenn dem Armen nur geholfen war.

02. Mit der Bitte zu Gott, dem allmächtigen Herrn, aber ist es mir nicht immer so gut ergangen! Denn da habe ich auch oft gebetet; und wenn ich schon glaubte, daß Gott meine Bitte sicher erhören werde und ich dann hinging, um nachzusehen, ob mein kindliches Gebet etwas gefruchtet habe, — da war nichts da! Es war alles noch beim alten Übel.

03. Ich ging dann freilich wieder zu meinem Vater und fragte ihn, warum denn Gott der Allmächtige manchmal gar so harthörig sei!

04. Da sagte mir der Vater, Gott wisse, warum Er diesem oder jenem zu seinem Seelenheile ein längeres Leiden sende, und bemesse sehr wohl die Zeit, wie lange dieser oder jener zu büßen habe; und da nütze dann kein Gebet besonders, außer ein solcher Sünder hätte sich schnell vollends bekehrt! Und sieh, ich war damit beruhigter; aber ich gab darum das Bitten für den Armen nicht auf.

05. Aber manchmal erhörte mich auch der liebe, große Gott schnell, und da hatte ich aber wohl auch die größte Freude! Denn es gibt in dieser Welt für ein mitleidiges Herz wohl keine größere Seligkeit, als zu erfahren, daß der große Gott sogar das Gebet eines fast noch unmündigen Mägdleins erhört!

06. Und daß Du, o Herr, zu uns gekommen bist, kommt mir auch fast so vor, als ob der große Gott mein Gebet erhört hätte! Denn wir alle haben es von vielen, die hierhergekommen sind, vernommen, daß in Nazareth und dessen Umgegend ein gewisser Zimmermann Jesus gar so außerordentlich große, ja unerhörte Heilungen an den Kranken bewirke, ja sogar die Toten wieder lebendig mache; die Blinden sähen, die Stocktauben bekämen vollkommen ihr Gehör und die Stummen die Sprache wieder, die Lahmen und Krüppel würden wieder gerade und ganz, — kurz, es gäbe gar keine Krankheit, die er nicht augenblicklich heilete!

07. Anfangs hielten wir das für eine Fabel; aber als immer wieder Leute zu uns kamen, sogar solche, die von Jesus wunderbar geheilt worden waren, da fingen wir an zu glauben, daß es sich wirklich also verhalten werde.

08. Da ergriff mich eine überstarke Liebe zu diesem Manne, dem solches möglich, und ich bat dann den lieben Gott tagtäglich so andächtig und vertrauensvoll, als es mir nur immer möglich war, daß Er Dich zu uns führen möchte durch Seine Allmacht! Und siehe, Gott hat mich richtig erhört und hat Dich zu uns gebracht!

09. Als es hieß, daß Du gekommen seiest, ach, das ist unbeschreiblich, was ich da für eine Seligkeit empfunden habe! O wie gerne, wenn ich nur den Mut gehabt hätte, wäre ich Dir um den Hals gefallen! Aber ich mußte meinem Herzen, der Eltern und der Geschwister wegen, einen großen Zwang antun. Heute aber ist die für mich gar zu unbeschreiblich glückliche Zeit gekommen, bei Dir, dem Meister und Herrn, zu sitzen, den ich schon, seit ich von Ihm das erste Wort gehört habe, über alle Maßen liebe.

10. Oh, jetzt bist Du da und ich habe Dich und — o welch eine unbeschreibliche Seligkeit! — darf Dich lieben und werde auch von Dir geliebt. Oh, nun dürften wohl selbst die vollkommensten Engel im Himmel nicht seliger sein, als ich's nun bin! — Aber Du darfst uns nun auch nimmer verlassen; denn da müßte ich wohl sterben vor zu großer Traurigkeit!“

11. Sage Ich: „Nein, nein, du Mein Herz! Dich verlasse Ich ewig nimmer und sage dir auch, daß du den Tod weder sehen noch fühlen wirst; Meine Engel werden dich von dieser Welt dereinst holen und werden dich bringen zu Mir, deinem Vater von Ewigkeit! Denn sieh, du Meine allerallerliebste Jarah, zu Dem du um Meine Hierherkunft gar so herzlich gebetet hast, Der sitzet nun in Meiner Person bei dir und liebt dich mit all der rein göttlichsten Flamme aller Himmel, und du hattest recht zu sagen, daß du seliger bist denn die vollkommensten Engel aller Himmel! — Hebe deine Augen auf, und du wirst es sehen, daß es also ist, wie Ich es dir nun gesagt habe!“

115. Kapitel. Jarah schaut den Himmel offen.

01. Hier hebt die lieblichste Jarah ihre schönen himmelblauen Augen auf zu den Himmeln und schauet wie eine Verklärte, voll der höchsten Entzückung, in die Tiefen der ihren Augen geöffneten Himmel. Nach einer ziemlich geraumen Weile erst fängt sie an, mit einer himmlisch reinen und sanften Stimme mehr zu stammeln als zu reden folgendermaßen: „Ah, ah, ah, o Du großer, überheiliger Gott! Welch endlos unbeschreiblich Entzückendes sehe ich nun! Die endlos großen Himmel sind angefüllt von den seligsten Engeln! O wie endlos selig müssen sie sein! Aber die arme Jarah ist dennoch seliger! Denn der ewige Thron in der großen Mitte der endlos weiten Himmel, um den zahllose Scharen der Engel auf sonnenlichten Wolken knien und in einem fort rufen: ,Heilig ist Der, dessen Thron hier stehet! O freuet euch ihr Ewigkeiten, bald wird Er auf der Erde das nie zu beschreibende große Werk vollendet haben und wird kommen und einnehmen diesen Thron der Herrlichkeit Gottes!‘, ist leer; Der aber darauf zu sitzen allein das ewige Recht hat, sitzet nun als Mensch hier bei der armen Jarah! Oh, so lobet und preiset Ihn; denn Sein ist der ewige Thron aller göttlichen Macht und Herrlichkeit!“

02. Nach diesen Worten sinkt sie an Meine Brust, nachdem ihr das Gesicht wieder benommen ward, und sagt: „O Du großer Alleinheiliger! Verstoße mich arme, schwache Jarah, darum ich Dich über alles das, was ich nun gesehen habe, gleichfort zu lieben wage! Aber ich kann ja nicht dafür, daß mein Herz Dich stets mehr liebt!“

03. Sage Ich: „Ja, du Mein Herzchen, siehe, darum habe Ich dir ja Meine Herrlichkeit und Mein Reich gezeigt, weil Ich will, daß du Mich noch immer mehr und mehr lieben sollst! Liebe du Mich darum fest darauf los; denn solche Liebe wird dir keinen Schaden bringen!“

04. Die Jarah umklammert Mich darauf mit beiden Händen und drückt Mich so fest als möglich an ihr Herz, und Ich sage darauf zu den, ganz stumm vor Erstaunen, Umstehenden: „Da sehet und nehmt euch alle ein Exempel daran! Dies Mägdlein, erst zwölf Jahre alt, bezeigt Mir eine Liebe, wie Mir so etwas in ganz Israel noch nicht vorgekommen ist; aber der Mich so liebt wie diese, dem werde auch Ich geben, daß er dann in Fülle haben wird, was die Welt noch nicht gehabt und Israel nie gefühlet und geschmecket hat!“

05. Nach dieser über die Maßen erbaulichen Szene, die bei einer guten Stunde angedauert hatte, kamen die Diener Ebahls und fragten, ob es an der Zeit wäre, das Nachtmahl hereinzubringen.

06. Sagt Ebahl: „Wenn es unserem Herrn Jesus genehm ist, dann bringet es!“

07. Sage Ich: „Bringet, was ihr habt! Denn die Liebe gibt und genießt, und Ich will auch genießen, was Ich gegeben habe! Aber Meine liebste Speise ist hier dies Mägdlein; denn sie gibt Mir, was Mir die Ewigkeit noch nicht gegeben hat und auch nicht geben konnte!“

08. Da entfernen sich die Diener, um die bereiteten Speisen hereinzubringen. Aber sie machen ganz entsetzlich große Augen, als von ihren bereiteten Speisen nichts mehr vorhanden ist, aber dafür die Speisekammer voll von den besten und seltensten Speisen und von den edelsten Früchten und voll des allerbesten Weines gefüllt ist. Sie kommen bald wieder und erzählen mit verwunderungsvollem Eifer, was sich, während sie hier fragten, in der Küche alles zugetragen hatte; und sie fragen weiter, ob sie die neuen Speisen hereinbringen oder ob sie frisch zu kochen anfangen sollen.

09. Ich sage: „Was in der Speisekammer ist, das bringet herein; denn heute seid ihr alle Meine Gäste! Meinen Jüngern, den zwei Essäern und den Pharisäern aber sind schon die von euch bereiteten Speisen überbracht worden. Störet sie nicht; denn sie haben heute in Meinem Namen noch ein großes Geschäft, das ihre Kräfte bis nach Mitternacht sehr in Anspruch nehmen wird.“ — Darauf gingen die Diener zu holen die himmlische Kost.

10. Ebahl und der Hauptmann aber sagten überfrohen Mutes: „Herr, nun nehmen uns dergleichen Erscheinungen gar nicht mehr wunder, da wir nun schon nur zu klar einsehen, daß Du der Herr bist, dem kein Ding unmöglich ist! Uns bleibt nichts als die große Frage übrig: ,Wodurch, Herr, haben wir uns solcher Gnade würdig gemacht?‘ Aber nun kommen schon die Speisen aus den Himmeln! Nach dem Mahle wollen wir darüber weiterreden!“

11. Die Speisen werden auf den Tisch gesetzt, die Danksagung wird dargebracht, und alles greift auf Mein Geheiß mutig zu und ißt und trinkt. Und der Hauptmann sagt, daß er noch nie solch wahrhaft himmlisch wohlschmeckende Gerichte gegessen und noch nie einen so köstlichen Wein getrunken habe. Auch Meine Jarah läßt sich's gut schmecken und sagt auch, daß so etwas Wohlschmeckendes noch nie ihren Gaumen berührt und ihren Magen nie etwas so befriedigt habe. Kurz, alle können den Wohlgeschmack der Speisen nicht genug rühmen und fangen an, laut Mich und den guten Vater im Himmel zu loben.

116. Kapitel. Die Lehren Jesu sollen Gemeingut werden.

01. Ich aber sage zu ihnen: „Wohl euch allen, daß ihr glaubet, daß des Menschen Sohn vom Vater im Himmel ausgegangen und gekommen ist in diese Welt, aufzurichten das Gefallene und zu erlösen das Gefangene! Aber nehmet euch alle wohl in acht, daß ihr von allem dem, was ihr nun als besondere Zeichen von Mir gesehen habt, niemandem etwas kundtuet; denn solches wäre von doppeltem Übel!

02. Die Hälfte, die solches vernähme, würde sich ärgern und das Vernommene nicht nur nicht glauben, sondern euch dazu noch als Narren erklären und euch allenthalben Übles nachreden; denn ein Blinder ist in seiner Wut gefährlicher als hundert Sehende! Die andere Hälfte dagegen würde eure Aussagen zu leichtgläubig annehmen und sich im Handeln endlich selbst solche Fesseln anlegen, daß sie darauf gar keiner freien Handlung mehr fähig wäre. Und dies hieße, den freien Geist des Menschen töten!

03. Die Lehren aber, die ihr vernommen habt, teilet euren Freunden und Bekannten mit; denn Meine Worte sind ewige Wahrheit, die allein jeden Menschen frei machen kann, der sie in sich aufnimmt, sie zu seiner Lebensrichtschnur macht und dadurch erkennt, daß sie eine ewige Wahrheit aus Gott ist, die da ist und war und allzeit sein wird das Sein und das ewige Leben jedes Menschen, der solche lebendig in sich hat.

04. Aber leider wird es viele geben, die solche Wahrheit nicht werden hören und annehmen wollen und sie verfolgen werden, als wäre sie ein Feind. Und andere wieder werden aus Furcht vor den Mächtigen der Erde sie fliehen, als wäre sie eine tödliche Pest. Aber die das tun werden, die werden das ewige Leben in sich nicht überkommen, sondern ihr Anteil wird sein der ewige Tod!

05. Wer das Leben des Leibes liebhat und es um jeden Preis zu erhalten strebt, der wird mit dem bald endenden Leben des Leibes auch das ewige Leben der Seele verlieren! Wer aber das Leibesleben flieht, der wird das ewige Leben der Seele gewinnen! — Dieses merkt euch wohl! Wer da aber noch etwas zu fragen hat, der frage! Ich werde ihm antworten.“

06. Sagt der Hauptmann: „Herr und Meister, was sollen wir Dich um weiteres fragen!? Wer Du bist, das wissen und fühlen wir! Was wir zu tun haben, wissen wir auch und sehen davon auch die Notwendigkeit ein! Wir wissen es auch und empfinden es tief in uns, daß Du das ewige Leben hast und dasselbe jedem Menschen geben kannst und geben wirst, so er nach Deinem Worte lebt und handelt! Mehr zu wissen aber wäre für uns Menschen unnötig, und um so mehr, da wir in Deinem Namen — wie mir einer Deiner Jünger auf das lebendigste versichert hat — ohnehin im lebendigen Glauben sogar die Kranken heilen können!

07. Wir sind Dir für solche unerwartete und ewig unverdiente Gnade und Erbarmung ewigen Dank schuldig, und wir geben dir die treueste Versicherung, daß Du Dir in unseren dankerfüllten Herzen ein ewiges Gedächtnismal errichtet hast, das der Hölle Macht und aller Zeiten Stürme nimmer verwischen werden! — Und so meine ich, daß wir uns nun, da es schon ziemlich spät in der Nacht geworden ist, zur Ruhe begeben sollen. Aber ich dringe nicht darauf, obschon ich für meine Person noch einmal werde nachsehen müssen, wie es mit meiner Mannschaft steht.“

08. Sage Ich: „Laß das gut sein! Denn da ist, so wie gestern, alles in der besten Ordnung! Ich aber will heute noch bis über die Mitte der Nacht wachen; denn ihr werdet euch überzeugen, daß unser Wachbleiben kein vergebliches sein wird. Es werden heute noch Reisende aus Jerusalem und darunter Pharisäer und Schriftgelehrte ankommen und uns so manches zu tun machen.“

09. Sagt Ebahl: „Oh, das ist sehr fatal; die könnten wohl füglich ausbleiben! Dergleichen Gäste sind mir stets die unangenehmsten; denn von denen verlangt einer soviel Aufmerksamkeit wie von sonst woher hundert Fremde, die ihre Pflege bezahlen, während diese alles umsonst haben wollen und am Ende noch mit nichts zufrieden sind, besonders, wenn sie vom Tempel aus beweislich von Amts wegen reisen! Ach, Herr, da hast Du mir wahrlich nichts Erfreuliches gesagt! — Ei, ei! Was soll denn da nun vorbereitlich geschehen?“

10. Sage Ich: „Sorge dich nicht! Die Speisekammer und der Keller sind voll; für Nachtlager für Hunderte ist in diesem Hause auch schon lange gesorgt, und mehr braucht es nicht. Sie sind von Jerusalem Meinetwegen abgesandt nach Nazareth; da sie Mich aber hier finden werden, so werden sie nach Nazareth nicht kommen. Ihr werdet euch morgen alle ärgern über sie; aber es soll ihnen von Mir reiner Wein eingeschenkt werden, daß sie darob vor Galle und Ärger noch morgen diesen Ort verlassen werden!“

11. Sagt Ebahl: „Dann aber haben wir den Teufel am Halse! Denn diese werden uns dann im Tempel ein Zeugnis geben, daß es ein Jammer und eine Schande sein wird!“

12. Sage Ich: „Dafür wird gesorgt sein, daß sie daheim nicht viel reden werden!“ — Auf diese Meine Erklärung tritt eine Pause ein, in der alles, was sich in dem Gemache befand, sich ganz still und ruhig verhielt und allein im Herzen beschäftigt war.

117. Kapitel. Kranke kommen zu Ebahl. Die Gäste von Jerusalem und ihre Mission.

01. Aber nach einigen Augenblicken Zeit ward es vor dem Hause lebendig. Man vernahm Stimmen von allerlei Zungen, zugleich fingen die Hunde des Nachbars, der ein Grieche war, an, stark anzuschlagen, und Ebahl sagte: „O weh, nun werden die Angesagten wohl schon da sein!“

02. Sage Ich: „Noch nicht! Das sind Kranke (Matth.14,35); aber es wird nicht mehr lange dauern, so werden auch die Angesagten hier eintreffen! Die Kranken jedoch sollen bis morgen harren; denn für heute sind ihrer genug geheilt worden. Gehe aber dennoch hinaus und laß sie alle, die hier angekommen sind, in eine Herberge bringen, und gib denen, die es hungert und dürstet, etwas zu essen und zu trinken!“

03. Auf diese Meine Worte begibt sich Ebahl sogleich mit seinen herbeigerufenen Hausdienern in seines Hauses großen Hofraum und findet denselben nahezu voll von allerlei Kranken, darunter viele Griechen, Römer und Ägypter. Alle diese verlangten zu Mir zu kommen, auf daß Ich sie heilte und gesund machte.

04. Ebahl aber wies ihnen eine Herberge an und ließ sie verpflegen, jegliches nach seiner Notdurft. Nach diesem Geschäfte kam er wieder in unseren Saal und sagte: „Dem Herrn alles Lob! Diese wären für heute versorgt und haben mir sehr wenig Mühe und Arbeit verursacht; wenn nur die angesagten Wichte aus Jerusalem auch schon in gleichem Maße versorgt wären! Aber da wird's nicht so leicht herabzukommen sein!“

05. Während Ebahl, der der ankommenden Pharisäer und Schriftgelehrten wegen Wachen auf— und ausgestellt hatte, aber noch so halbkläglich vor sich hin phantasierte, trat schon ein Diener in den Saal und verkündete zum Schrecken Ebahls die volle Ankunft der Angesagten. Ebahl eilt hinaus, um sie zu empfangen, und dessen zwei Weiber und die älteren Töchter folgen dem Ebahl, um ihn zu unterstützen, und Ebahls Söhne tun desgleichen; nur die liebe Jarah bleibt bei Mir.

06. Der Hauptmann aber, der auch neben Mir saß, sprach: „Wenn ich an Ebahls Stelle wäre, wüßte ich recht gut, was nun zu machen wäre! Ich geböte meinen Knechten, daß sie diese Kerle weidlichst durchstäupten! Was könnten sie ihm machen? Und es wäre solcher Empfang sicher nicht der erste, der ihnen schon hie und da zuteil geworden ist! Ich wollte mit ihnen einen ganz kurzen Prozeß machen! Und wenn sie hier hereinkommen sollten, so werde ich ihnen in jedem Falle dennoch einen Schabernack spielen, daß sie darob an Leib und Seele beben sollen, als hätte sie das Pestfieber ergriffen! Ich werde sie fragen, auf wessen Geheiß sie sich zur tiefen Nachtzeit einem Orte haben nahen dürfen, in dem sich eine römische Besatzung befindet; ich werde es ihnen zeigen, wie da ein jeder Ortskommandant das Recht hat, jeden, welchen Standes und welchen Bekenntnisses er auch sei, gefangenzunehmen und, so er sich nicht gültig zu rechtfertigen vermag, auch sogleich dem scharfen Gerichte zu übergeben! Ich werde das an ihnen zwar nicht in der Tat ausüben, aber einen panischen Schrecken will ich dennoch über ihre argen Häupter treiben, daß ihnen der Angstschweiß bis zur Ferse hinabfließen soll!“

07. Sage Ich: „Freund, tue, was du willst, von Mir aus werden dir hier keine Schranken gesetzt; aber so du hier ein gewisses Amt handeln willst, so mußt du nun hinausgehen und solches mit ihnen draußen abmachen unter Beiziehung einiger deiner unteren Führer!“

08. Sagt der Hauptmann: „Da laß, o Herr, nur mich sorgen; denn meine Gesetze und meine Rechte verstehe ich allenthalben zu handhaben!“

09. Nach diesen Worten ruft er sogleich seinen Diener, der im Vorhofe Wache hält. Dieser tritt eilig in den Saal und bittet den Hauptmann um den Befehl.

10. Der Hauptmann aber sagte zu ihm: „Laß du den Läufer sogleich ins Lager, und der Unterführer soll mir ungesäumt dreißig Mann hierhersenden! Gehe!“ — Mit diesen Worten verläßt der Wachmann augenblicklich den Saal, und in zehn Minuten treten schon die dreißig Mann samt dem Unterführer in den Saal und werden von den noch auf der Straße rastenden und sich loben und preisen lassenden Pharisäern nicht bemerkt. Der Unterführer fragt den Hauptmann, was da nun zu geschehen haben werde.

11. Sagt der Hauptmann: „Vorderhand nichts von Bedeutung! Es gilt hier bloß, den Respekt aufrechtzuerhalten, den die Fremden zu beachten haben; und sollte ihnen das römische Lagergesetz fremd sein, so werden wir es ihnen einschärfen. Verhaltet euch daher hier ruhig und ernst, und habet acht auf jeglichen meiner Winke! Es geschehe!“

12. Bald darauf öffnet Ebahl weit des Saales Tür und bei zwanzig Pharisäer und Schriftgelehrte treten ein. Es versteht sich schon von selbst, daß die zwanzig noch eine Menge Begleiter mit sich hatten und Lastesel und Maultiere, die sie und ihr vieles Reisegepäck fortzuschaffen hatten; die Begleiter und die Tiere und alles Gepäck mußten versorgt werden. Als die Pharisäer und die Schriftgelehrten vollends im Saale waren, musterten sie sogleich die Saalgesellschaft und fragten den Wirt, was das römische Militär hier zu tun habe.

13. Sagt Ebahl: „Es wird vernommen haben, daß ihr hier ankommen werdet, und es kam, um euch die gebührende Achtung zu bezeigen.“

14. Sagt der Pharisäer einer: „Das sieht den Römern durchaus nicht gleich! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle, — wir sind hungrig und durstig, darum laß Speisen und Trank bringen!“

15. Ebahl setzt sogleich alle Hände und Füße in Bewegung, die außer Meiner Jarah nur im Hause existieren, und in wenigen Augenblicken ist ein großer Tisch bestens bestellt.

16. Die Pharisäer waschen sich die Hände und greifen hernach zu. In kurzer Zeit ist alles aufgezehrt und bei sechzig Becher Wein ausgetrunken. Der Wein aber macht sie gesprächig, und sie fangen darauf an, sich nach allerlei zu erkundigen, geben bald den Grund ihrer Hierherreise an und erkundigen sich um Mich, sagend: „Wisset ihr hier nichts von einem Vagabunden, der aus Nazareth gebürtig sein soll? Dieser Mensch, etwa ein Zimmermann von Profession, treibe unerhörte Zauberei, verbreite eine neue Gotteslehre, mache Kranke gesund, beschwöre die Geister und wiegle das Volk gegen den Tempel und gegen den Kaiser auf. Wir sind seinetwegen auf dem Wege nach Nazareth, um dort diese Sache zu untersuchen. Da er aber in ganz Galiläa sein Wesen treiben soll, so dürftet ihr hier von ihm wohl vielleicht etwas Näheres wissen!“

118. Kapitel. Szene zwischen dem Hauptmann und den Templern.

01. Hier tritt der Hauptmann auf und sagt: „Den Mann, um den ihr euch erkundiget, kenne ich sehr genau und weiß um alle Seine Taten, auch um jene, die erst kaum vor etlichen Wochen von Ihm im Orte Kis vollbracht ward, wo eben Er durch Seinen göttlich prophetischen Geist dem Gerichtsvorsteher Faustus eröffnet hat, daß die kaiserlichen Steuergelder und sonstigen Schätze aus dem Pontus und aus Kleinasien kommend, von euresgleichen der römischen Überbringungskarawane auf eine allerschmählichst pfiffige Art abgenommen worden sind, was den Oberstatthalter Cyrenius in die größte Verlegenheit und ganz Galiläa, ja sogar das ganze jüdische Reich, in die größte Gefahr gesetzt hat.

02. Nur eben dem Jesus hat der Oberstatthalter, das ganze Judenreich und ihr selbst es zu verdanken, daß ihr jetzt noch lebet! Denn wären jene von euresgleichen geraubten kaiserlichen Gelder durch Jesus nicht zum Vorscheine gekommen, so wäre das ganze Land gebrandschatzt worden, und alle Schätze von ganz Judäa hätten nicht hingereicht, den verübten Frevel zu sühnen! Daß es aber also gut und stille für euch und euresgleichen zu Jerusalem, wie im ganzen Judenreiche, abgelaufen ist, das habt ihr allein Jesus, dem größten und weisesten und mächtigsten Propheten zu verdanken; und es ist darum im höchsten Grade schlecht und unbillig von euch, so ihr ausgehet, einen Mann zu verfolgen, dem ihr nun alles, euer Leben und Sein, zu verdanken habt!

03. Das aber, was ihr soeben aussagtet, daß ihr deshalb nach Nazareth ziehet, um den Jesus gleich wie einen größten Verbrecher zu fangen und zu untersuchen, ist Er am allerwenigsten! Er wiegelt keinen Menschen weder gegen euch und noch weniger gegen den Kaiser auf, ansonst mir geheim wohlbekanntermaßen Cyrenius nicht Sein Freund wäre! —

04. Aber nun von etwas anderem, meine Tempelherren! Ihr werdet etwa doch wissen, daß hier in Genezareth sich schon seit einigen Jahren gleichfort ein römisches Militärlager befindet; und es muß daher ein jeder Mensch, ohne Ausnahme, wes Standes und Landes er auch sei, eine verläßliche, von römischer Obrigkeit wohl signierte Reiseurkunde bei sich haben, so er den Lagerort mit heiler Haut unbeanstandet passieren will. Ich ersuche euch daher um so mehr, da ihr zur Nachtzeit hierhergekommen seid, um eine solche Urkunde, ohne die ich als Haupt— und Befehlshaber über diesen Ort, wie über diese ganze Gegend, euch gefangennehmen müßte, morgen öffentlich stäupen und endlich euch geschlossen nach Jerusalem zurück verschicken würde! Habet also die Güte und weiset mir eure erforderlichen Reisezeugnisse vor!“

05. Sagt der Oberste der Pharisäer: „Herr, ich selbst bin als ein Oberster aus Jerusalem das lebendige Reisezeugnis für alle, und wir bedürfen keines andern! Denn so gut du ein Herr bist, bin ich es auch und kann mit kaiserlichem Privilegium reisen bei Tag und bei Nacht in ganz Israel! Wir sind von Gott gesalbt — und wehe dem, der seine Hände an uns legte!“

06. Sagt der Hauptmann: „Das kaiserliche Privilegium gilt nur für lagerfreie Orte; aber an Orten, da ein offenes Militärlager sich befindet, gilt das kaiserliche Privilegium nichts!“

07. Sagt der Oberste: „Uns ist solch ein Gesetz noch nie bekanntgegeben worden, und somit konnten wir es auch nicht beachten; denn so dumm sind wir nicht, daß wir uns bei einer Reise nicht mit allen Dingen versehen möchten, die zu unserer Sicherheit notwendig sind. Wenn aber hier solches vonnöten ist, da entsenden wir auch sogleich Boten nach Jerusalem, und morgen bis um diese Zeit kannst du die erforderlichen Reisedokumente in deinen Händen haben.“

08. Sagt der Hauptmann: „Es hat dessen nicht vonnöten; denn es steht bei mir, eurer Aussage Glauben zu schenken oder nicht. Ich aber werde euch streng beobachten; sowie ich nur im geringsten etwas merke, das mir verdächtig wäre, da seid ihr aber auch augenblicklich meine Gefangenen! Für jetzt und für solange ihr euch hier aufhalten werdet, bekommt ihr eine starke Wache, von der ihr dann auch gegen Bezahlung von hundert Silbergroschen bis zur Grenze dieses Gebietes begleitet werdet; hättet ihr aber die erforderliche Reiseurkunde bei euch, so wäret ihr von aller Zahlung frei!“

09. Sagt der Oberste: „Solches wird der Herbergsherr für uns entrichten, da wir auf einer Reise nie Geld mitnehmen dürfen; denn die Erde ist Gottes, und wir sind Dessen Knechte und haben von Gott aus das Recht, die ganze Erde unser zu nennen und überall zu ernten, wo wir auch nicht gesäet haben! Denn jeder Jude weiß es, daß alles, was er hat, nur ihm von uns aus geliehene Sache ist, die wir allzeit von ihm zurücknehmen können. Aus diesem ganz einfachen Grunde können wir auch in ganz Israel nirgendswohin als Fremde kommen, sondern nur als Herren und alleinige von Gott aus berechtigte Eigentümer jedes Hauses, jedes Grundes und Bodens und jedes Geldes und sonstigen Schatzes; und wir können daher ganz gut dem Ebahl gebieten, daß er für uns die hundert Groschen bezahle, denn er hat sie ja auf unserem Grund und Boden genommen! Und täte er es nicht, so geben wir alle diese seine Besitztümer einem andern, dem es auf die hundert Groschen nicht ankommen wird!“

10. Weil das den Ebahl sehr nahe angeht, so macht er endlich denn doch auch seinen Mund auf und sagt: „Meine Herren, da seid ihr ein wenig in einer Irre! Denn fürs erste ist von alters her dieser Ort ein Freigebiet, von dem außer Gott und Kaiser kein Mensch etwas zu fordern hat, und fürs zweite habe ich diesen Ort mit meinem zweiten Weibe, das von Geburt auf eine Griechin und erst durch mich eine Jüdin geworden ist, erheiratet, da sie des Hauses einzige Tochter war, und somit gehört all dieser große Besitz nicht mir, sondern meinem zweiten Weibe und nach ihr ihren Töchtern. Ich besitze sonach nichts, und es kann mir daher auch nichts genommen werden; und die hundert Groschen werdet dann ihr selbst zahlen müssen! So ihr das mir nicht glauben wollet, da fraget hier den Hauptmann, der meine alleinige Obrigkeit ist, der wird es euch sagen!“

11. Sagt gleich der Hauptmann: „Ja, ja, also ist es! Ihr selbst werdet die hundert Silbergroschen bezahlen! Dagegen hilft kein Bitten und keine weitere Einsprache; denn hier bin ich allein derjenige, der da zu gebieten und zu verlangen hat!“

12. Sagt der Oberste: „Wenn wir aber nun sogleich nach Jerusalem einen Boten, der ein guter Reiter ist, senden, so ist er morgen bis gen Mittag mit dem erforderlichen Dokumente hier!“

13. Sagt der Hauptmann: „Das ist gleich! Denn die hundert Groschen müßt ihr schon darum bezahlen, weil ihr ohne ein solches erforderliches Dokument hierhergekommen seid; darum nun keine weitere Rede über diese Sache!“

14. Sagt der Oberste: „Wir haben aber kein Geld bei uns; denn so wir reisen, führen wir nie Geld mit uns, weil solches Verhalten bei uns Gesetz ist! Woher sollen wir nun Geld nehmen?“

15. Sagt der Hauptmann: „Das wird schon meine Sorge sein! Wo das Geld mangelt, da tritt das Pfandrecht ein. Eure Effekten, die ihr, wie ich vernommen habe, massenhaft mit euch führet, werden wohl die hundert Groschen wert sein!“

16. Sagt der Oberste: „Wert sind sie wohl tausendmal soviel; aber das sind lauter gottgeweihte Dinge, und Gott würde den jählings tot werden lassen, der sich an ihnen vergriffe! Daher wirst du solche Dinge nicht anrühren und noch weniger nehmen dürfen!“

17. Sagt der Hauptmann: „Wird nicht so arg sein! Wir werden es versuchen, ob es sich mit euren gottgeweihten Effekten wirklich so gefährlich verhält!“

18. Schreien alle die Pharisäer: „Nein, nein, nein! Wir werden die hundert Groschen schon noch zusammenbringen; denn unsere Leute führen schon Geld mit sich!“

19. Hier geht ein Pharisäer hinaus und bringt in einem Beutel die hundert Groschen und überreicht sie dem Hauptmanne, und der Hauptmann übergibt den Beutel dem Unterführer; dieser muß das Geld zählen. Nachdem die Zahl richtig ist, befiehlt der Hauptmann dem Unterführer, das Geld in die Kasse der armen Sünder zu legen, was der Unterführer auch sogleich ausführt.

20. Der Oberste aber sagt: „Das ist hier ein sonderbarer Gebrauch, das geweihte Geld in die Kasse der armen Sünder zu legen, indem wir doch Diener Gottes sind! Weißt du denn nicht, daß derjenige, der einen Diener Gottes beleidigt, auch Gott beleidigt?“

21. Sagt der Hauptmann: „Was geht mich euer Gott an!? Ich bin ein Römer und weiß, was ich weiß, und was ich glaube! Euer Gott aber, dem ihr nun dienet, ist und wird mein Gott nie sein! Für mich seid ihr sonach die allergrößten Sünder, und euer eurem Gotte geweihtes Geld gehört demnach in die Kasse der armen Sünder! — Verstehet ihr solches?“

22. Sagt der Oberste: „Ja, Herr, wir verstehen es und begreifen es, daß wir es mit einem festen Heiden zu tun haben, der so wie alle festen Römer uns samt unserer Gotteslehre so tief als möglich verachtet!“

23. Sagt der Hauptmann: „Nicht so tief, als ihr es meinet; denn das wahre alte Judentum erkennen auch wir an; nur eure neuen Satzungen, euren eigenen Unglauben und eure himmelschreienden Betrügereien aller Art verachten wir dreimal ärger als den Tod selbst. Denn bei euch ist wohl keine Spur mehr vom alten Judentume; euch sind bloß die Namen geblieben. Aber wo sind die auserlesenen Werke derer, von denen ihr abstammet, und die Lehre und weise Gesetze gegeben haben? Ich weiß es recht gut, wie es dereinst mit eurer Bundeslade ausgesehen hat. Wie sieht es aber nun aus? Wo ist der über ihr schwebende Geist Gottes?“

24. Sagt der Oberste: „Das ist alles noch also, wie es war zu Aarons Zeiten!“

25. Sagt der Hauptmann: „Oder wie anders! Hört! Ich war noch vor kaum drei Jahren selbst in eurem sogenannten Allerheiligsten, und zwar gegen Erlag von siebenhundert Silbergroschen. Was aber habe ich da gesehen und gerochen? Einen ehernen Kasten auf einem Traggestelle, aus dessen Mitte eine recht lebhafte Naphthaflamme loderte, deren etwas widriger Geruch meine Nase eben nicht auf das angenehmste affizierte! Die bewußten Ingredienzien in der sogenannten Bundeslade waren sicher viel jünger als Moses und Aaron, und meine Börse ward darauf sehr traurig, daß ich sie eurer Torheit und Betrugs halber gar so mächtig gelüftet hatte! Mit mir redet darüber keine Silbe mehr; denn ich bin einer, der euren Betrug himmelweit durchschaut! Wisset, so ich Kaiser wäre mit meiner jetzigen Wissenschaft, so ließe ich morgen den ganzen Tempel über die Klinge springen! Euer Glück, daß ich eben nicht Kaiser bin; aber was euch der Kaiser nicht tut, das wird euch sein nächster Nachfolger tun!“

26. Sagt der Oberste: „Herr, so du das weißt, da bitte ich dich zu schweigen des Volkes wegen; denn käme so etwas ins Volk, so hätten wir den allerunbändigsten Aufstand zu befürchten!“

27. Sagt der Hauptmann: „Nichts zu befürchten deshalb! Denn so etwas weiß nun schon beinahe ein jeder Galiläer, und von einem Volksaufstande ist dennoch nicht im entferntesten die Rede! Denn dazu sind schon wir Römer da, die mächtig genug sind, jeden Aufstand in der Wurzel zu ersticken!“

28. Sagt der Oberste: „Nun, Herr, wir haben gezahlt und sind demnach gleich; lassen wir darum diese Sache! Wenn du aber von dem berüchtigten Magier Jesus etwas Näheres weißt, so wolle es uns gütigst mitteilen, wie es mit ihm und seiner fraglichen Lehre und seinen Taten sich verhält, auf daß wir dem Tempel darüber etwas zu berichten haben!“

29. Sagt der Hauptmann: „Ich habe es euch schon gesagt, daß ich Ihn ganz genau kenne und ich Ihn auch schon lange hätte ergreifen lassen, wenn sich nur im geringsten etwas gezeigt hätte, was einer Meuterei gleichsähe; aber so bin ich zu sehr vom schnurgeradesten Gegenteile überzeugt, und so kann ich Ihm nur das beste Zeugnis geben. Wäret ihr wie Er, Jerusalem wäre die ewige und erste Stadt Gottes durch alle Zeiten der Zeiten, und der Geist Gottes schwebte noch wie zu Aarons Zeiten über der Lade! Aber ihr seid das schnurgerade Gegenteil von Ihm, und darum wird sich eure Stadt und euer Tempel nicht lange mehr halten! Das berichtet euren Kollegen, auf daß sie es erfahren, auf welchem Sandboden ihre Stadt und ihr Tempel erbaut ist! — Morgen jedoch sollet ihr mit euren Augen und Ohren mehr erfahren, und so möget ihr euch für heute zur Ruhe begeben!“

30. Sagt der Oberste: „Wir bleiben hier am Tische sitzen; denn deine bedeutungsvollen Worte haben uns den Schlaf auf Tage lang benommen! Wer da schlummern kann, der schlummere; ich aber werde sicher überwach verbleiben! — Dort im Winkel des Tisches sitzt ja ein Gast mit einer Maid!? Wer ist er denn? Haben wir seiner zu achten, oder ist er ein Gefangener von dir samt der Maid? Hat er vielleicht auch keine Reisedokumente in den Händen?“

31. Sagt der Hauptmann: „Um diesen habt ihr euch nicht zu erkundigen; der steht unter meinem Schutze! Morgen jedoch hoffe ich, daß ihr Ihn werdet näher kennenlernen.“

119. Kapitel. Die Macht der Liebe.

01. Nach diesen Worten fragt keiner der Pharisäer um mehreres.

02. Ich aber erhebe Mich darauf, grüße den Hauptmann, der Mir mit großer Wärme und Innigkeit den Gruß erwidert und Mich mit der Jarah im Beisein des Ebahl und dessen Weibern und den andern Kindern in ein anderes Gemach begleitet, allwo für Mich ein gutes Nachtlager bereitet ist.

03. Ich aber sage zum Hauptmanne: „Wollt ihr alle die Nacht hindurch bei Mir verbleiben, so bleibet; wollt ihr aber euch zur Ruhe begeben, so könnet ihr auch das tun! So ihr aber bleibet, da wird es niemandem darum des Morgens am Schlafe gebrechen. — Übrigens hast du als Mein wahrer Freund sehr gut mit den Pharisäern verhandelt; sie sind nun in einer großen Furcht und Spannung und werden die Sandkörner ihrer Uhr zählen und mit großer Ungeduld den kommenden Tag erwarten!

04. Es war nur gut, daß Meine Jünger, die sich noch mit den zwei Essäern und mit den etlichen Pharisäern abmühen und sie schon nahe ganz auf ihrer Seite haben, nicht auf den bedeutenden Lärm zu uns in den Speisesaal gekommen sind! Denn das hätte ein unzeitiges Aufsehen erregt! Doch — also wollte Ich es ja, und so konnte es auch nicht anders geschehen! — Aber was werde Ich denn mit Meiner allerliebsten Jarah beginnen? Dies Mägdlein verläßt Mich nimmer!“

05. Sagt die Kleine: „Herr, solange Du in unserem Hause verweilest, wird Jarah nicht von Deiner Seite weichen; und wäre es möglich, daß Du stürbest, so stürbe Jarah mit Dir! Wenn Du aber unser Haus wieder verlassen wirst und die Jarah nicht mit Dir wird ziehen können, dann wird sie daheim seufzen und den Vater in Deinem Herzen bitten, daß Er Dich wieder zu ihr führen möchte; denn ohne Dich kann nun die Jarah nicht mehr leben!“

06. Sage Ich: „Sehet, das ist ein rechtes Beispiel, wie man Gott lieben muß, um von Ihm in gleichem Maße wiedergeliebt zu werden! Gottes Liebe erfaßt zwar alles, und es ist in ihr ewig kein Zorn und keine Rache; aber es ist dennoch ein großer Unterschied zwischen dem, wie ein Mensch von Gott geliebt wird. Solange ein Mensch atmet und lebt, ist es ein Beweis, daß Gott durch Seine Liebe ihm das Leben gibt, ansonst er schon lange völlig tot wäre.

07. Aber wer Gott also liebt wie diese Kleine hier, der nötigt Gott, daß Er komme zu ihm und Wohnung nehme in des liebenden Menschen Herzen! Und Gott kommt und nimmt dann durch Seinen Geist Wohnung im Gott über alles liebenden Herzen; und ein solcher Mensch hat dadurch das ewige, unvergängliche Leben in sich und ist völlig eins mit Gott!

08. Es ist zwar nicht jedem gegeben, Gott also mächtig zu lieben, wie das der Fall ist bei dieser Meiner allerliebsten Jarah; aber dennoch kann jeglicher Mensch Gott lieben aus allen seinen Kräften, und Gott wird darum auch des Herz erfüllen mit Seinem Geiste und Seiner Gnade und wird ihn ewig nimmer fallen lassen in den Abgrund. Wenn er schon strauchelt, so wird ihm allzeit wieder aufgeholfen werden, und das ewige Leben wird in ihm sein und bleiben immerdar.

09. Und nun, Meine allerliebste Jarah, weil du Mich denn gar so lieb hast, so mußt du uns nun denn auch so eine kleine Geschichte erzählen; denn Ich weiß es, daß du mit den Geschichten aller guten Art reichlich ausgestattet bist!“

10. Sagt die Jarah, lieblich kindlich lächelnd: „O Herr, nur damit verschone mich! Denn so etwas würde sich an Deiner endlos weisesten Seite ja denn doch viel zu dumm ausnehmen!“

11. Sage Ich: „Nein, nein, du Meine allerliebste Jarah, das darf dich nicht beirren; denn die größte Nachsicht kannst du allzeit und ewig nur von Mir erwarten! Denn siehe, Ich verstehe das Weinen der Kindlein schon, geschweige erst ihre Sprache! Du hast ja manchmal so recht seltsame Träume, — gehe und erzähle Mir so einen Traum!“

120. Kapitel. Jarahs Träume von der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn.

01. Sagt die Jarah: „Nun, damit könnte ich schon aufwarten; aber meine Träume sind gewöhnlich recht fürchterlich und zeigen mir die Weltmenschen in ihrer ganzen scheußlichen Gestalt, und ich sehe dann an ihrer Statt lauter Teufel! Und so hatte ich erst unlängst einen Traum! Da sah ich einen herrlichen Menschen, der Dir, o Herr, sehr ähnlich sah. Diesen Menschen sah ich gebunden mit Stricken, wie einen Verbrecher.

02. Ich fragte die ihm folgenden Weinenden, was denn dieser herrliche Mensch möge angestellt haben, daß die Weltmenschen so übel mit ihm verfahren. Und die Weinenden sagten mir, einer wie der andere gleich: ,Er war ein mächtiger Wohltäter der Menschheit. Nie beging er eine Ungerechtigkeit, und hellste Wahrheit war der Honigseim seines Mundes. Den welt— und herrschsüchtigen Pharisäern hatte er zu viel Wahrheit gesagt, und sie haben ihn darum zum Tode am Kreuze durch den schwachen römischen Landpfleger verdammen lassen. Sie führen ihn jetzt zur Richtstätte; komm mit uns und schaue mit, mit welchem Lohne der größte Menschenfreund von den schlechten, allerselbstsüchtigsten Menschen belohnet wird!‘

03. Und ich ging mit den Weinenden auf einen niederen Berg und sah den ehrlichen Menschen, der von Schlägen und Hieben voll Blut war und am Haupte noch zur Erhöhung der Qual einen Dornenkranz trug, ein schweres Kreuz schleppen. Auf der Richtstätte aber entblößte man ihn, warf ihn darauf unbarmherzigst wie ein wildes Tier aufs Kreuz hin, nahm viele spitzige Nägel und schlug sie ihm mit schweren Hämmern durch Hände und Füße und heftete ihn also auf die allergrausamste Weise auf das harte und schwere Kreuz! — O Herr, das war Dir ein fürchterlicher Anblick! Wenn ich an diesen Traum nur denke, so vergeht mir Hören und Sehen! — Endlich erhob man das Kreuz und setzte es in ein schon fertiges Loch und verkeilte es, daß es feststünde.

04. Das Wunderbarste war dabei aber doch, daß dieser über alle Maßen ehrliche Mensch auch bei aller solcher qualvollster Marter nicht einen Schmerzenslaut von sich stieß, während doch noch zwei andere, die bei weitem nicht so grausam gemartert wurden, ungeheuer schrien und wehklagten!

05. Hier wurde ich wach und zitterte am ganzen Leibe. Herr, so ein Traum ist aber auch kein Scherz für ein so zartfühlendes Mädchenherz, wie das meinige ist! Ich bat darauf gleich den lieben Vater im Himmel, daß Er mir ja keinen gar so schweren und qualvollen Traum mehr zukommen lassen möchte; und siehe, bis zur Stunde hatte ich wirklich keinen so schweren Traum mehr zu bestehen! Mein Vater sagte mir zwar immer, daß die Träume leere Schäume seien und vom schweren Geblüte herrührten. Mag sein! Wenn ich schon ein so schweres Geblüt hätte, so müßte ich sonst ja auch schwerfälliger sein, als ich bin; aber ich bin sonst ja ein flinkes und munteres Mädchen, — wie kann ich da ein schweres und faules Geblüt haben?“

06. Sage Ich, der Ich bei dieser Erzählung etwas düsterer geworden bin: „Nein, nein, du Meine allerliebste Jarah, du hast nur ein ätherleichtes Geblüt; aber es ist dein Traum von großer Bedeutung! — Doch nun nichts weiter mehr davon, die Zeit wird dir darin eine Lehrerin sein; aber selig bist du, die du solches im Traume geschaut hast! Nur wenigen Propheten war es gegönnt, solches in ihren Gesichten wahrzunehmen.

07. Vieles aber ist den Menschen auf dieser Erde verborgen. Das große ,Warum‘ werden sie erst jenseits erfahren! — Aber nun erzähle Mir noch einen Traum, den du in drei Tagen darauf von demselben Menschen geträumt hast!“

08. Sagt die Jarah: „Oh, den erzähle ich auch viel lieber; denn er ist um viele tausend Male heiterer! Da befand ich mich auf einmal noch sehr früh morgens dem Anscheine nach in einem recht artigen Garten, von wo aus ich freilich leider recht wohl erkennend die im früheren Traume besagte Richtstätte sehen konnte. Solcher Anblick erfüllte mich gleich mit großer Angst, daß ich darob im Traume zu beten begann, der liebe Vater im Himmel möchte mich doch mit einer ähnlichen Erscheinung verschonen; denn noch sah ich leider die drei bekannten Kreuze auf der Richtstätte aufrecht stehen.

09. Aber da kam alsbald ein wunderschöner Jüngling zu mir, tröstete und stärkte mich mit den Worten, die ich mir gar wohl gemerkt habe: ,Fürchte dich nicht, du zarte, reine Seele! Das, was du vor drei Tagen gesehen, mußte also geschehen nach dem Ratschlusse Gottes, ansonst nie ein Mensch hätte selig werden und zur Anschauung Gottes gelangen können. Das, was gekreuziget ward, war Gottes Sohn, und Gott war in Ihm. Nun aber nach drei Tagen wird dieser Gottessohn aus höchst eigener Macht wieder vom Tode Seines göttlichen Fleisches auferstehen und wird herrschen fortan über die ganze Unendlichkeit, und Seines Reiches und Seiner Herrschaft wird ewig nimmer ein Ende sein; und vor Seinem Namen werden sich beugen alle Mächte und Kräfte, und die sich nicht werden beugen wollen, die wird Er verderben lassen. Aber der letzte, seligste Augenblick naht, darum habe acht auf den schweren versiegelten Grabstein!‘

10. Als der Jüngling solches zu mir geredet hatte, siehe, da hob sich der schwere Grabstein aus freien Stücken selbst vom Grabe, und aus demselben stieg heiteren, aber dabei dennoch überaus würdevollen Antlitzes auf ein Haar derselbe Mann, den ich vor drei Tagen habe so schrecklich kreuzigen sehen. Ich sah sogar die Wundmale an Händen und Füßen, und ich zweifelte nicht einen Augenblick, daß er es war.

11. Und der Mann trat zu mir hin und sagte mit einer unendlich wohlklingenden Stimme: ,Das, was du hier im Traume gesehen, war nur ein scheinend Vorbild von dem, was jüngst in der Wirklichkeit geschehen wird; Mich aber wirst du zuvor noch in der Wirklichkeit sehen, und nach Meiner Auferstehung zu öfteren Malen!‘ — Nach diesen Worten ward ich wieder wach und habe viel darüber nachgedacht. Aber bis auf Dich so ungefähr wollte mir in der Wirklichkeit noch kein Mann (jenem ähnlich) vorkommen!“

12. Sage Ich: „Nun, vielleicht bin Ich es? — Aber nun nichts Weiteres mehr davon, und darum nun von etwas anderem für den morgigen Tag!“

121. Kapitel. Unterredung zwischen dem Hauptmann Julius und dem Herrn über die Bosheit der Templer.

01. (Der Herr:) „Die Pharisäer, die Meinetwegen von Jerusalem hierhergereist sind, und die unser Freund auf eine wahrhaft weise Art ins Bockshorn getrieben hat, werden Mir morgen hart zusetzen, so sie Mich werden erkannt haben. Ich aber werde ihnen zum ersten Male reinen Wein zum Verkosten geben, das heißt, Ich werde ihnen die volle Wahrheit unumwunden ins Gesicht sagen.

02. Die Kranken, die hier sind, und die noch kommen werden, diese sollen nichts als nur den Saum Meines Oberrockes anrühren — und sie werden gesund werden. Meine Jünger sollen darauf das Morgenbrot mit ungewaschenen Händen essen, und das wird genug sein, um diese wahren Erzphilister von Pharisäern und Schriftgelehrten in allen Harnisch zu bringen. Darauf werden sie gleich mit ihren bekannten Fangfragen beginnen, und Ich werde ihnen Antworten geben, die ihnen noch um vieles saurer und bitterer vorkommen werden als Essig und Galle, ein bekanntes Getränk, mit dem sie den armen Sündern den Durst zu löschen pflegen. — Nun aber werden wir die paar Stunden bis zum Tage schweigend zubringen.

03. Meine Jünger haben sich nun auch mit ihren zwei Essäern und etlichen Pharisäern und Schriftgelehrten zur Ruhe begeben und haben ein gutes Werk vollbracht; denn sie haben sie alle für Mich gewonnen. Zwei junge Pharisäer aber, Pilah und Ahab, ersterer aus Kis und letzterer aus Jesaira, beide Hauptredner und dabei nüchterne, kluge Menschen, sind schon längere Zeit unter Meinen Jüngern. Diese, erst gestern morgen hier angelangt, haben sich gleich wieder zu Meinen Jüngern gesellt und bei dem Bekehrungswerke Meine Jünger ganz vorteilhaft unterstützt; denn Meine Jünger, durchgängig Fischer bis auf drei, haben noch zu wenig gewandte Zungen, und daher leisten ihnen die beiden jungen Pharisäer gute Dienste.

04. Gehe du, Ebahl, aber zu ihnen und sage es den Jüngern, daß sie morgen mit ungewaschenen Händen das Brot des Morgens essen sollen, und die andern hier bekehrten Pharisäer und Schriftgelehrten samt den zwei Essäern sollen sich unterdessen verborgen halten, bis die Jerusalemer abgereist sein werden; dann erst sollen sie hervorgehen, und Ich werde sie segnen. Wollen sie sich dann umkleiden und bei Mir bleiben, oder wollen sie vor den Menschen ins Gesicht das fortan sein, was sie bis jetzt waren, so steht ihnen beides frei und offen. Gehe und berichte das den Jüngern und den andern, — du weißt schon wem!“ — Ebahl entfernt sich sogleich und richtet alles genau aus, wie Ich es ihm angegeben habe. Und alle sind froh über diese Nachricht und versprechen, alles pünktlich und genau zu halten, was zu beachten Ich ihnen verkünden ließ.

05. Ebahl kommt zurück und erzählt uns gleich die gute Aufnahme, die seinem ausgerichteten Auftrage zuteil ward. Alle freuen sich dessen, und der Hauptmann sagt: „Ich freue mich ganz ungemein auf den morgigen Tag; aber das sage ich auch, und ganz besonders nun durch den merkwürdigen Traum der liebsten Jarah angeregt dazu, daß ich mit den Kerlen durchaus keinen Scherz treiben werde. Sobald sie mir Flausen machen, lasse ich sie stäupen, daß ihnen das böse Blut stromweise von den Rücken fließen soll! Denn Wortschläge sind für diese Unmenschen viel zuwenig und spornen sie nur noch mehr zur Rache an; aber eine Stäupung auf Leben und Tod wird sie in ihrem bösen Eifer sehr abkühlen. Es ist noch nicht gewiß, daß ich's tue; aber ungewiß eben auch nicht!

06. Es könnte sehr leicht möglich sein, daß diese Kerle und ihre Helfershelfer in Jerusalem an Dir, o Herr und Freund, im Ernste, so nur irgendein Haar von einer Möglichkeit vorhanden ist, das auf ein Haar verübten, was im ersten Traume das Mägdlein gesehen hat! Ich sage, ein Fünklein Möglichkeit und der höchst weibisch schwache Landpfleger Pontius Pilatus dazu — und Dich nageln sie mir und dir nichts ans Querholz!

07. Ja, wenn ich in Jerusalem Landpfleger wäre, da sollte einer versuchen, an Dich seine Hand zu legen! Den hängte ich zehnmal ans Querholz und ließe ihm erst beim zehnten Male die Beine brechen! Aber ich bin leider hierher postiert und könnte Dir nicht zu Hilfe kommen, und Deine Freunde Cyrenius und Kornelius auch nicht; darum muß man diesen Kerlen vorher ihren verderblichen Mut abzukühlen anfangen, auf daß sie ganz gehörig eingeschüchtert sind und fürder nicht so leicht wo immer es wagen sollen, an Gottesmänner, wie Du einer zuallerhöchst bist, ihre scheußlichen Tatzen zu legen!

08. O wartet, ihr Lumpen, der morgige Tag soll für euch ein so heißer werden, daß ihr mir vor lauter Hitze Blut schwitzen sollt! Wenn die Kerle so einige recht derbe Lektionen bekommen werden, da möchte ich beinahe ums halbe Römische Reich wetten, daß sie in ihren schlechten Handlungen — wenigstens in deren grausamsten Teilen — nachgeben werden; aber ihr altes böses Leder muß zuvor ordentlich durchgegerbt werden! Dixi (ich habe gesprochen)!“

09. Sage Ich: „Du kannst zwar tun, was du willst, und Ich werde dir nicht sagen: Tue es nicht! Denn du bist einer Meiner weisesten Freunde, die Mir irgend vorgekommen sind. Du hast wirklich in allen deinen Worten und Handlungen einen richtigen Takt; aber Ich sage es dir, es wird das alles dieser bösen Art nichts helfen, sondern sie nur noch böser und dabei verschmitzter machen. Denn die einmal des Satans sind, die sind es ganz, und man kann sie dann und wann mit Wortschlägen noch am ehesten zu etwas Besserem wenden, so wie dies nun Meine Jünger gemacht haben und wie solches geschehen ist in Nazareth, wo der Oberste samt den Pharisäern und Schriftgelehrten zu Meiner Lehre sich bekannt haben. Aber vielfach ist auch nichts zu machen und mit deiner Art ebensowenig! Denn einen Teufel treibst du mit der Rute hinaus, dafür aber wandern an des einen Stelle zehn andere hinein, von denen jeder ärger ist als der frühere eine.“

10. Sagt der Hauptmann: „So wahr ich Julius heiße, werde ich auch an keinen eher die Rute und die Geißel legen lassen, bevor ich nicht durch die äußerste Not dazu gezwungen werde; werde ich aber das, dann wehe den Kerlen!“

11. Sage Ich: „Da hast du wieder ganz recht! Man muß die Geduld so lang und weit als möglich hinausdehnen; sind aber einmal die äußersten Grenzen erreicht, dann heißt es aber auch, ohne allen weiteren Aufschub und ohne alle Schonung mit allen Blitzen und Donnern dareinhauen, sonst kämen die Sünder gleich auf die Idee, man scherze und spiele mit ihnen wie mit den kleinen Kindern!“

12. Sagt der Hauptmann Julius: „Ganz meine Maxime! Bis ich jemanden strafe, da braucht es viel; aber nötigt mich ein Unverbesserlicher dazu, so wird er sich's aber auch merken, wenn er von mir gestraft worden ist! — Aber jetzt glaube ich, wollen wir die paar Stündchen noch ein wenig ruhen; denn es fängt schon zu grauen an!“

13. Sage Ich: „Ja, tun wir das hier, ein jedes auf seinem Plätzchen!“

14. Darauf ist alles stille, und über jedes Auge senkt sich zwar ein kurzes, aber dabei dennoch honigsüßes Schläfchen. Und als man darauf allgemein erwacht, ist jeder so gestärkt, als ob er eine ganze Nacht auf weichem Lager ganz gut geschlafen und geträumt hätte.

122. Kapitel. Große Krankenheilung durch Berührung des Mantels des Herrn.

01. Alles verwundert sich über solch stärkenden Schlaf, während die Sonne schon anfängt, die Kuppen der Berge zu bescheinen. Ebahl beordert sogleich seine Weiber, daß sie sorgten für ein frisch und wohlbereitetes Morgenmahl; und die Weiber mit den älteren Töchtern eilen und besorgen gleich ein reichliches und gutes Morgenmahl, was sie gar leicht tun können, da ihre Speisekammern von unten bis oben vollgestopft sind.

02. Die Pharisäer haben im Speisesaale schon ihren Tisch vollkommen okkupiert, so daß an ihrem Tische niemand sonst Platz haben könnte; und Ebahl ließ ihnen auch gleich das Morgenmahl aufsetzen, bestehend aus Brot, Wein, einigen gebratenen Fischen und aus Honigseim. Als diese erst fertig waren, ließ Ebahl einen anderen großen Tisch decken, der für Mich, Meine Jünger, für den Hauptmann und für Ebahl und dessen Weiber und Kinder bestimmt war.

03. Bevor Ich aber in den Saal trat, ließ Ich durch Ebahl alle die auf Mich harrenden Kranken ins große Gastzimmer bringen und ihnen sagen, daß sie nichts denn Meinen Mantel anrühren sollen, und sie würden alsogleich gesund. — Ebahl ging und vollführte Meinen Auftrag.

04. Und Ich trat darauf mit dem Hauptmann, Meinen Jüngern und der kleinen Jarah, die keinen Schritt von Mir wich, in den Speisesaal und setzte Mich zu Tische, ohne bei Meinem Eintritte einen Pharisäer anzusehen oder gar zu grüßen, auf was sie große Stücke hielten.

05. Als Ich, der Hauptmann und die Jünger schon am Tische saßen, da traten auch schon bei zweihundert Kranke in den Speisesaal und baten Mich, daß sie Meines Mantels Saum anrühren dürften. Und Ich gestattete ihnen, solches zu tun, während Ich mit Meinen Jüngern und den andern das Morgenmahl zu Mir nahm. Da drängte sich bald alles, was krank war, zu Mir hin und berührte Meines Mantels Auswendiges; und alle, die da anrührten, wurden gesund. (Matth.14,36)

06. Aber hinter einige der Kranken steckten sich die über alle Maßen eifersüchtigen Pharisäer und Schriftgelehrten und sagten geheim zu ihnen: „Rühret das Kleid dieses Nazaräers, den wir nun schon kennen, nicht an, und ihr werdet dennoch gesund werden!“ — Und die da sich von den Pharisäern haben bereden lassen und haben nicht angerührt Mein Kleid, die blieben krank.

07. Da sie aber solches merkten, kamen sie wieder zu Mir und baten Mich, ob sie anrühren dürften Mein Kleid. Ich aber verwies es ihnen und sagte: „Seid ihr Meinetwegen oder seid ihr jener Pharisäer wegen hierhergekommen, die euch abgeredet haben, anzurühren Meinen Mantel? Denen ihr geglaubt habt, die sollen euch auch helfen; gehet hin zu ihnen!“

08. Das vernahmen die Pharisäer natürlich gar leicht und wurden darob schon ganz brennrot vor Zorn. Sie gingen darauf bald zu Mir hin, und ihr Oberster sagte zu Mir: „Du bist also derjenige, um dessentwillen wir von Jerusalem nach Nazareth haben gehen müssen?“

09. Ich gebe dem Obersten keine Antwort auf solche seine Frage, nur der Hauptmann, der in Meiner Nähe — das heißt an Meiner Rechten — am Tische saß, sagt mit einer Donnerstimme: „Ja, Dieser ist es, dessen Angesicht anzusehen ihr Elenden ewig nimmer wert seid! Warum habt ihr diesen Armen abgeredet, anzurühren Sein Gewand, daß sie auch, wie ihre Gefährten, gesund geworden wären? Ihr elenden Hunde, wißt ihr auf der Welt denn im Ernste nichts anderes zu tun, als Menschen unglücklich zu machen, wo sich nur immer eine Gelegenheit darbietet?!“

10. Hier winke Ich dem Hauptmann, daß er sich etwas mäßigen möchte, ansonst es unangenehme Auftritte gäbe.

11. Und der Hauptmann mäßigt sich zwar, verhält aber den Obersten dennoch streng darauf, ihm den Grund gewissenhaft anzugeben, warum er die einigen Kranken abgehalten habe, des göttlichen Meisters Kleid anzurühren, auf daß sie, wie die andern, auch gesund geworden wären.

12. Da sagt der Oberste etwas verlegen: „Wir haben uns dadurch nur die sichere Überzeugung verschaffen wollen, ob wirklich nur die gesund würden, die das Kleid anrührten. Wir haben uns aber nun überzeugt, daß wirklich nur jene gesund geworden sind, die des Meisters Kleid angerührt haben, und wir stellen ihnen nun weiterhin nichts mehr in den Weg, das zu tun, was sie gesund machen kann.“

13. Da erheben sich die noch Kranken und sagen: „Oh, wären wir nicht so krank, elend und schwach, so würden wir euch nun einen Lohn für euren Versuch an uns, ob wir auch ohne Anrührung des Kleides des göttlichen Heilandes gesund würden, geben, an den ihr eine Ewigkeit lang hättet denken mögen; aber: ,Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!‘ Wir werden wohl mit der Hilfe Gottes auch noch einmal gesund werden und werden uns schon irgendwo begegnen; dann möget ihr acht haben, was wir mit euch alles unternehmen werden!“

14. Ich aber sage zu den Kranken: „Rache sei eurem Herzen ferne! Wollt ihr, daß Ich auch euch heile, so verbannet allen Zorn und alle Rache aus eurem Herzen!“

15. Da sagen die noch Kranken: „Meister, Dir zuliebe tun wir alles, was Du nur immer von uns verlangen magst; aber nur befreie auch uns Schwachsinnige von unseren Leiden!“

16. Sage Ich: „So kommet und rühret an Mein Kleid!“

17. Hier gingen die noch Kranken hin, rührten den Saum Meines Überkleides an und wurden alle plötzlich vollkommen gesund.

18. Und der Hauptmann sagte, im hohen Grade aufgeregt: „Nun, ihr blinden Seher aus der sogenannten heiligen Stadt Gottes, seid ihr nun überzeugt, daß der Mann, von dem ihr gar so scheußlich schlecht berichtet seid, und den zu untersuchen und zu fangen ihr ausgezogen seid, jener schlechte Mensch ist, als den ihr mir ihn gestern beschrieben habt?“

19. Sagt der Oberste und auch die andern Pharisäer: „Daß von ihm eine außergewöhnliche Heilkraft ausgeht, von dem haben wir uns nun mehr als hinreichend überzeugt; aber daraus folgt noch lange nicht, daß er das aus einer Art göttlicher Kraft verrichtete; denn wir bemerken an ihm und an denen, die mit ihm zu Tische sind, daß sie nicht halten die Aufsätze der Ältesten, — und wo das, da kann von einer Göttlichkeit noch lange keine Rede sein!“

20. Sagt der Hauptmann: „Das verstehe ich nicht; redet mit Ihm Selbst darüber!“

123. Kapitel. Der Herr und der Oberste.

01. Darauf erst tritt der Oberste vor Mich hin und fragt Mich (Matth.15,1): „Meister, wer sind die, so mit dir zu Tische sind?“

02. Sage Ich: „Es sind Meine Jünger!“

03. Fragt weiter der Oberste: „Warum übertreten diese deine Jünger der Ältesten Aufsätze? Sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen!“ (Matth.15,2)

04. Hier erst stand Ich auf, stellte Mich dem Obersten schroff gegenüber und fragte ihn mit einer ernsten Stimme: „Warum übertretet denn ihr Gottes Gebote eurer Aufsätze willen? (Matth.15,3) Gott hat geboten: ,Du sollst Vater und Mutter ehren! Wer aber Vater und Mutter flucht, der soll des Todes sterben!‘ (Matth.15,4) Ihr aber lehret den Sohn und die Tochter, daß sie zu ihren Alten sagen sollen: ,So ich für dich, du Vater oder du Mutter, im Tempel opfere, so ist es dir nützlicher, als so ich dich ehre in einem fort nach altem Gebrauche.‘ Und ihr saget zu solch einem Sohne und zu solch einer Tochter: ,Also hast du wohlgetan!‘ (Matth.15,5) — Was aber ist die Folge davon? Sehet! Dadurch geschieht es, daß nun fast niemand mehr seinen Vater und seine Mutter ehrt! Ihr habt also Gottes Gebot aufgehoben um eurer Aufsätze willen! (Matth.15,6) Wer gab euch dazu das Recht? Weil ihr an Gott noch nie geglaubt habt, so möget ihr solches wohl tun; denn der geistig tot ist, hat kein Gewissen mehr!“

05. Hier tritt wieder der Hauptmann auf und sagt: „Ah, um die Zeit also ist es? Oh, das muß ich mir ganz besonders notieren! Solche Gottesdiener seid ihr? Darum also könnet ihr das sicher rein Göttliche unseres Meisters und Heilandes nicht anerkennen?! Euer Gott ist also bloß zuerst euer Bauch, und dessentwegen eure Gold— und Silbersäcke! Nun, nun, ich kenne euch nun ganz genau. Verhandelt nun nur weiter miteinander!“

06. Sagt der Oberste: „Wir sind Gottes Diener nach der Ordnung Aarons!“

07. Sage Ich: „Oh, ihr elenden Heuchler! Es hat wohl Jesajas von euch geschrieben und geweissagt (Matth.15,7): ,Dies Volk naht sich zu Mir mit seinem Munde und ehrt Mich mit seinen Lippen, aber sein Herz ist ferne von Mir! (Matth.15,8) Aber vergeblich dienen sie Mir, dieweil sie dem Volke geben solche Lehren, die nichts denn Menschengebote sind!‘“ (Matth.15,9)

08. Sagt der Oberste: „Wegen unserer Satzungen, die den Menschen auch heilsam sind, heben wir die Gebote Gottes nicht auf!“

09. Sage Ich: „Ich habe es euch schon gezeigt bei dem einen Gebote Gottes; wollt ihr auch hören, wie ihr all die andern Gebote Gottes in den Staub tretet und über sie eure Satzungen bis in den Himmel hineinragend stellet?“

10. Sagt der Oberste: „Solches laß des Volkes wegen; denn es ist viel Volk hier!“

11. Sagt der Hauptmann: „So gebet ihr dem Meister vor dem Volke das Zeugnis, daß Er als vollkommen recht nach dem Gesetze Gottes lebt und handelt!“

12. Sagt der Oberste: „Das können wir nun nicht tun; das kann erst vom Tempel aus geschehen durch den gesalbten Hohenpriester!“

13. Sagt darauf der Hauptmann: „Das heißt bei uns Römern: Ars longa, vita brevis! (Die Kunst ist lang, das Leben kurz!), oder man will die Sache aus gewissen Gründen auf die sogenannte lange Bank hinausschieben, um ja nichts zu tun; aber ich sage es euch vor dem Volke ganz geradeheraus, denn als Zeugnis für einen Meister, wie Jesus von Nazareth einer ist, wäre auch euer bestes Zeugnis noch viel zu elend und schlecht! So ihr es daheim im Tempel wagen solltet, nur irgendeinen schiefen Bericht über Jesus abzustatten euren heuchlerischen Kollegen, so werde ich im selben Augenblick einen Bericht an den Kaiser nach Rom abgehen lassen und ihm haarklein und mit hundert Zeugen versehen dartun, wie ihr und eure Kollegen auf euer Geheiß den berühmten Steuerraub verübt habt! Darauf rechnet denn ja auch kein Jahr, und euer Höllennest wird zerstört sein also, daß man es darauf schwer finden wird, wo es dereinst gestanden hat! Merket euch dieses wohl! Denn was ein Römer gesprochen, das hält er, und wenn darob auch Himmel und Erde zugrunde gingen ,Fiat iustitia, pereat mundus!“ (Es geschehe Recht und ginge die Welt zugrunde!) — Habt ihr mich verstanden?“

124. Kapitel. Des Julius scharfe Rede über den Segen des Herrn.

01. Auf diese Rede des Hauptmanns Julius ziehen sich die Pharisäer ganz verdutzt zurück und beraten unter sich, was da rätlich wäre. Der eine meint, man solle Mir das vom Hauptmann verlangte Zeugnis doch geben.

02. Der Oberste aber sagt: „Wie können wir das, so er die Gesetze des Tempels verachtet und mit Füßen tritt?! Tun wir's aber nur zum Scheine, so nützt das uns nichts; zu seiner Zeit würde man das Zeugnis, von uns ausgestellt, vorzeigen, und alle Schuld und Strafe käme dann über uns! Halten wir lieber, was der Hauptmann von uns will; denn käme es dann auch zu etwas, so haben wir dann einen guten Grund, uns zu entschuldigen vor unseren Allerobersten!“ — Mit diesem Bescheide begnügen sich bald alle die Pharisäer und Schriftgelehrten, verstummen am Ende ganz und reden kein Wort mehr.

03. Da erhob Ich Mich vollernstlich, wandte Mich an den Obersten und sagte zu ihm: „Also wegen der Nichthaltung eurer gottvergessenen Menschensatzungen kannst und willst du Mir kein Zeugnis geben, und das aus Furcht um deinen elenden Leib? Oh, hättest du Mir ein Zeugnis gegeben, wie glücklich wärest du geworden zeitlich und ewig; aber nun ist es vorbei! Es wird des Menschen Sohn von dir nimmerdar eines Zeugnisses benötigen; denn Seine Werke und Seine Worte geben Ihm das rechte Zeugnis! Auf daß du und deine Gefährten aber sehen, daß des Menschen Sohn keine Furcht vor den Menschen hat, so werde Ich nun all dem Volke vor dir sagen, daß an der Haltung eurer Satzungen gar nichts ist, und daß jener, der sie nach eurem Sinne beachtet, eine grobe Sünde begeht vor Gott!“

04. Sagt der Oberste: „Das tue du nicht, sonst dürfte es dir übel ergehen!“

05. Sagt der Hauptmann: „Ja, das wird Er tun, und es wird Ihm nichts Übles begegnen! Merket euch das, ihr elenden Geldschufte! Hier seid ihr in meiner Gewalt; nur eine mir verdächtige Bewegung von euch, und ich lasse euch in Stücke zerhauen und ins Meer werfen, den Drachen zur Speise, so wahr ich Julius genannt werde! Da sehet einmal diese Wichte an! Die Geschichte weiset, daß die Templer seit schon mehr denn dreihundert Jahren keinem Menschen etwas Gutes getan haben. Und war noch dann und wann eine edle Seele unter ihnen, so haben sie mit ihr getan, wie mir bekanntermaßen vor noch kaum dreißig Jahren mit dem frommen, biederen Zacharias; und wie sich unter ihren Glaubensgenossen irgendein Mensch erhebt voll Wahrheit, Ehrlichkeit und Gotteskraft und die armen Menschen mit Wohltaten aller Art überhäuft, da sind diese Wichte auch schon da, um ihn zu verderben! Oh, dies elende Handwerk soll euch bald gelegt werden!

06. Seht, dieser wahrhaftige Gottesmann kam hierher in diese Gegend, die wegen ihrer ungesunden Lage weltbekannt ist. Es befanden sich hier in der ganzen Gegend mehrere tausend Kranke — Einheimische und Fremde —, selbst meine Soldaten lagen über die Hälfte an lästigen und bösen Fiebern danieder, manche schon über ein Jahr; da kam dieser reine Gottmensch hierher und heilte alle, die da Hilfe gesucht haben. Sollte man solch einem Manne nicht füglich einen Altar erbauen, ihm wie einem Gott opfern und alle erdenkliche Ehre und Salbung darbringen? Was Gutes aber habt ihr den Menschen erwiesen, als ihr hierher kamet? Des Ebahl Keller und Speisekammer werden bald um hundert Groschen Wertes geringer werden!

07. Und aus Dank, daß ihr überall gleich den Wölfen umsonst fresset, wollet ihr uns hier noch unsern größten Wohltäter verderben! Einen Menschen, dem allein ihr es zu verdanken habt, daß Cyrenius nicht gleich alle Macht in Asien zusammenrufen und bis auf den Grund zerstören ließ euer scheußliches Raub— und Hurennest! Nein, es ist zu arg, so man über eure Schändlichkeit nachdenkt! Auf daß eure Betrügereien, die ihr dem Volke als göttliche Dinge ums teure Geld verkaufet, nicht verraten würden, suchet ihr mit aller Satanslist sogar eure größten Freunde und Wohltäter, so ihr bei ihnen irgendein höheres Licht wittert, aus dem Wege zu räumen! Saget es selbst, ob ihr nicht schlechter seid um vieles als der Satan selbst!?“

08. Hier wandte sich der Hauptmann an Mich und sagte: „Herr und Meister aus der Schule Gottes, lehre uns ungescheut die Wahrheit und was das Volk in bezug auf die Menschensatzungen zu tun hat in der Folge! Ich weiß es, daß Dir Himmel und Erde und alle Elemente gehorchen und Du mit dem leisesten Hauche Deines Mundes diese Wichte so gewiß wie Spreu in die Lüfte hinaus zerstreuen kannst, als wie gewiß Du imstande warst, dem Meere zu gebieten, daß es uns getragen hat, als wäre es ein festes Land; aber dennoch stehe ich Dir — nur als ein schwacher Mensch gegen Dich mit aller meiner Macht, die durchaus nicht unbedeutend ist — bis auf den letzten Mann und bis auf den letzten Tropfen Blut zu Diensten! Diese elendesten Wichte sollen den Ort Genezareth kennenlernen!“

09. Sagt der Oberste mit einer stark bebenden Stimme: „Herr Hauptmann! Wo aber hast du einen Beweis gegen uns dahin, daß wir nur darum gekommen seien, diesen Menschen zu verderben? Wir sind wohl gekommen, ihn zu untersuchen und zu prüfen, was man uns doch unmöglich verargen kann; aber vom Verderben kann da doch bei Gott keine Rede sein! Du hast nun leicht reden; denn du hast schon eine hinreichende Gelegenheit gehabt, ihn durch seine Taten und Reden kennenzulernen; wir aber haben außer der heutigen wunderbaren Heilung noch wenig gehört und gesehen, außer deinen durchaus nicht sehr humanen Drohungen, und es sollte uns denn, als gewisserart noch völlig Fremden in dieser Sache, ja doch auch freistehen, diesen Wundermann ein wenig durchzukosten!

10. Daß wir Templer auf einem bereits sehr hohlen Grunde stehen, ist uns sicher nicht fremd; aber dessenungeachtet ist er dennoch besser als gar keiner, und der Staat muß ihn so lange schützen, als es irgend Gott gefällig sein wird, einen gediegeneren zu schaffen! Daher bitte ich dich, uns nicht gleich mit dem Schwerte zu drohen, so wir irgend mit dem Wundermanne Jesus ein paar Worte wechseln! Er soll nun tun, was er will, und soll lehren und predigen, auf daß auch wir davon etwas Besseres erfahren, als was wir bloß vom Hörensagen und von vielen, sicher falschen Berichten vernommen haben; werden wir sehen, daß an der Sache etwas ist, so werden auch wir andere Urteile in uns fassen, als wir sie bis jetzt fassen konnten! Denn gar so dumm sind wir nicht, und unser Herz ist noch immer eines gerechten Urteiles völlig fähig.“

11. Sagt der Hauptmann: „Die Verweigerung des verlangten Zeugnisses spricht nicht zu Gunsten der Gerechtigkeit eures Herzens, im Gegenteil! Ex trunco non quidem Mercurius (Aus einem Klotz ist noch kein Gott geworden!) — aber wir wollen sehen!“

125. Kapitel. Drei Dokumente.

01. Da rief Ich sogleich alles Volk zusammen, das zum Teil hier aus den Genesenen und zum Teil aus den ziemlich vielen Einwohnern der Stadt bestand, die an diesem Tage, als am Vorsabbat, einen Feiertag machten.

02. Als das Volk beisammen und der Saal nahezu vollgefüllt war, sagte Ich zum Volke: „Höret zu, und vernehmet Mich wohl! (Matth.15,10) Was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht; aber was zum Munde ausgeht, das verunreinigt den Menschen. (Matth.15,11) Mit ungewaschenen Händen das Brot essen, verunreinigt keinen Menschen. Das sage Ich euch allen und hebe somit für ewig solche Menschensatzung auf!“ — Da fing alles Volk an zu jubeln und lobte Mich.

03. Da traten aber auch die Jünger zu Mir und fragten Mich und sprachen: „Hast Du wohl gemerkt, wie grimmig sich die Pharisäer geärgert haben, als sie Dich solches Wort aussprechen hörten?“ (Matth.15,12)

04. Sage Ich laut zu den Jüngern: „Alle Pflanzen, die nicht Mein himmlischer Vater gepflanzt hat, werden ausgereutet. (Matth.15,13) Lasset sie fahren! Sie sind blinde Blindenleiter. Wo aber ein Blinder einen Blinden führt, da fallen doch sicher beide in den Graben! (Matth.15,14) Diese können sich ärgern wie sie wollen; denn ihr Vater ist ein anderer als der unsrige. Unser Vater ist oben — und der ihrige unten!“

05. Als die Pharisäer solches vernahmen, da wurden sie gelb, grün und feuerrot vor Zorn und Wut; und der Oberste sagte, mit zwar bebender Stimme: „Wir haben nun genug gehört! Er hat Gott und uns gelästert! Nun wissen wir, mit wem wir es zu tun haben, und wer dieser Jesus aus Nazareth ist! Lasset uns daher von dannen ziehen und laut verkünden dem Hohenpriester, welch ein Mensch dieser Nazaräer ist!“

06. Sagt der Hauptmann: „Man kann wohl in eine Stadt kommen, wie ihr, nach eigenem Willen; aber das Hinauskommen liegt im Willen des Machthabers über die Stadt! Es ist wohl bald gesagt: ,Lasset uns hinausziehen!‘; aber da tritt der Machthaber entgegen und spricht: ,Ihr bleibet!‘“ — Das letzte ward mit einer Donnerstimme hinausgedröhnt.

07. Über die letzten Worte: „Ihr bleibet!“ erschraken die Pharisäer aber auch derart, daß sie alle erdenbleich wurden, zu beben begannen und kein Wort mehr über ihre Lippen zu bringen imstande waren.

08. Als der Hauptmann sah, daß seine Anrede auf sie einen mörderischen Eindruck gemacht hatte, da sagte er weiter: „Bevor ich euch werde abziehen lassen, werden wir miteinander noch viel zu reden haben, und ihr werdet mir zuvor noch ein Paar Kontrakte und ein Zeugnis mit eurer Handschrift im Beisein des Volkes unterfertigen; aber sowohl die Kontrakte als wie das Zeugnis auf Leben und Tod! Wohl verstanden! Denn sowie ich durch meine scharfhörigen Spione erführe, daß ihr nur einen Punkt der Kontrakte nicht hieltet, so seid ihr noch am selben Tage des Todes, und möchtet ihr euch auch hinter tausend Tempeln verbergen!“

09. Hier ließ sich der Hauptmann von seinen Dienern sogleich ein Schreibzeug bringen und schrieb folgendes: „Kontrakt Nr. 1: Wenn einer von euch es wagen sollte, über Jesus von Nazareth auch nur ein schmählich Wort zu reden, entweder untereinander oder zu jemand Fremdem, was augenblicklich aufkommen wird, der verfällt dem Gerichte und dem Tode! — Kontrakt Nr. 2: Wer von euch von alledem, was sich hier zugetragen hat und hier geredet ward, in Jerusalem und im Tempel nur eine Silbe fallen ließe und Jesus dem Herrn ein böses Zeugnis gäbe, ob im Tempel oder in einem andern Hause, der verfällt dem peinlichen Gerichte und darauf dem martervollsten Tode! Und niemand tröste sich mit dem: ,Es wird doch wohl sicher nicht aufkommen!‘ Wie schon gesagt, im selben Momente, als wo ihr immer nur eine Silbe von dem aussagen werdet, was in den zwei Kontrakten euch zu schweigen geboten ist, werden es meine Spione erfahren, und mit euch wird es geschehen, was euch in diesen Kontrakten verheißen ist!“

10. Darauf schrieb der Hauptmann das Zeugnis, das also lautete: „Wir samt und sämtlich bekennen am Ende mit unserer Handschrift zur Steuer der Wahrheit pro memoria aeterna (zur ewigen Erinnerung), daß wir den bekannten Raub der kaiserlichen Steuern und Schätze aus dem Pontus und aus Kleinasien begangen und solche durch eine allerschmählichste List den Überbringern abgenommen haben, aber bei dem Transporte nach Jerusalem in Kis durch den Jesus von Nazareth verraten worden sind, wennschon nicht mündlich, so doch durch seinen Einfluß. Wir wären zwar vom Richter Faustus samt und sämtlich zum Tode verdammt worden — aber Jesus von Nazareth hat sich für uns verwendet, und wir kamen unverletzt davon! — Dies ist eine Wahrheit, für die wir unser Leben einsetzen!“

11. Als der Hauptmann diese drei Stücke fertiggeschrieben hatte, las er sie ganz ruhig den Pharisäern und Schriftgelehrten vor. Bei jeder Zeile wurden ihre Gesichter länger und länger, und als sie das Zeugnis verlesen hörten, da erst schlugen sie die Hände über den Häuptern zusammen und schrien: „Was, das sollen wir unterschreiben?!“

12. Sagt der Hauptmann: „Ja, es ist reine Wahrheit! Wollt ihr solche aber nicht, so stehen dort schon die Büttel mit Ruten, Geißeln und scharfen Beilen versehen!“ — Hier sahen sich die Pharisäer um und ersahen die Schreckensmänner. Da verlangten sie aber auch gleich ohne Widerrede Schreibzeug. Der Hauptmann aber erinnerte sie noch, ihre wahren Namen zu unterschreiben, da ein falscher Name jedem den Tod brächte. Da unterschrieben sie ihre wahren Namen, und wer aus dem Volke schreiben konnte, mußte sich als Zeuge unterschreiben.

13. Als die drei Dokumente also in der Ordnung waren, sagte der Hauptmann: „Nun habe ich das, was ich von euch schon lange gern gehabt hätte, und ihr wißt es, was ich habe. Was ihr zu beachten habt, wißt ihr auch, und somit sind wir fertig. Nun möget ihr schon ziehen, wohin ihr wollt! Bis an die Grenze wird euch sicheres Geleit gegeben!“

14. Hierauf packten diese Pharisäer und Schriftgelehrten auch sogleich zusammen, und es dauerte keine halbe Stunde, so hatten sie Genezareth auch schon hinter dem Rücken, ganz stille, ohne Wort und Laut.

126. Kapitel. Des Herrn Warnung vor der bösen List der Templer.

01. Als diese Prüfer und Untersucher schon über Berg und Tal waren, da sagte der Hauptmann: „Herr, diese werden hoffentlich schweigen; denn diese drei Schnüre dürften halten! Übrigens ist es volle Wahrheit, daß ich's binnen längstens acht Tagen erfahre, was einer von ihnen noch so geheim irgendwo möchte geredet haben; dazu ist ihr Glaube noch stärker denn meine weit ausgebreiteten Kundschafter, und ihre große Furcht ist ihr Zuchtmeister. Da stehe ich dafür, daß von ihnen keiner auch nur eine Silbe von alledem zu jemandem reden wird, was er hier erlebt hat!“

02. Sage Ich: „Ja, sie werden schweigen, aber desto größer wird ihr geheimer Zorn sein; denn das, was ihnen hier in hinreichendstem Maße begegnet ist, wird keiner von ihnen je vergessen. Sehet aber euch alle wohl vor; denn ihre geheime Bosheit ist groß und hat keine Grenzen! In ihren Herzen hausen Teufel, und diesen ist kein Mittel zu schlecht, sich an dem zu rächen, der sie beleidigt hat! Darum sehet euch vor! Diese werden nun brüten und brüten! Das Zeugnis aber, das sie unterfertigen mußten, ist noch das beste Bindemittel! Daher werden sie wohl stille sein; aber sie werden euch mehr böswillige Kundschafter auf den Hals senden als ihr ihnen und werden gegen euch falsche Zeugen dingen. Darum sehet euch vor, Ich habe es euch deshalb zuvor gesagt!“

03. Sagt der Hauptmann: „Herr, ich danke Dir aus dem vollsten Herzen für diese Warnung! Da ich aber nun das weiß, so soll es jedem Fremden in der Folge ganz absonderlich zu Mute werden, besonders aber einem Jerusalemer, der in dieses Gebiet kommen wird! Wahrlich, dem sollen glühende Kohlen über dem Kopfe angeblasen werden! Nur einen einmal ergreifen, und es soll einem zweiten für immer die Lust vergehen, einen Kundschafter der Teufel zu machen!“

04. Sage Ich: „Ja, ja, darum seid auf eurer Hut; denn diese Art ist dem Äußern nach geschmeidig wie eine Taube, dem Innern nach aber ist sie giftiger denn eine ägyptische Ringelschlange! Sie werden kommen in allerlei Gestalt und werden reden diese und jene Sprache, bald als persische Kaufleute, bald als Griechen und bald als Ägypter, auch als Römer, und werden schwer zu unterscheiden sein von wahren Angehörigen der genannten Nationen. Aber so ihr sie streng untersuchen werdet, da werdet ihr schon finden, wes Geistes Kinder sie sind!“

05. Sagt der Hauptmann: „Oh, noch viel mehr Dank Dir, o Herr! Nun weiß ich's ganz genau, was ich in der Zukunft werde zu tun haben; und sollte sich wo ein trüber Fall zeigen, da wirst Du mir's ja wohl gestatten, daß ich Deinen mir über alles heiligen und mächtigen Namen werde anrufen dürfen und sagen: ,O du großer allmächtiger Geist meines Herrn und Meisters Jesu! Erleuchte mein Herz, auf daß es licht werde in ihm!‘, und Du wirst solch mein Rufen sicher auch bis ans Ende der Welt vernehmen!“

06. Sage Ich: „O Freund und Bruder, bleibe du also in Mir, und Mein Geist wird in dir sein, dir zur Hilfe zu jeder Zeit bei Tag und bei Nacht!“

07. Sagt die neben Mir stehende Jarah: „Aber Herr, Du redest ja, als wenn Du uns schon bald verlassen möchtest!? O ich bitte Dich, bleibe doch noch einige Tage bei uns; denn Du bist ja mein Leben! Wie könnte ich ohne Dich leben? Du mußt hier bleiben, ich lasse Dich nicht von hier! Ohne Dich müßte ich ja sterben!“

08. Sage Ich ganz freundlich: „O du Meine allergeliebteste Jarah, dich werde Ich ewig nicht verlassen! Und werde Ich Mich der Person nach nach etwelchen Tagen von hier Meines Amtes wegen entfernen auf einige Zeit, so werde Ich aber dennoch im Geiste gleichfort bei dir sein, und du wirst mit Mir reden, und Ich werde dir eine wohl vernehmbare Antwort geben auf jede deiner Fragen; dessen kannst du vollends versichert sein! — Verstehst du das?“

09. Sagt die kleine Jarah: „Ja, Du mein allerliebster Herr Jesus, das verstehe ich recht gut und weiß, daß Dir nichts unmöglich ist; aber lieb ist es mir dennoch, so Du auch Deiner Person nach noch längere Zeit bei uns verweilest. Denn siehe, nun, da Du bei uns bist, sieht alles so verklärt und himmlisch aus; ich kann mir nun schon den Himmel nicht schöner und herrlicher vorstellen. Daher mußt Du mir zulieb wohl noch auch persönlich einige Tage hier verweilen!“

10. Sage Ich: „Nun ja, es ist ja unmöglich, solch einer Liebe etwas ungewährt zu lassen, besonders wenn sie sich den allerbesten Teil erwählt hat! Sei du nur frohen Mutes; deine Liebe wird nimmer allein dastehen!“

11. Das macht die Jarah ganz heiter, daß sie darob zu Ebahl springt und sagt: „Sieh, Vater Ebahl, der Herr bleibt noch bei uns, und das immer!“

12. Sagt Ebahl: „Mein liebes Kind, das ist eine große Gnade für uns, der wir alle zusammen nicht wert sind; denn Er ist ein Herr Himmels und dieser Erde! Was Er tut und tun will, das liegt in Seinem ewigen, unergründlichen Ratschlusse verborgen, demnach jedes Haar auf unserem Haupte also gezählt ist wie der Sand des Meeres, und wir Menschen können darin nichts ändern. Aber dieser Meinung bin ich auch, daß es bei Ihm, vor dem tausend Jahre wie ein Tag sind, eben auf einen Tag nicht ankommen wird, kürzer oder länger bei uns zu verweilen. Daher halte du Ihn nur fest und laß Ihn nicht aus; denn dich hat Er unter uns am liebsten!“

13. Sagt die Jarah: „Oh, ich werde Ihn schon recht festhalten und gar nimmer auslassen!“

127. Kapitel. Der Herr spricht über den Geist der Liebe.

01. Da komme Ich von rückwärts still zur Jarah, hebe sie vom Boden auf und sage: „Aber du Mein allerliebstes Kindchen, wie wirst du Mich wohl halten können? Siehe, Ich bin ja viel stärker denn du!“

02. Sagt die Kleine, als Ich sie wieder auf den Boden stelle: „Das weiß ich wohl, daß Du endlos stärker bist als ich, kaum ein Mücklein vor Dir; denn Du trägst mit Deiner allmächtigen Willenskraft Himmel und Erde und hältst das Meer in seiner Tiefe; wie sollte ich mich in der Stärke mit Dir messen wollen?! Aber das meine ich, daß Du, weil ich Dich gar so unbeschreiblich liebhabe, meiner Liebe zu Dir zulieb Dich wirst ein wenig über die Zeit halten lassen!“

03. Sage Ich: „Ja, da hast du wieder recht; denn mit der Liebe richtet man bei Mir alles aus! Die Liebe zu euch Menschen zog Mich ja auf diese Erde! Wer aber Liebe hat wie du, der kann mit Mir dann freilich schon machen, was er will! Denn solche Liebe ist ja eben Mein Geist in dem Herzen des Menschen. Und was solche Liebe verlangt und will, das geht aus aller Tiefe der göttlichen Ordnung, und du kannst Mich deshalb mit deinem Herzen schon so hübsch festhalten, und Ich werde Mich von deinem Herzen ewig nimmer trennen!

04. Jedoch an Meiner erscheinlichen Person liegt nichts, sondern allein nur an Meinem Geiste! Was Ich tue, siehe, das tut nicht Meine Person, sondern allein nur Mein Geist; aber dir zuliebe werde Ich dennoch ein paar Tage hier verweilen, — denn morgen ist Sabbat und übermorgen ein Nachsabbat! Diese beiden Tage werde Ich noch hier verweilen, dann aber werde Ich weiterziehen, und zwar nach Sidon und Tyrus, — werde aber dann schon wieder kommen und vielleicht den halben Winter bei euch zubringen.“

05. Sagt ganz entzückt die Kleine: „Oh, Gott dem heiligen Vater alles Lob darum! Nun bin ich schon zufrieden!“

06. Alle bewunderten das zwölf Jahre alte Mägdlein und staunten über ihren Verstand. Und ein Alter sagte: „Oh, das ist eine besondere Gnade Gottes! In dieser zarten Haut steckt ein Gottesengel! Gestalt und Geist zeugen dafür.“

07. Sagt ein anderer: „Jawohl! Das Mägdlein zählt erst zwölf Jahre und etwa ein halbes darüber; aber sie sieht aus wie eine Maid von sechzehn Jahren! Ihr Leib ist völlig ausgebildet, und ihre Seele läßt nichts zu wünschen übrig. Die hat wahrlich Kopf und Herz am rechten Flecke! Glücklich, wer einmal diese als Weib in sein Haus führen wird!“

08. Solches vernimmt die Jarah und sagt: „Ein Herz, das Gott liebt, bedarf der Liebe eines selbstsüchtigen Bräutigams nicht; denn es ist schon als Braut eingeführt in das Haus Gottes! Ich weiß die Menschen zu lieben in ihrer Not und Gutes zu tun den Armen zu jeder Stunde bei Tag und Nacht; aber die gewisse Liebe eines jungen Mannes kenne ich nicht und werde sie auch nie kennenlernen, — außer sein Herz ist gleich dem meinen erfüllt allein von der reinsten Liebe zu Gott!“

09. Sagt ein anderer alter Jude: „Ei, ei, Mägdlein! Deine Rede klingt zwar wohl, als käme sie aus dem Munde eines Engels; aber du bestehst dennoch auch aus Fleisch und Blut, und wenn einmal deine Jahre kommen werden, dann wirst du es schon sehen, ob Fleisch und Blut beim Menschen nichts zu reden haben!“

10. Sagt die Jarah: „Daß der Mensch kein Gott ist, das weiß ich schon seit meinen frühesten Jahren; aber der Mensch kann durch seine rechte Liebe zu Gott ein Meister seines Fleisches und Blutes werden, der sicheren Hilfe Gottes zufolge. Wem aber Gott hilft, dem hilft Er ganz und nicht zur Hälfte, was ihr heute früh selbst an eurem kranken Fleisch und Blut erfahren habt! Denn das war nicht Menschenhilfe, sondern das war Gottes Hilfe!“ — Nach diesen Worten Jarahs verstummen die Alten, und es getraut sich keiner mehr, ihr ein Wort zu entgegnen.

11. Ich aber sage zur Jarah, sie bei der Hand fassend: „Gut hast du es gemacht! Du sprichst ja schon wie ein ausgemachter Prophet!“

12. Sagt lieblächelnd die Jarah halblaut zu Mir: „Ist leicht prophetisch reden, wenn man bei Dir ist und Du einem die Worte ins Herz und in den Mund legst! Hätte ich aus mir selbst geredet, da wären gewiß recht viele Dummheiten herausgekommen!“

13. Sage Ich auch so halblaut: „Könnte wohl sein, Meine allerliebste Jarah! Aber von nun an wirst du stets so weise zu reden imstande sein, nur mußt du Mir nicht etwa einmal untreu werden, wenn du älter wirst!“

14. Sagt die Jarah: „Herr, wenn das möglich wäre, da laß mich lieber sterben!“

15. Sage Ich: „Nun, nun, es wird etwa wohl unmöglich bleiben!?“

16. Sagt die Jarah, Mich fest um die Mitte fassend und an ihre Brust drückend: „Ja, so etwas muß ewig unmöglich bleiben! Denn man müßte nur wahnsinnig werden, so man gäbe ein Pfund reinsten Goldes um ein Pfund stinkenden Moders!“

17. Sage Ich: „Also hältst du doch auch etwas aufs Gold?“

18. Sagt die Jarah: „Ja, aufs Gold der Seele alles! Das irdische Gold aber habe ich nur des Beispieles wegen angeführt.“

19. Sage Ich: „Nun, nun, Ich habe dich schon verstanden; aber weil Ich dich eben gar so liebhabe, so muß Ich dich ja auch ein wenig necken!“

20. Sagt die Jarah: „O necke Du mich nur, ich werde Dich darum doch nicht weniger lieben! Denn das weiß ich ja schon seit lange her, daß Gott die Menschen, die Er besonders liebt, mit allerlei Leiden heimsucht! So Du, o Herr, mich so recht, recht zu necken anfangen wirst, dann wirst Du mich erst ganz liebhaben!“

21. Sage Ich: „O du Mein liebstes Kindlein, solch reinste Herzen, wie das deine ist, neckt Gott nimmer, sondern nur solche, die Gott zwar sehr lieben, aber dabei dennoch auch mit der Welt dann und wann liebäugeln; solchen treibt dann Gott durch allerlei Neckereien die Weltliebe aus dem Herzen, auf daß sie vollends reinen Herzens werden. — Verstehest du solches?“

22. Sagt die Jarah: „O Herr, Du Honigseim meines Herzens, das verstehe ich wohl recht gut!“

128. Kapitel. Gespräch zwischen den Templern und den Essäern.

01. Sagt auf der Seite endlich einmal wieder Petrus, so mehr für sich: „Begreife nicht, wie dies Mägdlein mit dem Verstehen allzeit so geschwind fertig ist! Ich bin doch schon alt und habe doch schon so manches erfahren, aber mit dem gar so schnellen Verstehen geht es bei mir durchaus nicht. So verstehe ich jetzt noch nicht so ganz rein, was Er mit dem Bilde gemeint hat: ,Was zum Munde hineingehet, verunreinigt den Menschen nicht, sondern das vom Munde herauskommt!‘ So ein Mensch sich erbrechen muß, oder so er hustet und dann ausspuckt, wie soll ihn das verunreinigen? Hat doch Moses davon keine Erwähnung gemacht!?“

02. Sagen auch die anderen Jünger: „Da geht es dir wie uns; denn das bringen auch wir nicht zusammen! Gehe und frage Ihn in unser aller Namen, wie dies Gleichnis zu verstehen ist!“

03. Da erst trat Petrus zu Mir hin und fragte Mich, sagend: „Herr, deute uns das Gleichnis vom ,zum Munde Ein— und Ausgehen‘ (Matth.15,15); wir alle verstehen es nicht!“

04. Sage Ich: „Seid denn ihr auch noch so unverständig? (Matth.15,16) Wie lange werde Ich euch denn noch also ertragen müssen? Merket ihr noch nicht, daß alles, was zum Munde eingeht, in den Bauch kommt und von da durch den natürlichen Gang ausgeworfen wird? (Matth.15,17) Was aber zum Munde herausgeht, das kommt aus dem Herzen und verunreinigt den Menschen! (Matth.15,18) Denn aus dem Herzen kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse und Lästerungen. (Matth.15,19).

05. Das sind Stücke, die den Menschen verunreinigen; aber mit ungewaschenen Händen Brot essen, das verunreinigt den Menschen nicht! (Matth.15,20) — Verstehet ihr nun das?“

06. Sagen die Jünger: „Ja, Herr, wir danken Dir für dies heilige Licht!“

07. Sage Ich zum Matthäus dem Schreiber: „Also zeichne du auf die Speisung in der Wüste, darauf die nächtliche Hierherfahrt, und was sich dabei Besonderes ereignete, und darauf aber gleich, was sich heute zutrug, mit wenig Worten, aber bündig! Alles andere, was sich hier zugetragen hat, laß einstweilen weg; in der Folge aber kann noch manches nachgetragen werden, — das aber ist ein wesentliches Stück des Evangeliums.“

08. Hierauf begeben sich die Jünger wieder in ihr Zimmer, wo ihrer schon mit Ungeduld die etlichen bekehrten Pharisäer und Schriftgelehrten samt den zwei Essäern harren. Natürlich werden sie gleich klein durchgefragt, wie es mit den Pharisäern und Schriftgelehrten von Jerusalem gegangen sei. Und die Jünger erzählen ihnen alles haarklein. Da sagen die Pharisäer, Schriftgelehrten und die beiden Essäer: „Nein, da gehört wahrlich viel Nacht und Verschlagenheit dazu, bei solchen Zeichen und Zeugnissen noch in der bösartigsten Dummheit hartnäckig zu verharren! Und was nützt ihnen alle ihre Verschlagenheit? Nun sind sie durch die drei ausgestellten Dokumente auf eine solche Weise gebunden, daß sie sich nicht einmal untereinander ihre Gedanken mitteilen dürfen! Sind das aber doch Ochsen und Böcke!“

09. Sagen die Essäer: „Die Sache mit Jesus ist so sonnenhell wie nur etwas sonnenhell sein kann, und doch solch eine unerhörte Verschlagenheit! Wir sind doch, was Weltverstand betrifft, so gebildet, als man nur immer gebildet sein kann, wenn man alle Schulen Persiens und Ägyptens durchgemacht hat und die Weisen Griechenlands und auch die der alten Juden im kleinen Finger hat; aber wir abstrahieren hier alle die unerhörten Wundertaten und sagen bloß: Was Seine Rede und die aus ihr hervorgehende tiefste Weisheit betrifft, von der man sonst auf der Erde noch nie eine Spur angetroffen hat, so ist uns diese mehr denn ein allerhinreichendster Beweis, daß dieser Jesus ein allervollendetster Gott ist. Nun kommen aber auch noch Seine Taten hinzu in einer Art, von der wohl nie einem Menschen etwas geträumt hat; Taten, die nur einem Gott möglich sein können, in dem sich alle Kräfte der Welt und aller Sterne, der Sonne und des Mondes vereinen, oder aus dessen wunderbarst allmächtigem Willen sie auf eine für uns freilich unerklärte Weise ihr Dasein erhielten!

10. Wir sahen es, wie bei Ihm Wille, Wort und vollendete Tat gerade in eines zusammenfallen. Die Himmel öffnen sich auf Seinen Wink, und zahllose Scharen der anmutigsten Ätherwesen stehen zu Seinem Dienste bereit; Er gebietet es ihnen, und die leeren Speisekammern strotzen vor Fülle der köstlichsten Speisen, und alle leeren Schläuche und Krüge werden voll des köstlichsten Weines! Ja, ist das denn wohl im Ernste nichts?

11. Er gebietet dem Meere, und es festigt seine Fläche, ohne darum Eis zu sein, und die Menschen wandeln auf dem sonst jedem Menschen todbringenden Boden wie auf einem Marmorboden! Und das ist den Finsterlingen alles gezeigt und treu erzählt worden, dazu haben sie heute morgen mit eigenen Augen die wunderbare Heilung von etlichen hundert Menschen mit angegafft, und dennoch sind sie dabei verschlagener geblieben als ein Fels, an dem seit Tausenden von Jahren wenigstens alle Jahre hunderttausend Blitze ihre zerstörende Kraft versucht haben! Brüder, da hört denn doch alles Menschliche im Menschen auf! Da ist er entweder ein böses Tier oder im Vollernste ein Teufel! — Saget Brüder, haben wir recht oder nicht?“

12. Sagen die Pharisäer und Schriftgelehrten: „Mehr noch als vollkommen wahr und recht! Denn wenn man bei solchen Erscheinungen noch hart und unbeugsam bleiben kann, dann ist man eventuell ein Teufel!“

13. Sagen die beiden Essäer: „Nachdem wir nun glauben, daß es im vollsten Ernste also arge Geister gibt in den Regionen dieser Welt, von denen nicht selten Menschen geplagt und zum größten Teil ohne eine fühlbare Plage zu argen Taten verleitet werden, so sind wir denn nun auch vollends eurer Meinung! Denn Menschen, die für ihre Nebenmenschen jedes bessern Mitgefühles bar sind, die nur gleich den Tigern für ihren Rachen und für ihren Bauch besorgt sind, sind nicht mehr Menschen, sondern Teufel! Denn sie haben für nichts anderes mehr einen Sinn, als nur dahin zu trachten, daß ihr Bauch auf das ansehnlichste befriedigt wird! Um diesen einzigen Zweck zu erreichen, ist ihnen auch kein Mittel zu schlecht! Was Gott, was Geist! Der Bauch muß versorgt sein! Alles andere gilt bei ihnen nichts. Kunst und Wissenschaft wird von ihnen nur dann als etwas angesehen, wenn durch sie für ihren Bauch die Einkünfte vergrößert werden können! — O Herr, sind das Menschen! Ja, ja, das sind die allereigentlichsten und allerechtesten Teufel!“

14. Sagt darauf endlich einmal Judas Ischariot: „Wenn ich nicht zu sehr von Seiner wahrhaft göttlichen Allmacht überzeugt wäre, wahrlich, mir finge an, um Ihn angst und bange zu werden! Denn diese Leute würden, so es möglich wäre, Gott Selbst von Seinem ewigen Throne herabreißen und sich dann darauf setzen; denn die Templer, denen es nun nach der Vertreibung der Samariter, die ihnen oft stark und scharf auf die Finger hieben, unendlich gut geht, würden eher das Äußerste wagen, bevor sie sich in ihrem Wohlleben etwas schmälern ließen!“

15. Sagt Petrus: „Glaubst du, daß unser Herr mit aller Seiner Wundermacht sicher ist vor der Arglist der Templer? So Er vor diesen Vater— und Muttermördern nicht als ein Richter mit Feuer und Blitz aus den Himmeln verheerend auftritt, so ist Er in kurzer Zeit trotz aller Seiner Macht und Weisheit ein Opfer ihrer nie zu sättigenden Rache! Ja, ein Jude ist zu großen Dingen berufen und kann ein Engel sein; aber über einen schlechten und verdorbenen Juden gibt es auch keinen Teufel, der noch schlechter sein könnte!

16. Daher solle Er Sich ja vor Jerusalem hüten! Denn kommt Er als ein gefälliger Mensch dahin, so ist Er samt dem Prediger Johannes verloren! Solange dieser in unserer Nähe am Kleinjordan und in Klein—Bethabara (Wüste) lehrte und taufte, war er sicher; als er sich aber erst vor etwa drei Monaten nach dem großen Jordan und in die große Wüste Bethabara begab, da war er auch ehestens ein Opfer der Tempelmenschen, die sich gar schlau hinter dem Herodes zu verstecken verstanden. Herodes aber ließ ja auch schon fahnden nach Ihm, unserem Herrn und Meister; hätte er Seiner habhaft werden können, wer weiß, was da schon alles geschehen wäre! Aber der Herr sieht auch in der Ferne der Menschen Herzen und ihre Pläne und weiß ihnen auszuweichen! Denn wer ist wohl klüger und weiser denn Er?“

17. Sagt ein Pharisäer: „Wenn Er ihnen einmal auszuweichen beginnt, so ist das schon kein gar gutes Zeichen für Seine volle Sicherheit! Er kann wohl alles Aufsehen vermeiden wollen, solange es nur immer möglich ist, und das allein entschuldigt dann Sein Ausweichen; ist aber nur eine allerleiseste Furcht vorhanden, dann gebe ich nicht viel für Seine Sicherheit! Denn nur zu gut weiß ich's, wo überall und wie der Tempel seine verderblichen Netze ausgespannt hält, daß es nahezu eine Unmöglichkeit ist, demselben zu entkommen mit heiler Haut! Aber Er wird nur kein Aufsehen von großer Bedeutung vorderhand erregen wollen, und darum wird Er solchen Gelegenheiten auch solange als möglich ausweichen und wird dadurch einen heftigsten, Himmel und Erde erschütternden Zusammenstoß vermeiden; Er wird der großen Bosheit der Menschen erst dann begegnen, wenn das Übermaß ganz voll sein wird! — Das glaube ich von Seinem Charakter zu verstehen!“

18. Sagen die Essäer: „Das ist auch unsere Meinung! Denn bei solch einer rein göttlichen Weisheit und bei solch einer Fülle von einer verborgenen göttlichen Kraft wird man der argen Welt gegenüber doch etwa wohl wissen, was man zu tun hat! Wenn wir nur den hunderttausendsten Teil von Seiner Macht und Weisheit hätten, so wären wir in drei Jahren Herren der ganzen Welt! Darum ist uns um Ihn nicht bange! Er müßte Sich nur Selbst freiwillig der argen Welt hingeben und sagen: ,Da bin Ich, nun erfüllet an Mir, eurem Schöpfer Selbst, das Vollmaß eurer Bosheit, auf daß desto eher über euch komme das Gericht von oben!‘ — Und da würde Er dennoch nichts verlieren! Er könnte wohl zugeben, daß die argen Menschen, um ihr Maß voll zu machen, Seinem Leibe Schaden zufügten, ja denselben sogar töteten; aber wer wird Seinem ewig unverwüstlichen und allmächtigen Geiste etwas anhaben können? Wie gesagt, wir zweifeln gar nicht, daß Er so etwas auch zu tun imstande wäre, aber das wird Seinen Feinden wenig nützen; denn ehe man sich's versehen wird, wird Er als ein unverwüstlicher Richter auferstehen und sie richten mit Feuer und Schwert aus den Himmeln! Wehe dann allen Seinen Feinden und allen Teufeln! Diese werden dann erst qualvollst erfahren, wer Der war, den sie auf allen Wegen und Stegen verfolgt haben! — Was sagt ihr alle zu dieser unserer Meinung?“

19. Sagen die Jünger: „Ei, das geschehe nur Ihm nicht, obschon wir unmaßgeblich eure Meinung nicht streitig machen wollen; denn bei Gott ist ja vieles möglich, was sich ein Mensch gar nie als möglich denken kann und mag!“

129. Kapitel. Der Herr und die beiden Essäer.

01. Während die Jünger, die Pharisäer und die beiden Essäer solches miteinander reden und der Matthäus seine Aufgabe aufzeichnet, wird vom Ebahl zu Tische gerufen, und die Jünger und nun ihre Jünger werden ebenfalls zu Tische gerufen und kommen so ziemlich heiteren Angesichts in den Speisesaal.

02. Da frage Ich sie, was sie in ihrem Gemache so lebhaft miteinander besprochen hätten.

03. Antworten die beiden Essäer: „Herr, Du hast gut fragen, denn was wir nun untereinander geredet haben, das war Deinem Geiste schon von Ewigkeit her so klar wie die Sonne am hellsten Mittage! Aber, daß wir sicher nichts Arges über Dich geredet haben, dessen kannst Du vollends versichert sein!“

04. Sage Ich: „Ganz sicher und wahr, und namentlich, was ihr geredet habt; denn das hat euch nicht euer Fleisch und Blut, sondern der Geist Gottes eingegeben. Aber redet davon dennoch nicht wieder zu jemandem etwas Weiteres; denn die Menschen sind blind, dumm und arg! — Nun aber setzen wir uns zu Tische!“

05. Der Tisch war gut bestellt; unsere acht Schiffsknechte hatten ihre Zeit mit Fischen zugebracht und dem Ebahl eine Menge der schönsten und besten Fische ins Haus gebracht, wofür er sie aber reichlichst mit Wein und Brot versehen hat. Diese Fische waren sehr wohl zubereitet, und wir alle verzehrten sie mit viel freudiger Eßlust. Die beiden Essäer, deren Gaumen eine bedeutende Bildung hatte, da diese Schüler des Aristoteles und Epikurs auf die Küche große Stücke hielten, konnten sich über den Wohlgeschmack dieses wahren Fischmahles nicht genug rühmlich aussprechen. Auch der Hauptmann, samt seinen drei Unterleitern, konnte den Wohlgeschmack der Fische nicht genug loben und aß nach Herzenslust ein paar recht große Stücke, so daß er sich am Ende schon zu fürchten begann, ob ihm das nicht schaden werde.

06. Ich aber sagte zu ihm: „Fürchte dich nicht, Mein lieber Julius; denn in Gegenwart des Arztes schadet dir nichts!“

07. Das machte den guten Julius wieder heiter; und dieser Mein Spruch ist dann zum Sprichwort geworden und hat sich bis auf diese Zeit, in der nun das geschrieben wird, unter den Ärzten erhalten.

08. Als die Mahlzeit beendet war, fragte der Hauptmann, sagend: „Herr, heute ist ein wunderherrlicher Tag! Wie wäre es denn, so wir den Nachmittag über uns ein wenig ins Freie begäben?“

09. Sage Ich: „Das ist auch Mein Sinn; aber diesmal wollen wir einen nächsten Berg besteigen!“

10. Sagt der Hauptmann: „Ja, der uns zunächst liegende Berg, dem man den Namen ,Morgenkopf‘, glaube in dieser Zunge ,Juitergli‘, gibt, ist aber auch zugleich einer der höchsten und von allen Seiten ungeheuer steil, ein purer nahe ganz kahler Steinkoloß! So Du etwa diesen besteigen möchtest, da erreichen wir die Spitze vor der einbrechenden Nacht nicht; und vom Zurückkommen möchte wohl nicht die entfernteste Rede sein! Auf der Höhe aber die Nacht zuzubringen, das dürfte wohl keinem von uns behagen! Denn es soll auf der Höhe zwischen den Felsklüften zu allen Zeiten Schnee und Eis anzutreffen sein; aber die Aussicht soll etwas unbeschreiblich Lohnendes sein!“

11. Sage Ich: „Freund, das alles soll uns nicht hindern, den Morgenkopf zu besteigen; wer den Steg weiß, der kommt viel eher hinauf, als der ihn erst mühsam suchen muß. Machen wir uns daher nur auf den Weg; ehe zwei kleine Stunden vergehen, sind wir alle oben, das heißt, die da Lust haben, den Berg mit uns zu besteigen!“

12. Sagt der Hauptmann: „Herr, auf Dein Wort gehe ich ja gerne bis ans Weltende, geschweige auf diesen Berg; und wenn Du den Führer machst, da ist auch an keine Gefahr zu denken! Ich freue mich nun recht darauf! Aber etwas Brot und Wein dürften wir wohl etwa mitnehmen; denn das weiß ich schon, daß man beim Besteigen eines so bedeutenden Berges ganz außergewöhnlich hungrig und durstig wird!“

13. Sage Ich: „O ja, das könnt ihr schon tun! Aber was werden wir mit Meiner allerliebsten Jarah anfangen? Für die wird der Berg denn doch etwa zu beschwerlich zu besteigen sein!“

14. Sagt die Jarah: „Mit Dir, o Herr, kann mir nichts zu schwer sein; ohne Dich aber vermag man ja ohnehin nichts, und ich schon am allerwenigsten! Wenn es nur Dir genehm ist, so gehe ich nicht nur auf diesen Berg, sondern buchstäblich ins Feuer mit Dir, wie ich mit Dir auch als die erste aufs Wasser gegangen bin!“

15. Sage Ich: „Du verstehst Mir immer aus deinem Herzen eine rechte Antwort zu geben, die von Liebe und Wahrheit glüht; darum mache dich nur mit uns auf die Reise, es wird dir dabei nicht zu schwer geschehen!“ — Wer war eher reisefertig als unsere Jarah, und sagte auch: „Herr, wenn es Dir also genehm ist, so bin ich schon zur Abreise bereit!“

130. Kapitel. Eine wunderbare Bergbesteigung.

01. Das Mägdlein war gehüllt in ein blaues Faltenkleid; die Füße mit leichten Schnürschuhen beschuht und das Haupt mit einem aus Stroh recht kunstvoll geflochtenen Hute bedeckt, ergriff sie Meine Hand und sagte, weil Ich ihr auf die erste Rede die Antwort nicht gar zu geschwinde gegeben hatte: „Aber Herr, Du mein Leben, ich bitte Dich, sage mir doch, ob ich Dir so genehm bin?“

02. Sage Ich: „Das siehst du ja, Meine allerliebste Jarah! Du bist Mir ja über alles angenehm! O wären Mir alle Menschen so angenehm wie du, dann wäre es schon gut und recht; aber es gibt in der Welt gar viele Tausende und abermals so viele tausendmal Tausende, die Mir nicht so angenehm sind wie du! Aber das sind die puren Weltmenschen, und du bist ein Engel! Aber nun heißt es gehen; denn es ist bereits um des Tages dritten Teil!“

03. Auf dieses Wort erhebt sich bis auf die Dienerschaft des Hauses alles und macht sich mit Mir auf den Weg. Es versteht sich von selbst, daß die kleine Jarah stets Mir zur Seite herging und der Hauptmann und Ebahl ebenfalls.

04. Als wir an die Wände kamen, zwischen deren Hohlritzen sich nur ganz enge und äußerst steile Gräben hinaufzogen, da sagte der Hauptmann: „Herr, mit natürlichen Kräften ist da kein Hinaufklettern möglich; denn die Gräben sind ungeheuer steil, naß und hie und da mit allerlei Dorngestrüppe verwachsen! Wenn da keine andern Wege hinaufführen, so kommen wir da mit unsern natürlichen Kräften in zehn Tagen nicht hinauf!“

05. Sage Ich: „Bist denn du schon so müde, und sieh, wir haben schon mehr als ein Drittel des Weges zurückgelegt!? Sieh dich einmal um, und du wirst es wohl merken, wie hoch oben wir schon sind!“ — Hier sah sich der Hauptmann um und erschrak, als er merkte, daß wir uns schon beinahe auf der halben und steilsten Höhe des Berges zwischen lauter Steinwänden von senkrechten Abhängen befanden.

06. Nach einigen etwas furchtsamen Verwunderungen sagt der Hauptmann in einem etwas furchtfiebernden Tone: „Nein, das begreife, wer es will und kann! Wie wir alle durch diese Schlucht bis hierher gekommen sind, ist mir ein Rätsel! Wir sind wohl schon recht steil gestiegen, aber ich fühlte keine besondere Beschwerde dabei! Nun aber sind über uns hinan lauter senkrechte Wände! Frage: wie werden wir denn über diese hinaufkommen?“

07. Sage Ich: „Merkst du denn nicht, daß wir nicht stehenbleiben, sondern in einem fort weiterschreiten?!“

08. Sagt der Hauptmann: „Ja, das merke ich wohl! Aber wenn ich einen Blick voraus hinauftue, so verschwindet rein jede Möglichkeit zum Weitergehen!“

09. Sage Ich: „Sieh, da muß man denn ein guter, erfahrener Führer sein, und man findet den geraden Weg durch alle scheinbaren Hindernisse durch! Sieh, die Kluft vor uns ist schon die Türe zur höchsten Bergkuppe.“

10. Sagt der Hauptmann: „Ja, wie aber ist das möglich? Wie konnten denn wir über alle diese beinahe durchaus senkrecht steilen Wände so bald heraufkommen? Wir sind noch lange keine Stunde unterwegs und sind nun schon der höchsten Bergeskuppe so nahe, daß wir nur noch einiger Schritte bedürfen, und wir sind total oben!“

11. Sagt die ganz heitere Jarah: „Aber Julius, wie magst du da fragen, wo Gott der Herr unser Führer ist?! Er hätte uns alle durch die ganz freie Luft ebensogut heraufheben können als über diese Wände, über die noch nie ein Mensch seine Füße gleiten ließ! So wir wissen, daß wir es hier mit dem Allmächtigen zu tun haben, so ist jede weitere Frage eitel. Wir können nur vor Liebe und vor der Höchstachtung vor Ihm zerfließen und Ihm für ewig aus der tiefsten Tiefe unseres Lebens danken, daß Er uns solch einer nie erhörten Gnade gewürdigt hat. Aber Ihn fragen, wie Seine Allmacht und Weisheit solches vermag, und wie ihr so etwas möglich sei, finde ich eitel! Und möchte Er uns es auch kundtun, so fragt es sich, wieviel wir davon verstünden, und ob wir dann auch allmächtig würden?! O ja, wenn und insoweit Er es will, können wir aus uns Wunderbares zustande bringen; aber über Seinen heiligen und allein allmächtigen Willen hinaus sicher ewig nie!“

12. Sage Ich: „O du kleine Weise du! Wer würde in dir so viel des hellsten Lichtes suchen!? Ich sage dir, daß deinesgleichen auf der Erde wohl wenige sind; aber nur eines muß Ich nun bei aller Meiner übergroßen Liebe zu dir sagen, und das besteht darin, daß du in Zukunft mit deiner reinen Weisheit viel sparsamer umgehen und nur dann deinen Mund auftun mußt, wenn es im Ernste notwendig ist; hier aber ist es nicht notwendig, da, wie du siehst, Ich Selbst zugegen bin und es auch verstehe, jedermanns Frage ganz gehörig und gründlich zu beantworten!

13. „Sieh, wenn unser Freund Julius nicht so ein recht weiser Mann wäre, so hättest du ihm nun in seinem Herzen wehe getan; aber er ist ein weiser Mann, der es mit allen gut und redlich meint, und hat darum eine Freude an deiner kindlich weisen Belehrung. Aber in der Folge mußt du allzeit so bescheiden als nur immer möglich gegen jedermann auftreten, und du wirst erst dadurch Meine vollwahre Braut sein! — Hast du diese Meine Worte wohl recht klar in deinem Herzen begriffen?“

14. Sagt die Jarah, ein wenig betrübt: „O ja, Herr, aber ich fürchte nun, daß Du mich nicht mehr so liebhaben wirst wie früher, und das macht traurig mein Herz!“

15. Sage Ich: „Sorge du dich um etwas anderes! Ich habe dich jetzt noch um sehr vieles lieber denn vorher!“

16. Sagt die Jarah: „Aber der gute Hauptmann wird mir gram sein!?“

17. Sagt der Hauptmann: „O nein, du meine wahrhaft himmlische Jarah! Ich bin dir nur sehr dankbar dafür, daß du mir aus deinem himmlisch reinen Herzen auch eine himmlisch reine Wahrheit gesagt hast! O Jarah, wir werden miteinander noch gar viel zu besprechen haben; denn ich merke es nur zu gut, daß dein reines Herzchen von himmlischer Weisheit voll ist, und wir bleiben darum schon die besten Freunde!“

18. Sage Ich: „Nun, Meine geliebteste Jarah, bist du nun zufrieden mit solcher Bescheidung?“

19. Sagt die Jarah: „O ja, jetzt wohl; aber ich werde mich von nun an wohl sehr zusammennehmen müssen! Denn das Vorlautsein ist manchmal wohl so eine kleine schwache Seite von mir gewesen; aber in der Folge soll es nicht mehr sein, — denn Deine Worte sind mir über alles heilig!“

20. Sage Ich: „Nun wohl denn, so tun wir noch die etlichen Schritte und betreten sonach des Berges höchste Kuppe!“

131. Kapitel. Auf der Bergkuppe des Morgenkopfes.

01. In wenig Schritten darauf befanden wir uns schon auf der höchsten Kuppe, die aber sehr zerrissen, zerklüftet und zerbröckelt aussah und kaum für dreißig kopffeste (schwindelfreie) Menschen einen Standraum bot.

02. Das gefiel unserm Hauptmann nicht, und er sagte: „Die Fernsicht ist wohl unbeschreibbar großartig herrlich; aber die schlechte, nach allen Seiten stark abhängige und auch sonst sehr unebene Bergplatte verleidet mir sehr den herrlichen Genuß!“

03. Sage Ich: „Freund, setze dich, so dich der Schwindel befällt, und ihr andern tut dasselbe! Ich aber werde stehenbleiben.“

04. Sagt der Hauptmann: „Wäre gut sich niedersetzen, aber wohin? Wahrlich, die Aussicht ist herrlich; man übersieht ganz Galiläa und von Judäa einen großen Teil, — auch in das Land der Samariter sieht man; aber die unwirtsame Höhe und die Furcht vor einem möglichen Hinabstürzen verleidet mir ganz abscheulich den Hochgenuß! Ich weiß es, daß mir nichts geschehen kann, und dennoch fürchte ich mich! Warum denn das?“

05. Sage Ich: „Weil du das gegenwärtig Unmögliche eines Hinabstürzens nicht begreifst, darin liegt der Grund deiner Furcht. Da sieh Meine liebe Jarah an, die springt nun so munter wie eine Gemse herum, während ihre Geschwister und selbst Mein Ebahl vor Furcht bleich dastehen, und doch hat sie noch kein Abgrund verschlungen, weil sie voll des festesten Glaubens ist, daß ihr in Meiner Gegenwart nichts geschehen kann. Habt ihr alle den gleichen festen Glauben, und ihr werdet gleich ihr munter sein!“

06. Sagt der Hauptmann, unter dessen rechtem Fuße ein Stein, auf den er eben den rechten Fuß stützte, etwas locker ward: „Da möchte der Adler wohl einen festen Glauben bekommen, den seine Flügel vor dem Sturze sichern; aber ein Mensch wie ich, unter dessen Füßen alle Augenblicke ein Felsstück um das andere locker wird, kann beim besten Willen zu keiner Jarahischen Glaubensfestigkeit gelangen! Ich dürfte auf diesem, kaum zwei Mannslängen breiten und höchstens bei fünfzig Mannslängen langen Hochriffe des Berges nur einen Jarahischen Gemsensprung versuchen, so läge ich auch bald irgendwo klein zerschmettert unten! Oh, wenn ich mich nur schon wieder unten befände!“

07. Hier springt die Jarah auf den Hauptmann zu und sagt: „Aber ich bitte dich, lieber Julius, sei doch nicht gar so furchtsam! Es kann dir ja unmöglich etwas geschehen! Der Herr hat uns über die steilsten Wände heraufgeführt, wir schwebten eigentlich nur neben den Wänden in der Luft herauf; denn es hat solch einen Weg noch nie ein Mensch gemacht, und wem von uns ist etwas geschehen bei der nie erhörten Besteigung dieses nach allen Seiten hin nackten und senkrecht steilen Felsriesen? Sind wir aber über die gefährlichsten Stellen so gut heraufgekommen, wie sollen wir uns denn hier nun auf einmal zu fürchten anfangen, als ob es im Ernste möglich wäre, irgendwo hinabstürzen zu können? Geh, du mein lieber Julius, und sei mir zuliebe ein wenig heiterer! Sieh, ich kann kein so furchtsames und trauriges Gesicht sehen!“

08. Hier will die Kleine den Hauptmann bei der Hand nehmen und ihn ein wenig herumführen; aber der Hauptmann schreit laut auf: „Zurück! Nur immer drei Schritte vom Leibe, du kleine Hexe! Es hätte vorhin nicht viel gefehlt, daß du mit deinem mutwilligen Sprunge mich über die Wände hinabgestoßen hättest! O ich kenne dich, du bist sonst wohl ein selten gutes, liebes und sogar weises Mädchen; aber manchmal kommt dir so ein faunischer Mutwille in den Sinn, und da sage ich: Nur drei Schritte vom Leibe! Ich habe dich sonst sehr lieb; aber hier auf dieser Höhe von wenigstens zweitausend Mannshöhen mußt du mir stets drei Schritte vom Leibe bleiben! Du hast alles richtig und weise gesprochen; aber ich kann für meinen Schwindel auf solchen Höhen nicht. Ich weiß und glaube, daß uns allen nichts geschehen wird; aber alles dessenungeachtet kann ich mich dennoch des lästigen Schwindels nicht erwehren, und du mußt darum mit mir keinen Scherz treiben!“

09. Sagt die Jarah: „Ah, was fällt dir ein? Wie kannst du aber nur zu der leisesten Vermutung kommen, als könnte ich mit dir einen Scherz treiben!? Sieh, ich bin meiner Sache zu gewiß, daß weder mir noch dir hier etwas geschehen kann, und sprang bloß darum so mutig zu dir Furchtsamstem her, um dich möglichst aufzurichten! Wie kannst du mir darum völlig gram werden und mich eine Hexe schelten? Sieh, liebster Julius, das war auch nicht fein von dir!“

10. Hier kommen der Kleinen Tränen in die Augen. — Als der Hauptmann solches bemerkt, da gereut es ihn, daß er die Jarah so hart angefahren hat, und sagt: „Nun, nun, sei nur wieder gut! Unten werden wir beide schon wieder miteinander lustwandeln über schöne Rasenplätze; aber hier ist dazu der Platz ein wenig zu enge, und ich kann, wie gesagt, für meinen lästigen Schwindel nicht!“

11. Sagt die Jarah: „Der Schwindel ist auch eine Krankheit! Der Heiland aller Heilande ist hier; Ihm, dem es möglich war, so viele Hunderte von ihren Übeln zu heilen, wird es wohl auch möglich sein, dich von deinem Schwindel frei zu machen! Bitte Ihn darum, und Er wird dich heilen!“

12. Sagt der Hauptmann: „Schaue du, meine liebe Jahra, das ist dir nun besser gelungen denn alles Frühere! Das war ein besserer Sprung als dein früherer, wo du mich fast über die Wände hinabgestoßen hättest! Und sieh, diesen deinen Rat werde ich auch sogleich befolgen!“

13. Hier wandte sich der Hauptmann bittend an Mich und sagte: „Herr, befreie mich von meiner Furcht und meinem Kopfschwindel!“

14. Sage Ich zu Ebahl: „Gib einen Becher Wein her!“

15. Ebahl reichte Mir sogleich einen kleinen Schlauch voll und einen Becher.

16. Ich füllte den Becher und gab ihn dem Hauptmann mit den Worten: „Da, nimm und trinke, und es wird besser mit deinem Schwindel!“

17. Der Hauptmann nahm sogleich den Becher und trank daraus. Als er den Becher geleert hatte, verließ ihn sogleich alle Furcht und aller Schwindel, so daß er nun ganz heiter ward und sich von der Jarah auf alle Seiten des Berges herumführen ließ und ganz behaglich über die steilsten Wände hinabschauen konnte.

18. Als all die andern solches am Hauptmann merkten, baten sie Mich auch um die Befreiung von ihrer lästigen Furcht. Und Ich ließ allen Wein reichen, und auf einmal ward die Höhe also belebt, als wäre sie ein Volksgarten.

19. Ein Teil betrachtete die weitgedehnten Ländereien, ein zweiter Teil sang sogar Psalmen, ein dritter sah über die Wände hinab und suchte eine Stelle, von der ein Rückweg möglich wäre. Da man aber keine solche Stelle entdecken konnte und die Sonne sich schon sehr dem Untergange zu nahen begann, so kamen besonders die Jünger und sagten: „Herr, noch eine halbe Stunde, und die Sonne ist unter; was dann auf dieser Höhe?“

20. Sage Ich: „Darum habt ihr euch nicht zu kümmern! Wer da glaubt, der soll heute nacht auf dieser Höhe Gottes Herrlichkeit leuchten sehen. Wir bleiben hier!“

21. Als die Jünger solches vernahmen, wurden sie still und suchten sich sichere Ruheplätze aus.

22. Aber der Hauptmann kam auch und fragte Mich, ob wir etwa bald den Rückweg anträten, da die Sonne sich dem Untergange nahe.

23. Ich aber sagte zu ihm ebenfalls, was Ich zu den Jüngern gesagt hatte, und er ward damit auch zufrieden und setzte sich auf einen festen und ziemlich ebenen Fels nieder.

24. Nur die Jarah sagte, als die Sonne eben anfing den Horizont zu berühren: „Herr, Du meine Liebe, wir werden ja etwa doch noch nicht heimkehren von dieser gar so anmutigen Höhe? Ich möchte da gar so gerne den Aufgang der Sonne sehen!“

25. Sage Ich: „Wir bleiben hier die Nacht hindurch und werden uns erst des Morgens am Sabbat heimbegeben; die Nacht hindurch aber wirst du wie alle andern die Herrlichkeit Gottes leuchten sehen!“

26. Darüber ward die Kleine so voll Entzücken, daß sie zu Meinen Füßen niedersank und in eine Art Ohnmacht verfiel, die sie jedoch bald verließ.

132. Kapitel. Vom Wesen der Furcht.

01. Es fing aber, als die Sonne untergegangen war, von der Mitternachtgegend ein sehr kühler und heftiger Wind zu wehen an, so daß alle sich von neuem zu fürchten begannen, und der Hauptmann sagte: „Nun, wenn dieser Wind an der Stärke gleichweg also zunimmt, dann wird er uns am Ende doch noch in die Abgründe hinabstoßen; auch ist seine bedeutende Kühle eben nicht angenehm.“

02. Sage Ich: „Laß den Wind wehen, denn nun ist seine Zeit! Denke aber dabei, daß er nicht Dessen Meister ist, der ihn geschaffen hat durch Seinen Willen und ihn nun hält und wehen läßt, wann Er will!“

03. Der Hauptmann war mit dieser Erklärung zufrieden, legte sich aber dennoch so fest als möglich auf den Boden, und die andern folgten seinem Beispiele.

04. Nur die Jarah blieb standhaft an Meiner Seite stehen und sagte: „Aber Herr, woher kommt es denn, daß sich diese Menschen so fürchten, da sie doch schon sicher durch gar viele Zeichen werden belehrt worden sein, daß Du ein Herr auch aller Elemente bist!? Besonders wundert mich das von Deinen eigenen Jüngern! Ah, so Du nicht da wärest, dann wäre es etwas anderes; aber da Du nun hier bist, wundert mich das sehr! — Herr, so Du willst, da sage mir den Grund von dieser Erscheinung!“

05. Sage Ich: „Sieh, das macht die noch nicht ganz hinausgeschaffte alte Welt in ihren Eingeweiden! Wäre diese wie bei dir schon ganz aus ihnen verbannt, so hätten sie gleich dir keine Furcht und könnten auch keine haben, da der Geist stark genug ist, sich alle Natur untertänig zu machen.

06. Sieh, wir stehen nun auf eines Berges Spitze, die noch nie von einem Menschen betreten ward! Denn wie du siehst, so sind die Felswände nach allen Seiten so steil, daß über dieselben auf eine natürliche Weise weder herauf— und ebensowenig hinabzukommen ist; du hast es gesehen, wie, nachdem wir mit der natürlichen Kraft den halben Berg erstiegen hatten, sich jede Möglichkeit verlor, weiter über die senkrecht steilen Wände hinaufzuklimmen. Der Hauptmann und alle andern fragten: ,Was nun?‘ — Ich aber stieg mit dir über die Wände voran, und alle folgten uns, ohne im geringsten müde zu werden. — Wie war denn solches möglich?

07. Sieh, das machte der Geist im Menschen möglich! Ich habe auf diese Zeit die Geister im Menschen erweckt, und diese trugen ihre Fleischhülle hierher auf diese Höhe. Da aber ihre Geister solcher Tätigkeit noch ungewohnt sind, so begaben sie sich, wie Ich sie nur ein wenig ausließ, wieder in ihren Leib zur Ruhe, und des Leibes Seele ward mit Furcht erfüllt. Wäre aber ihr Geist in ihren Herzen vollwach geblieben, so hätten sie keine Furcht; denn der Geist selbst hätte die Seele mit der leuchtendsten Zuversicht erfüllt und ihnen die lebendigste Überzeugung ins Herz gelegt, daß ihm alle Natur untertan sein muß! Da aber solches der alten Welt wegen, von der ihre Seelen noch einen Teil in sich bergen, nicht für die Dauer stattfinden konnte, so befällt ihre Seelen auch noch immer etwas von der Weltfurcht, die du hier bei ihnen erfährst.

08. Die Seele des Menschen lebt sich entweder durch eine falsche Richtung in ihr Fleisch hinein oder durch eine rechte Richtung in ihren Geist, der allzeit eins ist mit Gott, wie das Licht der Sonne eins ist mit ihr. Lebt sich nun eine Seele in ihr Fleisch hinein, das in sich tot ist und nur für eine bestimmte Zeit, wenn dem Leibe kein Schaden zugefügt wird, aus der Seele ein Leben empfängt, so wird die Seele in allem eins mit ihrem Fleische.

09. Wenn die Seele sich aber stets mehr und mehr in ihr Fleisch hineinlebt, so daß sie am Ende selbst völlig zu Fleisch wird, dann befällt sie auch das Gefühl der Vernichtung, was eine Eigenschaft des Fleisches ist; und dieses Gefühl ist dann die Furcht, die den Menschen zu allen Dingen am Ende völlig unfähig und kraftlos macht!

10. Ganz anders aber verhält es sich mit einem Menschen, dessen Seele durch eine rechte Richtung sich schon von frühester Jugend an in ihren Geist hineingelebt hat! Da sieht die Seele ewig keine mögliche Vernichtung vor sich! Ihr Gefühl ist gleich der Beschaffenheit ihres ewig unvernichtbaren Geistes; sie kann keinen Tod mehr sehen und fühlen, da sie eins ist mit ihrem ewig lebenden Geiste, der ein Herr ist über alle die sichtbare Naturwelt. Und die leicht begreifliche Folge für den noch im Fleische lebenden Menschen ist, daß ihm jede Furcht ferne ist; denn wo es keinen Tod gibt, da gibt es keine Furcht!

11. Darum sollen die Menschen auch stets so wenig als möglich um Dinge der Welt sich sorgen, sondern allein darum, daß ihre Seele eins werde mit dem Geiste und nicht mit dem Fleische! Denn was nützt es dem Menschen, so er für sein Fleisch auch die ganze Welt gewönne, aber dafür den größten Schaden erlitte an seiner Seele? Denn auch diese ganze Welt, die wir nun in einem ziemlich weiten Umkreise schauen mit allen ihren den Wasserblasen gleich flüchtigen Herrlichkeiten, wird vergehen, und dieser ganze Himmel mit seinen Sternen auch zu seiner Zeit; aber der Geist wird bleiben ewig, so wie jegliches Meiner Worte.

12. Aber es ist den Menschen, die sich einmal so recht fest in die Welt hineingelebt haben, unaussprechlich schwer zu helfen; denn sie sehen und setzen ihr Leben in die eitlen Dinge der Welt, leben in einer beständigen Furcht und sind auf dem geistigen Wege am Ende gänzlich unzugänglich! Nähert man sich ihnen aber auf dem Natur— oder Weltwege, so nützt man ihnen dadurch nicht nur nichts, sondern man fördert nur ihr Gericht und dadurch den Tod ihrer Seele!

13. Wer aus den Weltmenschen dann seine Seele retten will, der muß sich eine große Gewalt antun und muß sich in allen Weltdingen auf das möglichste zu verleugnen anfangen. Tut er solches mit großem Fleiß und Eifer, so wird er sich retten und zum Leben eingehen; tut er es aber nicht, so kann ihm auch auf keinem andern Wege geholfen werden, außer durch große Leiden von seiten der Welt her, auf daß er lerne verachten die Welt und ihre Herrlichkeiten, sich zu Gott kehre und so anfange, Seinen Geist in sich zu suchen und sich mehr und mehr zu einen mit Ihm. Ich sage es dir: Der Welt Glückseligkeit ist der Seele Tod! — Sage Mir, du Meine allerliebste Jarah, nun, ob du dieses alles wohl verstanden hast!“

133. Kapitel. Christus, der Mittler zwischen Himmel und Erde.

01. Sagt die Jarah: „O Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben! Durch Deine Gnade in mir habe ich dieses alles wohl verstanden; aber traurig ist es, daß die Menschen das nicht einsehen und begreifen können oder wollen! Oh, da wird es dereinst leider viele tote Seelen geben! O Herr, mache Du, daß doch die Menschen solch heilige Wahrheit vernehmen möchten und sich dann danach kehren; denn mir wird es sonst bald sehr langweilig werden, unter so vielen Toten zu leben in dieser Welt!“

02. Sage Ich: „Sei getrost; denn darum bin Ich ja Selbst in diese Welt gekommen! Bisher hat es an wohlgebahnten Wegen gemangelt, und die Himmel waren getrennt von der Erde; nun aber wird ein gerechter und fester Weg gebahnt werden, und die Himmel werden mit der Erde verbunden werden, daß es darum für jeden ein leichtes werden soll, auf dem gebahnten Wege zu wandeln und auf diesem die nahen Himmel zu erreichen. Doch soll kein Mensch in der Freiheit seines Willens nur im geringsten beirrt werden!

03. Von nun an wird jeder, der es nur fest wollen wird, die Himmel erreichen können, was bis jetzt nicht möglich war, da zwischen der Erde und den Himmeln eine zu große Kluft gelegt war.

04. Aber wehe auch nun allen, die davon gute Kunde erhalten und sich aber dennoch nicht daran kehren werden! Diese werden von nun an schlimmer daran sein denn die Alten, die oft wollten, aber nicht konnten! — Verstehst du das?“

05. Sagt die Jarah: „Herr, ich habe alles verstanden! Die Möglichkeit ist gut, aber der freie Wille der Menschen! Die Welt sehen und schmecken sie, aber die Himmel sehen und schmecken sie dennoch nicht; und da wird es sein, daß viele den gebahnten Weg nicht werden gehen wollen, und es wird dann schlimmer sein mit ihnen denn bisher! Ich sage es Dir, o Herr, der gebahnte Weg zum Himmel wird von wenigen betreten werden; denn das Schwerste für den Menschen ist die Selbstverleugnung!“

06. Sage Ich: „Sorge dich nicht, die Anstalten zur Besserung werden von großer Ausdehnung von hier bis nach jenseits ausgebreitet werden! — Unsere Gesellschaft aber ist während unseres Gesprächs samt unserem Hauptmann eingeschlafen; was werden wir nun tun?“

07. „Herr“, sagt die Jarah, „das wirst Du schon am allerbesten wissen!“

08. Sage Ich: „Jawohl, du hast recht! Ich ließ sie darum auch einschlafen, und sie sollen das im Traume schauen, was du in der Wirklichkeit sehen wirst. Sieh, bald wirst du die Himmel offen sehen, und alle Engel werden uns dienen! Morgen soll dieser Berg gen Osten hin eine leicht besteigbare Abdachung bekommen, und wir alle werden auf einem neuen natürlichen Wege von hier hinab nach Genezareth ziehen können. Darum gib nun wohl acht auf die Szene, die sich vor deinen Augen entfalten wird!“

09. Nach diesen Meinen Worten erhob die Jarah ihre Augen nach aufwärts und sah eine Weile in den hell gestirnten Himmel hinein. Als sich nach längerem Schauen noch nichts zeigen wollte, so sagte sie zu Mir mit einer eigens lieblichen Stimme: „Herr, Du mein Leben, Du meine Liebe, es will sich noch immer nichts sehen lassen! Wie wird es denn aussehen, auf daß ich bei irgendeiner hie oder da vorkommenden Erscheinung wissen könne, ob sie zu der von Dir vorhergesagten gehört oder nicht?“

10. Sage Ich: „Meine liebste Jarah, du mußt viel mehr mit deinem Herzen hinaufblicken als mit den Augen deines Kopfes, so werden sich dir bald Wunderdinge zu zeigen anfangen im herrlichsten Lichte! Versuche es nur einmal, und du wirst dich gleich überzeugen, daß Ich allzeit recht habe und die vollste Wahrheit rede!“

11. Auf diese Meine belehrenden Worte erhebt nun die Jarah mehr ihr Gemüt denn ihre Augen aufwärts, und sieh, sogleich öffnen sich alle Himmel, und zahllose Scharen der Engel Gottes schweben im herrlichsten Glanze zur Erde hernieder und singen: „Tauet ihr Himmel alle Gnade den Gerechten auf dieser Erde! Denn heilig ist Der, der sie betrat zum Heile derer, die gefallen sind, bevor noch eine Sonne glühte im Gnadenlichte Gottes in der tiefen Unendlichkeit!

12. Menschenkinder, die Satan gezeugt hat, nimmt Er auf und macht sie zu Kindern Seiner Liebe!

13. Darum alle Ehre, allen Ruhm und allen Preis Ihm allein; denn alles, was Er tut, ist wohlgetan, und Seine Ordnung ist Liebe, mit der höchsten Weisheit gepaart. Darum ist Er allein heilig, überheilig, und vor Seinem Namen müssen sich beugen alle Knie im Himmel, auf Erden und unter der Erde. Amen.“

134. Kapitel. Die Hebung des Galiläischen Meeres.

01. Als die Jarah solchen Gesang vernimmt, sagt sie ganz entzückt: „Herr, hier ist wahrlich schwer zu unterscheiden, was hier schöner und herrlicher ist, ob der Gesang, die Worte, oder ob das herrlichste tausendfarbige Licht oder die wunderschönsten Gestalten dieser zahllosen ätherischen Sänger! Ah, jetzt habe ich erst einen Begriff, was so ganz eigentlich die Himmel Gottes sind! Oh, jetzt möchte ich gleich sterben, und dann zu diesen schönsten Sängern übergehen! Aber sage mir doch, so es Dir, o Herr, gefällig ist, wer und was denn diese herrlichen Sänger in sich etwa doch sind! Sind sie wirklich das, was sie zu sein scheinen, oder sind das bloß nur von Dir für diesen Augenblick neugeschaffene Wesen?“

02. Sage Ich: „Das sind Engel und wurden endlos lange eher geschaffen, als irgendeine Spur von einer materiellen Schöpfung vorhanden war. Berufe nur einen, und du wirst dich überzeugen, daß er wie alle seinesgleichen höchst vollkommene wahre Wesen sind! Und Ich muß dir hinzu noch die Bemerkung machen, daß, so leicht und ätherisch sie auch aussehen, dennoch jedem von ihnen eine so große Stärke, Kraft und Macht innewohnt, daß aus ihnen der Kleinste und Schwächste in einem Augenblick die ganze Erde also zerstören könnte, daß von ihr aber auch nicht das kleinste Stäubchen übrigbliebe! Da du nun das weißt, so berufe einen von ihnen und stelle mit ihm einige Proben an!“

03. Sagt die Jarah: „Herr, das getraue ich mir wohl nicht; denn so unbegreiflich schön sie auch sind, so habe ich doch vor ihnen so eine kleine Furcht.“

04. Sage Ich: „Aber Kindchen, habe Ich dir nicht ehedem erklärt, was eine Furcht ist? Sieh, darum darfst du dich nun nicht fürchten, sonst müßte Ich meinen, daß in deinem Herzen auch noch etwas Weltliches haust. Bist ja bei dem Herrn, vor dessen Namen alle diese Wesen ihr Knie beugen; woher soll dann deine Furcht kommen?“

05. Sagt die Jarah: „Das ist freilich nur zu wahr; aber der ungewohnte Anblick solch einer nie geahnten Szene muß ein armes, schwaches Mädchenherz ja vom Grunde aus erschüttern! Aber nun werde ich mich schon zusammennehmen, und Du wirst es sehen, daß Deine Jarah auch ohne Furcht sein kann.“

06. Auf diese Worte winkte sie gleich einem nächsten Engel, und dieser kam im Augenblick schwebend zu ihr und fragte sie mit der sanftesten und zärtlichsten Stimme: „Jarah, du herrliche Tochter meines Gottes, meines Herrn von Ewigkeit, was wünscht dein liebstes, reines Herz von mir?“

07. Sagt die Jarah, ein wenig verblüfft von dem Glanze und der Majestät des Himmelsboten: „Ja, ja, ja richtig, der Herr, den du hier siehst, sagt mir, daß jeder von euch gar so wundermächtig sei, und ich möchte mich davon durch eine Probe überzeugen; aber was sollte ich dir für eine Probe angeben, da ich nichts weiß, als was ich erst jetzt in den wenigen Tagen vom Herrn Jesus gehört habe?!“

08. Sagt der Engel: „Höre, du schöne Blume der Himmel, da werde ich dir im Namen des Herrn gleich aus der Verlegenheit helfen! Siehe da unten das sehr gedehnte und tiefe Meer Galiläas! Wie wäre es denn, so ich es heraushöbe aus seinem weiten und tiefen Becken und hinge es dann in der Gestalt eines großen Wasserballes vor deinen Gliedern und Augen frei in die Luft, etwa auf eine ganze Stunde lang?“

09. Sagt die Jarah: „Das wäre zwar ungeheuer wunderbar; aber wo kämen unter der Zeit die lieben Fische hin, und endlich die vielen Schiffe, die teils an den Ufern ruhen und vielfach auch auf dem Meere herumschwimmen?“

10. Sagt der Engel: „Das wird meine Sorge sein, daß darob keinem Fische noch irgendeinem Schiffe ein Schaden zugefügt werde! So du die vorgeschlagene Probe wünschest, wird im Augenblick das beantragte Werk vor dir schweben!“

11. Sagt die Jarah: „Ja, so dabei keinem Wesen ein Schaden zuteil werden kann, da magst du das wohl ausführen!“

12. Spricht der Engel: „Sieh dich um! Der See ist leer, und all sein Wasser bis auf den letzten Tropfen schwebt nun frei in der Luft, deinen Augen wohl beschaulich!“

13. Die Jarah wollte hinab in die Tiefe sehen, kam aber mit der Stirne gleich an die kalte, nasse Wand des frei und ganz knapp neben der Felswand schwebenden Wasserballs, dessen Gesamtdurchmesser nahezu viertausend Klafter betrug. Als sie solches ersah, da fragte sie ganz kleinlaut: „Aber wie, um des Herrn willen, war dir denn so etwas in einem kaum denkbar kürzesten Augenblick möglich? Und ist der See nun wohl wirklich ganz vom Wasser frei?“

14. Sagt der Engel: „Jarah, komme mit mir und überzeuge dich!“

15. Sagt die Jarah: „Wie wird das möglich sein?“

16. Sagt der Engel: „So es mir möglich war, die schwere Masse Wasser in einem Augenblick heraufzuheben, so wird es mir ja wohl auch möglich sein, dich in der schnellsten Schnelle hinab bis auf den tiefsten Grund des Meeres zu bringen, und dann ebenso schnell wieder zurück! Aber es muß dein Wille sein, sonst kann ich nichts tun; denn ein Fünklein der Freiheit des menschlichen Willens respektieren wir alle mehr denn alle unsere, von Gott uns verliehene Kraft und Macht! Darum mußt du zuvor wollen, und ich werde danach handeln!“

17. Sagt die Jarah: „Nun gut denn also, überzeuge mich!“

18. In diesem Augenblick befand sie sich auf dem staubtrockenen tiefsten Grunde des Meeres, und der Engel hob vom Boden eine schönste Perlmuschel auf und gab sie der Jarah zum Gedächtnis und zur Belehrung an die andern, die dem Leibe nach zwar fest schliefen, aber das alles im Traume zu schauen bekamen.

19. Als die Jarah die Muschel noch kaum in dem geräumigen Sack ihrer Schürze untergebracht hatte, fragt sie der Engel: „Glaubst du es nun, daß sich nun alles Wasser dieses Meeres im über uns schwebenden großen Balle befindet, und daß sein weites Bett ganz trocken ist?“

20. Sagt die Jarah: „Ja, ja, ich hätte es dir auch sonst geglaubt! Aber nun bringe mich nur schnell wieder zum Herrn hinauf; denn ohne Ihn sterbe ich im nächsten Augenblick!“

21. Kaum war das letzte Wort ausgesprochen, und die liebe Jarah stand schon wieder an Meiner Seite auf der Höhe des Berges; und Ich fragte sie, wie ihr das gefalle, und wie sie das so nach ihrer Beurteilung finde.

22. Sagt die Jarah: „Herr, daß Dir alle Dinge möglich sind, weiß ich nur zu gut; wie aber in Deinem Willen und durch Deinen Willen auch im Willen des Engels solch eine Macht zu Hause sein kann, das wird dem Engel selbst fremd sein, geschweige, daß ich Dir davon irgendeinen Grund angeben könnte! Es ist im höchsten Grade wundervoll; aber begreifen kann ich's nicht!“

23. Sage Ich: „Du hast da ganz gut und richtig geantwortet; aber in deinem eigenen Herzen wirst du mit der Zeit schon auch finden, wie Gott solche Dinge möglich sind. — Aber wie gefällt dir denn der Engel?“

135. Kapitel. Eine Liebesprobe der Jarah.

01. Sagt die Jarah: „Er ist wohl ein unbeschreiblich schöner Mensch, da er gerade also aussieht wie ein Mensch; aber neben Dir, o Herr, sind alle Engel und Himmel mit all ihrem Lichte und ihrer gestaltlichen Schönheit soviel als nichts! Denn all ihre Schönheit bist ja Du nur allein und Selbst! Ich könnte dennoch keinen lieben!“

02. Sage Ich: „Aber bin denn Ich, wie du Mich hier siehst, wohl schöner noch als dieser Engel? Sieh, Meine rauhen, ausgearbeiteten Hände, Meine von der Sonnenhitze ziemlich stark gebräunte Haut und Mein Alter sind doch wahrlich nicht anziehend, wogegen dieser Engel mit allem ausgerüstet ist, was nur die Himmel schön nennen mögen und können!“

03. Sagt die Jarah: „Herr, das Äußere ist für mich nichts, wenn das Innere nicht völlig Deinem Herzen gleicht; denn Du allein bist der Herr!“

04. Sage Ich: „Aber aus den Engeln strahlt überall unverhüllt Meine Liebe und Meine Weisheit, die Mir in allem völlig gleicht; so du Mich aber nur Meiner Liebe wegen liebst und Ich dennoch der Herr bin, so sehe Ich nicht ein, warum du diesen überschönen Engel nicht also lieben kannst wie Mich, da er doch sicher pur von Meiner Liebe und Weisheit zusammengesetzt ist!?“

05. Sagt die Jarah: „Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben; aus diesen zwei Lebenselementen sind ja auch alle Menschen zusammengesetzt, und ich kann sie dennoch nicht also über alles lieben wie Dich! Ja, ich liebe gewiß alle Menschen und die Dürftigen am allermeisten und biete nach meinen geringen Kräften allzeit alles auf, um den Armen Hilfe zu verschaffen; aber so lieben wie Dich kann ich sie dennoch nicht, und so liebe ich auch diesen lieben Engel; aber mein Herz und mein Leben gehört dennoch nur Dir! Nur wenn Du, o Herr, meine gewiß reine Liebe zu Dir hart von Dir wiesest, dann würde ich wohl sehr traurig werden, aber ich würde mir denken: Er, der Reinste, der Heiligste, hat deine etwa noch viel zu unreine Liebe Seiner nicht für würdig halten können und hat sie darum von Sich gewiesen!“

06. Nach diesen Worten fängt die Kleine an zu weinen und sagt, leise schluchzend: „Und es wird auch also sein! Ich habe mich mit meiner Liebe zu weit gewagt und bedachte in meiner Einfalt nicht, wer Derjenige ist, den mein Herz so heftig ergriffen hat; darum weist Deine zu heilige Liebe meine noch viel zu unheilige Liebe ganz sanft von sich und gibt mir einen Engel, der mein Herz zuvor reinigen und die Liebe heiliger ziehen soll. Mich schmerzt es wohl mächtig; aber ich weiß es ja, daß Du allein der Herr bist, und so will ich ja alles erdulden, was Du über mich verhängen magst.“

07. Sage Ich: „O du Meine Liebe, was machst du deiner Liebe für leere Vorwürfe! Wer Mich nicht also liebhat wie du und irgend etwas in der Welt mehr liebt als Mich, der wohl ist Meiner Liebe nicht wert; aber du, deren Herz alle Engel des Himmels Mir nimmer abwendig zu machen vermögen, liebst Mich, deinen Gott und Herrn, ja ebenalso wie die Engel der Himmel und bist darum schon lange selbst ein allerschönster Engel, in den Ich Selbst über alle Maßen verliebt bin! Komm her an Mein Herz und hole dir daraus den vollsten Ersatz für diese kleine Prüfung!“

08. Auf diese Worte ist die Kleine wieder ganz geheilt und schmiegt sich so fest als möglich an Mich.

09. Da spricht der Engel: „O Seligkeit aller Seligkeiten! Was sind alle Himmel gegen den Anblick solch einer Liebe?! Wir vollkommenen Geister haben zwar der Seligkeiten schon so endlos viele genossen, daß deren Zahl keine Zunge mehr auszusprechen vermöchte; aber all die genossenen zahllosen Wonnen der Wonnen sind dennoch kein Tau gegen diese, wo Du, o heiligster Vater, Dein Kindlein auf Deine Arme nimmst und es mit sichtlicher höchster Liebe an Dein heiligstes Herz drückst! Oh, welch eine unnennbare Wonne muß nun dies Dein Kindlein empfinden!?“

10. Sage Ich: „Ja, die Wonne ist übergroß für das Kindlein, aber auch für Mich; doch ihr werdet sie auch genießen, wenn es wird vollendet sein und ihr alle am Tische Meiner Kinder werdet gespeiset haben! Nun aber laß das Wasser wieder in sein Becken! Danach wird dir dies Mein Kindlein eine andere Arbeit ansagen.“

11. Mich mit dem Munde an das wonnetrunkene Köpfchen der Jarah wendend: „Gelt, Meine Jarah, du wirst Mir wohl helfen, Meinen Engeln noch so manche Arbeiten zu schaffen?!“

12. Sagt die Kleine mit einer überaus liebewilligen und kindlich unschuldigen, zarten Stimme: „O ja, Dir zuliebe tue ich ja alles über alle Maßen gerne! Du darfst ja nur sagen — und ich stürze mich Dir zuliebe in jegliches Feuer, auch über die Wände dieses Berges ins Meer hinab, so es schon wieder unten ist.“

13. Sage Ich: „Und es würde dich dennoch kein Feuer der Erde mehr brennen und zerstören können, weil du schon selbst voll des stärksten und mächtigsten Feuers geworden bist! Auch Steine und Wasser würden dir nimmer schaden können; denn dein Charakter in Meiner Ordnung ist fester denn ein Diamant, und dein Gemüt sanfter denn alle Gewässer der Himmel! Kurz, du bist Mir schon einmal so ganz ins Herz hineingewachsen, und Ich gebe dir darum die Freiheit, daß du den Engeln etwas zu vollziehen kundtun kannst, und sie werden es also vollziehen, als ob Ich es ihnen Selbst geboten hätte. Denke dir sonach nun eine Arbeit aus und sage es dem Engel, der schon mit großer Sehnsucht harret, von deinem Herzen einen Auftrag zu empfangen, was du willst, und es wird augenblicklich alles in Vollzug gebracht werden!“

14. Sagt die Jarah: „Mein lieber Bote aus den Himmeln, wenn es ohne Schaden geschehen kann, so mache im Namen des Herrn, daß dieser Berg, da er auf einem natürlichen Wege zu schwer zu ersteigen ist, einen leicht und gefahrlos besteigbaren Weg habe zum Auf— und Abgehen, auch gegen das Meer hin, wo er sonst nur für die Vögel besteigbar ist!“

15. Der Engel macht bloß eine höchst zierliche Verbeugung vor der kleinen Jarah und sagt: „O du herrliche Gebieterin in des Herrn Namen! Sieh dich nun nur um nach allen Seiten des Berges, und du wirst mit mir sicher zufrieden sein! Sieh, wir sind manchmal auch langsam in unseren Handlungen; aber wenn es sein muß auch geschwinder als der Blitz!“

136. Kapitel. Die Macht der Engel. Besuch eines Sternes.

01. Darauf führt der Engel die Jarah nach allen Seiten des Berges hin, und sie überzeugt sich, daß der Berg an seiner Höhe zwar nichts verloren hat, aber nach allen Seiten hin dennoch ohne alle Gefahr bestiegen werden kann, und besonders an der vom See abgewandten Seite, wo er ganz sanft absteigt.

02. Als sich die Jarah von allem dem überzeugt hatte, sagte sie: „Die Sache ist so wunderbar, daß ich anfange, auf meine Sinne mißtrauisch zu werden, und mir gerade denken muß, daß ich auch schlafe und träume! Sage mir doch ein bißchen etwas davon, wie dir solches möglich war! Früher hast du das ganze Meer heraufgehoben und hast es frei in der Luft wie einen schwebenden Tropfen erhalten, und nun hast du den steilen Berg nach allen Seiten hin zugänglich gemacht, und das alles in einem schnellsten Augenblick! Wie, wie ist dir solches möglich? Du hast deinen Platz nie verlassen und dennoch ist dies alles verrichtet worden! — Ach, das ist doch zu viel für mich armes Erdwürmchen!“

03. Sagt der Engel: „Du kannst solches freilich nun wohl noch nicht fassen; aber es wird bald die Zeit kommen, in der dir alles das sonnenklar werden wird. Soviel aber kann ich dir dennoch vorderhand sagen, daß wir Engel nichts aus uns zu tun vermögen, sondern alles durch den alleinigen, allmächtigen Willen des Herrn, den du gar so liebhast.

04. Siehe, die ganze Welt und alle Himmel sind nichts als durch den allmächtigen, allerunerschütterlichst festesten Willen festgehaltene Gedanken und Ideen Gottes; wenn Er nun Seine Idee zurücknimmt und Seine Gedanken auflöst, so vergeht im selben Augenblick das sichtbare Geschöpf; faßt der Herr aber einen neuen Gedanken und hält ihn mit Seinem allmächtigen Willen fest, so ist das Geschöpf schon für jedermann sichtbar da!“

05. Fragt die Jarah: „Ja, was habt denn hernach ihr dabei noch zu tun?“

06. Sagt der Engel: „Wir sind pure Aufnahmegefäße des göttlichen Willens und hernach die Austräger desselben! Sieh, wir sind gewissermaßen die Flügel des göttlichen Willens und sind sonach ganz eigentlich der göttliche Wille selbst, und es genügt ein noch so leiser Gedanke von uns — so wir ihn verbinden mit der Kraft des göttlichen Willens —, da ist dann ein Werk auch schon vollbracht, und daher solche Schnelligkeit in unserem Handeln!

07. Siehst du jenen hellen Stern dort im Aufgange stehend? Sieh, wenn von hier bis zu ihm hin ein gebahnter Weg führte, wahrlich, die Erde hat nicht so viel des Sandes in den kleinsten Staubkörnchen, als ein Vogel Jahre brauchen würde, um ihn zu erreichen, geschweige ein Mensch in seiner schnell laufenden Bewegung; und sieh, mir aber ist es möglich, in einem Augenblick dahin zu gelangen und wieder hierher zurückzukommen! Du wirst meine Abwesenheit gar nicht merken, und ich werde dennoch dort und wieder hier sein! — Glaubst du mir das?“

08. Sagt die Jarah: „Warum sollte ich dir so etwas nicht glauben? Aber natürlich kann da von einer Überzeugung von meiner Seite keine Rede sein; denn dahin kann und möchte ich auch mit dir nicht also eine Reise machen, wie ehedem hinab in den Meeresgrund!“

09. Spricht der Engel: „Warum denn nicht? Sind denn bei Gott nicht alle Dinge möglich? Wenn es dem Herrn genehm ist, so ist mir das gleich! Daß dir nichts geschehen wird, dafür bürge ich und all die zahllosen Engel, die du helleuchtend nach allen Seiten hin erblickst!“

10. Sagt die Jarah zu Mir: „Herr, ist das wohl möglich?“

11. Sage Ich: „In der Hand dieses Engels, ja! So du willst, kannst du dich ihm übergeben, und in wenigen Augenblicken wirst du wieder ganz wohlbehalten hier bei Mir sein; nimm dir aber auch von dort ein Andenken mit!“

12. Nach diesen Worten übergab sich Jarah dem Engel und sagte: „Siehe, ich habe Mut; so du es vermagst, so trage mich dorthin!“

13. Da hob der Engel die Jarah von der Erde Boden, drückte sie recht innig an seine Brust und verschwand. — Nach zehn Sekunden war er wieder samt der Jarah hier, die in ihrer Schürze einen Stein hatte, der im Freien so hell leuchtete, als da leuchtet der Morgenstern in seinem schönsten Lichte.

14. Als die Jarah sich von ihrem Erstaunen ein wenig erholt hatte, da fragte sie Mich: „O Herr, sind denn alle diese unzähligen Sterne das, was jener Stern ist, den ich nun wahrhaftig mit meinen leiblichen Augen selbst oder mit meinen Gemütsaugen beschaut habe? Denn das ist ja eine ungeheure Welt! Diese Welt scheint mir nun gegen jene so klein zu sein, wie ein Schneckenhaus gegen diesen Berg! Menschen, ganz vollkommene Menschen, die in unaussprechlich großen und dabei in überaus wunderherrlich erbauten Tempeln wohnen, gibt es auch in jener übergroßen herrlichen Welt; aber diese Menschen sind so groß, daß sie den Berg wenigstens dreimal überragen würden, so sie unten am See stünden. Und so ist in jener Wunderwelt alles um viel tausendmal tausend Male größer, aber auch wirklich alles um so viele Male größer denn hier!

15. Wir standen auf einem überhohen Berge und sahen nach allen Seiten hin eine nimmer enden wollende Fläche. Diese war durchzogen nach allen Seiten hin von den herrlichsten Strömen, deren Wogen also spielten in den stets wechselnden, frischesten Farben eines Regenbogens; das Erdreich aber war bebaut mit den herrlichsten Gärten und Tempeln. Im nächsten Augenblick befanden wir uns schon unten bei den Tempeln und sahen da die großen Menschen und ihre noch viel größeren Wohntempel. In einiger Entfernung sind diese Menschen recht herrlich anzusehen; aber in der Nähe sehen sie wandelnden Bergen gleich! Ja, ich hätte schon eine recht hohe Leiter ansetzen müssen, wenn ich nur die kleine Zehe eines dortigen Menschen hätte ersteigen wollen!

16. Kurz, ich könnte Dir mein Leben lang in einem fort erzählen, was ich dort nur in den wenigen Augenblicken gesehen habe; aber das hieße, die Zeit, die Du, o Herr, für etwas Besseres bestimmt hast, mit unnützen Dingen verplaudern! Aber nur das möchte ich von Dir erfahren, ob alle diese zahllos vielen Sterne eben auch solche Welten sind, wie der von mir gesehene eine ist!“

17. Sage Ich: „Ja, Mein Kindchen, und das noch viel größere und viel herrlichere! Aber glaubst du wohl fest, daß du nun in diesen wenigen Augenblicken in jenem Sterne mit Leib und Seele gewesen bist? Sage Mir das!“

18. Sagt die Jarah: „Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben, wir machten auf dem Hinfluge vier kurze Abschnitte. Und da zeigte sich bis zum vierten Abschnitt der Stern, den ich jetzt noch gar gut sehe, immer unverändert als Stern; aber beim vierten Abschnitt ward er so groß wie unsere Sonne am Tage. Von da an dauerte es nur noch einen allerkürzesten Augenblick, und wir waren schon in jener herrlichen Welt. Von dem Berge, auf dessen Spitze wir zuerst uns befanden, löste ich auf Anraten des Engels ein Steinchen vom Boden — es ist dies leuchtende Klümpchen — und nahm es zum Beweise mit hierher, daß ich richtig auch dort war. Mehr kann ich Dir zum Beweise meines wirklichen Dortseins nicht kundgeben.“

137. Kapitel. Die innere Art, die Schöpfung zu beschauen.

01. Sage Ich: „Das genügt vollkommen! Aber Ich werde dir nun eine andere Art und Weise zeigen, wie ein in seinem Herzen vollendeter Mensch die Sterne bereisen kann, ohne auch nur eine Linie von dieser Erde entrückt zu werden; aber freilich ein leuchtend Steinchen kann man da nicht so leicht zum Zeugnisse mit herübernehmen! — Nun, du hast dir den Stern gemerkt, den du bereiset hast?“

02. Sagt die Jarah: „Ja, Herr!“

03. Sage Ich: „Nun, so stelle dir ihn so recht lebendig in deinem Herzen vor, sieh mit deinen Augen einige Zeit unverwandt nach ihm hin und sage Mir, wie er sich dir nach wenigen Augenblicken zeigen wird!“

04. Die Jarah tut das sogleich, und nach wenigen Augenblicken sagt sie: „Herr, Herr, Du mein Gott, Du meine Liebe, nun sehe ich ihn, wie bei meinem Hinfluge im vierten Abschnitte. Er wird nun immer größer, und sein Licht ist kaum erträglich! Ah, das ist ein erschrecklich starkes Licht; aber zum Glück tut es den Augen kein Wehe! Oh, oh, nun ist das ganze Firmament nur ein erschrecklich starkes, ungeheuer mächtig wogendes Lichtmeer! O Gott, o Gott, wie groß und wundervoll sind Deine Werke, und Du wandelst im Fleische als ein schlichter, alles Anspruchs loser Mensch unter den Menschenwürmern dieser Erde!

05. Oh, oh, oh! Nun bin ich wieder auf demselben Berge und sehe ringsum dieselbe Gegend voll Herrlichkeiten der Herrlichkeiten! Ich sehe dieselben Tempel wieder, dieselben Menschen und ihre schönen Gärten; auch sehr schöne Blumen sehe ich. Aber die kleinste von ihnen ist größer denn ein Haus auf dieser Erde; die könnte ich mir wohl nicht zum Andenken abpflücken! Ah, nun sehe ich aber auch allerlei Tiere, und die wunderschönsten Vögel sehe ich auch; aber sie sind auch ganz entsetzlich groß! Auf den ungeheuren Bäumen hängen Dir gar selten große Früchte, und dabei bemerke ich auch, wie ein paar Menschen in einem Garten danach mit ihren Händen greifen und sie richtig auch in den Mund stecken! Nun, nun, an solch einer Birne, oder was sie sonst für eine Frucht ist, hätten auf dieser Erde wohl tausend Menschen auf ein ganzes Jahr zur Übergenüge zu essen!“

06. Sage Ich: „Nun gib acht, du wirst jetzt zu einer Art Stadt dieser Welt kommen; sage Mir, wie diese dir gefällt!“

07. Die Jarah schlägt bald darauf die Hände über dem Kopfe zusammen und schreit förmlich vor Entzückung auf, sagend: „Aber um Deines allerheiligsten Namens Willen, das ist ja eine Herrlichkeit, von der sich noch nie ein Menschenherz hat etwas träumen lassen können! Oh, das ist unbeschreiblich! Welche Tempelreihen! Welche Säulengänge, welche Kuppeln! Nein, diese Pracht, Größe und Herrlichkeit! Herr, ich bitte Dich, führe mich zurück; denn diese zu unnennbar überschwengliche Herrlichkeit würde mich töten!“

08. Sage Ich: „Nun, so mache deine Augen zu und denke an Mich und an die Erde, dann wird es gleich wieder gut sein!“ — Die Jarah tut das und schaut nun ihren Stern wieder als Stern vor sich.

09. Als sie sich ein wenig wieder gesammelt hat, fragt sie (Jarah) Mich gleich: „Herr, hat etwa der Engel auch auf diese Weise, wie Du nun, mir jenen Stern gezeigt? Denn ich habe ihn nun um vieles besser gesehen denn ehedem und war nur gewisserart bloß geistig dort. Ich meine, der liebe, gute Engel hatte mich scheinhalber nur ein bißchen von hier entrückt und mir dann auch den Stern also gezeigt!?“

10. Sage Ich: „Nein, der Engel hat deinen Wunsch vollkommen ausgeführt! Und solches war aber auch nur mit dir möglich, weil dein Herz von Liebe überfüllt ist; mit jedem andern Menschen aber wäre so etwas rein unmöglich zu bewerkstelligen gewesen. Und würde ein Engel, was er zwar wohl könnte, mit einem gewöhnlichen Weltmenschen das tun, so würde schon die Annäherung eines solchen Engels den Weltmenschen augenblicklich töten!

11. Aber du hast Mich ehedem gefragt, ob alle die Sterne solche Welten seien; und Ich antwortete dir mit Ja. Nun, so du, Meine allerliebste Jarah, es wünschest, so überzeuge dich auf dieselbe Weise! Sieh, wenn ein weltlicher Jüngling um eine junge Braut freit und sie zu seiner Erwählten macht, so eröffnet er vor ihr auch alle seine Schätze, um sie, die sein Herz liebt, sich geneigter zu machen; denn, so sie ihn schon nicht möchte seiner Person wegen, so wird sie ihn doch annehmen seiner großen Schätze wegen. Und sieh, Ich tue nun vor dir desgleichen, auf daß du dereinst zur Zeit der Versuchung der Welt nicht abfallest von Meinem Herzen. Darum überzeuge dich nun von Meinen Schätzen, auf daß du einsehen kannst, daß Ich nun nicht so arm dastehe, wie es Mein Äußeres den Menschen zu verkünden scheint. Sieh, Ich bin nun einmal dein Geliebter und zeige dir darum auch ein wenig etwas von Meinen großen Besitztümern!“

12. Sagt die Jarah: „Herr, Du mein Leben, wenn ich darum noch einen Stern weiter ansehen wollte, um mich dadurch vor einer Untreue in meiner Liebe zu Dir zu verwahren, so wäre es mir leid, den einen Stern angeschaut zu haben; denn Du allein bist mir ja endlos mehr denn alle die zahllosen Sterne mit allen ihren Herrlichkeiten! Wahrlich, um Dich über alles zu lieben, brauche ich nichts, ewig nichts, als Dich allein; aber nur Dir zuliebe, weil Du es wünschest, sehe ich auch recht gerne die Wunder Deiner Macht und Weisheit an!“

13. Sage Ich: „Höre, du Meine allerliebste Jarah, Ich sehe wohl in dein Herz und lese es darin, wie sehr du Mich liebst, und kenne auch deine Treue; aber du bist nun noch mehr ein Kind als ein erwachsenes Mädchen. Bis jetzt warst du gleichfort unter dem Schutze Meiner Engel, und die bösen Geister der Welt konnten sich dir nicht nahen; wenn aber deine Jahre reifer werden, dann wirst du aus deiner eigenen Kraft der argen Welt und ihren Gelüsten widerstehen müssen, um dadurch nach Meiner für alle Wesen gestellten unwandelbaren Ordnung aus dir selbst den festen Boden zu gewinnen, auf dem du dich Mir erst wahrhaft im Geiste und in aller Wahrheit wirst nahen können. Und sieh, da hat die Welt eine starke Macht über den Menschen, weil die Welt von der Hölle aus zum größten Teile beherrscht wird, und es kostet da der Seele manch harten Kampf, um nicht von ihrem eigenen Fleisch und Blut und dadurch dann auch von der Welt verschlungen zu werden!

14. Deine Gestalt ist eine sehr schöne. Bald werden die Weltjungen ihre Augen auf dich werfen und dir Herz und Hand bieten, und es wird dir schwer werden, ihnen zu begegnen. Wenn aber solche Zeit kommen wird, dann gedenke in deinem Herzen Meiner und alles dessen, was du auf dieser Höhe alles gehört und gesehen hast, und der Sieg über die Welt wird dir ein leichter werden!“

15. Sagt die Jarah etwas traurig: „Aber das muß Dir ja doch schon von Ewigkeit her klar sein, ob ich Dir je ungetreu werden könnte!? Und siehst Du in mir eine künftige Untreue, wie magst Du mich lieben? Und kannst Du es einer künftigen Sünderin gestatten, daß sie sich Dir naht?“

16. Sage Ich: „Das ist für dich, Meine allerliebste Jarah, noch viel zu hoch! Aber Ich werde dir aus besonders großer Liebe zu dir dennoch etwas sagen: Sieh, Ich kann zwar alles wissen schon von Ewigkeit her, was mit einem Menschen wird, wenn Ich es wissen will; aber auf daß der Mensch in der Reife seiner Jahre völlig frei und unbeirrt handeln kann, so ziehe Ich auf eine bestimmte Zeit Meine Augen von ihm ab und nehme keine Wissenschaft von seinem freien Handeln, außer er bittet Mich inständigst, ihm zu helfen beim freien Kampfe mit der Welt. Da sehe Ich Mich nach ihm um, helfe ihm auf den rechten Weg und verleihe ihm beim Kampfe mit der Welt die nötige Kraft.

17. Und sieh, so will Ich für dich auch keinen Blick in die Zukunft tun, auf daß du frei bleibst in deinem Handeln; aber dafür belehre Ich dich nun, auf daß du zur Zeit der Versuchung dich alles dessen werktätigst erinnern magst. Auch der Schutzengel wird dich in solcher Zeit allein lassen; wenn du aber über die Welt vollends wirst aus deiner Kraft gesiegt haben, dann wird er wieder zu dir treten und wird dir dienen in allen Dingen. — Hast du, Meine allerliebste Jarah, das wohl so ein wenig verstanden?“

138. Kapitel. Eine jenseitige Selbstverleugnungs-Schulwelt.

01. Sagt die Jarah: „Verstanden hätte ich's wohl, — aber darum ist die Sache dennoch sehr traurig für mich und für alle anderen Menschen; denn aus Tausenden wird kaum einer die volle Kraft haben, aus sich selbst der Welt also zu begegnen, wie es Dir wohlgefällig wäre!“

02. Sage Ich: „Darum bin Ich aber ja in die Welt gekommen, um durch Meine Lehre und durch Meine Taten jedermann das Mittel in die Hand zu geben, mit welchem er mit leichter Mühe die Welt besiegen kann!“

03. Sagt die Jarah: „Wäre schon alles recht, — aber es gibt auf der Erde noch eine große Menge Menschen, die von Deinem Worte vielleicht kaum in tausend Jahren etwas vernehmen werden! Womit werden sich dann unter der langen Zeit diese schirmen vor dem Andrange der Welt? Sie sind doch ebensogut Menschen als wir Juden!“

04. Sage Ich: „Es steht mit den Völkern der Erde also wie mit den einzelnen Kindern eines Vaters: einige, als früher zur Welt geboren, werden vom Vater anders gehalten als jene, die erst kaum vor zwei, drei, vier bis fünf Jahren das Licht der Welt erschauten. Der älteste Sohn ist schon ein Mann voll Kraft geworden, und eine Tochter ist mannbar; daneben aber gibt es noch ein paar Kinder in deinem Alter, und drei liegen noch in den Windeln. Sage Mir, ob es von dem Vater wohl klug wäre, so er die Kinder in der Wiege genau also behandeln würde wie den zum kräftigen Manne herangereiften Sohn!?“

05. Sagt die Jarah: „Das wäre freilich wohl sehr dumm von einem solchen Vater!“

06. Sage Ich: „Nun sieh, darin liegt es auch, warum einige Völker erst später zu Meiner Lehre gelangen! Sie sind jetzt noch nicht reif dazu; aber zur rechten Zeit werden sie schon reif werden, und da wird auch Meine Lehre an sie gelangen. — Verstehst du das?“

07. Sagt die Jarah: „O ja, das versteh' ich recht wohl; aber welches Los haben dann die auf dieser Erde bis jetzt noch nicht reif gewordenen Völker im großen Jenseits zu erwarten?“

08. Sage Ich: „Das sollst du sogleich zu sehen bekommen! Sieh hin, dort am mitternächtlichen Teile des Himmels steht ein Stern von etwas rötlichem Lichte; fasse ihn also wie den früheren ins Auge deines Gemütes und richte auch dein irdisch Auge darauf hin, und du wirst in jenem Sterne die schönste Antwort auf deine Frage bekommen!“

09. Die Jarah tut das nun sogleich und sagt schon nach wenigen Augenblicken: „O Herr, Du allmächtigster Schöpfer Himmels und aller Welten, das ist ja noch eine viel größere Welt, denn da war die frühere, und von welch einem herrlichen Lichte ist sie umflossen! Aber das Licht ist von hellroter Farbe, ein wenig ins Goldgelbe übergehend, während das Licht der ersten Welt ganz rein weiß war. Aber nun wird auch das Licht dieser Welt unerträglich stark! Ah, nun habe ich schon den belebten Boden dieser Welt! Oh, da ist es auch unbeschreiblich herrlich! Welch eine Mannigfaltigkeit! Niedliche, sanft ansteigende Berge schließen die herrlichsten, fruchtreichsten Täler ein. In den Tälern sieht man auch eine Art von Hütten, die bloß aus einem Dache bestehen, das mit wie Rubin schimmernden Säulen unterstützt ist in guter Ordnung; aber auf den Rücken der Berge laufen ohne Unterbrechung solche Hütten fort in unabsehbaren Reihen, und so ungeheuer weit nun mein Blick reicht, so sehe ich dennoch nichts anderes, und da ist eine solche Hütte der andern so ähnlich wie beim Menschen ein Auge dem andern. Wie ich merke, ruhen die länglich runden Dächer alle auf etwa sieben Mann hohen Rubinsäulen; aber da ist auch eine Säule wie die andere! Von Menschen und anderen lebenden Wesen ist bis jetzt noch nichts zu entdecken gewesen; aber sie müssen hier dennoch auch vorhanden sein, — denn davon gibt schon die außerordentliche Kultur dieser überweitgedehnten Länder Kunde!

10. Aber merkwürdig ist, daß hier in dieser sonst überherrlichen Welt sich alles ähnlich ist! Ein Fruchtbaum sieht dem andern auf ein Haar ähnlich, und eine Blume der andern; alles ist in Reihen gesetzt, und man kann um alles in der Welt nichts außerhalb dieser Ordnung finden.

11. Es nimmt sich dies alles zwar gar wunderherrlich aus und gewährt einen freundlichen Anblick; aber mit der Zeit müßte dies ewige Einerlei einem Menschen unserer Art und Gattung denn doch etwas langweilig werden! Aber nun bin ich vor einer solchen Hütte angelangt, und sieh, da gibt es Menschen in ganz unserer Art darin! Einer steht auf einem erhöhten Orte und predigt, und die mehreren hundert anderen hören diesen Prediger mit der größten Andacht an!

12. Da in der nächst anstoßenden Hütte sehe ich mehrere in faltenreiche Kleider gehüllte Menschen an einem wohlbesetzten Tische speisen; aber um die Speisenden herum stehen ebensoviele, die der Hunger zu plagen scheint, und diese bekommen nichts zu essen! Ah, da in der dritten Hütte aber sehe ich nun einige wunderschönste Dirnen! Diese stehen bar mutternackt und machen sich mit sehr wenig sagenden Männern recht lustig, wandeln hin und her; im Hintergrunde aber stehen eine Menge sehr lüstern scheinende Jünglinge und geben den schönen Dirnen Zeichen, auch zu ihnen zu kommen und sich mit ihnen auch ein wenig lustig zu machen. Aber die Jünglinge bekommen kein Gehör und scheinen sich darüber gerade nicht zu sehr zu freuen.

13. Ah, das sind doch merkwürdige Hauseinrichtungen! So sehr auch äußerlich eine Hütte der andern auf ein Haar gleichsieht, so verschiedenartig scheinen darinnen doch die Beschäftigungen der Menschen zu sein, und das ist doch sicher auch sehr merkwürdig!? Aber wenn es auf dieser ungeheuer großen Welt allenthalben also aussieht wie in dieser von mir nun geschauten Gegend, dann ist mir unsere kleine Erde lieber — bis auf die bösen Menschen!“

14. Sage Ich: „Alles das, was du nun siehst, ist nur ein kleines Schul— und Einübungshaus in der Selbstverleugnung und in der Sichselbstüberwindung. Wandle nun mit deinen Gemütsaugen weiter, und es wird sich dir gleich etwas anderes zeigen!“

15. Jarah tut das und schreit bald so auf, daß die Festschlafenden beinahe aufgeweckt worden wären, so sie nicht Mein Wille wieder in den Schlaf versenkt hätte.

16. Ich fragte auf den Schrei die Jarah, was es denn gäbe, darum sie gar aufgeschrien habe.

17. Sagt Jarah: „O Herr, die Pracht, diese Majestät überbietet wieder alles, was je eines Menschen Sinn fassen kann! Da steht Dir ein Palast so groß und hoch wie auf der Erde der höchste und größte Berg! Die Mauern sind aus lauter köstlichsten Edelsteinen aufgeführt. Tausend und abermals tausend goldene Treppen und Galerien zieren von außen diesen ungeheuren Palast, der in seiner höchsten Höhe in eine förmliche Spitze ausläuft. Rings um diesen Palast prangen die herrlichsten Gärten, in denen aber die größte Mannigfaltigkeit das Auge zu stets neuer Bewunderung auffordert; in den Gärten aber gibt es auch sehr schöne Seen, auf denen für das Vergnügen wahrscheinlich eine große Menge wunderbarer Kunstwerke herumschwimmen, aber von niemandem geleitet und noch weniger beachtet werden.

18. Herr, was bedeutet denn das alles? Wer sind die Bewohner dieses ungeheuren Palastes, und wozu dienen diese auf den schönen Seen frei herumschwimmenden Kunstwerke aller Art?“

139. Kapitel. Ein Blick in die Sternenweltordnung.

01. Sage Ich: „Sieh, dieser Palast ist die Wohnung eines Oberlehrers in dieser Gegend, die du bereits gesehen hast. Alle jene Schulhütten stehen unter seiner Aufsicht, und die auf den Seen herumschwimmenden Gegenstände werden zu gewissen Zeiten zum ferneren Unterricht in der hohen Weisheit benutzt. Wie aber diese Wohnung hier ist, so stehen noch viele hunderttausende bloß im Mittelgürtel dieser Lichtwelt, nebst noch einer Menge von Städten größter Art. Neben diesem Gürtel, von dem du einen kleinsten nun siehst, gibt es aber in dieser Welt noch sechsundsiebzig Nebengürtel, von denen ein jeder eine ganz eigene Einrichtung hat. Diese Welt, sowie die frühere sind eigentlich zwei Sonnen gleich der unseren, die bei Tage der Erde Licht gibt, aber mit dem Unterschiede, daß die von dir zuerst geschaute bei tausend Male größer ist als die Sonne unserer Erde und die, die du gerade jetzt noch schaust, bei viertausend Male größer ist denn die unsrige; aber unsere Sonne selbst ist bei tausendmal tausend Male größer denn diese ganze Erde.

02. Die Menschen dieser Erde aber haben einen noch ganz irrigen Begriff von dieser Erde und von der Sonne, vom Monde und von all den Sternen; wenn sie aber später einmal besser zu rechnen verstehen werden, dann werden sie auch zu richtigeren Vorstellungen über die Weltkörper im endlosen Schöpfungsraume gelangen.

03. Das aber kannst du wissen, daß um jede solche Sonne in verschiedenen Entfernungen eine rechte Menge solcher Erden, wie diese ist, auf der wir stehen, kreisen, und daß mehrere dieser Erden noch Nebenerden haben, die um sie als stete Begleiter kreisen, gleichwie der Mond um unsere Erde! So viele eigentliche Erden aber von einer Sonne versorgt werden, so viele eigene, jeder solch eine Sonne umkreisenden Erden entsprechende Gürtel hat dann eben eine jegliche Sonne, mit Ausnahme der Mittelsonnen, die zum Halten und Führen der Erdsonnen bestimmt sind und um tausendmal tausend Male größer sind denn zehnmal tausendmal tausend solcher Sonnen, von denen du nun zwei gesehen hast.

04. Solch eine Mittelsonne ist nicht mehr in Gürtel, sondern in ebenso viele Gebiete auf ihrer Oberfläche eingeteilt, als wie viele einzelne Erdsonnen sie zu versorgen hat; und da ist dann jedes einer Erdsonne entsprechende Gebiet dem Flächenraume nach um tausend bis zehntausend Male größer als die Oberfläche jeder einzelnen Erdsonne samt allen sie umkreisenden Erden. Um eine Mittelsonne aber bahnen zum wenigsten tausendmal tausend Erdsonnen.

05. Aber dann gibt es noch Mittelsonnen, um die sich abermals tausendmal tausend eben erwähnter Mittelsonnen mit all ihren Erdsonnen bewegen, und abermals Mittelsonnen, um die sich die Mittelsonnen der zweiten Gattung bewegen, und endlich einen gemeinsamen Mittelweltkörper, der in unermeßlicher Tiefe eines Mittelsonnengebietes weilt und keine andere Bewegung als die um seine eigene Achse hat. Dieser Mittelkörper ist auch eine Sonne; aber sie ist so groß, daß alle die zahllosen Erdsonnen, die Mittelsonnen erster, zweiter und dritter Ordnung und alle die Erden und Monde, die um die zahllos vielen Erdsonnen kreisen, nebst den vielen Tausenden von allerlei größeren und kleineren Schweifsternen, die als werdende Erden in unsteten Kreisen um die Erdsonnen bahnen, nicht den hunderttausendsten Teil von ihrem Körperinhalte ausmacheten, so diese besprochene Hauptmittelsonne eine hohle Kugel wäre und die obbenannten zahllos vielen Weltkörper sich in ihr befänden. — Jarah, kannst du dir von dem Gesagten nun einen Begriff machen?“

06. Sagt die Jarah: „Herr, wer vermag solch eine Größe zu fassen?! Einen Begriff kann ich mir nun freilich machen; aber mir wird dabei ganz schwindelig zumute! Ich habe mich nun auch an dieser Sonne satt gesehen, weiß nun aber dennoch nicht, wie ich mir darauf die Frage über das Sein der auf der Erde unreifen Völker im großen Jenseits beantworten soll.“

07. Sage Ich: „Nun, so ziehe vorerst deine Augen ab von der geschauten Sonne und höre Mich dann!“

08. Sagt die Jarah: „Herr, es ist schon geschehen!“

140. Kapitel. Jenseitge Entwicklungsperioden.

01. Sage Ich: „So vernimm Mich! — Sieh, alle solche unreifen Menschen kommen zumeist in jene von dir nun geschaute Sonne und werden in den weitgedehnten Schulen in allen Dingen, die das Leben betreffen, unterwiesen. Also werden die frühverstorbenen Kindlein im Mittelgürtel unserer Sonne unterwiesen und großgezogen, — aber mehr im geistigen Teile der Sonne.

02. Die unreifen Seelen erhalten in der von dir geschauten Sonne wieder einen Leib, jedoch ohne Geburt, und dieser wird dann mit der Seele selbst geistig und kann ins rein Geistige übergehen. Wie aber solche Seelen von hier nach dort überbracht werden und von wem, das hast du bei der Bereisung der ersten Sonne an dir selbst erfahren. Dieser Engel aber, der hier noch neben uns steht, ist der Leiter und Beherrscher von all den Welten und Sonnen, von denen Ich zu dir ehedem geredet habe. Du siehst daraus, welch eine Macht ihm verliehen ist und welch eine Weisheit.

03. Aber alle die zahllos vielen Engel, die du nun in weiten Reihen um dich her erschaust, haben ein gleiches Geschäft; denn in den ewigen Tiefen gibt es für die menschlichen Begriffe noch zahllos viele solcher Sonnenweltengebiete mit je einer gleichen, früher beschriebenen Hauptmittelsonne, und jedes solches Sonnengebiet wird von einem dieser Engel beherrscht. Du siehst nun zwar der Engel viele, — aber das ist nicht der zehnmal hunderttausendste Teil bloß von den großen Herrscherengeln, geschweige von den kleineren Engeln, denen zur besonderen Aufsicht und Leitung einzelne Sonnen und Erden und kleinere Weltengebiete anvertraut sind! Und sieh, Ich muß dennoch für alle jeden Augenblick in Meinem ewigen Geiste sorgen; und ließe Ich all das dir nun Gezeigte einen Augenblick aus Meiner unwandelbaren Sorge, so würde alles in demselben Augenblick vergehen, das Größte wie das Kleinste! — Brächtest du das mit deinem Geiste wohl zuwege?“

04. Sagt die Jarah: „O Herr, wie magst Du mir denn solch eine Frage geben!? Ich, ein Stäubchen dieser Erde, — und Du, in Deinem Geiste der alleinige, ewige, allmächtige Gott! Oh, wenn die blinden Pharisäer von Jerusalem doch das sehen könnten, da müßten sie doch anderen Sinnes werden! Aber, sie können es nicht sehen und werden es nicht sehen; darum werden sie auch in ihrer Verstocktheit und Bosheit zugrunde gehen! Ihre Seelen werden jenseits etwa wohl auch in jene Sonnenschule kommen?“

05. Sage Ich: „Das etwa wohl nicht, Meine allerliebste Jarah; denn sie gehören nicht zu einem unreifen, sondern zu einem vollreifen Volke! Und die Seelen von einem reifen Volke, wenn sie einmal in alle Bosheit übergegangen sind, kommen in die Tiefen der Erde, durch sich selbst genötigt; denn da sie pur Materie geworden sind, so ist diese ihr Element, und sie wollen und können sich von ihr nicht trennen. Es wird zwar alles, ja das Äußerste, aufgeboten. Alle Qualen und Schmerzen werden über sie zugelassen, um sie von der Materie loszumachen. Und wird einer von der Materie los, so kommt er dann in die Schulen, die da bestehen auf dem geistigen Teile dieser Erde; von da erst wird er in den Mond überbracht. Hat er dort jeden Grad der Selbstverleugnung durchgemacht und ist darin stark geworden, so wird er dann in einen vollkommeneren Planeten erhoben und dort in der rechten Weisheit unterwiesen.

06. Wenn dann eine solche Seele in ein rechtes Licht eingegangen ist, so wird erst durch solches Licht, so es stärker und stärker wird, die Wärme des geistigen Lebens erzeugt, und die Seele fängt an, sich mit ihrem Geiste zu einen, so, daß nach und nach ihr ganzes Leben zur Liebe wird. Ist die Liebe dann zur nötigen Kraft und Stärke gediehen und in die wahre, innere Lebensflamme übergegangen, so wird's dann in der Seele von innen aus licht und hell, und da erst befindet sich solch eine Seele in dem Zustande, in die eigentlich freie Welt der seligen Geister aufgenommen zu werden, wo sie dann wie von Kindheit an weitergeführt wird.

07. Aber bis eine auf der Erde materiell gewordene Seele im günstigen Falle dahin gelangt, können immer mehrere Hunderte von Erdjahren vergehen. — Ich lese aber nun in deinem Herzen, daß du Mich wieder um etwas fragen möchtest, und Ich sage es dir: frage; denn deine Fragen haben einen guten Grund! Aber diesmal richte die Frage an den bei uns stehenden Engel, der wird dir auch eine rechte Antwort geben!“

141. Kapitel. Von der Größe des Menschengeistes.

01. Hier wendet sich die Jarah an den Engel und fragt ihn, sagend: „Dein Herr und mein Herr hat mich gnädigst an dich, du lieber, holdester Jüngling, gewiesen und hat zu mir gesagt, daß ich dich um etwas Bestimmtes fragen solle, und du werdest mir dann eine rechte Antwort geben. Und so sage mir, warum diese meine irdischen Verwandten, wie auch die Jünger des Herrn, schlafen müssen, während ich wache, und warum muß ich das mit meines Leibes Augen schauen, oder warum kann ich das, was sie nach der Kündung des Herrn nur im Traume sehen und hören können oder dürfen?“

02. Sagt der Engel mit der liebfreundlichsten Stimme: „Du holdseligste Tochter des Herrn bist mit deiner Seele ganz in den Geist übergegangen und hast mit der Materie der Welt nahezu gar keine Gemeinschaft mehr; dein irdisch Auge ist zum Auge deiner Seele geworden, und dein Seelenauge zum Auge deines ewig unsterblichen Geistes. Und du bist darum ganz vollkommen in deiner Lebenssphäre so gestellt, wie eigentlich ein jeder Mensch gestellt sein sollte.

03. Jedes Menschen Geist aber ist also beschaffen, daß er gleich dem Geiste Gottes die ganze Unendlichkeit in sich faßt. Wenn du nun einen noch so fernen Stern oder etwas anderes in dein reinstes Gemüt aufnimmst, das da ist ein Auge des Geistes, und daneben dein Seelenauge durch das fleischliche Auge dem mit den Augen des Geistes betrachteten Gegenstande zuwendest, so entsteht da ein Konflikt des innern, in deinem Geiste ruhenden Bildes mit der äußeren entsprechenden Form desselben Bildes. Aus diesem Konflikte wird es dann in deiner Seele vollends licht über den beschauten Gegenstand, und dieser stellt sich dir dann so vor, wie er in seiner Art wirklich ist.

04. Und ich sage es dir treu und wahr, daß dies alle Menschen vermöchten, wenn sie in ihrem Gemüte also reif und ebenso beschaffen wären wie du; aber gar wenige gibt es nur, die dir glichen! Diese Schlafenden hier aber gleichen eben deiner Seele und deinem Gemüte nicht! Durch ihr irdisch Auge schaut noch lange ihre Seele nicht, und das Auge ihres Geistes ist noch fest geschlossen; darum muß ihre Seele für sich allein erst dadurch befähigt werden, daß ihr durch den Schlaf des äußern Auges alle Weltanschauung benommen wird und sie dadurch mit ihren feineren Sinnen zur Wahrnehmung und Anschauung des Übersinnlichen, ins Geistige Übergehenden gelangen kann.

05. Es ist aber der Schlaf dieser hier Ruhenden darum auch ein Schlaf eigener Art, zu dem ein Mensch auf einem ganz natürlichen Wege nur selten gelangen kann.

06. Gewisse seelen— und geistesstarke Menschen können bei den schwächeren Brüdern solchen Schlaf durch öftere Händeauflegung bewirken, aber die schwachen Menschen vermögen solches an ihren gleich schwachen Brüdern und Schwestern nimmer. Daß aber der Herr bloß durch Seinen Willen alles vermag, daran wirst du wohl ewighin keinen Zweifel mehr in dir aufkommen lassen können?!“

07. Sagt die Jarah: „Der Herr segne dich für die mir gegebene Aufklärung, die ich recht wohl begriffen habe! — Aber nun noch eine andere Frage! Sage mir, du lieber, holdseligster Jüngling, wie soll ich mir denn deine unbegreifliche Schnelligkeit erklären?“

08. Spricht der Engel: „Allerliebste Tochter Gottes! Das ist etwas, das nur ein reiner Geist fassen kann, da er mit der Zeit und mit dem Raume nichts zu tun hat. Wir sind an uns selbst nichts, sondern das du an uns erschaust mit den Augen deines Geistes, ist Gottes Gedanke, Gottes Idee, Gottes Wort. Wir sind daher ganz reine Geister; keine Materie kann uns irgendein Hindernis sein.

09. So einen lebendigsten Geist gar nichts hindern kann, so ist sein Hier und Dort ja notwendig ein und dasselbe. Keine Materie kann daher eine uns Geistern gleich schnelle Bewegung annehmen, weil sie selbst im allerfeinsten Äther dennoch immer ein Hindernis findet, durch das ihre Bewegung gehemmt wird.

10. Es gibt im endlos weiten Schöpfungsraume besonders die Mittelsonnen der dritten Ordnung, nach denen gleich die Hauptmittelsonne kommt. Diese Sonnen bewegen sich in verschieden großen Kreisen um die Hauptmittelsonne in einer für deine Begriffe undenklichen Schnelligkeit, damit sie dadurch von der Hauptmittelsonne in der vorgezeichneten Entfernung bleiben. Ihre Bahnen sind vermöge ihrer großen Entfernung von der Hauptmittelsonne für deine Begriffe überweit gedehnt.

11. Denke dir zum Beispiel diese Erde als eine in der Wahrheit viele hunderttausend Male größere Kugel, als wieviel du nun von ihr überschaust. Diese große Kugel aber bestände aus lauter Sandkörnchen, wie du sie schon oft am Meeresufer wirst gesehen haben. Nun denke dir die Zahl aller der kleinsten Sandkörnchen, wie viele deren nötig wären, um eine solche ganze Erde auszumachen! Für jedes dieser Körnchen denke dir nun eine Entfernung wie von hier bis zu jenem Sterne, den wir zuerst besucht haben, und du wirst dadurch nahezu den Durchmesser einer solchen Bahn erreichen! Eine solche Bahn durchfliegt eine obenerwähnte Mittelsonne dritter Ordnung freilich erst kürzestens in zehnmal hunderttausend Jahren; aber weil die Bahn eine gar so ungeheuer weitgedehnte ist, so muß solch eine Sonne in einem Augenblick schon eine tausendmal so weite Strecke hinter sich haben wie von hier bis zu jenem Sterne, den wir zuerst besucht haben!

12. Du wirst nun meinen und sagen: ,Ja, wenn das, da bewegt sich solch eine Sonne ja dennoch um tausend Male schneller denn du als ein reiner Geist! Denn wären wir mit der Geschwindigkeit jener Sonne von hier nach jenem Sterne geflogen, so müßten wir ja notwendig um tausend Male früher dort gewesen sein als mit deiner geistigen Schnelle!?‘

13. Da sage ich dir, daß die große Schnelligkeit jener Sonne gegen meine geistige dennoch eine pure Schneckenbotschaft ist! Denn sieh, bei all der für deine Begriffe ungeheuren Schnelligkeit braucht jene Sonne denn doch noch zehnmal hunderttausend Jahre zum Durchfliegen ihrer weitesten Bahn um die Hauptmittelsonne, während ich oder ein anderer Geist meiner Art dieselbe Strecke in einem so schnellen Augenblick durchfliegen kann, daß du zwischen meiner Abreise und meiner Wiederankunft nicht den allerkleinst fühlbaren Zeitraum merken würdest; ja ich könnte in der gleich kurzen Zeit auch einen viele tausendmal hunderttausend Male größeren Kreis durchfliegen!

14. Es ist daher zwischen der Schnelligkeit eines Geistes und zwischen der Schnelligkeit einer noch so schnell dahinfliegenden Materie — und möge diese gesteigert werden, wie sie will — ein unendlicher Unterschied; denn wenn eine noch so schnell bewegte Materie auch in einem Augenblick eine Strecke wie von hier bis zu jenem Sterne durchmacht, so braucht sie zu einer noch einmal so langen Strecke schon zwei Augenblicke, und macht die Materie in einem Augenblick hunderttausend solche Entfernungen durch, so wird sie für zehn solche Entfernungen auch zehn Augenblicke brauchen, während ich jede denkbare Entfernung in einem und demselben Augenblick durchmachen kann.

15. Und sieh, das kann ich und jeder Geist meiner Art, weil für uns in der ganzen ewigen Unendlichkeit kein noch so allerleisestes Hindernis vorhanden ist; die Materie aber findet allerlei Hindernisse selbst im freiesten Ätherraume und kann daher eines Geistes Schnelle nie erreichen! — Sage mir nun, du holdseligste Tochter Gottes, ob du das wohl so ein wenig begriffen hast!“

142. Kapitel. Über die wahre geistige Größe.

01. Sagt die Jarah: „Begriffen hätte ich's mit der Hilfe dieses meines Herrn wohl; aber es hat mich dabei schon wieder stark zu schwindeln angefangen! Denn ich habe dabei die vollste Überzeugung gewonnen, daß ein geschaffener Geist eine Ewigkeit zu tun haben muß, nur eine jener nahe schon endlos großen Hauptmittelsonnen durch und durch kennenzulernen, von denen du gesagt hast, daß ihre Anzahl für Menschenbegriffe im endlosen, ewigen Raume eine unendliche sei, von denen jede die Trägerin oder vielmehr Regentin von um sie in endlos weiten Kreisen bahnenden Mittelsonnen von drei Ordnungen und Erdsonnen ist, deren Anzahl kein sterblicher Geist fassen könnte! Wenn aber schon eine solche ungeheuer große Hauptmittelsonne jedem geschaffenen Geiste eine Ewigkeit zu ihrer Besichtigung bietet, wie lange wird er dann mit all den andern zahllosen zu tun haben!?

02. Oh, da wäre ich gar nicht gescheit, wenn ich mir so etwas wünschete! Ich bleibe fein bei meiner Liebe zu Hause und denke mir dabei: ,Solch eine Sonne ist wohl etwas ungeheuer Großes und ein gewaltigster Zeuge von des Herrn endloser Weisheit und ewiger Macht; aber sie kann den Herrn, ihren Gott und Schöpfer, dennoch nicht so wie ich sehen, begreifen und über alles lieben!‘ — Und siehe, das ist nach meiner Meinung bei weitem mehr, als eine so endlos große Sonne sein in irgendeiner für Menschen nie ermeßbaren Tiefe des endlosen Schöpfungsraumes! Und wer weiß, ob der Herr mich denn vielleicht nicht ebenso liebhat wie eine so große Sonne!?

03. Und sieh, du holdester Junge, diese unsere Erde könnte auf jener übergroßen Sonne vielleicht kaum als ein bemerkbares Stäubchen angesehen werden, und doch betritt nun Der ihren Boden, von dessen leisestem Hauche das Dasein aller der zahllosen Hauptmittelsonnen abhängt! Und so meine ich, daß nicht immer gerade das das Größte in den Augen des Herrn ist, was im endlosen Schöpfungsraume einen kaum meßbaren Teil desselben einnimmt, sondern was innerlich groß ist!

04. Was bin ich als Kind bezüglich der Körpergröße nur gegen unsere kleine Erde, und doch fühle ich in meiner Brust einen Raum, in dem alle deine Hauptmittelsonnen mit all ihren zahllosen Nebensonnen und Erden zur Übergenüge Platz haben! Mein kleines Auge übersieht mit einem Blick tausendmal tausend Sterne; es fragt sich, ob solch eine Fähigkeit all den großen Sonnen innewohnt!? — Habe ich recht oder nicht?“

05. Sage nun wieder Ich: „Ganz vollkommen recht hast du, und es ist also, und du allein wiegst tausend Sonnenalle auf, die den endlosen Schöpfungsraum erfüllen; aber es ist immer gut für den Menschen, daß er Meine Werke kennt zur Vermehrung der Liebe zu Mir, seinem Vater!

06. Nun aber fängt es an zu dämmern, und wir werden unsere Freunde zu wecken beginnen! Aber nur nach und nach müssen sie geweckt werden; du aber mußt von all dem Gesehenen niemandem früher etwas melden, als bis dir Mein und nun auch dein Engel, den Ich dir sichtbar bis zu deiner Reife belassen will, aber in anderer Tracht, einen Wink geben wird. Die andern Engel aber sollen nun wieder unsichtbar werden; es sei!“

07. Im Augenblick verschwinden die Engel bis auf den einen, der Raphael hieß; und dieser ward bekleidet nach der Art, wie man in Genezareth bekleidet zu sein in der Gewohnheit hatte.

08. Als die Jarah nun den Raphael also bekleidet ersieht, sagt sie: „So schon, — so gefällst du mir besser als früher in deiner himmlischen Glorie; denn also siehst du nun vollkommen einem Menschen gleich, und ich will dich recht liebhaben, — nur fragt es sich, wer unterdessen deine großen Weltenleitungsgeschäfte übernehmen wird!“

09. Sagt der Engel: „Sorge dich, du holdeste Tochter Gottes, nicht darum; denn ich kann immer hier und dort überall sein, ohne daß du von meiner Abwesenheit etwas merken wirst, außer dann und wann einige Augenblicke. Das bleibt sich alles gleich. Übrigens werde ich mich zu dir zurück allzeit sehr beeilen, denn du bist mir nun schon auch lieber denn alle meine zahllosen Sonnen, von denen wir bei guter Gelegenheit noch mehrere miteinander besuchen werden. — Aber nun will der Herr die Brüder vom Schlafe wecken; darum müssen wir nun hübsch stille sein!“

10. Sagt die Jarah: „Ja, ja, ich folge ja gerne und bin schon ganz mäuschenstille!“

143. Kapitel. Die Jünger werden vom Schlaf erweckt.

01. Sage Ich zu Raphael: „Gehe und wecke Mir zuerst Meinen Simon Juda (Petrus)!“

02. Raphael erweckt Petrus, und dieser sieht sich voll Staunens um und um und sagt nach einer Weile: „Habe ich denn im Ernste geschlafen? War mir's doch, als ob ich die ganze Nacht hindurch hellwach gewesen wäre! Aber nun sehe ich denn doch, daß ich sehr gut geschlafen habe; aber im Schlafe habe ich so wunderbare Träume gehabt, daß ich mich ähnlicher gar nicht entsinnen kann, sie je gehabt zu haben! Wahrlich, Herr, diese Träume können nicht leere Schäume gewesen sein!“

03. Sage Ich: „Sieh dich ein wenig um, — vielleicht entdeckst du mit dem Berge irgendeine Veränderung, von der es dir sicher auch geträumt hat!“

04. Petrus sieht sich gleich nach allen Seiten um und sagt: „O Herr, wahrlich, wahrlich, das habe ich im Traume gesehen, und — sieh da — nach allen Seiten hin ist der helle Traum vollkommen verwirklicht!“

05. Petrus wollte noch weiterreden, aber Ich sagte zu ihm: „Wecke zuvor die andern Jünger, ehe du weiterredest!“ — Und Petrus tat das.

06. Die Jünger erhoben sich vom Boden und verwunderten sich auch über und über, daß sie nun erst gewahr wurden, daß sie geschlafen hatten, während es ihnen in ihrer Seele vorkam, als wären sie die ganze Nacht hindurch vollkommen wach gewesen und hätten unerhörte Wunderdinge geschaut.

07. Judas aber sagte: „Ich glaube noch immer nicht, daß ich geschlafen habe! Habe ich doch mit dir, Simon Juda, das und jenes geredet, und du wolltest mir nichts gelten lassen und sagtest auch zu mir: ,Alle diese Wunder werden dich nicht schützen, an uns allen um wenige Silberstücke einen Verräter zu machen!‘, worüber ich ganz toll vor Zorn wurde und dich über eine Felswand hinab ins Meer stoßen wollte; aber da packte mich mein Thomas und riß mich auf den Boden zurück! — Sage mir, Bruder Simon, weißt du davon im Ernste nichts?!“

08. Sagt Petrus: „Keine Silbe! Ich weiß gar nicht, ob mir von dir etwas geträumt hat!“

09. Sage Ich: „Seht euch ein wenig um, ob nicht so manches in der Wirklichkeit sich gestaltet hat, was ihr im Traume gesehen habt!“

10. Die Jünger begeben sich nun nach allen Seiten des Berges hin, und es erfolgt ein Staunen über Staunen, und Andreas sagt: „Wir haben nun bisher in der kurzen Zeit von einem halben Jahre des Wunderbaren so viel gesehen und vernommen, daß man nun kaum annehmen sollte, als könnte da noch irgend etwas möglich sein, sich noch als ein größeres Wunder darzustellen; und dennoch bleiben uns allen von neuem wieder alle Sinne starr, steif und stumm! Unsere Traumgesichte werden zur Wirklichkeit!

11. Ich sah den von der Jarah erwählten Engel, der zuerst alles Wasser des Meeres in die Höhe hob und es in der freien Luft zu einem ungeheuer großen Tropfen machte; und ich sah mit meinen Augen den staubtrockenen Meeresgrund und die schöne Perlenmuschel, die die Jarah zum Gedächtnisse vom Boden hob und sie dann in ihrer Schürze verbarg, dann aber, wie der Engel, auf ein Verlangen der holdesten Gottestochter, diesen Berg nach allen Seiten hin leicht besteigbar formte, und das alles in einem schnellsten Augenblick! — Und seht, das alles ist nun auch wirklich da!

12. Mit welchen Worten und reinen Taten sollen wir denn nun unsern Herrn und Meister zu preisen beginnen? Wo ist denn der Engel, der in unsere Herzen glühende Gedanken legte, die auszusprechen wir Seiner würdig fänden? Oh, zu wie gar nichts werden wir nun vor Ihm, dem allmächtigen, ewigen Gott!

13. Unsere Väter bebten unter dem Sinai, als Er unter Blitz und Donner dem Moses auf dem flammenden Berge die heiligen Gesetze der Liebe gab! Und als Moses vom Berge kam, da leuchtete sein Angesicht vor der göttlichen Majestät stärker denn des Mittags Sonne; und er mußte sich eine dreifache Decke vor sein Angesicht hängen, damit das Volk sich ihm nahen konnte. Die geheiligten Seher des Herrn weissagten noch lange nachher, so sie nach vorangegangener Vorbereitung auf eine kurze Zeit mit der Decke Mosis nur am Haupte bedeckt wurden, und wir staunen noch heutzutage über ihre hohe Weisheit! Und hier ist Der Selbst, der auf Sinai donnerte! Sinai ward zur Glut unter dem Tritte Seiner Füße, — und wir können in Seiner allmächtigsten Gegenwart kalt bleiben wie eine schlechte Winternacht?! Darum auf und eilendsten Schrittes zu Ihm hin; denn Er ist allein heilig über heilig! Ihm allein gehört alle Ehre, aller Ruhm, alle Liebe und alle Anbetung!“

14. Auf die Anrede des Andreas wurden alle Jünger bis auf Judas, der den Andreas einen überspannten Schwärmer nannte, voll liebeglühenden Eifers, traten zu Mir hin und brachten Mir ein glühendes „Hosianna“ zum Morgengruße.

144. Kapitel. Eine Lobrede der Jarah.

01. Auf dieses laute Singen erwachten auch alle die andern noch Schlafenden und stimmten gleich beim Erwachen mit den Jüngern ein; und Ich ließ allen Luft machen für ihre Herzen, und die Jarah umklammerte Meine Füße und weinte vor übergroßer Freude und Seligkeit! Als sie bei einer halben Stunde zu Meinen Füßen vor Seligkeit geweint und die Jünger ihren Morgengruß beendet hatten, da richtete sich die Kleine auf und sagte mit einer bedeutungsvollen Stimme: „O Erde, wann, wann wirst du wieder so glücklich sein, von diesen Füßen betreten zu werden? Fühlst du, stumme Mutter der Laster, wohl, wer Der ist, der dich nun betritt? Nein, nein, du fühlst es nicht, du kannst es nicht fühlen; denn du bist zu tot und zu klein! Wie solltest du das fassen, was für den unendlichen Raum und für alle die zahllosen Myriaden Wesen in ihm zu undenkbar groß und heilig ist!? Wo soll ich anfangen und wo enden, um Seine Herrlichkeit nur in einem Tautropfen zu besingen? Denn Er, Gott der Ewige, ist es ja, der den Tautropfen so gut wie jene endlos großen Lichtwelten schuf! O Herr, o mein Gott, vernichte mich doch; denn nimmer erträgt mein Herz die zu glühende Liebe zu Dir!

02. Als ich Deine Herrlichkeit noch nicht kannte, da liebte ich Dich wie einen vollkommensten Menschen. Ich ahnte in Dir wohl den reingöttlichen Geist, und mein Herz liebte diesen heiligsten Geist in Dir unaussprechlich; aber dennoch dachte ich mir Dich als einen Sohn des Allerhöchsten! Aber nun hat alles eine andere Gestaltung angenommen! Du bist der Allerhöchste Selbst! Außer Dir gibt es keinen mehr! Vergib daher mir kleinstem Würmchen des Staubes, das da in seiner angestammten Blindheit gewagt hatte, Dich zu lieben wie einen Menschen!“

03. Sage Ich: „Mein Kindchen, da gibt es nichts zu vergeben; bleibe du bei dieser Liebe! Denn Ich sage es nun euch allen: Wer Mich nicht liebt, wie du, Meine allerliebste Jarah, Mich geliebt hast und noch liebst, dessen Liebe wird von Mir als gar keine angesehen!

04. Wer Gott nicht liebt als den vollkommensten Menschen, der kann um desto weniger seinen Nächsten lieben, der ein noch höchst unvollkommener Mensch ist! So es aber geschrieben steht, daß Gott den Menschen nach Seinem Ebenmaße geschaffen hat, was sollte dann Gott anderes sein — so der Mensch Sein Ebenmaß ist — als eben auch ein, aber ganz natürlich vollkommenster Mensch!? Oder sehe Ich nun anders aus denn ein Mensch, weil du, Mein Kindchen, von Meiner Herrlichkeit ein paar kleinste Tröpfchen gesehen hast?“

05. Sagt die Jarah: „O nein, Du siehst noch immer gleich aus, und in meinem Herzen ist es auch nicht anders geworden! Ja, ich möchte Dich schon lieber ganz im Herzen haben vor lauter Liebesdrang! Ich möchte Dich so kräftig umarmen, daß mir die Adern zerreißen könnten, und Dich dann nimmer auslassen; ja, ich möchte Dein Angesicht mit zahllosen Küssen bedecken und gar nimmer aufhören, Dich zu küssen! Kurz, ich weiß gar nicht auszusprechen, was ich aus purer Liebe zu Dir alles tun möchte! Aber Du bist nun das allerheiligste, allerhöchste Gottwesen, und ich denke mir denn also in meinem Herzen, daß ich viel zu unwürdig bin, Dich also zu lieben, als wärest Du ein Mensch; aber ich kann mir nun schon denken, was ich kann und mag, so nimmt mein Herz darauf dennoch keine Rücksicht und liebt Dich nur noch heftiger denn zuvor!“

06. Sage Ich: „Das ist schon recht also! Es folge deine Seele nur allzeit dem lautern Zuge des Herzens und fache darin eine rechte helle Flamme an, so wird es in der ganzen Seele bald helle werden und der Geist Gottes wird in ihr aufgehen wie eine Sonne, und in seinem Lichte und in seiner Lebenswärme wird erst die Saat Gottes aufgehen und die Seele versehen mit den Früchten des Lebens für die Ewigkeit!

07. Aber es kann der Geist Gottes im Menschen nicht geweckt werden anders denn durch die Liebe zu Gott, und aus solcher Liebe heraus in der Liebe zum Nächsten.

08. Darum bleibe du nur gleichfort in deiner Liebe; denn diese ist mehr wert für Mich und dich als alle Herrlichkeiten, die du mit deinen Augen geschaut hast!

09. Aber nun wollen wir die andern auch vernehmen und uns erzählen lassen, was diese Nacht auf sie für einen Eindruck gemacht hat.“

145. Kapitel. Die Realität des gemeinsamen Traumes.

01. Der Hauptmann fängt an, sich ganz behutsam vom Boden aufzurichten und sagt: „Herr und Meister! Dir vor allem allen Dank, daß ich noch lebe auf dieser Höhe! Wie leicht hätte ich bei einem dreimaligen Umdrehen hinab in die Tiefe stürzen können, und mit meinem armseligen Leben hätte es für die Welt ein ewiges Ende genommen! Aber ich lebe noch und zwar auf derselben Stelle, an der ich gestern die Ruhe nahm, und das habe ich nur Dir allein zu danken und danke Dir darum auch aus aller Tiefe meines Herzens! Ich bitte Dich aber auch zugleich inbrünstigst, daß Du mich und alle andern von dieser schauderhaften Höhe wohlerhalten möchtest hinab nach Genezareth kommen lassen, und das sobald als möglich; denn solange ich mich noch mit dem Hinabsteigen in meinem Gemüte beschäftigen muß, kann bei mir von einem guten Mute keine Rede sein!“

02. Sage Ich: „Hast du, lieber Freund, denn in dieser Nacht gar nichts geträumt?“

03. Sagt der Hauptmann: „Ja, ja, richtig, ja, — hätte vor lauter Angst beinahe den herrlichen Traum vergessen! Ja, wenn dieser Berg so wäre, wie ich ihn gestern im Traume gesehen habe, so wäre es freilich eine Freude, ihn noch tausend Male zu besteigen; aber ein Traum bleibt ein Traum!“

04. Sagt der neben ihm stehende Ebahl: „Mitnichten, Freund! Ich sage es dir, daß diesmal unser gleicher Traum die vollwahrste Realität angenommen hat. Stehe auf und gehe an der Spitze Ränder, und du wirst dich überzeugen, daß unser Berg sogar gegen die Meeresseite hin nun ganz sanft abfällt und allenthalben ohne die geringste Gefahr zu besteigen ist, hinab wie herauf! Ich habe mich schon von allem überzeugt und sage dir die vollste Wahrheit. Komm und überzeuge dich selbst!“

05. Sagt der Hauptmann: „Eine Gesichtstäuschung wird es etwa doch nicht sein?“

06. Antwortet Ebahl: „So ich und meine Weiber und Kinder schon auf dieser Gesichtstäuschung nach allen Richtungen hin herumgegangen sind, da wird deine Gesichtstäuschung doch etwa irgendeinen festen Grund haben!? Gehe, erhebe dich vom Boden und überzeuge dich von allem selbst!“

07. Auf diese Worte erhebt sich der Hauptmann endlich, sieht sich nach allen Seiten um, findet zuerst die Platte des Berges sehr erweitert und sagt: „Ja, ja, ich sehe im Ernste, daß da in der Nacht große Veränderungen allerwunderbarst vor sich gegangen sind; aber gehe du doch zuerst auf den neuen Boden, damit ich mich überzeuge, daß er wirklich fest ist!“

08. Sagt Ebahl: „Freund, ein so schätzbarer Mann du sonst auch bist, so wirst du mir aber infolge deiner beständigen Zweifelsucht schon zuwider! Gilt mein Wort bei dir denn gar nichts mehr? Wann doch habe ich zu dir je ein unwahres Wort geredet, daß du mir nichts aufs Wort glauben willst? Komm her und prüfe selbst, und zweifle dann fürder nicht mehr!“

09. Sagt der Hauptmann: „Ja Freund, ja, du hast recht! Ich werde mich selbst von allem überzeugen.“

10. Hier bewegt sich der Hauptmann ganz ruhigen Schrittes an den Rand gegen Genezareth, und als er der sanften Abdachung des Berges gewahr wird, so sagt er, sich dabei hoch wundernd: „Ja, da ist ja der ganze Berg auch übersetzt worden! Als ich gestern von diesem Rande nach Genezareth hinabschaute, da kam es mir so nahe vor, daß ich es mit einem Steinwurfe hätte erreichen müssen; und nun liegt es gut hundert Feldwege von hier, und wir werden bei sechs Stunden zu gehen haben, bis wir unser liebes Städtchen erreichen werden!

11. Nein, wer da noch einen Zweifel hat darüber, daß unser Jesus Gott und Mensch zugleich ist, dem kann auch kein Gott mehr helfen! Ja, du Bruder Ebahl, du hattest vorhin ganz recht, als du mich einen dir widrigen Zweifler nanntest; denn ich war es wirklich! Aber nun ist alles Zweifelns bei mir ein Ende, und ich glaube und bekenne nun vor euch allen mit einem Eide, daß unser Meister und Heiland Jesus vollkommen ein Gott ist, und außer Ihm es ewig keinen zweiten und dritten geben kann; denn weil das mir Geträumte wahr ist, so wird auch alles andere vollends wahr sein! Und da ist Er der alleinige Gott und Herr über die ganze Unendlichkeit!

12. Aber nun gehen wir zur Jarah hin, — die muß uns ihre zwei Gedächtniszeichen vorzeigen! Denn ich habe sie im Grunde des Meeres, als ein Himmelsgeist das Wasser bis auf den letzten Tropfen heraushob, eine herrliche Perlenmuschel auflesen und in ihre Schürze stecken sehen, und ich sah auch den leuchtenden Stein, den sie aus einer Sonnenwelt mitnahm, in die sie der Himmelsgeist gebracht hatte. Sind die zwei erwähnten Stücke auch also leibhaftig vorhanden wie dieser erneuerte Berg, dann haben wir der Beweise mehr, als wir deren vonnöten haben!“

146. Kapitel. Jarah zeigt ihre Gedenkstücke.

01. Nach diesen Worten begeben sich der Hauptmann und der Ebahl hin zur Jarah und ersuchen sie, daß sie ihnen die zwei bewußten Gedächtniszeichen vorweisen möchte.

02. Und die allerliebste Jarah greift sogleich in den großen Sack ihrer Schürze, geht den beiden entgegen und sagt: „Da sieh her, du mein lieber Julius, hier sind die beiden Gedächtniszeichen leibhaftig! Glaubst du's nun, und wirst du einmal aus deiner ewigen Furcht heraustreten?“

03. Sagt der Hauptmann: „Ja, du meine allerliebste und allerzarteste Jarah, mein Glaube steht nun fester denn dieser Berg, und meine lästige Furcht ist mit Hilfe des allmächtigen Herrn auch für immer dahin, — des kannst du nun vollends versichert sein! Aber deine Gedächtniszeichen sind auch von einem unschätzbaren irdischen Werte. Die Muschel samt ihrem Inhalte wiegt den Wert von ganz Jerusalem auf; denn sie enthält vierundzwanzig Perlen von der Größe eines kleinen Hühnereies, von denen eine hunderttausend Pfunde Goldes wert ist! Welchen Wert aber dieser höchst harte, durchsichtige und schöner denn der Morgenstern leuchtende Stein hat, dafür hat die Erde keinen Maßstab! Kurz, du bist nun nicht nur geistig, sondern auch irdisch das reichste Mädchen in der Welt! Wahrlich, du bist nun reicher denn alle Könige und Kaiser der ganzen Welt zusammen! Wie kommt dir das nun vor?“

04. Sagt die Jarah ganz bescheiden: „Das kommt mir gerade so vor, als hätte ich nichts; und diese zwei Gedenkzeichen haben für mich keinen andern Wert als allein den, für den ich sie genommen habe, nämlich als Erinnerung an die unbeschreiblichen Wundertaten Gottes an uns armen, schwachen und sündigen Bewohnern der Stadt und Gegend Genezareth.

05. Der Herr wird nicht immer leiblich in unserer Mitte verbleiben, wie Er es mir schon gestern recht klar gesagt hat; aber diese Zeichen werden uns allzeit lebendigst an Ihn in unseren Herzen erinnern und unsere Liebe zu Ihm von neuem anfachen! — Das ist meine Meinung.

06. Aber der Herr hat mir noch ein Zeichen hinterlassen aus dieser Wundernacht, die für mich eigentlich der allerhellste Tag war! Dieses Zeichen bleibt auch bei mir sichtbar und späterhin unsichtbar, bis es nach einer gewissen Zeit, so ich mich dessen wert erhalten werde, mir wieder sichtbar werden wird.“

07. Fragt der Vater Ebahl: „Nun, und wo hast du dieses Zeichen? Magst es uns nicht sehen lassen?“

08. Sagt die Jarah, neben der sich der Engel Raphael befindet: „Da, bei mir da, steht es, wenn du nichts dagegen hast!“

09. Sagt Ebahl, der den Engel vom Kopfe bis zum Fuße mit seinen Augen betrachtet: „Das ist freilich ein noch köstlicheres Angedenken! Aber ich fürchte, daß du in diesen gar zu schönen Jüngling viel zu früh bis über die Augen und Ohren verliebt wirst; und so er dir dann unsichtbar wird, da wirst du dann auch vor lauter Traurigkeit blind und taub werden!“

10. Sagt die Jarah: „O sorge du dich um etwas anderes! Wer einmal Gott den Herrn also liebt wie ich, für den sind auch alle Schönheiten der Himmel so gut, als wären sie gar nicht vorhanden! Ich aber habe den Jüngling auch sehr lieb; denn er ist sehr weise und überaus stark, mächtig und geschwinde!“

11. Fragt der Hauptmann, sagend: „Wo ist er denn hergekommen? Ich weiß mich nicht zu erinnern, ihn je in Genezareth gesehen zu haben, und doch ist er ganz nach der Weise dieses Ortes bekleidet! Ich bewundere seine überaus reinen, zarten und dabei überaus weichen Züge! In seinem Wesen liegt ein wahrer Zauber voll der höchsten Anmut! Wie zart, weich, rein und überaus wohlgestaltet nur seine Füße sind!

12. Das reine Beinkleid, bis zu den Knien reichend, das blendend weiße Hemd und das über seine Schultern nachlässig hängende, faltenreiche Mäntelchen aus einem blauen Stoffe steht ihm aber auch so ausgezeichnet gut, daß man sich wahrlich nichts Geschmackvolleres denken kann, und das runde Hütchen auf seinem Haupte ziert seinen wunderschönsten Kopf schon auf eine Weise, die sich gar nicht beschreiben läßt! Wahrlich, diesem allerholdesten Jünglinge könnte ich keine Bitte verweigern! Der könnte mir ein Kaisertum ungestraft nehmen, wenn er mich dafür nur liebte!

13. Nein, je länger ich diesen Menschen betrachte, desto schöner und anziehender kommt er mir vor! Seine Eltern sind wahrlich glücklich zu preisen, solch einen Sohn zu besitzen, und du, meine allerliebste Jarah, kannst dich für solch ein Geschenk wohl für überselig preisen! Wäre noch ein solcher Junge irgend in der Welt zu haben, wahrlich, ich gäbe alle meine Schätze und großen Güter darum!

14. Aber was wirst du mit diesem schönsten Jünglinge nun machen? Du bist zwar auch ein gar wunderschönes, liebes Mädchen; aber der Jüngling übertrifft dich an Schönheit dennoch um vieles. Du gehst nun erst ins dreizehnte Jahr, und der Jüngling wird sechzehn haben. So er dein Gemahl wird, nun, so lasse ich mir's wohl gefallen; bleibt er aber nur als ein Gespiele von dir, dann wird dein leicht zündbares Herzchen sicher bald in große Verlegenheiten kommen! Aber sage du uns dennoch, wozu du ihn verwenden wirst!“

15. Sagt die Jarah: „Ihr redet nach eurem Sinne, weil ihr den Geist nicht kennet! Dieser Jüngling wird bis in mein sechzehntes Jahr mein Beschützer und Führer sein und wird mich unterweisen in der Weisheit der Himmel Gottes — und euch auch, so ihr ihn werdet hören wollen!“

16. Sagt der Hauptmann: „Nach deinem sechzehnten Jahre aber wird er dann wohl dein Gemahl werden?“

17. Sagt die Jarah: „O du mein lieber Julius, das war einmal wieder eine Frage von dir, für die ich dir keine Verbeugung machen kann! Habe ich dir denn nicht schon gleich anfangs gesagt, daß dieser Jüngling nach meinem sechzehnten Jahre mich verlassen wird auf eine Zeitlang, wie es der Herr bestimmt hat, was mir auch nichts machen wird; denn mein Herz gehört vollkommen dem Herrn, der mir bleibet ewiglich! Ist aber mein Herz ein Eigentum Gottes, so kann es nicht auch dabei das Eigentum eines andern werden!“

18. Sagt Ebahl: „Ja, ja, meine allerliebste Tochter, du hast wohl nun ganz recht! Aber deine Jahre sind noch nicht da; wenn sie aber kommen werden, dann wirst du mit deinem Fleische in starke Kämpfe geraten! Wohl dir, so du ihrer Meisterin wirst!“

19. Sagt dazu auch der Hauptmann: „Ja, ja, der Vater hat recht! Du bist nun noch nur ein Kind, und es brennt schon in deinem Herzchen wie in einem Kalkofen! Jetzt hat es nach seinem Verlangen freilich das Höchste und kann sich nach nichts Geringerem mehr sehnen; aber wenn dieses Höchste sich, um dich auf eine nötige Selbstprobe zu stellen, von deinem Herzen zurückziehen wird, dann wird dein Herz liebehungrig werden! Und wird es lange der höchsten Speise entbehren, dann wird es bald nach anderen Gegenständen seine langen Arme auszustrecken beginnen, um sich zu sättigen! Denn wie da auch schmerzlich ist der Hunger des Magens, so ist aber der Liebehunger dennoch um tausendmal schmerzlicher.

20. Nehmen wir nur einen Feldherrn, der ein liebloser Tyrann seiner Untergebenen ist! Alle werden sich in einem verzweifelten Zustande befinden, und wo sie für ihn in den Kampf gehen sollen, da werden sie sich dem Feinde ergeben, um sich dadurch ihres lieblosen Herrn zu entledigen. Zeigt aber ein weiser Feldherr, daß er seine Untergebenen liebt wie ein Vater seine Kinder, dann mag ein Feind kommen, und sie werden sich mit allem Mute und mit der größten Selbstverleugnung für ihren geliebten Feldherrn bis auf den letzten Blutstropfen schlagen und werden den Feind vernichten!

21. Ja, du meine allerliebste Jarah, die Liebe ist ein gar mächtig Ding, und das bedarf stets einer weisen Leitung, so es sich am Ende nicht selbst aufzehren soll!“

22. Sagt nach einer Weile die Jarah, nachdenkend: „Ja, ja, du magst da nicht ganz unrecht haben; aber das muß man aber ja beim Herrn doch annehmen, daß Er kein tyrannischer Feldherr über ein Ihn über alles liebendes Herz sein wird!?“

23. Sagt Julius: „Das eben nicht! Aber — wie ich mich erinnere, was Er geredet hat die heutige Nacht mit dir — Er ist und bleibt Gott, dem sich der menschliche Geist erst dann vollkommen nähern kann, wenn er sich den ihm verliehenen Kräften zufolge selbst gestaltet, gebildet und gefestet hat, während welcher Selbstbildungsperiode er von Ihm ganz unbeachtet gelassen wird! Wenn aber also, dann ist Gott in solch einer Periode ein notwendiger Tyrann mit verbundenen Augen und fest verstopften Ohren! Und wird bei dir solche dir von Ihm Selbst angekündigte Periode kommen, dann, meine allerliebste Jarah, werden wir darüber weiterreden!“

24. Sagt die Jarah: „Ich vertraue und glaube fest, daß Er mich auch dann nicht völlig verlassen wird!“

25. Sagt der Hauptmann: „Das wird Er wohl kaum, weil du schon viel vor uns allen voraus hast; aber du wirst bei deiner großen Liebe zu Ihm auch eine kleine und kurz dauernde Verlassung weltengroß und schwer fühlen! — Aber nun gehen wir hin zu Ihm; denn Er scheint etwas vorzuhaben!“

147. Kapitel. Der Gläubigen Verkehr mit dem Herrn im Herzen.

01. Die drei begeben sich nun zu Mir, und der Hauptmann fragt Mich: „Herr, was soll nun geschehen? Wie es mir vorkommt, so hast Du etwas vor!?“

02. Sage Ich: „Siehst du denn nicht die herrliche Morgenröte!? — Habet nun alle acht, denn da werdet ihr den schönsten Aufgang der Sonne sehen! Es ist zwar nur der Aufgang der Natursonne; aber er hat dennoch eine tiefe geistige Bedeutung, die euch klar werden soll! Denn da begegnet ein Aufgang dem andern!“

03. Fragt Petrus: „Herr, wie sollen wir das deuten?“

04. Sage Ich: „Oh, wie lange werde Ich euch noch zu ertragen haben! Wir sind nun schon eine geraume Zeit beisammen, und du merkst es noch nicht, daß durch Mich eurer Seele eine Sonne aus den Himmeln aufgegangen ist und noch immer von Tag zu Tag weiter aufgehet?!“

05. Sagt Petrus: „Herr, sei darum nicht ungehalten; Du weißt es ja, daß wir ganz einfache Menschen sind, die es übers nötigste Lesen und ein wenig Schreiben hinaus nie gebracht haben! Hätten wir Dich verstanden, so wäre eine Frage wohl als ein Mutwille zu schelten; aber wir verstanden Deinen Spruch nicht und haben Dich darum gefragt.“

06. Sage Ich: „Das ist ganz gut und recht, so man es nicht weiß, daß man mit Mir sich auch im Herzen still besprechen kann; weiß man aber das, so ist nicht die Frage selbst, sondern die unkluge Art zu fragen ein Fehler, und nur den will Ich an euch gerügt haben. Sehet dort die beiden Essäer und die etlichen Pharisäer, wie sie nun über euch große Augen machen, daß ihr Mich um etwas laut habet fragen mögen, indem ihr als ihre Meister doch wissen solltet, daß Ich jedem Fragenden auch im Herzen still die vollste Antwort zu geben vermag!

07. Es ist bei euch zwar wohl auch nicht Unkunde oder Eigensinn schuld daran, sondern eure alte Gewohnheit; aber nehmet euch dennoch für die Folge mehr zusammen, auf daß die Menschen erkennen mögen, daß ihr wahrhaft Meine Jünger seid, und ihr vor der Welt nicht die Achtung verlieret, die euch für euer neues Amt vor allem not tut.

08. Gehet aber nun hin zu euren Jüngern und belehret sie darob, sonst werden sie euch zu fragen anfangen, um was und warum ihr Mich laut gefragt habt!“

09. Sagt Petrus: „Herr, so dürfen wir nimmer ein lautes Wort mit Dir wechseln?“

10. Sage Ich: „O ja, aber nur alles zur rechten Zeit und wann Ich es euch anzeige! — Aber nun geht und tut, was Ich euch geboten habe!“

11. Darauf gehen die Jünger hin zu den zwei Essäern und den etlichen Pharisäern und sagen zu ihnen: „Es wundere euch nicht, daß auch wir noch manchmal laut den Herrn ums eine oder andere fragen; denn auch wir sind noch Menschen und hängen dann und wann an alten Gewohnheiten!“

12. Und die beiden Essäer sagen: „Wir haben es uns auch also gedacht; denn wir haben nach eurer Lehre in unsern Herzen den Herrn über das gleiche befragt, und es ward uns im Augenblick die hellste Antwort ins Herz gelegt. Es kam uns darum eben etwas seltsam vor, daß ihr laut gefragt habt. Aber wie gesagt, wir haben es uns gleich gedacht, daß bei euch so etwas öfter noch aus purer alter Gewohnheit geschehen kann, und stellten uns aber auch gleich völlig zufrieden; denn wir haben in dieser Nacht doch so merkwürdige Traumgesichte gehabt, wie wir uns ähnlicher nie entsinnen können, sie je gehabt zu haben. Und was dabei das Wunderbarste ist: ein jeder von uns hat auf ein Haar dasselbe geträumt, und alles, was wir in dem merkwürdigsten Traume sahen, verwirklicht sich nun am schon hellen Tage! Nein, so etwas ist noch nie dagewesen!

13. Nun glauben es auch wir fest, daß dieser Nazaräer mehr denn allein ein vollkommenster Mensch ist. Er ist dem Leibe nach wohl ein Mensch wie unsereiner, aber in Seinen Eingeweiden und in Seinem Herzen wohnt alle Fülle der göttlichen Kraft und Macht, der die ganze Unendlichkeit gehorcht! — Aber nun richten wir nach Seinem Worte unsere Augen nach dem Aufgange, um Wunder zu schauen!“

14. Sagt Petrus: „Ob gerade da ein besonderes Wunder zu ersehen sein wird, wissen wir kaum; aber wie uns schon jetzt die mit rotem Lichte umsäumten Wölkchen am fernen Horizonte verkünden, werden wir von dieser Höhe das schönste Schauspiel der Schöpfung Gottes erleben und werden daraus die Lehre nehmen können, wie ein gleicher Aufgang unserer Seele zuteil geworden ist und bleiben wird ewig!“

15. Sagt einer der Essäer: „Jawohl, ein Aufgang nicht nur uns, sondern der ganzen Erde, ja der ganzen Unendlichkeit! Denn es scheint uns, daß diese Menschwerdung des allerhöchsten Gottgeistes nicht bloß dieser Erde und ihrer Kreatur, sondern der ganzen Unendlichkeit gilt!

16. Daß der göttliche Geist sich besonders diese Erde erwählt hat, ist freilich ein etwas unergründliches Ding für unsern Geist, da Er — wie wir nun wissen — zahllose Myriaden der großherrlichsten Lichtwelten hat, auf denen Er mit Sich Selbst die eigene Menschwerdung hätte vornehmen können; aber Er wird es am besten wissen, warum Er gerade die Erde gewählt hat!

17. Früher, als wir noch der Meinung waren, daß diese Erde die einzige Welt im ganzen Universum sei, da wäre die Sache recht gut begreiflich gewesen; denn da wäre nach dem Naturgange der Dinge nichts anderes übriggeblieben. Diese Erde war die einzige, nach unsern Begriffen endlos große Welt, deren Wässer an die des Firmamentes reicheten, und wir glaubten, daß die Sonne, der Mond und die Sterne bloß darum da wären, um mit ihrem Lichte diese Welt zu erleuchten! Aber nun hat auf einmal alles ein ganz anderes Gesicht bekommen; wir wissen nun, was all die Sterne, der Mond und die Sonne sind, und wir wissen, wie klein unsere Erde gegen eine Sonnenerde ist.

18. Nun läßt sich's denn wohl fragen und sagen: ,Wie kam dieses Sandkörnchen, Erde genannt, zu dieser Gnade?‘ Wahrlich, diese Frage wird dereinst noch eine sehr gewichtige werden und wird vielen zu einem gewaltigen Anstoße werden! Darum wäre es wohl nach unserer Meinung nicht ganz überflüssig, auch über diesen Punkt eine genügende Aufhellung zu bekommen! — Was meint ihr, dürften wir Ihn darüber befragen?“

19. Sagt Petrus: „Versuchet es in eurem Herzen! Kommt eine Antwort, so wird es wohl und gut sein, und kommt darauf keine weitere Antwort zum Vorscheine, dann ist es ein Zeichen, daß wir für solch eine Belehrung noch nicht reif genug sind! — Aber nun sehet hin, die Sonne ist dem Aufgange schon sehr nahe; denn die Wölkchen des Morgens leuchten schon so stark, daß man sie kaum mehr anblicken kann!“

20. Sagt der Essäer: „Ja wahrlich! Oh, das ist ein unbeschreiblich herrlicher Anblick! Aber merket ihr es nicht, wie dort über den Wolken sich etwas bewegt? Es sieht beinahe so aus, als ob eben über den Wölkchen sich Sterne von besonderem Glanze hin und her bewegten! Was mag das doch sein?“

21. Sagt Petrus: „Was es eigentlich ist, das wird wohl nur der Herr allein wissen; aber wir Fischer nennen solche eben nicht selten vorkommenden Erscheinungen ,Morgenfischlein‘. Wenn diese zu sehen sind, dann läßt sich gut fischen im Wasser, und es kommt gen Abend hin sicher ein Wetter oder zum wenigsten ein starker Sturmwind. Obschon ich im Ernste gestehen muß, daß ich selbst dergleichen Fischlein in solcher Frische und Lebhaftigkeit noch nicht gesehen habe, so ist mir aber dennoch diese Erscheinung nicht fremd; nur läßt sich hier vielleicht, von dieser Höhe aus, diese Erscheinung besser ausnehmen als unten von der Tiefe!“

22. Sagt der Essäer: „Wißt ihr was, — gehen wir näher zum Herrn hin! Ich sehe, daß Er mit Ebahl und dessen Kindern spricht. Dort wird wieder vieles enthüllt werden; das müssen wir hören!“

148. Kapitel. Naturbetrachtungen und ihre geistige Entsprechungen.

01. Auf diesen Antrag des Essäers kommen alle mehr in Meine Nähe, und Ich berufe die beiden Essäer und sage, daß sie nun auf alles wohl acht haben sollen, was da beim Aufgange zu sehen sein werde; denn es werde daraus viel zu lernen sein!

02. Die beiden Essäer treten nun näher zu Mir und sagen: „Herr, Herr, daß daraus endlos viel zu lernen wäre, das dürfte wohl eine ewige Wahrheit sein; aber wo ist unsere Seele einer so hohen Lehre fähig?! Wir sehen wohl mit lüsternen Augen in die lichtvollen Tiefen Deiner Wunderschöpfungen und erstaunen über die Maßen in unserem Gemüte; aber wir sind viel zu blind, nur die Wunder eines Tautröpfchens zu würdigen und zu begreifen, geschweige dann erst die, die in unmeßbaren Größen und Fernen leuchtend vor uns am Firmamente auf— und niedergehen! Auch über die über den Wölkchen hin— und herschwebenden Lichtpunkte haben wir schon mit dem Jünger Petrus geredet; aber er konnte uns darüber keinen genügenden Bescheid geben. — Wenn es Dir, o Herr, genehm wäre, so könntest Du uns darüber wohl ein paar Wörtlein kundtun!“

03. Sage Ich: „Das hat sehr wenig zu bedeuten und ist eine ganz natürliche Erscheinung, gleich der eines mäßig wogenden Meeres. So das Meer wogt und du dich auf irgendeinem rechten Punkte befindest, nach dem die gebrochenen Sonnenstrahlen hinfallen, so wirst du dort ein ähnliches Lichtspiel sehen.

04. Die Luft, die zum Einatmen für Menschen und Tiere tauglich ist, reicht nicht etwa bis zu den Sternen hin, sondern im äußersten Hochstande nur so weit über die Erde, als da ausmachete die vierfache Höhe dieses Berges, vom Meere an gerechnet; nach solcher Höhe ist dann die Erdluft scharf begrenzt, so wie das Wasser von der Luft, und hat gleich dem Wasser eine höchst glänzende, glatte Oberfläche, die gleich dem Meere sich in einem beständigen Wogen befindet.

05. Wenn nun das Licht der Sonne auf diese erwähnten Luftwogen fällt, so strahlt es wie aus einem Wasserspiegel zurück; gehen die Luftwogen stark, so werfen sie das aufgenommene Licht dann und wann auch zur Erde herab, und am leichtesten, wenn scheinbar die Sonne sich noch unter dem Horizonte befindet, wo ihre Strahlen gewisserart von unten her auf die Fläche des Luftmeeres fallen. Und so sind diese munter hin und her schwebenden Lichter nichts als Widerscheine der Sonne, und ihre Beweglichkeit rührt von der Beweglichkeit der Wogen der Luft her.

06. Daß sie aber jetzt, wo die Sonne kaum noch eine scheinbare Spanne unter dem Horizonte steht, besonders über den sehr lichten Wölkchen zu sehen sind, hat darin seinen Grund, daß die Luftwogen nun mehr das Licht von den von der Sonne schon stark beleuchteten Wölkchen aufnehmen und mit demselben gewisserart ein tändelndes Spiel treiben. — Seht, das ist die ganz natürliche Erklärung dieser Erscheinung!

07. Aber über all das hat diese Erscheinung auch eine geistige Bedeutung, und diese ist für euren Verstand begreiflich folgende:

08. Denkt und stellet euch also die geistige Sonne vor! Das von ihr ausgehende Licht wird von der stets wogenden Fläche des geschaffenen Lebensmeeres aufgenommen, und dieses spielt mit solchem Lichte, und es entstehen daraus allerlei Zerrbilder, die wohl noch den matten Glanz von sich strahlen lassen, aber dabei jede Spur der göttlichen Urform zerstören; also ist das ganze Heidentum und nun auch das Judentum ein solches Verzerren alles rein Göttlichen.

09. Wenn ihr aber sehet einen ganz ruhigen Wasserspiegel, und es scheint die Sonne darein, so wird sie aus dem Wasserspiegel in derselben Majestät und Wahrheit widerstrahlen, als wie ihr sie sehet am Himmel. Und ebenso gehört ein ruhiges, leidenschaftsfreies Gemüt, das nur durch eine gänzliche Selbstverleugnung, Demut, Geduld und reinste Liebe erreicht werden kann, dazu, damit das Ebenmaß Gottes im Geiste des Menschen ebenso rein und wahr widerstrahle wie die Erdsonne aus einem ruhigsten Wasserspiegel.

10. Ist das bei einem Menschen der Fall, so ist in ihm alles zur Wahrheit gediehen, und seine Seele ist dann fähig, ihren Blick in die Tiefen der Schöpfungen Gottes zu richten und alles schauen zu können in aller Fülle der reinsten Wahrheit. Aber sowie es in ihr zu wogen anfängt, so werden die Urbilder zerstört, und die Seele befindet sich dann schon notwendig auf dem Felde des Truges und der Täuschungen aller Art und Gattung und kann nicht zur reinen Anschauung gelangen, bis nicht in ihr die völlige Ruhe in Gott eingetreten ist.

11. Und das ist die wahre Sabbatruhe in Gott, und die Feier des Sabbats ist darum von Gott verordnet worden. Der Mensch soll sich da von jeder schweren, anstrengenden Arbeit enthalten, weil jede schwere Arbeit die Seele nötigt, dem Fleische ihre Kräfte zu leihen, und dabei mit demselben erregt wird, was den Spiegel ihres Lebenswassers in eine starke Bewegung versetzt, daß sie darum die rein göttliche Wahrheit in sich nimmer klar erkennen kann.

12. Die wahre Sabbatruhe besteht demnach in einer vernünftigen Feier von aller schweren Arbeit; ohne Not soll man nicht die Hand an sie legen, aber in der Not ist jeder Mensch verpflichtet, seinem Bruder zu helfen.

13. Mehr aber noch, als sich von aller schweren Arbeit enthalten, soll eine jede Seele jede Leidenschaft zur Seite schaffen! Denn die Leidenschaften sind Stürme der Seele; sie wühlen ihr Lebenswasser auf, und Gottes Ebenmaß wird dann in der Seele also zerrissen, wie das Ebenmaß der Sonne auf den Wogen des Meeres zerrissen wird. Es blitzt wohl das Bild der Sonne aus den Wogen, aber in welcher Verzerrtheit! Und so der Sturm lange währt, so entsteigen dem bewegten Meere bald schwere Dünste und füllen die Himmelsluft der Seele mit schweren Wolken; diese hindern dann das Licht der Geistessonne völlig, an das Lebensgewässer der Seele zu gelangen, — und die Seele wird finster, kann nicht mehr unterscheiden Wahres vom Falschen und hält das Blendwerk der Hölle für ein Himmelslicht.

14. Eine solche Seele ist dann aber auch schon soviel wie verloren! Es müßten denn starke Winde kommen, das heißt starke Prüfungen von oben, daß durch sie zerrissen würde das arge Gewölke der Seele, diese sich dann sogleich begäbe in die wahre Sabbatruhe und dadurch zur Ruhe brächte ihr Lebensmeer, — ansonst ist für sie keine Rettung!

15. Seht, das ist der für jedermann brauchbare Sinn geistig, den uns dieser schöne Sonnenaufgang in seinen sonst ganz natürlichen Erscheinungen zeigt! Wer ihn an sich beachten wird, der wird in der Wahrheit und in allem Lichte verbleiben, und das ewige Leben wird sein Anteil sein; wer aber diese Lehre in den Wind schlagen und sie nicht beachten wird, der wird sterben für ewig!“

149. Kapitel. Betrachtung des Sonnenaufgangs und der Morgenerscheinungen.

01. (Der Herr:) „Nun aber gebet weiter acht! Die Sonne streckt gerade ihre Scheibe, besser ihre westlichste Kugelfläche, über den Horizont; was bemerket ihr nun?“

02. Sagen die Essäer: „Sonst wohl nichts als die lichte Fläche, die bedeutend schnell aus der lichten Tiefe heraussteigt; das Lichtfischleinspiel hat sich nun plötzlich verloren, und die Wölkchen werden dünner und verlieren sich ebenfalls eins nach dem andern. Und nun steht schon die ganze Scheibe oder Kugel über dem Horizonte, und nun kommt auch ein ziemlich kühles Lüftchen vom Morgen her zu uns. Das ist aber auch alles, was wir entdecken.“

03. Sage Ich: „Wendet eure Augen auch in die Ebenen und Täler der Erde hinab und saget, was ihr da sehet!“

04. Die beiden Essäer beschauen die Tiefen der Erde und sagen darauf: „Wir sehen die Täler angefüllt mit graulichten Nebeln, auch des Meeres Fläche ist mit einem graulichten Dunste überzogen; aus den Tälern aber hebt sich der Nebel und bedeckt hie und da schon die niederen Hügel. — Soll etwa das alles auch irgendeine geistige Bedeutung haben?“

05. Sage Ich: „Ganz sicher, umsonst und ohne geistige Anregung geschieht nichts auf der Erde! Wir aber wollen nun sehen, welch eine Bedeutung das hat!

06. Die Sonne entspricht völlig dem Wesen Gottes; die Erde mit ihren Tälern, Flächen, Hügeln, Bergen, Flüssen, Strömen, Seen und Meeresflächen aber entspricht völlig dem Außenmenschen.

07. Die Nebel, die sich zwischen die Sonne und die Erde stellen, entsprechen den mannigfachen leeren und kleinlichen Sorgen der Menschen, durch die das Licht der Sonne nur hie und da spärlich durchbrechen kann, und die Nebel steigen aufwärts und bedecken sogar die Berge; die Hügel und Berge aber entsprechen der besseren Einsicht der Menschen auf dieser Erde. Diese bessere Einsicht wird ebenfalls getrübt durch die kleinlichen und nichtigen Sorgen der halbblinden Menschen.

08. Darum kommen aber nun Morgenwinde und treiben die Nebel von den Bergen und Feldern, auf daß sie zunichte werden und die Berge und Felder von der Sonne frei beleuchtet und erwärmt werden können, auf daß ihre Früchte des Lebens zur Reife gelangen mögen. — Ich meine, diese Entsprechung werdet ihr wohl verstehen!?“

09. Sagen die beiden Essäer: „Ja Herr, die ist klar wie die Sonne dort! Oh, welch eine Herrlichkeit in dieser großen heiligsten Lehre! Oh, was alles wissen doch die Menschen nicht, das sie doch so wissen sollten, als sie wissen, daß sie leben! Herr, die uns nun gegebene Lehre von der wahren Sabbatruhe in Dir soll unsere Sache sein, sie einzuführen bei den Menschen. Diese übertrifft alles bisher Gesagte und von Dir Gelehrte; denn wir sehen in allen vorhergehenden Lehren nur eine Vorbereitung zur leichteren Beachtung dieser heiligsten Lehre! Wahrlich, dazu mußten sich auch alle Himmel auftun, auf daß den Menschen wiedergegeben werde diese heiligste Lehre der Lehren! — Aber nun kommt eine ganz andere Frage, und das an uns!

10. Wie sollen wir Dir, o Herr, aber denn würdig danken für diese rein überhimmlische Lehre? Wir fühlen in der tiefsten Tiefe unseres Herzens, daß wir ihrer eigentlich gar nicht wert sind; Deine alleinige Gnade und Liebe nur konnte sie uns geben! O Herr, gib uns doch ein Gebot, wie wir Dich darum loben und preisen sollen!“

11. Sage Ich, beiden Essäern Meine Hände auf die Achseln legend: „Meine lieben Freunde, tut danach, und ihr werdet Mir dadurch eine nicht mindere Freude machen, als Ich sie euch nun gemacht habe! Und euer Lohn wird kein geringer sein, so ihr auch die andern Menschen dazu bewegen werdet.“

150. Kapitel. Die Essäer werden vom Herrn beauftragt, eine Freimaurerschule zu gründen.

01. (Der Herr:) „Errichtet danach eine Schule und lehret die Jünger die Feier des Sabbats halten, und haltet sie selbst an jedem Tage ein paar Stunden hindurch, und ihr werdet alsbald die große Segnung dafür in euch wahrzunehmen beginnen!

02. So ihr aber eine Schule errichtet und erbauet dafür ein großes Haus, so sollen dessen Mauern frei sein von jeglicher Sperre und von jeglichem Schlosse! Werdet wahre Freimaurer eurer Schulhäuser, und der Propheten Schulen wird euer neues Werk sein; aber es sei eure Hauptsorge dahin gerichtet, daß ihr alle Meine Lehre, die schon gegeben ward und noch gegeben wird, treu bewahret und nicht, gleich den Pharisäern und Ältesten, darunter menget eure Satzungen! Eure gegenwärtigen Satzungen müssen vom Grunde ausgereutet werden, und Mein Wort muß vollauf an deren Stelle kommen, und das in der freien Tat, ansonst Mein Geist nicht wirken könnte nach der Verheißung, die den Menschen gegeben ward durch den Mund der Propheten!“

03. Die Essäer danken nun für diese Belehrung und versprechen es Mir mit allem Ernste, daß sie das alles buchstäblich beachten werden; nur möchte Ich ihnen dafür stets den gerechten Schutz und die hinreichende Kraft verleihen, alles dieses rein göttliche nicht nur für sich, sondern für viele andere Menschen, die es danach dürsten wird, ins ersprießliche, für alle Zeiten heilsame Werk zu setzen!

04. Sage Ich: „An Mir wird es nie fehlen; aber sehet nur ihr darauf, daß unter euch in der Folge keine Rangstreitigkeiten entstehen! Der Erfahrenste von euch sei wohl der Leiter und Führer eurer Sache; aber er bilde sich darum nie ein, mehr zu sein, als da ist einer der Geringsten unter euch! Aber damit sei gar nicht gesagt und gemeint, daß die Schwächeren ihm darum die gebührende Achtung versagen sollen. Er werde geliebt und geachtet, und sein Rat werde von allen befolgt also, als wäre er ein Gesetz; wehe dem, der sich vergriffe an ihm! Wahrlich, der soll von Mir mit zornigen Augen angesehen werden!

05. So ihr aber erwählet einen Vorsteher und Leiter eurer Sache, so betet und prüfet, daß nicht einem Unwürdigen das Amt verliehen werde; denn ein schlechter, unkluger Leiter ist einer Gesellschaft das, was ein schlechter Hirte ist seiner Herde. So er sieht den Wolf kommen, da ergreift er zuerst die Flucht, und die Schafe überläßt er dem Wolfe, oder er wird am Ende selbst zu einem Wolfe und also zum Würger seiner Lämmer geistig, wie es nun die Pharisäer und ihre Hohenpriester sind. Sie gehen in Schafskleidern einher, aber inwendig sind sie reißende Wölfe! Sie geben kaum den Mücken eine Nahrung; aber was sie für eine Mücke gaben, dafür verlangen sie ein ganzes Kamel!

06. Darum werdet nicht denen gleich! Sie wohnen in Gemächern von Steinen gemauert, die stets also wohl verwahrt und versperrt sind, daß ja niemand zu ihnen kommen kann und auch nicht kommen darf, auf daß ja niemand käme hinter ihre Betrügereien; und würde auch ein Mutiger es wagen, in ein solches Templergemach einzudringen, so würde er als ein Schänder des Heiligtums erklärt und gleich darauf gesteinigt!

07. Darum sagte Ich zu euch, daß ihr eure Schulhäuser frei und offen erbauen sollet, auf daß jedermann aus— und eingehen kann, so er will! Jedes Geheimnis schwinde aus eurer Schule! Wer da will, den weihet ein, insoweit er es fassen kann; denn Ich verkaufe euch in Meiner Lehre keine Katze im Sacke, — Ich sage euch alles offen und klar und tue mit nichts geheim, außer, wo es die Klugheit fordert zum Wohle jedes Menschen. Darum seid auch ihr offen gegen jedermann, bei dem ihr einen guten Willen sehen werdet! Aber dennoch seid dabei auch klug; denn so weit braucht die Offenheit nicht zu gehen, daß man den Schweinen zum Fraße vorwürfe die edlen und kostbaren Perlen!

08. Ich Selbst hätte euch allen noch gar vieles zu sagen; allein ihr würdet es jetzt noch nicht fassen und ertragen. Aber wenn der Geist der vollen Wahrheit in euch wach werden wird, so wird er euch selbst in alle Weisheit leiten; und dieser Geist ist das göttliche Ebenmaß in euren Herzen, und ihr selbst werdet ihn in euch erwecken durch die rechte Sabbatfeier. — Saget, ob ihr das alles nun begriffen habt?!“

09. Sagen die Essäer, ganz zerknirschten Herzens: „Ja, Herr! Wer sollte Deine heiligen Worte nicht verstehen? Das sind ja nicht Worte gleich denen eines Menschen! Deine Worte sind ja alle wesenhaft, sie sind durchaus Licht, Wärme und Leben! So Du, o Herr, sprichst, so fühlen wir in uns ein wesenhaftes Werden, so, daß es uns vorkommt: mit jedem Worte aus Deinem Munde entsteht irgendeine unermeßlich große, neue Schöpfung, — und wir fühlen in uns ein unendliches neues Werden!

10. Wir verstehen aber dennoch den für uns nötigen Sinn Deiner heiligsten Worte, obschon zu deren endlicher Wirkung wir ewig nie gelangen werden; denn wir fühlen es und empfinden es lebendig in uns, daß Deine hier ausgesprochenen Worte nicht nur uns, sondern der ganzen ewigen Unendlichkeit gelten! — O, so jauchze denn, du Erde, die du aus den zahllosen Welten erkoren warst, daß der Herr der Ewigkeit mit Seinen Füßen deinen Boden betritt und Seine heiligste Stimme in deiner Luft ertönt! — O Herr, wie viele Wesen werden doch aus jedem Deiner Worte und aus jedem Hauche Deines Mundes!? Oh, laß Dich von uns loben, lieben, preisen und anbeten; denn Dir allein gebührt alles das!“

151. Kapitel. Das gesegnete Frühstück auf dem Berge.

01. Sage Ich: „Gut, gut, Meine lieben Freunde und Brüder! Wir wollen nun nach diesem Seelenmorgenmahle auch um eines für den Leib uns umsehen! — Ebahl, hast du noch etwas Vorrat?“

02. Sagt Ebahl: „Herr, es ist wohl noch etwas da, aber nicht mehr viel, denn es ist gestern abend fast alles aufgezehrt worden; etwas Brot und Wein ist aber dennoch vorrätig!“

03. Sage Ich: „Bringe alles her, auf daß Ich es segne, und wir werden alle in Genüge zu essen haben und eben also zu trinken!“ — Ebahl ließ nun sogleich einen halben Laib Brot und etwa noch für drei Becher Wein, der im Schlauche zurückgeblieben war, zu Mir hinbringen, und Ich segnete das Brot und den Wein und sagte: „Teile es nun aus, und so etwas übrigbleibt, da werden wir auch hier das Morgenmahl halten!“

04. Ebahl teilt nun das Brot aus und bricht, um auszukommen, nur kleine Stücke von dem halben Laibe; aber es will der halbe Laib nicht kleiner werden. Da er aber sieht, daß der halbe Laib nicht kleiner wird, obschon er allen Berggästen für mehrere Mundvoll hintangegeben hatte, so fängt er an, größere Stücke hintanzugeben; aber auch da wird der halbe Laib nicht kleiner. Als er nun sieht, daß die Berggäste bei Appetit sind, so beginnt er die Austeilung noch einmal von vorne und bricht nun noch größere Brocken vom Laibe; und als er herumkommt bei den etlichen dreißig Menschen, die da mit uns den Berg bestiegen haben, so hat er noch ein tüchtiges Bröckchen in der Hand und sagt zu Mir: „Herr, das habe ich noch erübrigt. Wird es wohl genügen für Dich, für den Raphael, für die Jarah und für mich?“

05. Sage Ich: „Gib es nur der Jarah, daß sie es austeile, dann wird es wohl genügen!“ — Ebahl tut das, und die Jarah gibt davon zuerst Mir ein Stück, dann ihrem Raphael, dann dem Ebahl und dann erst sich das Übriggebliebene, und wir hatten auch alle genug.

06. Aber der Hauptmann bemerkte und sagte: „Warum hast du, Freund Ebahl, denn mich nicht auch zu dieser letzten Teilung genommen? Hast du mich denn dieser für zu wenig wert gehalten?“

07. Sage Ich: „Freund, wolle darob nicht ärgerlich werden! Denn sieh, Ebahl rechnete auf Nichtsübrigbleiben, darum er mit der Austeilung anfangs auch so spärlich als möglich begann; er wollte dich nicht auch unter die Zahl derer bringen, auf die am Ende nichts gekommen wäre! Da aber nach Meinem Willen dennoch etwas übrigblieb, so ist damit erst die zweite Teilung unternommen worden. Liegt dir aber an der zweiten Austeilung viel, die durchaus um nichts besser ist denn die erste, so sage es, und Ich trete dir gerne Meinen Anteil ab.“

08. Sagt der Hauptmann: „Nun, nun, es ist schon alles wieder gut; mir ist nun nur eine altrömische Rangesdummheit durchs Gehirn gefahren, — bin aber schon wieder ganz in der Ordnung! Aber was mich hier am meisten wundert, ist, daß der himmlische Raphael das Brot mit solcher Lust verzehrt, als wäre er der Hungrigste unter uns allen! Das ist wahrhaft sehr merkwürdig! Er ist denn doch mehr Geist denn ein Fleischmensch und ißt so, als wäre er jemals auf der Erde geboren worden! Das gefällt mir ungemein! — Aber ich fühle, daß das pure, zwar äußerst wohlschmeckende Brot dürsten macht, und so möchte ich bald etwas zum Trinken bekommen.“

09. Sage Ich zu Ebahl: „Teile nun den Wein aus, und fange bei unserem Freunde Julius an!“

10. Sagt der Hauptmann: „Herr, ich bitte Dich, trinke doch Du zuerst; denn irgendeine Rangordnung muß ja doch auch bei Tische sein!“

11. Sage Ich: „O ja, Ich bin Selbst dafür; aber da wir hier keinen Tisch haben und auch nicht zu Gaste geladen sind, so nehmen wir den Wein nach dem natürlichen Bedürfnisse zu uns! Der am meisten durstig ist, der trinke zuerst, und die weniger Durstigen folgen ihm — jeder nach seinem Bedürfnisse!“

12. Mit diesem Bescheide war der Hauptmann denn auch zufrieden, trank den ihm dargereichten Becher bis auf den letzten Tropfen aus und sagte: „Herr, ich danke Dir! Das war eine wahrhaft himmlische Stärkung, und noch nie hat mir der Wein an einem Morgen so gemundet wie jetzt hier; das ist aber auch ein Wein, wie es auf der Erde keinen zweiten gibt.“

13. Sage Ich: „Uns alle freut es, daß es dir nun so wohl behagt auf dieser Höhe!“

14. Sagt der Hauptmann: „Herr, vergib es mir, wenn ich vielleicht in meiner guten Laune etwas Ungeschicktes sage! Aber mir kommt es nun vor, daß hier sogar der Satan voll des besten Mutes werden sollte!“

15. Sage Ich: „So du ihn sehen und sprechen willst, kann er hierher berufen werden, und du kannst dich dann gleich überzeugen, ob es ihm hier behaglich vorkommen wird!“

16. Sagt der Hauptmann: „Wenn es im Ernste einen persönlichen Satan gibt, so mag er hier ja erscheinen!“

152. Kapitel. Satan erscheint auf dem Berge.

01. Als der Hauptmann solches ausspricht, so geschieht ein mächtiger Blitz, begleitet vom stärksten Donner, und der Satan steht in großer Riesengestalt ganz feurig vor dem Hauptmanne, stampft mit einem Fuße so heftig auf den Boden, daß der ganze Berg um und um erbebt, und spricht zum Hauptmann: „Was willst du, elendester Mutterschänder, von mir!? Warum beriefst du mich auf diese Höhe, die mir tausend Male peinlicher ist als alles Höllenfeuer!?“

02. Sagt der Hauptmann, etwas sehr stark aufgeregt über den Anruf ,Mutterschänder‘: „He, Feind aller Menschen und Gottes Selbst, mäßige dich; denn dir steht es nicht zu, zu richten im Angesichte Gottes, deines Herrn! Habe ich gesündigt im Schlafe in großer Betäubung meiner Sinne, so habe ich nur mir, nie aber dir in etwas geschadet. Ich glaube aber, daß Gott mehr ist denn du, und Er hat mich noch nie also begrüßt wie du elender Lügner! Es ist wohl wahr, daß es einmal geschah, daß ich meine Mutter beschlafen habe in meinem vierzehnten Jahre; aber ich ward dazu verleitet durch meine Mutter. Denn sie verkleidete sich in eine üppigste Griechin und trug über ihr ohnehin noch äußerst schönes Gesicht eine feine griechische Larve, kam in der Nacht zu mir, entdeckte mir alle ihre mächtigen Reize und verlangte mich. Denn meine Mutter war damals kaum achtundzwanzig Jahre alt; als sie mich als Erstling gebar, zählte sie dreizehneinhalb Jahre. Ich war in Rom bekannt als einer der schönsten und reizendsten Jünglinge; was Wunder, daß meine eigene Mutter für mich entbrannte und sich maskierte, um mich zu genießen! Elender! So ich als ein feuriger Römer sonach in einer vermeinten üppigsten und reizendsten Griechin meine Mutter beschlief, bin ich darum ein Mutterschänder? Kannst du, blinder Höllenesel, den je einen Mörder oder Totschläger schelten, der vom Dache fiel und am Boden in seinem Falle einen Menschen traf und dadurch tötete?! — Rede nun, du alter Höllenesel!“

03. Spricht der Satan, ganz ergrimmt über die Beschimpfung von seiten des Hauptmanns: „Ich sehe nur auf die Tat, und nicht, in welcher Art sie begangen ward; bei mir gibt es keine mildernden Umstände, und du bist von mir aus als gerichtet anzusehen, gehörst der Hölle an und wirst meiner Macht nicht entrinnen!“

04. Sagt der Hauptmann: „Da sieh hin, du alter, blinder Höllenesel! Wer ist Der, der mir hier zur Rechten steht, kennst du Ihn, ist dir der Jesus von Nazareth nicht bekannt?“

05. Als der Hauptmann Meinen Namen ausspricht, reißt es den Satan mit aller Gewalt zu Boden nieder, und er bedroht den Hauptmann, daß er diesen ihm allerwidrigsten Namen nimmer aussprechen möchte. Er kenne den Nazaräer und fluche demselben, weil er der Gottheit die Macht entreißen wolle und es gar nicht viel mehr fehle, daß er ein Herr Himmels und aller Welt werde!

06. Sagt der Hauptmann: „Blinder Höllenesel! Was Er von Ewigkeit war, das ist Er noch und wird es ewig bleiben; und Er allein wird mich und dich richten, und ewig nicht du alter, böser, blinder und allerdümmster Höllenesel! Wenn du schon ein gar so mächtiges Wesen bist, warum reißt dich denn gar so leicht der pure Name des heiligen Nazaräers also zusammen, als wärest du nie gestanden? Sieh, wie schön und löblich es hier ist, und wie gut es wir alle haben! Wärst du kein so erzdümmstes Höllenvieh, wie leicht könntest du es ebenso gut haben wie wir! Kehre um und erkenne in deinem Herzen, wenn du noch eines hast, daß Jesus der Herr Himmels und der Erde ist, und du wirst uns sicher gleichgestellt werden!“

07. Da grinst der Satan: „Hast du schon wieder den mir allerwidrigsten Namen aussprechen müssen?! Wenn du schon von nichts Besserem zu reden weißt, so umschreibe doch wenigstens den Namen; denn er peinigt mich mehr denn zehntausend Höllen in ihrer höchsten Feuerwut! Zudem bin ich ein Geist und muß das bleiben ewig eures Heiles willen und kann mich daher nie bekehren zu eurem Gott und eurem Herrn! Ich bin einmal und für alle Male für ewig verdammt, und für mich gibt es kein Heil mehr!“

08. Sagt der Hauptmann: „Wenn mir das jemand anders als du gesagt hätte, würde ich's glauben; aber dir glaube ich nichts, außer, daß du wirklich der alte, dumme Höllenesel bist! So du dich bekehren wolltest, da weiß ich nur zu gut, daß du mit deinem ganzen Anhang vom Herrn angenommen würdest; aber bei dir ist es nur eine hartnäckigste Bosheit, aus der heraus du selbst dich ewig nie bekehren willst, weil es dir eine Art höllischer Freude macht, Gott dem Herrn trotzen zu können infolge deines freien Willens. Aber ich sage es dir, daß der Herr vor dir noch lange Sein Herz nicht völlig verschlossen hat, und hat dich noch lange nicht gerichtet! Kehre dich daher zu Ihm, und Er wird dich aufnehmen und dir vergeben alle deine Milliarden mal Milliarden Frevel und Sünden!

09. Ich bin ein Heide und habe in meiner Jugend angebetet die Natur und die Schnitzwerke, gemacht von Menschenhänden und hervorgegangen aus ihrer Phantasie; aber ich, als ein schwacher, blinder Fleischmensch, habe es dennoch bald eingesehen, daß ich mich auf Irrwegen befunden habe, auf denen kein Ziel zu erreichen ist.

10. Du aber bist seit deinem Urbeginne als ein reiner Geist geschaffen worden von Dem, der nun im Herzen dieses heiligen Nazaräers wohnt, und dem sichtbar Himmel und Erde vollkommenst untertan sind. Dir ist das reine Erkennen der ewigen Wahrheit ein leichtes, während ich lange in Nacht und Nebel herumtappen mußte; du darfst sonach nur wollen, und du sitzest wieder im alten Urlichte. Wende dich daher an den Herrn, der hier wunderbarstermaßen körperlich unter uns weilt, und ich stehe dir mit allem, was mir samt meinem Leben eigen und heilig ist, dafür, daß du angenommen wirst!“

11. Sagt Satan: „Ich kann das nicht!“

12. Sagt der Hauptmann: „Und warum nicht?“

13. Schreit der Satan: „Weil ich es nicht will!“

14. Sagt nun denn auch der Hauptmann mit einer sehr erregten Stimme: „So hebe dich im Namen Jesu von hinnen; denn nun fängt es mich an bis zum Erbrechen zu ekeln vor dir! Du bist sonach höchst eigenwillig eine unverbesserliche Höllenbestie, und in mir ist jedes Mitleid wegen deiner ewigen Pein und Qual für ewig entschwunden. Der Herr richte dich, du alter Höllenesel!“

15. Auf diese Worte des Hauptmanns stürzte der Satan wie vom Blitze getroffen auf den Boden und brüllte also gewaltig wie ein hungriger Löwe; aber Ich winkte dem Engel Raphael, daß er ihn aufs Korn nehme.

16. Da trat der Engel schnell hin zwischen den Hauptmann und Satan und sagte: „Satan! Ich, ein allergeringster Diener des Herrn Jesus Jehova Zebaoth, gebiete aufs unwandelbarste Muß, daß du dich augenblicklich hebest von diesem Orte und dieser Gegend, die du lange mit deinem bösen Hauche für Tiere und Menschen heillos gemacht hast!“

17. Sagt der Satan, ganz vom Grimme entbrannt: „Wohin soll ich ziehen?“

18. Sagt der Engel: „Wo deine Diener deiner harren und dich verfluchen! Gehe und weiche! Amen!“

19. Mit diesen Worten des Engels erhob sich der Satan gleich einem nach allen Seiten hin flammenden Balle und floh unter großem Knallgetöse in Blitzesschnelle gen Mitternacht.

20. Der Engel aber riß auf den Boden an der Stelle, da der Satan stand und lag (es war ein Steinblock von mehreren fünfzig Zentnern), und schleuderte ihn mit solcher Gewalt über den ganzen Berg weit ins Meer hinein, daß der Stein schon in der Luft durch ihren Widerstand in den nichtigsten Staub aufgelöst ward.

21. Und alle verwunderten sich allerhöchlichst über solch eine Gewalt des Engels, und der Hauptmann sagt: „Ha, das wäre ein Steinschleuderer! Der gäbe allein mehr aus als zehn römische Legionen! Übrigens danke ich Dir, o Herr, auch für diese Offenbarung; denn nun habe ich denn auch den ewigen Feind aller Liebe, alles Lichtes und alles Guten und Wahren sozusagen persönlich kennengelernt und habe mich schnell überzeugt, was es mit ihm für eine Bewandtnis hat. Den bessert keine Ewigkeit und kein Feuer mehr!

22. Es sind bei Gott wohl alle Dinge möglich; aber hier glaube ich, daß es auch der göttlichen Allmacht schwer gelingen wird, diesen Geist zur Reue und Buße zurückzubewegen. Denn wird ihm der freie Wille belassen, so ändert er sich ewig nimmer; wird er ihm aber nicht belassen, so hat er aufgehört, Er zu sein, und es gibt dann keinen Satan in der ganzen Unendlichkeit mehr. Ihn aber mit möglichst größten Qualen und Schmerzen zur Besserung bewegen wollen, hieße mit einem Siebe Wasser in ein durchlöchertes Gefäß schöpfen! Das Weiseste wäre nach meiner Ansicht noch, ihn für alle Zeiten der Zeiten in irgendein Gefängnis gefangenzunehmen und zwar schmerzlos; so würde er zum wenigsten auf die lebenden Menschen keinen Einfluß nehmen können!“

23. Sage Ich: „Freund, das sind Dinge, die du jetzt nimmer fassen kannst; einst aber werden sie dir klar werden! Die irdische Zeit hat dafür freilich kein Maß, — wohl aber eine ganze Urgrundmittelsonne! Wann diese einmal zu Ende kommt, dann auch wird die noch immer mögliche Umkehr des Satans nicht mehr ferne sein; aber wo wird dann schon sein diese Erde und diese Sonne?! Denn ein Körper, wie da ist die Urgrundmittelsonne, braucht einen für dich undenklich langen Zeitraum, bis all das in ihr gerichtete Leben, das nun eine scheinbar tote Materie ist, bis aufs letzte Stäubchen sich auflöst ins freie, geistige Leben!

24. Aber, wie gesagt, solches kannst du nun noch lange nicht fassen! Solches fassen jetzt auch die Engel nicht; aber es wird bald eine Zeit kommen, in der du im nun dir Gesagten keinen Zweifel finden und Dinge glauben wirst, von denen du jetzt noch keine Spur hast! Doch nun nichts Weiteres mehr davon! Machet euch aber nun auf, und wir werden uns ganz gemach auf die Rückreise begeben!“

153. Kapitel. Der Abstieg vom Berge.

01. Spricht die Jarah, die während der sichtbaren Anwesenheit des Satans ihr Angesicht mit einem Tuche bedeckte: „Herr, nun gehe ich gerne zurück in die Stadt; denn die Gegenwart des Einen hat mir für alle Zeiten diese Höhe verleidet, obschon sie mir anderseits unbeschreibbar denkwürdig verbleiben wird. Meine Füße werden sie nie wieder betreten!“

02. Sage Ich: „Nun, nun, der ist von da nun ausgetrieben worden, und dein Raphael hat den Platz gleich wieder lauter gemacht; übrigens wird es dir weder zum Schaden noch zu irgendeinem besonderen Nutzen gereichen, ob du je wieder diese Höhe besteigst oder nicht. Die beste Höhe zu besteigen aber ist das eigene Herz; wer in dessen Innerstes gedrungen, hat der Lebensaussicht höchste Höhe errungen! — Aber nun gehen wir, denn es ist bereits die dritte Stunde des heutigen Sabbattages verronnen. Gehet aber nun nur alle Mir nach, und wir werden auf dem nächsten und besten Pfade nach Genezareth gelangen!“

03. Sagte der Hauptmann: „Herr, es ist ehedem, so ich mich nicht täusche, die Rede gewesen, als wollten wir etwa noch den ganzen heutigen Tag hier zubringen!?“

04. Sage Ich: „Du hast denn diesmal Mich ein wenig falsch verstanden; darunter ward ja nur die Höhe der Sabbatfeier im Herzen verstanden! Aber nun macht das nichts, gehen wir nur; denn unten harren mehrere Leidende unser! Denen muß geholfen werden, auf daß dann nach Meinem Abgange in dieser ganzen Gegend kein Kranker sich soll vorfinden lassen.“

05. Auf diese Meine Worte machte sich denn nun alles auf den Weg, und Ich, die kleine Jarah und der Raphael machten uns auf den Weg und machten sogestaltig die Wegweiser, und es ging schnell und leicht von dem Berge ins Tal nach Genezareth hinab. Nach etwa zwei und einer halben Stunde Zeit waren wir auch schon ganz in der Nähe des Städtchens Genezareth.

06. Da rief Ich alle Berggäste zusammen und sagte: „Höret ihr alle Mich nun an! Wie Ich es euch schon auf der Höhe angedeutet habe, so sage Ich es euch allen nun noch einmal: Alles das auf der Höhe Erlebte und Gesehene behaltet einstweilen bei euch! Wenn ihr es aber durch ein Großzeichen aus den Himmeln innewerdet, dann prediget solches von den Dächern den Menschen, die eines guten Willens sind; aber der argen Welt soll solches fortwährend also verborgen bleiben, gleichwie da verborgen ist die innerste Mitte der Erde! Denn solches wird ein äußerer Weltsinn nie fassen und würde euch als unsinnige Leute verdammen! Das aber wäre denn dann auch der ewige Tod seiner Seelen.

07. Überhaupt merket euch das: Meine Worte und Lehren und Taten sind köstlicher denn die beispiellos großen Perlen der Jarah; und solche Perlen sind nicht, daß man sie vorwerfe den Schweinen! Darum seid allzeit auf eurer Hut; denn alles, was von oben kommt, ist auch nur für diejenigen, die auch von oben her sind! Für Hunde und Schweine aber gehört nur der Unflat der Welt; denn ein Hund kehrt zu dem wieder zurück, was er gespien, und das Schwein wälzt sich in derselben Lache wieder, in der es sich einige Augenblicke früher gewälzt, besudelt und gänzlich verunreinigt hatte. Lasset euch darum Meinen Rat von Herzen angelegen sein!“

08. Sagt der Hauptmann: „Herr, so wir aber von den Neugierigen befragt werden, was sich auf der Höhe alles zugetragen hat, was sollen wir dann solchen Fragern für eine Antwort geben?“

09. Sage Ich: „Redet die Wahrheit und saget es, daß Ich es euch allen untersagt habe, solches der Welt kundzutun; und die Frager werden dann nicht mehr weiter in euch dringen, sondern sich damit zufriedenstellen.“

10. Mit diesem Bescheide war denn unser Hauptmann auch ganz vollkommen zufrieden, und wir begaben uns nun in die Stadt und in das Haus Ebahls.

154. Kapitel. Ein Heilwunder in der Herberge Ebahls zu Genezareth.

01. Als wir im Hause Ebahls ankamen, da kamen sogleich die Knechte und Diener des Hauses und sagten, daß in der Herberge etwa bei hundert Kranke angelangt seien und gefragt haben nach dem Herrn und Heilande Jesus von Nazareth.

02. Sage Ich zu den Knechten: „Gehet hin und saget es ihnen, daß sie sich nun ohne Rücksicht auf den Sabbat nur ganz ruhig und wohlgemut nach Hause begeben sollen; denn ihr Glaube an die Kraft Meines Wortes hat ihnen geholfen!“

03. Mit dem entfernten sich die Knechte, gingen zu den Kranken in der Herberge und staunten nicht wenig, als sie keinen Kranken mehr fanden; denn alle, die da krank waren, wurden in ein und demselben Augenblick gesund, ohne Rücksicht, ob sie Juden oder Heiden waren. Als die Knechte zu ihnen traten, hörten sie nichts als nur einen Lobgesang für die wiedererlangte Gesundheit ihres Leibes, und die Geheilten verlangten Mich zu sehen!

04. Die Knechte aber sagten: „Es steht uns nicht zu, euch solches zu gestatten; aber wir wollen einen Boten hinsenden. So Er es gestattet, da möget ihr hinziehen und Ihn sehen und sprechen; gestattet Er es aber nicht, so möget ihr euch nach Seinem Worte ganz ruhig und wohlgemut von hier entfernen, — denn Er ist nicht immer in der Verfassung, Besuche anzunehmen und noch weniger mit Sich reden zu lassen.“ — Mit dem kommt ein Knecht zu Mir und fragt Mich darum.

05. Ich aber sage: „Ich habe es euch ja gesagt, daß sie alle ruhig und wohlgemut nach Hause ziehen sollen, und so bleibe es dabei! Was sie suchten, haben sie erreicht, und für etwas Höheres haben sie weder Sinn noch einen zureichenden Verstand, und so lasset sie denn nach Hause ziehen!“

06. Mit diesem Bescheide kehrt der Bote wieder zurück und sagt den Genesenen das. Diese aber sagen: „Dem man eine Ehre und Lob darbringen will, da ist es ungeschickt, voraus zu fragen! Man ziehe hin und bringe ihm aller Wahrheit und Schicklichkeit gemäß das ihm gebührende Lob und den gebührenden Dank, und man wird gut entlassen werden! Gehen wir darum nur ganz mutig hin, und er wird uns, da wir in der besten Absicht der Welt zu ihm kommen, den Zutritt nicht verwehren!“

07. Mit diesen Worten begeben sich nun alle zu Mir ins Haus. Sie pochen an die Tür unseres großen Speisezimmers, aber niemand sagt: „Kommet herein!“ Aber sie pochen zu wiederholten Malen, und Ich sage zum Ebahl: „Laß sie herein ihres zudringlichen Glaubens wegen!“ — Und Ebahl ging und tat ihnen die Tür auf, und sie traten ins Zimmer, soviel ihrer Platz hatten, und fingen an, Mich allda laut zu preisen, und sprachen ihren Dank aus.

08. Ich aber hieß sie schweigen und sagte zu ihnen: „Ein Lob des Mundes und ein Dank der Lippen hat keinen Wert bei Gott, also auch bei Mir nicht! Der sich Mir nahen will, der nahe sich Mir mit seinem Herzen, so werde Ich ihn ansehen; aber ein leeres Geplärr des Mundes, bei dem das Herz weder etwas denkt und noch weniger etwas fühlt, ist vor Meinen Augen das, was da ist ein faules Aas vor den Nüstern der Nase. Was ihr suchtet, das ward euch zuteil; etwas anderes kennet ihr nicht, und euer leeres Lob behagt Mir nicht! Darum begebet euch nach Hause, und machet diesem Hause keine Ungelegenheiten! Hütet euch aber vor der Unzucht, Hurerei, vor Fraß und Völlerei, — sonst fallet ihr ehest wieder in noch ärgere Krankheiten, als von welchen ihr bis jetzt behaftet und geplagt waret!“

09. Diese Worte gingen den Genesenen zu Herzen, und sie fragten sich untereinander, wie Ich das habe wissen können, daß sie ihre Krankheit zumeist ihrer Geilheit zu verdanken hätten. Es überfiel sie eine Furcht vor Mir, da sie sich zu denken begannen: ,Er kann noch mehr von unseren eben nicht sehr löblichen Handlungen ans Tageslicht bringen! Wir gehen darum!‘ — Darauf verließen sie das Zimmer und begaben sich dahin, von wannen sie gekommen waren.

10. Dies fiel dem Hauptmann auf, und er fragte Mich und sagte: „Wie ist das, daß diese nun sich so plötzlich verloren haben? Du hattest kaum ihrer Sünden gedacht, und es trieb sie solches wie mit einer großen Gewalt zur Tür hinaus!“

11. Sage Ich: „Das sind so rechte Hurenhelden! Sie treiben Unzucht aller Art, und ein Ehebruch ist bei ihnen eine schon ganz gewöhnliche Sache geworden; bei ihnen sind die Weiber kommun (Gemeingut), und eine Jungfrau zu notzüchtigen, ist bei ihnen ein purer Lebensscherz! Aber unter ihnen gibt es auch Knabenschänder und solche, die mit Mägden auf eine unnatürliche, stumme sodomitische Art sich belustigen, weil sie sich dadurch vor bösen Ansteckungen verwahren wollen, aber deshalb in andere, noch schlimmere Krankheiten verfallen. Darum denn habe Ich diese Menschen so hart empfangen und entlassen; denn diese kann nur ein hartes Wort noch zu irgendeiner Besserung bringen.“

12. Sagt der Hauptmann: „Von welcher Gegend sind sie denn her?“

13. Sage Ich: „Aus der Gegend der Gadarener. Mehr gen Abend hin sind ein paar Flecken und vier Dörfer. Die Bewohner sind ein Gemisch von Juden, Ägyptern, Griechen und Römern. Sie haben wenig — und eigentlich gar keine Religion, und ihr Gewerbe besteht zumeist im Züchten der Schweine und dem Handel damit nach Griechenland und Europa, wo dieser Tiere Fleisch gegessen und ihr Fett als eine Würze der Speisen genossen wird. Es sind daher dies schon dem Gewerbe nach pur unlautere Menschen; aber ihre äußere Unlauterkeit wäre eben keine Sünde, so sie nicht in ihrem Tun und Lassen selbst um vieles ärger denn ihre Schweine wären. Ihr Tun und Lassen stellt sie tief unter die Schweine, und es wird mit ihnen schwer etwas auszurichten sein!“

14. Sagt der Hauptmann: „Nun, es ist sehr gut, daß ich das weiß. Jene Gemeinden stehen noch unter mir, und ich werde es sicher nicht ermangeln lassen, diesen Menschen einen Sittenwächter hinzustellen, der sie selbst bei der geringsten Ungebührlichkeit ganz gehörig auf die Finger zu klopfen verstehen wird, nach der gegebenen Instruktion. Na, wartet, euer geiles Leben soll euch schon morgen auf eine Art verleidet werden, daß es euch nimmer gelüsten soll, unreinste Begierden in dem Herzen aufkommen zu lassen und darauf denselben gewissenlos zu frönen!

15. Herr, ich bin zwar nur ein Mensch, habe es aber durch mein stets in Sachen der Regierung geschäftiges Leben dahin gebracht und habe es nur zu vielfach erfahren, um nun klar einzusehen, daß es für den gemeinen Menschen am allerbesten ist, so er mit einem ehernen Zepter regiert und dann und wann mit Ruten zum Guten gepeitscht wird. Wo das in einem großen Menschenvereine nicht der Fall ist, da geht ehestens alles aus den Fugen!“

16. Sage Ich: „Ja, ja, hier hast du recht, — aber nur in der dir angezeigten Gemeinde; wirst du aber allenthalben das von dir Vorgestellte anwenden, so wirst du mehr Schaden als Nutzen anrichten! Die Arznei muß sich stets nach der Krankheit richten, und nicht umgekehrt. Aber, wie gesagt, bei der angezeigten Gemeinde wird sie, das ist deine Arznei, wenigstens das Gute bezwecken, daß diesen Menschen ihre Geilheit sehr verleidet wird. Aber die Zuchtrute muß nicht in der Hand des Zornes, sondern in der Hand der wahren Liebe geführt werden!“

155. Kapitel. Eifer der Liebe.

01. Sagt der Hauptmann: „Herr, das sehe ich nun recht gut ein, aber dennoch weiß ich aus meinem Leben um einen besonderen Fall, wo alle Liebe nichts auszurichten vermochte; und der Fall war folgender: Es diente unter den vielen Soldaten, die unter mir stehen, ein junger, riesenhaft kräftiger Illyrier. Sein Schwert wog fünfzig Pfunde, und er dirigierte es dennoch mit einer Leichtigkeit, als hätte er eine Feder in der Hand. Dieser bezahlte Krieger, einen Panzer und einen Schild tragend, leistete in einer Schlacht mehr denn hundert andere Krieger. Im Kriege war er demnach gut zu gebrauchen, — aber nicht also im Frieden; da war er ränkesüchtig, und es verging keine Woche, in der er nicht irgendeinen neuen ärgerlichen Spektakel zum Vorschein gebracht hätte. Ich behandelte ihn stets liebevoll, stellte ihm das Böse und Schändliche seiner begangenen Spektakel so anschaulich als möglich vor und verwies ihm solche seine mutwillige Spektakelmacherei. Da gelobte er mir allzeit völlige Besserung und hielt sich darauf auch einige Tage ganz nüchtern und bescheiden; aber es währte so etwas nie über zehn Tage, so kamen schon wieder Klagen von allen Seiten, und wir mußten darauf natürlich Schadenersätze leisten. Fragte man ihn, warum er denn doch um aller Welt willen so etwas tue, so gab er allzeit dieselbe Antwort und sprach: ,Ich übe mich in der Kriegskunst, und da verschone ich außer den Menschen nichts, und mein Schwert muß an verschiedenen Gegenständen versucht werden!‘

02. Solche seine Kriegsübungen aber bestimmten ihn nicht selten, irgendeiner Herde Ochsen, Stiere, Kühe und Kälber einen Besuch zu machen und ihnen die Köpfe auf einen Hieb abzuhauen. Einmal hatte er einer Herde von komplett einhundert Ochsen die Köpfe abgeschlagen und brüstete sich hernach mit solcher seiner Heldentat, die uns eintausend schwere Silbergroschen Schadenersatz kostete! Da wurde ich denn auf den Menschen doch so voll Zorn, daß ich ihn gleich selbst vor Wut hätte in Stücke zerreißen mögen.

03. Ich aber ließ ihn mit schweren Ketten an einen Baum knebeln, seine Hände und Füße noch extra mit starken Stricken binden und ihn dann stäupen eine ganze Stunde hindurch, daß er darob in eine große Schwäche verfiel. Da ließ ich ihn dann in eine Pflege bringen, in der er in zwanzig Tagen wieder völlig hergestellt ward. Und sieh, das hat diesen Menschen, mit dem früher alle Liebe nichts ausrichtete, total umgeändert; er ward darauf der gelassenste und bescheidenste Mensch, den ich nach einem Jahre zum Unterführer machte, und er dankt mir nun für jene exemplarische Züchtigung noch heute, ohne die er nie ein Unterführer geworden wäre. Aber zu solcher Züchtigung hätte mich nimmer die Liebe zu bewegen vermocht, sondern allein der gerechte Zorn über den Menschen; und so meine ich, daß ein gerechter Zorn oft den Menschen gegenüber heilsamer ist denn zu viel noch so reiner Liebe!“

04. Sage Ich: „O ja, aber das ist dann nicht Zorn im eigentlichsten Sinne, sondern nur ein besonderer Eifer der Liebe im Herzen, der eine heilsame Kraft innehat. Mit dem wirke auch Ich, wenn es irgend not tut. Hätte die Liebe solchen Eifer nicht, so wäre die Unendlichkeit noch bis jetzt völlig wesenleer; nur dem großen Eifer der Liebe Gottes verdankt alle Kreatur ihr Dasein.

05. Und so war das, was dein Herz zur gerechten Züchtigung jenes mutwilligen Söldlings bestimmte, nicht Zorn und aus ihm hervorgehender Rachedurst, sondern ein besonderer Eifer deiner Liebe zu jenem Söldling, der dir ob seiner Tauglichkeit sehr am Herzen lag. Denn hättest du einen rechten Zorn über jenen Menschen bekommen, so hättest du ihn töten lassen; aber der Liebe Eifer zählte die nötigen Rutenhiebe, und du ließest ihn nur so lange stäupen, als du es berechnen mochtest, daß er solche Stäupung ertragen werde.

06. Also magst du mit jenen Gemeinden nötigenfalls wohl auch vorgehen; aber der erste Versuch geschehe dennoch durch die reine Liebe und durch eine rechte Belehrung. Denn so die Menschen die Einsicht überkommen, daß man ihnen nur ihres Heiles willen scharfe Gesetze gibt und ein unerbittliches Richteramt dazustellt, so werden sie sich solches alles gefallen lassen; erscheinen aber die scharfen Gesetze nur als eine tyrannische Willkür des Machthabers, so bessern sie niemanden und machen am Ende noch die Engel der Gemeinde zu Teufeln, die nichts suchen werden, als wie sie sich rächen könnten an dem, der sie allzeit für nichts und wieder nichts plagt ohne Ende und ohne irgendeinen ersichtlichen Grund. — Verstehest du solches?“

07. Sagt der Hauptmann: „Ja, Herr, das ist mir nun schon wieder sonnenhelle, und ich werde noch heute einen Boten mit einer Order an den dortigen Unterführer abgehen lassen, und morgen haben es jene Gemeinden schon zur Darnachachtung vorgelegt. Ich werde mich darum denn nun auch auf einige Augenblicke zu meinen Leuten begeben und werde solches sogleich ausfertigen lassen.“

156. Kapitel. Über die geschlechtlichen Verhältnisse der urgeschaffenen Engel.

01. Nach diesen Worten begibt sich der Hauptmann nach Hause; aber der Ebahl bittet ihn, nicht lange auszubleiben, da das Mittagsmahl bald bereitet sein werde. Und der Hauptmann spricht im Gehen: „Ich werde, wenn nichts besonders Wichtiges vorgefallen ist, sogleich wieder hier sein; und ist etwas Wichtiges vorgefallen, so werde ich einen Boten hierhersenden.“

02. Darauf eilt der Hauptmann flugs von dannen und verwundert sich nicht wenig, als er nach Hause kommt und sich von seinen Unterführern alles erzählen läßt, was unter der Zeit vorgefallen ist, wie er seine Order für die obbesagten Gemeinden auf Pergament und mit der Schrift seiner Hand geschrieben auf seinem Arbeitstische liegend findet. Er durchliest sie schnell und findet alles genau also, wie er sich's gedacht hatte. Er sendet nun gleich um einen schnellfüßigen Boten, und sieh, es kommt in römischer Soldatenkleidung eben unser Engel Raphael und bietet dem Hauptmanne seine Dienste an.

03. Der Hauptmann erkennt anfangs den Engel nicht und meint, er sei ein junger Krieger, der etwa von Kapernaum her ihm von Kornelius zugeteilt worden sei. Er fragt ihn daher, ob er sich's wohl getraue, diese ziemlich entlegene Sendung an den Unterkommandanten von Gadarenum zu übernehmen.

04. Sagt der Engel: „Herr deiner Macht, gib sie mir nur, und ich werde sie mit der Schnelligkeit eines abgeschossenen Pfeiles an Ort und Stelle bringen, und in wenigen Augenblicken sollst du die Antwort zurück in deinen Händen haben!“

05. Da erst besah sich der Hauptmann seinen Mann, erkannte in ihm den Engel Raphael und sagte darauf: „Ja, ja, dir ist so etwas wohl möglich; denn nun erst habe ich dich erkannt!“

06. Darauf übergab der Hauptmann dem Raphael die Order, und dieser war in einer kleinen Viertelstunde schon auch mit der Antwort zurück, in der der Kommandant von Gadarenum bestätigte, die Order von einem artigen jungen Krieger richtig erhalten zu haben, und er werde sie auch nach ihrem Geiste sogleich in Vollzug setzen.

07. Der Hauptmann wunderte sich nun über die Schnelligkeit Raphaels nicht mehr, sondern darüber nur, wie Raphael nun dennoch eine Viertelstunde zu dieser Botschaft hatte verwenden können.

08. Sagt Raphael: „Das war die Schreibzeit deines Unterkommandanten in Gadarenum. Es nehme dich darum nicht wunder; denn ich bedurfte keiner Zeit. — Aber nun gehen wir miteinander zu Ebahl; denn das Mittagsmahl ist bereitet, und die Gäste haben Hunger auf die tüchtige Reise vom Berge herab.“

09. Der Hauptmann geht nun sogleich mit dem Engel, der aber vor dem Hause Ebahls wieder in seiner angenommenen Genezarether Kleidung erscheint; und der Hauptmann fragt ihn, wohin er nun so schnell die Kleidung des Soldaten gebracht habe.

10. Der Engel aber lächelte und sagte: „Siehe, wir haben es leichter als ihr; denn wir tragen unsern überaus reichlichst bestellten Kleiderschrank in unserem Willen; was wir antun wollen, mit dem sind wir denn auch vollauf bekleidet. Würdest du mich aber sehen in meinem Lichtgewande, da würdest du erblinden, und dein Fleisch würde sich auflösen vor mir; denn gegen das Leuchten meines Kleides ist das Leuchten der irdischen Sonne die barste Finsternis.“

11. Sagt der Hauptmann: „Freund der Menschen dieser Erde! Die erstere Eigenschaft, sich ohne Stoff, bloß aus seinem Willen heraus, bekleiden zu können, wie man will, gefällt mir sehr, und die armen Menschen könnten sie besonders in der Winterszeit sehr gut gebrauchen; aber das ebenso mögliche überstarke Leuchten deines Lichtgewandes, vor dem keines Menschen Leben bestehen könnte, gefällt mir nicht, wenigstens jetzt auf dieser Welt nicht. Darum wollen wir darüber auch keine weiteren Forschungen anstellen. Aber eines möchte ich von dir noch erfahren; weil wir gerade nun so allein beisammen sind und uns vor niemandem zu genieren brauchen, so könntest du mir solches wohl enthüllen, und dieses eine besteht darin: Gibt es unter euch auch einen geschlechtlichen Unterschied?“

12. Sagt der Engel: „Das ist zwar eine etwas ungeschickte Frage; aber weil sie bei dir rein dem Wissenstriebe entstammt, so will ich dir darauf auch mit Nein antworten! Was wir urgeschaffene Geister sind, so ist bei uns zahllosen allein nur das männlich—positive Wesen als völlig ausnahmslos waltend; aber es ist dennoch in jedem von uns auch das weiblich—negative Prinzip vollkommen gegenwärtig, und so stellt ein jeder Engel in sich die vollkommenste Ehe der Himmel Gottes dar. Es hängt ganz von uns ab, ob wir uns in der männlichen oder in der weiblichen Form zeigen wollen, und das alles in einer und derselben geistigen Haut.

13. Darin aber, daß wir in uns selbst ein Zweiwesen sind, liegt auch der Grund, daß wir nie altern können, weil sich in uns die beiden Pole ewig gleichfort unterstützen; aber bei euch Menschen sind die Pole getrennt in eine geschlechtlich getrennte Persönlichkeit und haben darob, als jeder für sich seiend, keine Unterstützung in sich.

14. So aber die getrennten persönlichen Pole sich äußerlich berühren, da verlieren sie und gleichen einem Weinschlauche, der stets runzliger wird, je mehr man ihn seines geistigen Inhaltes beraubt hat. Könntest du dir aber einen Weinschlauch denken, der in sich gleichfort das erzeugen könnte, was man aus ihm nimmt, so würdest du an seiner Oberfläche nimmer dessen Form alt aussehen machende Falten und Runzeln entdecken. — Verstehst du solches wohl?“

15. Sagt der Hauptmann: „Ganz klar ist mir die Sache noch nicht; aber so ein wenig einen Dunst habe ich nun wohl. Wir werden darüber schon noch mehreres miteinander bei günstiger Gelegenheit reden. Nun aber wollen wir ins Haus gehen; denn man wird uns schon erwarten!“

16. Sagt der Engel: „Ja, ja, das wohl, und ich fühle auch schon in mir das, was ihr Hunger nennet.“

17. Sagt der Hauptmann: „Oho, du bist doch ein reinster Geist!? Wie wirst du materielle Kost genießen können?“

18. Sagt Raphael lächelnd: „Besser denn du! Bei mir wird alles, was ich in mich hineinnehme, völlig verzehrt und ins beschauliche Leben umgestaltet, — bei dir nur das, was deiner isolierten Lebenspolarität entspricht, das Unentsprechende aber wird dann durch den natürlichen Gang von dir hinausgeschafft; und so bin ich ja viel besser daran denn du in Hinsicht des Essens und Trinkens!“

19. Sagt der Hauptmann: „Wird denn auch im Himmel gegessen und getrunken?“

20. Spricht der Engel: „O ja, aber nicht auf die Weise, wie auf der Erde, sondern geistig! Wir haben das Wort Gottes von Ewigkeit auch in uns, wie aus eben dem Worte Himmel und alle Schöpfung bestehen und mit demselben überall erfüllet sind; und dieses Wort ist vorerst unser wesenhaftes Sein und für solches Sein auch das einzige, wahrhaftigste Lebensbrot und der wahrhaftige Lebenswein. In unsern Adern rollt er wie in euren das Blut, und unsere Eingeweide sind voll des Brotes Gottes.“

21. Sagt der Hauptmann: „Oh, das ist ungeheuer weise gesprochen; das fasse ich wohl nicht, das muß mir der Herr Selbst näher enthüllen! — Aber nun haben wir etwa wohl die höchste Zeit, ins Haus zu treten und wollen uns darum in keine weiteren Besprechungen mehr einlassen.“

157. Kapitel. Über Almosengeben und Gedenktagefeiern.

01. Während der Hauptmann solches noch spricht, kommt ihm unsere fromme Jarah entgegen und sagt: „Aber ihr bleibet lange aus! Du mein lieber Raphael scheinst dich auch schon nach der faulen Weltzeit richten zu wollen! Wahrlich, das ging nicht so schnell wie unsere Reise nach jener entfernten Sonne! Kommet jetzt nur schnell herein; denn die Speisen sind schon auf dem Tische!“ — Beide gehen nun schnell hinein und begrüßen Mich auf das freundlichste.

02. Der Hauptmann wollte Mir seinen Dank für Meine Fürsorge darbringen, aber Ich sagte zu ihm: „Freund, Mir genügt dein Herz! Die Speisen haben schon auf euch gewartet, darum heißt es jetzt vor allem dem Leibe die nötige Stärkung geben und darauf erst sich wieder an das Geistige wenden.“

03. Alle danken nun und fangen an, ganz wacker zu essen und zu trinken, und der Hauptmann betrachtet immer den Engel, wie dieser so recht wacker in die Schüsseln greift und seinem Weinbecher auch recht fleißig zuspricht.

04. Der Hauptmann kann sich am Ende nicht mehr halten und sagt so halb scherzweise: „Nun, nun, die reinen Geister haben wahrlich einen gesunden Appetit! Mein guter Raphael ißt hier für drei; nein, so etwas hat wohl die Erde noch nicht erlebt!“

05. Sagt Ebahl: „Es wundert mich nun auch über die Maßen; aber ich sehe noch etwas, das mich mehr noch wundernimmt denn sein ziemlich starkes Essen. Sieh, in seiner Schüssel wird daran nichts weniger! Hier gilt wahrlich der Weisheit Spruch: ,Was der Himmel nimmt, das gibt er im nächsten Augenblick wieder!‘ Dieser Tisch soll von mir als ein bleibendes Heiligtum für alle Zeiten bei meinen Nachkommen in allen Ehren aufbewahrt werden, und alljährlich soll ein Fest dahin gestellt sein, daß an diesem Tische alle Armen des Ortes sollen gespeist und getränkt werden!“

06. Sage Ich: „Laß du den Tisch Tisch sein und bleibe du, wie du warst! Und wenn ein Armer zu dir kommt und du etwas hast, so unterstütze ihn an jeglichem Tage; aber ein jährliches Festessen nützt weder dem Armen noch dir etwas, und Ich habe daran keine Freude. Der Meiner gedenkt, der tue das alle Stunden des Tages; ein jährliches Gedenken aber kann Ich nicht brauchen!

07. Wenn du solch ein Fest bestimmtest, da glichest du ja den Templern zu Jerusalem, die auch dreimal im Jahre Gedächtnisfeste feiern und an denselben, wegen des Gebrauchs, den Armen Brot austeilen lassen, als könnte dann der Arme von solch einem Stückchen Brot von einem Feste bis zum andern ohne weitere Nahrung leben! O des Unsinns solcher lächerlichen Feste! Die Pharisäer wohl nehmen an solchen Festtagen so viel an reichen Opfern ein, daß sie von dem Ertrage nur eines Festes hundert weitere Jahre ganz gut leben könnten; aber der Arme soll sich begnügen, so er im Jahre dreimal ein kaum ein achtel Pfund schweres Stück Brot bekommt. O der großen Narrheit, Dummheit, Blindheit und selbstsüchtigen Bosheit! — Darum laß du diesen Tisch das sein, was er ist, und du wirst darauf das Mir angenehmste Fest feiern, so du täglich nach deinen Kräften einen oder den andern Armen an diesem oder auch an einem andern Tische sättigst!

08. Und käme ein und derselbe Arme an jeglichem Tage zu dir, so frage ihn ja nicht, ob er anderswo nichts bekomme; denn solches würde dem Armen ein banges Herz machen, daß er sich dann lange nicht wieder getraute, zu dir zu kommen, und dein gutes Werk verlöre dadurch allen Wert vor Mir!

09. Ich will es aber auch nicht, daß du den noch kräftigen Müßiggängern, die Arbeiten zu leisten fähig sind, das Brot der Armen teilen sollst; denen, so sie kommen, gib eine ihren Kräften angemessene Arbeit! Werden sie dir eine oder die andere Arbeit verrichten, da gib ihnen auch zu essen und zu trinken; werden sie aber die Arbeit nicht annehmen, so gib ihnen auch nichts zu essen! Denn wer da Kräfte hat, aber nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen!

10. Siehe, wenn du danach deine Handlungen einrichten wirst, so wirst Mir du allzeit ein angenehmstes Gedenkfest bereiten; aber mit deinem beabsichtigten Jahresfeste bleibe du Mir allzeit vom Halse! Denn ein solches Jahresfest ist der größte Unsinn, den ein Mensch begehen kann, weil damit niemandem in irgend etwas gedient ist, — außer dem Festveranstalter, der an einem solchen Jahresfeste irgendeinen Opfernutzen sich verschaffen kann!

11. Um was ist denn die Zeit eines Jahres besser denn die eines Tages? Wer zum Beispiel den Geburtstag seines Vaters ehrt einmal im Jahre, der sollte ja auch an jedem Tage die Geburtsstunde ehren, was sicher besser wäre denn der jährliche Geburtstag!

12. Ich sage es dir, alle dergleichen Gedächtnisfeste der Menschen haben vor Mir keinen Wert, außer sie werden täglich, ja stündlich im Herzen lebendig begangen. So sind die Neumonde, die Jubeljahre, das Fest der Befreiung Jerusalems aus der Gewalt Babylons, das Fest der Wiedererbauung der Stadt und des Tempels, das Fest Mosis, Aarons, Samuels, Davids und Salomons leere Dinge, an denen der Wahrheit nach kaum soviel liegt als an dem Regen, der vor tausend Jahren ins Meer fiel.

13. Anfangs werden diese Feste wohl in einer Art religiösen Aufschwungs begangen, und die Festanten erinnern sich dabei der Person oder irgendeiner bedeutenden Handlung, die sie selbst erlebt haben, noch sehr lebhaft. In der zweiten, dritten, vierten oder gar zehnten Generation wird es zu einer leeren Zeremonie, bei der Tausende kaum mehr wissen, warum sie begangen wird, — und späterhin geht die ganze Sache ins eitle Heidentum über.

14. Übrigens will Ich damit wahrhafte Gedächtnisfeste nicht aufgehoben haben; aber sie müssen nebst der Alljährlichkeit auch die Täglichkeit im Herzen führen, ansonst sie als tot und somit wirkungslos anzusehen sind. Aber hier mit dem Tische bleibe es, wie Ich es dir gesagt und gezeigt habe!“

15. Sagt Ebahl: „Soll alles genauest beachtet werden, was Du, o Herr, nun allergütigst und allerwahrst gezeigt hast; aber dafür wollen wir die Tagesfeste in unseren Herzen desto emsiger begehen und wollen uns dabei nach allen unsern Kräften in der Nächstenliebe üben und durch sie die herrlichsten Gedächtnisfeste begehen!“

16. Sage Ich: „So ihr in dem verbleiben werdet, da werde auch Ich verbleiben in euch, und man wird daraus erkennen, daß ihr wahrhaft Meine Jünger seid!

17. Nun aber haben wir gegessen und getrunken zur Genüge; erheben wir uns darum vom Tische und begeben uns hinaus zu unsern Schiffern, und sie werden euch so manches Seltene zu erzählen wissen! Hier hätten wir wenig Ruhe, da in einer Stunde wieder eine Karawane aus Bethlehem hier anlangen wird, darunter einige junge Erzpharisäer, mit denen Ich durchaus in keine Berührung kommen will; sehet, daß sie heute noch bis nach Sibarah fortgeschafft werden!“

18. Sagt der Hauptmann: „Dafür wird gesorgt sein! Denn nun ist mir auf der Erde kein Mensch widerwärtiger denn ein Erzpharisäer!“ — Auf diese Worte erheben wir uns alle und eilen hinaus zu unseren Schiffern ans Meer.

158. Kapitel. Dre 47. Psalm Davids.

01. Wir treffen die acht Schiffsleute gerade beim Lesen der Psalmen Davids. Als sie uns erschauen, da erheben sie sich vom Boden, begrüßen uns, und ihr Meister geht auf Mich zu und sagt: „Herr, Du allein könntest uns aus einer Verlegenheit retten! Gestern gen Abend hin kamen etliche Pharisäer und Schriftgelehrte zu uns und verlangten eine Überfahrt gen Zebulon und Chorazin, und wir verweigerten ihnen solche mit dem, daß wir nicht Herren, sondern nur Knechte des Schiffes seien und nun am Vorsabbat mit der Lesung der Psalmen zu tun hätten. Da verlangte ein junger Schriftgelehrter die Psalterrolle und schlug auf den 47. Psalm und las:

02. ,Frohlocket mit Händen, alle Völker, und jauchzet Gott mit fröhlichem Schalle; denn der Herr, der Allerhöchste, ist erschrecklich, ein großer König auf dem ganzen Erdboden. Er wird alle Völker unter uns zwingen und die Leute unter unsere Füße! Er erwählt uns zum Erbteil, die Herrlichkeit Jakobs, den Er liebt. Gott fährt auf mit Jauchzen, und der Herr mit heller Posaune. Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserem Könige! Denn Gott ist der König auf dem ganzen Erdboden; darum lobsinget Ihm klüglich! Gott ist auch der König über alle Heiden; Gott sitzt auf Seinem heiligen Stuhle. Die Fürsten unter den Völkern sind versammelt zu einem Volk vor dem Gott Abrahams; denn Gott ist sehr erhöht bei den Schilden auf Erden!‘

03. Als er solchen Psalm schon gelesen hatte, fragte er ganz voll Ernstes: ,Verstehet ihr diesen Psalm?‘ Und wir mußten seine Frage leider mit Nein beantworten. Heute aber haben wir uns seit früh unsere Köpfe zerbrochen, wissen aber dennoch nicht mehr denn gestern. Tausend Male haben wir an Dich gedacht; wenn Du, o Herr, es wolltest, so könntest Du uns darüber wohl ein kleines Lichtlein geben!“

04. Sage Ich: „Sehet an dies Mägdlein, das Ich an der Hand führe! Fraget sie darum, die wird euch darüber schon ein rechtes Licht geben!“

05. Sagt der Schiffsknechtmeister: „Dies Mägdlein kann kaum vierzehn Sommer haben! Woher käme ihr die Weisheit des Salomon?“

06. Sage Ich: „Ja, ja! Nicht nur die Weisheit des Salomon, sondern die Weisheit der Weisen der Erde und sehr vieles darüber wohnt in ihrem reinsten Herzen! Bis jetzt ist es noch keinem Menschen gelungen, hinter die Sterne zu schauen; fraget sie, und sie wird es euch verkünden! Den berühmten ,Stein der Weisen‘ trägt sie in ihrer Schürze; darum wird sie euch den kurzen, aber dennoch inhaltsreichen Psalm wohl zu enthüllen imstande sein. Versucht es nur, und ihr werdet euch überzeugen!“

07. Sagt der Schiffsknechtmeister zu seinem Gefährten: „Sie sieht aber im Ernste schon ganz entsetzlich gescheit aus! Nur ist sie dabei von einer wahrhaft engelschönen Gestalt, was eben nicht zu Gunsten ihrer Weisheit spricht! Denn bis jetzt habe ich es noch immer erfahren, daß die schönsten Mädchen auch immer die dümmsten waren, was etwas ganz Natürliches ist. Die schönsten Kinder werden zu sehr verzärtelt und einbilderisch gemacht und lernen darum wenig oder nichts; mit einem minder schönen Kinde aber macht man gewöhnlich nicht viel Aufhebens. Man straft es leicht bei jeder Ungezogenheit, das Kind wird dadurch demütig und bescheiden, es gehorcht, duldet und lernt dabei recht viel. Aber wir wollen sehen, was dies im vollsten Ernste himmlisch schöne Mädchen uns über unsern Psalm zu geben imstande sein wird.“

08. Hierauf wendet sich der Schiffsknechtmeister an die Jarah und befragt sie darum, und diese sagt mit der liebfreundlichsten Miene von der Welt: „Liebe Freunde, nicht, als hätte ich solches irgend erlernt und wüßte nun darum wie ein Schriftgelehrter, sondern ich fühle es lebendigst in mir, daß das, was Davids prophetischer Geist vor mehreren hundert Jahren geweissagt hat, nun vor unsern Augen in die vollendetste Erfüllung gekommen ist. Solches solltet ihr ja auch auf den ersten Wurf in euch wahrgenommen haben!

09. Habt ihr nicht gesehen, wie Er, von dem David spricht, und der nun hier unter uns weilet körperlich, auf dem Meere gewandelt ist, als wäre es ein trockenes Land, und sahet ihr nicht, wie Er nun in wenigen Tagen bloß durch Sein Wort Tausende von allerlei Kranken geheilt hat? Die Blinden bekamen ihr Gesicht, die Tauben ihr Gehör, die Aussätzigen wurden rein, die Lahmen und Krummen gerade! Und da sehet diesen vor uns stehenden Berg; wie sehr machte eine Nacht ihn verändert! Wer kann die Berge versetzen und das Meer heben aus dem Grunde? Wer ist Der, dem alle Engel und alle die Elemente gehorchen?! Seht, da vor uns stehet Er körperlich; Diesen meinte David!

10. Dem sollen wir mit Händen frohlocken durch Werke wahrer, echter Nächstenliebe, und Ihm sollen wir entgegenjauchzen mit der reinen Stimme der Wahrheit ohne Trug, ohne Falsch und ohne Hinterlist! Denn wehe jedem, der Ihm mit dem unreinen Schalle der Lüge entgegenjubeln möchte! Denn wie lieblich und sanft Er auch ist den Gerechten, ebenso erschrecklich ist Er denen, die Lüge, Falschheit und Trug in ihrem Herzen bergen, wie es auch geschrieben steht: ,Erschrecklich ist es, zu fallen in die Hände Gottes; denn Gott ist ein allmächtiger König über den ganzen Erdboden, vor Ihm kann sich niemand irgendwo verbergen!‘

11. Er ist nun da, durch die Macht Seiner Lehre alle Völker zu nötigen, unter uns zu treten, um unseres Heiles teilhaftig zu werden, und die Leute, darunter zu verstehen sind die Kinder der Welt, zum Gericht unter unsere Füße zu legen! Denn nur uns hat Er zu Erben des ewigen Lebens gemacht; ja wir sind Sein Erbteil! Er ist es, von dem Jakob sagte: ,O Herr, Du allein bist meine Herrlichkeit!‘ Und dieweil Jakob solches im Herzen bekannte, so ward er ein Liebling Gottes, ein Liebling Dessen, der hier unter uns weilet!

12. Aber Er wird nicht immer also unter uns verweilen, sondern bald wieder auffahren in Seine ewigen Himmel, und zwar mit der fröhlichen Stimme der ewigen Wahrheit, durch die Er eine neue Erde und einen neuen Himmel geschaffen hat, für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten; und Er ist und wird sein der Herr, und der helle Klang Seiner Posaune, die da ist das zu uns geredete Wort, wird solches verkünden aller Kreatur auf und in der Erde und auf und über allen Sternen, geistig und materiell.

13. Diesem also sollen wir nach der Aufforderung Davids lobsingen; denn Dieser ist unser Gott und unser alleiniger König ewiglich!

14. Da wir aber wissen, was Er ist, so sollen wir mit reinem und weisem Herzen Ihn ehren und lobpreisen, und nicht nach Art der heuchlerischen Pharisäer, die sich einem falschen Jehova mit ihren Lippen nahen, aber dabei ihr Herz vor diesem wahren und lebendigen Jehova verschließen und sich von Ihm entfernen.

15. Er ist aber nicht nur unser Gott und König, sondern auch der der Heiden auf dem ganzen Erdboden; denn Er allein sitzet über allen Menschen und über die ganze endlose Schöpfung auf dem ewigen Stuhle Seiner unbegrenzten Macht und Herrlichkeit. Vor Ihm müssen sich alle Fürsten der Erde versammeln, wie ihre Völker vor ihnen; denn Er ist der alleinige Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Er allein ist erhöhet durch Sich über alles, auch über alle Schilde der Mächtigen dieser unserer weiten Erde!

16. Daß Er zu uns kam, das ist eine selbst den Engeln unbegreifliche Gnade! Aber als Er kam, kam Er nicht unangekündigt; denn es haben davon alle Propheten geweissaget. Aber viele der Weissagungen konnten von den Menschen wegen der stets wachsenden Härte ihrer Herzen nicht verstanden werden. Nun aber ist Der Selbst gekommen, von dem die Propheten geweissagt haben, und Er Selbst offenbaret Sich allen Menschen, die da eines guten Willens sind.

17. Denen aber, die ein böses und hochmutsvolles Herz haben, kann Er nicht anders denn erschrecklich sein! Denn die Bosheit hat gleichfort die allmächtige ewige Gerechtigkeit zum unerbittlichsten und unbestechlichsten Richter über sich! Gleichwie eine gute, fühlbare Waage schon einen merklichen Ausschlag gibt, so man nur ein Haar auf der einen Seite hinzulegt, ebenso kann vor Ihm, der hier ist, keine noch so geringe Falschheit, Verkehrtheit, Bosheit, Ungerechtigkeit und jede andere Ungeschlachtheit des Herzens bestehen! Darum muß Er erschrecklich sein jeglichem Sünder, in dessen Brust ein hartes, verstocktes und böses Herz hänget. — Verstehet ihr nun den 47. Psalm Davids?“

159. Kapitel. Von der Feindesliebe.

01. Sagt der Schiffsknechtmeister: „Herrlichstes Mädchen! Wer gab dir solch eine Weisheit? Wahrlich, du bist weiser denn Abraham, Isaak und Jakob!“

02. Sagt die Jarah: „Habe ich euch doch soeben gezeigt, wer Der ist, der nun unter uns ist; wenn aber unbestreitbar also, wie möget ihr noch fragen und sagen, woher mir solche Weisheit ward, oder wer sie mir gegeben hat? Da vor uns allen steht der große, heilige Geber aller guten Gaben! Er allein ist weise, und Er allein ist vollkommen gut! Wer Ihn liebt und glaubt in seinem Herzen, daß Er aus Sich heraus ist der Herr Jehova Zebaoth von Ewigkeit, in dessen Herz wird Er Sein unerschaffenes ewiges Licht geben, und es wird dann helle werden im ganzen Menschen; und ein solcher Mensch wird dann sein voll der wahren göttlichen Weisheit durch und durch. — So ihr irgendein Verständnis habt, da muß es euch nun klar sein, wie es nun um uns alle steht!“

03. Sagt der Schiffsknechtmeister: „Ja, ja, du allerliebstes Engelchen! Wir verstehen es nun wohl, und es wird wohl also sein, wie du es uns nun erklärt hast; aber die gestern abend von uns verlangten, nach Zebulon und Chorazin überbracht zu werden, die werden das nicht annehmen und daher noch weniger fassen. Wir sind ganz einfache Menschen, und bei uns braucht es kaum eines Wunders, daß wir es glauben; aber bei jenen wird ein Wunder noch schlechtere Früchte erzeugen denn kein Wunder.“

04. Sagt die Jarah: „Deshalb wird Er ihnen aber auch erschrecklich werden; denn die Winde werden Sein Wort über alle Erde hinaustragen! Wehe dem, der es hören, fassen und am Ende dennoch verwerfen wird!“

05. Sage Ich zu den Knechten: „Nun, wie gefällt euch der Verstand dieser Meiner Tochter?“

06. Sagen die Knechte: „Herr und Meister! Wenn Du im Ernste Der bist, der Du nach der weisesten Rede dieses allerliebsten Engels von einem Mädchen sein sollst, so ist es ja kein Wunder mehr, daß dies Mägdlein also weise ist; denn Der zu Bileams Zeiten vermochte dem Esel zu lösen die Zunge also, daß sie dem Bileam weissagen konnte, Dem muß es ja ein noch leichteres sein, eine sprachgewandte Zunge eines vierzehnjährigen Mädchens für die Weissagung geschickt zu machen!

07. Wir glauben es nun alle, daß Du das bist, als was Dich uns dies Mägdlein laut vor unsern Augen und Ohren bezeichnet hat, und es bedarf dazu keines neuen Wunders mehr! Aber, da Du, o Herr, das bist, so sieh an unsere große Schwachheit und wandle sie um in eine gerechte Stärke, daß wir dadurch uns schützen können vor den allzeitigen Feinden des Lichtes und der Wahrheit! Denn es ist wahrlich traurig, daß wir Juden nun bei den Heiden Licht und Wahrheit suchen müssen. Jerusalem ist, anstatt allen Menschen eine hellste Leuchte zu sein, ein Pfuhl der gröbsten Nacht und Finsternis und eine Mördergrube des alten reinen Geistes der Juden geworden; und so wir nun Licht und Wahrheit wollen, müssen wir in Sidon und Tyrus es suchen gehen bei den Griechen und Römern! Darum, Herr und Meister, da Dir alle Dinge möglich sind, so gib uns Licht und Kraft, daß wir die Wahrheit erschauen und sie dann beschützen können vor den Feinden!“

08. Sage Ich: „Der Friede sei mit euch und unter euch! Keiner dünke sich zu sein über den andern! Ihr alle seid gleich Brüder; aber der sich am geringsten zu sein dünkt und will aller andern Knecht und Diener sein, der ist unter allen dennoch der Meiste und der Höchste! So Ich euch aber zu Knechten begehre, da seid ihr in aller Wahrheit auch Meine Macht. Und so ist jeglicher Knecht seines Herrn Stärke, — aber der Herr ist darob des Knechtes Gerechtigkeit! Liebet euch untereinander, tut Gutes euren Feinden, segnet jene, die euch fluchen, und bittet für jene, die euch verwünschen! Vergeltet Böses mit Gutem, und leihet euer Geld nicht denen, die es euch hoch verzinsen können, so werdet ihr des Segens und der Gnade Gottes in Fülle in euch haben! Daraus wird euch dann das Licht, die Wahrheit und alle Macht und Kraft in aller Kürze zuteil werden; denn wie ihr ausmesset, also wird es euch wieder rückgemessen werden!“

09. Sagt ein unterer Knecht: „Herr, wir sehen und fühlen es, daß Deine Lehre wahr und echt ist; aber wir fühlen es auch, daß sie schwer zu halten sein wird! Es ist sicher sehr löblich und himmlisch schön, denen Gutes zu tun, die da bemüht sind, uns gleichfort einen Schaden zuzufügen; aber wer kann der oft nur zu schmählichen Bosheit der Menschen mit einer stets gleichen Geduld entgegentreten? Und es fragt sich sehr, ob man dadurch dem bösen Willen der Menschen nicht noch mehr Vorschub leistete, als so man sie für ihre böse Tat züchtigt. So man Diebe und Mörder für ihre Untaten noch belohnete, da würden bald wenig Menschen mehr der Erde Boden betreten! Darum muß man dem Feinde allzeit eine feste Stirne bieten und muß um sein Haus ein dorniges Bollwerk ziehen, auf daß dem Feinde für immer die Lust vergehe, einem zu schaden. So wird das des Feindes Sinn sicher eher zur Freundlichkeit stimmen, als so man ihm noch obendrauf für die einem erwiesene Untat eine Wohltat entgegen erweise!“

10. Sage Ich: „Ja, ja, das ist wohl recht gut menschlich gedacht, aber von Göttlichem ist dennoch keine Spur dabei. Durch die Strafe wirst du den Menschen, der dir Übles tat, wohl abschrecken, daß er es nicht so leicht wieder versuchen wird, dir einen Schaden zuzufügen, — aber freund wird er dir darum nimmer! Hast du ihm aber für etwas Arges, das er an dir begangen hat, zur rechten Zeit, da er in eine Not kam, eine Wohltat erwiesen, so wird er seine Sünde, die er an dir beging, einsehen, wird sie tief bereuen und wird von der Stunde an dein glühendster Freund werden!

11. Und so wird die für seine arge Tat ihm erwiesene Wohltat ihn bessern für immer; aber die dafür erlittene Strafe wird ihn für dich zu einem noch sechzigfach größeren Feind umgestalten!

12. Entstand die erste an dir begangene Sünde etwa nur mehr durch eine Art Mutwillen und Schadenfreude, so wird die zweite Sünde dir aus Zorn und Rache zugedacht werden; darum sage Ich es euch noch einmal: Tut das, was Ich euch vorhin gesagt habe, so werdet ihr der Gnade Gottes und Seines Segens in aller Fülle teilhaftig werden!

13. Denn wer von Mir tatsächlich gesegnet sein will, der muß Mein Wort, darin alle Gnade, alles Licht, alle Wahrheit und alle Macht wohnt, auch tatsächlich annehmen, ansonst es unmöglich wäre, ihm irgendeine Gnade zu erteilen.

14. Nehmet euch aber alle ein Beispiel an Mir; denn Ich bin von ganzem Herzen sanftmütig und demütig und habe mit jedermann die größte Geduld! Scheint die Sonne nicht im gleichen Maße über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte, und fällt der fruchtbare Regen nicht auf das Feld des Sünders so gut wie auf das Feld des Gerechten? Seid demnach in allem vollkommen, wie da vollkommen ist der Vater im Himmel, und ihr werdet der Gnade und alles Segens aus den Himmeln in Überfülle haben! — Verstehet ihr wohl solches?“

15. Sagen nun alle: „Ja Herr, wir verstehen es nun alle recht wohl! Es ist schon also alles wahr, gut und somit in der vollsten Ordnung, und wir werden uns auch alle die möglich größte Mühe geben, das alles buchstäblich zu beachten; aber bei allem dem wird uns wenigstens der Anfang eine große Mühe kosten!“

16. Sage Ich: „Ja, Meine lieben Freunde, in dieser Zeit braucht das Himmelreich Gewalt! Die es nicht mit Gewalt an sich reißen, werden es nicht einnehmen! Ein jeder aber, der sich einen Kampf antut des Himmelreichs wegen, ist ein Weiser und ein kluger Baumeister. Ein weiser und kluger Baumann aber baut sein Haus nicht auf den losen Sand, sondern auf einen festen Felsengrund; und so dann kommen Stürme und Wasserfluten, da können sie dem Hause nichts anhaben, denn es steht auf einem Felsen.

17. Also ist es auch bei dem Kampfe in sich um das Himmelreich. Wer es einmal in sich erkämpft hat, der hat es unverwüstbar für ewig auf sich gezogen. Da mögen was immer für Weltstürme über ihn kommen, und sie werden ihm nichts anzuhaben imstande sein. Aber wer es da in sich nicht erkämpft hat mit allem Aufwande seiner Kraft und seines Mutes, der wird in den Stürmen der Welt mitgerissen werden und wird verlieren auch noch, was er schon hatte! — Dieses alles merket euch wohl; denn es werden Zeiten kommen, in denen ihr dieses alles gar sehr benötigen werdet!“

18. Sagen nun die Schiffsknechte: „Wir können Dir, o Herr, für alles das nichts als nur einen schlichten Dank darbringen und sehen es nun nur zu klar ein, daß der Mensch aus sich Gott dem Herrn nichts geben kann, was er nicht zuvor von Ihm empfangen hätte; aber nimm Du, o Herr, diesen unsern Dank dennoch also, als wäre er vor Dir etwas, und gebiete, was wir Dir zur Ehre und zur Liebe tun sollen!“

19. Sage Ich: „Ich habe es euch schon gesagt; tut das, — es bedarf da nichts Weiteres mehr! — Erzählet uns aber nun, was ihr in dieser Nacht alles gesehen und allenfalls auch gehört habt; denn Schiffsleute sehen in der Nacht oftmals recht seltene Dinge. Aber fasset euch in der Erzählung kurz und setzet nichts hinzu, noch lasset geflissentlich etwas weg, um das ihr wißt!“

160. Kapitel. Erzählung der Schiffer über ihre Erlebnisse in der vergangenen Nacht.

01. Wir alle setzen uns nun um die Schiffer auf den schönen Rasen. Nur Raphael bleibt stehen, und ein Schiffsknecht sagt zu ihm: „Bursche, setze dich auch, der Rasen ist ein Gemeindegut, und da braucht fürs Daraufsitzen kein Mensch etwas zahlen!“

02. Der Engel aber sagte: „Erzählet ihr nur fort; ich werde mich schon setzen, wenn ich des Stehens müde werde! Zudem könnte es denn doch geschehen, daß von euch einer oder der andere das Gleichgewicht verlöre, und ich kann da schneller bei der Hand sein, jemandem wieder auf die Beine zu helfen.“

03. Sagt der eine Schiffer: „Du wohl du, du fünfzehnjähriger Milchbursche! Dir hängen noch die Windeln an den Beinen, und du traust dir die Kraft zu, unsereinen aufzuheben, so er fiele? Das heißt, mein Lieber, sich ein bißchen zuviel zutrauen!“

04. Sagt der Engel: „Fanget einmal zu erzählen an nach dem Wunsche des Herrn; das andere wird sich dann schon zeigen, wenn es allenfalls nötig werden sollte!“

05. Darüber stellt sich der etwas rohe Schiffsknecht zufrieden, und der Schiffsknechtmeister beginnt folgende Erzählung: „Es war so um die erste Nachtwache, da ward es auf einmal sonderbarerweise helle wie am Tage; aber wir sahen nirgends etwas Leuchtendes und dachten uns, es müsse allenfalls etwa hinter den Bergen ein indisches Feuer brennen in großem Maße, und es werde von selbem die Luft also helle gemacht. Nur war die Helle offenbar zu stark, als daß wir sie als von einem indischen Feuer abstammend hätten erkennen sollen; aber sei ihm nun wie ihm wolle, die Helle war einmal beinahe die ganze Nacht vorhanden und ward manchmal so stark, daß wir uns im hellsten Tage zu befinden wähnten. Daß es uns dabei dennoch ein wenig unheimlich zumute war, läßt sich leicht denken. Es kamen auch mehrere aus der Stadt zu uns und meinten, das Meer leuchte so stark.

06. Aber wir alle wurden nur zu bald einer andern Erscheinung gewahr, und diese war noch um vieles merkwürdiger! Wir wollten nun alle das Meer in einen größern Augenschein nehmen. Und sieh — aber ich bitte, uns da nicht auszulachen! —, es war kein Tropfen Wasser darin, und unser Schiff ruhte auf trockenem Boden; wir aber hatten da Gelegenheit, die ganze Tiefe des Meeres zu schauen. Es war schauderhaft! Unser Schiff lehnte auf einem vorspringenden Felsen; aber auf allen Seiten des Felsens war auch ein Abgrund von mehreren hundert Mannshöhen. Da in die Bucht gen Genezareth hinein aber ist durchgängig nur ein seichter Grund, und wir wandelten darin herum und klaubten eine Menge recht schöner und seltener Muscheln und Schnecken zusammen.

07. Als wir aber ganz harmlos mit unserm Sammeln beschäftigt waren, seht, da geschah auf einmal ein heftigster Blitz, dem ein überaus starker Donner folgte. Wir flohen jählings ans Ufer, vergaßen darob unsere gesammelten schönen Muscheln und getrauten uns dann aber auch nicht mehr, dieselben holen zu gehen, und sie blieben darum bis auf ein paar, die ich in den Sack gesteckt hatte, dort, wo wir sie fanden. Aber erst nachdem etwa in der dritten Nachtwache das Meer wieder so wie zuvor die Ufer füllte und bespülte, fiel es uns stets mehr und mehr auf, was dies mit dem doch schön großen Meere für eine Bewandtnis hatte haben müssen, daß es auf einmal so gänzlich bis auf den letzten Tropfen sich irgendwohin hat verlaufen können!

08. Aber da sagte zu uns ein alter Mann, der auch hier zu Hause sei, solches täten dann und wann die erzürnten Berg— und Luftgeister und strafeten dadurch die Wassergeister! Wir lachten zwar, aber in der Not ist schon eine schlechte Erklärung besser denn gar keine. Etwa in der vierten und letzten Nachtwache ward es dann erst etwas dunkler, und wir gingen in unser Schiff und legten uns ein wenig zur Ruhe. Als wir aber wach wurden, stand die liebe Sonne schon ziemlich hoch, und wir sahen uns um ein Morgenmahl um. — Das ist in Kürze alles, was wir in dieser Nacht erlebt und beobachtet haben.“

161. Kapitel. Der Schiffsknecht und Raphael.

01. Als der Schiffsknechtmeister diese seine Erzählung beendet hatte, da glitt der früher rauhe Schiffsknecht bei einem etwas ungeschickten Tritte aus beim Gehen ins Schiff, aus dem er seine Muscheln holen wollte, deren auch er einige in der Eile mitgenommen hatte — d.h. in der Nacht aus dem trockenen Meeresgrunde —, und fiel seiner ganzen Länge nach hin, als ob er nie gestanden wäre. Da fingen die andern Knechte an, ihn auszulachen und sagten: „Das ist doch gleichfort der alte ungeschickte Mensch!“ — Da ärgerte sich der noch am Boden Liegende.

02. Aber Raphael sprang hinzu, half ihm schnell wieder auf die Füße und sprach: „Siehst du nun, was das ist, daß ich stehengeblieben bin? Denn mir ist es schon so im Geiste vorgegangen, daß du heute fallen wirst; und nun bist du richtig gefallen, und ich, als dein schwacher Milchbursche, konnte dich, hoffentlich doch schnell genug, vom Boden heben und dir dadurch wieder den ungehinderten Gebrauch deiner etwas ungeschickten Füße verschaffen!“

03. Brummt der Schiffsknecht in seinen dicken Bart hinein: „Nun ja, das ist wohl gut; aber solche Burschen sind auch oft voll heimlichen Bummelwitzes und machen, daß unsereinem etwas begegnet! Oh, ich kenne schon solche Schliffel! Du scheinst sonst ein ganz ehrlicher Bursche zu sein, — aber ein Bursche bist du einmal, und das ist genug! Ein jeder Bursche aber hat immer etwas Schliffelhaftes im Leibe. Daher bleibe mir nur immer wenigstens drei Schritte vom Leibe!“

04. Sagt Raphael: „Freund, du irrst dich an mir himmelgroß! Aber ich vergebe es dir; denn du weißt es ja nicht, wen du in mir vor dir hast.“

05. Sagt der Schiffsknecht: „Nun, nun, was wird man in seinem fünfzehnten Jahre etwa auch schon sein? Höchstens so ein Prinz aus Rom oder von woanders her! Oder bist du etwa gar ein so ein bißchen allmächtiges Anhängsel von unserm lieben Herrgott?“

06. Sagt Raphael: „Ja, ja, so etwas dergleichen! — Aber nun hole nur deine Muscheln aus dem Schiffe!“

07. Der mürrische Schiffsknecht begibt sich darauf ins Schiff und kommt nach einigen Augenblicken mit ein paar Muscheln und einer Nautilusschnecke wieder zu uns zurück und zeigt sie uns.

08. Die drei Stücke waren recht schön, aber natürlich von keinem absonderlichen Werte, und Raphael sagt zu ihm: „Als Angedenken sind sie gut genug, aber Wert ist keiner darin! Was wirst du nun damit machen?“

09. Sagt der Schiffsknecht: „O Milchbube! Auf diese Weise kann man wohl Sperlinge, aber keine ergrauten Schiffer fangen! Du möchtest mir diese Stücke abtreiben, so ganz umsonst; aber der alte Dismas ist nicht so dumm, wie er vielleicht aussieht! Diese drei Stücke kosten drei Silbergroschen und werden um keinen Pfennig billiger hergegeben; wenn du die drei Groschen hast, so gib sie her, und ich gebe dir diese drei schönen Stücke darum!“

10. Sagt Raphael: „Wegen der drei Groschen, das wäre mir wohl das wenigste; aber daß du eine Sache verkaufen willst, die streng genommen nicht einmal dein volles Eigentum ist, das ist mir nicht recht! Sieh, in dieser Bucht hat von alters her kein Mensch das Fischerrecht denn allein die Bürger von Genezareth, oder der, dem sie es verpachten. Du hast diese drei Muscheln sonach auf dem Grunde Ebahls, der dies Wasser im Pachte hat, aufgelesen, und sie sind somit streng genommen dessen Eigentum; wenn er dir sie erst ganz schenkt, dann sind sie dein, und du kannst sie dann auch als dein Eigentum behandeln.“

11. Sagt Dismas: „Da sehe man einmal diesen Milchbuben an! Der spricht ja wie ein Richter aus Rom! Du wärest mir ein sauberer Rechtspatron! Du disputiertest mir noch meinen schlechten Rock vom Leibe! — Das Meer ist allenthalben des Schiffers Grund und Boden; was ihm das Wasser gibt, ob in einer Bucht oder draußen auf der offenen See, das gehört niemandem denn ihm allein, und damit sind alle deine einstudierten Rechtsgrundsätze zu Boden geschlagen! Denn ein bißchen kennt sich auch unsereiner beim Recht aus! Darum drei Silbergroschen, — und die drei Stücke gehören Dir!“

12. Sagt Raphael: „Wird nichts daraus! Solange sie unser Ebahl nicht als dein Eigentum erklärt, kann ich sie dir nicht abkaufen!“

13. Hier wendet sich Dismas dennoch an Ebahl und fragt ihn, was er zu der Behauptung des Buben sage.

14. Sagt Ebahl: „Unser Raphael hat, streng genommen, recht, und ich könnte allerdings diese drei Stücke als mir gehörig in Besitz nehmen; aber der von solch einem Rechte nie Gebrauch macht und machen wird, das bin ich, und somit gehören die drei Stücke nun leiblich dir, — geistig aber gehört ohnehin die ganze Erde Gott dem Herrn, und somit auch diese drei Muscheln!“

15. Mit diesem Bescheide ist unser Dismas auch vollkommen zufrieden und fragt nun den Raphael, sagend: „Nun, wie sieht es denn nun aus mit den drei Silbergroschen?“

16. Sagt Raphael: „Da sind sie; gib aber die drei Stücke dem Ebahl, der sie aufbewahren wird zu einem Gedächtnisse an diese Zeit!“

17. Dismas nimmt die drei Groschen und legt die drei Stücke vor Ebahl hin; dieser aber gibt sie der Jarah und sagt: „Da, bewahre sie auf neben deinen andern Gedenksachen; sie sollen für uns einen großen Wert haben!“

18. Jarah übernimmt die drei Stücke mit vieler Freude und sagt: „Oh, das sind wundervoll schöne Dinge! Welch ein herrlicher Farbenglanz aus ihnen spielt! Wahrlich, da kann und muß man ja mit Hiob ausrufen: ,Wie herrlich sind, o Gott, Deine Werke! Wer ihrer achtet, hat keine eitle Lust daran!‘ Wer lehrte die Schnecke sich so ein schönes Haus zu erbauen?! Ohne Balken und Ziegel steht es herrlicher da, als Salomon war in seiner strahlendsten Königspracht!“

19. Hierauf wendet sie sich an Raphael und dankt ihm für dieses schöne Geschenk, fragt ihn aber zugleich, da sowohl die Schnecke als die beiden Muscheln ihres lebenden Inhaltes bar waren, wohin die einst in diesen schönen Gehäusen lebenden Tiere gekommen seien.

20. Und Raphael sagt: „Meine liebste Jarah, die Tiere sind schon vor mehreren tausend Jahren gestorben und somit auch schon lange verwest; aber die Gehäuse können noch mehrere Tausende von Jahren bestehen und werden dadurch weder an ihrer Form noch an ihrer Schönheit etwas Besonderes verlieren. Ihre Materie ist reinster Kalkstoff, und dieser verwest im freien Zustande, besonders unter dem Wasser, nimmer! Soviel darfst du vorderhand wohl wissen; was darüber hinausgeht, das wirst du dereinst erst jenseits in aller Tiefe kennenlernen!“ — Da erstaunt die Jarah sehr, als sie von solch einem Alter hört.

162. Kapitel. Empfang der Pharisäer in Genezareth.

01. Aber in dem Augenblick kommt die Nachricht aus der Stadt, daß die etlichen angesagten neugebackenen Pharisäer und Schriftgelehrten aus Bethlehem angekommen seien, und zwar mit der geschriebenen und vom Tempel signierten Order, daß die Bürger von Genezareth sie sogleich ohne Säumnis bei strengster Ahndung unentgeltlich nach Nazareth zu Wasser oder zu Lande zu befördern haben!

02. Sagt Ebahl, ganz entrüstet über solche Forderungen von seiten des Tempels: „Herr, das geht jahraus und jahrein so; Du bist nun erst kaum fünf Tage hier und hast bereits den vierten Zug dieser Müßiggänger erlebt, die da im Lande in einem fort hin— und herziehen und jeden Ort, den sie auf ihrem Zuge überfallen, oft ärger zurichten als ein Heuschreckenheer! Wenn es im Jahre etwa zehn Male vorkäme, nun, so ließe ich mir die Sache noch gefallen; aber in jeder Woche zwei, drei bis vier solche Züge auszuhalten und ihnen noch dazu jeden möglichen Vorschub zu leisten, da muß sogar ein Engel ungeduldig werden und bettelarm auch noch obendrauf! Was soll ich nun tun? Wahrlich, ich tue allen Armen gerne nach meinen Kräften Tag für Tag alles mögliche Gute; aber diesen Lumpen, diesen wahren Martermeistern der armen Menschheit, möchte ich allen Tod und alle Teufel auf den Hals wünschen!“

03. Sage Ich: „Freund, laß das gut sein; mit der Geduld wirst du dennoch stets am weitesten kommen! Übrigens überlaß du das nur unserem Freunde Julius; der wird sie sicher schnell weiterbefördern, und sie werden sich dann solche Vorschubleistungen wohl merken und sich nach und nach viel seltener nach dem Orte Genezareth begeben!“

04. Sagt der Hauptmann zu seinem Unterführer: „Gehe eiligst hin, nimm zwanzig Mann und begib dich schnell in die Stadt! Erkläre den unverschämten Wichten, daß dieser Ort sich wegen der starken Militärbesatzung gleichfort im Belagerungszustande befindet, den niemand ohne eine ausdrückliche Order von seiten irgendeines römischen Oberkommandanten ungeahndet betreten darf! Und hat er ihn betreten, so werden ihm nach der empfangenen Züchtigung die Augen verbunden und die Ohren mit weichem Lehm verstopft; alsdann werden ihm Hände und Füße gebunden! Also zubereitet wird er in eine Barke gebracht, alldort auf Stroh gelegt und sodann an den angesagten Ort befördert, allwo er wieder von allen den Hand—, Fuß—, Aug— und Ohrfesseln frei zu machen und nach gegebener schärfster Strafandrohung beim Wiederbetreten eines solchen Militärortes ohne rechtsgültige Erlaubnis von seiten irgendeines römischen Militäroberkommandanten ans Land mit einem Handstoße zu setzen ist. Haben die Bethlehemiten keine solche Ausweisung, so behandelt sie ohne Ausnahme also! Haben sie Geld, so können sie sich mit zweihundert Pfunden Silbers von der Züchtigung loslösen, aber von den vierfachen Fesseln nicht! Haben sie aber kein Geld, oder wollen sie keines fahren lassen, so soll ein jeder vor der Vinkulierung (Fesselung) fünfzehn Rutenhiebe auf den bis an die Lenden entblößten Rücken erhalten! Dixi, fiat!“ (Ich habe gesprochen, es geschehe!)

05. Auf diese Worte des Hauptmanns eilte der Unterführer zur Stadt mit zwanzig Mann, fand daselbst im Hause Ebahls vierzehn Mann Pharisäer und Schriftgelehrte, die des Hauses Dienerschaft mit allen Flüchen belegten, weil sie ihnen nicht völlig nach ihrem frechsten Sinne dienen wollte.

06. Als der Unterführer sie nach der Erlaubniskarte fragte, da sagten die Frechen: „Wir sind Gottes Priester; hier ist des Tempels Zeichen, und mehr bedürfen wir in der ganzen Welt nicht!“

07. Sagt der Unterführer: „Dieser Ort befindet sich einstweilen im beständigen Belagerungszustande; da besteht ein strengstes kaiserliches Gesetz, demzufolge ohne alle Ausnahme niemand Fremdes einen solchen Ort ohne die gewisse gesetzlich dokumentierte Karte betreten darf! Unwissenheit des Gesetzes entschuldigt da niemanden! Da ihr, wie ich sehe, die bewußte Karte nicht habet, so zahlet ihr entweder zweihundert Pfunde Silbers Strafe oder, so es euch lieber ist, ihr bekommet ein jeglicher fünfzehn Rutenhiebe auf den entblößten Rücken! Darauf werdet ihr mit den euch bekannten vierfachen römischen Fesseln belegt und an den von euch zu bestimmenden Ort gebracht. Solches hat nun alles ohne die geringste Widerrede zu geschehen; denn jede Zögerung und jedes trotzige Widerwort zieht eine doppelte Verschärfung nach sich!“

08. Als die Pharisäer und Schriftgelehrten solche Anrede vernehmen, rufen sie Ebahls Hausmeister und fordern ihn auf, ihnen sogleich die zweihundert Pfunde Silbers zu borgen. Dieser aber sagt: „Hat euch mein Herr doch nie rufen lassen; wie soll er nun für euch zahlen? Denn euch etwas borgen, hieße sein Geld ins Meer werfen! Ihr habt draußen doch vierzehn belastete Esel! Machet nur dieser Tiere Last um zweihundert Pfunde leichter, und ihr werdet dadurch eure Rücken vor den scharfen Rutenhieben sicherstellen! Ich gebe euch keinen Stater!“

09. Als die Pharisäer und Schriftgelehrten solche Äußerung von dem guten und getreuen Hausmeister Ebahls vernehmen, machen sie ein sehr saures Gesicht, begeben sich unter der ihnen sehr unliebsamen Begleitung des Unterführers hinaus zu ihren Lasttieren und entledigen diese mit leichter Mühe ihrer um zweihundert Pfunde Silbers zu schweren Last.

10. Als der Unterführer das Geld versorgt hat, legt er ihnen sogleich die bekannten Fesseln an und läßt sie samt ihren Lasttieren auf eine geräumige Barke bringen, allwo sie wie die Kälber aufs Stroh gelegt und danach mit der ganzen scharfen Begleitung zu Wasser dahin befördert werden, wohin zu kommen sie angaben. Die jungen Leute von Pharisäern und Schriftgelehrten jammern freilich ganz entsetzlich; aber es nützt ihnen solches nun einmal nichts. — Der Unterführer aber kommt nach einer Stunde wieder zu uns heraus und erzählt uns, wie er alles genauest befolgt habe, was ihm der Hauptmann anbefohlen hatte.

11. Und der Hauptmann belobt ihn und fragt ihn darauf, wohin er das abgenommene Geld gelegt habe.

12. Und der Unterführer sagt: „Herr, ich habe es unterdessen dem biedern Hausmeister Ebahls zur Aufbewahrung gegeben; du aber kannst nachher mit den zweihundert baren Pfunden Silbers machen, was du willst.“

13. Sagt der Hauptmann: „Alles ganz gut, und diese Kerle werden an unser Genezareth denken! Werden sie hier durchlaufen, oder nehmen sie die Richtung durch den oberen kleinen Arm, oder werden sie etwa gar durch die Bahn gehen, die zuoberst des kleinen Arms, resp. vom selben nur durch eine ganz schmale Erdzunge getrennt, ins Meer gehet, aber dennoch tief und breit genug ist, eine Barke von etlichen dreißig Menschen Ladung zu tragen, ohne des Bodens Schlamm zu berühren?“

14. Sagt der Unterführer: „Um jedes lästige Aufsehen hintanzuhalten, des heutigen Sabbats der Juden wegen, habe ich sie auf die Bahn verwiesen.“

15. Sagt der Hauptmann: „Wieder ganz gut und weise! Du sollst bald befördert werden, das sagt der Hauptmann Julius dir! — Die werden sich das Genezareth merken und so bald nicht wieder hierherkommen!“

163. Kapitel. Der Hauptmann Julius erzählt einige Templerepisoden.

01. (Der Hauptmann:) „Ich sage es euch: Mit diesen Menschen muß man geradewegs schonungslos verfahren, sonst ist mit ihnen nicht mehr auszukommen. Ich war der Mensch sicher nie, daß mich je darob eine Art Lust hätte anwandeln können, so ich, durch Umstände gedrungen, irgendeinen böswillig verstockten Sünder habe züchtigen lassen müssen; allzeit erwog ich genau alle Umstände, die den Menschen zu einem Verbrechen mochten verleitet haben. Aber diesen jüdischen Tempeldienern könnte ich sogar höchst eigenhändig mit Lust die Köpfe vom Rumpfe schlagen, und das darum, weil sie im Ernste die größten und hartnäckigsten Verbrecher an der armen Menschheit sind. Wahrlich, es geht ihre eigentliche, mit einer höchst miserablen Farbe von einer religiösen Moralität übertünchte Tendenz, wenn man sie so recht ins Auge faßt, ja mehr als ins Teuflisch—Scheußliche über!

02. Ich selbst habe mich mit meinen Augen und Ohren überzeugt, als ich in Jerusalem stationiert war, wie sie einem Menschen, der noch ein paar Groschen in seiner Tasche hatte, auf Leben und Tod zusprachen, sein Geld in den Gotteskasten zu legen! Der gute, aber natürlich schwache Mensch legte wirklich einen Groschen in den Kasten und entschuldigte sich damit, den zweiten Groschen deshalb nicht in den Kasten legen zu können, weil er weit nach Hause habe und ohne diesen einen Groschen am Wege verschmachten müßte! Aber das half nichts! Die Pharisäer machten ihm die Sache begreiflich, daß es für seine Seele im höchsten Grade heilsam sei, Gott und Seinem Tempel zuliebe und zur Ehre am Heimwege zu verhungern! Behalte er aber den Groschen, den Gott durch ihren Mund von ihm verlangt, so könne seine Seele ewig nie zur überaus angepriesenen Anschauung Gottes gelangen, und ihr Los werde sein, ewig zu brennen in den Flammen des Zornes Gottes! Der Mensch ward darauf blaß, fing an zu zittern, griff mit bebender Hand nach seinem letzten Groschen und legte selben auch in den Gotteskasten. Darauf murmelten die Kerle etwas wie ein Gebet über den armen Teufel und hießen ihn dann gehen.

03. Ich aber ging dem traurigen Menschen nach, und als wir uns ganz außerhalb des Tempels befanden, trat ich zu ihm und sagte zu ihm in einem freundlich—ernsten Tone: ,Guter Freund, wie könnt ihr denn gar so schwach sein, euch von diesen Räubern eure letzte Habe herausschwätzen zu lassen!? Was die im Tempel zu euch geredet haben, daran haben sie selbst noch nie geglaubt; aber sie wissen, daß schwache Menschen sie in ihrer Blindheit für allwissende Halbgötter halten, schrecken ihnen darum alle ihre Habe heraus und verprassen sie dann in großem Wohlleben, während der Arme am Wege des Hungers stirbt. — Da habt ihr zwei andere Groschen wieder und begebet euch nach Hause! Kommet aber ja nicht wieder hierher! Denn ich sage es euch: Dies sein sollende Gotteshaus ist eine Räuberhöhle und Mördergrube, an der ein wahrer Gott nimmer ein Wohlgefallen haben kann!‘

04. Der Mensch sah mich eine Weile ganz verblüfft an, nahm das Geld aus meiner Hand und sagte endlich: ,Großer Herr! Du mußt mehr wissen denn ich; du wirst schier recht haben!‘ — Darauf verließ er mich und begab sich in seine Heimat.

05. Ähnliche Begebnisse habe ich im Tempel tausendmal gesehen und gehört; ja ich war zugegen, als ein solcher Pfaffe eine Tochter bearbeitete, deren Mutter reich war, aber als eine vernünftige und heller denkende Frau den Gotteskasten im Tempel noch nie mit einem Groschen bereichert hatte. Der Pfaffe zeigte es der Tochter wie sonnenklar, daß sie ewig verloren sein werde, so sie sich nicht alle Mühe gäbe, die Mutter heimlich total zu bestehlen und das Geld in den Gotteskasten zu legen. Glücklicherweise war die Tochter, so wie ihre Mutter, stark samaritanischer Gesinnung, und es gelang dem Heuchler und Betrüger nicht, die Tochter zum Diebstahl zu verleiten, worüber ich eine große Freude hatte.

06. Ich habe mir bei solchen Gelegenheiten mehr denn einmal gedacht: So ich Landpfleger in Jerusalem wäre, wäre der Tempel schon lange von all dem Geschmeiße gereinigt worden! Aber als ein einem römischen Landpfleger höchst untergeordneter Mensch kann ich nichts machen und tun, denn seine Befehle in Vollzug zu bringen.

07. Mit dem Pontius Pilatus aber ist und bleibt nichts anzufangen; er ist ein Naturforscher, ein Busenfreund der Gelehrten von Pompeji und Herkulanum, und kümmert sich ums Regierungsgeschäft wenig, läßt Herodes und die Templer nach ihrer Willkür schalten und walten, wenn sie nur ihren Tribut nach Rom pünktlich und richtig bezahlen. Glücklicherweise stehe ich hier nicht unter dem Stabe des Pontius Pilatus, sondern unter dem des Kornelius, und dieser unter dem des weisen und höchst gerechten alten Vaters Cyrenius, der gleich mir ein abgesagter Feind Jerusalems ist, und so kann ich in solcher meiner freien und von Jerusalem gänzlich unabhängigen Stellung die Pharisäer und Gottesleugner von Schriftgelehrten ganz gehörig bedienen, so sie mir in den Wurf kommen; und Du nun, mein wahrer Gott und Herr, wirst mir das doch sicher zu keiner Sünde anrechnen!?“

164. Kapitel. Über die Nachfolge Jesu.

01. Sage Ich: „Von Mir aus bist du rein; nur das beachte du stets bei deinen die Menschen leitenden Handlungen, daß du dabei nie vergissest, daß da auch der Sünder dein Bruder ist!

02. Fühlst du Zorn in deinem Herzen über den die gerechte Strafe verdient habenden Sünder, dann lege die Zuchtrute aus der Hand; denn durch deinen Zorn wird sie nicht zum heilsamen Wegweiser, sondern zur Schlange, die in die Wunde, die sie dem Wanderer durch ihren Biß verursachte, keinen heilsamen Balsam, sondern ein tödliches Gift haucht, das dem Verwundeten den Tod bringt.

03. Glaube auch nicht, daß du dir dadurch einen Feind vom Halse geschafft habest, so du ihm den Tod geben ließest! Denn war er dir im Erdenleben nur ein einfacher Feind, so wird er nach dem Leibestode als ein freier Geist dir ein hundertfacher werden und dich quälen mit hunderterlei Übeln dein Leben lang, und du wirst kein Mittel finden können, das dich befreite von deinem unsichtbaren Feinde.

04. Darum, wenn du jemanden züchtigest, da züchtige ihn mit Liebe und nie mit dem Zorne! Treibe es darum in der Folge auch mit den Pharisäern nicht zu bunt! Denke dir: ,Siehe, das sind blinde Leiter der Blinden!‘ Die Welt aber ist es, die sie blind macht; diese aber ist des Satans, den du hast kennengelernt.

05. Sieh, in Mir ist alle Macht und Gewalt über Himmel und Erden. Ich könnte sie alle mit einem Gedanken vernichten, und dennoch ertrage Ich sie mit aller Geduld bis zur rechten Zeit, da ihr Maß voll geworden.

06. Auch Mich erzürnen die Menschen und machen durch ihre Unverbesserlichkeit Mein Herz traurig; aber Ich ertrage sie dennoch und züchtige sie stets mit der Liebe, auf daß sie sich bessern und eingehen möchten ins Reich des ewigen Lebens, dafür allein sie erschaffen worden sind. Willst du demnach ein rechter Richter sein, so mußt du in allem Mir nachfolgen!

07. Es ist wohl leichter, ein Urteil über jemanden auszusprechen, als ein Urteil über sich ergehen lassen; wer aber das Urteil eines Menschen, der verurteilt ward, auf sich nimmt und dann für das rechte Emporkommen des Verurteilten sorgt, der wird dereinst groß heißen in Gottes Reich. — Dies nun Gesagte merket ihr alle euch wohl! Denn so Ich es also anordne und also haben will, so könnet ihr es doch nicht anders haben und machen wollen!? Ich bin der Herr über Leben und Tod! Ich allein weiß es, was das Leben ist, und was dazu erforderlich ist, um es für ewig zu erhalten und dasselbe zu genießen in aller Glückseligkeit!

08. Werdet ihr leben nach Meiner Lehre, so werdet ihr das Leben erhalten in aller Glückseligkeit; werdet ihr aber dawiderhandeln, so werdet ihr es verlieren und eingehen in den Tod, welcher ist alles Lebens unglückseligster Zustand, ein Feuer, das nie erlischt, und ein Wurm, der nie stirbt!“

09. Sagt der Hauptmann: „Herr, ich sehe die Notwendigkeit alles dessen nur zu wohl ein, aber auch zugleich die ungeheure Schwierigkeit, streng danach zu leben. Kleine Hügelchen zu planieren, ist wohl keine große Kunst; aber wo sich uns ganze Berge von Schwierigkeiten und Hindernissen entgegenstellen, da ist es dann schon rein unmöglich, einen geraden Weg weiter fort zu machen. Da, Herr, mußt Du uns helfen!“

10. Sage Ich: „Eben darum bin Ich aber ja auch in diese Welt gekommen, um euch allen da Hilfe zu geben, wo ihr aus euch selbst ewig keinen Ausweg mehr gefunden hättet! Darum vertrauet und bauet allzeit auf Meinen Namen, und es wird euch dadurch das unmöglich Scheinende möglich werden! — Nun aber wollen wir uns wieder ins Haus begeben; denn die Sonne ist dem Untergange nahe gekommen.“

11. Es fragt aber der Oberschiffsknecht, bis wann sie das Schiff zu einer allfälligen Abreise in der Bereitschaft halten sollen.

12. Sage Ich: „In jeder Stunde müsset ihr zur Abfahrt bereit sein, auf daß, so da kommt der Herr des Schiffes vor der Zeit, er euch nicht faul und untätig finde, euch dann entziehe den Lohn und euch tue aus dem Dienste! Doch — Gott dienen ist leicht, aber den Menschen dienen ist schwer!“

13. Fragt weiter der Oberschiffsknecht: „Herr, wenn etwa morgen die Pharisäer, die gestern wahrscheinlich als Missionare und Bekehrer nach Jesaira gezogen sind, um die dortigen, zumeist zum Griechentum übergegangenen Juden wieder für den Tempel zu gewinnen, wieder hierherkämen und wollten sich mit uns über den 47. Psalm in eine Disputation einlassen, wie sie uns solches versprochen haben, was sollen wir zu ihnen sagen?“

14. Sage Ich: „Da verheißet ihr ihnen sieben gute Groschen, so sie den Psalm euch gut erklären; erklären sie ihn euch schlecht, so sollen sie nichts bekommen, und können sie ihn euch gar nicht erklären, dann sei an euch das Recht, von ihnen sieben gute Groschen zu verlangen und sie dann unter Androhung von militärischer Hilfe, so sie die Zahlung verweigern würden, zu nehmen!“

15. Sagt der Hauptmann: „Kommt dann nur zu mir, und sie sollen siebenmal sieben Groschen zahlen ohne alle Gnade und Schonung!“

16. Damit geben sich die Schiffsknechte völlig zufrieden, und wir begeben uns in die Stadt und allda ins Haus Ebahls, allwo die Dienstleute, da die Sonne schon untergegangen ist, vollauf beschäftigt sind, uns ein gutes Abendmahl zu bereiten. Der Hauptmann aber übernimmt die zweihundert Pfunde Silbers und übergibt sie dem Ebahl mit den Worten: „Nimm sie in deinen Besitz als eine kleine Entschädigung für die vielen hundert und abermals hundert Armen und Kranken, die du verpflegt hast, und von denen du nie auch nur einen Stater verlangt hast! Du bist aber auch wahrlich der einzige Mensch in dieser Stadt, der es verdient, ein Mensch zu sein! Alles andere Volk von dieser Stadt verdient den ehrenhaften Namen nicht; denn es ist total tot, kümmert sich um nichts und macht und bricht auch nichts! Meinet ihr, die Wunder alle, die hier in diesen etlichen Tagen ausgeübt worden sind, haben auf dies Volk etwa irgendeinen Eindruck gemacht? Mitnichten! Diese Memmen schlendern umeinander, als ob nichts da wäre! Ja, sie haben sich wohl heilen lassen, die da krank waren, bedankten sich aber kaum dafür und denken heute auch kaum mehr daran, daß sie krank waren, und daß sie von ihrer Krankheit vollkommen wunderbarst geheilt worden sind! Darum ist mein Ebahl auch der einzige Mensch in dieser Stadt; alles andere ist wahrlich mehr Tier als Mensch!“

17. Ebahl übernimmt das Geld mit dem Bemerken, daß er es nur für die besten und den Menschen dienlichsten Zwecke verwenden werde.

165. Kapitel. Szene zwischen Raphael und Jarah.

01. Auf diese Verhandlung bringen die Diener auch schon Wein und Brot und eine Menge bestens zubereiteter Fische, und alles begibt sich an den wohlbesetzten Tisch. Unsern Raphael zieht die Jarah an den Tisch und setzt ihm einen großen Fisch vor, daß er ihn äße. Aber Raphael sagt: „Liebste Schwester, das wäre wohl zuviel für ein Nachtmahl; darum lege mir einen kleineren Fisch vor!“

02. Sagt die Jarah: „Oh, sah ich dich doch heute mittag mehrere solche Fische verzehren, und so wirst du für den Abend wohl auch mit dem zu Ende kommen! Iß nur! Siehe, mein Herr Jesus ist wohl ein endlos größerer und erhabenerer Geist denn du, und dennoch ißt Er nun schon den zweiten Fisch mit sichtbarer Lust, trinkt dazu Wein und ißt stets auch ein Stück Brot darunter; tue du desgleichen! Jetzt bist du einmal Mensch mit uns und mußt unser Menschliches darum nicht geringschätzen, weil du sonst ein erster Engel Gottes bist!“

03. Sagt Raphael: „Nun, wenn du es schon durchaus also willst, so muß ich mich deinem Willen ja wohl fügen; denn du bist einmal schon ein zu liebenswürdiges Kind, und man kann dir aus Liebe zu dir nichts abbieten (abschlagen).“ — Darauf nahm Raphael den ganzen, wenigstens gut fünf Pfunde wiegenden Fisch in die Hand, führte ihn zum Munde und verzehrte ihn in einem kaum glaublich schnellsten Augenblick.

04. Als solches die Jarah bemerkte, sagte sie ganz verblüfft: „Aber um des Herrn willen! Wo hast denn du den großen Fisch nun so schnell hingebracht? Freund, bei solch einer Eßfähigkeit könntest du wohl auch ein gebratenes Meerungeheuer mit großer Leichtigkeit verzehren! Der große Fisch, in dessen Bauche Jonas drei Tage schmachtete, wäre am Ende für dich nur ein Spaß, ihn mit einem Bissen in den Magen zu schieben!?“

05. Sagt Raphael: „Auch viele Tausende von solchen Fischen wären mir sozusagen nur ein Scherz, sie unters Dach zu bringen. Aber hier genügt der mir von dir dargereichte; er hat mir wahrlich recht wohl geschmeckt. Ich hätte ihn auch langsam, dir gleich, verzehren können; aber da würdest du auf den Gedanken gekommen sein, daß ich schon völlig ein irdischer Mensch sei, — und das wäre nicht gut für dich, weil du sogestaltig in meine Person, resp. Form verliebt werden könntest! Nun ich dir aber bei Gelegenheit zeige, daß ich noch kein vollendeter Erdenmensch bin, so schreckt dich das zurück, und du bleibst dabei leicht in deinem und ich in meinem Geleise. Du wirst schon noch mehrere solcher mutwilligen Stückchen von mir erleben! So ich will, kann ich auch recht schlimm werden; aber da hat mein Schlimmsein stets einen weisen Grund.“

06. Sagt die Jarah: „Das gefällt mir aber nicht von dir, wenn du etwa nur durch eine schlimme Handlung irgendeinen guten Zweck erreichen willst! Siehe hier den Herrn, der allein meine Liebe ist; der erreicht auch ohne eine schlimme Handlung lauter gute Zwecke! Warum du nicht? Ich bin der Meinung — und die laß ich mir nicht nehmen —, daß das Schlimme allzeit wieder Schlimmes hervorbringt, und nur das Gute wieder das Gute. Wer bei mir etwas Gutes durch etwas Schlimmes erreichen will, der irrt sich gewaltig, — und wäre er ein tausendfacher Engel! Das sage ich dir, daß du mir ja mit nichts Schlimmem kommst, sonst kannst du mir vom Halse bleiben! Ich bin nur ein schwaches Mädchen, ja ein Würmchen vor dir; aber dennoch wohnt in meinem Herzen Gottes Liebe, und diese verträgt nichts auch nur scheinbar Schlimmes. — Verstehst du, mein lieber Raphael, das?“

07. Sagt Raphael: „O ja, das ist schon noch zu verstehen, und ich verstehe es darum auch wohl; aber daß du mich mit meiner zeitweiligen Schlimmheit nicht verstanden hast, geht klar aus dem hervor, weil du mich darob reprimandiert (zurechtgewiesen) hast; wenn du mich erst wirst verstanden haben, dann wirst du gegen mich nicht ärgerlich werden! Damit du aber siehst, daß das himmlische Schlimmsein auch eine glänzende Tugend ist, so will ich dir solches durch ein kurzes Beispiel recht handgreiflich klarmachen.

08. Sieh, wir Himmelsgeister haben eine weite Sehe; dein Gedanke reicht nicht so weit, als wir mit einem Blicke in größter Klarheit durchschauen! Da fügt es sich denn wohl sehr oft, daß hie und da, besonders auf dieser Erde, die Menschen so recht mutwillig böse werden. Wir ziehen ihn, den Menschen, hundert Male von einer großen Gefahr zurück, aber es juckt und treibt ihn gleich wieder, sich von neuem in dieselbe Gefahr zu begeben. Wenn alles das dennoch nichts hilft, dann lassen wir endlich zu, daß der Mensch sich endlich wieder aus Mutwillen in die Gefahr begibt, und wir lassen ihn dann so recht fest anrennen, daß ihm darob nicht selten auf längere Zeit das Hören und Sehen vergeht. Und er, dadurch gewitzigt, wird dann aus der Erfahrung klug, läßt seinen Mutwillen und oft bösen Aberwitz fahren und wird dann ein wie aus sich gebesserter Mensch.

09. So können oft die Eltern ihre Kinder nicht oft genug und hinreichend wirksam vor diesen und jenen Spielereien, die oft sehr gefährlich werden können, warnen; da kommen wir mit unserer himmlischen Schlimmheit und machen, daß sich solche Kinder bei ihren verbotenen Spielen recht empfindsam beschädigen, ja manchmal lassen wir es sogar darauf ankommen, daß dabei ein oder das andere Kind den Ungehorsam sogar mit dem Tode bezahlen muß, zum abschreckenden Beispiele für die andern. Die Kinder werden dadurch abgeschreckt, bekommen endlich eine große Furcht vor den verbotenen gefährlichen Spielen und kehren nicht mehr zu denselben zurück. Es tritt dann bei ihnen der Spruch als wirkend ein: ,Ein gebranntes Kind fürchtet das Feuer!‘

10. Auch bei dir habe ich schon ein paar Male vor etlichen Erdjährchen eine ähnliche himmlische Schlimmheit ausgeführt, und sie hat dir sehr gute Dienste geleistet, darum du hernach bald ein wahrhaft frommes Kind geworden bist. — Nun, was sagst du jetzt zu meinem Schlimmsein?“

166. Kapitel. Von der Liebe, Sanftmut und Geduld.

01. Sagt die Jarah so halblaut, ein wenig betroffen: „Nun ja, wenn also, dann muß es wohl freilich recht sein; hättest du mir das früher gesagt, so hätte ich dir sicher nichts eingewendet! So man bei der bekannten Unantastbarkeit der Freiheit des menschlichen Willens durch alle möglichen sanften Mittel nichts auszurichten imstande ist, dann bleibt wohl freilich nichts mehr übrig, als ein schlimmes Mittel in Anwendung zu bringen. Nun, nun, wir werden uns schon noch verstehen, nur mußt du nicht gleich so heftig werden! In sanfter Redeweise gefällst du mir sehr; aber wenn du, mit deinen Worten dich förmlich überstürzend, heftig wirst, dann ist aus deinem Munde selbst die reinste Wahrheit nicht gut anzuhören.

02. Ich meine denn also, daß in der Folge wenigstens auch alle noch so vollkommenen Geister der Himmel sich also zu reden bemühen sollten, wie da redet der Herr und Schöpfer aller Geister, Sonnen, Welten und Menschen! Des Herrn Rede in noch so ernsten Dingen klingt gleichfort so sanft, als wie sanft da ist die Wolle eines Lammes, und Seine Worte fließen wie Milch und Honigseim. Also aber sollte sich dann auch ein jeder Lehrer und Führer nach Ihm richten; denn in einem sanften Redeton liegt nach meiner Beurteilung dennoch stets die größte Kraft! Wer da schreit und heftig spricht, der beleidigt oft, wo er eigentlich heilen wollte. Sieh an das gleich freundliche Angesicht des Herrn gegen Freund und Feind; und wen kann es wundernehmen, wenn Kranke gesund werden, wenn Er sie nur ansieht?! Also, mein liebster Raphael, mußt auch du sein in Rede und Tat gegen mich und gegen jedermann, dann wird jeder deiner Tritte über diese Erde hin von Segen triefen!“

03. Darauf ziehe Ich die Jarah an Meine Brust und sage zu allen, die hier gegenwärtig sind: „Das ist bis jetzt Meine vollendetste Jüngerin, zu der Ich wahrlich Meine Engel in die Schule senden kann; denn diese hat Mich am tiefsten ergriffen und lebendigst aufgefaßt. Aber sie besitzt darum Meine Liebe auch im vollsten Maße.

04. Wahrlich, so ihr hinausgehen werdet und werdet lehren die Völker in Meinem Namen, da gedenket der Worte, die dies überliebe und zarte Mägdlein nun zu Meinem Engel geredet hat, und eure Schritte und Tritte werden von allem Segen begleitet sein! Seid geduldig und in allem voll Sanftmut, so werdet ihr den vollsten Segen streuen in die Herzen der Menschen! — Aber Mein Engel Raphael mußte also reden, damit er diese Meine allerliebste Jarah zu der gegebenen Lehre verlockte; im übrigen aber ist er ebenfalls so sanft wie eine sanftkühlende Abendluft und so weich wie die zarteste Wolle eines Lammes.“

05. Diese Worte merkten sich alle wohl und waren vollkommen damit einverstanden. Nur der Hauptmann bemerkte und sagte: „Dies ist alles göttlich, rein und wahr; aber so ich eine zu sanfte Sprache redete mit meinen Soldaten, so würde ich damit wohl eine schlechte Figur machen, und die Soldaten würden mir kaum gehorchen! So ich aber so recht zu blitzen und zu donnern anfange, da geht dann alles gut und sicher!“

06. Sage Ich: „Es ist hier aber auch nicht so sehr von einer äußeren als vielmehr von einer inneren, wahren Sanftmut die Rede. Wo es absolut nötig ist, von der himmlischen Schlimmheit einen weisen Gebrauch zu machen, da tue man das; denn die eigentliche Regel aller Weisheit ist: ,Klug sein gleich den Schlangen und dabei dennoch sanft gleich den Tauben!‘“

07. Sagt der Hauptmann überfreundlichen Angesichtes: „Herr, nun habe ich alles; also ist durch alle Himmel hindurch gerechtfertigt die Handlung eines Gerechten! Aber man muß dabei sich auch aufs Rechnen verstehen, auf daß man sich in der vermeinten Klugheit nicht verrechne, und da meine ich nach der Kunst des Euklid, daß man zu einer bestimmten Größe von Klugheit eine gleiche Größe von Liebe, Geduld und Sanftmut hinzuaddiert, und man wird dadurch ein fehlerfreies Resultat herausbekommen!“

08. Sage Ich: „Ja, ja, also wird die Rechnung am besten gestellt und des gesegnetsten Resultates vollkommen sicher sein, und alle Gerechtigkeit und jegliches Gericht wird darin seine volle Rechtfertigung haben! Das ist ein Grund, auf dem sich bauen läßt; wo aber kein Grund ist, da läßt sich auch kein Gebäude aufführen. Leget sonach allenthalben solchen Grund, bevor ihr bauen wollt, und eure Mühe wird keine vergebliche sein!

09. Ihr seid aus Gott und sollet daher auch in allem Gott gleich sein; Gott aber läßt Sich Zeit im Schaffen. Zuerst wird der Same, daraus der Keim. Aus dem Keime erst erwächst der Baum; dieser aber treibt zuerst Knospen, dann Blätter, dann Blüten und endlich erst die wohlschmeckende Frucht, in die abermals der Ursame gelegt ist und zur weiteren Fortpflanzung in der Frucht ausgereift wird.

10. Wie es aber zugeht mit einer Pflanze im kleinen, also geht es auch zu mit einer ganzen Welt. Die Sonne steigt nicht unangekündigt über den Horizont, und einem Sturme gehen allzeit warnende Boten voran, die allzeit wohl zu erkennen sind.

11. Wenn denn Gott Selbst in allen Dingen solch eine Ordnung des Nacheinanderwerdens allerstrengst und mit der größten Geduld und Ausharrung beachtet, so werdet wohl auch ihr, als Meine wahrhaftigen Jünger, Mir in allem dem Nachfolge tun, was Ich euch gezeigt und wozu Ich euch den Weg gebahnt habe, auf daß ihr nicht irre werdet am selbstgemachten Wege! — Habt ihr alle das wohl verstanden?“

12. Sagt der Hauptmann: „Herr, ich für meinen Teil habe alles wohl verstanden und glaube, daß sich unter uns wohl niemand mehr befindet, der diese übersonnenhellen Wahrheiten aus den Himmeln nicht verstanden hätte. Dir allein allen Dank und alle Ehre darum!“

13. Sage Ich: „Du meinst es wohl, daß diese meine Worte alle hier Anwesenden verstanden haben?! Ja, sie haben das auch verstanden, auch der eine hat es verstanden — mit seinem Gehirne, aber nicht mit seinem Herzen!“

14. Auf dies Wort wurden alle verlegen, und die Jünger fragten Mich, wer es sei, den Ich gemeint habe.

15. Ich aber sagte: „Noch ist es nicht an der Zeit, solches vom Dache herab kundzutun; wenn aber die Zeit kommen wird, da werdet ihr euch dieser Meiner Worte wohl erinnern. Wer von euch aber nun irgendeine Vermutung hegt, der behalte sie in seinem Herzen; denn vor der Zeit soll kein Baum gefällt werden!“

16. Nach solchen Meinen Worten begriffen die Jünger wohl, daß Ich den Judas Ischariot gemeint hatte; aber sie schwiegen und gaben durch kein Zeichen ihre begründeten Mutmaßungen kund.

17. Es fragten Mich aber Matthäus und Johannes, ob sie solche herrlichste Lehre wohl aufzeichnen dürften zum Besten der Menschen.

18. Sage Ich: „Ihr möget die Lehre der Liebe, Sanftmut und Geduld wohl auf ein eigenes Blatt vorderhand anmerken, — aber nicht zu dem im Hauptbuche bereits Geschriebenen; denn Ich werde davon noch mehrmals reden und werde es euch schon anzeigen, wann ihr es aufzuzeichnen habt. — Nun aber wollen wir ruhen und uns abermals in der inneren Selbstbeschauung üben, welche da ist eine wahre Sabbatfeier in Gott!“

19. Auf diese Worte aus Meinem Munde ward alles stille im Hause, und wir saßen also bei drei Stunden.

20. Nach dieser Zeit aber sagte Ich: „Nun ist der Sabbat vollbracht, und wir können nun auch unsern Gliedern eine nötige Ruhe spenden!“ — Darauf begab sich alles zur Ruhe des Fleisches, und es ward schon ziemlich spät am Morgen, als wir die Lager verließen.

167. Kapitel. Abschied des Herrn und Abfahrt nach Sidon und Tyrus.

01. Nach eingenommenem Morgenmahle beschäftigten wir uns mit allerlei, und Ich gab dem Ebahl so manche Landwirtschaftsregel, wie er seine Felder bebauen und seine Obst— und Weingärten behandeln solle, auf daß sie ihm stets eine reiche Ernte gäben, die er sicher allzeit am besten verwenden werde. Ich zeigte dem Ebahl, wie er das Obst veredeln und vermehren könne, und lehrte ihn mehrere nützliche Kräuter kennen, die seither in die Küche aufgenommen worden sind. Also zeigte Ich ihm auch mehrere Wurzelfrüchte, die ebenfalls als gute Nährmittel allzeit verwendet werden können und zeigte ihm auch die Zubereitung alles dessen, sowohl der Kräuter wie der Wurzeln. Kurz, in den zwei noch darauffolgenden Tagen, die Ich noch in Genezareth zubrachte, lehrte Ich den Ebahl noch so manches in der Landwirtschaft kennen, was zuvor noch kein Jude kannte. Im gleichen lehrte Ich ihn auch, daß er auch das Fleisch der Hasen, Kaninchen, der Rehe und Hirsche, so und so zubereitet, allzeit als einen reinen und wohlschmeckenden Braten genießen könne, ohne dadurch unrein zu werden, zeigte ihm aber auch zugleich die Zeit an, in der solche Tiere zu fangen und zu töten sind. Und also zeigte Ich ihm noch so manches und manches, worüber der biedere Ebahl sehr erfreut war.

02. Zugleich legte Ich mit Meinen Jüngern für die Jarah einen kleinen Küchengarten an, bepflanzte ihn mit allerlei nützlichen Pflanzen, Kräutern und Wurzelgewächsen und empfahl ihr, diesen Garten recht sorgsam zu pflegen. Sie versprach Mir das auch unter vielen Freudentränen, und wenn Ich jüngst wiederkäme, so solle Ich den Garten schon in dem blühendsten Zustande antreffen. Und so war nun im Hause Ebahls alles in der besten Ordnung.

03. Also war unter allerlei nützlichen Beschäftigungen der Sonntag, der Montag und der Dienstag vergangen, und Ich machte Anstalten zur Weiterreise. Aber der Hauptmann, der Ebahl samt seinen Weibern und Kindern, und darunter besonders die Jarah, baten Mich allerinständigst, die Nacht hindurch noch in ihrem Hause zu verweilen; und Ich verweilte denn auch bis an den Mittwoch morgen.

04. Am Morgen aber kamen einige von den Schiffsknechten und sagten, wie die Pharisäer von Jesaira wohl am vorhergehenden Tage zu ihnen gekommen wären, aber des 47. Psalms auch nicht mit einer Silbe mehr erwähnt, sich aber dafür desto emsiger nach Mir erkundigt hätten, um Mich zur Verantwortung zu ziehen, darum Ich ganz Jesaira von Jerusalem abwendig gemacht hätte. Aber sie (die Schiffsknechte) hätten ihnen auf derlei Fragen gar keine Rede und Antwort gegeben, wohl aber von ihnen die etlichen Silbergroschen genommen, die die Pharisäer mit viel Unwillen und Schimpfen an sie bezahlt hätten, — worauf sie dann wieder ihr Schiff bestiegen und ihre Reise, nach der Aussage der Schiffer, nach Kapernaum genommen hätten, wahrscheinlich um Mich dort näher auszukundschaften, für was sie eigentlich vom Tempel wie von Herodes bedungen wären.

05. Als Ich solches von den Schiffsknechten treu erzählt vernahm, da gebot Ich den Schiffern, binnen einer Stunde das Schiff zur vollen Abfahrt in Bereitschaft zu halten, und die Schiffer gingen hin und richteten das Schiff wohl zu.

06. Als aber die Jarah, die des Morgens in ihr Gärtchen gegangen war, ins Zimmer kam und auch sogleich vernahm, daß Ich alsogleich ausziehen werde, da fing sie an bitterlich zu weinen und bat Mich, ob Ich denn nicht noch eine Stunde länger verweilen könnte. Es drücke ihr förmlich das Herz ab, so sie sich vorstellen müsse, daß sie Mich nun, Gott weiß wie lange, nicht wiedersehen werde.

07. Ich aber gab ihr Trost und die volle Versicherung, daß sie Mich sogar leiblich gar bald wieder sehen werde; geistig aber solle sie mit Mir reden, wann sie nur immer wolle, und Ich werde ihr die vollkommenste Antwort klar und deutlich in ihrem Herzen aussprechen. Zudem werde ihr an Meiner Stelle der Engel Raphael sichtbar belassen, der sie führen werde den rechten Weg. — Damit war die Weinende beruhigt.

08. Darauf segnete Ich das ganze Haus Ebahls und zog dann hinaus ans Meer, allwo das Schiff unser harrte. Daß Mich das ganze Haus Ebahls, der Hauptmann und noch eine große Menge andern Volkes hinausbegleitete, versteht sich von selbst.

09. Die beiden Essäer und die bekehrten etlichen Pharisäer und Schriftgelehrten aber baten Mich, Mich dahin begleiten zu dürfen, wohin Ich zöge.

10. Ich aber sagte: „Bleibet ihr, auf daß es der Welt nicht vor der Zeit zu bunt wird! Denn die Vögel haben ihre Nester und die Füchse ihre Löcher; aber des Menschen Sohn hat auch nicht einen Stein also, daß Er ihn als volles Eigentum lege unter Sein Haupt. Da Ich aber keinen irdischen Besitz habe und dennoch eine große Schar von Menschen mit Mir nehme, so würde man zu sagen anfangen: ,Woher ernährt er sie? Hat er doch keine Äcker, keine Wiesen und keine Herden! Er ist entweder ein Dieb oder sonst ein Betrüger!‘ Um solches zu vermeiden, bleibet ihr hier, und ihr Essäer gehet zu euren Brüdern und erzählet ihnen alles, was ihr gesehen und gehört habt; sie alle werden sich umändern und werden eines bessern Sinnes werden!

11. So ihr Pharisäer und Schriftgelehrten aber etwa vom Tempel zurückberufen werdet, um über Mich Aufschlüsse zu geben denen, die Mir nach dem Leben streben, so redet nichts von all den Werken, aber desto mehr und offener von Meiner Lehre! Fürchtet euch nicht ihrer, die im äußersten Falle wohl euren Leib töten, aber der ewig fortlebenden Seele keinen weitern Schaden zufügen können! Sie werden euch jedoch nicht angreifen. Verstoßen sie euch aber, so ziehet zu den Essäern; diese werden euch mit offenen Armen aufnehmen!“

12. Sagt der Hauptmann: „Oh, ihr möget auch bei mir verbleiben; ich mache euch zu Römern, gebe euch römische Kleidung und ein Schwert, und ihr werdet dann sicher volle Ruhe haben vor dem Tempel und dessen sehr argen Dienern.“

13. Sage Ich hierzu: „Ja, ja, auch das könnet ihr tun! Seid stets klug gleich den Schlangen und sanft gleich den Tauben, so werdet ihr mit der Welt am besten auskommen!“

14. Nach diesen Worten stieg Ich mit Meinen etlichen, in allem zwanzig Jüngern ins Schiff, und, da ein guter Wind kam, fuhr es mit großer Schnelligkeit ans jenseitige Meeresufer in der Richtung gen Sidon und Tyrus (Matth.15,21), welche Städte aber freilich noch hübsch ferne vom Galiläischen Meere am Mittlandsmeere (Mittelländisches Meer) lagen.

168. Kapitel. Szene mit dem kananäischen Weibe bei Tyrus.

01. Als wir das Schiff am jenseitigen Ufer verließen, hatten wir auf griechischem Gebiete noch einen starken Marsch zu Fuß zu machen, um nur in das Gebiet von den beiden Städten zu gelangen. Als wir bis an die Grenze des Gebietes von Tyrus kamen und dasselbe schon stark gen Abend überschritten, lief ein Weib, das aus Kana in Galiläa gebürtig war, aber in diese Gegend hin einen Griechen schon vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte und Mich am Wege erkannte, uns nach und schrie: „Herr, Du Sohn Davids, erbarme Dich meiner! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt!“ (Matth.15,22) — Ich aber ließ sie schreien, sagte zu ihr kein Wort und zog den Weg vorwärts.

02. Da aber das Weib zu gewaltig schrie, daß es den Jüngern schon lästig ward, traten diese zu Mir, hielten Mich auf und sagten: „Laß sie doch von Dir! Denn nun schreit sie uns schon bei einer halben Stunde die Ohren allerlästigsterweise voll! (Matth.15,23) Willst oder kannst Du ihr nicht helfen, so schaffe doch, daß sie uns verlasse, sonst werden die andern Menschen, die auch auf diesem Wege wandeln, noch auf den Glauben kommen, wir hätten dem Weibe etwas angetan, und werden uns aufhalten und mit allerlei Fragen belästigen!“

03. Sage Ich darauf zu den Jüngern: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel.“ (Matth.15,24)

04. Die Jünger sahen auf diesen Meinen Bescheid einander groß an und wußten nicht, was sie daraus hätten machen sollen; und Judas Ischariot beschuldigte Mich einer Inkonsequenz im höchsten Grade, indem er zu Thomas sagte: „Man möchte aber manchmal schon aus der Haut fahren vor Ärger über so manche faustdicke Widersprüche in seinem Reden und Handeln! Bei diesem Weibe, das bei ihm Hilfe sucht, ist er ganz allein zu den Schafen vom Hause Israel gesandt; aber wo er den Römern, die doch noch mehr Heiden sind denn dieses arme, halb griechische und halb jüdische Weib, alle mögliche Hilfe hat angedeihen lassen, da dachte er nicht daran, daß er nur zu den Schafen vom Hause Israel gesandt ist!“

05. Sagt zu ihm Thomas: „Ich kann dir diesmal freilich nicht ganz unrecht geben; aber dennoch bleibe ich bei dem, daß Er hier einen besonderen Grund haben wird, demzufolge Er diesem Weibe gar nicht helfen will!“

06. Während aber die Jünger also untereinander ihre Meinungen tauschen, kommt das Weib Mir nahe, fällt vor Mir auf ihre Knie und spricht: „Herr, hilf mir!“ (Matth.15,25)

07. Ich aber sah das Weib an und sagte: „Es ist nicht fein, daß man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde!“ (Matth.15,26)

08. Darauf sagte das Weib: „Ja, Herr, — aber doch essen die Hündlein die Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen!“ (Matth.15,27)

09. Diese Antwort setzte alle Jünger in Erstaunen, und Petrus bemerkte insgeheim: „Nein, das ist stark! Soviel Weisheit habe ich nur selten bei einer Jüdin gefunden; und das Weib ist von Geburt auf eine Griechin, obgleich zu Kana in Galiläa geboren! Ich kenne sie und habe ihr schon manchen Fisch verkauft, aber freilich schon vor fünfzehn bis sechzehn Jahren.“

10. Ich aber sah an das Weib und sagte zu ihr: „O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du es willst!“

11. Da erhob sich das Weib, dankte und eilte von dannen nach ihrer Behausung und fand ihre Tochter gesund. (Matth.15,28) — Die Leute aber, die daheim bei dem Mägdlein waren, erzählten der Heimgekommenen, wie der Teufel sichtbar, unter gewaltigem Toben und Fluchen, vor einer halben Stunde ausgefahren sei. Da erkannte das Weib, daß dies um dieselbe Zeit geschah, als Ich an der Grenze des Gebietes von Tyrus zu ihr sagte: „O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du es willst!“

12. Es war aber Abend geworden, und die Jünger fragten Mich, ob Ich wohl ganz nach Tyrus ziehen werde, oder ob sie sich hier an der Grenze des Gebietes nach einer Herberge umsehen sollten, da die Stadt Tyrus von da noch bei drei Stunden Weges entlegen wäre.

13. Ich aber sagte zu den Jüngern: „Wißt ihr was? Wenden wir uns von da statt gen Abend, allwo Tyrus liegt, gen Mittagmorgen (Südost)! Allda kommen wir abermals ans Galiläische Meer. Gleich vom Ufer aus erhebt sich ein schöner Berg, dessen ganz freie Kuppe wir von hier aus in zwei Stunden leicht erreichen; dort wollen wir übernachten.“

14. Auf diese Meine Worte gingen wir von da fürbaß, kamen nach einer Stunde ans Galiläische Meer und zugleich an den Fuß des Berges, dessen Kuppe wir auch recht gemächlich in einer Stunde erreichten.

15. Auf der Höhe angelangt, setzten wir uns aufs weiche Alpengras und ruhten daselbst, ohne gerade gleich einzuschlafen. (Matth.15,29)

169. Kapitel. Von der Besessenheit.

01. Nach einer Weile der genossenen Ruhe sagte Petrus: „Herr, ich begreife nun schon so manches, aber das Besessensein — besonders unschuldiger Kinder — vom Teufel, und daß sie von solch einem argen Bewohner ihres Leibes oft auf die erbärmlichste Weise geplagt werden, das begreife ich nicht! Wie solch einen Unfug Deine Weisheit und Deine Ordnung zulassen kann! Das Töchterchen des Weibes, das uns heute nachlief, dürfte kaum 13—14 Jahre alt sein, und nach der Aussage der Mutter ist es bereits sieben volle Jahre hindurch von einem Teufelsgeiste auf eine kaum glaublich böse und schmerzlichste Weise täglich bei sieben Stunden lang gepeinigt worden. Warum mußte denn so etwas zugelassen werden?“

02. Sage Ich: „Das sind Dinge, die euer Verstand jetzt noch nicht vom Grunde aus fassen kann! Aber da wir hier ganz ungestört beisammen sind, so will Ich euch gleichwohl einige Winke davon geben; und so vernehmet Mich!

03. Die Erde ist die Trägerin von zweierlei Arten von Menschen. Die eine und bessere Art stammt von oben, ursprünglich schon, darunter zu begreifen sind die Kinder Gottes. Die andere und eigentlich schlimme Art aber stammt pur von dieser Erde ab; ihre Seele ist gewisserart eine Zusammensetzung von einzelnen Lebensteilchen, die, vom Satan genommen, in der Masse des Erdkörpers als Materie gefangengehalten werden, von dieser dann durch die Pflanzenwelt in die Tierwelt übergehen, sich durch die vielen Stufen der Tierwelt endlich dann als eine Potenz, bestehend aus zahllosen Urseelenteilchen, zu einer Weltmenschenseele ausbilden und bei den besonders ungesegneten Zeugungen in den Leibern der Weiber Fleisch annehmen und weiter, gleich wie die Kinder des Lichtes aus der geistigen Sphäre der Himmel, in diese Welt geboren werden.

04. Nun, solche Kinder, da ihr ganzes Wesen aus dem Satan genommen ist, sind dann auch stets mehr oder weniger der Gefahr ausgesetzt, von irgendeinem bösen Geiste, das heißt von der schwarzen Seele eines einst auf dieser Erde schon im Fleische gelebt habenden Teufels von einem Menschen, besessen zu werden, was aber besonders da am ehesten geschehen kann, wo eine solch junge, aus dem Satansteile der Erde genommene Seele eine gute und himmlische Richtung zu nehmen beginnt. Weil dadurch ein Lebensteil sich aus der Sphäre der Hölle entreißt, so verursacht solches der gesamten Hölle einen unerträglichen Schmerz, darum sie dann auch alles aufbietet, um solch eine Verwundung zu verhüten.

05. Du fragst nun freilich, wie solches der Hölle denn doch einen Schmerz verursachen könne; denn eine solche Seele müsse der Hölle gegenüber ja doch noch ums Unnennbare kleiner und geringfügiger sein, als da ist ein Härchen am Menschen dem ganzen Menschen gegenüber. Und Ich sage dir, daß dies allerdings richtig geurteilt ist; aber ergreife du an deinem Leibe das kleinste Härchen und raufe es aus, und du wirst dabei gewahr werden, daß du beim Akte des Haarausraufens nicht bloß an der Stelle des Härchens, sondern wohl im ganzen Leibe einen unausstehlichen Stechschmerz verspüren wirst, der dich zur Verzweiflung brächte, so er nur eine Stunde gleichfort währte.

06. Aus dieser dir nun gegebenen Erklärung kannst du nun schon ein wenig tiefer einsehen, warum auf der Erde das Besessensein vorkommt und bis ans Ende dieser Erde vorkommen wird.

07. Dieses Besessensein aber hat für den Besessenen auch sein entschieden Gutes; denn eine solche Seele, deren Leib von irgendeinem Teufel in Besitz genommen wird, wird durch die Qualen ihres Fleisches offenbarst geläutert und vor dem bösen Eingehen in ihren Leib bewahrt. Zur rechten Zeit aber kommt dann schon die Hilfe von oben, und eine Weltseele ist dann total gewonnen für den Himmel. — Sage, ob du die Sache nun etwas begriffen hast!“

08. Sagt Petrus: „Ja Herr, das ist mir nun ganz klar geworden; aber dann wäre es ja beinahe besser, einem noch so schwer Besessenen gar nicht zu helfen!?“

09. Sage Ich: „Wenn jemand kommt und dich um Hilfe angeht, so sollst du sie ihm nicht vorenthalten; denn da sorgt schon Meine Vorsicht dafür, daß irgendein Beteiligter nicht eher in diesen Fällen zum Hilfesuchen gelangt, bis es beim Besessenen gerade an der Zeit ist, daß ihm eine rechte Hilfe werde. Darum ist sie denn auch keinem Suchenden vorzuenthalten! — Verstehest du denn nun auch diese gleich vollwichtige Erklärung?“

10. Sagt Petrus: „Ja Herr, Dir allein allen Dank, alle Liebe und alle Ehre darum! So gibt es in der Welt denn doch nichts, woraus für den in göttlichen Dingen Verständigen nicht gleichweg die höchste Liebe und Weisheit Gottes vollauf ersichtlich wäre!“

11. Sage Ich: „Ja, also ist es, darum sollt ihr denn auch bei allen noch so widerwärtigen Erscheinungen auf dieser Erde nicht verzagen; denn der Vater im Himmel weiß darum und weiß es am besten, aus welchem Grunde Er sie zuläßt!

12. Also sind die meisten Krankheiten, die die Menschen zu durchleiden haben, nichts als Verhütungen, daß die Seele nicht eins werde mit dem Fleische, das sogar bei den Kindern des Lichtes aus dem gebannten Satan genommen ist; nur ist bei den Kindern des Lichtes ein Unterschied darin, daß ihre Leiden, wenn die Seele fleischlich werden will, vom Himmel aus verfügt werden. Aber auch die Schmerzen der Kinder der Welt werden dahin aus den Himmeln verordnet und zugelassen, sind aber im Grunde doch Schmerzen der Hölle, die der Leib des Weltkindes als ein voller Teil der Hölle gleichsam mitfühlt, wenn die Hölle dadurch in einen großen Stechschmerz versetzt wird, so ihr durch den gewaltigen Einfluß der Himmel ein Teil ihres Gesamtlebens vom Grunde aus abgerissen wird! — Verstehst du nun auch solche Meine Erklärung?“

13. Sagt Petrus: „Ja Herr, auch diese Erklärung verstehe ich; Dir wie allzeit alle meine Liebe für ewig!“

170. Kapitel. Die Wunderquelle.

01. Sage Ich: „Habt ihr es wohl gemerkt, daß uns niemand sah besteigen diesen Berg, und daß wir uns hier gelagert haben?“

02. Sagen die Jünger: „Herr, wir haben auf dem ganzen, gut zwei Stunden langen Wege keinen Menschen gesehen, wollen darum aber ja nicht behaupten, daß uns niemand gesehen habe!“

03. Sage Ich: „Das Weib hat uns dennoch gesehen und entdeckt, daß wir hier Lager genommen haben, und das genügt, daß morgen dieser Hügel von Tausenden betreten werden wird!“

04. Sagen die Jünger: „Herr, wir sind so müde nicht; verlassen wir darum etwa nach Mitternacht diesen Berg und begeben uns woandershin, allwo uns das allzeit lästige Volk nicht finden wird, und wir können also dann etliche Tage ausruhen!“

05. Sage Ich: „Wir werden aber dennoch hier bleiben! Denn es ist also des Vaters Wille, daß Ich hier heile allerlei bresthafte Menschen von ihren leiblichen Übeln. Darum werde Ich Mich drei volle Tage auf diesem Berge aufhalten. Am Morgen könnt ihr irgendwohin gehen und für uns auf die drei anberaumten Tage mäßig viel Brot herschaffen!“

06. Sagt Judas Ischariot: „Da werden wir weit zu gehen haben; denn das ist eine offenbare Wüste, und unter drei bis vier Stunden Weges finden wir nirgends einen Ort, wo wir Bäcker antreffen!“

07. Sagt Petrus: „Dafür werde schon ich Sorge tragen; denn an dieses Meeres Ufern ist mir kein Ort fremd, und ich weiß es, wohin man zu gehen hat, um Brot zu bekommen. Zwei Stunden Weges höchstens hin und ebensoviel hierher zurück!“

08. Sage Ich: „Nun gut, so sorge du, Simon Juda, darum! Den du berufst, der soll dein Begleiter sein!“

09. Sagt Petrus: „Herr, wir sind unser etliche zwanzig; so aber zehn mit mir gehen, so bringen wir des Brotes und auch der schon gebratenen Fische für drei Tage zur Übergenüge.“

10. Sage Ich: „Also ist es gut; nun aber lasset uns ruhen!“

11. Darauf suchte sich jeder ein Plätzchen aus, das ihm zur Ruhe die meiste Bequemlichkeit bot, und so ward es bald stille auf dem Berge. Alle Jünger schliefen bald ein; nur Ich allein blieb wach und schlief erst gegen Morgen ein wenig ein. Als Ich mit dem Sonnenaufgange erwachte, war Petrus auch schon mit einer Menge Brotes an Ort und Stelle; denn er verließ schon bei drei Stunden vor dem Aufgange den Berg und fand unten am Ufer des Meeres ein mit Brot beladenes Schiff, das von Magdala herkam und damit nach Jesaira steuern wollte. Petrus aber nahm dem Schiffe nahezu die Viertelladung ab, und Matthäus, der junge Zöllner, bezahlte die ganze Abnahme. Zugleich führte dies Schiff auch gute, frisch gebackene Fische, von denen der gute Petrus auch eine ganze Kiste voll nahm, die ebenfalls der Matthäus bezahlte. Mit allem dem war nun dieses Berges Höhe versehen; aber eines mangelte, und das war eine gute Quelle. Wasser war auf dem ganzen, ziemlich gedehnten Berge aber auch nicht einmal tropfenweise anzutreffen, und der geringe Weinvorrat reichte kaum für einen halben Tag.

12. Da traten zu Mir Petrus und Mein Johannes, und beide sprachen: „Herr, Du bist mehr denn Moses! So Du sprächest zu diesem schönen weißen Felsblock, daß er Wasser gäbe, so würde sicher sogleich das reinste Wasser hervorquellen!“

13. Sage Ich: „So ihr beide hinreichend Glauben habt, so leget eure Hände auf den Stein und gebietet ihm in Meinem Namen, daß er Wasser gäbe, und es soll an der Stelle, die ihr mit euren Händen angerührt habt, sogleich eine Menge des besten, reinsten und wohlschmeckendsten Wassers geben!“

14. Als die beiden solches vernahmen, da suchten sie sich gleich eine passende Stelle aus auf dem Steine und legten ihre Hände darauf. Aber der Stein wollte dennoch kein Wasser geben! Als sie bei einer Stunde lang ihre Hände auf dem Steine gehalten hatten, da fing derselbe an sich zu rühren und schob sich bald über zehn Schritte von der früheren Stelle; denn dieser Steinblock war vor mehreren tausend Jahren einmal da von der Höhe herab als ein Meteor aufgestürzt und hatte dadurch die einzige Wasserquelle dieses Berges derart verstopft, daß der Quelle aber auch nicht ein Tropfen Wasser mehr entrinnen konnte. Da aber nun der Stein auf diese Weise von der alten Stelle abgehoben ward, so war denn auch sogleich die beste und sehr reichliche Quelle am Tage, und zwar gleich einem bei fünf Schuh tiefen Bassin, das — wie schon gezeigt — der Stein vor mehreren tausend Jahren durch seinen Aufsturz verursacht hatte.

15. Und so war denn nun dieser Berg auch mit dem besten Wasser für immer versehen (und ist es noch bis zur Stunde). Aber weder Petrus noch Johannes begriff, wie der Stein durch die pure Auflegung ihrer Hände zum gleichwie freien Fortbewegen gekommen ist. Es versuchten hernach auch alle andern Jünger, ihre Hände an den Stein zu legen, um zu erfahren, ob er noch weiterginge. Aber diese richteten mit dem Steine nichts aus.

16. Als aber Petrus und Johannes ihre Hände wieder auf den Stein legten, so fing er sogleich wieder an, sich weiterzubewegen. Da fragten Mich die andern Jünger: „Herr, warum können denn wir das nicht zustande bringen?“

17. Sage Ich: „Weil euer Glaube hie und da noch ein wenig wurmstichig ist und der gerechten Kraft ermangelt. Aber Ich sage es euch: So ihr einen rechten Glauben hättet und möchtet nicht zweifeln an dem, was ihr bewirken wollt, wahrlich, ihr könntet auf einen ganzen Berg eure Hände legen und ihm gebieten, und er würde seine Stelle gleich diesem ziemlich schweren Steine verlassen und sich woandershin bewegen. Aber dazu ist euer Glaube noch viel zu schwach! Ja, Ich sage euch noch mehr! So ihr einen wahren, festen Glauben besäßet, so könntet ihr zu jenem hohen Berge, den wir bei Genezareth bestiegen haben, von hier aus sagen: ,Hebe dich und falle ins Meer!‘, und der Berg würde sich heben und fallen ins Meer nach eurem Worte und Willen! Doch, was ihr nun noch nicht vermöget, das werdet ihr dennoch dereinst vermögen! — Nun aber lasset uns das Morgenbrot nehmen; denn es wird dann gar nicht lange mehr hergehen, und wir werden von Menschenmassen nahezu erdrückt werden! Den Vorrat des Brotes und der Fische aber leget auf jenen Stein, der durch euch von hier weitergerückt worden ist!“

18. Wir nahmen darauf das Morgenbrot zu uns, und nachdem wir es mit etwas Fischen verzehrt hatten, legten die Jünger den noch bedeutenden Vorrat auf den großen, weißen Stein, und wir besahen uns die schöne Gegend, die weit ausgebreitet vor uns nach allen Seiten hin lag. Man konnte von diesem Berge ganz gut bei einem heiteren Wetter hie und da das Ufer des großen Mittelmeeres erschauen und die Türme von Sidon und Tyrus und noch eine große Menge anderer Ortschaften; kurz, die Fernsicht von diesem Berge war überaus reizend und wetteiferte mit mehreren viel höheren Bergen, zu deren Besteigung man oft einen vollen Tag vonnöten hatte. Die ganze Höhe maß über die Meeresfläche nach den Maßbestimmungen dieser Zeit etwas über viertausend Fuß. Das Plateau war so weit und geräumig, daß man darauf eine recht große Stadt hätte setzen können; nur die Zugänge waren von allen Seiten ziemlich steil, und man mußte sich bei manchen Stellen eine ziemliche Mühe gefallen lassen, um sie zu überwinden. An mehreren Stellen war dieser Berg sogar unersteiglich; aber von der Seite, von der wir ihn bestiegen hatten, war er ziemlich gut zu besteigen. Und von dieser Seite her vernahmen wir denn auch nach einer etwa stündigen Betrachtung der schönen Fernsicht eine Menge Menschenstimmen, darunter viele Schmerzenslaute von jung und alt und von männlich und weiblich.

171. Kapitel. Großes Heilwunder auf dem Berge.

01. Als Judas Ischariot solches vernahm, schlug er die Hände über dem Kopfe zusammen und sprach: „Nein, da wird es mir denn doch endlich einmal zuviel! Da kommen ja gleich wieder nicht etwa Hunderte, sondern Tausende von Menschen, und das sicher mehr Kranke als Gesunde! Lebe wohl, du stiller Friede dieser Höhe! Das wird wieder ein Getummel und Getümmel werden, und von einer Ruhe wird keine Rede mehr sein können!“

02. Sage Ich: „Was kümmert denn dich das? Zu dir kommt sicher keine Seele, und die Kranken wirst du nicht gesund zu machen brauchen; geht es dir bei Mir zu unruhig und zu bunt zu, so ziehe nach deiner Heimat und besuche mit deinen Töpfen wieder die Märkte! Solange du bei Mir sein willst, mußt du dich fügen in Meine Anordnungen, weil auf Meinen Wegen und Stegen Ich allein der Herr bin! Werde Ich aber jemals zu dir kommen und mit dir ziehen auf deinen Wegen und Stegen, dann werde Ich Mich in deine Anordnungen fügen und dich als Herrn deiner Sache anerkennen! Hier aber, meine Ich, ist es etwa doch wohl der umgekehrte Fall?!“

03. Sagt Judas Ischariot, in sich hineinbrummend: „Nun ja, nun ja, — ich darf nur den Mund auftun, so ist schon alles gefehlt! Kann ja für alle Zukunft auch so stumm bleiben wie ein Stein!“

04. Sagt endlich auch einmal wieder der weise Nathanael: „Das wäre von dir einmal ein weiser Zug, den ich bei dir aber noch immer vermißt habe. Ja, reden zu rechter Zeit, ist eine schöne Sache für den, der etwas zu reden hat und zu reden versteht; aber für einen Dummen ist das volle Schweigen noch um vieles schöner!“

05. Während Nathanael also noch einige Weisheitssprüche Salomons dem Judas Ischariot ins Gedächtnis rief, kamen schon an verschiedenen Seiten des großen Bergplateaus eine übergroße Menge Menschen von allen Gegenden zum Vorschein und brachten mit sich Lahme, Blinde, Stumme, Krüppel aller Art und noch viele andere mit allerlei Krankheiten Behaftete und legten alle die vielen Leidenden, derer bei fünfhundert an der Zahl waren, in einem weiten Kreis um Mich herum, als wie zu Meinen Füßen, und baten Mich, daß Ich sie heilete. Und siehe, Ich heilte sie mit einem einzigen Wort und sagte dann zu den Geheilten: „Stehet nun auf und wandelt!“ (Matth.15,30)

06. Da merkten es zuerst die Blinden, daß sie sahen so gut und rein, als wären sie frisch geboren worden. Gleich darauf merkten es auch die Stummen und gaben Antwort und Rede auf jegliche Frage. Darauf erst versuchten es die Lahmen und die Krüppel, ob ihre kontrakten (gelähmten) und zum Teil ganz verdorrten Glieder in der Ordnung seien. Es war aber darunter auch nicht einer, der da hätte sagen können: ,Mir ist dennoch nicht vollkommen geholfen worden!‘ In gleichem Maße wurden auch alle andern Kranken völlig gesund.

07. Als das Volk ersah, daß die Stummen redeten, die Blinden sahen, die Lahmen wohlgemut gerade gingen und allerartige Krüppel und andere Kranke vollauf gesund waren, da verwunderte es sich über alle Maßen gewaltig und fing an, laut zu preisen den Gott Israels. (Matth.15,31) Und sie blieben darauf bis an den dritten Tag bei Mir auf dem Berge, obwohl sie schon am zweiten Tage ihren mitgenommenen Mundvorrat bis auf den letzten Brosamen aufgezehrt hatten.

08. Man kann hier füglich fragen, was denn diese Volksmasse die zwei andern Tage hindurch auf dem Berge gemacht hat. — Darauf kann in Kürze geantwortet werden, daß sich alle die etlichen tausend Menschen beiderlei Geschlechts in Meiner Lehre von Mir und von den Jüngern haben unterweisen lassen. Merkwürdig aber war es, daß da unter den etlichen Tausenden auch nicht einer war, der da ergriffen hätte die Partei der Pharisäer und Schriftgelehrten. Im Gegenteile wußten sie dazu noch eine Menge löblicher Stücklein zu erzählen, die sie bei verschiedenen Gelegenheiten mit den Templern erlebt, dabei aber auch nur zu oft die bittersten Erfahrungen gemacht und darauf bitter beklagt hatten, mit diesen blinden Zeloten je in Berührung gekommen zu sein.

172. Kapitel. Des Herrn Vorraussage über die Zukunft seiner Lehre.

01. Es waren darunter auch eine Menge Griechen, die im höchsten Grade über die Lehre erstaunten, und einer von ihnen sagte: „Ja, das ist eine Lehre aus dem Fundamente der Natur! Da ist nichts Positiveres, nichts Willkürliches, das da sich ausgedacht hätte ein Mensch, damit er als Gesetzgeber aus Millionen von Menschen, die seine Gesetze zu beachten haben, sich am besten befände, so seine Gesetze beachtet werden, sondern diese Lehre enthält Gesetze, die vorerst das Leben des Menschen urgrundsächlich bedingen und somit auch höchst geeignet sind, dasselbe unter den besten, reinsten und wohltuendsten Verhältnissen für ewig zu erhalten. Da sieht nirgends ein Eigennutz und noch weniger irgendeine Herrschsucht heraus, sondern da ist gesorgt wie für jeden einzelnen an und für sich, also auch für eine zahllose Allgemeinheit! Wahrlich, durch diese Lehre, so sie erkannt und dann allgemein beachtet würde, müßte die Erde selbst ja schon zu einem Himmel werden!

02. Aber, und das ist ein großes Aber, dazu wird eine total neue Generation vonnöten sein! Der unverbesserliche Mist von Menschen muß von der Erde vertilgt werden, sonst wird es ewig nimmer anders auf dieser Erde! Der Luxus und der Bequemlichkeitssinn hat eine zu hohe Stufe erreicht, der Mächtigere weiß sich die arme, schwache und ohnmächtige Menschheit zunutze zu machen; und darum leben nur wenige Menschen im Glücke, und die ungeheure Menge von Menschen muß darben! Und so kommt es dann, daß der arme Teufel am Ende an einer Vorsehung Gottes verzweifelt, der Reiche und Mächtige aber vor lauter Glück und Wohlergehen Gott vergißt, und die Folge ist, daß am Ende beide des Teufels werden müssen!

03. Ja, Herr und Meister, Deine Lehre hat in sich die reinste göttliche Wahrheit, ja ich möchte sagen: Sie ist schon an und für sich pur Leben. Aber leider wird sie von der nichts glaubenden hohen Welt sicher nicht adoptiert werden, weil diese sich schon einmal auf der Erde eine solche Stellung gegeben hat auf dem Wege des Heidentums, daß sie dabei irdisch sehr gut bestehen kann. Adam wäre denn trotz seines gepriesenen Edens ein armer Schlucker gegen einen Cäsar Augustus oder gegen einen Lukullus und mehrere Hunderte dergleichen. ,Das kann man sich durch den Zeus, Apollo, Merkur usw. verschaffen; man kann an der Seite dieser Phantasiegötter endlos gut leben! Wozu dann Wahrheit, wozu Liebe, Sanftmut, Geduld und Weisheit?‘ Also werden die Großen und Mächtigen der Erde philosophieren und Deine wahrhaft heilige Freundschaftslehre gegen jedermann verfolgen, wie da verfolgt wird ein Lamm von den hungrigen Wölfen.

04. Wie wird der sich je in Deine göttliche Freundschaftslehre finden, dem die Sklaverei seiner Nebenmenschen das höchste Bedürfnis zu seinem Wohlleben ist? Ja, Herr und Meister und allein wahrer Heiland der armen leidenden Menschheit, gehe hin, tue Wunder, predige die ewige Sklaverei und zeige es dem schmachtenden Volke, daß ein Cäsar allein das Recht hat, auf der Erde zu leben, alles Volk aber nur insoweit, als es dem Cäsar beliebt! Zeuge weiter laut, daß der Cäsar das unbestreitbare Recht habe, über jedermanns Leben und Tod zu verfügen nach seiner Willkür und einzuziehen alle Schätze und Güter der Erde, so werden Dir bald königliche Kleider angetan werden, und Du wirst einhergehen in großer Pracht und Majestät!

05. Aber da Deine Lehre die allgemeine Brüderschaft predigt und in einem jeden Menschen ein Gotteskind darstellt, so wirst Du, lieber, für mich wahrhaft heiliger Meister, samt Deiner Lehre verfolgt werden über alle denkbaren Maßen.“

06. Sage Ich: „Freund! Was du hier geredet hast, ist leider wahr; es wird bei den großen und mächtigen Heiden manchen harten Kampf kosten, bis bei ihnen Meine Lehre vollen Eingang finden wird! Aber wird sie bei ihnen einmal dennoch Eingang finden, so werden eben die Cäsaren und die Könige Meine wirkendsten und eifrigsten Apostel sein! Sie selbst werden die Götzentempel niederreißen und an deren Stellen erbauen Gotteshäuser, in denen sich die Brüder alle einfinden und allda geben werden dem einen, allein wahren Gott die Ehre, und ihre Kinder werden in den Gotteshäusern unterwiesen werden in der Lehre, die Ich nun gebe zum zeitlichen und ewigen Heile den Menschen.

07. Aber das wird freilich nicht von heut auf morgen geschehen, sondern nach der rechten Zeit und den rechten Umständen; denn zuerst muß der Same ausgestreut werden, dann keimt er und bringt am Ende viele Frucht.

08. Daß aber diese Meine Lehre nebenher von der eigentlichen Welt, die nicht sterben wird, allzeit Anfechtungen erleben wird, das weiß Ich um eine Ewigkeit schon zum voraus.

09. Ja, diese Meine allersanfteste Lehre wird mit der Zeit sogar die blutigsten Kriege anfachen, aber es kann solches auch nicht vermieden werden; denn das Leben ging hervor aus einem gewaltigen Kampfe in Gott, ist und bleibt darum ein fortwährender Kampf und kann nur durch den geeigneten Kampf erhalten werden! — Verstehest du solches?“

10. Sagt der Grieche: „Herr und Meister, das ist für unsereinen zu tief! Das magst Du und Deine Schüler wohl fassen; aber für mich ist das etwas zu Unbegreifliches und unergründlich Tiefes!“

11. Sage Ich: „Ja, ja, das meine Ich auch; aber dennoch ist und bleibt es ewig also, wie Ich es dir nun geoffenbart habe!“

12. Auch alles andere Volk ward voll Staunen über solche Meine Rede, und mehrere machten unter sich die Bemerkung und sagten: „Unser Altvater, der weise Grieche, aus Pathmos gebürtig, hat wahrlich recht klug gesprochen; aber man merkte es dennoch klar, daß aus dem Menschen nur ein Mensch sprach. Wenn aber dieser noch recht junge Mann und Meister spricht, so ist es, als ob nicht er, sondern Gott Selbst aus ihm spräche; und jedes Wort aus seinem Munde dringt also zum Herzen wie ein alter guter Wein und macht dasselbe fröhlich durch und durch.“ — Dergleichen Bemerkungen sind noch vielfach gemacht worden, besonders am dritten Tage, wo dies Volk schon mehr und mehr in Meine Lehre eingeweiht war.

173. Kapitel. Wunderbare Speisung der Viertausend. Ev. Matth. Kap. 15, Vers 32-39

01. Noch ist hier zu bemerken, daß das Volk vor lauter Freude und Verwundern über Meine Freundlichkeit und über Meine Lehre darauf vergaß, daß es nichts mehr zu essen und zu trinken hatte. Gegen Abend hin aber meldete sich dennoch der Hunger, und sie fingen an, sich gegenseitig zu fragen, ob unter ihnen niemand einen Mundvorrat hätte. Aber das Fragen war eine vergebliche Mühe; denn sie hatten schon an dem vorhergehenden Tage allen ihren mitgenommenen Vorrat bis auf den letzten Brosamen aufgezehrt.

02. Als Ich solches nur zu gut merkte, rief Ich die Jünger zu Mir und sagte zu ihnen: „Höret! Es jammert Mich des Volkes; denn es verharrete nun schon drei Tage bei Mir und hat nun nichts mehr zu essen. Ich aber will es nicht hungrig von Mir entlassen, auf daß es nicht verschmachte auf dem Heimwege (Matth.15,32); denn einige aus diesem Volke sind von weit her gereist. Gebet ihr ihnen zu essen!“

03. Sagen die Jünger: „Herr, Du weißt ja um unsern auch ziemlich zusammengeschmolzenen Vorrat! Hier ist eine Wüste, woher werden wir so viel Brot nehmen, um dieses Volk zu sättigen?“ (Matth.15,33)

04. Darauf fragte Ich die Jünger, sagend: „Wie viele Laibe Brot habt ihr noch in eurem Vorrate?“

05. Und die Jünger antworteten: „Sieben Laibe noch und etliche Fischlein, die noch gut sind.“ (Matth.15,34)

06. Da sagte Ich zu den Jüngern: „Bringet die Brote und die Fische her!“

07. Und die Jünger gingen und brachten die Brote und die Fische. Ich aber segnete beides, Brot und Fische. Darauf behieß Ich, daß sich das Volk lagere am Boden. (Matth.15,35) Als sich das Volk gelagert hatte, nahm Ich das Brot und die Fische, dankte dem Vater, der in Meinem Herzen wohnte in aller Fülle, für den Segen, brach darauf beides in Stücke und gab diese den Jüngern, und diese gaben sie dem Volke. (Matth.15,36) Und sieh, alle aßen nach Herzenslust und nach dem Bedürfnisse ihres Magens und wurden satt. Sie konnten aber über die volle Sättigung hinaus nicht mehr essen, und es blieben so viele Brocken übrig, daß man mit denselben sieben große Körbe voll klaubte. (Matth.15,37) Derer aber, die da gesättigt wurden, waren viertausend Mann und noch einmal soviel Weiber und Kinder, die nicht in die Rechnung zu nehmen sind. (Matth.15,38)

08. Als aber das Volk also gesättigt worden war, da behieß Ich es nun wieder nach Hause zu ziehen. Und das Volk erhob sich bald, da es mit dem Tage schon ziemlich nahe dem Untergange stand; es dankte Mir groß und klein und jung und alt und begab sich dann auf den Heimweg.

09. Als sich nach einer halben Stunde das Volk schon sehr verlaufen hatte und außer Mir und den Jüngern sich niemand mehr auf des Berges Höhe befand, da begab auch Ich Mich mit den Jüngern vom Berge hinab ans Meeresufer, an dem gerade ein Schiff feierte und auf eine Fracht wartete. Wir kamen diesem Schiffe darum sehr willkommen. Als aber die Schiffsleute Mich erkannten, da verbeugten sie sich tief vor Mir; denn sie kannten Mich von Kana in Galiläa aus. Sie forderten darum auch keinen Schiffslohn von Mir, sondern baten Mich um den Segen für ihr neu unternommenes Geschäft.

10. Und Ich sagte zu den Schiffern: „So es euch nicht zu sehr aus dem Wege ist, so lenket das Schiff an die Grenze von Magdala, allwo Ich etwas zu tun habe!“ — Und die Schiffer lösten das Schiff von den Uferklötzen, und es kam bald ein günstiger Wind und trieb das Schiff in kurzer Zeit bis an die Grenze des Gebietes von Magdala. (Matth.15,39)

174. Kapitel. Pharisäer und Sadduzäer versuchen den Herrn.

01. An der Grenze aber war eine große Herberge, allwo sich stets eine Menge von Menschen aller Art und Gattung — als Juden, Griechen, Römer, Ägypter, Samariter, Sadduzäer, Essäer, auch mehrere Pharisäer und Schriftgelehrte — befanden, und als Ich mit Meinen Jüngern allda ankam, so erkundigten sich natürlich vor allem die Pharisäer und Schriftgelehrten, wer Ich sei und wer Meine Jünger. Aber an diesem Abende erfuhr niemand etwas, wer wir seien.

02. Aber in dieser Herberge war eine Magd, die auch auf dem Berge mit vielen aus dieser Gegend zugegen war und von ihrem bösen Aussatze gereinigt ward. Diese Magd erkannte Mich, fiel vor Mir auf ihre Knie nieder und dankte Mir abermals für die ihr erteilte Heilung. Das sahen etliche Pharisäer und fingen an zu vermuten, daß Ich der für sie berüchtigte Jesus aus Nazareth sei.

03. Am Abend Meiner Ankunft ließen sie Mich und Meine Jünger in aller Ruhe; aber unter sich beratschlagten sie sich mit den Sadduzäern die ganze Nacht hindurch, wie sie Mich etwa fangen könnten mit Wort und Tat am kommenden Tage, der gerade ein Nachsabbat war.

04. Als Ich am Morgen mit Meinen Jüngern im Freien das Morgenbrot verzehrte und zugleich denselben kundgab, daß hier an diesem Orte nicht viel zu machen sein werde, da gingen die Pharisäer und Sadduzäer aus dem Hause, traten gleich ganz herrscherisch keck zu Mir und fingen an, Mich mit allerlei Fragen unter sehr freundlicher Larve zu versuchen, und lobten sogar viele Meiner Taten, die voll Ruhmes wären, um Mich dadurch etwa so recht geschwätzig zu machen, — worin sie sich aber ganz gewaltig irrten. Ein Sadduzäer sagte sogar: „Meister, siehe wir wären geneigt, dir zu folgen und deine Jünger zu werden, wenn du als ein Gotteskind und Gottessohn, wie dich nun schon viele Menschen also benamsen, uns darum ein Zeichen gäbest aus den Himmeln! (Matth.16,1) Wirke vor unsern Augen ein Wunder, und du kannst uns dein nennen!“

05. Als Ich aber ihre Herzen durchschaute, da fand Ich nichts denn eitel Böses; jegliches Wort, das sie redeten, war eine allerabgefeimteste Lüge, und Ich sagte darum zu den verschmitzten Fragern und Forderern: „Des Abends saget ihr: ,Oh, es wird morgen schön werden; denn der Himmel ist rot!‘ (Matth.16,2) Und des Morgens saget ihr: ,Oh, es wird heute ein bös Wetter werden; denn der Himmel ist rot und trübe!‘ O ihr argen Heuchler! Des Himmels Gestaltung könnet ihr beurteilen; warum denn nicht auch die großen Zeichen dieser Zeit in der Sphäre des geistigen Lebens der Menschen? (Matth.16,3) So ihr von andern nach eurem Geständnisse so außerordentliche Dinge vernommen habt und sagt, daß ihr die Schrift verstehet, muß es euch nicht auffallen, daß durch Mich alles das gewirkt wird, wovon die Propheten geweissagt haben?! Eure Miene wohl wißt ihr also süß zu machen wie Milch und Honigseim, aber euer Herz ist voll Galle, voll Haß, voll Hurerei und voll Ehebruch!“

06. Auf diesen Bescheid traten die Versucher als im höchsten Grade getroffen und verletzt ab und getrauten sich kein Wort mehr an Mich zu richten; denn alles Volk, das sich um Mich versammelt hatte, richtete sehr fragende Blicke auf sie, und sie fanden es für geraten, sich mit Mir in keine weitere Besprechung mehr einzulassen.

07. Als aber diese Versucher sich weidlichst aus dem Staube gemacht hatten, belobte Mich das Volk, daß Ich diesen Zeloten so recht handfest die nackteste Wahrheit unter ihre Nüstern gerieben habe.

08. Ich aber kehrte Mich nicht zum Volke, das im Grunde auch nicht zu dem besten zu zählen war, sondern sagte so wie im Vorbeigehen zu den Jüngern: „Diese böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen von Mir; aber es soll ihr kein anderes gegeben werden denn das des Propheten Jonas!“ (Matth.16,4) Darauf ließ Ich das Volk und noch mehr die Versucher stehen und ging mit Meinen Jüngern eiligst davon, bestieg das noch harrende Schiff und behieß das Schiff wieder dahin zu lenken, von wo es am Abende ausgelaufen war.

09. Als wir aber also am heitersten Tage hinübergefahren waren unter mancherlei Besprechungen über die Orte und über die Menschen, wo wir gut aufgenommen waren, und wieder am Fuße jenes Berges uns befanden, auf dessen Kuppe tags vorher mit sieben Broten und etlichen Fischlein so viele tausend Menschen gesättigt worden waren, da erst erinnerten sich die Jünger, daß sie an der Grenze von Magdala vergessen hatten, Brot zu kaufen und mitzunehmen (Matth.16,5); denn es war schon ziemlich spät am Nachmittage, und der Hunger hatte sie daran am meisten gemahnt. Sonach beschlossen einige aus ihnen, irgend in dieser Umgegend sich Brot zu verschaffen oder gar nach Magdala eine Rückfahrt zu machen, weil man von hier bei gutem Winde leicht in einer Stunde nach dem Orte Magdala gelangen konnte.

10. Als Mich aber darum die Jünger um den nötigen Rat fragten, da sagte Ich zu ihnen: „Tut, was ihr wollt! Sehet aber wohl zu und hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadduzäer!“ (Matth.16,6) — Als die Jünger solches von Mir vernahmen, da dachten sie bei sich im geheimen: „Aha, da haben wir's! Das ist ein leichter Verweis, darum wir kein Brot mit uns genommen haben!“ (Matth.16,7)

11. Da Ich aber solch ihre ängstlichen Gedanken nur zu bald merkte, so sagte Ich zu ihnen: „O ihr noch immer Kleingläubigen! Was bekümmert ihr euch doch, daß ihr nicht habt Brot mit euch genommen?! (Matth.16,8) Vernehmet (soviel als: verstehet) ihr denn noch nicht? Gedenket ihr nicht mehr an die fünf Brote unter die fünftausend vor der Genezareth—Fahrt, und wieviel Körbe davon übrigblieben?! (Matth.16,9) Auch etwa nicht mehr an die gestrigen sieben Brote unter die viertausend ungezählt der Weiber und Kinder, und wie viele Körbe ihr da aufhobet?! (Matth.16,10) Wie möget ihr das doch nicht verstehen, daß Ich nicht das Brot, das ihr nicht mitgenommen habt, meine, so Ich zu euch sage: ,Hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadduzäer!‘ (Matth.16,11), — worunter zu verstehen ist die falsche Lehre, die diese Menschen mit allerlei süßen, fromm scheinenden und freundlichen Gebärden, treuen Versicherungen und Verheißungen unters Volk streuen und sich dabei heimlich den Rücken voll lachen, so sie einen tüchtigen Fischfang von armen, dummen Seelen gemacht haben.

12. Wer predigt schärfer als eben die Sadduzäer von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, wer so wie sie von einem ewigen Eden und von einer ewigen Feuerqual in der Hölle, — und sie selbst für ihre Person glauben von all dem kein Jota und sind dabei die größten Gottesleugner! Verstehet ihr nun einmal, was Ich unter dem Sauerteige gemeint habe?“ — Darauf erst verstanden die Jünger, daß Ich nicht gesagt hatte, daß sie sich hüten sollten vor dem Brotsauerteige, sondern vor der argen Lehre der Pharisäer und Sadduzäer. (Matth.16,12) — Wir aber verblieben diese Nacht im Schiffe, das uns zur Not mit Brot und etwas Fischen versehen hatte.

13. Am nächsten Tage aber sandte Ich etliche Jünger voraus gen Cäsarea Philippi, auch eine kleine, etwas befestigte Stadt im griechisch—galiläischen Gebietsteile, etwas landeinwärts vom Galiläischen Meere gelegen. Sie sollten sich nach Meiner Beheißung zum voraus in dieser Gegend herum erkundigen, was da die Menschen von Mir hielten, und ob sie von Mir schon überhaupt irgend etwas vernommen hätten.

14. Und mehrere Jünger, die in dieser Gegend wohlbewandert waren, eilten nach eingenommenem Morgenbrote sogleich in die obbezeichnete Gegend und erkundigten sich fleißig über das, was die dortigen Menschen von Mir hielten, und ob und wieviel sie irgend von Mir vernommen hätten. Die vorausgesandten Jünger aber erstaunten nicht wenig, als sie gewahrten, daß die ganze von Mir früher noch nie betretene Gegend von Meinem Namen klein angefüllt war und jeder Mensch von Mir eine Menge zu erzählen wußte. Denn die Jünger taten, als ob sie von Mir auch nur durch Hörensagen etwas wüßten, und so hatten die Befragten einen desto größeren Spielraum, von allerlei Dingen zu erzählen.

15. Daß darunter manche allerkolossalste Übertreibungen stattfanden, läßt sich leicht denken; so war darunter eine, deren Weitererzählung die Jünger dem Erzähler ganz allerernstlichst untersagt haben. Diese Erzählung bestand in nichts Geringerem, als daß Ich Mich bald zu einer riesenhaftesten Größe ausdehnen und dabei aber gleich wieder zu einem kaum fingergroßen Zwerge zusammenschrumpfen könnte; auch wäre Ich bald sehr alt, bald wieder ganz blutjung. So hätte man Mich auch schon als ein vollkommenes Weib gesehen. Ja einige darunter wußten noch mehr; denn sie hätten gehört, daß Ich auch ganz beliebig die Gestalt eines oder des anderen Tieres annehmen könnte. —

16. Daß die Jünger solche Sagen den Erzählern verwiesen, wird ein jeder Mensch wohl gründlich von selbst einzusehen imstande sein; aber wie es möglich war, daß solche Absurditäten und andere von ähnlichem Kaliber sogar in den Orten, wo Ich gelehrt und geheilt hatte, haben zum Vorschein kommen können, das ist ein Etwas, das noch in dieser Stunde so manchem Engel des Himmels förmlich ein Rätsel ist. Daher datiert sich aber auch der Wust von etlichen fünfzig Evangelien, die bei der ersten großen morgenländischen Kirchenversammlung als apokryphisch verbrannt worden sind, was sehr gut war; denn im Grunde sind denn doch nur die beiden Evangelien Johannis und Matthäi völlig authentisch (echt), und die Apostelgeschichte, die Briefe und die Offenbarung Johannis. Die beiden Evangelien des Markus und Lukas aber haben auch ihren entschiedenen und heiligen Wert, obschon sie in manchen kleinen Begebenheiten von dem des Matthäus abweichen. — Da wir nun solches ebenfalls wissen, so wollen wir in der evangelischen Wanderung wieder weiterziehen.

175. Kapitel. Der Herr in einer armen Hütte bei Cäsarea Philippi.

01. Während die etlichen vorangesandten Jünger sich mit der Auskundschaftung der Gegend und der Menschen um Cäsarea Philippi beschäftigten, blieb Ich noch bis nahe gen Abend in der Bucht am Berge; aber etwa ein paar Stunden vor dem Untergange verließ Ich mit den übrigen Jüngern die Bucht, kam auch gen Abend hin in die Gegend von Cäsarea Philippi (Matth.16,13) und fand die vorangesandten Jünger bei einer ärmlichen Hütte, deren höchst schlichte Einwohner gerade damit beschäftigt waren, den schon müde und hungrig gewordenen Jüngern ein Abendmahl zu bereiten.

02. Die Hausleute aber fragten sogleich die schon dort seienden Jünger, wer wir wären, und diese entdeckten es ihnen auch ohne Anstand, daß Ich eben derselbe Jesus sei, von dem sie früher so manches gesprochen hätten.

03. Als der Hausherr solches vernahm, da ließ er förmlich alles von sich fallen und fiel vor Mir nieder und sprach: „Was habe ich armer, sündiger Mensch denn je Gutes getan, darum du mir nun solch eine unschätzbarste Gnade erweisest? O du heilig großer Mann aus den Himmeln, zu uns armen Sündern auf diese Erde gesandt! Wie soll ich als ein armer und höchst einfacher Mensch dich darum würdigst ehren und preisen? Was soll ich dir tun, daß es dir wohlgefiele?“

04. Sage Ich: „Lieber Freund, stehe auf und siehe, daß auch wir ein Abendmahl bekommen, bestehend aus Brot, Fischen und etwas Wein; dann sorge für ein leidliches Lager, und du hast alles getan, was Ich von dir wünsche!“

05. Hier erhebt sich sogleich der arme Hausherr und sagt mit einer etwas traurigen Miene: „Guter Meister, was ich habe, gebe ich her, da meiner Hütte eine solch große Ehre und Gnade widerfahren ist; denn ich weiß es, daß du ein Sohn Davids und dazu noch ein großer Prophet bist. Brot und Fische habe ich wohl noch im Vorrate für heute und morgen, aber mit dem Weine sieht es etwas schlecht aus, nicht nur bei mir, sondern in dieser ganzen Gegend; auch in der nicht weit von hier liegenden Stadt Cäsarea Philippi sieht es mit dem Weine sehr erbärmlich aus. Etwas Himbeeren— und Brombeerensaft besitze ich wohl, aber er ist schon etwas alt und darum sauer; wir trinken ihn nur mit Wasser und etwas Honig gegen den Durst.

06. Aber einige Töpfe voll gestockter Ziegenmilch habe ich; wenn dir vielleicht davon etwas genehm wäre, so brächte ich gleich einige hierher. Mit Brot ist das wahrlich eine gute Speise!“

07. Sage Ich: „Nun, so bringe, was du hast! Aber Ich sehe, daß du mehrere Weinschläuche in deinem Hause birgst; so du keinen Wein je erntest, wozu sind dann die Schläuche?“

08. Sagt der arme Hüttenbesitzer: „Ja, ja, Schläuche habe ich wohl, weil ich ein Schlauchmacher bin; aber es war noch in keinem je ein Tropfen Wein da drin! Ich habe deren nun bei fünfzig für den kommenden Markt in der Stadt fertig und verkaufe das Stück um einen guten Groschen.“

09. Sage Ich: „So geh und nimm die Schläuche und mache sie alle voll mit Wasser!“

10. Fragt der arme Hüttenmann: „Guter Meister, wofür wird denn das hernach gut sein?“

11. Sage Ich: „Freund, frage nicht, sondern was Ich dir sage, das tue, dann wirst du glücklich sein zeitlich und ewig!“

12. Auf diese Worte berief der arme Hüttenmann sogleich sein Weib und seine schon erwachsenen acht Kinder, darunter sechs Töchter und zwei Söhne, und ging und machte am Brunnen die fünfzig Schläuche bald voll. Als die Schläuche alle vollgefüllt waren, da fragte er Mich, was er damit nun anfangen solle.

13. Da sagte Ich zu ihm: „Bringe sie alle in die kühle Steingrotte, an deren Eingang der Hinterteil deiner Hütte angebaut ist!“

14. Der arme Hüttenmann, der in dieser Grotte sein Stroh hatte, breitete dasselbe am Boden aus und legte die mit Wasser gefüllten Schläuche in guter Ordnung nacheinander auf das Stroh, und als er mit der Arbeit fertig war, kam er wieder hervor und sagte: „Herr und Meister, es ist alles geschehen, wie du es anbefohlen hattest! Ist damit vielleicht noch etwas Weiteres zu besorgen?“

15. Sage Ich: „Nun ist schon alles in der besten Ordnung. Gehe und nimm aber nun etliche deiner besseren Steinkrüge und fülle sie von einem der fünfzig Schläuche, von welchem du willst, verkoste aber auch von den gefüllten Krügen, wie sie dir schmecken; bringe sie dann hierher und sage es uns, wie dir das Wasser, also zubereitet, schmeckt!“

16. Der Arme geht sogleich, nimmt zwölf Krüge und läßt sie voll an. Schon beim Anlassen kommt ihm ein ausgezeichneter Weingeruch in die Nüstern, und als er erst den flüssigen Inhalt verkostet, da weiß er sich vor lauter Verwunderung ordentlich gar nicht mehr zu helfen und sagt zu seinen ihm helfenden Kindern: „Höret, das faßt keines Menschen Verstand! Das Wasser, mit dem wir die Schläuche gefüllt haben, und von dem ich nun die Krüge vollgelassen habe, ist zum alleredelsten, besten Weine geworden! Kostet es und überzeuget euch selbst!“

17. Die Kinder kosteten und konnten sich auch nicht genug verwundern über dieses Wunder; und der älteste Sohn sagte: „Vater, du weißt es, daß ich in der Schrift gut bewandert bin. Ich kenne alle die Propheten und ihre Taten; aber eine solche Tat hat von ihnen keiner verübt! Dieser sonderbare Mensch muß offenbar mehr denn ein Prophet sein!“

18. Sagen auch die Töchter: „Ja, ja, Vater, es kommt uns auch also vor! Das ist am Ende gar der Elias, der noch einmal auf die Erde kommen soll, um die Menschen auf die Ankunft des großen Messias vorzubereiten! Oder am Ende ist das etwa gar schon der große Messias Selbst?“

19. Sagt der Vater: „Da ist eins wie das andere möglich! Hm, hm, wie aber das doch so plötzlich und unerwartet gekommen ist!“

20. Während der arme Hüttenmann noch so simulierend spricht, kommt sein Weib herbeigeeilt und sagt, fast ganz außer Atem vor Entzückung: „Kommet, kommet und sehet, was da geschehen ist in unserer Hütte! Unsere Speisekammer ist von allerlei guten Speisen und des besten Brotes ganz voll geworden! Das kann niemand anders getan haben als derselbe Meister, der vor einer Stunde zu unserer Hütte kam und von uns eine Unterkunft und ein Nachtmahl verlangte!“

21. Sagt der Mann: „Das liegt wohl außer allem Zweifel! Aber wie? Wer gibt uns darüber einen Aufschluß? Was ist er? Wer ist er? Sagen wir: ,Er ist ein Prophet!‘, so sagen wir offenbar zu wenig. Sagen wir: ,Er ist ein Engel!‘, so haben wir damit nicht viel mehr gesagt. Sagen wir aber: ,Er ist ein Gott!‘, da dürften wir denn doch zuviel sagen; denn ein Gott ist ja nur ein Geist; der aber hat Fleisch, Blut und Knochen, und es ließe sich da erst fragen, ob er am Ende denn doch nicht so etwa ein griechischer Zeus oder Apollo sei. Aber nun heißt es, in aller Demut, Liebe und Dankbarkeit den Wein hinaustragen und Brot und Fische, und was wir nur immer Eßbares haben; denn diese Wohltat ist unbezahlbar groß!“

22. Nun kam der arme Mann mit den gefüllten Krügen und sein Weib und seine Kinder mit Brot, Fischen und noch andern eßbaren Dingen. Und der Mann, sich tiefst vor Mir verbeugend, sagte mit einer höchst demütig klingenden Stimme: „O Herr und Meister! Wer bist du denn, daß du solche Dinge allein durch den Willen vermagst? Ich bebe vor höchster Ehrfurcht vor dir! Ein Mensch wie unsereiner kannst du nicht sein; wer und was aber bist du hernach denn, auf daß wir dich würdig ehren könnten?“

23. Sage Ich: „Sieh, Mein Freund, Ich will dir etwas sagen, und daraus kannst du dir dann selbst ein Urteil schaffen! Wenn du am frühen Morgen merkst, daß es heller wird im Aufgange und sich nach und nach der Himmel zu röten beginnt, so sagst du: ,Die Sonne wird bald aufgehen!‘ Es wird aber auch heller am Aufgange, wenn der Mond sich dem Aufgange nahet; aber der matten Helle folgt keine Morgenröte, und so der volle Mond endlich aufgeht und die Erde matt beleuchtet mit seinem halben Lichte, so öffnet dennoch kein Blümchen den zarten Kelch, um einzusaugen den kalten, matten und nicht belebenden Strahl!

24. Die schon mit starkem Lichte umflossenen Boten, der Sonne nahen Aufgang verkündenden lichten Wölkchen sind wohl schon um sehr vieles heller denn der Mond in seinem Vollichte; aber würde diesen Boten keine Sonne folgen, so sähe es bald auf der ganzen Erde also aus wie in der eigentlichen starren Mitternachtgegend dieser Erde, dahin neun volle Monde hindurch kein Sonnenstrahl gelangt. Und so, sieh, geht es entsprechend auch in der ewigen Welt des Geistes zu, durch die allein diese materielle entstand und nun fortbesteht.

25. Es tauchen allerlei Lehrer und Propheten auf und lehren die Menschen so und so; es ist hie und da auch etwas Wahres daran, aber neben einem Funken Wahrheit wandeln stets Tausende von Lügen einher und geben sich neben dem einen Wahrheitsfunken das Ansehen, als wären sie selbst Wahrheit. Und sieh, alle solche Lehrer, Propheten und ihre Lehren gleichen dem Scheine des Mondes, der sein Licht stets wechselt, und oft dann, wenn zur Nachtzeit sein Licht am nötigsten wäre, gar nicht scheint.

26. Aber es gibt neben den falschen Lehrern und Propheten auch echte und wahre, aus deren Augen, Herzen und Mund Gottes Licht strahlt. Diese gleichen den lichtumflossenen Wölkchen, die der Sonne nahen Aufgang verkünden; bliebe es aber nur bei den, wenn auch noch so strahlenden Wölkchen, den echten und wahren Propheten nämlich, so würde es in den Herzen der Menschen mit der Zeit dennoch also auszusehen anfangen, als es aussieht auf der eigentlichen Mitternachtgegend der Erde, nämlich eisstarr, kalt und tot. Aber den echten Lichtwölkchen, die der Sonne vorangehen, folgt die Sonne selbst, und bei ihrem ersten Lichtstrahle, den sie über die noch grauen Gebirge auf die Fluren der Erde fallen läßt, wird alles wach, voll Freude und voll Lebens: Die Vöglein singen der aufgehenden Mutter des Lichtes und der Wärme ihre reinen Psalmen entgegen, die Mücken und Käferchen erheben sich in die lichtdurchdrungene Luft und summen der herrlichen Tagesmutter ihre Begeisterung zu, und die Blumen der Felder heben ihre königlich geschmückten Häupter empor und öffnen ihren balsamreichen Mund, um der großen Welterwärmerin den herrlichsten Duft entgegenzuhauchen.

27. Aus dieser höchst wahren Darstellung aber kannst du nun schon so viel herausfinden, um in dir zur Klarheit zu gelangen, auf daß du Mich auf den Standpunkt in deinem Herzen setzest, der Mir gebührt! Weder das Licht der Sterne, noch das des Mondes und für sich ebensowenig der goldne Glanz der Morgenwölkchen ist imstande, dem in der Materie dieser Erde gefangenen Leben die Fesseln zu lösen und es dann hervorzulocken in die selbständig tätige Freiheit; solches vermag allein das Licht der Sonne.

28. Wer aber kann dann unter den Menschen Der sein, dessen Stimme und Willen alle die in der Materie gefangenen Geister gehorchen und sich fügen in alles, was Er will, — und wer Der sein, von dessen Ankunft alle echten Propheten geweissagt haben?“

29. Hier stutzt der arme Mann gewaltig und geht sehr nachdenkend mit den Seinen in die Hütte, um uns ja nicht beim Abendessen zu genieren.

176. Kapitel. Das Zeugnis der Jünger über Christus.

01. Wir verzehren nun das Abendbrot und des Hüttenmannes Familie errichtet für uns ein möglichst gutes Lager. Aber im Hause sagt er zu seinem Weibe und zu seinen Kindern: „Höret! Das wird ohne weiteres der verheißene Messias sein! Also Jehova Selbst allerleibhaftigst, die ewige Ursonne der Geisterwelt, der alle die vom Gotteslichte erfüllten Propheten als lichte Morgenwölkchen vorangegangen sind! Ja, ja, nun weiß ich wohl, woran ich bin; aber was nun tun?! Ich getraue mich beinahe kein Wörtchen mehr zu reden mit Ihm, dem ewig Allerheiligsten, dem nun für uns unsichtbar sicher zahllose Scharen der Engel dienen, die von Ihm in jedem Augenblicke neue Befehle erhalten und sie mit Gedankenschnelle hinübertragen zu den Sternen und an alle Enden der Welt! Und Dieser bleibt heute in unserer armen Hütte, dem alle ewigen Himmel und deren Eden zu Gebote stehen!

02. O frohlocket, und bebet dabei aber auch vor Freude; denn Er bleibet bei uns in dieser Nacht! Dieser höchsten Gnade ist die ganze Erde nicht wert, geschweige diese unsere allerärmlichste Hütte, und dazu wir, die wir voll von allen Sünden sind!“

03. Als sich aber der Hüttenmann mit seiner Familie während des Lagermachens über Mich also besprach, fragte Ich denn auch Meine Jünger, namentlich jene, die heute der Auskundschaftung halber vorangeschickt worden waren, sagend: „Wer, sagen denn so die Leute in der Umgegend, daß Ich sei?“ (Matth.16,13)

04. Antworten darauf die gefragten Jünger: „Etliche sagen ganz im Ernste, Du seiest der wieder vom Tode erstandene Johannes der Täufer. Wieder andere meinen und sagen, Du seiest Elias, von dem es geschrieben stehe, daß er noch einmal zur Erde kommen werde vor dem großen Messias und werde rufen alle Menschen zur Buße und wahren Umkehr zu Gott. Noch andere meinen, Du seiest der Prophet Jeremias, von dem auch noch eine Sage im Volke bestehe, daß er vor dem Messias kommen werde aus den Himmeln. Auch, sagen sie, könntest Du von den andern Propheten einer oder der andere sein (Matth.16,14); denn bevor etwa der große Messias käme, werden Ihm alle Propheten vorangehen! — Das sind so die annehmbaren Hauptsagen von Dir; es gibt aber auch noch eine Menge anderer über Dich, die wir aber nach der Anhörung derselben den Menschen verwiesen und sie dafür auf eine bessere Meinung über Dich brachten. Aber viele meinen noch, Du seiest ein verkappter Zeus der Griechen.“

05. Sage Ich: „Nun gut, ihr habt Mir nun kundgetan, was ihr vernommen habt; aber Ich möchte jetzt auch noch aus eurem Munde vernehmen, für wen so ganz eigentlich denn ihr Mich haltet. Ich frage euch nicht etwa eitel, sondern ganz ernstlich; denn Ich merke nach so manchen Gelegenheiten, die für eure Sinne Mein Tun und Lassen dann und wann scheinbar ans Irdische streifen lassen, daß ihr sodann über Mich auch gleich anders urteilet in euren Herzen und Mich nicht völlig für das ansehet, als für was ihr Mich ansehet, so von Mir irgendeine große Wundertat ausgeübt wird! Darum saget Mir endlich einmal ganz offen, für wen ihr Mich so nach einer völlig reifen und nüchternen Überlegung eures Verstandes so ganz im wahrsten Ernste haltet!“ (Matth.16,15)

06. Da stutzten alle Jünger und wußten bis auf Simon Juda nicht, was sie Mir auf diese Frage antworten sollten. — Judas Ischariot sagte zu Thomas: „Jetzt rede! Du bist ja immer so klug und weise! Das sollte dir ja ein reiner Scherz sein, auf die sonderbare Frage des Meisters eine gültige Antwort zu finden!“

07. Sagt Thomas: „Rede du, wenn du so weise bist! Ich halte ihn für das, für das er sich selbst schon lange ausgegeben hat! Er sagt von sich nie anders als: ,Ich bin ein Sohn des Menschen, und Gott ist Mein wie euer aller Vater!‘ Wenn er sich selbst ein solches Zeugnis gibt, welch anderes Zeugnis können denn dann wir ihm im eigentlichsten Wahrheitssinne geben aus uns selbst heraus? Er verrichtet freilich Taten, die seit Moses und den andern Propheten noch nie ein Mensch verrichtet hat. Allein wenn wir die Sache so recht beim Lichte betrachten, so werden wir finden, daß es dennoch der Geist Gottes ist, der durch einen erwählten reinen Menschen solches alles verrichtet! Dem Geiste Gottes aber wird es einerlei sein, ob er durch einen erwählten Menschen Berge versetzt oder vernichtet, oder ob er irgendein kleineres Wunder durchs Wort des Propheten gelingen läßt!“

08. Sagt Judas Ischariot: „Du hältst ihn sonach nur für einen Propheten?“

09. Spricht Thomas: „Allerdings, und für den größten, den je die Erde getragen, — was zwar nicht sein, sondern Gottes Verdienst ist! Denn Gott allein kann den Menschen erwecken zu einem Propheten, wie Er solches mit Samuel getan hat, da dieser noch ein Kind war, und wie Er, Gott allein nämlich, sogar den Esel des falschen Propheten Bileam zu einem wahren Propheten machte und durch den Esel dann auch Bileam selbst. So wir dieses recht auffassen und das Zeugnis, das Jesus sich selbst gibt, nämlich, daß er nur ein Menschensohn sei, obgleich er auch die wundertätige Gotteskraft, die in einer besonderen Fülle in ihm vorhanden ist, dann und wann als das göttliche Ich ausspricht, da können wir ihm meiner unmaßgeblichen Meinung nach doch unmöglich ein anderes Zeugnis geben, als das er sich allzeit selbst gibt! Er ist sonach ein vorzüglichster Gottessohn, wie auch wir es sind, wennschon nicht in dem höchst ausgezeichnetsten Grade wie er.“

10. Sagt Judas Ischariot: „Wie ist es denn aber dann mit dem, daß ihn denn doch viele für den verheißenen Messias halten und die besseren Römer und Griechen sogar für den allein wahren allmächtigen Gott?!“

11. Sagt Thomas: „Die haben auch recht; denn die Kraft Gottes, die in ihm ist, ist auch der allein wahre Messias, und ohne weiteres auch Jehova Selbst.“

12. Darauf gibt sich Judas Ischariot zufrieden, und Ich, obschon Ich solches vernahm, schwieg dazu.

13. Petrus aber merkte Mein Schweigen, erhob sich und sagte: „Herr, ich merke sogar unter den Brüdern verschiedene Meinungen über Dich! Erlaube es mir darum, daß ich der Brüder wegen auch mein Zeugnis über Dich laut und vernehmlich ausspreche!“

14. Sage Ich: „Tue das! Wie lauten demnach deine Worte?“

15. Sagt Petrus, resp. Simon Juda: „Aus dem tiefsten Lebensgrunde meines Herzens sage und bekenne ich's nun vor aller Welt laut: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ (Matth.16,16)

16. Und Ich sagte zu Petrus: „Selig bist du, Simon, des Jona Sohn; dein Fleisch und Blut hat dir das nicht geoffenbart, sondern Mein Vater, der im Himmel ist! (Matth.16,17)

17. Ich sage dir nun aber auch unter einem: Du bist Petrus, ein Fels; auf diesen Felsen will Ich bauen Meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen! (Matth.16,18) Und Ich will dir des Himmelreiches Schlüssel geben! Alles, was du auf Erden binden wirst, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöset sein!“ (Matth.16,19)

18. Da sagte Petrus: „Herr, ich danke Dir für diese hohe Gnade, deren ich mich für den völlig Unwürdigsten halte, weil ich stets ein grober Sünder war und leider noch bin; aber was da betrifft das Binden und Lösen, so gestehe ich es auch offen, daß ich's nicht verstehe und nicht weiß, was ich daraus machen soll. Du könntest mir die Sache wohl ein wenig klarer machen, so Du solches wolltest!“

19. Sage Ich: „Es wird dir solches alles zur rechten Zeit völlig klar werden; vorderhand aber verbiete Ich euch allen solches strenge, daß ihr nun vor der Zeit ja niemand davon etwas meldet, daß Ich Jesus der wahre Christus sei!“ (Matth.16,20)

20. Nach dieser wichtigen Besprechung fragt Matthäus der Schreiber, ob er solches alles aufzeichnen solle.

21. Sage Ich: „Das hiesige Wunder nicht, und des Gespräches zwischen Thomas und Judas Ischariot brauchst du nicht zu erwähnen; aber wohl dessen in der Hauptsache, was Ich mit Petrus abmachte. Schreibe du nur allzeit also, wie Ich dir die Worte ins Herz legen werde, und es wird dann alles recht und richtig sein!“ — Mit dem war denn auch der Schreiber zufriedengestellt und begab sich darauf bald zur Ruhe; wir aber blieben bei dem Tische sitzen bis gen Mitternacht, und des Hauses Leute kamen dann auch und leisteten uns eine recht angenehme Gesellschaft.

177. Kapitel. Der Hüttenbesitzer Markus erzählt Tempelgreuel.

01. Der Hüttenmann, der Markus hieß, wußte uns eine Menge zu erzählen von den Pharisäern und sein wollenden Schriftgelehrten. Unter anderem erzählte er viel von den geheimen Grausamkeiten der Templer, und wie sie alsogleich jedermanns unversöhnliche Todfeinde sind, so sie bei diesem oder jenem irgendeine geistige und somit prophetische Ader nur ahnen! Es würden viele solcher geistigen Menschen ganz geheim ums Leben gebracht! Man lade sie ganz freundlichst ein, mache ihnen eine Ehrenbezeigung um die andere und drücke ihnen vor lauter Freundschaft die Hände. Seien sie aber einmal in des Tempels hintere Gemächer, die von den Hauptpharisäern bewohnt werden, gelangt, dann sei es um sie für diese Welt geschehen; denn da komme keiner mehr ans Tageslicht! Es sei, sagte weiter Markus, unbegreiflich, wie Gott solchen Greueln so lange zusehen könne. In Sodom und Gomorra sei es wohl schlecht zugegangen, aber gegen das, wie es nun in Jerusalem zuginge, wäre Sodom und Gomorra kaum das, was da ist ein Regentropfen gegen das Meer; und doch habe Gott damals trotz der vielfachen Vorbitte Abrahams diese Städte und alle andern zu ihnen gehörigen Ortschaften mit Feuer vom Himmel herab untergehen lassen! Nun aber bei dieser Masse von Greueln jeder erdenklichen Art, die in Jerusalem Tag für Tag begangen würden, tue Gott der Herr, als wüßte Er nicht darum und kümmerte Sich auch um die ganze Menschheit nicht mehr! Worin denn etwa doch solches einen Grund haben könne?!

02. Auf solch seine ganz gute Frage sagte Ich zu ihm: „Freund, Gott weiß um alles, was da geschieht! Er kennt alle die zahl— und namenlosen Greuel der Pharisäer und Schriftgelehrten; darum aber kam Ich denn ja in die Welt, damit diese Schlangenbrut und dies Natterngezüchte an Mir Selbst ihr Greuelmaß vollmache; und wird dies vollgefüllt sein, dann erst wehe dieser argen Brut!“

03. Sagt Markus: „Ja Herr, Meister und freundlichster Wohltäter der Menschen! Wenn Dir nicht auch die Macht eigen ist, mit einem Hauche Tausende von Menschen in die andere Welt hinüberzublasen, dann bist Du sehr zu bedauern, so es Dir je in den Sinn käme, Dich in Jerusalem sehen zu lassen und dort wundertätig zu zeigen! Ich bin Dir hier zwar ein höchst schlichter Mann, verstehe aber dennoch so manches, wovon sich freilich kein Pharisäer noch je etwas hatte träumen lassen; aber ich bin dabei so pfiffig und spiele im Angesichte der Pharisäer, mit denen ich sehr oft zusammenkomme, einen so blitzdummen Teufel, daß ihnen dabei jede Spur von einer Mutmaßung, als besäße ich irgend geheime Kenntnisse, benommen wird.

04. Weil sie mich denn schon seit einer geraumen Zeit als einen unmäßig dummen Trottel kennen und der Meinung sind, man könne mir einen Steiß und ein Antlitz zeigen, und ich möchte beides kaum voneinander unterscheiden, so lassen sie mich denn auch oft ganz ungehalten hinter ihre schwärzesten Geheimnisse blicken! Und da bin ich Dir schon auf Dinge gekommen, von denen ich Dir offen gestehen muß, daß ich dabei schon einige Male total an Gottes Dasein zu zweifeln anfing! Denn ich dachte so bei mir: Wenn es einen allmächtigen, höchst weisen, gerechten und guten Gott gibt und Ihm an der Menschheit, wie uns die Schrift lehrt, etwas gelegen ist, so ist es Ihm ja unmöglich, solchen Greueln zuzusehen! Es gibt keinen Gott! Der Mensch ist nach Plato ein Abkömmling des Affen dem Leibe nach, und der Seele nach ein Abkömmling der reißenden Bestien. Darum muß an der Spitze einer starken Gemeinde ein starker und weiser Simson stehen, der dem zusammengesetzten Tiere, das sich Mensch nennt, mit der schärfsten Zuchtrute das Doppeltierische herunterfegt und ihn nach Jahren insoweit zahm macht, daß er nur wenigstens ein halber Mensch wird!

05. Mit solchen und oft noch ärgeren Gedanken beschäftigte sich mein Gemüt, wenn ich mit oft denn doch zu entsetzlich greuelhaften Geheimtaten der von Dir ganz richtig bezeichneten Schlangenbrut zusammenkam! Darum, wie gesagt, Herr und Meister, liegt es Dir daran, bald aus dieser Welt auf die grausamste und schmerzvollste Art befördert zu werden, da ziehe Du immerhin nach Jerusalem, und Du wirst es erfahren, daß ich Dir die vollste Wahrheit gesagt habe, ohne irgendein besonderer Prophet zu sein!

06. Um Dir nur so einen kleinen Geheimzug, der aber die Heiligkeit des Tempelmistes schon ums wenigstens Tausendfache übertrifft, kundzutun, erzähle ich Dir nur so ganz kurz, was ich erst vor kurzem selbst erlebt habe. Wer aber diese Schwarzbrut auf solchen übersatanischen Gedanken gebracht hat, ist mir nicht bekannt. Der Satan sicher nicht, — denn so weit kann sein Argsinn nicht reichen!“

178. Kapitel. Eine Templergeschichte.

01. (Markus:) „Es ist in der Hintergegend vom sogenannten Kleinasien eine von Menschen bewohnte Gegend, in der die Weiber zumeist unfruchtbar sind. Was daran die Schuld ist, weiß ich Dir nicht darzutun. Übrigens ist es eine ausgemachte Tatsache, daß, so jene Weiber von Juden oder Samariten beschlafen werden, sie ebensogut fruchtbar werden als die unsrigen. Nun, die Pharisäer, die ihre bösen Apostel in alle Welt aussenden, haben jene unfruchtbaren Weiber schon seit lange her kennengelernt und sind oft karawanenweise dahin gezogen, um die unfruchtbaren Weiber fruchtbar zu machen! Das war so gewisserart ein stets gutbezahlter Freundschaftsdienst. Aber es blieb nicht bei diesem Dienste, weil nach und nach die kleinasiatischen Männer jener bezeichneten Gemeinden einsehen gelernt haben, daß sie die sehr Betrogenen sind; denn ihre Weiber sind dennoch nicht so ganz eigentlich schwanger geworden in der Fruchtbarkeitsanstalt, welche die Missionare Jerusalems an der Grenze jener Gemeinden errichtet haben schon vor vielen Jahren, sondern die Missionare kauften hierzulande und auch in Judäa neugeborene Kinder zusammen, ließen solche in die besagte Anstalt bringen, in der die sonst zwar sehr schönen und üppigen, wenn schon unfruchtbaren Weiber zehn Monate verbleiben mußten. Nach Ablauf der zehn Monate aber, in welcher Zeit so ein Weib von den geilen Aposteln des Tempels nahezu zu Tode beschlafen ward, wurde dann solch einem Weibe ein solches angekauftes Kind unterbreitet, und zwar auf eine so pfiffige Art, daß sogar das Weib glaubte, daß das Kind von ihr sei! Aber wie gesagt, mit der Zeit kamen die Männer der schönen und üppigen Weiber denn doch hinter den Betrug, und zwar durch einen ehrlichen Samariten, der den Kleinasiaten zeigte, wie es die vermeinten frommen Apostel Jerusalems, der Stadt Gottes, trieben.

02. Da kamen die betrogenen Männer der Gemeinde zu den ,Aposteln‘ in die Befruchtungsanstalt und hielten ihnen ganz ernstlich vor, was sie von einem Bürger Sichars vernommen hätten, und die befruchteten Weiber hätten ihnen auch dasselbe eingestanden!

03. Die ,Apostel‘ aber, mit allen Betrugssalben gesalbt, fanden bald einen ganz gesunden Ausweg, beschrieben den sich beschwerenden Männern die Samariten von einer solchen Seite, daß die Beschwerdeführer im vollsten Ernste einzusehen anfingen, daß eben die Samariten, die von Gott schon seit vielen Jahren verfluchten Abtrünnlinge der Juden, die alleinige Schuld an der Unfruchtbarkeit ihrer Weiber trügen.

04. Dadurch aber verfielen die guten Samariten in einen zwiefachen Racheschwur, und zwar zuerst in den der Pharisäer wegen der Denunziation (Anzeige) und Verdächtigung bei den Hinterkleinasiaten, und dann fürs zweite bei den Besitzern der unfruchtbaren Weiber selbst, die nach der Erklärung der Pharisäer fest zu glauben anfingen, daß die Samariten lauter arge Zauberer seien und solches schon vor vielen Jahren den Hinterkleinasiaten angetan hätten, weil einmal ein Samarite dort wegen Beschlafung eines Weibes erschlagen worden ist. Aber sie, die Pharisäer nämlich, wüßten ein Gegenmittel, das sie den mit unfruchtbaren Weibern vermählten Männern gegen eine gute Bezahlung anraten und noch leichter selbst verschaffen könnten! — Jetzt, lieber guter Meister, kommt erst das Wahre, resp. echt Übersatanische, zum Vorscheine!“

05. Sage Ich: „Erzähle nur also fort! Wäre es auch nicht nötig für Mich, so ist es aber dennoch um so nötiger für diese Meine Jünger, daß sie solches erfahren.“

06. Fährt Markus mit seiner Erzählung fort, sagend: „Worin besteht denn eigentlich das von den Aposteln Jerusalems um vieles Geld angeratene Mittel zur Fruchtbarmachung der Hinterkleinasiatinnen? Es besteht nach dem weisen Rate der ,Apostel‘ in nichts Geringerem als: Die Hinterkleinasiaten sollen sich das Blut von den Kindern der Samariten verschaffen und solches entweder in frischem Zustande oder aber auch getrocknet und als Pulver einnehmen, wenn sie mannbar geworden sind, und alsdann die Weiber, bevor sie sich beschlafen lassen; solches würde die Zauberkraft der Samariten zerstören und die Weiber wieder vollends fruchtbar machen! — Aber wie das Blut der samaritischen Kinder bekommen? — Dafür werden schon gegen guten Lohn und gegen gute Worte die Apostel des Tempels Sorge tragen!

07. Der Vertrag ward gemacht und von den betreffenden Hinterkleinasiaten angenommen. Was aber geschah darauf und geschieht in einem sehr ausgebreiteten Maße noch heute? Die Pharisäer machten darauf eine förmliche Jagd, wie und wo sie nur konnten, auf die Kinder der Samariten und tun dasselbe noch heutzutage.

08. Solche Kinder von ein bis zwölf Jahren werden in die bewußte Befruchtungsanstalt geschafft, dort eine Zeitlang gut genährt, besonders mit Nährstoffen, die zur Vermehrung des Blutes taugen. Zeigt es sich, daß so ein Kind voll Blutes ist, so wird es der Kleider entblößt, in die Schlachtkammer geführt und dort den eigens bedungenen und bediensteten Schlächtern übergeben. Diese unterbinden den unglücklichen Kinderchen mit starken Bändern knapp am Leibe Hände und Füße, dann knebeln sie die also unterbundenen Kinderchen an einen Pfahl, der in der Mitte einer Wanne angebracht ist, verbinden dazu den Armen die Augen und schneiden dann den also himmelschreiend Zubereiteten an Händen und Füßen die Adern auf. Während die Armen also verbluten und natürlich nach dem Verlaufe von wenigen Augenblicken zu Leichen werden, lassen es sich die ,Apostel Gottes‘ aus Jerusalem, der Stadt Gottes, so ganz mir und dir nichts wohl geschehen. Die entseelten Leichname der also gemordeten Kinder werden dann in einem eigens dazu erbauten großen Ofen verbrannt und ihr also gewonnenes Blut entweder frisch oder aber auch im beschriebenen getrockneten Zustande für den bewußten Zweck verkauft. Die Hölle muß dieses überhöllische Mittel gesegnet haben; denn die Weiber, die solches Blut genießen, sollen im Ernste nun fruchtbar sein!

09. Für so etwas sollte denn der liebe Gott, so Er keine alte jüdische Fabel ist, denn doch ein Gegenmittel finden; aber es rührte sich von oben her bis zur Stunde noch nichts! Gott kann noch immer ganz geduldig und gemächlich solch namenlose Greuel ansehen, so wie Er vor etwa dreißig Jahren in Bethlehem hatte zusehen können, wie durch ein allertyrannischestes Machtgebot Kinder männlichen Geschlechts von ein bis zwölf Jahren bei fünftausend an der Zahl an einem Tage sind hingerichtet worden, und das auf die grausamste Art von der Welt!

10. Gott ist höchst gut, weise und voll Barmherzigkeit, wie ich es gelernt habe aus der Schrift; aber so ich, als in alle die Greuel eingeweiht, die Sache so recht beim hellen Lichte betrachte, da kann ich mich des Gedankens wohl kaum erwehren, daß es entweder gar keinen Gott gibt, oder, gibt es einen, so kümmert Er Sich lange um die Menschen dieser Welt nicht! Kann mir aber das jemand verargen? Sicher kein reeller und gleich mir menschenfreundlicher Mensch, auch ein Gott nicht! Denn in meiner Brust schlägt noch ein Herz, das der armen Menschheit mit aller Liebe zugetan ist!

11. So aber in Dir, Herr und Meister, irgend etwas Göttliches steckt, so wirke Du denn doch auch in dieser Sphäre ein Wunder und zerstöre und vernichte solche höllischen Scheusale! Ich zweifle nicht im geringsten, daß Dir solches gelingen sollte; denn was ich heute an Dir erlebte, ist mir mehr als eine allerhinreichendste Bürgschaft, daß Dir, so Du es nur willst, nichts unmöglich sein kann! Denn Du bist offenbar mehr denn alle Propheten zusammen!“

179. Kapitel. Der Jünger Aufregung über die Tempelgeschichte.

01. Sage Ich: „Freund! Das, was du Mir nun erzähltest, ist kaum ein Schattenriß von dem, was Ich sehe und weiß; aber dir fehlt es an der tieferen Kenntnis der göttlichen Ordnung, und so beschuldigst du sogar mit einigem Recht die dir scheinbare Saumseligkeit Gottes. Aber weil du ein beispiellos ehrlich und rechtlich gutes Herz besitzest, so will Ich volle sechs Tage hindurch bei dir und den Deinen verharren und will dir in solcher Zeit eine genügende Aufhellung über alles geben, wo es bei dir nun noch finster ist. — Da es aber nun gegen Mitternacht geworden ist, so laß uns auf die für uns bereiteten Lager kommen!“

02. Sagen die Jünger: „Herr, heute ist's uns schon einerlei, ob wir auf den Lagern wachen oder hier im angenehmen Freien; denn die Erzählung des Freundes Markus hat uns so total den Schlaf benommen, daß wir nun um alles in der Welt nicht mehr einzuschlafen imstande wären! Wahrlich, jeder Tropfen Blutes in unsern Adern siedet nun vor Grimm und Wut gegen die allerreißendsten Bestien von den bewußten Menschen, die aus dem Tempel hervorgehen! Wahrlich, bei so bewandten Umständen wäre es ja doch um viele tausend Male besser, so man nie geboren worden wäre! Herr, so laß denn nun gleich Feuer vom Himmel über diese Bestien regnen! Denn das, was wir nun gehört haben, übertrifft ja bei weitem alles, was Schlechtestes wir auch immer von dieser bestialischen Menschheit vernommen haben!“

03. Sage Ich: „Eben deswegen müsset ihr den doppelten Rausch ein wenig ausschlafen! Morgen, wenn ihr nüchterner sein werdet und ruhigeren Blutes, werden wir leichter darüber zu urteilen imstande sein!“ — Auf diese Meine Worte begaben sich denn alle ohne weitere Einsprache zur nötigen Ruhe.

04. Der Morgen des nächsten Tages kam schnell, und Ich und die Jünger erhoben uns bald von unseren, nach Kräften gut bereiteten Lagern.

05. Als wir ins Freie kamen, da sagte Simon Juda: „Herr, ich habe zwar eine recht gute Weile geschlafen; aber die Erzählung unseres Gastwirtes Markus geht mir nicht aus meinem Gemüte. Nein, das ist unerhört! So etwas ist noch nie dagewesen! Wahrlich, manchmal kann ich selbst Deine Geduld und Langmut nicht fassen! Wenn ich bedenke, wie Du so manchmal mit uns, die wir doch an Dir hängen wie die Haare an unserem Leibe, so ganz kurz gebunden bist, und ehe man sich's versehen hat, strafst Du unsereinen entweder mit einem Worte oder mit einem Blick, daß man es nachher nicht leicht wieder wagt, Dich um etwas laut zu fragen; aber solchen Greueln kannst Du ganz gemütlich etliche Jahrhunderte zusehen, und sie genieren Dich nicht! Wo unsereins rein aus der Haut springen könnte, da kannst Du ganz geduldig zusehen; wo aber unser Auge und Gemüt wenig oder nichts sieht oder findet, da bist Du wieder vollends da und tust, als ob das Heil der ganzen Schöpfung davon abhinge!

06. Siehe, Herr, das sind denn doch Dinge, die wir unmöglich zu fassen imstande sind; und der Markus hat eben nicht ganz unrecht, wenn er also denkt von Gott, wie er sich gestern ganz treuherzig gut ausgedrückt hat. Es ist wohl sicher und wahr, daß Du, o Herr, alle solche Märtyrer in der Ewigkeit für die minutenlangen Leiden, die ihnen auf dieser Erde zuteil wurden, mehr als hinreichend entschädigen kannst und auch wirst — aber bei all dem ist es dennoch eine ganz verzweifelt schrecklich bittere Sache, von den mutwillig argen Menschen dieser Erde oft übernatürlich schmerzlich gemartert zu werden! Und, Herr, einige qualvollste Augenblicke werden dem Gequälten auch zu einer kleinen Ewigkeit!“

07. Sage Ich: „Ich habe es euch schon gestern — dir, sowie dem Markus — gesagt, daß Ich solches in der Zeit Meines Hierverweilens schon näher erörtern werde; wartet demnach, bis es an der Zeit sein wird, und es soll euch dann schon hinreichend helle werden! Gehet nun aber lieber hin und helfet dem Markus seinen Fischfang ans Ufer bringen; denn er ging heute schon frühe an die Arbeit, und Ich habe sie ihm gesegnet. Darum gehet hin und helfet ihm die vielen und guten Fische ans Land schaffen und in seine Fischbehälter setzen!“

180. Kapitel. Der gesegnete Fischzug. Vom Tempelmist.

01. Auf diese Worte eilten alle Jünger hin und halfen nach Kräften dem Markus und seinen Kindern. Die zwei Söhne waren zwar junge und kräftige Leute, aber die vier älteren Töchter waren zusammen nicht so stark wie einer der zwei Söhne.

02. Als mit der kräftigen Hilfe der Jünger die Fische alle untergebracht waren, kam Markus zu Mir, der Ich auf einer recht niedlichen und bequemen Rasenbank saß, und sagte, noch ganz vom Schweiße triefend: „Herr und Meister! Du magst nun sagen, was Du nur immer willst, so behaupte ich dennoch fest, daß Du von meinem heutigen, nie erlebt herrlichen und reichsten Fischfange ebensogut die Ursache bist, als Du gestern abend meine fünfzig Schläuche mit dem köstlichsten Weine angefüllt hast, wofür ich Dir denn auch vor allem meinen innigsten Dank abzustatten alsogleich hierhergeeilt bin. Und somit danke ich Dir, o Herr und Meister, mit dem gerührtesten und dankerfülltesten Herzen für alle die übergroßen und wunderbarsten Wohltaten, die Du mir und den Meinen in so überschwenglich reichlichstem Maße hast angedeihen lassen!

03. Ich hatte heute das große Zugnetz ausgesetzt, das da eine Länge hat von einhundertfünfzig Ellen und eine rechte Tiefe von sieben Ellen, und siehe, alle Räume des Netzes waren voll von den herrlichsten und köstlichsten Fischen! Und nun strotzen meine ziemlich großen zehn Behälter von den Fischen, die wir heute mit dem einzigen und ersten Zuge ans Land gebracht haben! Wenn es Dir genehm ist, so lasse ich sogleich einige Stücke als Morgenmahl zubereiten; mein Weib versteht solches aus der Kunst!“

04. Sage Ich: „Tue das; denn Mich gelüstet es danach! Hernach kannst du aber auch mehrere Lägel voll in die Stadt Cäsarea Philippi durch deine Kinder tragen lassen, und sie werden einen guten Erlös machen!“

05. Markus machte eine tiefe Verbeugung, eilte darauf in die Küche zu seinem Weibe und ordnete das Morgenmahl an, dessen Bereitung das Weib und die sechs Töchter sogleich und alleremsigst vornahmen. Die zwei Söhne aber füllten zwei große Lägel voll der schönsten Fische und, da sie ihr Morgenbrot schon verzehrt hatten mit etwas Wein, fuhren sie damit in die kaum eine Stunde von da entlegene Stadt.

06. Als sie ihr Fuhrwerk, das aus einem Karren, vor den zwei Esel gespannt waren, bestand, auf dem Marktplatze aufgestellt hatten, so waren auch schon eine Menge Käufer bei der Hand und kauften ihnen in wenigen Augenblicken alle die Fische ab um einen guten Preis; denn solch ausgezeichnete Fische kosteten schon damals pro Stück einen guten Groschen. Da die beiden bei zweihundert Stück mitgenommen hatten, so lösten sie auch bei zweihundert Groschen, was für jene Zeit mehr war denn jetzt (zur Zeit Lorbers) zweihundert Taler. Nach ein paar Stunden kamen die beiden, reich mit Geld beladen, wieder mit den leeren Lägeln und dem Karren nach Hause und übergaben dem Vater Markus das Geld, der darüber eine große Freude hatte und die beiden Söhne sehr belobte.

07. Die Söhne aber fragten den Vater, ob sie noch einmal in die Stadt fahren sollten, da viele, die noch kaufen wollten, nichts mehr bekamen. Der Vater gestattete ihnen solches, und sie füllten abermals die Lägel und fuhren damit in die Stadt und verkauften die zweite Fuhre besser und schneller denn die erste.

08. Markus aber wußte sich vor lauter Dank nicht zu helfen; denn ihm war nun auf einmal aus seiner vieljährigen Not geholfen.

09. Während aber die beiden Söhne die erste Fuhre in die Stadt schafften, hatten wir bei zwanzig bestbereitete Fische zum Morgenmahle verzehrt, und am Brote und Weine hatte es dabei nicht gemangelt. Wir hatten uns dabei noch über manches besprochen, besonders aber blieben als Hauptgegenstand immer die Diener des Tempels, und des Markus älteste Tochter, ein Mädchen von neunzehn Jahren, zeigte uns einen alten Topf, der mit dem Tempelmiste zur Hälfte angefüllt war, und fragte, ob dieser Mist wohl, nach den Worten der zudringlichen Verkäufer, die Felder und Gärten auf die beschriebene, unerhörte Weise befruchte.

10. Da erhob sich ein Gelächter unter den Jüngern, denen diese Tempelprellerei nicht unbekannt war, und Thomas sagte: „O der Schändlichkeit! Das treiben die Gottesdiener schon bei fünfzig Jahren. Es haben sich wohl schon würdige Hohepriester dagegen aufgelehnt, richteten aber wenig aus; denn dieser Mist trägt nun dem Tempel jährlich wenigstens zweitausend gute Groschen. Die Menschen aber sind blind genug und glauben am Ende sogar, daß durch solchen Unrat ihre Felder, Äcker und Gärten gesegnet werden!“

11. Sagte darauf die älteste Tochter: „O lieber Freund, das ist nicht also! Die meisten Menschen glauben kaum mehr denn ich an diesen Betrug; aber was kann man da tun? Kauft man den Verkäufern diesen Mist nicht ab, so kann man es darauf bald mit der ganzen Hölle zu tun bekommen. Zugleich sind die Verkäufer dieses Unflates so zudringlich und grob und roh, daß man ihnen am Ende ganz gerne von ihrem Unflate etwas abkauft, um ihrer dadurch nur loszuwerden. Schüttet man dann den Mist vor ihren Augen ins Wasser, so machen sie sich daraus gar nichts mehr und gehen ihren Weg weiter; denn sie wissen es ja, daß man ihnen nach einem Jahre den Tempelmist dennoch wird wieder abzukaufen genötigt werden.“

12. Sagt Petrus: „Ja, ja, Betrug, Lug und Trug allerart sind die Tugenden der Tempeldiener, die sich Gottesdiener nennen! Menschliche Gesichter tragen sie wohl, aber ihr Inneres ist aus der Hölle! Warum, o Herr, Du so etwas zulässest und duldest, das weißt wohl nur Du allein und sonst niemand in der ganzen Welt!“

13. Ich aber sage zu allen: „Lassen wir nun das, es ist nahezu Mittag! Der Tag ist schön und eben nicht zu warm; darum wollen wir ein wenig in der freien Gegend uns umsehen, ob es da nirgends ein Plätzchen gäbe, von dem aus man eine gute Aussicht in die Ferne haben könnte. Ein solches Plätzchen wollen wir uns dann zurichten, um die Tage unseres Hierverweilens mit allerlei Besprechungen zuzubringen.“

14. Darauf sagt Markus: „Herr, gerade ein paar hundert Schritte über meiner Wohnhütte, und eigentlich über der Grotte, an die meine Hütte angelehnt ist, befindet sich noch in meinem spärlichen Besitze ein solches Plätzchen, wie Du eines wünschest; die Kuppe des Hügels ist mit einem alten schattigen Kastanienbaume geziert, um den ich eine geräumige Rasenbank gemacht habe. Von dieser Bank aus genießt man die schönste Aussicht über diese ganze, weitgedehnte Gegend. Man sieht Cäsarea Philippi ganz und übers Meer, soweit das Auge reicht. Bei sehr heiteren Tagen sieht man leicht bis gen Genezareth und weiter bis Kis, und sogar Sibarah wollen einige schon gesehen haben; aber dazu sind meine Augen zu schwach, und ich kann diesen Ort nicht ausnehmen, — aber aufwärts bis nach Gadarena sehe ich leicht und andere Ortschaften in die schwere Menge.“

15. Sage Ich: „Nun denn, so wollen wir uns diesen Punkt wählen und unsere Zeit alldort so nützlich als tunlich zubringen. Führe uns denn hinauf!“

16. Markus, der Hüttenmann, führte uns auf einem zwar sehr schmalen, aber sonst eben nicht unbequemen Pfade auf das Plätzchen, das im Ernste nichts zu wünschen übrigließ; man sah gen Cäsarea Philippi, ebenso übersah man das ganze Galiläische Meer und eine Menge Ortschaften.

181. Kapitel. Markus und die pharisäischen Zehntjäger.

01. Zugleich aber bemerkten wir auch, wie etliche Pharisäer aus der Stadt Cäsarea Philippi gerade auf dem Wege zu der ärmlichen Wohnhütte des Markus sich recht emsig bewegten. Sagte Matthäus, der junge Mautner (Zolleinnehmer) aus Sibarah, der schon einmal bei Kapernaum, als ein Kranker geheilt ward, den man durch das angerissene Hausdach und durch die Zimmerdecke der Volksmenge wegen vor Mir herabließ, die Pharisäer mit seinem Munde sehr bedient hatte: „Diese Brut muß Kunde von Deinem Hiersein erhalten haben! Aber durch wen? Es müßten nur des Markus Söhne, die zweimal mit den Fischen zur Stadt gefahren sind, uns verraten haben!“

02. Sagt der alte Markus: „Das ist schon möglich; denn so brav sonst meine Söhne sind, so haben sie aber doch das Übel, daß sie gerne plaudern, wodurch sie schon so manches Unheil angezettelt haben. Ich werde aber gleich hinabgehen und werde sie fragen.“

03. Sage Ich: „Bleibe du deshalb nur ganz ruhig hier! Denn weder deine Söhne noch irgend jemand anders aus der Gegend hat Mich verraten, sondern sie kamen zu dir rein der Fische wegen hierher; sie wollen ein Geschenk von etwa hundert Fischen, von denen sie welche in der Stadt gesehen, aber nicht gekauft haben. Du weißt es ja, daß sie überall den Zehnt zu nehmen berechtigt sind, wo es irgendeine Ernte gibt; nun ist aber solch ein reicher Fischfang auch eine recht reiche Ernte, und sie meinen denn auch ein Recht zu haben, davon den Zehnt zu verlangen. Gehe darum hinab und gib hundert Fische, und sie werden dich beloben und werden die Fische nehmen und mit ihnen ganz ruhig alsogleich wieder nach Hause ziehen!“

04. Sagt Markus: „Aber wie werden sie hundert Fische weiterschaffen?“

05. Sage Ich: „Darum kümmere dich nicht, das wird schon ihre Sorge sein! Sieh nur hin, da sie uns schon ziemlich nahegerückt sind, und du wirst in ihrer Mitte ein Lasttier einhertraben sehen; dessen Rücken ist schon mit allem zum Weiterbringen der Fische Nötigen versehen.“

06. Markus sieht schärfer auf die kleine, sich seiner Behausung nahende Karawane und entdeckt nun gar leicht das, worauf Ich ihn aufmerksam gemacht habe, und sagt: „Herr, es ist schon also, wie Du gesagt hast! Aber nun eile ich schnell hinab, und es sollen die hundert Fische in der großen Wanne schon für sie bereitet dasein, was sie sicher ein wenig stutzig machen wird!“

07. Sage Ich: „Gehe und tue das! Aber wenn sie dich fragen, wie du solches wissen konntest, da sei auf eine kluge Antwort bedacht; doch mit einer Lüge darfst du sie nicht abfertigen!“

08. Markus geht, läßt sogleich hundert Fische aus den Behältern herausheben und sie in die große Wanne tun. Als er kaum mit der Arbeit fertig war, da kamen auch schon die etlichen jungen Pharisäer und fragten nach dem Fischer Markus. Markus meldete sich bald und sagte, da er sich noch bei der Fischwanne befand: „Hier bin ich, und hier in der Wanne befindet sich, um das ihr wahrscheinlich gekommen seid! Es ist der für euch gewissenhaft bemessene Fischzehnt, bestehend aus hundert Stück der auserlesensten Fische, die in unserem Meere je gefangen wurden!“

09. Die Pharisäer sind ganz verblüfft über solch eine Anrede, und einer von ihnen sagt: „Alter, bist du denn ein Prophet, daß du schon zum voraus weißt, warum wir aus der Stadt hierhergekommen sind?“

10. Sagt Markus: „Dazu braucht man wahrlich kein Prophet zu sein, sondern man braucht bloß fünf gute Sinne zu haben und ein bißchen Verstand dazu, und man bringt es leicht auf ein Haar heraus, warum ihr herausgekommen seid! Da, da nehmet die Fische und ziehet in Frieden wieder weiter! Ich habe heute noch viel zu tun, und der Mittag ist nicht ferne; wir haben heute viel gearbeitet und müssen uns ein Mittagsmahl bereiten gehen!“

11. Sagt einer der Pharisäer: „Du solltest aber uns zu den hundert Stücken noch dreißig hinzutun als Strafe; denn es war nicht fein, daß du uns, als den Dienern Gottes, die beständig für dein Heil zu Gott dem Allmächtigen flehen, nicht gleich nach dem Fange die Erstlinge durch deine Kinder in die Stadt gesandt hast!“

12. Sagt Markus: „Da, da sind nicht dreißig, sondern vierzig Stück noch hinzu! Und nun bitte ich um eure Zufriedenheit, und — daß ihr mich bald wieder verlasset!“

13. Sagen die Pharisäer: „Wir haben von Gott das Recht, zu kommen, wann wir wollen, und also auch zu gehen! Lade die Fische in unsere mitgebrachten Lägel, und wir wollen dann gleichwohl sogleich weiterziehen!“

14. Markus befiehlt sogleich seinen Kindern, den Willen der Pharisäer zu erfüllen, und sie legen denn auch sogleich Hand ans Werk und füllen die Lägel der Pharisäer mit den nun einhundertvierzig Fischen.

15. Als die Arbeit beendet ist, sagt Markus: „Nun ist alles erfüllt, was ihr verlangt habt. Seid ihr zufrieden?“

16. Sagt ein sehr keck aussehender junger Pharisäer: „Nein, und noch hundert Male nein! Denn du redest mit uns als wie mit dir lästigen Weltleuten und vergissest, daß wir Diener des allmächtigen Gottes sind, die dich mit einem Hauche für ewig verderben können! Dein trotziges Benehmen gegen uns soll daher nicht nur mit einhundertvierzig Fischen, sondern mit der Wegnahme aller deiner Habe geahndet werden!“

17. Hier wird es dem Markus zu bunt. Er läuft in die Hütte und kommt sogleich mit einer Pergamentrolle heraus zu den Pharisäern, auf der es mit großen Buchstaben geschrieben stand, daß er durch und durch ein Römer sei und als solcher von allen Rechten eines freien Bürgers Roms den vollen Gebrauch machen könne, so er nur wolle.

18. Fragt der kecke Pharisäer, nun etwas verblüfft, und sagt: „Nun, wie lange ist man denn schon ein Heide? Denn man war unseres guten Wissens noch vor kurzem ein Jude!“

19. Sagt Markus: „Markus war nie ein Jude, sondern ein geborener Römer, der bei dreißig Jahren dem Mars gedient hat mit Schwert, Helm und Schild. Aber dieser Markus ward auf eine Probezeit von drei Jahren ein unbeschnittener Jude; da er aber, abgesehen von der erhabeneren Gotteslehre der Juden, sich nur zu bald überzeugt hatte, was die Priester dieser erhabeneren Gotteslehre für ehrlose, heimlich ihren Gott und ihre Lehre mit Füßen tretende und die arme Menschheit bei jeder Gelegenheit hinters Licht führende, ärgste und gewissenloseste Heuchler sind, die ihrem Gott wohl aufs Gesicht vor dem blinden Volke dienen, ihre Herzen aber in aller Tiefe der Hölle begraben halten und darum auch auf das gewissenloseste mit dem Blute der unschuldigsten Kinder der Samaritaner einen allerschändlichsten Handel treiben, so bin ich wieder ein voller Römer geworden und werde als solcher auch sterben! Nehmt nun euren Raub und ziehet damit heim! Ich gebe ihn euch nur, weil ich vor kurzem ein unbeschnittener Jude war drei Jahre hindurch!“

20. Sagen die Pharisäer: „Aber Markus, wie ist das möglich, daß du nun auf einmal ein gar so gescheiter Mensch geworden bist? Wir kennen dich ja schon lange als einen Menschen von großer Geistesbeschränktheit! Du wußtest vor uns oft ja kaum, ob du ein Mann oder ein Weib seiest; wie bist du denn nun auf einmal mit solchen Geistesfähigkeiten versehen worden?“

21. Sagt Markus: „Das war eine sehr römisch pfiffige Maske, um als ein allerdümmster Kerl so ganz leicht hinter alle eure bösen Schliche, Streiche und Schändlichkeiten zu kommen! Ich stehe aber dennoch dafür, daß ich Moses und alle die Propheten besser denn ihr verstehe, — obschon ich in der Tat ein Römer, aber im Herzen schon lange ein echter Jude bin!“

22. Sagen die Pharisäer: „Ohne die Beschneidung kann niemand ein Jude sein und sich Gott nahen!“

23. Sagt Markus: „Eure Art, sich Gott zu nahen, habe ich auch nie angestrebt, sondern allein im Herzen nach der Lehre des Propheten Jesaja, und das genügt mir. Sollte ich aber darum von Gott verdammt werden, weil ich mich nicht habe beschneiden lassen, so wird euch das wenig kümmern. Ich aber denke: Gott ist weiser denn alle Menschen, und endlos weiser und besser und gerechter denn ihr, und sieht nur auf ein reines, beschnittenes Herz und nicht auf die Beschneidung der Vorhaut, die bloß einen irdischen Zweck haben mag, geistig aber im Grunde des Grundes eine Dummheit ist. Als Jude im Herzen gebe ich euch aber dennoch den Zehnt; aber ich gebe ihn freiwillig, und ihr habt keinen Funken Rechtes, einen von mir, als römischem Bürger, zu fordern. Gehet aber nun, sonst nehme ich die Fische zurück und lasse euch leer heimziehen! — Habt ihr mich wohl verstanden?“

24. Auf diese energische Rede unseres Markus sagen die Pharisäer kein Wort mehr und ziehen mit den Fischen heim.

182. Kapitel. Des Herrn Voraussage über Sein Sterben und Auferstehen.

01. Markus aber ordnet schnell ein Mittagsmahl an, begibt sich auf das bewußte Plätzchen zu uns hinauf und erzählt uns alles haarklein, wie er mit den Pharisäern verfahren sei.

02. Ich belobe ihn darum und sage: „Markus, Ich sage dir, diesem Volke ward es gegeben von Anbeginn her, und die große Verheißung, die ihm gegeben ward, hat nun ihre vollste Erfüllung erreicht. Da aber dieses Volk also verstockt ist und nicht erkennen will die große Zeit seiner Heimsuchung, sondern sein Heil sucht im Pfuhle dieser Welt, die vergehen wird gleich einem Traumbilde, so wird es zugelassen werden, daß es voll mache das Maß seiner Greuel, daß es töte seinen Gott und Herrn!

03. Alsdann wird ihm genommen werden alle Gnade und alles Licht und alles Recht und wird euch Heiden gegeben werden; denn ihr habt einen guten Willen und habt als Blinde das erkannt, was die sehenden Juden verworfen haben.

04. Darum kommt nun das Licht zu euch von oben und macht, daß ihr werdet sehenden Herzens; aber des Lichtes Kinder werden hinausgestoßen werden in die äußerste Finsternis. Unter fremden Völkern sollen sie die Brosamen suchen, und der Name ,Volk‘ wird ihnen genommen werden, und sie werden fürder kein Volk mehr sein!“

05. Sagt Markus: „Also könnte es denn doch dahin kommen, daß sie in ihrer großen Wut Dich irgend ergriffen und Dich töteten dem Leibe nach, gleichwie sie solches nahe allen ihren Propheten getan haben?“

06. Sage Ich: „O ja, das werden sie wohl an Mir tun! Aber da wird ihre Rechnung zum Ende gelangen!“

07. Sagt Markus: „Ja, ja, wie ich es gestern nacht gesagt habe: Diese Brut ist jedes erdenklichen Verbrechens fähig! Darum hüte Du Dich solange als tunlich vor der sogenannten Stadt Gottes, denn diese wird Dich töten, außer Du wendest alle Deine Vorsicht und göttliche Allmacht dagegen an; denn die Diener des Tempels kenne ich aus— und inwendig! Wer es wagt, ihre Lehre, die schon lange eine Lehre des bösen Geistes ist, anzutasten, der bekommt einen Kampf mit der gesamten Hölle. Ihre Freundschaft ist Fluch, und ihr Fluch ist der Tod. Das Leben eines Menschen ist ihnen gleich dem Leben einer Mücke, deren kein Mensch achtet ihrer zu großen Geringfügigkeit wegen.“

08. Sagen die Jünger: „Wie wir unsern Herrn und Meister kennen, so wird dennoch alle ihre noch so abgefeimte Bosheit an Seiner Weisheit zerschellen; denn Er, der dem Tode gebieten kann, Er, der die Toten wieder zum Leben erwecken kann, wird schwer zu töten sein!“

09. Sage Ich: „Ja, Er wird wohl gar nicht zu töten sein in Ewigkeit, und doch wird Er getötet werden zu einem Zeugnisse wider sie, auf daß ihr ihnen gegebenes Maß voll werde! Haben sie sich an den Heiligen Gottes vergriffen, so werden sie sich auch an Mir vergreifen und werden dadurch zu Schöpfern ihres höchst eigenen Gerichtes werden! Wer aber selbst etwas also will, dem geschieht kein Unrecht, so er verworfen wird! Haben sie aber den vielen Boten das getan, was da war ein unaussprechlicher Greuel, so werden sie auch Dessen nicht schonen, der die Boten vor Sich herkommen ließ.

10. Aber der für sie höchst fatale Umstand wird darin bestehen, daß der Getötete nach kaum drei Tagen als ein mächtigster Überwinder des Todes und aller Seiner Feinde zum ewigen Troste Seiner Freunde und Brüder unversehrt, vollkräftig und durch und durch vom Leben durchglüht aus dem Grabe hervorgehen wird! Dann werden sie unter großer Furcht und verzweiflungsvollem Zagen Rat halten, wie sie den vom Tode Erstandenen wieder töten könnten; aber sie werden dazu keinen Rat mehr zu fassen imstande sein, und ihr Fall wird bald darauf erfolgen.

11. Also wird es geschehen, und die Weissagung von Mir wird darin ihre vollste Erfüllung finden.

12. Zwar werdet ihr traurig sein und große Angst empfinden um Meinetwegen; aber eure Traurigkeit, Furcht und Angst wird bald in große Freude verwandelt werden, so ihr den Getöteten wieder mit aller Macht über alles Leben und über allen Tod unter euch wie jetzt erschauen werdet!“

13. Sagt Markus: „Wenn also, dann ist es wahrlich nicht zu schwer, sich gewisserart nur pro forma töten zu lassen! Unter solchen Umständen kannst Du dann schon nach Jerusalem wandeln, wenn Du willst; denn Dir kann nichts geschehen! So Du ein Herr über Leben und Tod bist, wer kann Dich dann töten? Und tötet er Dich, oder ist er des Wahnes, Dich getötet zu haben, und Du gehst nach der Tötung lebendiger zum Kampfe mit den Feinden hervor, als Du vor der Tötung warst, da möchte ich nicht stecken in der Haut Deiner Feinde; die wird dann verzehren das Feuer aller Angst und Furcht. Und all ihr Raten, Sinnen und Trachten wird zuschanden werden für zeitlich und ewig! Denn dadurch erst werden alle ihre allerschändlichsten Greueltaten ans hellste Tageslicht vor aller Menschen Augen treten, und ihr effektives Dasein hat sein von der besseren Menschheit lange ersehntes Ende erreicht für ewig. O Herr und Meister! Führe das nur recht bald und ganz sicher und gewiß aus! Ich bin zwar schon alt geworden und werde die Erde nicht so lange mehr mit meinen Fußtritten belästigen, als ich sie schon belästiget habe; aber das möchte ich denn doch noch erleben, und mein Tod soll dann ein leichter sein!“

14. Sage Ich: „Die Sache ist zwar noch nicht völlig bestimmt, daß es also geschehen müsse; aber eher ja denn nein! — Aber nun ist es schon stark über des Tages Mitte hinaus mit der Zeit, und unsere Leiber begehren auch irgendeine Stärkung; darum wollen wir uns wieder hinabbegeben und wollen eine Leibesstärkung zu uns nehmen!“

15. Sagt Markus: „Ja, da hast Du wieder ganz vollkommen recht; das Mittagsmahl wird bereitet sein, und so gehen wir hinab! Nach dem Mahle können wir dann ja, so es Dir, o Herr, eine Freude macht, wieder auf dieses Plätzchen uns begeben.“

16. Sage Ich: „Für den Nachmittag werden wir etwas anderes unternehmen. Morgen wieder soll dies Plätzchen uns willkommen sein. Jetzt gehen wir aber!“

183. Kapitel. Der Besuch des Cyrenius wird gemeldet.

01. Als wir nach wenigen Augenblicken unten ankamen, so war auch das Mittagsmahl bereitet, und wir setzten uns an den großen Tisch im Freien, der unter dem dichten Schatten einer Kastanie errichtet war. Wohlzubereitete Fische, Brot, Wein und gute, frische Feigen wurden im rechten Maße aufgetragen, so daß wir, in allem bei dreißig an der Zahl, zur Übergenüge zu zehren hatten. Sehr gemütlich ward das Mahl eingenommen, und Markus, der gesprächige, alte, biedere Kriegsmann, erzählte uns so manches aus den Erlebnissen, und das mit einer ihm angeborenen Redesalbung. Meine Jünger aber hatten dabei die Gelegenheit, die Welt so recht enthüllt vor sich zu sehen und sich davon so manches zum Besten der Menschheit herauszunehmen, die später ihrer Leitung anvertraut ward.

02. Nach der über zwei Stunden andauernden Tischsitzung kam aus der Stadt ein Bote zu Markus und hinterbrachte ihm die Nachricht, daß der alte Oberstatthalter Cyrenius um die Mitte des Tages in Cäsarea Philippi angekommen sei; er möge sonach als ein dem Oberstatthalter wohlbekannter Krieger hinkommen und ihm seinen bekannt ärmlichen Zustand vortragen, und der Oberstatthalter werde für ihn nach Möglichkeit etwas tun.

03. Sagt Markus zum Boten: „Sage du zu meinem alten Kriegsgefährten, daß ich mich ihm zu Füßen legen und ihm viele Male danken lasse für seine gnädigste Erinnerung an meinen stark ärmlichen Zustand! Ich werde aber diesmal von seiner Gnade keinen Gebrauch machen können, so ich darum in die Stadt gehen soll, weil ich Gäste habe, deren Oberster, Herr und Meister mich wunderbarst aus aller meiner früheren Ärmlichkeit riß. Dieser Herr und Meister versprach mir, sechs volle Tage hindurch bei mir zu verweilen, und so würde ich es für eine große Sünde halten, Ihn auch nur einen Augenblick zu verlassen. Sollte mein alter Kriegsgefährte es aber nicht zu tief unter seiner hohen, kaiserlichen Würde halten, zu mir heraus einen Lustgang zu tun, so solle hier alles aufgeboten werden, ihn seiner so würdig als möglich zu empfangen!“

04. Sagt der Bote: „Ganz gut, ich werde dem hohen Gebieter wortgetreu alles so wiedergeben, wie du es mir gesagt hast!“ — Mit dem empfiehlt sich der Bote, besteigt sein Maultier und entfernt sich eiligst.

05. Als der Bote aber über Stock und Stein war, sagte Markus: „Ich glaube es nicht, daß der hohe Statthalter mir solche meine Antwort übel deuten wird!“

06. Sage Ich: „Sorge dich um etwas anderes! Ich sage es dir: Wie er es vernehmen wird, daß offenbar Ich hier Mich befinde, da wird er auch nicht zehn Augenblicke lang säumen, sich zu entschließen, hierherzukommen, und du wirst da erst die Gelegenheit bekommen, von der Herrlichkeit Gottes dir einen Begriff zu machen! Denn sei versichert, daß Mich Cyrenius kennt Mein Leben lang!“

07. Sagt Markus: „Das wird schon alles so sein; aber er ist ein zu hochgestellter Mann in der Welt und muß darum so manches vermeiden der dummen Menschen wegen, was er sonst sicher tun würde, und so zweifle ich denn doch so hübsch stark, daß er mir die hohe Gnade des Besuchs erweisen können wird.“

08. Sage Ich: „Ehe du dreimal aufs bekannte Plätzchen hinauf— und wieder zurückkommst, wird er dasein: Der Bote wird ihm kaum die Nachricht hinterbringen, und Cyrenius, der sein Mahl noch nicht eingenommen haben wird, wird ohne alles Säumen alles liegen— und stehenlassen und wird mit seiner ganzen Begleitung hierhereilen, um Mich zu sehen und zu sprechen.

09. Sage es aber deinem Weibe und deinen Töchtern, daß sie sogleich noch ein Mahl für ihn und seine Leute richten sollen; denn da er in der Stadt kein Mahl nehmen wird samt seinen Leuten, so wird ihm auch ein solches Mahl sehr erwünscht und willkommen sein!“

10. Markus ruft sogleich sein Weib und seine sechs Töchter aus der Hütte und sagt, daß sie für den ankommenden Oberstatthalter Cyrenius ein Mahl bereiten sollen, und zwar in Menge für ungefähr noch einmal dreißig Personen!

11. Das Weib sieht den Markus ganz verblüfft an und weiß nicht, ob so etwas Ernst oder Scherz sei. Aber Markus schafft (weist) sie dennoch gleich in die Küche, und das Weib macht sich an die gebotene Arbeit.

12. Zugleich aber gebot Markus seinen beiden Söhnen, daß sie über den Hügel hinausschauen sollten, und so sie irgendeine glänzende Schar aus der Stadt kommen sähen, so sollten sie ihn sogleich benachrichtigen. Die beiden Söhne eilten alsbald über den Bug (Wegbiegung) hinaus bis zur Stelle, von der man recht gut bis Cäsarea Philippi sehen konnte, und entdeckten die glänzende Schar schon am Ende der breiten Straße ihre Schritte in den schmalen Fußsteig einlenken, auf dem man in einer kleinen Viertelstunde ganz leicht die Behausung unseres Markus erreicht.

13. Als die beiden Söhne solches ersahen, eilten sie nahe atemlos zurück und erzählten, was sie gesehen.

14. Da fragte Mich Markus, sagend: „Herr und Meister, da werden wir ihm denn doch entgegengehen müssen in aller echt römischen Gebeugtheit!?“

15. Sage Ich: „O mitnichten! Den sein Heil zu Mir drängt, der kommt schon, ob wir ihm auch nicht entgegengehen! Cyrenius aber ist ein Starker im Geiste und bedarf nicht, daß man ihm entgegengeht; nur wo ein Schwacher an Seele und Leib den Weg zu uns eingeschlagen hat, dem müssen wir wohl entgegengehen, auf daß er nicht ermüde am halben Wege, da liegenbleibe und verderbe!“

184. Kapitel. Markus empfängt und begrüßt Cyrenius.

01. Als wir solche Worte kaum zu Ende geredet hatten, so vernahmen wir schon vom Buge herab eine Menge Menschenstimmen. Es war Cyrenius mit seinem ganzen Gefolge; und der von Mir in Nazareth in des Jairus neuer Gruft vom vollsten Tode erweckte Knabe Josoe ritt neben dem Cyrenius auf einem kleinen Saumrosse, mit schönen römischen Kleidern angetan.

02. Als Cyrenius auf den ziemlich geräumigen Platz vor der Hütte kam, fragte er die beiden Söhne, ob dies die Behausung des alten Kriegers Markus wäre.

03. Und die Söhne sagten in tiefster Verbeugung: „Ja, mächtiger Herr und Gebieter!“

04. Bei dieser Gelegenheit tritt auch schon Markus in der echt römischen Gebeugtheit vor den Cyrenius hin und sagt: „Hoher Herr und Gebieter, nichts in der Welt hätte mich abhalten können, deinem allergnädigsten Rufe auf der Stelle des Augenblicks Folge zu leisten! Aber ich beherberge einen Gast nebst mehreren Seiner Jünger und Begleiter, der unfehlbar ein Gott sein muß, weil Er Dinge bloß durch Seinen Willen bewirkt, die noch nie ein Sterblicher auf dieser Erde gewirkt hat. Und siehe, diesen Gast aus den Himmeln konnte ich unmöglich verlassen, zumal Er mich mit Wohltaten überhäuft hat und meine Hütte nun keine ärmliche, sondern eine sehr reiche ist; denn ich besitze nun bei fünfzig Schläuche des allerbesten Weines und meine fünf großen Fischbehälter voll von den alleredelsten und besten Fischen! Ebenso strotzt meine Speisekammer von allerlei der besten Speisen, und Salz und Holz habe ich auch für mein Leben lang zur Übergenüge! Was sollte ich alter Mann nun noch mehreres suchen und verlangen wollen? Aber nicht nur ich, sondern auch meine acht Kinder sind bestens versorgt; denn ich habe heute schon bei vierhundert Groschen eingenommen, was bei mir schon sehr viel Geld haben heißt, und ich werde dabei sicher noch mehrere Hunderte von guten Groschen aus derselben Quelle lösen, wie ich die vierhundert heute ganz ehrlich und redlich gelöst habe.“

05. Sagt Cyrenius: „Das ist schon alles ganz gut, und es freut mich sicher mehr denn dich, daß ich dich, als einen meiner ältesten Kriegsgefährten, so ganz glücklich treffe; aber nun führe mich zu deinem Wundergaste hin! Dessentwegen bin ich vorzüglich zu dir aus der Stadt gekommen; denn nach des Boten Aussage vermute ich, daß dein Wundergast der göttliche Jesus aus Nazareth ist, dem ich ewig nie genug werde zu danken imstande sein für die endlos großen Wohltaten, die Er mir geistig und leiblich erwiesen hat. Führe mich darum nur gleich zu Ihm hin!“

06. Cyrenius hatte Mich darum nicht gleich entdeckt, weil Ich mit den Jüngern noch beim Tische saß, der unter der dichten Beschattung eines großen Kastanienbaumes stand, dessen dicht und dick belaubte Äste stellenweise bis zur Erde hinabhingen. Markus führte den Cyrenius samt dem Knaben Josoe sogleich unter den Kastanienbaum zu Mir.

07. Als Cyrenius Meiner ansichtig ward, kamen ihm gleich die Tränen in die Augen vor Freude, Mich wiederzusehen, und er sprach: „Ja, ja, Du bist es, wie ich mir's gedacht habe! Oh, wie endlos glücklich und selig bin ich nun abermals, daß mir die unbeschreibliche Gnade der Himmel zuteil ward, Dich, der Du allein mein alles bist, nach vielen verstrichenen Tagen wieder einmal zu sehen, zu sprechen und durch den Hauch Deines Mundes neu gesegnet und für ewig belebt zu werden! O Herr, Du mein über alles treu und wahrhaft geliebtester Jesus, Du ewiger Herr der ganzen Welt und aller Himmel! Ein wie großer Schuldner bin ich Dir doch, und zwar fürs erste für jede Lebensminute und fürs zweite für die übergroße Wohltat, die durch Deine nie ergründbare Weisheit in Kis mir zuteil ward, daß ich zu den geraubten Steuergeldern wieder gelangt bin! O Herr, wie oft an einem jeglichen Tage denke ich doch daran, aus welch einer schrecklichen Verlegenheit Du mich durch Deine Weisheit in Kis errettet hast! Und wenn ich so bei mir daran denke, da kommen mir stets des Dankgefühls Tränen in die Augen, und ich muß Dich dann weinend anbeten!“

08. Sage Ich: „Freund und Bruder, komm und setze dich an Meine Rechte, und dein Gefolge soll sich auch setzen zum andern Tische dort unter dem Feigenbaume! Es wird sogleich das Mittagsmahl aufgetragen werden, das Ich für dich und dein Gefolge schon zum voraus bestellt habe; denn Ich weiß es, daß ihr heute noch wenig zu eurer Stärkung zu euch genommen habt. — Was macht aber Mein Josoe, und wie verträgt er sich mit seinem zeitweilig zu ihm kommenden Engel?“

185. Kapitel. Die Lehrmethode des Engels.

01. Hier tritt der schon viel stärker aussehende Knabe Josoe zu Mir hin und spricht: „Herr und Leben alles Lebens, ich bin völlig gesund, und mir schmeckt das Essen und Trinken noch gleichweg sehr wohl; aber mit dem Engel, der aus Sichar mich alle drei Tage auf einige Augenblicke lang besucht, bin ich eben nicht sehr zufrieden, weil er bei allem, was ich ihm sage, stets etwas einzuwenden hat! Ich lasse mich gewiß recht gerne belehren über alles, was nur immer gut, wahr und nützlich ist; aber so mir jemand heute sagt: ,Eine Birne und dann noch eine Birne hinzu, macht zwei Birnen!‘, und läßt mir es dann bei der nächsten Gelegenheit nicht gelten, so ich ihn mit seinen Worten schlagen will, wenn er das nächste Mal Mir aufbinden will, daß eine Birne und noch eine Birne auch drei, vier, fünf, ja am Ende gar eine unendliche Anzahl Birnen wären und überhaupt eins und eins nicht nur zwei, sondern geistig jede denkbare Zahl darstellen könnten, — dann werde ich stets etwas ärgerlich und zerhadere mich nahe allzeit mit meinem geistigen Lehrer und Erzieher! Denn bei ihm gilt beim nächsten Besuche das nie mehr als eine allein dastehende festeste Wahrheit, was er mir beim vorhergehenden als eine feste Wahrheit dargestellt hatte. Kurz, er kommt manchmal mit Dingen, gegen deren Annahme sich gleich jedes Haar sträubt! Daher möchte ich Dich, o Herr über alle Himmel und Welten, wohl bitten, dem Geistlehrer aus Sichar zu sagen, daß er mit mir vernünftiger verfahren solle — oder aber mich in der Zukunft verschone mit seinen Besuchen!“

02. Sage Ich: „Ah, Mein lieber Josoe, ertrage du ihn nur! Er führt dich in die rechte Weisheit der Himmel ein; denn die Rechnungen der Geister sehen ganz anders aus als die dieser Welt! Wollte Ich nach der Weise der Himmel mit dir reden, so würdest du wohl nichts verstehen; aber Ich rede, als nun Selbst Mensch mit Fleisch und Blut, nur menschlich nach der Weise dieser Erde mit den Menschen von den Dingen des Geistes, und siehe, die Menschen ärgern sich über Mich, weil sie Mich nicht verstehen — und viele auch nicht verstehen wollen! Dein dann— und wanniger Geistlehrer lehrt dich schon recht; aber du wirst seine Lehre auf dieser Erde erst in deinem Alter heller zu fassen anfangen; ganz fassen aber wirst du das erst dereinst drüben, wo sich keine Trübungen aus dem Fleische und Blute in deine reine Seele mengen werden: — Hast du Mich verstanden?“

03. Sagt Josoe: „O ja, Herr der Unendlichkeit, Dich verstehe ich leichter als meinen Geistlehrer! Aber wenn der mir sagt, daß im Grunde des Grundes der Zorn und die Liebe eines seien, dann kehrt sich bei mir wohl das Oberste zum Untersten und das Unterste zum Obersten; also auch, wenn er sagt, daß ebenso im Grunde des Grundes Himmel und Hölle eines seien! Das begreife, wer es will; für meinen Verstand ist das ein allergrößter Widerspruch!“

04. Sage Ich: „Auch da hat der Engel wieder recht, und es ist also! Ich werde dir dafür ein kleines Beispiel geben, und du wirst die Sache sicher ein wenig heller sehen. Und so höre Mich!

05. Siehe an die Sonne! Wenn sie zur Winterszeit an manchen Tagen so recht angenehm und mild warm scheint, wie sehr erquickt dich ihr Lichtstrahl; aber wenn in den Sandwüsten Afrikas ihr glühendheißer Strahl sogar den weißen Sand zu schmelzen beginnt, und du würdest unter solchem Lichtstrahle der Sonne zu wandeln haben, da würde dir solcher Strahl zur Hölle! — Verstehst du das?“

06. Sagt Josoe: „O ja!“

07. Rede Ich weiter: „Gut, höre aber weiter! Die Nacht ist auf einen heißen Tag gewiß eine große Freundin und Wohltäterin der müden Menschheit; lassen wir aber die Wohltäterin etwa nur dreißig Tage lang währen, und alle Menschen werden sie zu verwünschen und zu verfluchen anfangen! Denn es würde eine so lange andauernde Nacht die Erde in eine solche alles erstarren machende Kälte versetzen, daß am Ende in ihr kein organisches Leben mehr bestehen könnte! Siehe, da würde die große Wohltäterin der Menschen ja schon wieder zur barsten Hölle!

08. So du an einem heißen Tage eine Wanderung machst, und der Durst fängt an, dich zu quälen, und du kommst dann zu einer reinen und reichen Wasserquelle, wie himmlisch erquickt dich ein Labetrunk aus der reinen Quelle! Aber tiefer unten im Tale sammelt sich dasselbe Wasser in einem weiten und tiefen Becken zu einem See. Wenn du dort hineinfällst, so findest du darin den unvermeidlichen Tod! Da siehe wiederum: Dasselbe Wasser, das dich auf der hochliegenden Bergstraße so himmlisch erquickt hatte, wird dich unten im tiefen See töten und dir somit zur zeitweiligen Hölle werden:

09. Also trinkst du auch gerne einen kleinen Becher guten Weines; trinke aber auf einmal einen ganzen vollen Schlauch aus, und der Wein wird dich töten und wird dir alsonach abermals zur Hölle werden:

10. Du gehst gern auf einen hohen Berg, und die Aussicht in die weiten Fernen erquickt dein Herz. Aber laß einen Berg auf dich fallen, so wird er dich töten und wird dir also wieder zur Hölle werden!

11. Der Wind, so er an einem heißen Tage sanft kühlend über deine Stirne streicht, wie sehr erquickt er dein ganzes Gemüt! Lassen wir ihn aber zu einem Sturme werden, der die Bäume zu entwurzeln beginnt, wird er dich dann auch noch erquicken? Sicher nicht! Denn da wirst du die Flucht ergreifen und wirst suchen eine Stelle, in die der Sturm nicht dringen kann. Und so wird derselbe Wind, der dich vorher erquickte, in seiner vollen Kraft dir abermals zur Hölle!

12. Darum ist einem jeden Menschen in allen Dingen ein gewisses Maß gegeben, nach seiner Kraft, Wesenheit und Beschaffenheit. Wenn er darin verbleibt, so ist er in der rechten Ordnung, in die ihn Gott gesetzt hat, und alles, was ihn umgibt, ist für ihn ,Himmel‘; wenn er aber in was immer diese Ordnung überschreitet und eine Welt auf seine schwachen Schultern legt, so wird diese ihn zermalmen und ihm zur ,Hölle‘ werden!

13. Und so ist ein rechtes Maß in allen Dingen den Menschen wie den Geistern ein ,Himmel‘; das Übermaß in denselben Dingen aber ist demnach den Menschen wie den Geistern eine barste ,Hölle‘! — Verstehst du solches nun?“

14. Sagt Josoe: „Ja, jetzt verstehe ich's freilich wohl und habe darob eine große Freude! — Warum aber erläutert mir der Geistlehrer seine Lehrsätze nicht also, daß ich sie verstünde wie nun?!“

15. Sage Ich: „Auch das hat wieder seinen weisen Grund! Würde dir dein Geistlehrer alles so sonnenklar machen, so würdest du nie zum Selbstdenken und endlich zum Selbstbestimmen kommen; so aber nötigt er dich zum Denken und Selbstbestimmen, und siehe, das ist dann schon die rechte himmlische Art und Weise, zu lehren! Wenn es nötig sein wird und du zur rechten Reife gelangt sein wirst, dann wird dir der Geistlehrer schon auch für jede Lehre die sonnenhellsten Bilder hinzufügen; aber vorerst mußt du selbst recht tätigen Geistes werden, sonst könntest du unmöglich tiefere Wahrheiten der Weisheit der Himmel fassen! — Bist du nun vollends im klaren?“

16. Spricht Josoe: „Ja Herr, jetzt erst begreife ich ganz, wie ich mit meinem Geistlehrer aus Sichar daran bin; und mir kommt nun auch eine große Liebe zu ihm!“

17. Sage Ich: „Und diese Liebe wird dir die Beispiele schaffen! — Jetzt aber kommt etwas für den Leib; das Weib, die Söhne und die Töchter des Markus kommen schon mit einer vollen Ladung von Speisen und Getränken! Esset nun nach Bedarf, und stärket euch, auf daß es euch weder hungere noch dürste; denn in Meiner Nähe soll nie jemand hungern und dürsten, sondern ein jeder vollends gesättigt werden, leiblich und geistig!“

18. Cyrenius und der Knabe Josoe sind beide schon recht hungrig und durstig und greifen darum recht wacker zu; auch die Gefolgsleute lassen sich nicht bitten, sondern folgen ganz wacker dem Beispiele des Cyrenius.

186. Kapitel. Des Cyrenius Geschenk an Markus.

01. Als das Mahl nahe ganz aufgezehrt ist, ruft Cyrenius den Markus und dessen Weib, dankt ersterem für das gute Mahl und dessen sich noch immer gleichgebliebene Gastfreundschaft, das Weib aber belobt er seiner besten Kochkunde halber; denn so wohlschmeckend zubereitete Speisen habe er noch nie gegessen, namentlich aber die Fische, deren üppiger Wohlgeschmack alles andere bei weitem übertraf.

02. Nach dieser Lobeserteilung aber sagt Cyrenius zum Markus: „Du, mein alter Kriegsgefährte, aber gehe hin dort zum weißen Maultiere! Auf seinem Rücken trägt es etwas für dich und deine Familie. Du hast entbehrt lange genug und hattest zu kämpfen gegen allerlei Not und Drangsal; solchem deinem eben nicht zu beneidenden Zustande soll denn nun auf einmal abgeholfen werden! Du wirst in den beiden Säcken so viel Gold und Silber finden, daß du dir gar leicht ein besseres Wohnhaus erbauen und zu dem neuen bessern Hause einen Acker und Wiesengrund kaufen können wirst, auf daß du so vom Ackerbaue ganz gut wirst leben können samt deiner Familie! Was die Säcke noch darüber enthalten dürften, das behalte als einen guten Notpfennig; denn solange wir auf dieser Erde nach dem Willen des Herrn zu leben haben, dürfen uns auch die Mittel nicht völlig mangeln, um leben zu können!

03. Solange wir keine Götter sind, müssen wir arbeiten und im Schweiße des Angesichts uns unser Brot verdienen, — der eine auf diese und der andere auf eine andere Art; ein jeder aber hat zu tun genug und darf die Hände nicht in den Schoß legen. Aber wer wie du schon einmal gearbeitet hat zur Genüge, der kann sich's dann in seinen alten Tagen schon ein wenig bequemer geschehen lassen. Gehe demnach hin und nimm die kleine Gabe in Empfang, und der Herr segne sie dir!“

04. Unter Tränen dankte Markus dem Cyrenius — und neben Cyrenius aber auch gewisserart hauptsächlich Mir; denn er sagte: obschon die Gabe vom Cyrenius komme, so sei er aber dennoch mehr denn völlig überzeugt, daß Ich der Grund von allem sei; darum danke er Mir vor allem!

05. Ich aber sagte: „Nimm zwar, was man dir gibt, und gebrauche es; aber lege ja keinen Wert darauf! Denn wie gemessen da auch jede irdische Gabe ist, so ungemessen ist jedoch das irdische Leben der Menschen! Heute bist du noch der Herr deiner Schätze, und morgen fordert man deine Seele von dir! Was kannst du dann geben, um zu retten deine Seele vor dem ewigen Tode?

06. Darum suche ein jeder vor allem das Gottesreich, und alles andere wird ihm nach Bedarf hinzugegeben werden!

07. Was er aber empfängt, das empfängt er nicht, daß er es zusammenhäufe, sondern daß er es klug und weise benütze zum eigenen und der anderen Besten. Du wirst finden der wahrhaft Armen die Menge; deren Not solle erquicken dein Herz, weil dir nun die Mittel geistig und leiblich gegeben sind, solche Not zu lindern und fröhlich zu machen das traurige Herz des armen Bruders!

08. Siehe, jedes fröhliche Herz, das du erquickt hast in Meinem Namen, wird dir dereinst zu einem neuen Himmel voll Seligkeiten ohne Maß und Zahl werden und wird dir schon auf dieser Erde eine Labung bereiten, die dir kein anderes Erdenglück geben kann, und wird in dir gebären den wahren Frieden, — einen Frieden, den die Welt nicht kennt! Und so denn gehe hin und nimm alles in Empfang!“

09. Und der Alte ging mit seinen zwei Söhnen, nahm die großen und stark gefüllten Säcke in Empfang und brachte sie in gute Verwahrung. Nachdem er wieder zum Vorschein kam, dankte er noch einmal für alles und fragte Mich, was etwa für den Nachmittag geschehen solle.

10. Sage Ich: „Richte deine Schiffe her, und wir werden ein wenig auf dem See herumfahren, da der heutige Tag so schön und windstill ist! Du kannst heute auch noch einmal das große Netz ins Meer werfen und sollst einen zweiten gesegneten Zug und Fang machen!“

11. Markus befiehlt darauf sogleich seinen Söhnen und den vier älteren Töchtern, daß sie die Fahrzeuge in gute Ordnung bringen sollen, sowie auch das große Netz, und auch nachsehen sollen, ob der eingezäunte große Fischbehälter noch gut erhalten ist; und habe er irgendein Loch, da solle es sogleich nach Möglichkeit gut verstopft werden mit Gestrüpp und Steinen.

12. Sagen die Söhne: „Vater, solches haben wir vor vier Tagen schon getan, und es dürfte darum wohl noch alles in der besten Ordnung sein, da seit der Zeit kein Sturm getobt hat; aber wir wollen dennoch nachsehen, damit wir auch für diesen Augenblick in der vollsten Gewißheit sein können.“ — Darauf entfernten sich die Söhne, besahen alles und kamen bald mit der Nachricht zurück, daß da noch alles im besten und brauchbarsten Zustande sich befinde.

13. Sage Ich: „So gehen wir hinaus und besteigen die kleinen Schiffe, von denen jegliches dennoch ganz gut zwölf Personen gefahrlos tragen kann!“ — Darauf erhob sich alles und folgte Mir nach.

187. Kapitel. Die Gesellschaft auf dem Meere.

01. Als wir ans Ufer kamen, schoben die Söhne sogleich das größte und beste Schiff vor uns hin, das wir denn auch sogleich bestiegen und uns auf die dazu bereiteten Bänke niederließen. Die beiden Söhne aber ergriffen die Ruder und machten also unser Fahrzeug sich ziemlich schnell entfernen vom Ufer. In Meinem Schiffe aber befanden sich nebst Mir Cyrenius, der Knabe Josoe, der alte Markus und Petrus, Johannes und Jakobus. Alle andern Jünger fuhren auf den andern Schiffen uns nach, sowie das Hofgefolge des Cyrenius. In unserem Schiffe aber war auch das große Fischernetz in guter Fischerordnung zusammengelegt.

02. Als wir etwa bei fünf Feldweges weit vom Ufer uns entfernt befanden, fragte Markus, sagend: „Herr, sage es uns, wo wir das Netz auswerfen sollen!“

03. Sage Ich: „Dies werde Ich schon tun zur rechten Zeit; aber jetzt und hier noch nicht! Wir sind noch keine halbe Stunde auf dem Wasser und wollen darum nicht sogleich dessen Ruhe stören und dessen Geister wecken, die uns am Ende sehr necken könnten, aber mehr gen Abend hin und näher dem sichern Ufer werden wir dann schon das Netz auswerfen. Jetzt aber wollen wir nichts anderes tun, als ruhen mit der Ruhe des Meeres. Will aber von euch jemand etwas wissen, so steht es ihm frei, Mich zu fragen.“

04. Sagt Cyrenius: „Was mir im Hause des Markus besonders auffällt, ist, daß dessen vier ältere Töchter ebenso kräftig beim Rudern sind, als dessen zwei, man kann sagen gigantisch starke Söhne! — Du, Markus, warst einst wohl auch ein wenig ein Athlet; aber deine Söhne haben dich jedoch bei weitem überholt!“

05. Sagt Markus: „Jawohl, aber heute kommt mir ihre Kraft selbst etwas außergewöhnlich vor; denn ihre Ruder spielen so kräftig und emsig, daß darob das Schiff wie vom Winde genötigt über die Meeresfläche dahingleitet. Wahrlich, bei dieser Bewegung könnte man in einem halben Tage bis nach Kis oder gar bis gen Sibarah kommen, wo man doch sonst gut bei zwei Tage zu tun hätte! Bis nach Genezareth aber käme man also in ein paar Stunden und nach Jesaira in vier.

06. Wenn mich meine alten Augen nicht trügen, so entdecke ich auch nun schon den hohen Berg, der von hier aus zur Linken die Stadt Genezareth deckt! Sieht zwar wohl sehr blau und somit ferne aus, — aber das tut nichts; der Geschwindigkeit dieser Bewegung weichet bald jede noch so blau aussehende Ferne! Aber nur die ausdauernde Kraft meiner beiden Söhne kann ich nicht genug bewundern! Da bist Du, o Herr, auch schon sicher mit Deinem allmächtigen heiligen Willen mit im Spiele!?“

07. Sage Ich: „Ja, lieber Freund Markus, Ich muß mit Meinem Wollen und Willen wohl gar endlos vielfach mit im Spiele sein überall, wo es nur immer irgendein Werden, Sein und Bestehen gibt, vom Größten bis zum Kleinsten, ansonst der endlose Raum nur zu bald wesenleer wäre; und so mag denn ja nun auch Mein Wille mit deinen Söhnen gar wohl tätig sein.“

08. Sagen darauf die auf diesem Schiffe anwesenden drei Jünger unter sich: „Es ist mit unserem Herrn und Meister oft doch sonderbar! Dann und wann spricht Er ganz als der alleinige Herr Himmels und der Erde und handelt dann auch danach; dann und wann ist Er aber wieder ganz Mensch und läßt von Seiner Göttlichkeit nichts merken! Es ist zwar alles unbegreiflich weise, was Er spricht und tut; aber daß Er Sich in jüngster Zeit sollte von Pharisäern zu Jerusalem bis zum Tode mißhandeln lassen, bei all Seiner göttlichen Macht und Weisheit, das wäre denn doch etwas, das man durchaus nicht weise nennen könnte! Denn was gewinnt am Ende die Menschheit von solch einer Mißhandlung? Sie wird am Ende irre und wird sagen: Da seht das Los des Gewaltigen, daß Er am Ende dennoch ein Opfer des noch Gewaltigeren wird! Er, der die Toten erweckt und Berge versetzt, sollte doch auch imstande sein, mit einem Worte das Tempelgesindel zunichte zu machen!?

09. Zu Noahs Zeit mußte alle Menschheit untergehen bis auf Noah und dessen kleine Familie, und doch waren damals die Menschen bei weitem nicht so schlecht, wie sie im allgemeinen jetzt sind; und weil nun aber die Menschen im allgemeinen schon derart böse und arg sind, wie sie sicher nicht leicht noch böser und ärger sein könnten, so will Er Sich darum von ihnen nun Selbst dazu noch mißhandeln lassen, anstatt daß Er sie züchtige ärger denn zu Sodoms und Noahs Zeiten! Kurz, manche Handlung von Seiner Gottseite ist noch um vieles unbegreiflicher als etwas, das noch nie ein Dasein hatte!“

188. Kapitel. Des Johannes Rede über den Unterschied der natürlichen und geistigen Auffassung.

01. Sagt Johannes, der den redenden Simon Juda bloß ganz aufmerksam angehört hatte: „Mit bloß weltlichen Sinnen die Sache betrachtet, kann ich dir keinen Widerspruch tun; aber für die Sehe des Herzens hat all das denn doch ein ganz anderes Gesicht! Denn die göttliche Weisheit richtet sich ja nie und nimmer nach der selbst eines noch so weisen Menschen!

02. Weißt du denn, warum auf dem Erdboden gar so zahllos viele Gattungen von Pflanzen und Gesträuchen vorkommen, die gar keine Früchte tragen? Und so sie schon welche tragen, da sind diese für unsern Verstand dennoch zwecklos, und niemand weiß es, wofür sie etwa gut sind! Eben eine gleiche Mannigfaltigkeit entdeckt man unter den Tieren. Von der kleinsten Blattmilbe bis zum die Meere beherrschenden Leviathan, sage, wozu sind sie alle bis auf unsere wenigen Haustiere? Welchen Zweck können wohl die wilden, reißenden Bestien haben? Was nützen der Menschheit die Bären, Löwen, Tiger, Hyänen und noch eine Menge der uns noch unbekannten reißenden Bestien? Wer, guter Freund, kann dir den Grund von so höchst verschiedenen Gestaltungen der Tiere geben? Wozu die vielen Sterne am Himmel? Warum leuchtet der Mond nicht stets zur Nachtzeit? Wozu sein Lichtwechsel? Wozu ist er so ganz eigentlich da? Sieh, das alles und noch viel tausendfältiges anderes begreifen wir nicht, und es kommt unserem Verstande wie eine Torheit vor, wenn wir so recht kritisch darüber nachdenken! Aber bei Gott dem Herrn hat alles das sicher einen höchst weisen Grund, und so darf es uns denn nun, da uns die außerordentliche Gelegenheit gegeben ist, den Herrn persönlich vor uns wirken zu sehen, gar nicht wundernehmen, so wir nicht alles fassen können, was Er tut und noch ferner tun wird; denn für alles wird Er offenbar in und für Sich den allerweisesten Grund haben! — Bist du da nicht meiner Ansicht?“

03. Sagt Simon Juda: „Jawohl, jawohl, du hast ganz recht, und man kann dir füglichstermaßen wohl nichts dagegen einwenden! Aber das bleibt denn doch auch ewig wahr, daß dem denkenden Menschen so manche Anordnung Gottes gerade so vorkommt, als ob jemand im vollsten Ernste behaupten möchte, daß zwei Fische und abermals zwei Fische zusammen sieben Fische seien!“

04. Sage Ich: „Ja, ja Simon, also sieht es wohl aus; aber was dem Menschenverstande als unmöglich erscheint, kann bei Gott noch gar wohl möglich sein! Nimm das kleine Netzlein, das zu deinen Füßen liegt und wirf es hinaus ins Meer! (Simon tut dies.) — Nun hebe es wieder zurück und sage, wie viele Fische sich darin befinden!“

05. Sagt Simon: „Herr, genau vier Stück!“

06. Sage Ich: „Siehe nach und zähle; denn es sind deren sieben!“

07. Simon sieht nach und zählt und findet nun genau sieben Fische im Netze. Darüber verwundert er sich hoch und sagt: „Ja, ja, bei Gott sind alle Dinge möglich!“

08. Und Ich sage zu ihm: „Darum schwätze künftighin nicht ein unnützes Zeug; denn es ist besser zu schweigen, denn leeres und unnützes Zeug zu schwätzen! Verstehe solches, — sonst bist du um nichts besser denn ein blinder Pharisäer!“

09. Sagt Simon Juda: „Herr, Du weißt es doch, wie sehr ich Dich liebe, und doch verweisest Du mir nun, so ich etwas sage aus mir, das Gesagte stets auf eine ziemlich bittere Weise, daß ich darob nun kaum mehr irgend noch einen Mut habe, Dich je wieder laut um irgend etwas zu fragen! Ich nehme zwar von Dir alles mit der größten Liebe und Geduld an; aber einer inneren kleinen geheimen Trauer kann ich mich nicht erwehren, weil gerade ich das leidige Ziel Deiner Schärfe bin!“ — Hierauf wendet er sich gegen das Meer und beschaut dasselbe mit einem etwas wehmütigen Blick.

10. Johannes aber geht zu ihm hin und sagt: „Sieh, Bruder, dir geschieht es jetzt nun etwas schwer ob der sanften Zurechtweisung von seiten des Herrn; aber sieh, des Herrn Liebe und Weisheit weiß es wohl überaus gut, warum sie solches an dir getan hat, und so du einen recht tiefen Blick in dein Herz tätest, da würdest du den Grund bald und leicht selbst finden!“

11. Sagt Simon: „Nun, was soll es denn sein? — Sage du es mir!“

12. Spricht Johannes: „Sieh, Bruder, was das Erkennen und den lebendigen, unerschütterlichsten Glauben betrifft, so bist du unter uns offenbar der Stärkste und nach dem Zeugnisse des Herrn ein wahrer Fels; aber dabei hast du dennoch Stunden, in denen dich so eine leise Art von Selbstgefühl übermannt, und siehe, ein solches Selbstgefühl ist so ein wenig mit dem, was man Hochmut nennt, ziemlich nahe verwandt! Und das wird es sein, was der Herr durch so manche dir zukommende Demütigung aus dir herausschaffen will! Ich habe das schon bei manchen anderen Gelegenheiten wahrgenommen und hätte es dir schon lange gern gesagt aus wahrster und aufrichtigster Bruderliebe; aber es hat sich dazu nie eine so recht schickliche Gelegenheit geboten. Da sich nun eben eine solche Gelegenheit ergeben hat, so dachte ich daran und habe es dir gesagt, wie ich es schon lange lebendigst in mir gefühlt habe. Du wirst es sicher in dem guten Liebesinne aufnehmen, in und aus welchem ich es dir gesagt habe, und wirst mir darob nicht gram sein!?“

13. Sagt Simon Juda: „Ja, ja, du wirst auch darin ganz vollends recht haben; aber nur begreife ich es nicht, warum Er unsereinen auf so etwas nicht wenigstens einmal aufmerksam macht, indem Er doch sonst nicht wortkarg ist! Man würde sich dann ja um vieles leichter danach richten, was da nach Seinem rein göttlichen Sinne vollkommen Rechtem ist!“

14. Sagt Johannes: „Das könnte Er zwar tun; aber Er tut es dennoch nicht, und siehe, das muß schon auch wieder seinen guten Grund haben!

15. Mir kommt es also vor, als ob Er es haben wollte, daß ein jeder Mensch sich zuerst vollkommen selbst finden müßte, bevor der Herr am Ende Seine alles Leben vollendende Hand an ihn legt und mit Seinem Lichte Wohnung nimmt in des Menschen Herzen.

16. Aus diesem mir als vollwahr dünkenden Grunde sagt der Herr denn auch niemandem direkt die Fehler des Lebens vor, sondern bloß indirekt durch gewisse Rüttler, durch die Er dann die Seele zwingt, sich selbst näher zu beschauen, ihre Fehler an Seinem Lichte zu erkennen, sie von sich zu bannen und sogestaltig dann völlig in die Ordnung des Herrn einzugehen. Das, Bruder, ist so meine unmaßgebliche Meinung, und ich bin nahe dafür, daß es also sein werde. — Was bedünket es dich darüber?“

17. Sagt Simon, etwas nachdenkend: „Ja, du dürftest auch darin vollends recht haben; denn unter uns allen erkennst du wahrlich am tiefsten und am schärfsten des Herrn Sinn! Dein Wort soll in der Folge für mich sehr maßgebend werden!“

18. Bei dieser Gelegenheit wendet sich Simon wieder nach Mir hin und macht eine dankbare Miene darob, daß Ich durch den Bruder Johannes solches habe offenbaren lassen seinem Herzen; Ich aber bedeute Simon, daß er nun, da die Söhne des Markus anfangen, das große Netz ins Meer zu breiten, diesen nach seiner guten Kenntnis in diesem Fache behilflich sei.

19. Und Simon tut nun solches mit der größten Freude von der Welt; denn ein Liebeblick von Mir ist dem Simon mehr denn alle Schätze der Welt, und es sollte auch bei allen Menschen so sein, die wahrhaft Mir nachfolgen und dadurch das wahre ewige Leben erreichen wollen.

189. Kapitel. Ein Militärschiff naht. Der reiche Fischzug.

01. Während aber des Markus Söhne — ihnen Hilfe leistend Simon und noch etwelche in unserem Schiffe anwesenden Jünger — mit dem Auswerfen des großen Netzes beschäftigt waren, ruderte von der Gegend Genezareths ein großes Fahrzeug gerade auf uns zu. Es kam näher und näher; und als es kaum mehr einige Faden von uns entfernt war, so entdeckte ein Sohn des Markus, daß dies ein römisches Militärschiff sei, auf dem sich mehrere Soldaten befänden.

02. Sagt Cyrenius: „Wäre meiner Weltstellung wegen doch ein wenig unangenehm, so mich meine Soldaten hier in diesem vor der Welt für einen Oberstatthalter doch etwas zu unansehnlichen Schiffe träfen! Wenn man ihnen doch ein wenig ausweichen könnte!“

03. Sage Ich: „Fürchte du, was zu fürchten ist; aber vor dem brauchst du dich wahrlich nimmer zu fürchten! Denn siehe, wenn die Sonne hoch am Himmel steht, so erscheint sie um vieles kleiner, als wenn sie nahe an dem Horizonte schwebt, — auch mag auf ihrer Höhe niemand nach ihr sehen, weil sie allda jedes Auge beleidigt; wenn sie aber fein nieder steht, da blickt alles freudigsten Gemütes nach der entweder kommenden oder scheidenden Mutter des Tages.

04. Möchte dies Schifflein noch so herrlich geziert sein, so wird es dadurch zur Erhöhung deiner Würde nichts beitragen, — denn was du bist, das bist du, ob du auf der Spitze des Ararat stehst oder auf einem Maulwurfshügel; aber die wahre Achtung, gepaart mit Liebe, wirst du nur dort am meisten zu genießen bekommen, wo die Menschen am leichtesten zu dir kommen können! Und Ich sage es dir noch obendrauf, daß dir eben diese Zusammenkunft von großem Nutzen sein wird, wovon du dich bald überzeugen wirst.“

05. Cyrenius ist nun voll der gespanntesten Aufmerksamkeit über diese Meine Worte, was da etwa das römische Soldatenschiff bringen werde. Da es aber eines widrigen Windes wegen etwas aufgehalten ist, völlig zu uns zu stoßen, so meint Cyrenius, ob es nicht rätlich wäre, dem römischen Schiffe nachzusteuern.

06. Ich aber sage: „Mitnichten; denn wir werden mit selbem noch früh zur Genüge zusammenkommen, und es wird dir da an Gelegenheit nimmer mangeln, alles mögliche, was dich angeht, zu erfahren nach allen Umständen. Für jetzt aber sehen wir nur ganz ruhig dem Fischfange zu!“

07. Als Cyrenius solches vernahm, begnügte er sich und sah nun ganz gemütlich zu, wie die Fischer das große Netz im Meere auszuspannen begannen, das sich gar bald mit großen Fischen derart zu füllen begann, daß man genötigt war, ans Ufer zu steuern. Als wir etwa nach einer halben Stunde das Ufer erreichten, und zwar an der Stelle, allwo sich der im Meere eingefriedete große Fischteich befand, da ward von allen Seiten das große Netz an des Teiches Friedung gezogen, und es war eine solche Menge der größten und kostbarsten Fische im Netze, daß darauf alle Meine Jünger, Markus samt allen seinen Kindern und sogar die Dienerschaft des Cyrenius bei anderthalb Stunden zu tun hatten, um alle die gefangenen Fische aus dem Netze in den eingefriedeten Seeteich zu schaffen.

08. Und als die Fische sich bereits im Teiche befanden, da wimmelte es darin vor der großen Menge der Fische; denn es waren deren über siebentausend an der Zahl, und der Teich war voll, daß er keine tausend Stück mehr hätte fassen können. Darob war der alte Markus aber auch fröhlich, daß er sich vor lauter Fröhlichkeit kaum zu helfen wußte. In einem fort ging sein Mund vor lauter Danksagung über Danksagung über.

09. Ich aber sagte zu ihm: „Freund, du bist nun sehr dankbar für diese von Mir dir erwiesene Wohltat; aber du wirst heute noch eine andere Gabe erhalten bei der Gelegenheit, wenn das Römerschiff hier landen wird! Die Gabe aber wird nicht bestehen weder in Fischen noch in Gold und Silber, sondern pur in Meinen Worten, die dir den Weg zum ewigen Leben bahnen werden. Darauf achte du dann mit deinem ganzen Hause, und es wird in deiner Seele licht und helle werden für diese Zeit und für die Ewigkeit! — Hast du Mich wohl verstanden?“

10. Spricht Markus: „Ja Herr! Mein Herz sagt es mir: Markus, alter, verrosteter Krieger, heute soll dein Leben vom alten Roste befreit werden! Eine Stimme der Himmel Jehovas wird dein Ohr vernehmen, und deine Seele wird fühlen die große Nähe deines Heiles für ewig! — Und so hoffe ich denn auch, heute noch Wunderbarstes zu erleben.“

190. Kapitel. Die neuen Gäste.

01. Die Söhne des Markus hatten noch kaum das Netz zum Trocknen an die zu dem Zwecke am Ufer befestigten Pfähle gehängt, so war das große Römerschiff auch schon so nahe am Ufer, daß man mit den Schiffsleuten reden konnte; und diese forderten die Söhne des Markus auf, mit etwelchen Nachen an das große Schiff zu kommen und die Reisenden ans Ufer zu bringen, weil dieses vermöge seines Tiefganges sich nimmer völlig dem Ufer nahen könne. Die Söhne taten das sogleich, und Meine Jünger staunten nicht wenig, als sie unter den vielen römischen Soldaten und anderen Bürgerpersonen auch den Hauptmann Julius und am Ende gar den Ebahl mit der Jarah entdeckten.

02. Aber zugleich trug das Schiff auch fünf eingefangene arge Straßenräuber, die an den Pässen zwischen Judäa und Samaria ihr Unwesen trieben und schon so manchen Mord verübt hatten. Diese waren als Rabbis gekleidet und sahen sonst recht freundlich aus; aber dennoch wohnte in eines jeglichen Herzen eine volle Legion der ärgsten Teufel, die diese fünf Räuber nötigten, auf die unbarmherzigste Weise von der Welt die Wanderer auszurauben und sie dann, um nicht verraten zu werden, ohne alle Schonung zu ermorden. Derlei Räuber wurden aber heimlich von den Pharisäern gebilligt, weil dadurch die Zusammenkünfte zwischen den ketzerischen Samariten und den Juden auf gar vielen Stellen nahe gänzlich unmöglich gemacht wurden. Davon wußten aber auch die Römer und waren darum solchen Räubern um so feindlicher. Und es ging solchen Verbrechern dann schon allzeit erschrecklich schlecht; denn auf sie wurden stets die peinlichsten Todesstrafen angewendet.

03. Neben den erwähnten fünf Haupträubern aber befanden sich noch etliche politische Verbrecher, die heimlich, auch vom Tempel ausgehend, allenthalben Propaganda gegen die Römer anzettelten; der ganze Transport aber war nach Sidon bestimmt.

04. Ich aber verbarg Mich ein wenig, auf daß Mich Ebahl, die Jarah und der Julius nicht sogleich fanden, und gebot es auch den Hausleuten und dem Cyrenius, Mich nicht sobald zu verraten; denn es befanden sich auf dem Schiffe auch etwelche Pharisäer, die Meinetwegen von Jerusalem geheim abgesandt waren, obschon sie laut vor der Welt einen andern Grund im Munde führten.

05. Cyrenius empfing den Julius mit der größten Freundlichkeit, was den Hauptmann Julius höchst angenehm wundernahm; denn fürs erste hatte er das höchste asiatische Staatsoberhaupt hier nicht vermutet, und fürs zweite war des Cyrenius Art gegen seine untergeordneten Diener stets eine sehr ernste, obschon im Vollmaße gerechte.

06. Cyrenius besprach sich sogleich mit Julius wegen der Verbrecher, und ob Julius über sie schon irgendein Urteil gefällt habe. Denn mit einem schon gefällten Urteile sah es bei den Römern unerbittlich schlimm aus; es konnte dasselbe nur allein vom Kaiser noch widerrufen werden. Aber Julius hatte eben noch kein Urteil gefällt und wollte solches erst in Sidon vom Oberstatthalter Cyrenius selbst fällen lassen; er bat darum den Cyrenius auch, nach der Kundgabe der bösen Taten von den fünf Raubmördern und von den etwelchen politischen Verbrechern, daß er die Verbrecher nach Recht sogleich verurteilen möchte.

07. Spricht Cyrenius zu Julius: „Du hast sehr wohl und weise gehandelt, daß du diese Bösen noch nicht verurteilt hast! Ich werde sie aber auch nicht sogleich verurteilen; denn es befindet sich nun noch ein Größerer und Mächtigerer in unserer Nähe, und diesen werden wir hier in dieser Causa (Sache) urteilen lassen. Laß die Verbrecher darum gut bewachen, bis dieser Mächtigste und Weiseste kommt!“

08. Spricht Julius: „Höchster Gebieter über Asien! Befindet sich etwa gar der Kaiser auf asiatischem Boden?“

09. Sagt Cyrenius: „Nein, liebster Julius, aber Einer, der vollwahr über alle Reiche der Welt gebietet, und darum auch über den gekrönten Sohn des Augustus, meines Bruders! Es ist Zeus mit aller Seiner göttlichen Macht unter uns Sterbliche von den Himmeln gekommen; Seine Worte sind Werke, und Sein Wille ist eine vollbrachte Tat!“

10. Cyrenius aber redete zu Julius darum also römisch von Mir, da er daran dachte, Mich nicht zu verraten, und auch nicht wußte, daß Julius Mich auch schon kannte.

11. Und Julius sagte darum: „Höchster Gebieter, wir leben nun in einer Zeit der Wunder über Wunder, und die Götter müssen ein großes Wohlgefallen an den Sterblichen haben; denn auch ich hatte erst vor wenigen Tagen die sonderbarste Gelegenheit von der Welt, einen Menschen kennengelernt zu haben, dem vom Zeus nichts abging als etliche tausend Blitze in seiner Hand! Ein Jahr wäre viel zu kurz, um dir das alles zu erzählen, was dieser offenbarste Zeus bei mir in Genezareth und zumeist im Hause des biederen Wirtes Ebahl gewirkt hat!“

12. Cyrenius machte dabei ganz große Augen und war etwas verlegen, was er darüber nun dem Julius sagen, oder worüber er ihn weiter fragen sollte. Denn er gewahrte es augenblicklich aus der Erzählung, daß Ich es war; aber er wollte den Julius nicht stören in seinem Glauben. Dasselbe war aber auch bei Julius der Fall; denn auch er hatte sich das sogleich gedacht, als Cyrenius den allmächtigen Zeus ihm beschrieb.

13. Keiner hielt den andern für einen umgestalteten Römer, und so geschah es, daß sich die beiden so lange foppten, bis Ich Selbst am Ende zum Vorschein kam und dadurch die gegenseitigen Zweifel löste, — was Ich jedoch bei einer guten Stunde lang verschob.

191. Kapitel. Über die Lehrmethode der Engel und der Weltschulen.

01. Auch Ebahl und Jarah bekräftigten die Aussage des Julius und machten nun eben dieses seltensten Wundermenschen wegen eine Reise nach Sidon, um möglicherweise etwa doch noch einmal dort mit ihm zusammenzukommen, dieweil die Tochter eine zu große Sehnsucht nach ihm hätte. Cyrenius verwunderte sich zum Scheine sehr darüber, wie das junge, vielleicht noch kaum dreizehn bis vierzehn Frühlinge zählende Mägdlein schon so verliebt wäre, indem er (Cyrenius) zugleich bemerkte, daß da ohnehin ein gar überaus wunderlieber und schöner Junge stets an ihrer Seite wandle. Es sei das dann um so sonderbarer, wie das zartschönste Mägdlein neben einem gar so schönsten Jünglinge in einen doch schon ältlichen Mann, wie eben der gewisse Mensch— Zeus einer sei, auch noch so sterbensverliebt werden könnte.

02. Wer die Jarah aus den früheren Begebnissen in Genezareth kennt, dem dürfte es noch sehr bekannt sein, daß eben die Jarah nicht leichtlich jemand eine gute Antwort schuldig blieb, und so sagte sie denn auch zu Cyrenius: „Hoher Herr und Gebieter! Wie magst du Den nun vor uns verleugnen und Ihn zählen unter die toten Götter Roms eines nichtigen politischen Grundes wegen, — und doch guckt Sein Gotteslicht und Seine Gnade allenthalben vielfach aus allen deinen Teilen mit einer großen Strahlenmasse hervor!?

03. Sieh, ich fühle Seine Nähe, und du fühlst sie so gut wie ich, — und doch magst du Ihn gewisserart verleugnen; sieh, das ist nicht ganz löblich von dir, so wie es auch von Julius nicht sehr löblich ist, daß auch er den Allerheiligsten und Allergerechtesten in einer gewissen Hinsicht vor dir, o hoher Herr, verleugnet!

04. Übrigens ist es aber auch mehr noch durchaus nicht löblich von dir, daß du mich des gewisserart gemeinen Verliebtseins beschuldigst; denn ich liebe Ihn ja nur, wie das wohl ein jeder Mensch tun sollte, als meinen Schöpfer, als meinen Gott und Herrn, und bete Ihn an in meinem Herzen so rein, wie es einem sterblichen Mädchen nur immer möglich ist. So aber das, — wie bin ich denn hernach gemein verliebt in Ihn? Da frage diesen meinen Begleiter und Lehrer, der wird es dir besser denn ich zu zergliedern imstande sein; denn er besitzt mehr Kraft in allen Dingen als alle Weisen der Welt und alle Helden aller Reiche der Erde, mit der alleinigen Ausnahme Dessen, den ich hier suche. Darum frage du nur diesen Jungen, und du wirst von ihm schon die völlig rechte Antwort erhalten!“

05. Cyrenius wollte nun den Jüngling fragen, aber der Knabe Josoe hinderte ihn daran; denn er sagte zu Cyrenius heimlich: „Laß dich mit dem Jüngling ja nicht ein; denn das ist auch einer, wie es der ist, der dann und wann mich besucht! Denn diese Art Wesen können nichts Unreines vertragen, somit auch keine unziemende Frage; ihr Leben und ihr Sein ist ja nichts als Gottes Flammenlicht.“

06. Spricht Cyrenius zu Ebahl: „Ist das deine Tochter doch, und du bist ein Jude; darum ist es zum Erstaunen, daß in ihr so viel von der tiefsten Weisheit steckt! Das kann sie doch nicht binnen etlichen Tagen von dem Meister der Meister und noch weniger von dem gewissen Jünglinge gelernt haben!? Denn diese Art Lehrer, obschon höchst selten auf dieser Erde, machen mit dem Unterrichte an uns sterblichen Menschen eben auch nicht zu übergroße Fortschritte! Solches weiß ich aus der Erfahrung bei meinem Sohne Josoe, den zwar ich nicht gezeugt, aber dennoch für alle Zeiten als Sohn angenommen habe. Zu ihm kommt auch zuweilen so ein Rabbi. So sie aber eine Zeit miteinander verkehren, da weiß man am Ende wahrhaftig nicht, wer da eigentlich recht hat; denn da haben bei oft sehr verschiedener Meinung am Ende nur zu oft beide recht. Der ganze Unterricht ist eigentlich nichts als ein Weisheitskampf, aus welchem am Ende beide Parteien als Sieger hervorgehen.

07. Mein Josoe ist oft so hitzig gegen seinen mystischen Meister, daß er ihn geraden Weges fortschafft; aber der Meister läßt sich dadurch nicht im geringsten irremachen, behauptet seinen oft mit Händen zu greifenden Unsinn und läßt erst gegen Ende etwas Licht durchschimmern. Und so bin ich der Meinung, daß solches auch der schöne Rabbi bei deiner Tochter tun wird!“

08. Sagt Ebahl: „Ja, ja, hoher Gebieter, es ist völlig also. Ich für mich wenigstens kann daraus nie so recht ganz klug werden, wer da am Ende vollends recht hat. Die Sache bleibt zumeist unentschieden. Von irgendeinem positiven Lehren ist da nie eine Rede. Der junge Geist sucht nur irgendeine Verwirrung in die Begriffe des Zöglings zu bringen, und dieser muß sie dann aus sich selbst ordnen, so gut es geht. Von irgendeinem Dareinhelfen ist da schon gar keine Rede, und es bleibt darum am Ende immer etwas Unentschiedenes. Will der Zögling seines Rabbi Einwürfe vollends zunichte machen, so muß der Zögling ihm aber schon mit so nagelfesten Gegeneinwürfen entgegenkommen, daß sich der Rabbi weder nach links noch nach rechts mehr wenden kann. Das ist dann ein Beweis, daß der Zögling vollends recht hat; aber ohne die erwähnten nagelfesten Gegenbeweise hat der Zögling stets unrecht — und stellte er auch die gerechteste Behauptung auf! Oh, meine Jarah hat ihren Rabbi schon ganz entsetzlich in der Schlinge gehabt; er hätte sich am Ende kaum mehr selbst zurechtgefunden, so ihn nicht das Mädchen wieder zurechtgebracht hätte, was er selbst eingestand.

09. Wahrlich, die eigentlich himmlische Unterrichtsweise ist oft wirklich höchst sonderbar! Da unterrichtet gewöhnlich der Schüler den Lehrer, und der Lehrer begnügt sich immer sehr, so er von seinem Jünger irgend etwas gelernt hat. Aber die Sache geschieht dennoch stets auf eine wahrhaft himmlisch freundliche Weise, und ich wohne solcher Unterrichtsweise sehr gerne bei; denn man lernt daraus dennoch in einer Stunde mehr als von den Weltrabbis in einem Jahre.

10. Bei den Weltrabbis ist und bleibt der Zögling leiblich und geistig stets ein Sklave seines Rabbi; denn er kann nur das lernen, was sein oft leiblich und noch ärger geistig verkrüppelter Rabbi selbst kann und weiß. Ob's nun falsch oder wahr ist, um das darf sich der Zögling bei schwerer Strafe nicht erkundigen! Was kümmert es so einen pausbackigen Weltrabbi, welche inneren geistigen Anlagen und Fähigkeiten sein Zögling besitzt?! Da heißt es allzeit: Vöglein, friß oder stirb! Kurz, die Unterrichtsweise dieser Zeit gleicht völlig einem Helme, der auf alle Köpfe paßt, und einem Bette, in dem alle Menschen eine bequeme Ruhe genießen sollen! Der Riese Goliath würde sicher ein merkwürdiges Gesicht dazu machen, so man ihm eine Wiege der Kinder zur Ruhestätte anwiese!

11. Ich habe nicht selten Kinder gesehen, die schon in ihrer zartesten Jugend einen wahren Riesengeist bekundeten. Was hätte aus ihnen werden können, wenn sie ihrer Fähigkeit gemäß wären erzogen und unterrichtet worden! Man lehrte sie aber gleich den Schwächlingen nur Körbe flechten und ließ ihren Geist sogestaltig verkümmern! Und das halte ich für ein größtes Unrecht! Denn was hätte so ein in seiner Art ausgebildeter Geist der Menschheit alles für Dienste leisten können! Und — was nützt er in seiner Verkümmertheit? Er flicht Körbe und fängt am Ende Fische und Muscheln!

12. Aber eben darin merke ich den ungeheuren Unterschied zwischen dem Unterrichte der eitlen und zumeist dummen Weltrabbis und der nun wunderbarst unter uns seienden Himmelsrabbis. Diese erziehen den Geist frei und helfen ihm gewisserart auf die Beine dadurch, daß sie ihn durch allerlei Fragen wecken in der Art, von welcher eben ein Menschengeist ist; die Weltrabbis aber suchen den Geist nur zu unterdrücken und zu töten — und erziehen dafür den Kot für und um den Kot! — Sage, hoher Gebieter über ganz Asien, habe ich recht oder nicht?!“

13. Sagt Cyrenius: „Vollkommen, mein sehr schätzbarer Wirt Ebahl! Das war schon lange auch meine Ansicht; aber was hat sich da bis jetzt dagegen tun lassen? Ich sage es offen: Nichts, gar nichts! Denn uns selbst fehlte der rechte Grund, und woher sollten den hernach die Weltrabbis erhalten haben? Diese armen Teufel müssen am Ende denn doch nur alle Kinder das lehren, was sie gewissermaßen zuvor selbst von uns gelernt haben, — und so sind sie notwendig blinde Leiter der Blinden!

14. Wir haben nun zwar von dem Einen kennengelernt die große, heilige Wahrheit und können nun gar wohl das Licht von der Finsternis unterscheiden; aber bis unser Licht allen Menschen dieser Erde zuteil wird, da wird noch so mancher Korb von irgendeinem Riesengeiste geflochten werden! Sage mir doch, was am Ende aus deinem gar so wunderlieben Töchterchen wird!? Sie ist wahrlich ein Riesengeist und wird nun dazu noch von einem Himmelsrabbi unterwiesen. Sage, wozu wird es sich am Ende bequemen!? Zu einer Hausfrau sicher kaum!“

15. Sagt Ebahl: „Hoher Gebieter! Sehen wir unsere Mädchenschulen an! Wie sind sie vertreten? Wahrlich, hoher Gebieter, auf eine Art, daß es für die Menschheit eine barste Schande ist! Und ich meine darum: Eine gute Mädchenschule wäre ja auch nur überaus zu wünschen; denn eine Mutter, ein Etwas, das nur aus einem Mädchen werden kann, ist doch stets der Kinder erste und vorzüglichste Lehrerin. Hat sie Geist, Herz und Kopf am rechten Flecke, wie man zu sagen pflegt, da werden auch ihre Kinder gewiß ihre Gebäude nicht auf dem Sande des Meeres erbauen und kaum irgend weiterhin in einen Irrtum geleitet werden können. Wenn aber die Mütter, wie es bisher nur leider zu häufig der Fall war, dümmer oft denn ein Regenwurm sind, ja da ist auch von dem Mutterunterrichte wahrlich sehr wenig oder gar nichts zu erwarten! — Sage, hoher Gebieter, ob ich auch da recht habe oder nicht!“

192. Kapitel. Über die Zehnt- und Tributrechte des Tempels.

01. Sagt Cyrenius: „Auch da hast du vollkommen recht, und ich erkenne nun in dir einen höchst weisen Biedermann und muß dich zu irgendeinem Vorsteher mit vielen Vollmachten ernennen!“

02. Sagt Ebahl: „Wird schwer halten, da ich noch stets ein Jude bin, dem es vom Tempel aus auf das strengste verboten ist, irgend Ämter und Würden von Rom aus anzunehmen!“

03. Sagt Cyrenius: „Nun, was wird es wohl sein, so ich dich zu einem Bürger Roms mache? Und bist du das, so kannst du jede erdenkliche römische Amtswürde annehmen, und wir würden den Tempel ganz absonderlich zu züchtigen verstehen, so er sich dagegen stemmte! So du demnach willst, mache ich dich zu einem Bürger Roms!“

04. Sagt Ebahl: „Hoher Gebieter, wahrlich nicht des Ansehens und der hohen Würde eines römischen Bürgers willen, sondern der puren Freiheit wegen, die jedem biederen Bürger Roms verliehen ist, nehme ich deinen Antrag an! Ich werde im Herzen wohl für ewig ein echter Jude verbleiben, — denn man kann ja der lebendigsten Überzeugung, daß das echte, alte und wahre Judentum vollwahr aus den Himmeln zu den Menschen kam, und daß darin allein das Heil zu suchen und zu finden ist, in sich nicht entgegen sein; aber der Außenwelt gegenüber will ich also ein Römer sein wie einer, der inmitten Roms von einer tadellosen Römerin geboren worden ist.“

05. Sagt Cyrenius: „Gut, sogleich sollst du aus meinen Händen auf Pergament den zu allen Zeiten gültigen und mit allen Rechten eines Bürgers der Stadt Rom belehnten Brief erhalten! Wenn du dann solchen Brief den Templern vorweisen wirst, so werden sie dich ganz sicher in der vollsten Ruhe lassen, und du wirst dann der Menschheit mehr zu nützen imstande sein, als es bisher geschehen konnte; und darum: ich will es, und so geschehe es!“

06. Hierauf winkte Cyrenius seinem Geheimschreiber, und dieser brachte alsbald den Brief. Cyrenius schrieb seinen Namen darunter und überreichte den Brief sogleich dem Ebahl.

07. Ebahl, ganz gerührt von der Güte des Oberstatthalters, dankte dem Cyrenius aus vollstem Herzen und sprach am Ende seiner Dankrede: „Wahrlich, so eine Ehre habe ich hier in der Nähe der Stadt Cäsarea nie erhofft! Dieser Brief soll meinerseits aber auch von den besten Wirkungen für die Menschheit begleitet werden, und das um so mehr, als mir auch im Briefe das Recht und die kaiserliche Vollmacht zukommt, aus jedem biederen Juden einen römischen Bürger zu machen, dem dann so wie mir selbst alle Rechte und Vorteile eines römischen Bürgers zukommen. Wahrlich, unsere Gegend soll bald eine Menge römischer Bürger zählen, und die Abschiede der Pharisäer aus diesen Gauen sollen sich mehren wie das Gras im Frühjahre! Oh, das wird herrlich sein!“

08. Sagt der nebenstehende alte Markus: „Bruder, du hast zwar recht, daß du dich darüber sehr freust; denn es ist eine große Sache, ein Bürger Roms zu sein! Ich bin es von Geburt aus; aber nichtsdestoweniger muß ich den Tempelpfaffen dennoch gleich den Juden jährlich einen gewissen Tribut bezahlen. Von den Juden nehmen sie nur den Zehnt, von uns Römern aber nach einem gewissen, beim römischen Hofe erschlichenen Rechte den Tribut, — und man muß sich mit ihnen abzufinden verstehen, wenn man aus dem harten Tribute in den alten Zehnt gelangen will. Nur diese Tributpflichtigkeit römischer Bürger an den Tempel sollte von Rom aus den Templern wieder ohne alles Bedenken genommen werden; fürs erste ist die Tributsteuer zu hart, und fürs zweite macht sie den Tempel zu mächtig, — und beides ist schlecht.

09. Bei dem gegenwärtigen Verbrechertransporte nach Sidon befinden sich eben wieder etliche Aufwiegler, die ganz sicher vom Tempel aus für ihr Werk besoldet worden sind. Es ist zwar wahr, daß die Tributpflichtigkeit nur in einigen Fürstentümern Kanaans als eine außerordentliche Last besteht und der Tempel nur dort sein Recht zu vertreten hat, wo es noch als von Rom aufrechterhalten erscheint; aber die Templer begnügen sich damit nicht, machen Übergriffe mittels falscher Urkunden, die sie als neue von Rom ausgehend vorweisen, und zwingen die römischen Bürger, sich zum wenigsten mit ihnen auf den Zehnt abzufinden. Ich habe noch heute morgen ihnen den Fischzehnt entrichten müssen, ansonst sie mir sicher alle erdenklichen Anstände gemacht hätten.

10. Meine Meinung wäre demnach diese: Man sollte dem Tempel so bald als möglich alle Zugeständnisse Roms ohne irgendeine Ausnahme nehmen; denn sonst läuft Rom Gefahr, in Asien bald Aufstände über Aufstände zu bekommen, und bevor vierzig Sommer um sind, wird Rom die sehr verdrießliche Ehre bekommen, Kanaan und das andere Asien zum zweiten Male vom Alpha bis Omega erobern zu müssen! — Das ist meine Meinung, auf die ich nun viel halte, weil ich die Verhältnisse des Tempels sehr genau kenne und sie aber auch tiefst verabscheue.“

11. Sagt Cyrenius: „Auch für dieses verkrüppelte Beil wird sich ein Stiel finden lassen! Aber wenn die Templer sich unterfangen, auch in dieser Gegend den Tribut zu begehren und daraus ihren alten Zehnt zu kreieren, so werden wir wohl unversäumt ein wohlgenährtes Donnerwetter nach dem Tempel abgehen lassen; denn das ist wieder eine Eigenmächtigkeit von seiten der Templer, die mit der Zeit für Rom wahrlich die übelsten Folgen haben könnte.

12. (Sich zum Hauptmann Julius wendend:) „Du, Julius, wirst noch heute einige Stücke weiße, von mir unterfertigte Rollen bekommen, auf denen du nach deinem guten Sinn für den Tempel einige kurze Sätze verfassen wirst! — Du verstehst mich!?“

13. Sagt Julius: „Wäre alles wohl und recht, wenn das Vierfürstentum Judäa nur nicht dem gefräßigen Herodes verpachtet worden wäre, nahe mit allen Herrscherrechten! Dazu sitzt in Jerusalem noch ein saumseliger Landpfleger, Pontius Pilatus nämlich, der sehr froh ist, wenn ihm die Menschen Frieden und Ruhe gönnen; mit dem ist sonach nicht viel zu machen! Aber es kommt da noch ein fataler Umstand dazu, der sehr wohl zu erwägen ist: Gib du dem Tempel tausend noch so schwere Gesetze, und er wird durch alle gleich einem Proteus sich durchdrängen, — und ich frage, was sich da dann noch Weiteres unternehmen läßt.

14. Mit irgendeiner zu sichtbaren äußeren Gewalt gegen den Tempel ziehen, wäre eine sehr gewagte Sache; denn das Volk hängt daran und hält namentlich in Judäa die Priester für Halbgötter und als Vermittler zwischen ihrem Gott und den Menschen. Täte man sonach dem Tempel irgendeine ersichtliche Gewalt an, so hätte man aber auch sogleich den brennendsten Aufstand in ganz Judäa am Halse; darum ist da sehr viel Vorsicht vonnöten, bevor man mit dem Tempel im vollen Ernste etwas unternehmen will!

15. Ah, dahier in Galiläa und namentlich in Genezareth, das sich im ewigen Ausnahmezustande befindet, und wo das Volk schon sehr aufgeklärt ist, läßt es sich recht wirkungsreich gegen die Schwarzen zu Felde ziehen; aber in Judäa läßt sich das durchaus nicht tun! Daher heißt es: Wenn gegen den Tempel etwas zu unternehmen ist, so muß vorher Rat gehalten werden!

16. Der Tempel wußte sich auf allerlei Schleichwegen von Rom aus allerlei Privilegien zu verschaffen, die wir respektieren müssen, solange wir das Glück und die Ehre haben, Römer zu sein. Wenn die Sache sich aber also verhält, so werden mir die Chartae albae (weiße, d.h. unbeschriebene Urkunden) wenig oder gar nichts nützen! In meiner Gegend aber bin ich selbst ohnehin Charta alba zur Genüge! — Übrigens kann ich immer welche gebrauchen.

17. Für Genezareth und dessen ziemlich weite Umgegend habe ich den Templern das Tribut— und Zehnterpressen derart vertrieben, daß sie sich wohl für alle Zeiten ihre Habgier sicher haben vergehen lassen, und wenn ich recht unterrichtet bin, so hat auch schon unser biederer Oberste Kornelius in Kapernaum schon lange dasselbe getan, — und so ist Galiläa bis auf einige herodianische Bedrückungen so ziemlich frei von den Tempelplackereien; aber im mächtigen Judäa wird das zu erzwecken noch lange nicht möglich sein. Das ist so meine Meinung. — Du, hoher Gebieter, aber kannst dennoch anordnen, was du willst, und ich werde stets dein bereitwilligster Diener und Knecht sein!“

193. Kapitel. Die Behandlung der Übeltäter und Besessenen.

01. Cyrenius belobte hier den Julius, sagte aber auch ganz gut und weise: „Liebster Julius, du weißt, daß ich große Stücke auf dich halte, und daß mir dein klarer Verstand allzeit wohl gefiel; aber das, was du jetzt gesprochen hast, scheint denn doch nicht so ganz auf deinem Grunde und Boden gewachsen zu sein. Das hast du auch von dem gewissen Einen in dein Gemüt aufgenommen!“

02. Sagt Julius: „O sicher; denn die Wahrheit liegt nicht im Feuer, sondern in dessen sanftem Lichte nur; und somit bin ich seit Seiner Bekanntschaft auch viel sanfter und nachgiebiger geworden. Oh, könnte ich doch nur einmal noch in meinem Leben mit Ihm irgendwo zusammenkommen!“

03. Sagt auch die nebenstehende und auf alles achthabende Jarah: „Oh, das ist auch mein alleiniger und einzigster Wunsch!“

04. Während dieses Gesprächs kam Ich unbemerkt hinter Julius daher. Nur Cyrenius bemerkte Mich und sagte auf Meinen Wink zu Julius: „Du, siehe dich ein wenig um! Hinter dir steht jemand, als wollte er mit dir reden!“

05. Julius sieht sich schnell um und fällt nahezu in eine Ohnmacht vor Freude, Mich hier zu sehen, und Jarah macht einen Schrei der höchsten Entzückung und fällt Mir wie eine Tote an die Brust; und Ich mußte sie bei einer halben Stunde also ruhen lassen, bis sie aus ihrer seligen Betäubung wieder zu sich kam.

06. Da es aber schon stark gegen den Abend zu gehen begann, so sagte Ich zum alten Markus: „Du wirst nun wieder dafür sorgen, daß wir ein reichliches Abendmahl bekommen; laß an Fischen, Brot und Wein keinen Mangel haben!“

07. Sagt Markus: „Herr, was werden wir aber mit den Verbrechern machen, die dort am Meere an Pfählen angebunden, von Soldaten bewacht, wahrscheinlich ihr Urteil unter der größten Bangigkeit erwarten?“

08. Sage Ich: „Die lassen wir heute siebenfach schmachten, der vielen argen Geister wegen, von denen sie besessen sind, und niemand darf ihnen weder etwas zu essen noch etwas zu trinken reichen, ansonst sie nicht zu heilen wären! Du, Mein Bruder Julius, aber stelle ihnen noch heute ein Urteil vor, demnach sie morgen den peinlichsten Tod durch langsames Verbrennen den ganzen Tag über erleiden sollen! Morgen erst sollen sie dann begnadigt werden, und Ich werde sehen, ob sie freizugeben sind. Die übergroße Angst wird ihre argen Einwohner mürbe machen, und sie werden sich nach und nach zu empfehlen beginnen. Bindet sie aber wohl fest an die Pfähle, sonst werden sie euch viel zu schaffen machen!

09. Die sieben politischen Aufwiegler, weil sie sich in nichts Bedeutendem versündigt haben, lasset etwas leichter; denen verkündiget eine scharfe Züchtigung mit Ruten und lasset ihnen darauf etwas Brot und Wasser reichen! Am Morgen wird es sich zeigen, ob ihnen die Strafe nachzulassen sein wird oder nicht!“

10. Auf diese Worte sagte Cyrenius zu Julius: „Also gehe denn hin, zerbrich den Stab und verkündige ihnen, was sie morgen zu erwarten haben sollen!“

11. Julius erhebt sich sogleich, wandelt mit einigen Unterleitern hinüber an das Gestade, das von der Wohnung des Markus bei fünfhundert Schritte entfernt lag. Dort bei den an die Uferpfähle fest angebundenen Verbrechern angelangt, befiehlt er den Soldaten, die Verbrecher noch fester an die Pfähle zu knebeln. Als die Soldaten solches mit Stricken und Ketten bewerkstelligt haben, da erst verkündigt Julius den fünf Raubmördern, was sie am nächsten Tage, vom Morgen angefangen, werden zu gewärtigen haben! Ebenso verkündet er den sieben politischen Verbrechern die scharfe Züchtigung.

12. Als die fünf Raubmörder solch ein Urteil vernehmen, da fangen sie zu heulen, zu zagen und zu verzweifeln an und schreien, man möge sie alsbald töten; denn solch einen peinlichsten Zustand könnten sie unmöglich ertragen! Ebenso schreien die sieben um Gnade und Erbarmung. Aber Julius entfernt sich alsogleich und hört weder das gräßliche Geschrei der fünf Raubmörder noch der sieben anderen Verbrecher an.

13. Als er bei uns wieder ankommt, sagt er (Julius): „Das ist wahrlich keine Kleinigkeit! Dieses Geheul, die verzweifelten Gesichter, Gebärden, vor denen sich ein jedes Tier entsetzen müßte! Nun, ich bin froh, aus ihrer Nähe mich nun wieder zu befinden! Es ist kaum zu glauben, — aber das Haupt der Medusa dürfte kaum ein menschlicheres Aussehen haben! Bin nun im Ernste sehr begierig, was die Kerle morgen für Physiognomien (Gesichtsausdrücke) haben werden!“

14. „Siehst du“, sage Ich zu Julius, „das ist die Wirkung der argen Geister in ihnen! Die werden die große Angst kaum bis zum Morgen ertragen und werden sich, wie Ich's gesagt habe, zum größten Teile empfehlen, und wir werden morgen eine leichte Arbeit haben, die Menschen ganz zu erlösen.“

15. Fragt Cyrenius: „Was wird aber dann mit ihnen zu geschehen haben? Werden wir sie wohl ganz freigeben können, oder werden wir sie dennoch eine Zeit in Gewahrsam zu behalten haben?“

16. Sage Ich: „Allerdings; denn ohne den hinreichendsten Unterricht können sie auf gar keinen Fall völlig freigelassen werden! Auch die sieben nicht; denn kein Mensch wird die Sünde so schnell los, als wie schnell er in irgendeine Sünde gefallen ist! Als Zeit für die fünfe wird kaum ein volles Jahr genügend sein, und für die sieben ein halbes Jahr. — Und so denn wollen wir nun in Ruhe das Nachtmahl froh erwarten!“

194. Kapitel. Der Jarah weise Reden.

01. Sagt darauf der alte Markus: „Herr und Meister aller Meister der Welt! Du hattest früher zu mir gesagt, daß ich heute noch gar vieles und Seltenstes über des Menschen Bestimmung vernehmen werde und werde auch kennenlernen das Reich Gottes. Ja wahrlich und überaus wunderbar! Ich habe nun den Tag über schon so vieles gehört, gesehen und erlebt, wie sonst früher mein ganzes Leben hindurch nie; und so finde ich nun Deine Weissagung als völlig bestätigt an mir, und ich werde darum nun alles tun, damit auch unsere müden Glieder nicht unbefriedigt sich zur Ruhe begeben sollen.“

02. Sage Ich: „Ja, ja, siehe du nach, ob die Köchinnen mit ihrer Kunst schon bald zu Ende sind! Nach dem Mahle wird noch so manches vorkommen, was dich in das Gottesreich abermals näher einweihen wird.“

03. Sagt Markus: „Aber Herr, was ist das denn mit diesem lieben Mädchen, das Dich noch immer festhält und Deine Brust mit Tränen benetzt; wird es Dich, wie es scheint, etwa wohl gar nicht mehr auslassen?!“

04. Sage Ich: „Frage du darob das Mädchen, es wird dir keine Antwort schuldig bleiben!“

05. Markus fragt nun die himmlisch schmachtende Jarah.

06. Jarah aber richtet sich sogleich auf und sagt: „Höre, du lieber, alter Freund! Wer Den hier einmal ergriffen hat, der darf Ihn nimmer auslassen; denn läßt er Ihn aus, so hat er dadurch auch sein ewiges Leben ausgelassen und somit verloren für immerdar. Das, was ich körperlich tue, das sollet ihr alle im Herzen tun, wie auch ich es vor allem im Herzen tue!

07. Wer sein Leben liebt, den Herrn des Lebens aber oft leichtsinnig genug der Welt wegen fahren läßt, der wird sein Leben auch verlieren, weil er den Herrn des Lebens verloren hat. Wer aber sein Leben nicht achtet und nur das ,Leben‘ heißt in seinem Herzen, dem Herrn alles Lebens allein zu leben, der wird das Leben erhalten für ewig, und stürbe er auch tausendmal dem Leibe nach!

08. Siehe, ich habe den Herrn, als Er zu uns kam, zuerst erkannt in meinem Herzen und liebe Ihn allein über alles; ja, wenn Er es jetzt von mir verlangte, daß ich sterben solle für Ihn, so wäre der Tod mir ein Labsal! Denn ich weiß und fühle es ja lebendigst, daß die Liebe zu Ihm ewig nimmer sterben kann, weil es ihr unmöglich ist, eine Sünde zu begehen, die da allein ist ein wahrer Tod der Seele. Ist aber des Menschen Seele tot, dann ist auch der ganze Mensch tot. Das merke dir wohl, du alter Mann; denn ich bin aus der Schule des Himmels, welcher ist die Liebe und die Wahrheit und das Leben. Was ich dir nun gesagt habe, ist Lehre aus den Himmeln, und du magst sie darum wohl beachten!“

09. Als der alte Markus solches von der Jarah vernommen hatte, sprach er, ganz von einem höheren Enthusiasmus durchdrungen: „O du Kind aus den Himmeln, viel zu gut und zu rein für diese schmutzige Erde! Wahrlich, wenn der Herr dies mein Haus leiblich wieder verlassen sollte, dann werde ich zu dir kommen, himmlische Weisheit zu erlernen! Oh, welch ein Unterschied zwischen dir und meinen Töchtern! Du bist schon eine Sonne, und meine Töchter sind kaum ein Abglanz der großen Himmelsleuchte in einem kleinsten Tautröpfchen! O Ebahl, wie glücklich bist du doch, ein Vater solch eines Engels zu sein!“

10. Hier fielen dem alten Markus Tränen aus den wonnetrunkenen Augen, und er ging schnell in die Küche, nach dem Abendmahle zu sehen, und erzählte es seinen Töchtern, welche Lehre er von dem Mägdlein aus Genezareth erhalten habe, und die Töchter staunten und baten ihn, daß er nach dem Mahle ihnen Gelegenheit verschaffen möge, daß sie sich mit solch einem himmlischen Kinde ein wenig besprechen dürften.

11. Markus war darüber sehr erfreut und versprach ihnen solches zu bewirken, nur sollten sie sich befleißen, mit dem Abendmahl bald fertig zu werden. Und die Töchter sprachen: „Vater, in einer kleinen Viertelstunde wird alles in der besten Bereitschaft sein!“

12. Mit dem ging Markus wieder aus der Küche und beauftragte die Söhne, schnell Wein und Brot zum voraus auf die Tische vor dem Hause zu stellen und auch dafür zu sorgen, daß es am Lichte nicht mangeln werde; auf den Tischen sollen mehrere wohlgefüllte Lampen brennen, und der andere Hofraum solle mit den Fischerfackeln über und über die ganze Nacht hindurch erleuchtet werden! — Alles das ward schnell ins Werk gesetzt, und als es etwas dunkel geworden war, brannten schon auf allen Tischen eine Menge Lampen, und den ziemlich weiten Hofraum erhellten die bewußten Fischerfackeln. Bald darauf wurden gar köstlich bereitete Speisen auf die Tische gebracht, als wohlbereitete Fische, Brot, Wein und allerlei Obst.

13. Vor dem Essen sprach die Jarah einen Psalm Davids vor und bat Mich darauf um die Segnung der Speisen und der Getränke; und Ich tat dies, und wir alle setzten uns darauf an die Tische, verzehrten ganz wohlgemut die vorgesetzten Speisen und wurden heiter beim mäßigen Genusse des Weines. Ich saß zwischen dem Cyrenius und der lieblichsten Jarah; Cyrenius saß Mir zur Linken und Jarah zur Rechten; neben der Jarah saß ihr Raphael und dem gegenüber der alte Markus. Diesem aber fiel es auf, wie der Raphael die Speisen verzehrte; denn so Raphael entweder einen Fisch oder ein Stück Brot, ein Obststück oder einen Becher Wein an den Mund brachte, so verschwand alles vor dem Munde, und Markus sah den Jüngling weder kauen, noch irgendeine Speise verschlingen.

14. Josoe, der Ziehsohn des Cyrenius, der gleich neben Cyrenius saß, bemerkte die stille Verwunderung des alten Markus und sagte: „Alter Krieger Markus! Was gefällt dir an dem Rabbi Raphael so gut, daß du deine Augen gar nicht von ihm abwenden kannst?“

15. Spricht der Alte: „Ja, du mein hoher Sohn meines Herrn und meines Gebieters, das ist eine ganz sonderbare Erscheinung! Dieser Junge führt Speise und Trank zum Munde, öffnet den Mund nie, kaut nicht und verschlingt nichts; aber die Speisen verschwinden vor seinem Munde! Wie das? Wie geht das zu? Das ist ja schon wieder ein Wunder! Was soll ich daraus lernen?“

195. Kapitel. Materie und Geist.

01. Sagt Josoe: „Du sollst daraus lernen, daß in den Himmel nichts Materielles eingehen kann, also, wie dieser Engel jede materielle Speise vordem ins Geistige auflöst und von ihr dann nur das Reingeistige aufnimmt. Der Jüngling ist ein reinster Geistmensch aus den Himmeln und stellt sonach auch den Himmel in kleinster Gestaltung vor; die Speisen aber stellen uns Weltmenschen dar, die wir jetzt noch begraben sind in unserer Materie. Diese ist zwar nun auch wie diese Speisen schon recht gut zubereitet worden am Feuerherde dieses großen Meisters, der uns solches gelehrt hat und Sich nun noch leiblich unter uns befindet, — aber dennoch können wir mit diesen unseren Leibern nicht in das Himmelreich eingehen.

02. Wenn wir aber von Gott aus berufen werden, diese Welt zu verlassen, dann wird zuvor ein Engel Gottes mit uns ebenfalls machen, wie dieser nun tut mit der Speise, das heißt, er wird in einem Augenblick alles dem Geiste Angehörige aus der Materie frei machen, die Materie der vollen Auflösung übergeben, die Seele aber und ihren Lebensgeist, sowie alles, was in der Materie der Seele angehört, in vollkommenster Menschengestalt vereinigend in die reine Welt der Geister hinüberführen nach dem ewigen, unwandelbarsten Willen Gottes! — Siehe, das ist es, was du aus dem dir sonderbar vorkommenden Essen des mächtigen Himmelsjünglings lernen kannst und sollst!“

03. Sagt Markus, ganz erstaunt über die Weisheit des Josoe: „Ich habe schon früher einmal bemerkt, daß du ein bei weitem über dein Alter hinaus weiser Junge bist; aber für so weise hätte ich dich nicht gehalten! Du hast mir eine überaus wichtige Lehre gegeben, für die ich dir allzeit überaus dankbar verbleiben werde; aber weißt du, des Menschen Wissensdurst wird immer stärker, je mehr er weiß, und so juckt es mich nun, auch noch über deine Lehre hinaus zu erfahren, wie denn solch eine Auflösung der Materie bewirkt wird!“

04. Sagt Josoe: „Freund, es ist zwar nicht gut, wenn der Mensch gar zuviel weiß; aber das kannst du dir ja wohl merken! Sieh, die Materie ist eigentlich nichts anderes als durch den allmächtigen Willen Gottes fixiertes Geistiges. Ein solcher Engel aber ist nun nichts anderes als der personifizierte Ausdruck des allmächtigen Willens Gottes; er kann durchaus nichts wollen als allein das nur, was Gott will.

05. Will also Gott irgend die Materie auflösen, so wird diese von solch einem allmächtigen Gotteswillen in der Gestalt eines Menschen ergriffen, das Fixum oder Bindegericht wird aufgehoben, und alle Materie verschwindet augenblicklich aus dem Dasein, geht in ihr urgeistiges Element über und bleibt dann entsprechend das, was sie ursprünglich war, nur veredelt und vervollkommnet.

06. Zahllose früher vereinzelt gewesene Kräfte werden vereinigt zu einem großen, vollkommenen Individuum, und das wird sein ein vollendeter Menschgeist nach dem Willen Gottes ewig! — Hast du solches verstanden?“

07. Sagt Markus: „Jawohl, verstanden habe ich es wohl, aber nun frage ich dich um nichts mehr; denn deine Weisheit ist zu schwindelnd hoch über meinem Naturverstande! Aber was ich hören möchte, das wäre: dich reden hören mit dem dir gleich weisen Mädchen Jarah; das müßte ein wahrer geistiger Hochgenuß sein, wie man in den Himmeln kaum einen bessern je wird haben können!“

08. Sagt Josoe: „Siehe, das ist nun schon etwas eitel von dir! — Da siehst du zwei volle Becher Wein! Wäre es wohl klug, so man den einen vollen in den andern vollen überschütten möchte? Würde bei solch einer Arbeit nicht der edle Wein für nichts und wieder nichts auf den Boden verschüttet werden? Wozu wäre so etwas dann gut? Was ich weiß, das weiß sicher auch das Mägdlein, und es könnte somit weder ich von ihr, noch sie von mir irgend etwas lernen! Daher werden wir uns solche Mühe wohl ersparen. Rede lieber du mit dem herrlichen Kinde Gottes! Du und deine Töchter, dein Weib und deine Söhne werden recht vieles von ihr zu erlernen imstande sein; denn bis jetzt hat auf dieser Erde noch nie irgendeine Maid, von Gott aus bestimmt, solche Erfahrungen gemacht, wie eben dieses Mädchen. Es weiß unaussprechlich vieles, was außer dem Herrn kein Mensch auf der ganzen, großen Erde weiß und irgend kennt. — Verstehst du solches?“

196. Kapitel. Jarah löst dem Josoe den gordischen Knoten.

01. Sage Ich zu Josoe: „Aber Mein lieber Josoe, woher weißt du es denn, daß die Liebe Meiner Jarah sich in einer so großen Weisheit befindet und in Dingen Kenntnisse besitzt, die außer Mir niemandem bekannt sind?“

02. Sagt Josoe: „Herr, wie sollte ich das denn nicht wissen, und wie fragst Du mich darum, wo doch Du es bist, der mir solches in mein Herz und aus diesem auf meine Zunge gelegt hat, was ich erkennen solle und was reden?!“

03. Sage Ich: „Ganz gut, Mein lieber Josoe; weil du das weißt, so gib uns denn auch darüber einen genügenden Aufschluß, warum eigentlich — da Mir ja ohnehin die Gedanken deines Herzens selbst in ihrer tiefsten Tiefe schon lange eher bekannt sind und sein müssen, als du sie gedacht hast — Ich dich gefragt habe!“

04. Hier stutzt Josoe und sucht in sich eine rechte Antwort; aber es will sich keine finden lassen. Nach einer Weile sagt er etwas kleinlaut: „Herr, dafür läßt sich in der noch übergroßen Beschränktheit meines Erkennens durchaus keine vernünftige Antwort finden, wenigstens von mir nicht; Du müßtest mich nur also pro forma (zum Schein) gefragt haben, als wie da fragt ein Rabbi seinen Jünger um etwas, was er als Rabbi sicher schon lange eher gewußt hat denn sein Jünger. Aber dabei ist dennoch ein endlos großer Unterschied zwischen Dir und einem seinen Jünger prüfenden Rabbi! Dieser weiß wohl, was er selbst weiß, aber das weiß er ohne Prüfung dennoch nicht, ob auch sein Jünger das weiß. Du weißt aber nur zu klar und hell nicht nur alles, was zunächst ich weiß, sondern Du weißt auch um die geheimsten Gedanken aller Menschen und Engel — und fragst mich!? Sieh, eben darin liegt der für mich unentwirrbare Knoten Gordius'! Da ich aber noch lange kein Alexander bin, so vermag ich ihn nicht zu lösen!“

05. Sage Ich: „Sage Mir, warum fragt denn dich der dann und wann aus Sichar zu dir kommende Jüngling um etwas also, als wüßte er durchaus nicht darum, da er doch sicher darum nur zu gut weiß!? Ja, er läßt sich sogar von dir belehren und tut, als wäre er dein Jünger!“

06. Sagt Josoe: „Herr, das ist ja eben meine stete Klage über ihn, daß er bei seiner sicher ungeheuren Weisheit stets nur von mir lernen will; und frage ich ihn um etwas, so sagt er stets: ,Ja sieh, darum habe ich dich eben fragen wollen!‘ Ich aber frage eben und habe Dich schon heute am Morgen gefragt, was das für eine Unterrichtsweise ist. Es hatte wohl früher der Vater der Jarah eine recht weise Ansicht von solch einer Unterrichtsmethode entwickelt, die ich wohl auch bei Deiner an mich gestellten Frage in Anwendung bringen könnte; aber ich bin mit seiner Ansicht dennoch nicht völlig einverstanden und kann sie darum zur erläuternden Antwort auf Deine ganz gordisch geformte Frage nicht in die vollgültige Anwendung bringen.

07. Bei schon in allerlei Kenntnissen wohlbewanderten Jüngern ist solche Lehrweise wohl die beste von der Welt, weil dadurch der noch immerhin beschränkte Jünger überaus tätig zum Selbstdenken, —fühlen und —finden geleitet wird; aber wenden wir solch eine Lehrweise bei einem Jünger an, der noch aller Elemente zur Wissenschaft total bar ist, so möchte ich da doch sehen, wann und wie bei solch einer Unterrichtsweise der Jünger das Alphabet und endlich das Lesen einer Schrift sich zu eigen machen wird auf einem natürlichen Wege ohne Wundertat!

08. Dafür taugt also die sonst gute Ansicht des Ebahl nicht, und so kann ich sie hier auch nicht benützen. Ich sage es Dir, o Herr, darum ganz glatt heraus, daß ich Dir auf Deine gordische Frage keine Antwort zu geben imstande bin. Du wirst darum schon uns allen die Gnade erweisen wollen, Deine Frage Selbst zu beantworten!“

09. Sage Ich: „Wie wäre es denn, wenn uns solch eine Frage unsere liebste Jarah erläutern möchte?“

10. Sagt Josoe etwas betroffen: „Das kann sie immerhin, wenn sie's vermag! Freilich, wenn Du, o Herr, ihr die Antwort ins Herz geben wirst, dann wird sie wohl leicht zu antworten haben!“

11. Sage Ich: „Das werde Ich eben diesmal nicht tun, und sie wird die Antwort selbst bringen müssen!“

12. Sagt Josoe: „Nun, da möchte es ihr vielleicht eben nicht um sehr vieles besser ergehen als mir!“

13. Sage Ich mit freundlichster Miene: „Nun, wir wollen sehen! Sage uns demnach, du liebste Jarah, warum sogestaltig Ich den lieben Josoe um etwas gefragt habe, um das Ich sicher schon lange vorher gewußt habe!“

14. Sagt die Jarah, ein wenig verlegen: „Herr, so ich reden darf und gewisserart muß, so scheinst Du dem lieben Josoe diese gordische Frage, wie er sie benannt hat, bloß aus einer, seine stark aufsprühende Seele ein wenig demütigenden Ursache gegeben zu haben. Denn er meinte zuvor, daß er mit mir darum nichts zu reden brauche, weil er alles das wisse, um was ich weiß, und wir beide könnten sonach miteinander nichts reden; ein solches Besprechen hieße einen vollen Becher in einen zweiten vollen Becher überschütten. Aber der liebe Josoe vergaß dabei, daß Du die Gaben des Geistes sogar unter Deine Engel verschieden ausgeteilt hast, und daß dadurch selbst ein vollkommenster Geist von einem andern vollkommensten Geiste noch gar vieles lernen kann!

15. Ich aber meine: Wenn Du, o Herr, also fragst, so fragst Du aus keinem andern Grunde, als um irgendeinen ein wenig Aufbrausenden zu einer demütigenden Selbsterkenntnis zu führen! Und soviel ich mit meiner beschränkten Erkenntnis in meinem Herzen erschaue, so hast Du dem lieben Josoe aus eben diesem Grunde solch gordische Frage gegeben.

16. Er hatte zwar ehedem, sich etwas widersprechend, dem Markus gegenüber wohl die Bemerkung gemacht, daß ich durch Deine Gnade Erfahrungen gemacht habe wie bisher kein Mensch auf der ganzen weiten Erde; und doch hält er sich für einen ebenso voll gefüllten Becher! Wenn er mir aber solch außerordentliche Erfahrungen zugesteht, so begreife ich im Ernste nicht, warum er mit mir sich in kein Gespräch einlassen wollte. Ich meinesteils aber bin dennoch der Meinung, daß ich trotz meiner sicher unerhörten Erfahrungen von ihm dennoch etwas lernen kann und halte meinen Becher für durchaus noch nicht so voll, daß in ihm von seinem vollen Becher nichts mehr Raum fände.

17. Und, wie ich's nun bemerkt habe (hier schmunzelte die Jarah ein wenig), so scheint denn sein Becher auch noch nicht gar so enorm voll zu sein, daß dann von meinem Weine in seinem übervoll sein sollenden Becher kein Tropfen mehr Raum fände!

18. Ich will aber übrigens damit durchaus keine irgend nur im geringsten gehässige Bemerkung über Josoes ein wenig zu hoch sprudelndes Selbstgefühl gemacht haben, sondern weil ich aufgefordert ward, so redete ich, wie es mir ums Herz war; ich glaube darum eben keine gar zu große Sünde begangen zu haben! Beging ich sie aber, so will ich sie auch nach Kräften wieder gutmachen!“

19. Sage Ich: „Nein, nein, durchaus nein! Dein treuestes Herz liegt ja zu offen vor Mir, und du hast Meinem lieben Josoe sogar einen großen Dienst erwiesen; denn er war in dem von dir ganz kindlich weise berührten Punkte auch wirklich etwas schwach, und diese Schwäche hätte ihn mit der Zeit wirklich auf irgend kleine Abwege zu bringen vermocht. Jetzt aber ist er geheilt auch in dieser Sphäre, und er wird nun wohl sich mit dir sehr gerne in ein erheiterndes Gespräch einlassen; denn er hat eine gute Art sich auszudrücken.“

197. Kapitel. Über die Wissensbeschränktheit des irdischen Menschen.

01. (Ich, Mich zu Josoe wendend:) „Was sagst du nun zu der treffenden und gelungensten Antwort der lieblichsten Jarah?“

02. Sagt Josoe: „O Herr alles Lebens, dies holdeste Mägdlein ist sicher schon lange kein irdisch Mädchen mehr; sie, die herrlichste Jarah, ist ein personifiziertes Himmelslicht erster Größe, dagegen ich kaum ein kleinstes Sternlein bin! Wohl habe auch ich durch Deine Gnade Erfahrungen gemacht wie bisher wenig Sterbliche, — denn es ist kein Scherz, nahezu zwei Jahre meinem Gefühle nach in der Welt der Geister und mit dem verwesten Leibe in der Gruft zugebracht zu haben und endlich mit vollstem Bewußtsein durch Deine Gnade und durch Dein wunderbarstes Erbarmen auf diese Erde zurückgekehrt zu sein; aber dennoch gestehe ich nun laut, daß ich mich kaum für würdig fühle, diesem Mädchen ein schwacher und talentloser Schüler zu sein. Wenn sie mir die Liebe erweisen will, mich in so manchem etwas wenig nur zu belehren, so werde ich solches alles mit dem größten Danke von der Welt allerbereitwilligst annehmen.“

03. Sagt die Jarah: „Ja, mein liebster Josoe, du bist ein Königssohn und ich die Tochter eines Juden, der nur ein Gastwirt in Genezareth ist — also irgend irdisch genommen, wäre es wohl sehr anmaßend und keck, mich dir zu nahen; willst du dich aber von deiner Höhe zu mir Armen herablassen, so sollst du ein Paar ausgebreitete Arme und ein offenes Tor in meiner bescheidenen, ärmlichen Hütte finden!“ — Auf diese vielsagende Anrede macht Josoe große Augen und weiß kaum, was er dem Mädchen erwidern soll.

04. Cyrenius aber sagt zu Josoe: „Siehe, mein Josoe, das will soviel gesagt haben als: du sollst dich zur Jarah hinübersetzen und mit ihr reden. Gehe und tue das; denn ich wäre selbst sehr begierig zu hören, was ihr alles miteinander verhandeln werdet!“

05. Sagt Josoe: „Ah, von dem, daß ich mich zu ihr setzen soll, hat die gute und liebste Jarah in ihrer Sprache nichts merken lassen, wohl aber von dem, daß ich mit ihr reden soll, so ich mich so tief herablassen könnte als ein Königssohn! Freilich scheint es die Jarah mir denn doch nicht völlig anzukennen, daß ich fürs erste durchaus kein Königssohn bin, und fürs zweite, daß der gewisse Geburtshochmut meiner Natur noch bei weitem ferner steht als der Himmel von dieser Erde. Ich bin allein für die Wahrheit! Was unter ihr ist, verachte ich tiefst; was aber über ihr steht als Geheimnisse Gottes in sich, das bete ich an und verlange nicht nach der Klarheit dessen, was sich nicht ziemt für die Würmer und für den Staub dieser Erde!

06. In Gott ist die Fülle der unendlichsten Weisheit; in uns aber wohnt davon kaum ein Sonnenstäubchen groß! Alles, was wir wissen, ist ein loses Stückwerk, und wir finden den Weg vom Alpha bis Beta nimmer, geschweige bis zum Omega. Am Himmel leuchten Myriaden von Lichtern; wer kennt sie? Wir kennen die zwei großen nicht, geschweige die zahllos vielen kleinen; Gottes Weisheit aber ist da allenthalben also zu Hause wie das Augenlicht im Auge!

07. Was Gott uns offenbaren will, das wissen und kennen wir; darüber hinaus aber waltet für des Menschen Seele eine zwar heilige, doch immerhin unendliche Nacht. Und der Mensch soll es nie wagen, dieser endlosen Nacht heiliges Dunkel lichten zu wollen; denn diese Nacht würde ihn verschlingen wie das Meer ein Steinchen, das irgendein mutwilliger Junge in dasselbe schleuderte.

08. Wir Menschen sind Gefäße, denen vorderhand nur ein bestimmtes Maß gegeben ist. Ist dieses voll, so kann man dasselbe nicht noch voller machen; wird dem Menschen aber dereinst ein größeres Maß gegeben, da wird er noch gar vieles in dasselbe hineintun können, und es wird dennoch nicht übergehen so leicht, wie es nun der Fall ist.

09. Es haben zwar wohl die Menschen auf dieser Erde schon ein verschieden großes Maß; das meine gehört aber offenbar zu den kleinsten. Die lieblichste Jarah ist offenbar reichlicher damit versehen worden als ich, und ich kann darum mit ihr nicht als ebenmäßig auftreten; wenn sie mir aber von ihrem großen Überflusse will etwas zukommen lassen, so werde ich solches allzeit dankbarst annehmen. Aber hinab zu ihr kann ich mich dennoch nicht setzen; denn einmal ist sie weiser denn ich, und fürs andere Mal würde es sich für mich wohl gar nicht schicken!?“

198. Kapitel. Was ist Wahrheit ?

01. Sage endlich einmal Ich wieder zum Josoe: „Höre du, Mein lieber Josoe! Du hast nun recht weise gesprochen, und es ist darin viel Gutes und Wahres; aber Ich muß dich dabei dennoch auf so manches aufmerksam machen! Darum gib du nun sehr wohl acht; denn sieh, mit einem Weisen, wie du einer bist, kann schon auch Ich etwas tiefer Mich fassen!

02. Du sagtest: ,Ich bin allein für die Wahrheit; was unter ihr steht, verachte ich, was aber über ihr steht als Geheimnisse Gottes in sich, das bete ich an und verlange nicht nach der Klarheit dessen, was sich nicht ziemt für die Würmer und für den Staub dieser Erde! In Gott ist die Fülle aller Weisheit, in uns Menschen aber wohnt davon kaum ein Sonnenstäubchen groß!‘

03. Ja, es ist ganz gut, rein, recht und billig, nur für die Wahrheit zu sein; aber diesem Grundsatze wirft sich eine mächtige Frage schnurgerade in die Quere und bildet sogestaltig mit deinem in sich ganz löblichsten Grundsatze ein vollkommenes Kreuz! Kannst du oder irgendein anderer für dich diese Frage, die Ich dir geben werde, lösen, dann ist Meine Schulter des Kreuzes ledig geworden.

04. Sage du Mir daher: Was ist die Wahrheit, für die du allein bist? Ist es eine Wahrheit, was du siehst? Sieh, es ist alles ein Dunstgebilde von heute bis morgen, und es kann das, was für heute noch eine volle Wahrheit ist, für morgen schon lange keine Wahrheit mehr sein! Siehe hin, dort im letzten Dämmerlichte der lange untergegangenen Sonne schwebt ein Wölklein in Gestalt eines Fischleins! Sage Mir, für wie lange wird dieses Wölkleins gegenwärtige Gestalt eine Wahrheit bleiben? Siehe, der nächste Augenblick wird dieses Wölkchens gegenwärtige Gestaltung schon einer Lüge zeihen!

05. Wenn Ich dir drei Birnen vorlege, so sagst du, das sei eine Wahrheit, daß da vor dir drei Birnen liegen; Ich aber sage es dir, daß eine jede der drei Birnen mehrere Samenkörner in sich hat, aus jeglich welchem in der Folge eine zahllose Menge von Bäumen entstehen können, die am Ende die ganz gleichen Birnen in höchster Zahllosigkeit zum Vorschein bringen werden! Sind demnach vor dir wirklich nur drei Birnen, die in sich schon eine abgeschlossene unveränderbare Größe bilden, oder sind sie bloß nur drei Scheingrößen, hinter denen, gleich den Kriegern im Bauche des hölzernen Trojaner Pferdes, sich noch eine Unzahl gleicher und auch noch ganz anderer Größen verborgen halten?

06. Wo fängt die Wahrheit an, und wo hört sie auf? Ist der Mensch eine Wahrheit, also wie er ist? Sieh an ein Kind, und siehe endlich an einen Greis! Siehe an eine von Menschenhänden erbaute Stadt! Ist sie eine volle Wahrheit? Sieh, heute steht sie noch, und morgen kann sie schon zerstört werden!

07. Siehe, für den allein, der in sich durch und durch selbst Wahrheit ist, ist auch alles Wahrheit; für den aber, der in sich das nicht ist, ist ja auch notwendig alles andere nur das, was er selbst vorderhand ist.

08. Eine Wahrheit aber, die nur zeitlich wahr ist, ist schon darum keine volle Wahrheit, weil in ihr keine Beständigkeit zu Hause ist; die volle Wahrheit aber muß unwandelbar für ewig das sein im Vollmaße, was sie für jeden einzelnen Augenblick ist. — Was ist demnach die eigentliche, volle Wahrheit?“

199. Kapitel. Das Geheimnis des Urgrundes aller Weisheit.

01. Josoe macht hier große Augen, denkt hin und her und weiß nicht, was er Mir darauf für eine Antwort geben soll.

02. Cyrenius aber sagt: „Herr, das ist aber auch eine Frage, an der sich alle Weisen und Philosophen die Zähne bis auf die letzte Wurzel ausgebissen hätten! Erlaube, Du mein göttlichster Freund, — nach Deinen für mich allzeit heiligsten Worten ist dann ja alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, keine volle Wahrheit, sondern gut zur Hälfte hin eine Lüge!? Wer kann da hernach ganz auf ein gegebenes Wort irgendein volles Vertrauen fassen? Diese Deine Frage hat mich selbst wahrlich ein wenig trübe gemacht. Du wirst diesmal wahrlich schon so gut sein müssen und Deine Frage Selbst beantworten; denn auf der ganzen Erde löst Dir kein Weiser aus sich dieses Rätsel!“

03. Sage Ich: „Sei du darob ganz unbesorgt! Hier an diesem Tische sitzen etwelche, die dir darüber sicher ohne Mein besonderes Hinzutun eine ganz genügende Antwort als Löse (Lösung) Meiner Frage an Josoe zu geben imstande wären; denn sie wissen schon beiläufig, von wannen der Wind kommt. Aber Ich will, daß in der lösenden Beantwortung Meiner allerdings etwas höher gestellten Frage Meine Jarah dem Josoe zu Hilfe kommen soll! Und so (Mich zur Jarah wendend) versuche du, Meine liebste Jarah, ob du in deinem Herzen eine rechte Antwort auf Meine Frage findest!“

04. Spricht das Mägdlein, ein wenig lächelnd: „Wahrlich, mich befremdet es recht sehr, daß der sonst so weise Josoe auf diese gar leichte Frage nicht sogleich in sich eine taugliche und vollösende Antwort gefunden hat! — Was kann sonst die volle, ewige Wahrheit sein als Gott Selbst, der, von Ewigkeit alle Vollendung in Sich fassend, im Geiste stets ein und derselbe ist, also für ewig in und für Sich unwandelbar, weil in Ihm als der endlosesten Vollendung in Sich Selbst keine weitere Wandelbarkeit denkbar ist. Gott ist der alleinige und ewige Urgrund alles Seins. Alles, was da ist, ist nichts anderes als nur Seine fixierten Ideen; ihr Sein ist sonach auch ein Gottessein, und ihr Leben ist Gottes Leben.

05. In Gott ist darum alles vollste, ewige Wahrheit, weil außer Gott nichts irgendwo etwas sein kann, — in uns Menschen aber nur insoweit, als wir eins mit Seinem heiligsten Geiste sind durch die reine Liebe zu Ihm. Die reine Liebe zu Gott verbindet uns mit Gott und macht, daß wir eins mit Ihm werden; sind wir aber das, da wird alles reinstes Licht, wohin wir uns auch wenden mögen. Und dieses Urlicht in der höchsten Reinheit des Geistes ist dann eben die ewige, unwandelbare Wahrheit. — Dies, scheint mir, ist die allein richtig lösende Antwort auf die Frage des Herrn an den lieben Josoe.“

06. Sage Ich zu Cyrenius: „Nun, was sagst du zu dieser Beantwortung Meiner dem Josoe gegebenen Frage? Glaube aber ja nicht, Ich hätte ihr solche wunderbar in ihr Herz gelegt; sondern sie hat solche gefunden auf ihrem ganz eigenen Grund und Boden. Und Ich sage es dir und auch allen, die ihr bei Mir sitzet an diesem Tische: da ist auch nicht ein Wort zuviel oder zuwenig, und ist für ewig vollwahr.

07. Aber wie kommt sie dazu und Josoe nicht, der sich vorgenommen hatte, allein für die Wahrheit zu sein? Seht, das macht ihre unbegrenzte, reinste Liebe zu Mir; solche ihre Liebe verbindet ihr Herz mit dem Meinen, und sogestaltig kann sie sich stets auf dem kürzesten Wege alles Licht und somit auch alle Weisheit holen aus der von ihr selbst bezeichneten Urquelle alles Lichtes, alles Seins und aller Wahrheit, die für ewig unwandelbar ein und dieselbe ist in Mir.

08. Und du, Mein lieber Josoe, der du allein für die Wahrheit bist, was sagst du nun zur Jarah, die gewisserart rein nur für die Liebe ist?“

09. Sagt Josoe, ein wenig verlegen: „O Herr, ich sehe nun wohl den finstern Fleck in mir; aber ich finde es nicht, wie ich ihn aus mir brächte! Ich habe der Jarah sehr unrecht getan, und das muß gutgemacht werden, und so Du, o Herr, nichts dawider hast, so werde ich mich dennoch nun sogleich zu ihr hinaufsetzen!“

10. Sage Ich: „O nicht im geringsten; denn sieh, die ganze Gesellschaft freut sich auf eure gegenseitige Unterredung! Ich sage es dir: An ihrer Seite wirst du erst das finden, für das du allein sein willst!“ — Auf diese Meine Worte erst erhebt sich Josoe schnell und setzt sich zwischen die Jarah und ihren Engel Raphael.

200. Kapitel. Josoe und Jarah im Gespräch.

01. Als Josoe sich bei ihr befindet, reicht er ihr die Hand und sagt: „Sei mir nicht gram, du liebste Jarah! Denn sieh, ich konnte es ja doch unmöglich wissen, daß du als ein Kind von etwa kaum fünfzehn Jahren eine größere Weisheit besitzest als alle Weisen der Erde, die vor uns gelebt haben; aber zugleich bitte ich dich denn nun auch, daß du mir recht vieles von deiner verborgenen Weisheit enthüllen möchtest!“

02. Sagt die Jarah: „Und du mir von der deinigen; denn du weißt auch vieles, was mir noch sehr fremd sein dürfte!“

03. Sagt Josoe: „Das wird sehr mager sein; denn mein Weisheitsgefäß scheint fürs erste sehr klein und fürs zweite obendrauf noch, gleich einem Siebe, total durchlöchert zu sein! Kurz, viel wird bei mir nicht herauskommen, weil eben nicht viel darin ist; somit fange nur du an! Ich bin auch wahrlich derart verlegen, daß ich nun im Ernste nicht wüßte, irgendwo etwas zu ergreifen, das sich schickete, hier darüber etwas zu sagen. Im Angesicht der höchsten, göttlichen Weisheit hat der Mensch schwer zu reden, — aber dafür desto leichter zu hören und zu schweigen. Aber du, holdeste Jarah, hast eine gute Brücke zur göttlichen Weisheit; von der kannst du dir holen, wann und was du willst! Darum mache du nur den Anfang, und ich werde, wie gesagt, dich hören!“

04. Sagt die Jarah: „Aber siehe, hoher Josoe, das würde sich ja gar nicht schicken! Denn ein Mädchen darf doch nicht vorlaut sein!? Fragen kannst du mich wohl, und ich werde dir antworten; und so ich dich frage, dann wirst auch du mir antworten!“

05. Sagt Josoe: „Ja, ja, fragen wäre leicht, wenn man nur gleich wüßte, um was! Solange man noch ein ungebildetes Kind war, da freilich war das Herz voll von allerlei Fragen; aber seit man selbst beinahe alle die Fragen in sich mehrfach beantwortet hat, ist eine neue Frage um vieles schwerer denn eine Antwort auf was immer für eine Frage. Darum möchte ich dich wohl bitten, daß du eine Frage an mich tätest; denn du bist in vieles eingeweiht und kannst mich darum auch um vieles fragen.“

06. Sagt die Jarah: „Nun, im Namen meines Herrn denn, weil du es durchaus nicht anders willst, so will ich dir gleich wohl eine Frage geben, und du sage es mir, warum Gott der Herr als die höchste Liebe und Weisheit es zuläßt, daß besonders in dieser unserer Zeit namentlich die sogenannten Diener Gottes und die privilegierten Ausspender des Wortes Gottes eben die gewissenlosest bösesten, hoffärtigsten und herrschsüchtigsten Menschen sind und ohne alles Gewissen die schändlichsten Taten, gewöhnlich im geheimen, ungestraft ausüben. Warum haben sie keine Furcht vor Gott, dessen Macht und Herrlichkeit sie doch vor allen Menschen unter dem glänzendsten Zeremonienpompe mit überlauter Stimme verkünden? — Siehe, das ist eine gar gewichtige Frage für diese unsere Zeit!“

07. Sagt Josoe: „Ja, wichtig ist diese Frage sicher; aber auf meinem Grunde ist darauf wahrlich keine Antwort zu finden, und du wirst das darum wohl selbst beantworten müssen!“

08. Sagt Cyrenius: „Aber mein allerliebster Sohn Josoe, etwas wirst du ja doch wohl zu sagen wissen!? Wahrlich, dein immerwährendes Entschuldigen wird mir nun schon etwas langweilig! Wohl weiß ich es und habe es nun erfahren, daß die lieblichste Jarah dir an Weisheit stark überlegen ist; aber gar so leer bist du meines Wissens ja dennoch auch nicht, daß du auf so eine Frage gar keine Antwort in dir finden solltest. Sage darum doch etwas! Fehlest du, — nun, so gibt es hier ja doch Weise zur Genüge um den Tisch, die dich auf den rechten Weg leiten können!“

09. Sagt Josoe: „Lieber hoher Vater und Gebieter! Gebieten ist leicht; aber das Gehorchen hat endlos viel Bitteres in sich, — besonders wenn man, wie ich nun, gar nicht von ferne hin imstande ist, sich gehorsam erweisen zu können!

10. Denke dir die höchste Güte, Liebe und unbegrenzte Weisheit Gottes einerseits, und denke dir anderseits die Greueltaten alle, die ungestraft zumeist von den sogenannten Gottesdienern sicher zu jeder Stunde des Tages und der Nacht ausgeübt werden an der armen Menschheit! Halte dir diese kontroversen Verhältnisse so recht nahe ans Gesicht der Seele, und du wirst es sicher samt mir nur zu klar empfinden, daß auf solch eine Frage eine gediegenste Antwort viel schwieriger ist, als zu bestimmen, was drei und abermals drei zusammen für eine Summe geben! Versuche es nur jemand anders, und er wird es hoffentlich nur zu bald innewerden, daß die von der Jarah gestellte Frage ganz sicher keine Kleinigkeit ist!“

11. Sagt Cyrenius: „Nun, nun, ich sehe es wohl ein, daß man einen hohen Grad von Weisheit besitzen muß, um die Frage der Jarah nur zu einiger Genüge beantworten zu können; aber sehr lieb wäre es mir auf jeden Fall, darüber ein genügendes Licht zu bekommen. Denn über diesen Punkt habe ich eben schon am meisten nachgedacht, — aber auch noch nie irgendeinen nur halbwegs vernünftigen Grund gefunden. Ich glaube, wenn denn außer unserem allerliebsten Herrn und Meister und der holdesten Jarah im Ernste die gegebene Frage niemand sollte beantworten können, so werden wir denn alle uns an Dich, o Herr und Meister, wenden; Du wirst uns da sicher den rechten Grund aufdecken, wie Du — so mich mein Gedächtnis nicht täuscht — solches auch verheißen hattest.“

12. Sage Ich: „Allerdings, so sich damit die Jarah nicht zurechtfinden sollte; aber Ich meine, sie wird, wenn sie so recht aufmerksam ist, den Nagel so ziemlich mit dem ersten Streich auf den Kopf treffen! Versuche es, liebste Jarah, und zeige, daß Ich dir in Genezareth nicht umsonst ein Gärtchen angelegt habe!“

201. Kapitel. Jarahs Beobachtungen in ihrem Gärtchen.

01. Als Jarah solches vernimmt, richtet sie sich ganz ordentlich wie ein Redner empor und sagt: „Gut denn! Das Gärtchen ist voller Segen von oben, und ich will ja gerne meinen kindlichen Fleiß, den ich freilich nur erst wenige Tage an demselben verwendet habe, hier allen zum besten geben! Materiellen Gewinn hat mir das Gärtchen zwar noch wenig abgeworfen — was aber für die sehr kurze Zeit seines Bestehens auch gar nicht zu verlangen wäre —; aber dessenungeachtet hat das Gärtchen mir schon einen desto größeren geistigen Gewinn abgeworfen!

02. Ja, das Gärtchen ist für mich ein rechtes Buch der tiefsten Weisheit, und ich habe daraus in wenigen Tagen schon bei weitem mehr gelernt, als was mir Salomo in aller seiner Weisheit hätte eröffnen können; und so ist denn auch die Antwort auf meine ehedem dem Josoe gegebene Frage in eben dem Gärtchen schon vor ein paar Tagen glänzend zum Vorschein gekommen und ist nun mein volles, vom Herrn Selbst mir eingeräumtes Eigentum! Denn wäre die volle Antwort nicht in mir, — wahrlich, nie hätte ich solch eine Frage gegeben auf ein blindes Glück hin, daß sie vielleicht jemand anders beantworte auch für mein Verständnis!

03. Oh, ich habe die sicher volle Antwort in mir, und diese gilt nicht nur für jetzt, sondern sie wird gelten für alle Zeiten, solange es irgend Gottes Wort und mit demselben sich am meisten beschäftigende Priesterschaften auf dieser lieben Mutter Erde geben wird! Das aber ist die volle Antwort auf die von mir dem lieben Josoe gegebene Frage:

04. Ich legte zu Hause verschiedene edle und gute Fruchtsamen ins fette Erdreich meines Gärtchens. Einige davon keimten schon am nächsten Tage, und am zweiten Tage waren die Triebe schon bei vier Finger hoch über dem Erdboden.

05. Ein Mädchen, und ganz besonders ich, ist immer sehr neugierig, und so trieb mich meine unersättliche Neugierde, bei wenigstens einigen stark aufkeimenden Samen zu sehen, was denn so ganz eigentlich am Ende aus den Samenkörnern wird, wenn aus denselben schon so recht starke Triebe über dem Erdboden zum Vorscheine kommen. Ich grub darum einige aus und besah mir die Sache so recht genau und aufmerksam. Und seht — wie man auf römisch zu sagen pflegt: Sapienti pauca sufficiunt! (Dem Weisen genügt wenig!) —, ich fand das Samenkorn verwest und das es umgebende Erdreich mit einem Moderschimmel gemengt! Aus diesem Grabe sproßte das zarte Pflänzchen, und vom Samenkorne war, wie gesagt, nichts mehr übrig als etwa ein bißchen von der äußeren, das Samenkorn von außen umgebenden und schützenden harten und somit schwerer unverweslichen Schote.

06. Neben dieser sehr denkwürdigen Erscheinung aber fand ich auch, wie leider mehrere Samenkörner ohne Keim ganz von dem Moderschimmel aufgezehrt waren, und es fand sich da durchaus nichts vor, woraus irgendein Fruchtkeim hätte hervorwachsen sollen oder können; wohl aber entging es meinen scharfen Augen nicht, wie sich eben über solchen ganz verwesten Samenkörnern ganz kleine und zarte Pflänzchen aus dem Boden keimend zeigten, die mit den guten und edlen Keimen nicht die leiseste Ähnlichkeit hatten. Aha, dachte ich mir, da hast du es! Diese falschen Keime sind sicher auch ein Produkt aus den guten, ins fette Erdreich gelegten Samenkörnern; aber das hungrige Erdreich hat sich bloß damit gesättigt und ließ nicht zu, daß da emporkeimte der rechte, gute Keim. Aber was hilft es ihm an Ende? An der Stelle des einen edlen Keimes schießen dreißig unedle empor und entziehen dem Boden vielleicht am Ende bei hundertmal mehr des fetten Nährstoffes, als dies das eine gute Pflänzchen getan hätte; denn alles, was gut und edel ist, das ist auch vollgenügsam in jeder Hinsicht, sei es, was es wolle.

07. Das Gold braucht nicht wie das Blei ewig geputzt zu werden, um zu glänzen; man putzt es einmal ordentlich, und es glänzt dann Jahrhunderte hindurch. Eine Rebe wächst fruchtbringend auf dem schlechtesten Boden; aber die Disteln und Dornen suchen gewöhnlich das beste Erdreich aus. Die guten und edlen Haustiere sind selten gefräßig, während ein Wolf, eine Hyäne und dergleichen Bestien mehr gleich Tag und Nacht in einem fort fressen möchten. Also ist auch der wahrhaft edle und gute Mensch genügsam, während der arge, finstere Weltmensch an nichts ein Genüge hat. Man gebe ihm hunderttausend Pfunde Goldes, und er wird darauf sicher sein sehnlichstes Verlangen haben, sobald als möglich noch einmal soviel zu bekommen, und es wird ihm sehr einerlei sein, ob die andern Menschen auch alle verhungern aus Armut! Es erzeugt aber stets ein Geiz den andern!

08. Seht, das Erdreich meines Gärtchens war also teilweise unedel und geizig und wollte sich mästen mit meinen edlen Samenkörnern, die ich in dasselbe gelegt habe! Was aber ist die bittere Folge? Seht, es muß darauf statt des einen edlen, genügsamen Pflänzchens hundert gefräßige, unedle ernähren!

09. Und seht, wie es dem dummen, geizigen und selbstsüchtigen Erdreiche ergeht, so ergeht es auch den Menschen auf der Erde, die sich hier schon einen Himmel voll der seligsten Genüsse haben schaffen wollen! Sie müssen am Ende allen ihren mühevoll gesammelten Vorrat dennoch fahrenlassen, und hundert andere vergeuden ihn dann auf eine oft sehr liederliche Weise. — Das ist nun ein Vorbild zu meiner kommenden vollen Antwort auf meine Frage. Fasset dieses Bild so recht tief in euer Gemüt, und ihr werdet die Antwort beinahe von selbst finden!“ — Hier denken alle darüber nach und können nicht genug staunen über des Mädchens große Weisheit.

202. Kapitel. Anwendung des Entsprechungsbildes der Jarah.

01. Das Mädchen aber wendet sich unterdessen an Josoe und fragt ihn überaus liebfreundlich, sagend: „Und dir, mein liebevoller, hoher Nachbar, fällt auch noch kein rechtes Licht in dein Herz?“

02. Sagt Josoe: „Holdeste und wunderbar weiseste Jarah! Mir ist es wohl, als sähe ich etwas wie durch ein vors Gesicht gehaltenes Tuch; aber von irgendeiner Klarheit ist da noch lange keine Rede. Darum fahre du nur fort, die Sache aufzuhellen; denn an mir hast du sicher deinen alleraufmerksamsten Zuhörer! Die Sache ist zu wichtig, als daß man da auch nur ein Wort unbeachtet lassen könnte; und das scheinen auch alle am Tische und alle unsern Tisch Umstehenden tiefst zu fühlen, darum sie sichtlich nach der Fortsetzung ängstlich gieren. Fange du darum nur wieder an, deine Antwort bis ans Ende fortzusetzen!“

03. Nach diesen Worten fängt die Jarah abermals an, ihre Antwortrede weiterzuführen und sagt: „So ihr das vorangeschickte Naturbild, das ich als erste geistige Ernte meines Gärtchens vor euch hingestellt habe, ein wenig nur überdacht habt, so dürfte euch das nun Nachfolgende gar leicht und ganz helle einleuchtend werden. Habet darum recht wohl acht, und höret und sehet!

04. Die Menschen dieser Erde sind, geistig genommen, gleich dem Erdreich meines Gärtchens, und das Wort Gottes, das zuerst durch die Urväter, von Adam angefangen, und später durch die Patriarchen und durch die von Gott Selbst geweckten Propheten unter die Menschen aus den Himmeln kam, ist wieder gleich den edlen und guten Samenkörnern, die ich ins Erdreich meines Gärtchens legte. Wie aber kein Samenkorn alsogleich, wie es ins Erdreich gelegt wird, schon zur neuen, vervielfältigten, reifen Frucht wird, ebenalso ist dies auch mit dem Worte Gottes der Fall.

05. So das Wort Gottes durch die Anhörung desselben in das Gemüt des Menschen kommt, so muß es durch die Taten, welche gleich sind der belebenden Nährkraft des Erdbodens, — und zwar, wie im Gottesworte angeordnet, gegen unsere Brüder und Schwestern hin — belebt und dadurch zum rechten Erkeimen, zum Zwecke der wahren und vollkräftigen Frucht des geistigen Lebens in Gott, zur segensreichen und dadurch vollreifen Frucht werden! Wenn aber Menschen — darunter zunächst diejenigen zu verstehen sind, die das Wort zuerst aufnehmen, als Propheten und Priester, um, so es in ihnen zur Reife käme, dasselbe dann in der vollsten Echtheit weiter auszusäen auf dem großen Acker aller Menschen dieser Erde für alle Zeiten der Zeiten — gleich dem Erdreiche, das das edle Samenkorn selbst verzehrt, um sich daran zu mästen, selbes nur für sich als ein Mittel verwenden, durch das sie allein fett zu werden hoffen, so ist es dann ja gar nicht etwas zu unnatürlich Wunderbares, wenn auf dem Acker der sogestaltig offenbar falschen Propheten und Priester für den großen Acker der Laienmenschheit am Ende nichts als böses Unkraut, Dornen und Disteln erkeimen und zur argen Reife gelangen!

06. Obschon es aber also geschieht, so ist das im Allgemeinen wie im Sonderheitlichen dennoch nicht wider die göttliche Ordnung und wider die göttliche Weisheit; denn sehet, wenn die edle Frucht reif wird, so wird alles Stroh und alle Frucht gesammelt und in die Scheunen gebracht, das Unkraut aber bleibt auf dem Felde und düngt unwillkürlich das Erdreich, das dadurch für eine nächste Aussaat kräftig wird und voll Gier, bald eine neue edle Fruchtsaat in sich aufzunehmen und sie zu beleben.

07. Also ist es denn auch in der Tat mit uns Menschen. Wären wir schon von jeher gesättigt mit der reinsten Wahrheit, wie sie kommt aus dem Munde Gottes, wahrlich, so würde uns wenig gelüsten nach einer ferneren, neuen Wahrheit!

08. Gott der Herr aber sieht solches zum voraus und läßt es darum zu, daß die stumpfgewordene Menschheit eine Zeitlang mit Schweinefutter bedient wird, und daß ihr Erdreich durchs Unkraut recht nährkräftig wird; darauf erst schmeckt dann der in der Nacht nach Licht schmachtenden Menschheit die reine und edle Frucht des reinen Wortes Gottes, wie das nun soeben bei und unter uns der handgreifliche und der allerseligste Fall ist.“

203. Kapitel. Der Materialismus und seine Vertreter.

01. (Jarah:) „Wahrlich, es geschehen unerhörte Greuel auf sicher allzeitige Veranlassung der sogenannten Diener Gottes! Aber die Menschen, die davon sichere Kunde erhalten und doch selbst auch in der Gottesschrift nicht unkundig sind, fragen dann nach und nach untereinander sich denn doch, und das von Tag zu Tag mehr: ,Was soll das? Was ist Gottes Wort? Kann das Gottes Wille aus dem Sinne Seines Wortes sein, daß die Verkünder des Gotteswortes, Seines Liebewillens, Seiner Gnade, Seiner Sanftmut und Seines Friedens zu lauter allerhabgierigsten, herrschsüchtigsten, selbstsüchtigsten, lieblosesten und frechsten Teufeln an ihren Nebenmenschen werden?‘

02. Und sehet, solche Fragen sind gut; denn sie sind die ersten Triebfedern, durch die die Menschheit zur wahren Selbsttätigkeit gelangt, ohne die sie je weder aus einer guten und noch weniger aus einer argen, gewisserart höllischen Nötigung in die wahre geistige Freiheit übergehen kann, ohne die es für die Seele und ihren Geist kein ewiges Leben gibt.

03. Es ist wahr, man wird bei der Betrachtung über das Treiben der Priesterschaften oft von gerechtem Ärger zerrissen und nahezu ganz aufgelöst, und man möchte oft aus vollem Halse schreien: ,Herr! Hast Du denn keine Blitze, keinen Hagel, keinen Schwefel und kein Pech mehr, um diese Menschentiger zu züchtigen mit der äußersten Schärfe Deines göttlichen Zornes?‘ Aber da spricht eine sanfte Stimme aus dem Innersten des Herzens und sagt: ,Sei klug und weise, und siehe, wohin du trittst? Siehst du am Wege eine Natter lauern, so weiche ihr aus; denn der ganze Erdboden ist noch lange nicht mit lauter Nattern bedeckt!‘

04. Es muß ja auch die Nacht sein, so gut wie der Tag, damit der Mensch den Wert des Lichts erkenne. Am Tage hat wohl kein Mensch irgendein Bedürfnis nach einem Lampenlichte; kommt aber die Nacht, dann fühlt ein jeder Mensch ganz schmerzlich den Mangel des Lichtes und zündet, so gut er es haben kann, sich irgendein Licht an, und ein schwacher Schimmer schon macht ihm freundlicher seine Kammer als der oft gänzliche Lichtmangel.

05. Sehet, wenn der Herr die Menschen dieser Erde so recht mit allerlei irdischen Gütern versieht, da werden sie bald übermütig und fangen an, zu sehr für ihren Leib zu sorgen, und ihre Seele, in der der göttliche Geist wohnt, wird dann bald, gleich wie das edle Samenkorn von dem dasselbe umgebenden zu sättigungsgierigen Erdreich, aufgezehrt, statt daß sie zur Erkeimung des göttlichen Geistes in ihr zum ewigen Leben aus dem Leibe die Stärkung bekäme in gerechtem Maße, wie solche von Gott verordnet ist, und zu welchem Endzwecke Gott der Seele denn auch so ganz eigentlich den Leib gegeben hat. Wo aber die Seele dann von ihrem Leibe aufgezehrt ist, dort kommen dann aber natürlich statt der edlen Früchte auch nur Dornen, Disteln und allerlei anderes böses Unkraut zum Vorscheine, von denen man dann wahrlich keine Trauben und keine Feigen ernten kann!

06. Ein solcher Mensch ist aber dann geistig auch so gut wie tot! Er weiß nichts mehr von dem, was irgend des Geistes ist. Er leugnet alles Geistige und vermaterialisiert alles. Außer der groben Materie gibt es für solch einen Menschen nichts mehr; sein Bauch und seine sinnlichste Haut sind seine zwei alleinigen Gottheiten, denen er Tag und Nacht bereit ist, jegliches Opfer zu bringen. Für solche Menschen gibt es dann keinen Gott mehr, und wenn endlich solche Menschen, wie es nun leider nur zu sehr der Fall ist, gar noch Priester und Gottesdiener werden, da wird man doch hoffentlich nicht lange zu fragen brauchen und sagen: ,Warum sind denn diese puren Knechte des Fleisches, für die im Grunde des Grundes Seele, Geist, Gott und Seine Himmel nichts als veraltete, poetisch phantastische Redebilder sind, Priester und Gottesdiener geworden?‘ Man sehe nur ihre überdicken Bäuche an, und man hat auch die vollste Antwort lebendig vor sich!

07. Solchen Ausspendern des Wortes Gottes ist es dann wohl freilich einerlei, ob sie ihre ihnen anvertrauten Gemeinden mit Brot aus den Himmeln oder mit Unflat aus den ekelerregendsten Pfützen sättigen; wenn sie dafür nur ganz majestätisch gut bezahlt werden! Es darf uns aber eben darum auch gar nicht zu sehr wundernehmen, wenn wir von seiten des Tempels nicht selten Dinge vernehmen, vor denen wir nicht selten vor Entsetzen beinahe ganz starr und steif werden.

08. Hat der pure Leibmensch es einmal dahin gebracht, daß er von der Würde, ein Mensch zu sein, kaum mehr fühlt als ein Pilz des Waldes, der irgendeinem Erdmoder entwuchs, — was edler Menschliches soll man da dann von solch einem Modermenschen erwarten? Man lasse ihn wie eine eklige Natter am Wege kauern und züngeln und suche sich irgendeine natterlose Stelle auf der weiten Mutter Erde. Denn der Herr ist mit jedem, der Ihn wahrhaft sucht, und verläßt den nimmer, der sich in seinem Elend an Ihn wendet!

09. Wir alle, die wir an den Ufern unseres Binnenmeeres wohnen, waren schon lange ein Spielzeug des Tempels. Man verschonte Judäa soviel als möglich; aber dafür mußten wir Galiläer den Templern schon seit langem als barste Sündenböcke einerseits und anderseits als Melkkühe dienen, — aber dafür haben, wir das Gute, daß uns viel früher das herrlichste Licht in allem und über alles aufgegangen ist, während sich Judäa noch in der tiefsten Nacht befindet.

10. Wir verspürten zuerst die überaus selbstsüchtige Gefräßigkeit der Tempelerde, worunter ich natürlich die Priesterschaft verstehe, und machten uns soviel als möglich frei von ihnen. Und wir, als auch ein edles Gotteskorn, vergeudeten unsere innere Lebenskeimkraft nicht zur Füllung des großen Tempelbauches, sondern wir kehrten uns nach der in uns selbst stets mehr erkannten Gottesordnung und stehen darum nun schon als vielfach gesegnete Frucht frei auf dem großen, schönen Acker Gottes. Die Judäer, Mesopotamier und die gen Mittag Wohnenden aber werden noch lange nicht dahin gebracht werden, daß sie einsehen, wie sie vom Tempel aus nun die festweg betrogensten Narren sind!

11. In dieser meiner so ziemlich gedehnten Antwort auf meine Frage wird hoffentlich sicher ein jeder von den hier anwesenden Gästen erkennen, daß das Mädchen aus Genezareth schon recht gut weiß, was sie aus den Fügungen und Zulassungen Gottes zu machen hat! Du, o Herr, aber vergib es mir gnädigst, daß ich vor Dir und dazu an Deiner heiligsten Seite gar so lange und gar viel, mitunter vielleicht auch unnützes Zeug, geplaudert habe! Ich wollte aber dadurch ja durchaus nicht die Stärke meiner Erkenntnis zeigen, sondern, weil sich denn die Gelegenheit also ergab, alles nur so herauszusagen, wie es mir ganz getreu und wahr ums Herz war!“

204. Kapitel. Josoe und Jarah über Judas.

01. Sage Ich: „Liebste Tochter Meines Herzens, Ich sage es dir: Nicht ein Wort zuviel oder zuwenig hast du gesprochen! Darum aber sage Ich es auch euch allen und rate es euch, alles, was dies Mädchen nun geredet hat, zu behalten, es wohl zu beachten und danach zu handeln. Will aber jemand irgendeine Gegenbemerkung machen, so erhebe er sich und rede!“

02. Auf diese Meine Aufforderung kam unser Judas Ischariot zum Vorschein und sagte: „Mit gar allem bin ich nicht einverstanden, obschon ich sonst dieses Mädchens Weisheit tiefst bewundere; denn es spricht ja wie ein bestens geschriebenes Buch.“ — Darauf schwieg er.

03. Der Knabe Josoe aber fuhr ihn förmlich an und sagte: „O du fürchterlich unsinniger und über alle Maßen dummer Mensch! Hast du denn nicht vernommen, welches Zeugnis der Herr Selbst der holdesten Jarah gegeben hat, und du willst nicht mit allen Punkten ihrer Antwortrede einverstanden sein? Oh, so fahre denn heraus mit deiner unbefriedigten, übergroßen Dummheit, und wir werden es sehen, von welchem Unflate sie erfüllt ist! Da öffne deine dümmsten Augen, du alter Ochse, und sieh, hier neben mir sitzt ein Gottesengel aus der Himmel höchstem; sein Wesen ist pur Licht. Hier ersiehst du die junge, weise Rednerin aus dem Herzen Gottes und neben ihr hoffentlich den Herrn Selbst, dessen Geist Himmel und Erde und alles, was da ist, erschuf, und du willst dennoch über das Zeugnis Gottes hinaus mit etwas in der Rede der holdesten Jarah nicht ganz einverstanden sein?! Sage mir, wer du bist, daß du nun gar so unverschämt mit Gott rechten willst!“

04. Diese sehr energischen Worte des Josoe machten den Judas sehr schüchtern, und er zog sich sogleich wieder zurück und setzte sich ganz ruhig auf seine Bank; denn es hatte ihn eine große Furcht vor dem gewisserart nun Sohne des hohen Cyrenius ergriffen, und er rührte sich nicht auf seinem Sitze.

05. Josoe aber redete weiter und sprach: „Ist das nicht einer der Hauptjünger? Mir kommt sein Gesicht bekannt vor, ich habe ihn in Nazareth gesehen! Ja, ja, er ist es, und zwar derselbe, der schon in Nazareth immer gehadert hat, so ich mich nicht irre, mit einem gewissen Jünger Thomas!“

06. Sagt Jarah: „Laß das, hoher Josoe! Siehe, hätte jener Jünger eine so leichte Auffassungsfähigkeit wie du und, dem Herrn allein alles Lob, auch ich, so würde er, gleich den andern seiner Brüder und Gefährten, schweigen und in seinem Herzen darüber sehr nachdenken; dieweil er aber sicher ein sehr hartes Herz besitzt, so faßt er jegliche höher und tiefer liegende Wahrheit schwer! Und nimmt er auch etwas an, so kann er es nicht durchgängig unterbringen, weil in seinem zusammengeschrumpften Herzen etwas göttlich Großes und Erhabenes nimmer völlig Platz haben kann! Darum laß du den Menschen und kümmere dich seiner nimmer!“

07. Sagt Josoe: „Hast abermals wieder vollkommen recht! Aber weißt du, so eine kleine Zurechtweisung schadet ihm übrigens sicher nicht im geringsten; denn ich weiß es, daß dieser Mensch im hohen Grade vorlaut ist. Er möchte stets so ein Erster unter seinen Gefährten sein, und es sollen sich alle bei ihm Rat holen. Das geschieht natürlich nie, weil die andern bei weitem weiser und vollverständiger sind denn er, und das ärgert ihn heimlich, und er ist darum so nebenher stets etwas kleinweg rachsüchtig, was ihm aber nichts nützt; denn er wird, wie nun besonders von dem Jünger Thomas, der ein recht weiser Mann ist, auf eine eben nicht zu sanfte Weise zurechtgewiesen!“

08. Sagt die Jarah: „Ja, ja, du denkst ganz richtig und gerecht; denn ich erinnere mich nun auch so einer kleinen Haderei in Genezareth! Der Herr weiß es sicher besser denn wir beide, warum Er diesen Jünger in Seiner Gesellschaft duldet; ich hätte ihm schon lange den Weg gewiesen! Der Mensch hat für mich etwas ganz besonders Abstoßendes, und ich möchte nicht viel darum setzen, ob durch ihn nicht einmal die ganze Gesellschaft in sehr große Ungelegenheiten gelangen wird; denn ich traue solchen Menschen nie, die jemandem, der mit ihnen spricht, nicht ins Auge zu schauen vermögen! Sie scheinen sich stets zu fürchten, als könnte ihr unstetes Auge einen Verräter ihres bösen Herzens machen. Und diese üble, mir durchaus nicht gefallen könnende Eigenschaft besitzt eben jener Jünger! Nun, aber der Herr duldet ihn dennoch und muß dafür sicher irgendeinen weisesten Grund haben!“

09. Sage Ich zu Jarah: „Meine Tochter! Siehe, du selbst hast ja eben vorher in deiner Rede den Grund recht überaus herrlich dargestellt, aus dem für jedermann überklar hervorgeht, warum von Mir aus neben dem Weizen auch das Unkraut geduldet wird. Und siehe, der ist auch so ein Stück Unkraut auf Meinem guten Acker; wenn aber der gute Weizen gesammelt wird in Meine Scheuern, da wird er als Unkraut auf dem Felde stehenbleiben und verbrannt werden zur Düngung des schweren Bodens und zur Leichtermachung desselben!

10. Es muß zwar der Boden locker sein, wenn im selben die edle Frucht gut gedeihen soll, — aber, weißt du, zu locker darf er wohl auch nicht sein; denn in einem zu lockeren Boden können die Wurzeln keinen irgend festen Grund erreichen. Kommen dann Hitze und darauf wie gewöhnlich große Stürme, da verdorren dann gerne die Wurzeln samt dem Fruchtstengel. Und kommt darauf ein Sturm, so werden solche Fruchtstengel leicht entwurzelt, verdorren dann auf dem Felde und bringen keine Frucht! Darum braucht die Zucht des Gotteskindes stets einen mehr schweren denn lockeren Grund und Boden; und dieweil also, muß man sich's denn schon gefallen lassen, so sich irgend neben dem Weizen aus dem schweren Boden auch ein Unkraut zeigt! Denn es wird nicht gesammelt für eine Ernte, sondern es bleibt zur Düngung des Bodens, auf daß eine nächste Aussaat zu einer noch reichlicheren Ernte gereift werde, als das bis jetzt der Fall war. — Hast du Mich verstanden?“

205. Kapitel. Verschiedene Völker bedürfen einer verschiedenen Führung.

01. Sagt die Jarah: „O ja, Herr, Du meine alleinige Liebe, wahre Kinder bedürfen einer festeren Erziehung denn die Kinder der Sklaven; denn die Kinder des Hauses werden nach ihren Eltern, oder auch mit ihnen für das gesamte Hauswesen zu sorgen habend, erzogen, während die Kinder der Sklaven nur so viel zu wissen brauchen, als ihr stets gleicher und höchst einförmiger Dienst erfordert! Freilich wäre da noch sehr zu fragen, warum Gott der Herr es zuläßt, daß auf dieser Erde ein Mensch dem andern als ein allzeit elender Sklave dienen muß und der Herr des Sklaven sogar vom Kaiser aus die Macht über sein Leben und über seinen Tod hat.“

02. Sage Ich: „Ja, meine liebste Tochter, um das zu erörtern in der Fülle, würde uns alle viel zu weit führen; aber ein paar Gleichnisse will Ich dir und dadurch auch all den andern darüber geben. Wer sie fassen wird, dem wird nebst dem noch so manches klar werden; und darum merket und horchet wohl auf Mich:

03. Man hat verschiedene Getreidearten, als den glatten und bärtigen Weizen, die zweizeilige und vierzeilige Gerste, das hohe Korn, den Hafer, den großen Maisweizen; dann hat man die Linsen, die Wicken und verschiedene Gattungen von Bohnen; und sehet, diese verschiedenen Gattungen brauchen auch stets einen verschiedenen Boden, ohne den sie gar nicht gedeihen würden. Eine Getreideart braucht einen festen Lehmboden, die andere auch einen Lehmboden, der aber stets gut gedüngt sein muß, ansonst aus dem Getreide nichts wird. Wieder braucht eine andere Getreideart einen lockeren und steinigen, und eine andere einen sandigen Boden. Manche Getreideart benötigt einen feuchten und wieder eine andere einen trockenen Boden. Das alles lehrt die Menschen die Erfahrung.

04. Gleichermaßen brauchen verschiedene Menschen auch eine verschiedene Erziehung, je nachdem ihre Herzen und Seelen vorderhand beschaffen sind. Wie es sich aber mit einzelnen Menschen als Kinder oft ein und desselben Vaters verhält, also verhält es sich auch mit ganzen Gemeinden und mit ganzen, großen Volksstämmen. Da ist ein Volksstamm, der braucht eine weiche, also mehr lockere Behandlung, und er gedeiht zum großen Segen der anderen Völker der Erde. Ein anderer Volksstamm braucht wieder eine harte Behandlung, ansonst er bald ausarten und verkümmern würde zum Fluche der Nachbarvölker. Wieder hat ein Volksstamm eine entschiedene Neigung zum Tyrannisieren und zum Herrschen über seine Nebenmenschen. Für die Seelen solcher Menschen ist dann nichts besser, als daß sie auf viele Jahre in eine rechte Sklaverei verfallen, da sie so recht durch und durch gedemütigt werden. Haben sie sich in der Demütigung wohl zurechtgefunden, und ertragen sie ihr Los endlich mit aller Geduld und ohne Murren, dann werden sie wieder zu freien Bürgern der Erde und werden nun als eine veredelte Frucht auf dem besten und fettesten Boden sicher bald überaus üppig fortkommen.

05. Sehet, das ist nun ein Bild, das eben für euch alle ganz leicht zu begreifen sein sollte, indem ihr doch schon so manches begriffen habt!

06. Um aber diese recht sehr wichtige Sache noch anschaulicher zu machen, so stelle Ich euch die Teile des menschlichen Leibes dar, von denen auch ein jedes Glied einer anderen Form, darum einer anderen Behandlung und, so es krank ist, natürlich auch eines anderen Heilmittels bedarf, damit es genese. So jemand einen Schmerz im Auge fühlt, muß er dagegen sicher ein ganz anderes Mittel gebrauchen als gegen den Schmerz in einem oder dem andern Fuße. Wer da ein Leiden im Bauche hat, muß es anders behandeln, als hätte er eines in einer oder der andern Hand, und so muß bei den Krankheiten des Leibes auch darauf gesehen werden, ob sie junge, oder alte und hartnäckige Übel sind. Ein junges Übel läßt sich oft mit einem leichten Mittel beheben, während ein altes einer starken Medizin nahezu auf Leben und Tod benötigt, um aus dem Leibe geschafft zu werden. Die Menschen aber entsprechen mit ihren Seelen immer auch den einzelnen Gliedern ihres Leibes. Je nachdem dann irgendeine Seele mehr einem edleren oder unedleren Gliede ihres Leibes entspricht, desto mehr muß sie auch entsprechend also behandelt werden wie das einzelne Glied, dem sie entspricht.

07. Aus diesem Bilde sind dann auch wieder die verschiedenen Verhältnisse der Menschen bezüglich ihrer seelisch—sittlichen Sphäre ebenso verschieden zu behandeln wie ihre einzelnen Glieder, denen sie in ihrer seelisch— sittlichen Sphäre entsprechen. Ein gar schlechter Zahn im Munde muß am Ende, wenn alle anderen Mittel nichts helfen, ausgerissen und vertilgt werden, damit er die gesunden Zähne nicht anstecke; ebenso ein unverbesserlicher böser Mensch aus einer Gemeinde, auf daß nicht die ganze Gemeinde durch ihn verdorben werde. Ebenso muß oft ein ganzes Volk, wenn schon nicht physisch, so doch moralisch vertilgt werden, auf daß am Ende nicht alle Völker der Erde durch dasselbe verdorben werden.

08. Sehet nach in der Chronika, und ihr werdet es finden, welch ein großes Volk einst die Babylonier, die Niniviten, die Meder, die Perser, die Ägypter, die alten Griechen und vor ihnen die Phönizier und die Trojaner waren! Wo sind alle diese Völker nun? Wo sind die Gomorriten und die Sodomiten und wo die Völker der zehn Städte? Ja, physisch bestehen sie wohl noch in ihren verwahrlosten Nachkommen, die aber nirgends mehr einen Namen haben und auch nie wieder unter dem alten Namen zu irgendeinem Volke dieser Erde werden; denn es ist kaum etwas noch irgend Schlechteres denn ein alter Name, an dem viel eitler, nichtssagender Ruhm klebt. Solcherart Menschen oder Völker halten sich am Ende eines solchen uraltberühmten Namens wegen für vieles besser und ehrwürdiger als irgendeine junge Völkerschaft, die durch Sanftmut, Demut und Liebe gegen ihre Brüder sich im vor Gott gerechtesten und somit seelisch gesündesten Zustande befindet.

09. Wenn ihr das nun so nur mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet, so werdet ihr es bald finden, wie gut und gerecht der Vater im Himmel ist! Denn diese Erde hat einmal die feste Bestimmung, daß auf ihr für die ganze Unendlichkeit Kinder des Geistes Gottes erzogen werden, und es ist darum nötig, daß der Boden stets mehr hart und mager als zu locker und zu fett gehalten wird.

10. Das mit dem edlen Getreide aufschießende Unkraut hindert darum, weil es mit wächst und reift, das gesegnete Gedeihen der edlen Frucht nicht, dieweil es nachderhand dennoch wieder zum Düngen des hie und da zu hart und mager gewordenen Erdreichs gar sehr dienlich ist. Kurz und gut: Was Gott zuläßt, ist gut, und am Ende ist dem vollends reinen Menschen dennoch alles rein, was die Erde in und auf sich und über sich trägt. — Saget, ob ihr alle dies nun von Mir Gesagte ganz verstanden habt!“

11. Sagt Cyrenius: „Herr, wer aber sollte Dich da auch nicht verstanden haben? Das ist ja alles sonnenhelle!“

12. Sage Ich: „Gut denn, und so soll uns Josoe darüber eine sichere Ansicht geben!“

206. Kapitel. Josoes Entschuldigungsrede.

01. Sagt Josoe: „O Herr, meine Ansicht darüber wird wahrlich sehr unsicher ausfallen! Ich verstehe es wohl so im ganzen, was damit gesagt werden will, und ich kann von mir nicht geradehin behaupten, als hätte ich solches nicht klar genug verstanden; aber darüber eine gewisse sonnenhelle Reflexion zu machen, dazu fühle ich mich viel zu schwach. Daher wäre es schon wieder gut, so mich auch noch hier meine allerholdeste Jarah vertreten möchte. Denn so ich auch, mir vorkommend, noch so weise rede, da ist aber dennoch irgend etwas am Ende da, dem sehr widersprochen werden kann! Und so ist es mir denn wohl um vieles lieber, zuzuhören, als selbst zu reden. Ah, so jemand etwas vorbrächte, das da nur im geringsten falsch und unrichtig wäre, dann werde ich schon lebendigerer Zunge werden; aber zur Entwicklung der über meinen Erkenntnishorizont zu hoch liegenden Wahrheiten fühle ich mich noch langehin zu schwach, — und so bleibe ich schön fein und ganz bescheiden stille, laß gerne die Weiseren für mich reden und horche als ein stiller Bewunderer zu, wie einem weisen Gemüte hohe Worte ebenso leuchtend entströmen wie der Morgensonne ihre Lichtstrahlen. Zudem finde ich es, wenigstens für mich, ganz überflüssig, über etwas ohnehin schon Sonnenhelles noch weitere Reflexionen zu machen. Wer wohl wird am hellsten Mittage noch irgendeine Lampe anzünden, um das Licht der Sonne dadurch zu unterstützen? Wer aber an den hellsten Lichtworten, die nun aus Deinem heiligen Munde geflossen sind, noch irgendeinen Zweifel haben kann, nun, der melde sich, und man wird ihn anstandslos auf die richtige Fährte führen!

02. Wohl weiß ich es, daß man Dir, o Herr, sozusagen blindlings gehorchen soll, so Du von jemandem etwas willst; aber hier muß ich mich, und zwar infolge der rechten Demut meines Herzens, als ungehorsam erweisen! Denn gar leicht könnte Dein Verlangen, o Herr, für mich auch eine Art Prüfung sein, ob ich mich von meinem angeborenen, mich selbst oft überschätzenden Selbstgefühle werde so weit hinreißen lassen und gleich mit meiner noch obendrauf sehr schlecht bestellten Nachtlampe herausfahren werde, um die Sonne damit etwa doch noch heller zu machen, als sie ist! Aber da sagt mir glücklicherweise mein ruhiges Herz: ,Eitler Knabe, nimm dich in acht, der Herr prüft dich! Siehe, daß du in der Gnade bestehst vor Ihm!‘ Vernehme ich aber so etwas, oh, da kenne ich mich dann aber auch sogleich aus und bleibe auf meinem bescheidenen Platze! — Habe ich recht oder nicht, mich also durchgängig zu verhalten?“

03. Sage Ich: „Mein lieber Josoe, recht und dennoch nicht ganz recht; denn, wenn Ich von dir etwas verlange, so weiß Ich es sicher warum! Und willst du dein Heil vollends in allem gefördert wissen, so mußt du Mir Folge leisten in allen Dingen, sei es, was es wolle. Und verlangete Ich selbst deines Leibes Leben, so müßtest du es lassen mit Freuden; denn Ich werde niemandes Leibesleben verlangen zum Unheile dessen, der es für Mich lassen würde!

04. Aber Ich weiß, was dir nun so ganz eigentlich die Zunge ein wenig gelähmt hat. Siehe, du warst ehedem ein wenig vorlaut darin, daß du von dir behauptetest, daß du nur für die Wahrheit allein seiest! Ich zeigte es dir aber, daß du noch lange nicht wußtest, was die Wahrheit ist; und weil die Jarah, als ein harmloses Mädchen aus Genezareth, dich hernach offenbar ein wenig beschämte, da sie Meine Frage an dich auf eine überaus glänzende Weise beantwortete, so hast du darauf so ein wenig den Mut verloren. Aber siehe, diese deine kleine Mutlosigkeit ist im Grunde keine so ganz rechte Demut, sondern vielmehr eine heimlich gekränkte Eitelkeit deines Gemütes! Und sieh, das ist nun denn auch so ein kleiner Mitgrund, warum du dich nun so schwer zum Reden entschließest! Ich will aber, daß du solchen Mitgrund in dir nun völlig besiegen sollst; denn es ist einem etwas eitlen Gemüte besser, ein wenig ausgelacht zu werden, als auf dem Wege der triumphierenden Gelungenheiten sich von allen Seiten her bewundert und geschmeichelt zu fühlen! Darum rede du nur zu, so Ich von dir etwas zu reden verlange! — Und so gib du uns über Meine Belehrung vom Sklaventume nun nur immerhin irgendeine sichere Ansicht!“

207. Kapitel. Josoes Auffassung über die Zulassung der Sklaverei.

01. Sagt Josoe: „In Deinem Namen will ich's in aller möglichen Kürze wohl versuchen; ob aber meine Ansicht eine ganz sichere sein wird, das dürfte freilich wohl eine ganz andere Frage sein.

02. Die Füße des Menschen stehen offenbar im Lebensrange tiefer denn die Hände; aber trügen die Füße den Menschen nicht zum Wasser, so könnten sie von den Händen dann nicht von ihrem Staube und Schmutze gereinigt werden. Darum, meine ich, ist der Sklavendienst im allgemeinen ebenso notwendig wie der Herrendienst. Wenn die Füße gleiten, fällt der ganze Mensch, und es ist darum sicher gut und nützlich, auf die Füße, welche mit allem Rechte die Sklaven des Leibes genannt werden können, oft mehr achtzuhaben denn auf alle anderen Leibesglieder. Stumpf und willenlos müssen die Füße den schweren, dabei ganz müßigen Leib Tagreisen weit tragen und bekommen als Lohn am Ende nichts als höchstens eine reinigende Erfrischung bei irgendeiner Quelle, während nach einer zurückgelegten Reise der ganze, bei der ganzen Reise müßig gewesene Leib sich stärkt mit Speise und Trank. Aber was können, was wollen die Füße dazu sagen? — Nichts, — denn sie sind dazu geschaffen!

03. Und so meine ich denn, daß das Sklaventum eine Notwendigkeit ist, die nie abgestellt werden kann, wenn die Menschheit in der ihr gegebenen Ordnung verbleiben soll; es müßte nur sein, daß mit der Zeit die Menschen irgendein anderes Bewegungsmittel erfänden, — da freilich könnte der Sklavendienst der Füße entbehrlich gemacht werden. — Und so glaube ich, könnte es denn mit der Zeit mit dem Sklaventume vor sich gehen!

04. Besser wäre es allerdings, so man das die Menschheit entwürdigende Sklaventum gänzlich entbehren könnte; aber das dürfte noch lange währen, bis solch eine glückliche Zeit die Erde küssen wird.

05. Der Sklave ist wahrlich von der freien Menschheit als Unkraut unter den Menschen angesehen. Aber es wird durch dieses seltene Unkraut der freie Mensch gar sehr gedüngt und wird dabei träge und vollends selbstuntätig, — und das halte ich für sehr schlecht. In dieser Hinsicht wäre es wieder besser, so es kein Sklaventum gäbe. Aber wenn anderseits das Sklaventum wiederum eine Schule der Demut ist, da ist es freilich auch wieder eine unerläßliche Notwendigkeit für die zu hoch gestiegene Menschheit; denn nach der babylonischen Gefangenschaft waren die Israeliten wieder ein ganz gutes Volk geworden, — nur schade, daß die Gefangenschaft nicht wenigstens ein volles Säkulum gedauert hat! Denn bei der Befreiung waren meines Erachtens noch zu viele darunter, denen der frühere Glanz des Judenreiches noch zu sehr vor den Augen schwebte, weshalb sie dann auch nichts Emsigeres zu tun hatten, als den alten Glanz wieder herzustellen. Und als da wieder erbauet waren die Mauern und der Tempel, so war der alte Hochmut auch wieder bei der Hand, und es ging darauf bald wieder und eigentlich noch schlechter zu in Jerusalem denn früher vor der babylonischen Gefangenschaft. Vierzig Jahre waren sonach offenbar zuwenig; aber so in hundert Jahren wäre allen unseren Vätern der Sinn für Glanz, Pracht und Hochmut sicher gänzlich vergangen für Jahrhunderte hindurch!

06. Zwar ist das alles nur so meine sicher noch sehr unreife Mutmaßung und wird ohne Zweifel ihre sehr tüchtigen und wohlgegründeten Gegensätze haben; aber ich rede nur also, wie ich's fühle. Denn so jemand für eine schlechte Tat eine Maulschelle bekam, so wird er das Übeltun eben nicht um vieles länger meiden, als der Schmerz angedauert hat; so er aber von Gott aus für eine schlechte Tat mit einem lang andauernden und sehr schmerzlichen Leiden heimgesucht wurde, so wird er die Sünde, durch die er sich ein so schweres und schmerzliches Leiden zugezogen hat, sicher kaum je mehr wieder begehen!

07. Darum kann ich mir ein recht lang anhaltendes Sklaventum nicht anders als nur vollkommen zweckdienlich denken, und sehe nun auch die eiserne Notwendigkeit dieses Standes ein und denke mir: So ein recht guter und williger Sklave ist im Grunde viel mehr ein vollkommener Mensch als der Freie; denn der Freie ist geistig ein Sklave seiner Sinne, während der materielle Sklave geistig ein ganz freier Mensch sein kann.

08. Denn es ist ein großer Unterschied zwischen einem Menschen, der ein Herr seines Willens ist — was bei einem rechten Sklaven vollends der Fall sein muß —, und zwischen einem Menschen, dessen Wille keinen Gehorsam kennt, und bei dem alles geschehen muß, was er will.

09. Und somit lobe ich mir nun erst ganz das Sklaventum und wünsche, daß es im ganzen nie ein Ende nehmen soll! Denn ich meine: Sobald diese Hauptschule für die wahre Demut ein Ende nehmen wird, so wird die Menschen der Erde ein großes Elend heimsuchen!

10. Freilich wohl wäre es zu wünschen, daß die Menschen alle lebten nach Deiner Lehre, so wäre das Sklaventum ein tollstes Unding und ein Verbrechen an den Rechten der Menschheit; aber solange irgend das nicht der Fall ist und vielleicht noch lange nicht sein wird, ist und bleibt das Sklaventum der hochmütigen Menschheit ein wahres Evangelium aus den Himmeln, auf die Erde zur Besserung der Menschheit verordnet. —

11. Das wäre nun so meine schwache Reflexion über Dein Wort bezüglich des Sklaventums; ich bitte Dich, o Herr, aber nun auch, daß Du darin die Fehler, die ich allenfalls gemacht habe, mir gnädigst anzuzeigen geneigt wärest, auf daß ich auch in dieser Sphäre in die volle Wahrheit einzudringen vermöchte!“

12. Sage Ich: „Lieber Josoe, da hast du in allem ganz recht, und es läßt sich da wenig oder gar nichts vollrechtlich einwenden; bloß was die Dauer der babylonischen Gefangenschaft betrifft, hast du dich ein wenig in deinem Eifer verstiegen. Denn sieh, jede Gefangenschaft und auch jedes Sklaventum ist im Grunde dennoch nichts als ein von Gott zugelassenes Strafgericht! Ein Gericht aber ist und bleibt leider stets nur eine äußerste Nötigung zur Besserung und hat darum gewöhnlich für die Seelen der Menschen mehr eine schlechte denn eine gute Wirkung; denn wer das Schlechte nur der schlechten Folgen wegen meidet und das Gute tut der guten Folgen wegen, der ist noch sehr ferne dem Reiche Gottes. Nur der, welcher das Gute eben darum tut, weil es gut ist, und das Schlechte meidet des Schlechten selbst wegen, ist ein vollkommener Mensch. Denn solange sich der Mensch nicht aus sich selbst ans wahre Licht befördert, bleibt er ein Sklave im Geiste und somit tot für das Reich Gottes. — Der äußere Zwang bringt die Menschen noch auf andere Abwege des sittlichen Liebelebens, davon wir sogleich einige vernehmen werden.“

208. Kapitel. Gesetzeszwang und Liebe.

01. (Der Herr:) „Sieh, es ging in der Nacht eine Maid daher geringen Standes. Sie war irgendwo in Geschäften ihrer Herrschaft, verspätete sich aber so sehr, daß sie auf dem Rückwege von der Nacht eingeholt wurde. Am halben Wege aber trifft sie ein Haus, in dem ein frommer Einsiedler wohnt, wie es ähnliche in allen Gegenden Judäas gibt, die des Reiches Gottes wegen, wie sie es vorgeben und auch wirklich in ihrem Lebensplane haben, ein sogenanntes strenges Leben führen. Die in schon tiefer stürmischer Nacht heimkehrende Maid pocht an des Klausners Tür und bittet um Einlaß und Herberge für die Nacht.

02. Der Klausner geht nun hinaus und ersieht, daß die Flehende eine Maid ist, durch deren Eintritt seine Hütte ja doch offenbarst verunreinigt werden könnte. Darum spricht er, von heiligem Eifer ergriffen: ,Betritt, du unreines Wesen, meine gottgeweihte, reine Hütte ja nicht; denn sie würde unrein durch dich und ich endlich unrein durch sie! Ziehe darum weiter und gehe hin, von wannen du gekommen bist!‘ Mit diesen Worten schließt er die Tür und überläßt ganz leichten Gemütes und froh, dieser ihn verunreinigenden Gefahr losgeworden zu sein, die weinende Maid ihrem herben Lose. Er kehrt darauf frohen Mutes ins Innere seiner Hütte und preist Gott, daß Er ihn vor solch einer Gefahr für seine Seele so gnädigst beschützt hat, und kümmert sich der armen Maid nimmer; ob diese in finsterer Nacht irgend verunglückt oder nicht, das ist ihm gleich.

03. Nach einer Stunde aber kommt dieselbe Maid, vom Sturme übel zugerichtet, zum Hause eines verrufenen Zöllners, der vor den Augen der reinen Juden ein großer Sünder ist. Dieser hört die arme Maid schon von weitem jammern, da er an seiner Schranke Wache hält und auch sonst kein Freund vom frühen Sichschlafenlegen ist, daher man ihm auch von der reinen Judenseite den Beinamen ,Ordnungsloser Lump‘ gegeben hat.

04. Dieser sündige Lump aber zündet schnell eine Fackel an und eilt der jammernden Maid entgegen; und als er sie daherhinkend und weinend findet, tröstet er sie, nimmt sie auf seinen kräftigen Arm, trägt sie in sein Haus, reicht ihr Speise und Trank und bereitet ihr ein gutes und weiches Lager. Am Morgen aber beschenkt er sie noch, sattelt darauf zwei Lasttiere und läßt sie, sie begleitend, also ihre noch ziemlich ferne Heimat ganz gestärkt und wohlgemut erreichen. —

05. Siehe, der Klausner ist ein strenger Büßer und lebt gleichfort in einem sich selbst auferlegten Strafzwange und vermeidet alles sorgfältigst, was irgend seine als rein geglaubte Seele nur im geringsten verunreinigen könnte, und meint, daß Gott an ihm schon ein bedeutend großes Wohlgefallen haben müsse; zugleich aber liegt es ihm auch sehr daran, daß die Welt ihn für einen makellosen Heiligen Gottes halte, und das um so mehr, weil es von ihm allgemein bekannt ist, daß sein Gemach noch nie von einem weiblichen Fuße betreten ward. Natürlich trägt ihm solch eine sittliche Reinheit auch so manche Prozente in seine Hütte, die sicher in eine Abnahme kämen, so irgend am Ende dennoch verraten werden könnte, daß seine Hütte doch einmal verunreinigt ward durch den Fuß einer Maid, von der man denn doch nicht wissen könne, wann sie allenfalls ihre unreine Zeit habe.

06. Dem Zöllner aber ist das einerlei, ob die Welt schwarz oder weiß von ihm spricht, sein Haus hält man stets für das unreinste und zwar so, daß ein echter Jude es ja nicht betreten wird, weil er sich darin auf wenigstens zehn Tage lang verunreinigen könnte. Daher ist dem Zöllner denn auch einerlei, was die Leute von ihm und seinem Hause reden, und er handelt darum frei nach dem Drange seines Herzens und denkt sich dabei: ,Bin ich schon ein großer Sünder und voll Unlauterkeit, so will ich aber dennoch Barmherzigkeit üben, auf daß ich dereinst auch Barmherzigkeit vor Gott finden möge!‘

07. Sage du Mir, Mein lieber Josoe: Welche von den beiden würdest du am Ende den Vorzug geben?“

08. Sagt Josoe lächelnd: „Oh, ohne alle Umstände dem Zöllner; denn wenn es auf der Welt lauter solche Klausner gäbe, da sähe es mit dem Leben der Menschen bald ein Ende habend und somit übel aus! Der dumme Klausner könnte mir mit seiner sittlichen Reinheit alle Stunde zehnmal gestohlen werden! Wahrlich, hätte ich den Himmel zu verleihen nach dem Tode, so wäre der Klausner sicher der letzte, dem ich im untersten Himmel den letzten Platz anwiese, und er käme mir nicht weiter, als bis er würde wie der Zöllner! — Habe ich recht oder nicht?“

209. Kapitel. Über innere Sittenreinheit.

01. Sage Ich: „Vollkommen; denn also ist es auch! Und Ich sage es, wer da nicht wird wie der Zöllner, wird in Mein Reich wahrlich nicht eingehen; denn auch Mir kann alle die lieblose Sittenreinheit für ewig gestohlen werden!

02. Ja, eine freie, wahre, innere Sittenreinheit mit der wahren, alles opfernden Nächstenliebe ist bei Mir über alles; aber eine solche, wie wir sie beim Klausner gesehen haben, gilt bei Mir nicht einen Stater. Wer rein ist, der soll bloß rein sein im Herzen vor Gott, aber die Welt soll nicht viel wissen davon; denn wenn die ihn darum lobt, so wird er von Mir wenig Lob zu erwarten haben.

03. Am besten aber ist es, wenn der Mensch stets sagt: ,O Herr, sei mir, dem Sünder, gnädig!‘, und urteilt über niemand Arges, betet für seine Feinde und tut sogar noch jenen zu aller Zeit Gutes, die Übles von ihm reden und wo möglich ihm auch Übles zufügen.

04. Wahrlich, wer das ist und tut, der ist nicht nur rein vor Mir — und hätte er auch noch so manche Sünde auf sich, die ihn sein Fleisch dann und wann zu begehen nötigte —, sondern er ist dabei vollauf Mein Bruder und mit Mir ein König der Himmel und aller ihrer Herrlichkeiten! Denn wird eines Menschen Fleisch oft auch von argen Dämonen gereizt, so wandelt aber dennoch seine Seele gleichfort in Meinem Geiste.

05. Es müssen ja auch oft die Engel in die Hölle, in den Pfuhl aller Laster, steigen, und wenn sie zurückkehren, sind sie wieder so rein wie zuvor in dem höchsten aller Himmel. Und also ist es nicht selten mit Meinen Brüdern auf dieser Erde: steigen sie auch schon ihrem Äußersten nach manchmal in die Hölle, um auch dort die göttliche Ordnung und Willensmacht aufrechtzuerhalten, so bleibt dennoch ihre Seele rein im Zusammenhange mit Meinem Geiste in ihr.

06. Kurz, den die Sünde fein demütig macht wie unsern Zöllner, der ist durch die Sünde als ein Engel nur auf einen Augenblick zur Hölle gestiegen, um daselbst Ruhe und Ordnung zu schaffen; sowie er aber zurückgekehrt ist, so ekelt es ihn davor, und seine Seele ist rein wie zuvor. Den als Sünder aber seine Sünden nur zum Hochmute treiben, und so der Sünder im Hochmute verbleibt, der ist schon ein Teufel, ob er äußerlich noch so rein schiene vor den Menschen.

07. Ich sage aber zu euch allen: Was immer für Sünder und Sünderinnen in euer Haus hilfesuchend kommen, so sollet ihr ihnen nimmer die Türe weisen, sondern ihnen helfen, als hätten sie nie gesündiget; und habt ihr ihnen erst geholfen, so sollet ihr dabei auch alles aufbieten, um die Sünder für die Zukunft zu bessern auf dem Wege der Liebe und der Weisheit, aber jener wahren Weisheit, die stets nur aus der Liebe hervorgeht!

08. Eine Ehebrecherin ist bei den Juden nach Moses wirklich eine Sünderin, die sofort gesteinigt werden soll, und zwar auf dem kürzesten Wege von jedermann, der ihr nach der Tat zuerst begegnet. Ich aber sage euch: Wer die Flüchtige aufnimmt in sein Haus und sucht sie zu retten doppelt — geistig und leiblich —, der wird dereinst von Mir mit freundlichen Augen angesehen werden, und seine Schuld wird in den flüchtigen Sand eingegraben werden, dessen Furchen der Wind verwehen soll! Wer aber einen Stein nach ihr wirft und ist selbst nicht frei von jeglicher Sünde, der wird dereinst ein schweres Gericht von Mir aus zu bestehen haben! Denn wer Mir wiederbringt, was da verloren war, der soll im Himmelreiche dereinst eines großen Lohnes wert befunden werden; wer aber da richtet, wenn auch gerecht nach dem Gesetze, der wird dereinst auch gerecht und streng nach Meinem Gesetze gerichtet werden!“

09. Fragt hier Cyrenius: „Herr, was Du nun geredet, ist klar und wahr bis auf einen Punkt, der mir noch etwas unklar ist, und ich möchte darum wohl um eine noch etwas nähere Erörterung bitten. Der unklare Punkt aber ist — —“

10. Sage Ich: „Der unklare Punkt ist: wie ein sonst reiner Mensch durch eine an seinem Leibe begangene Sünde in die Hölle steigen, dort Ordnung und Ruhe schaffen und endlich wieder ganz rein aus derselben zurückkehren kann.

11. Sieh, das ist ganz leicht zu verstehen, wenn man nur weiß, was eigentlich die Sünde und die Hölle sowohl im engsten und desgleichen auch im weitesten Sinne ist! — Ich werde somit diese beiden Begriffe eurem Verständnisse näherzubringen versuchen, und so habet denn dabei recht acht mit eurer ganzen Seele!“

210. Kapitel. Das Wesen der Materie und der Seele.

01. (Der Herr:) „Sehet, der Leib ist Materie und besteht aus den gröbsten urseelischen Substanzen, die durch die Macht und Weisheit des göttlichen und ewigen Geistes in jene organische Form gezwängt werden, die der einen solchen Formleib bewohnenden freieren Seele in allem Nötigen wohl entspricht.

02. Die in einem Leibe wohnende Seele aber ist natürlich anfangs um nicht viel reiner als ihr Leib, weil sie auch der unreinen Urseele des gefallenen Satans entstammt. Der Leib ist für die noch unlautere Seele eigentlich nichts als eine höchst weise und übergut und zweckmäßig eingerichtete Läuterungsmaschine.

03. In der Seele aber wohnt schon der reine Funke des Geistes Gottes, aus dem sie ein rechtes Bewußtsein ihrer selbst und der göttlichen Ordnung in der Stimme des Gewissens überkommt.

04. Daneben ist der Leib für außen hin mit allerlei Sinnen versehen und kann hören, sehen, fühlen, riechen und schmecken; dadurch bekommt die Seele allerlei Kunde von der Außenwelt, gute und wahre, schlechte und falsche.

05. Aus dem Urteile des in ihr wohnenden Geistes fühlt sie in sich bald, was da gut und was schlecht ist; anderseits macht sie auch durch die äußeren Sinne ihres Leibes Erfahrungen von guten und schlechten, wohltuenden und schmerzlichen und anderen Eindrücken, und überdies wird der Seele von Gott, auf dem Wege der außerordentlichen Offenbarung von innen und von außen her, durchs Wort, der Weg der Ordnung Gottes gezeigt.

06. Also ausgerüstet, kann dann die Seele allerdings ganz nach der leicht zu erkennenden göttlichen Ordnung sich frei selbst zu bestimmen imstande sein, was natürlich nicht anders sein kann, weil die Seele sonst unmöglich zu irgendeiner für ewig andauernden, in sich abgeschlossenen, aber doch freien Existenz gelangen könnte.

07. Denn jede Seele, die fortbestehen will, muß sich durch die ihr gegebenen Mittel selbst als fortbestandsfähig gestalten und gewisserart ausbauen, ansonst sie am Ende entweder das Los des Leibes teilen kann, oder sie tritt als noch zu dreiviertel unausgebildet aus dem Leibe, der als völlig verdorben zur weiteren und gänzlichen Ausbildung der Seele gar nicht mehr taugt, und dann wird sie genötigt sein, in einer viel unbequemeren Maschine auf eine gewöhnlich sehr traurige und schmerzliche Weise ihre weitere Vollendung fortzusetzen.

08. Der Leib aber ist, weil aus lauter in tiefem Gerichte noch seienden Teilen bestehend und darum des Todes fähig, bei und für jeden Menschen die Hölle im engsten Sinne; die Materie aller Welten aber ist die Hölle im weitesten Sinne, in die der Mensch durch seinen Leib gegeben ist.

09. Wer nun viel für seinen Leib sorgt, der sorgt offenbar auch für seine höchst eigene Hölle und nährt und mästet sein Gericht und seinen Tod zu seinem höchst eigenen Untergange.

10. Der Leib muß zwar eine gewisse Nahrung bekommen, damit er stets fähig ist, der Seele für die hohen Lebenszwecke die entsprechenden Dienste zu leisten; aber wer da zu ängstlich sorgt für den Leib und nahezu Tag und Nacht hadert und arbeitet und handelt, der sorgt offenbar für seine Hölle und für seinen Tod.

11. Wenn der Leib die Seele reizt, sich für seine sinnliche Befriedigung in alle Tätigkeit zu werfen, so rührt das stets von den vielen unlauteren Natur— oder gerichteten Materiegeistern her, die so ganz eigentlich das Wesen des Leibes ausmachen. Gibt die Seele den Anforderungen des Leibes zuviel Gehör und tut danach, so tritt sie mit ihnen in Verbindung und steigt auf diese Weise in ihre höchst eigene Hölle und in ihren höchst eigenen Tod. Und tut die Seele solches, so begeht sie eine Sünde wider die Ordnung Gottes in ihr.

12. Verharrt die Seele darin mit Liebe und köstlichem Behagen, so ist sie ebenso unrein wie ihres Leibes unreinste und gerichtete Geister, bleibt dadurch in der Sünde, somit in der Hölle und im Tode. Wenn sie auf der Welt auch gleich ihrem Leibe nach fortlebt, so ist sie aber dennoch so gut wie tot, fühlt auch den Tod in sich und hat eine große Furcht vor ihm. Denn die Seele kann in solcher ihrer Sünde und Hölle tun, was sie nur immer will, so kann sie dennoch kein Leben finden, obschon sie dasselbe liebt über alle Maßen.

13. Sehet, darin liegt auch der Grund, aus dem heraus nun viele tausendmal Tausende von Menschen von einem Leben der Seele nach dem Tode ihres Leibes ebensoviel wissen wie ein Stein, der am Wege liegt; und so man ihnen irgend etwas davon sagt, so lachen sie höchstens oder werden gar erbost, treiben den Weisen zur Tür hinaus und weisen ihn, solche Dummheiten, die nichts als eine Lüge seien, den Wildschweinen vorzutragen!

14. Und doch soll ein jeder Mensch längstens bis in sein dreißigstes Jahr in sich so weit mit der Bildung seines Ichs fertig sein, daß ihm das folgende freieste, seligste Leben nach dem Tode des Leibes so vollbewußt und sicher wäre wie einem Aar der Flug in der hohen freien Luft!

15. Aber wie weit sind Menschen, die danach erst zu fragen anfangen, noch entfernt davon! Und wie weit aber erst hernach jene, die davon gar nichts hören wollen und einen solchen Glauben sogar für eine Dummheit halten, die kaum irgendeiner erheiternden Lache wert sei! — Solche Menschen befinden sich demnach ihr ganzes Erdenleben hindurch in der vollsten Hölle und im schon vollsten Tode.

16. Nun aber kann sich eine Seele schon ganz gereinigt haben, und es wird ihr oft dennoch eine geraume Zeit gegeben nun zur Mitreinigung zunächst ihres in und an und für sich noch immer unlauteren Leibes und seiner Geister, wodurch der ganz edlere Leibesteil sich endlich auch aus der Seele die Unsterblichkeit anzieht und jüngst nach dem Tode des gröbsten Teiles seiner Wesenheit mit der Seele zu ihrer Vollkräftigung mit erweckt wird.

17. Bei solchen schon reinen Seelen geschieht es denn auch, daß sie dennoch dann und wann, so ihre Hölle, das heißt der Leib, nicht selten noch sehr begehrend auftritt, auf eine kurze Zeit in solche ihre eigene Hölle treten, mit andern Worten gesagt, in das Begehren des Leibes und seiner Geister eingehen. Solche Seelen aber können dann nicht mehr völlig unrein gemacht werden, sondern sind nur für so lange unrein, als sie sich im Pfuhle ihrer Leibesgeister aufhalten; sie aber können es darinnen nimmer lange aushalten und kehren sonach gar bald in ihren ganz reinen Zustand zurück, in dem sie dann wieder ebenso rein sind, als wären sie nie unrein gewesen. Dabei aber haben sie in ihrer Hölle auf eine Zeitlang Ruhe und Ordnung hergestellt und können sich hernach wieder desto ungestörter im Lichte ihres Geistes bewegen und stärken.

18. Wer von euch da ein rechtes Verständnis hat, der wird dies Gesagte ganz verstehen; und du, Freund Cyrenius, sage es Mir nun ganz unverhohlen, ob du Mich nun vollends verstanden hast!“

211. Kapitel. Eine sozialistische Rede des Cyrenius.

01. Sagt Cyrenius: „Ja, Herr und Meister! Aber es ist dies für mich fürwahr eine total neue Lehre, von der vor Dir wohl niemand etwas geträumt hat! Das ist aber nun klar, daß Du und sonst niemand vom Alpha bis zum Omega den Menschen und alle Welten mußt erschaffen haben; denn ohne selbst Schöpfer des Menschen zu sein, kann man das nie wissen, außer auf die Art, wie wir nun von Dir.

02. Erfahrungen aller Zeiten zeigen, daß es also ist und nie anders sein kann, als wie Du es uns nun erklärt hast; jedoch kein Weiser, wenn er auch das Übel der Menschheit nur oft zu sehr wahrnahm, wußte von der Wurzel desselben irgend etwas zu sagen. Woher hätte er aber das auch nehmen sollen? Denn dazu wird eine totalste Kenntnis der Menschennatur von ihrer urgeistigsten bis zu ihrer materiellsten Sphäre hin erfordert.

03. Wer aber kann sich irgend diese Kenntnis verschaffen? Wer kennt des Menschen Leib von Fiber zu Fiber, von Faser zu Faser usw.? Wer hat je irgendeine Seele frei umherwandeln gesehen? Man weiß es kaum, ob sie eine, und welche Form sie hat, ob sie groß oder klein ist; kurz, man ist da in der vollsten Unkunde. Wenn aber das, woher soll man dann die Kenntnis nehmen über die sonderbare Natur des Menschen?

04. Und doch muß es Mittel und Wege geben, durch die der Mensch sich selbst näher kennenlernen muß; denn wenn der Mensch sich selbst nicht erforschen kann, um zu sehen, was er ist, wozu, und was er seiner Natur und Bestimmung nach zu tun hat, um den Zweck zu erreichen, für den er vom Schöpfer aus bestimmt ist, so nützen ihm alle Lehren und alle Gesetze nichts! Seine Seele, wie man es an zahllos vielen Menschen nur zu klar ersieht, wird sich stets mehr und mehr in ihre Hülle versenken zufolge des leider schmerzlich fühlbaren vielfachen Bedürfnisses des Leibes; denn der Hunger schmerzt, der Durst brennt, die Kälte schmerzt auch, wogegen ein gutes leibliches Versorgtsein dem viel begehrenden Leibe nicht nur das Notwendige, sondern eine wahre luxuriöse Seligkeit bietet!

05. Der tierische Teil des Menschen stellt seine Forderungen auch stets so entschieden und schreiend auf, daß dagegen die stillen Forderungen der Seele überhört werden müssen. Wenn aber das, wen kann es da noch wundernehmen, so hunderttausendmal Hunderttausende von dem Wesen ihrer Seele kaum irgendeine Ahnung haben? Denn da hatte sich schon von der Kindheit an ihre Seele so sehr mit ihrem Leibe verbunden, daß sie mit ihm vollends eins ist und daher in sich auch kein anderes Bedürfnis erkennt als das leidige des Leibes nur.

06. Ja, man muß sogar sagen, daß eben bei Menschen, die leiblich zu elend und schlecht versorgt sind, sich auch stets nicht die geringste Spur von irgendeinem geistigen Bedürfnisse verspüren läßt. Wir haben im mitternächtlichen Teile von Europa Völkerschaften, bei denen aber auch nicht die leiseste Spur von einer geistigen Bildung zu entdecken ist.

07. Aber was ist der Grund davon? Die totalste leibliche Unversorgtheit! So ein Mensch geht, mit Keulen bewaffnet, oft Tag und Nacht in den dichten Wäldern herum und sucht sich irgendein Wild zu erlegen. Hat er es erlegt, da verzehrt er es auch heißhungrig, wie man zu sagen pflegt, beinahe mit Haut und Haaren; Frage: Wo sollte, wo könnte bei solch einem Volke von irgendeinem geistigen Bedürfnisse nur eine leiseste Rede sein? — während man denn doch zum Beispiel in Rom, wo die Menschheit zum größten Teile leiblich übergut versorgt ist, von einer Seele des Menschen und ihrer Unsterblichkeit schon lange gelehrt und darum auch auf ein moralisches Leben, das hauptsächlich die Bildung des geistigen Menschen im Auge hat, die meiste Aufmerksamkeit verwendet hat und noch gleichfort verwendet.

08. Freilich geschieht es auch leider nur zu häufig, daß die Reichen sich am Ende zu sehr in die Seligkeit ihres Leibes versenken und dabei auf die Ausbildung ihrer Seele wenig oder nichts halten und am Ende jede Lehre für die Erfindung irgendeines hungrigen Weisen ansehen; aber sie haben doch eine Sprache, durch die man sich ihnen mitteilen kann über so manches, worüber sie am Ende bei all ihrer Sinnlichkeit denn doch so ein wenig zu stutzen anfangen, — was für ihre Seele schon immer ein Gewinn ist.

09. Bei Menschen aber, von denen man es noch nicht genau weiß, ob sie eine Sprache haben oder nicht, ist es auch nicht möglich, ein solches Stutzen zustande zu bringen. Wenn aber schon das nicht, auf welche Art erst wäre es dann wohl möglich, sie zu wecken für ein tieferes geistiges Bedürfnis der Seele?

10. Darum wäre meine Meinung, daß man zuerst die Menschheit für den Leib wenigstens gut versorgen sollte, und es dürfte dann doch leichter sein, die Seelen der Menschen stets mehr und mehr für ihre wahren geistigen Lebensbedürfnisse zu wecken. Wenigstens sollten die Menschen mit dem Nötigsten versorgt sein! Denn, wie schon gesagt, ein physisch zu armer Mensch kann nach einer geistigen Bildung auch nicht ein leisestes Bedürfnis haben! Einem hungrigen Magen ist schwer predigen, ehe er nicht Speise und Trank zu sich genommen hat. Das ist so meine unmaßgebliche Ansicht. Du, o Herr und Meister, hast wohl ganz recht; denn Du allein kennst Deine Werke ja vollkommen! Aber auch ich glaube nicht ganz unrecht zu haben; denn auch für meine Annahme spricht die Erfahrung aller Zeiten und Völker.“

212. Kapitel. Die Not als Lehrerin.

01. Sage Ich: „Wahr und gut, und Ich kann dir durchaus nicht sagen, daß du hier auch nur ein unwahres Wort geredet hast; aber stelle du die Sache auf einem Weltkörper also her, daß alle Menschen ohne ihre besondere Arbeit und sonstige Tätigkeit so recht leidlich für den Leib versorgt dastehen und erkennen würden, daß sie sogestaltig ganz ohne Sorgen leben können, — und du hast in kurzer Zeit deine europäischen Nordvölker allenthalben vor dir!

02. Deine europäischen Nordvölker aber waren einst in Asien, als der Wiege des Menschengeschlechtes, ebenso und noch besser mit allem versorgt als nun deine Römer und hatten eine unmittelbare Erziehung aus den Himmeln genossen; und es gab Weise unter ihnen, wie sie bis auf Mich die Erde nicht trug; aber was war die Folge davon? Sie aßen und tranken ganz gemütlich, wurden von Tag zu Tag träger und verfielen von Geschlecht zu Geschlecht in den gegenwärtigen Stand; nun aber in solchem ihrem armseligsten Zustande müssen sie sich im Schweiße ihres Angesichtes den magersten Unterhalt für ihren Leib verschaffen und sind aber dabei dennoch nicht ganz ohne Weise und Lehrer.

03. Und siehe, ebensolche ihre Not wird sie nach und nach auf eine Bildungsstufe setzen, die die gegenwärtige Roms bei weitem übertreffen wird in jeder Hinsicht!

04. Es wäre darum nicht gut, den Menschen also zu stellen, daß er so ganz versorgt wäre dem Leibe nach; denn dann würde er am Ende so träge werden, daß er sich aber dann auch um nichts mehr kümmern würde. Und dieses Bestreben nach der trägen, sorgenlosen Ruhe ist wieder eine Eigenschaft des an und für sich toten Körpers; die Seele, die zum größten Teile ihre formelle Konsistenz sich erst bei gerechter Tätigkeit aus dem Leibe zu schaffen hat, würde in der sorglosen Ruhe des Leibes auch mitruhen, da auch in ihr ursprünglich der Hang zur Untätigkeit überwiegend vorhanden ist.

05. Durch die schmerzlichen Bedürfnisse des Leibes aber wird die Seele zuerst aus ihrer Lethargie geweckt; denn sie fühlt es, daß eine gänzliche Unversorgtheit des Leibes ihr am Ende mit dem Leibe den Tod brächte. Sie setzt daher in der Not des Leibes alle Hebel in Bewegung und versorgt, so gut es geht, zuerst den Leib. Da sie aber nun eine große Scheu vor dem Tode hat, so fängt sie dann gar bald an, neben der Tätigkeit für den Leib auch sich mit der Forschung des eigentlichen Lebens abzugeben und findet aus ihrer wachgewordenen Liebe zum Leben bald, daß sie als Seele etwa noch fortlebe, wenn auch der Leib in den Tod gelegt wird.

06. Daraus entwickelt sich dann endlich eine Art Glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Dieser Glaube wird dann mehr und mehr lebendig und zu einem Bedürfnisse des Menschen.

07. Aber denkendere Menschen, deren es allenthalben gibt, sind dann bald nicht mehr zufrieden mit dem alleinigen Glauben und forschen demselben tiefer nach, erproben seine Kraft und suchen, wo dessen Kraft nicht mehr auslangt, ihn mit stärkeren und gewisserart handgreiflicheren Mitteln als vollends wahr zu erweisen.

08. Das Volk hält solche Forscher dann gewöhnlich für von einem Hochgeiste befruchtete und geleitete Seher und Hörer, die auf dem Wege der Unterredungen mit Geistern tiefere Kunde vom Leben der Seelen nach dem Tode erhalten.

09. Solche Forscher werden dann vom Volke gewöhnlich zu Priestern erhoben; und diese, wohl einsehend, daß sie dem Volke ein unerläßliches Bedürfnis sind, mißbrauchen am Ende häufig solch ein zumeist unbedingtes Vertrauen ihres Volkes, suchen selbst ihren irdischen Nutzen dabei und sind am Ende nichts als pur blinde Leiter der Blinden. Aber es ist dabei noch immer etwas Gutes, nämlich daß dabei das Volk stets in einem wenn noch so schwachen Verbande mit den Himmeln verbleibt.

10. Mit der Zeit, wenn der blinde Glaube auch an die Priester ein schwacher und immer schwächerer wird, erstehen im Volke wieder neue Forscher, die das Alte prüfen und nie ganz verwerfen, das Gute davon mit ihren neuen Forschungsresultaten verbinden und am Ende eine ganz neue Lehre ans Tageslicht fördern, die sich nicht mehr mit dem blinden Glauben begnügt, sondern nur mit der vollen Überzeugung, gegründet auf Tatsachen, die nötigerweise vor jedermanns Augen zur beurteilungswürdigen Schau gestellt werden können.

11. Und sieh, auf diese Weise findet endlich, wenn schon auf mühsamen Arten und Wegen, die jüngste Menschengeneration die Wahrheit und in dieser aus den vielen Erfahrungen auch die Gesetze, nach denen das Leben der Menschen zu leiten ist, auf daß sich die schwer aufgefundene Wahrheit unter den Menschen für immerdar rein erhalte.

12. Wenn dann zu solchem Funde, der allein aus der stets zunehmenden Tätigkeit der Menschheit von selbst hervorgegangen ist, endlich noch eine außerordentliche Kunde aus den Himmeln zu den Menschen kommt als ein mächtiges, wunderbares Licht, dann ist so ein Volk wie ein Mensch für sich gerettet und im Geiste wie neu— und wiedergeboren; und sieh, alles das geht dir nie aus der leiblichen, sorglosen Versorgtheit heraus, sondern aus der Not und Sorge der Menschen!

13. Ich sage es dir: In der Not wird sogar das Tier erfinderisch, geschweige der Mensch.

14. Wenn der Mensch durch die Not so recht zum Denken genötigt wird, dann fängt bald die Erde unter seinen Füßen zu grünen an; ist er aber versorgt, so legt er sich gleich dem Tiere auf die faule Haut und denkt und tut nichts.

15. Siehe, Ich dürfte der Erde nur hundert nacheinanderfolgende sehr gesegnete Fruchtjahre geben, und alle Menschheit würde vor Faulheit wie die Pest zu stinken anfangen; aber da Ich stets gute und schlechte Fruchtjahre auf der Erde miteinander abwechseln lasse, so muß die Menschheit gleichfort tätig sein, muß in dem guten Fruchtjahre für ein möglich nächstkommendes schlechtes fürsorgen, um da nicht Hungers zu sterben. Und so bleibt die Menschheit wenigstens einerseits gleichfort in einer Tätigkeit; wogegen sonst die Menschheit nur zu bald in die vollste Lethargie übergehen würde. — Verstehst du auch solches?“

213. Kapitel. Die Folge der Wohlversorgtheit.

01. Sagt Cyrenius: „Herr, Du bist wahrhaft der Meister der Menschheit und bist nun eine lebendigste Schule des wahren Lebens, und ich weiß nun vollkommenst, woran ich bin, und woran alle Menschheit ist. Nur das einzige geht mir noch nicht recht ein, warum ein Volk, das irgend doch ein wenig übers Sklaventum hinaus leiblich versorgt wäre, am Ende in eine völlige Lethargie übergehen müßte! Darüber möchte ich noch gerne ein erläuterndes Wörtchen aus Deinem Munde, o Herr und Meister, vernehmen!“

02. Sage Ich: „O Freund, frage die Geschichte der Völker der Erde; siehe an das alte, wohlversorgte Ägypten, siehe an Babel und Ninive, siehe an Sodoma und Gomorra! Ja, siehe an das israelitische Volk in der Wüste, das Ich vierzig Jahre hindurch aus den Himmeln mit Manna versorgt habe! Und so siehe du noch eine Menge fertig gewordener Völker an, und du wirst es nur zu bald finden, wohin die leibliche Wohlversorgtheit alle diese Völker gebracht hat!

03. Siehe, zum Beispiel wird ein versorgtes Frauenzimmer am Ende nichts mehr tun, als sich putzen und schmücken den ganzen Tag über; am Ende wird sie sogar dazu zu faul und läßt sich von anderen waschen, putzen und schmücken. Aber das dauert auch nicht immer zu lange; am Ende wird solch ein verweichlichtes Frauenzimmer sogar zum Sich—bedienen—Lassen zu träge und wird auf diese Weise ein förmliches Schwein, wo nicht gar ein vollkommenes Faultier, wie es deren gibt in Indien und Mittelafrika. Frage: Was ist hernach mit einem solchen Weibe etwa noch anzufangen? Welcher geistigen Bildung ist es noch fähig? Ich sage es dir: Nicht einmal zu einer Hure taugt es mehr! Das war ja auch in Sodoma und Gomorra der Fall, darum eigentlich das Volk anfing, sich mit der Unnatur zu befriedigen! — Verstehst du das?“

04. „Wahrlich“, sagt Cyrenius, „so freigebig mit der glänzendsten Weisheit warst Du meines Wissens noch kaum je! Ich muß es offen gestehen, da Du diesmal mir mehr gesagt hast als alle andern Male, in denen ich das Glück hatte, Dich zu hören. Es ist nun alles klar und sonnenhelle, was Du uns hier wahrlich aus der Wurzel der Entstehung und des Seins der Menschheit in allen ihren Verhältnissen mitgeteilt hast, — nur etwas geht mir dennoch ab; weiß ich das auch noch, dann bin ich wahrlich versorgt für die Ewigkeit! Soll ich die Frage stellen, oder liest Du sie mir schon wieder also aus meinem Herzen?“

05. Sage Ich: „Frage diesmal nur, der andern wegen, damit sie gleich anfangs auch vollends innewerden, um was es sich da handelt!“

06. Spricht Cyrenius: „Nun denn, wolle mich denn gnädigst vernehmen!“

214. Kapitel. Die Widersprüche in der Schöpfungsgeschichte.

01. (Cyrenius:) „Ich habe in meinem nun schon ziemlich lange andauernden Erdenleben oft und allezeit vergeblich nachgedacht, wie denn so ganz eigentlich und, sage, natürlich wahr die erste Menschheit dieser Erde zur Erkenntnis eines höchsten Geistwesens und zur Erkenntnis ihres eigenen seelisch—geistigen Teiles gelangt ist. Ich habe darüber die Bücher Ägyptens, die Schriften der Griechen und die Bücher eures Moses gelesen, auch ist mir einmal ein indisches Werk in die Hände geraten, das ich von einem Manne in Rom, der ein Indier war, mir habe vorlesen und verdolmetschen lassen; aber ich fand überall eine gewisse mystische Bildersprache, aus der kein kluger Mensch irgend noch klüger werden konnte, und somit auch ich um so weniger, weil ich mir in meiner Jugend schon immer eingebildet habe, daß alle anderen Menschen um vieles klüger denn ich selbst seien. Überall kommen logische Ungereimtheiten vor, die, wörtlich genommen, ein Unsinn sind.

02. So zum Beispiel heißt es in eurem Moses: ,Am Anfange schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Da sprach Gott: ,Es werde Licht!‘ Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward denn aus Abend und Morgen der erste Tag.‘

03. Darauf wird in sehr kurzen Thesen die Scheidung des Wassers, das Trockenmachen des Erdreiches und das Erschaffen des Grases, der Gesträuche und Bäume berührt. Mit diesem Erschaffen vergehen drei Tage und somit auch Nächte. Weil Tage und Nächte aber schon von der Erschaffung des ersten Lichtes auf der finsteren Tiefe der Erde herrühren, so sehe ich nachher wahrlich nicht ein, warum Gott am vierten Tage abermals nötig hatte, noch zwei große Lichter zu erschaffen und sie an den Himmel zu setzen, von denen das größere Licht regiere den Tag und das andere, kleinere die Nacht.

04. Halten wir das nun mit der Natur der Erde zusammen und bedenken wir, was nach Deiner Erklärung die Sonne, der Mond und all die Sterne sind, so ist ja die ganze Schöpfungsgeschichte Mosis ein so kompletter Unsinn, wie es auf der lieben Erde sicher nirgends einen größeren gibt und geben kann! Wer kann daraus je klug werden? Wir wenigen wissen es, daß die Erde kein unendlicher Kreis, sondern nur eine sehr große Kugel ist, wie Du Selbst sie schon als ein zartes Kind in Ägypten mir, wie nun später uns vielen, sehr anschaulich und wahr gezeigt hast. Auf der Erde wird es eigentlich nie Nacht, weil ein Teil der Erde immer von der Sonne erleuchtet wird. Anderseits ist der Mond ein sehr unbeständiger Patron und kümmert sich ganz blutwenig um die Regierung der Nacht, höchstens einige Tage im Monat.

05. Also ist auch das ein Wahnsinn, zu sagen, daß aus Abend und Morgen ein Tag gemacht wird, während es doch jedermann aus der Erfahrung seines ganzen Lebens weiß, daß der Tag stets nur zwischen dem Morgen und dem Abende, nie aber zwischen dem Abende und dem Morgen zu stehen kommt; denn dem Abende folgt doch allzeit sicher die Nacht bis zum Morgen hin, und dem Morgen folgt der Tag bis zum Abende hin, und sonach liegt doch logisch richtig zwischen dem Morgen und Abend der Tag, und zwischen dem Abend und Morgen offenbar die Nacht.

06. Obschon das aber an und für sich zum Wahnsinn gerechnet werden muß, so ist aber doch noch die Diktion, daß Gott erst dann, als Er das Licht erschuf, eingesehen hatte, daß es gut war, eine Tollheit ohnegleichen! Denn Gottes höchste Weisheit muß doch schon von Ewigkeit her als selbst Licht alles Lichtes gesehen und gemerkt haben, daß das Licht gut war!?

07. In dem Buche der Indier steht vor der materiellen Schöpfung eine Schöpfung der reinen Geister, deren irgend später auch Moses erwähnt. Diese waren pur Licht, und namentlich habe der Erstgeschaffene Lichtträger geheißen.

08. Wenn denn Gott schon bei der Schöpfung der puren Lichtgeister doch offenbar den Wert des Lichtes hat erproben können, so Er etwa vorher von Ewigkeit in der tiefsten Finsternis geruht hatte — was Ihm übrigens gar nicht gleichsieht —, so ist es ja dennoch zum Tollwerden lächerlich, daß Gott nach der Schöpfung des Lichtes auf dieser Erde gewisserart von neuem erst wieder eingesehen habe, daß das Licht gut war!

09. Du siehst es Selbst, daß die ganze Schöpfungsgeschichte, wie sie von Moses gegeben wird, ein barster, ja sogar zum Tollwerden ärgerlicher Unsinn ist, so man die Sache nur einigermaßen natürlich nimmt; und es ist darum nicht sehr zu verwundern, daß eben die jüdischen Schriftgelehrten selbst solcher Lehre, die ein Unsinn ist, bei sich selbst keinen Funken Glauben schenken, sie aber dennoch des Volkes wegen aufrechterhalten und sich dafür recht gut bezahlen lassen. Das erkennen auch alle Großen Roms und belassen die Sache trotz des groben Unsinns, weil das blinde Volk dennoch darauf große Stücke hält und dabei im Lande sich so hübsch ruhig verhält.

10. Daß alle die Prinzipien, die von den Urlehrern an uns herübergekommen sind, nichts als leere Märchen und Fabeln — vom Naturstandpunkte aus betrachtet — sind, ist doch offenbar sonnenklar; denn daran kann naturgemäß auch keine halbe Silbe Wahrheit sein. Wenn aber unleugbar also, dann ergibt sich die große und gewichtigste Frage von selbst, und diese lautet, wie ich schon anfangs dieser meiner fraglichen Vorstellung berührt habe: Wie ist der Mensch auf dieser Erde geworden? Wie kam er zur Erkenntnis eines Gottes, und wie zur Erkenntnis seiner selbst, und wer lehrte ihn zuerst unterscheiden, was gut und was da böse ist? — Darüber, o Herr, gib uns noch ein Lichtlein, und wir sind geborgen!“

215. Kapitel. Die Entstehung des ersten Menschen.

01. Sage Ich: „Liebster Freund, hierüber habe Ich dir eigentlich schon einen so ganz tüchtigen Wink gegeben damit, daß Ich dir die Wirkungen der Not der Menschen und Völker darstellte; daß aber übrigens die Schöpfungsgeschichte Mosis, wörtlich auf die Schöpfung der Naturwelt angewendet, ein alleroffenbarster Unsinn wäre, den ein nur einigermaßen mit dem Gange der Weltnatur vertrauter Mensch auf den ersten Blick als den barsten Unsinn erklären muß und dessentwegen den guten Moses als einen Dummkopf ersten Ranges darzustellen genötigt wäre, ist durchaus nicht in Abrede zu stellen.

02. Aber wer den weiteren Verlauf der Mosaischen Bücher nur einigermaßen schärfer ins Auge faßt als irgendeine Fabel des griechischen Dichters Äsop, der muß es ja doch bald merken, daß sich Moses in seiner Bildersprache bloß nur mit dem beschäftigt, was da die Urbildung der ersten Menschen der Erde betrifft, und somit keineswegs etwa nur die Schöpfungsgeschichte der Erde und des Himmels und all der Geschöpfe auf der Erde und in der Erde behandelt, sondern sich vor allem lediglich und nahezu allein nur mit der ersten Herzens— und Verstandesbildung der Menschen abgibt; darum er auch gleich das Menschlich— Historische daran bindet.

03. Die Geschichte aber konnte ja nur ein Produkt der intelligenten Bildung der Menschen und nie der stummen geschaffenen Natur sein, die sich völlig gleichgeblieben ist bis auf diese Zeit und auch also verbleiben wird bis ans Ende aller Zeiten.

04. Ebenso ist es auch mit den indischen Büchern der Fall, in denen von der Erschaffung der reinen Geister zuerst, dann von dem Falle eines Teiles derselben unter dem Titel ,Jehovas Kriege‘ und endlich erst von der Erschaffung der Sinnenwelt und der Tiere und am Ende von der des Menschen die Rede ist.

05. Alles das ist nur geistig zu nehmen und vor allem dahin zu erklären, was da betrifft die sittliche Bildung des Menschen.

06. Wer da aber dann, vom Geiste heraus geleitet, die Entsprechungen zwischen der Sinnen— und Geisterwelt wohl innehat, dem kann es dann freilich wohl auch möglich sein, daraus zu ersehen, wie so ganz eigentlich aus der Geisterwelt die Sinnenwelt hervorgegangen, wie und von woher die Sonnen und am Ende die Planeten und Nebenplaneten und auf all denselben allerlei Geschöpfe entstanden sind.

07. Aber das geht nicht gar so leicht; denn da heißt es: zuvor im Geiste völlig erweckt sein. Denn nur der urälteste Zeuge alles Werdens und Seins kann dir jene Labyrinthe vollends erhellen, hinter die noch bis jetzt kein sterbliches Auge gedrungen ist.

08. Daß aber über all das hinaus das Alter des Menschengeschlechtes in der Vollendung, wie es jetzt dasteht, dennoch mit den Rechnungen Mosis, auch der Materie und der Zeit nach, übereinstimmt, dessen kannst du völlig versichert sein.

09. Es gab zwar auf der Erde lange vor Adam auch eine Art mächtiger Tiere, die zwar nicht in der Gestalt, aber desto mehr in einer, wenngleich instinktmäßigen, aber dabei dennoch sehr scharfen Intelligenz dem Verstande des darauffolgenden Menschengeschlechtes glichen. Der heutige Elefant ist noch so eine, wennschon psychisch viel unvollkommenere Abart davon.

10. Diese großen Tiere haben auch schon die Erde bebaut und waren somit die Vorläufer der Menschen. Die Erde war vor dem Menschen von ihnen viele tausendmal tausend Jahre bevölkert.

11. Durch diese großen Tiere mußte erst der noch sehr harte Steinboden der Erde erweicht und für das Gedeihen edler Früchte und Tiere tauglich gemacht werden, bevor er endlich fähig war, die zarteste Natur des Menschen leiblich hervorzubringen nach dem Plane der ewigen göttlichen Ordnung, wie solcher in eine jede, damals zwar noch materiefreie, aber dennoch schon in der Luft der Erde lebende Naturseele gelegt war.

12. Als der Boden der Erde völlig reif war, da erst ward eine kräftigste Seele aus ihrer freien Luftnatur berufen, sich aus dem fettesten Lehmhumus einen Leib nach der Ordnung der in der Seele seienden Urform Gottes zu nehmen. Und die erste reifste und kräftigste Seele tat dies, wie sie von innen aus durch die göttliche Kraft getrieben ward, und es trat sogestaltig die erste Seele in einen von ihr aus wohlorganisierten frischen und kräftigen Leib und konnte nun völlig schauen alle Sinnenwelt und viele Geschöpfe, die schon alle vor ihr waren.

13. Aber das große Tiergeschlecht samt seiner Vorschöpfung verschwand zum größten Teile schon lange vorher von der Erde, als der erste Mensch mit seiner gottähnlichen Majestät die weite Erde begrüßte. Aber dessenungeachtet werden sich noch zu allen Zeiten Überreste von dieser Vorbewohnerschaft auf und in der Erde vorfinden; aber die Menschen werden nicht wissen, was sie daraus machen sollen.

14. Die Weisen aber werden nach und nach dennoch dadurch auf die Spur geführt werden, daß die Erde älter ist als die kurze Zeit der mosaischen Rechnung nur, und Moses wird dadurch auf eine Zeitlang sehr in Mißkredit gelangen. Aber da werden von Mir aus wieder andere Weise erweckt werden, durch die Moses erst in sein vollstes Licht gesetzt werden wird; und von da an wird es nimmer lange währen, daß das volle Reich Gottes auf der Erde Platz greifen und der Tod von der erneuten Erde für immerdar verschwinden wird. Aber es wird zuvor noch viel Ungemach über den Boden der Erde kommen.

15. Ja, der Boden der Erde wird zuvor noch vielfach durch das Blut und Fleisch der Menschen durchgedüngt werden müssen, und aus solch einem neuen geistigen Humus erst wird dann die auch leiblich unsterbliche Epoche für diese Erde beginnen, so wie zu Adams Zeiten die Epoche begonnen hatte, in der aus dem fetten Lehmhumus die Seele sich einen vollkommenen Leib in ihrer Gottform bilden konnte.

16. Aber die Menschen, die hier im Geiste schon völlig wiedergeboren worden sind in ihrem sterblichen Leibesleben, werden dann für immer über diese neue Epoche als reine Geister und Engel herrschen, und sie wird ganz ihrer Führung anvertraut werden. Hingegen Menschen dieser Zeit, die da keine geistige Vollendung erreicht haben, werden in dieser neuesten Epoche der Erde zwar wohl mit unsterblichen Leibern auf die Erde gesetzt werden, aber in großer Armseligkeit, und werden sich sehr auf das oft sehr harte Dienen verlegen müssen, was ihnen sehr bitter munden wird, weil sie sich ihres früheren sehr glücklichen Zustandes in ihren sterblichen Leibern nur zu klar erinnern werden. Diese Epoche wird dann sehr lange währen, bis endlich alles in ein rein geistiges Sein übergehen wird nach dem ewigen Plane Gottes. Und siehe, das ist der Gang der Ordnung Gottes, aller Dinge, alles Werdens, Bestehens und Seins!“

216. Kapitel. Der Entwicklungsprozeß eines Weizenkornes.

01. (Der Herr:) „Siehe an das Weizenkorn! Wenn es in das Erdreich gelegt wird, muß es verfaulen, und aus dem Moder der Verwesung erst erhebt sich der zarte Keim. Was besagt aber das gegenüber der Natur des Menschen?

02. Siehe, das Hineinlegen des gesunden, schönen Samens bedeutet entsprechend das erste Werden des Menschen! Es ist gleich dem Eingefleischtwerden der an und für sich schon ganz ausgebildeten Seele, deren vorleiblicher Aufenthalt die Luft, besonders in der Mittelregion der Berge, ist, wo gewöhnlich die Baumregion aufhört, bis zur Schnee— und Eisregion hinauf.

03. Wenn eine einmal ganz beisammenseiende Seele die gehörige planmäßige Konsistenz in der Luft erreicht hat, so steigt sie tiefer und tiefer bis zu den Wohnungen der Menschen herab, bekommt dann aus dem Außenlebensätherkreise, den ein jeder Mensch um sich hat, eine gewisse Nahrung und bleibt, wo sie angezogen wird durch die Homogenität (Gleichartigkeit) ihres Wesens.

04. Wenn dann irgend Gatten sich durch den Naturtrieb genötigt fühlen, eine Begattung zu begehen, so erhält eine solche vollreife und dem Gattenpaare zunächststehende freie Naturseele aus dem Außenlebensäther eine momentane Kunde, oder sie wird durch die vermehrte Kraft des Außenlebenskreises der Gatten als homogen angezogen, tritt mit einem gewissen Zwange während der Begattungshandlung in den Strom des Mannes und wird durch diesen in ein kleines Ei gelegt, was man die Befruchtung nennt. Und siehe, von da an gleicht die Lebensseele dann schon dem Samenkorne, das irgend ins Erdreich gelegt ward, und macht im Mutterleibe alle die Stadien entsprechend durch bis zur Ausgeburt in die Welt, die das Samenkorn in der Erde durchgemacht hat, bis es den Keim treibt über den Erdboden!

05. Von da an beginnen dann die verschiedenen Stadien der zuerst äußeren und hernach der inneren Bildung.

06. Bei der Pflanze bleiben die Wurzeln in der Erde, dem alten Modergrabe des Samenkornes, und saugen von da die materielle Kost. Diese Kost aber würde der Pflanze bald den Tod geben, wenn sie nicht geläutert würde durch den Einfluß des Lichtes der Sonne.

07. Des Halmes erster Ansatz hat noch sehr materielle Säfte. Ist dieser als Grund ausgebildet, so wird der Halm durch einen Ring gewisserart abgebunden. Durch diesen Ring gehen schon viel feinere Röhrchen, durch die nur ganz dünne und feine Säfte gehen können.

08. Aus diesen entsteht dann ein zweiter Stock des Halmes. Da aber auch die Säfte des zweiten Stockes noch grober materieller Art sind und mit der Zeit noch gröber werden, so wird abermals ein Ring gesetzt und dieser zweite Ring mit noch dünneren Röhrchen versehen, durch den nur ganz feine Säfte dringen können zur Ernährung des über ihnen schwebenden Lebensgeistes, ähnlich der Diktion Mosis: ,Und der Geist Gottes schwebte über den Gewässern.‘

09. Mit der Zeit aber werden auch diese Säfte oder Wässer für das über ihnen schwebende Leben der Pflanze wieder zu grob und könnten das Leben ersticken; und es wird darum ein dritter Ring, mit gar sehr dünnen Röhrchen versehen, von dem über den Gewässern schwebenden Geiste gezogen. Durch solchen dritten Ring können nunmehr nur äußerst ätherisch zarte und mit dem stets noch über ihnen schwebenden Lebensgeiste schon sehr verwandte Säfte mit Mühe dringen. Der Lebensgeist merkt es aber wohl, ob die Säfte über dem dritten Ringe ihm zur ferneren Ausbildung ganz taugen oder nicht. Findet er sie mit der Zeit noch zu grob und noch zu sehr Spuren des Gerichtes und des Todes enthaltend, so wird noch ein vierter, fünfter, sechster, auch siebenter Ring gezogen, bis endlich die Säfte also ätherisch rein sind, daß in ihnen vorderhand keine Spur des Todes mehr zu entdecken ist.

10. Hier erst wird zu einem neuen Stadium geschritten. Der durch die allerfeinsten Röhrchen gehende Saft wird nun zur Knospe und zur Blüte geformt, die da mit Organen versehen werden, die alle Fähigkeit besitzen, sich das höhere Leben aus den Himmeln einzeugen zu lassen.

11. Hat die Blüte diesen Dienst geleistet, dann wird sie abgeschieden als ein eitler Weisheitsprunk, durch dessen Schönheit und Reiz eigentlich der Liebelebensäther angezogen wird, der aber selbst in sich alles ist und keines weiteren Außenprunkes bedarf. Denn sieh, jede Blume ist eine wohlgeschmückte Braut, die dadurch ihren Bräutigam in ihr Garn zu ziehen trachtet, daß sie sich zuvor recht schmückt! Hat der Bräutigam aber die Braut einmal als sein eigen ergriffen, da wird der flitterige Brautschmuck ehest abgelegt, und der demütige Lebensernst nimmt seinen Anfang.

12. Von da beginnt dann erst die wahre Lebensfrucht sich zu ergreifen und zu formen. Und ist dann alle Tätigkeit nur auf die Vollreifwerdung der Frucht verwendet, so verwahrt sich das in der Frucht allen früheren Gefahren entronnene Leben, wie durch feste Burgen vor irgendeinem noch immer möglichen äußeren Feinde.

13. Wo das Leben sich zu schnell auszubilden und auszureifen beginnt, da wird es denn auch nur wenig fest. Und siehe, wenn da irgendein äußerer Feind in die Nähe solch eines zu frühreifen Lebens kommt, so zieht ihn dieses zu sehr an; er setzt sich damit in eine Verbindung, legt seine Frucht in das zu frühreife Leben der Pflanzenfrucht! Dieses Afterleben zieht dann das zarte Leben der Pflanzenfrucht an sich, verdirbt es und richtet es zugrunde. Die wurmstichigen Früchte sind dafür mehr als ein handgreiflicher Beweis.“

217. Kapitel. Die geistige Entwicklung des Menschen.

01. (Der Herr:) „Wie aber mit den Pflanzen, so auch mit den Tieren und besonders mit den Menschen.

02. Nehmen wir an eine zarte, frühreife Maid, bloß nur physisch. Sie zählt noch kaum etwa zwölf Jahre, ist aber schon in allen ihren Leibesteilen derart ausgebildet, daß sie das Aussehen eines mannbaren Mädchens hat. Solch eine Maid reizt dann jeden Mann, der nur ein wenig sinnlicher Natur ist, mächtiger denn hundert auch noch so schöne, aber an Jahren reife Dirnen. Eine solche frühreife Maid ist dann ihrem Leibe nach hundert Gefahren ausgesetzt, und es gehört von seiten ihrer Eltern die größte Sorgsamkeit dazu, solch eine zu früh reif gewordene Tochter vor allen den ihren großen Reizen nachstellenden Feinden zu bewahren. Wird sie zu früh einem lüsternen Manne gegeben, so wird sie leicht verdorben in ihrer Fruchtbarkeit; wird sie zu sehr eingesperrt und von aller schlimmen Luft abgehalten, so wird ihr Fleisch, wie man zu sagen pflegt, mockig. Sie wird bleich, zehrt ab und erreicht selten ein nennenswertes Alter. Bekommt sie wenig Kost, und das nur eine Magerkost, so wird sie traurig und zehrt am Ende auch früh ab; wird sie gut genährt, so wird sie noch fetter und unbehilflicher und dadurch träge, so daß ihr Blut bald absteht und sie bald das Aussehen einer Leiche überkommt, was dann ihrem Leibe offenbar einen frühen Tod bringen muß.

03. Das gleiche ist mit einer zu frühzeitigen übertriebenen seelischen Bildung der Fall. Wenn daher Kinder von oft nur wenig Talenten zur Weisewerdung mit einer Strenge angehalten werden, als gälte es die Erhaltung einer Welt, so werden solche Seelen dann matt, weil sie zuvor nicht Zeit hatten, ihren Leib als für alle Fälle brauchbar auszubilden!

04. Daher braucht alles nach der Ordnung Gottes seine Zeit, und es läßt sich da nirgends ein sogenannter Prachtsprung tun.

05. Bei der Ausgeburt des Leibes aus dem Mutterleibe wird der ewige Lebenskeim als ein Fünklein des reinsten Gottesgeistes in das Herz der Seele gelegt, gleichwie bei der Frucht einer Pflanze, wenn sie die Blüte abgeworfen hat und sich für sich zu wappnen und zu konsolidieren (festigen, sichern) anfängt. Ist der Leib einmal ausgebildet, so beginnt die Ausbildung des Geistes im Herzen der Seele. Hier muß dann die Seele alles mögliche aufbieten, daß der Geist in ihr zu keimen beginne, und muß ihm förderlich an die Hand gehen.

06. Die Seele ist hier die Wurzel und der Halm, und der Leib das Erdreich; sie muß dem Geiste kein grobes Wasser zur Nahrung geben.

07. Die Ringe, die der Geist zieht, sind die Demütigungen der Seele. Ist der letzte einmal gezogen, dann entwickelt sich der Geist endlich von selbst und nimmt alles ihm Verwandte aus der Seele in sich auf, konsolidiert sich und nimmt am Ende die ganze Seele, und was im Leibe mit der Seele verwandt war, in sich auf und ist dann für ewig völlig unzerstörbar, so wie wir solchen Gang wieder nahezu bei jeder Pflanze mehr oder weniger klar bemerken können.

08. Wenn die Frucht auf dem ordentlichen Wege die nahe Vollreife erlangt hat, werden in die in ihr ruhenden Körner Lebenskeimfünklein in zarte, schon vorbereitete Hülschen gelegt; darauf sperrt sich der Kern von der andern Frucht auf eine Zeitlang ganz ab und konsolidiert sich wie für sich, aber dennoch immer zur Hälfte aus dem Lebensäther der ihn umgebenden Frucht.

09. Mit der Zeit fängt die äußere Frucht an einzuschrumpfen und zu vertrocknen. Warum denn? Weil ihre Seele ganz übergeht in das Leben des Keimgeistes im Kerne. Und ist die Lebenskraft der Frucht endlich ganz in den Lebenskeimgeist übergegangen, so wird der früher durchgängig lebendige Halm in allen seinen Stadien trocken und tot; aber dafür hat sich dann alles Leben der Pflanze mit dem Keimleben zu einem gleichen Leben vereinigt und kann als solches nimmer vernichtet werden, ob es an die Materie des Kernes gebunden ist oder nicht.

10. Und so siehst du ein und dieselbe Ordnung überall und in allen Dingen und dieselben Stadien.“

218. Kapitel. Seele und Leib.

01. Sagt Cyrenius: „Herr, vergib, hier muß ich eine Zwischenfrage tun! Was geschieht denn mit dem Keimchen des Weizenkornes, so es zermalmt, zu Mehl gemacht, endlich als Brot gebacken und gegessen wird? Lebt auch in diesen Stadien der Lebenskeim noch immer fort?“

02. Sage Ich: „Allerdings; denn wenn du das Brot issest, so wird das materielle Mehl bald wieder durch den natürlichen Gang aus dem Leibe geschafft, das Keimleben aber geht dann als Geistiges sofort in das Leben der Seele über und wird nach entsprechender Beschaffenheit eins mit ihr. Das mehr Materielle des Lebenskeimes aber, das ihm immer, wie das mosaische Wasser dem Geiste Gottes, zur soliden Unterlage diente, wird Nahrung des Leibes, geht endlich als gehörig geläutert auch in die Seele über und dient ihr zur Bildung und Ernährung der seelischen Organe als ihrer Glieder, ihrer Haare usw. und überhaupt zur Bildung und Ernährung alles dessen, was du vom Alpha bis zum Omega an einem menschlichen Leibe findest.

03. Daß aber eine Seele aus allen den gleichen Teilen wie der Leib besteht, davon kannst du dich an dem Engel Raphael, der an unserem Tische sitzt und sich nun mit dem Josoe unterhält, mehr als handgreiflich überzeugen. (Mich zum Engel wendend:) Raphael, komm hierher, und laß dich befühlen von Cyrenius!“

04. Der Engel kommt, und Cyrenius betastet ihn und sagt: „Ja, ja, das ist alles Natur und sozusagen im Ernste Materie! Er hat wahrlich ebenso wie wir alle Glieder und dieselbe Form wie unsereins, nur ist alles edler, weicher und um sehr vieles schöner; denn die Anmut seines Gesichtes ist, man kann es sagen, unübertrefflich strahlend schön! Es ist zwar durchaus kein Mädchengesicht, sondern ein männliches, mit allem Ernste gegeben, aber dabei dennoch schöner als das schönste Mädchengesicht! Ich habe mich früher wahrlich viel zuwenig bekümmert um diesen Gesellschafter. Er wird ordentlich immer schöner, je länger ich ihn betrachte. Mein Himmel, das ist wahrlich sonderbar! (Zum Engel sagend:) Höre, du herrlich schönster Engel, fühlst du auch Liebe in deiner schönsten Brust?“

05. Spricht der Engel: „O sicher; denn mein geistiger Leib ist gleich der göttlichen Weisheit, und mein Leben ist die ewige Liebe Gottes des Herrn. Und weil mein Leben pur Liebe ist, so muß ich ja doch auch die Liebe fühlen, da mein Leben selbst nichts als die purste Liebe ist.

06. Wie konntest du als ein sonst so weiser Mann mich doch um so etwas fragen? Sieh, was Gott der Herr von Ewigkeit in Sich Selbst war, ist und bleiben wird ewig, das müssen ja auch wir sein, weil wir vollkommen aus Ihm und somit auch völlig in allem Sein Wesen sind, gleichwie der Strahl der Sonne auch vollends das ist und wirket, als was die Sonne selbst ist! Wenn aber also, wie dann solch eine Frage?!“

07. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, das ist schon ganz wahr und richtig, und ich hätte das auch ohne deine Erklärung gewußt; aber ich mußte dich ja doch um etwas fragen, auf daß ich den Ton deiner Rede zu hören bekam. Nun aber sind wir auch schon fertig miteinander, und du kannst dich wieder auf deinen Platz begeben!“

08. Sagt der Engel: „Das hast nicht du, sondern allein der Herr mir zu gebieten!“

09. Sagt Cyrenius: „Freund, wie es mir vorkommt, so bist du bei deiner Schönheit, Weisheit und Liebe aber dennoch so hübsch fest im trotzigen Eigensinne!?“

10. Sagt der Engel: „O mitnichten! Aber von den Sterblichen kann und darf mir keine Vorschrift gegeben werden; denn bei mir selbst bin ich ein Herr und lasse mir von niemand etwas vorschreiben, weil mein Ich nun, abgesehen, daß ich völlig in allem aus Gott bin, ein vollkommen selbständiges Ich ist! Zudem brauche ich mich nicht wie die Menschen dieser Welt vor etwas zu fürchten; denn dazu habe ich eine Macht und Kraft, von der dir noch nie etwas geträumt hat. Willst du aber diese näher kennenlernen, so frage du den Hauptmann Julius und meine Jüngerin Jarah und auch die Jünger des Herrn; diese werden dir davon schon etwas zu erzählen verstehen!“

11. Sagt Cyrenius: „Herr, sage Du ihm, daß er sich wieder auf seinen Platz begeben möchte, sonst fange ich an, mich im Ernste ganz entsetzlich vor ihm zu fürchten; denn mit dem möchte ich wahrlich keine Kirschen verzehren! Er wird stets gröber und hitziger, und es ist mit ihm bei all seiner Schönheit nichts zu machen.“

12. Sage Ich zum Engel: „Nun, so begib dich denn wieder auf deinen Platz!“ — Und der Engel folgt augenblicklich Meinem Wink und begibt sich wieder an seinen alten Platz. Und Cyrenius ist sehr froh darüber; denn er hat vor dem Engel schon in allem Ernste sich sehr zu fürchten angefangen.

13. Gleich darauf aber fragen Mich Johannes und Matthäus, ob sie das alles aufzeichnen sollen.

14. Sage Ich: „Das könnt ihr tun für euch, aber fürs Volk braucht ihr das nicht aufzuzeichnen; denn das ist noch um zweitausend Jahre zu jung, um das zu fassen. Den Schweinen aber soll man die Perlen nimmer vorwerfen, weil sie solche Kost von der schlechtesten Schweinekost gar nie zu unterscheiden vermögen. Aber für euch und für wenige andere könnet ihr das ja immerhin aufzeichnen.“

15. Und die beiden Jünger tun das auch mit entsprechenden Bildzeichen zum Unterschiede dessen, was sie auf Mein Geheiß mit den ordentlichen hebräischen Buchstaben niedergeschrieben haben.

219. Kapitel. Die Schöpfung des Himmels und der Erde.

01. Cyrenius bittet Mich aber um die Fortsetzung der Erläuterung der Mosaischen Schöpfungsgeschichte in der entsprechenden Weise.

02. Und Ich sage: „Freund, was Ich begonnen, werde Ich auch vollenden; nur steht es vorderhand und vor der Zeit noch dahin, ob ihr es wohl fassen werdet. Denn um die Mosaische Schöpfungsgeschichte ordentlich zu fassen, muß man sehr in der Kenntnis über das ganze Wesen des Menschen sein, zu der es aber ebensoschwer zu gelangen ist, wie zur richtigen und vollen Erkenntnis Gottes.

03. Und so müßte Ich euch erst den ganzen materiellen, seelischen und geistigen Bau des Menschen von Faser zu Faser und von Fiber zu Fiber zergliedern und endlich zeigen, wie das Seelische sich zuerst aus dem Geistigen und das Materielle aus Seelischem entwickelt und geformt hat, und unter welchen zahllos vielen Entsprechungen, die wie die endlos vielen Lichtgrade mit den ebenso vielen Lichtmangelgraden korrespondieren.

04. Ihr sehet aus dem, daß dies so leicht und so geschwind, wie ihr es meint, der Fall nicht sein kann; aber Ich werde euch dennoch soviel darüber sagen, als ihr vorderhand ertragen könnet, und wofür mit einiger Überzeugung zu fassen ihr schon in eurer Seele mit Erfahrungen und nötigen Vorkenntnissen versehen seid. — Und so horchet denn!

05. So da Moses spricht: ,Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde‘, so will Moses damit durchaus nicht den sichtbaren Himmel und die sichtbare, materielle Erde verstanden haben, weil er als ein echter Weiser daran wohl nie gedacht hatte, indem er stets nur die vollste innerste Wahrheit in seinem erleuchteten Sinne hatte. Aber diese seine tiefe Weisheit verhüllte er in entsprechende Bilder, also, wie er zum Zeugnisse dessen sein zu strahlendes Angesicht mit einer dreifachen Verhüllung vor dem Volke verdecken mußte.

06. Unter ,Himmel‘ aber, was Moses zuerst als erschaffen anführt, ist zu verstehen, daß Gott die Intelligenzfähigkeit einstens, wie schon in der Zeit außer Seinem ewigsten und geistreinsten Zentrum, wie gewisserart außer Sich hinausgestellt hat — aber, wie gesagt, nur die Intelligenzfähigkeit. Diese ist gleich einem Spiegel, der in der finstersten Nacht wohl auch die Fähigkeit besitzt, äußere Gegenstände abbildlich in sich, oder vielmehr auf seiner glattesten Fläche, vollkommen treu und wahr aufzunehmen und wiederzugeben. Aber in der vollsten Nacht, und daselbst in der ebenso vollen Objektlosigkeit, ist der Spiegel doch offenbarst eine Sache für nichts und wieder nichts!

07. Moses aber berichtet darum sogleich neben der Hinstellung eines Himmels, oder der Intelligenzfähigkeit außer dem Lebenszentrum Gottes, von einer sozusagen gleichzeitigen Kreierung (Erschaffung) der Erde. Wer und was aber ist wohl diese mosaische Erde? Ihr meinet wohl: ,Nun, diese, die uns trägt!‘ — Oh, weit gefehlt, Meine Lieben!

08. Sehet, unter der ,Erde‘ verstand Moses bloß die Assimilations— und Attraktionsfähigkeit (Angleichungs— und Anziehungsfähigkeit) der untereinander verwandten, hinausgestellten Intelligenzen, die fast ein Gleiches ist mit dem, was einige Weltweise der Ägypter und Griechen Ideenassoziation (Gedankenverbindung) nannten, wo aus verwandten Begriffen und Ideen endlich ein ganzer mit Wahrheit erfüllter Satz zum Vorschein kommen muß.

09. Wenn aber in den von Gott hinausgestellten Intelligenzfähigkeiten zufolge ihrer Verwandtschaft die wechselseitige Anziehung schon wie von selbst mitbedungen war, so ergibt sich auch die dritte Folgerung wie von selbst, nämlich daß sich die unter sich verwandten Intelligenzfähigkeiten auch wirklich wechselseitig angezogen und ergriffen haben, — für welchen damals noch tief geistigen Akt Moses offenbar doch kein tauglicheres und allgemeineres Bild aufstellen konnte, als eben das Bild der materiellen Erde, die an und für sich nichts als eben ein Konglomerat (Zusammengeballtes) von lauter attraktionsfähigen und unter sich, wie in sich verwandten Substantialpartikeln ist.

10. Aber ,Es war noch finster auf der Tiefe‘ spricht Moses weiter. Wollte etwa Moses dadurch im Ernste die Lichtlosigkeit auf der neugeschaffenen Erde andeuten? Ich sage es euch, davon hatte dem weisen Moses selbst auch im Anfange seines dümmsten Seins nie etwas geträumt! Denn Moses war ein tiefer Kenner der Weltnatur und war in ägyptische tiefste Weisheit und Wissenschaft zu eingeweiht, als daß er nicht gewußt hätte, daß die Erde — als ein Kind der Sonne wenigstens um eine milliardmal Milliarden von Erdjahren jünger als die Mutter Sonne — bei ihrer Entstehung nicht finster sein konnte; sondern Moses hat damit nur abermals bildlich angedeutet, daß die Intelligenzfähigkeit und die attraktionsfähige Verwandtschaft der Intelligenzen noch kein wie immer geartetes Erkennen, Verständnis und Selbstbewußtsein — was alles identisch ist mit dem einen Begriffe ,Licht‘ —, sondern das Gegenteil so lange bedingen muß, bis sie sich ergreifen, sich danach zu drücken, zu reiben und also gewisserart miteinander zu kämpfen anfangen.

11. Habt ihr aber noch nie bemerkt, was da zum Vorschein kommt, wenn man Steine oder Hölzer stark miteinander zu reiben anfängt? Sehet, da kommt dann Feuer und Licht zum Vorschein! Und sehet, das ist das Licht, das Moses entstehen läßt im Anfange!“

220. Kapitel. Erde und Licht.

01. (Der Herr:) „Was sonach das Licht zu bedeuten hat, wissen wir; aber es heißt zuvor noch, daß die Erde wüst und leer war! Das ist ganz sicher; denn mit der Fähigkeit allein, etwas in sich aufnehmen zu können, wie auch mit dem schon gefühlten Bedürfnisse dazu, ist noch kein Gefäß vollgemacht worden. Solange aber im Gefäße nichts ist, so lange auch ist das Gefäß wüst und leer.

02. So auch ist es bei der Urschöpfung der Fall gewesen. Es waren aus Gott wohl eine zahlloseste Menge von Gedanken und Begriffen durch die allmächtige Willenskraft Seiner Liebe und Weisheit in alle Räume der Unendlichkeit hinausgestellt worden, welche Gedanken und Begriffe wir vorher die einzelnen spiegelartigen Intelligenzfähigkeiten genannt haben, und zwar darum, weil jeder einzelne Gedanke gewisserart eine Reflexion (Widerstrahlung) im Haupte von dem ist, was das stets tätige Herz in sich produziert.

03. Wie aber ein Gedanke oder ein Begriff für sich noch gleich einem leeren Gefäße oder auch gleich einem Spiegel im finstersten Keller ist, also ist auch die gesamte gegenseitige (Ideen—)Verwandtschaft noch wüst und leer; und da noch keine Tätigkeit der Intelligenzfähigkeiten untereinander, sondern pure Fähigkeiten zum Sein und zur Tätigkeit vorhanden sind, so ist also auch noch, wie schon ehedem bemerkt, alles kalt, feuer— und lichtlos.

04. Alle diese noch tat— und regungslosen Gedanken und Ideen der göttlichen Weisheit werden auch höchst treffend verglichen mit dem ,Wasser‘, in dem auch zahllose Spezifikalelemente wie zu einem einfachen zusammengemengt sind, aus dem aber endlich dennoch alle Körperwelt ihr höchst verschiedenartiges Dasein nimmt.

05. Aber all die großen Gedanken und daraus entwickelten Ideen in der Weisheit Gottes, und mochten sie noch so wahr gewesen sein, hätten aber dennoch nie irgendeine Realität erhalten können, sowenig als die Gedanken und Ideen irgendeines Weisen der Erde, so ihm zur Realisierung derselben die Mittel fehlen. Ist je irgendeine Wirklichkeit denkbar, die dem Gedanken und den Ideen folgen soll, so müssen zuerst die entsprechenden Mittel und durch diese die wahre Tätigkeit der Gedanken und Ideen von innen wie von außen her auf diese einwirkend und von einer hohen Kraft und Macht ausgehend herbeigeschafft werden.

06. Wenn irgendein Mensch sonach Gedanken zu Ideen verband und sie bewerkstelligt haben möchte, so muß er, abgesehen, daß er dazu die nötigen materiellen Mittel hat, zu seinen Gedanken und Ideen eine recht übermächtig große Liebe fassen. Von solcher Liebe werden dann seine Gedanken und Ideen also gehegt, wie da hegt eine Henne ihre Küchlein. Dadurch werden die Gedanken und die daraus entstandenen Begriffe als schon mehr konkrete Ideen stets lebendiger und ausgebildeter. Und sehet, solch eine Liebe ist eben der Geist Gottes in Gott Selbst, der da, nach Moses, auf dem Wasser schwebte, das an und für sich nichts anderes besagt, als die noch form— und wesenlose unendliche Masse der Gedanken und Ideen Gottes!

07. Durch diesen Geist belebt, fingen die Gedanken Gottes an, sich zu großen Ideen zu verbinden, und es drängte ein Gedanke den andern und eine Idee die andere. Und seht, da geschieht dann in der göttlichen Ordnung ja wie von selbst das ,Es werde Licht!‘ und ,Es ward Licht!‘ Und sonach erklärt sich nach Moses denn auch sogar der natürliche große Schöpfungsakt von Uranbeginn von selbst — mit dem gleichgehend aber endlich auch, und zwar hauptsächlich, der seelische und geistige Bildungsprozeß vom neugeborenen Kinde an bis zum Greise und vom ersten Menschen der Erde bis auf unsere Zeiten und so fort bis ans einstige Ende dieser Welt — in allem!

08. Nun kommt im Moses freilich ein Satz, demnach es das Ansehen hat, als ob Gott erst nach dem sich aus dem Feuer der Liebetätigkeit des Geistes entwickelten Lichte einzusehen anfinge, daß das Licht gut sei; allein es ist dem bei weitem nicht also, sondern es ist dies nur ein Zeugnis der ewigen und endlosen Weisheit Gottes, laut dem dies Licht ein wahrhaft freies, sich von selbst aus der Tätigkeit der Gedanken und Ideen Gottes nach der Ordnung der Weisheit entwickeltes Geistlebenslicht ist, durch das die auf diese Weise von Gott hinausgestellten Gedanken und Ideen Gottes sich als selbständige Wesen nach eigener Intelligenz weiterhin, natürlich unter dem unvermeidbar beständigen Einflusse Gottes, wie von sich selbst heraus ausbilden können. Dieses wird sonach durch den Beisatz Mosis verstanden, aber nicht, als ob Gott erst dadurch zur subjektiven Einsicht gelangt wäre, daß das Licht etwas Gutes sei!“

221. Kapitel. Scheidung von Licht und Finsternis.

01. (Der Herr:) „Aber nun kommt etwas, das im Grunde des Grundes schwieriger zu fassen ist als das Vorhergehende. Denn es heißt ferner: ,Da schied Gott das Licht von der Finsternis und hieß das Licht Tag und die Finsternis Nacht.‘ Diese Sache wird aber leichter verständlich, so ihr statt der beiden von Moses aufgestellten allgemeinsten Begriffe die entsprechenden mehr sonderheitlichen nehmt, als für den Tag das schon selbständige Leben und für die Nacht den Tod, oder für den Tag die Freiheit und für die Nacht das Gericht, oder für den Tag die Selbständigkeit und für die Nacht die Gebundenheit, oder für den Tag das sich selbst schon erkennende Liebeleben des göttlichen Geistes in der neuen Kreatur und für die Nacht die noch unbelebten Gedanken und Ideen aus Gott.

02. Diese Ordnung aber findet ihr ebenfalls auch wieder schon in einer jeden Pflanze, bei der ihr bis zum Ansatze der Frucht noch nichts denn die Nacht findet oder den gierenden Tod, wo der Geist Gottes noch der Vorbildung der Leben tragenden Materie wegen auf dem Wasser der finsteren Tiefe schwebt. Ist die Unterlage aber einmal insoweit solid, daß am Weizenhalme der Schöpfung der letzte Reif unter der Ähre gezogen werden kann und das eigentliche wahre Geistleben sich als ein selbständiges zu ergreifen, zu fühlen und im hellen Selbstbewußtsein sich zu begreifen, zu erkennen und zu verstehen beginnt, so geschieht da doch eine offenbare Teilung oder vielmehr Scheidung des Lichtes von der Finsternis, des freien Lebens von dem Gerichtsleben, oder eigentlich des unverwüstbaren Lebens von dem zerstörbaren Gerichtsleben, das da gleich ist dem Tode unter dem allgemeinsten, alles umfassenden Begriffe Nacht.

03. Und ferner heißt es: ,Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.‘ Was ist der ,Abend‘, und was ist hier der ,Morgen‘? — Der Abend ist hier derjenige Zustand, in dem sich die Vorbedingungen zur endlichen Aufnahme des Liebelebens aus Gott durch den Einfluß des allmächtigen Gotteswillens zu konstatieren (bekunden) und zu ergreifen anfangen, gleich den einzelnen Gedanken und Begriffen zu einer Idee. Sind diese einmal konstatiert (gediehen) bis zum letzten Ringe unter der Fruchtähre, so hat da die Verrichtung des Abends ein Ende, und es beginnt dann die freie und selbständige Tätigkeit zur eigenen Sichselbstbildung in der Frucht. Wie die Menschen aber den Übergang der Nacht in den Tag den Morgen nennen, so auch ward entsprechend der Übergang des vorhergehenden gerichteten, unfreien Zustandes der Kreatur in den freien, selbständigen der Morgen genannt. Und sehet, da hat Moses durchaus keinen logischen Fehler begangen, so er aus dem Abende und aus dem Morgen den ersten und alle darauffolgenden Tage entstehen läßt!

04. Daß Moses sechs solche Tage aus dem Abende und Morgen entstehen läßt, hat zum Grunde, weil nach sorglicher Beobachtung und Forschung ein jedes Ding von seinem Urbeginne bis zu seiner Vollendung als das, was es ist, genau im Wege ein und derselben göttlichen Ordnung die sechs Perioden durchzumachen hat, bis es als das, was es vorderhand sein soll, vollendet dasteht, gleich einer vollreifen Weizenähre am abgestorbenen Halme.

05. Die Samenlegung ins Erdreich bis zum Erkeimen: erster Tag; von da die Bildung des Halmes und der Saug— und Schutzblätter: zweiter Tag; von da die Bildung des letzten Ringes knapp unter dem sogleichen Ansatze der ersten Anlagen zur Bildung der Ähre: dritter Tag; von da die Bildung und Einrichtung der hülsenartigen Gefäße gleich den Brautgemächern zur Einzeugung des freien, selbständigen Lebens, wozu auch der Blütenstand zu nehmen ist: vierter Tag; von da der Abfall der Blüte, die Entstehung der eigentlichen, schon ein freies Leben tragenden Frucht und deren freie Tätigkeit — obschon noch im Verbande mit den früheren, unfreien Zuständen, aus denen noch ein Teil der Nahrung zur Bildung der Häute genommen wird, obschon von da die Hauptnahrung aus den Himmeln des Lichtes und der wahren Lebenswärme genommen wird — bis zur vollen Ausbildung der Frucht: fünfter Tag; endlich die gänzliche Ablösung der in der Hülse reif gewordenen Frucht, wo der Kern dann schon ganz allein zu seiner vollsten Konsolidierung (Festigung) und eben so allein und nun schon vollkommen selbständig die reine Kost der Himmel verlangt, sie annimmt und sich damit frei sättigt fürs freieste, ewig unzerstörbare Leben: sechster und letzter Tag zur Bildung und vollen Freiwerdung des Lebens.

06. Am siebenten Tag tritt dann die Ruhe ein, und das ist der Zustand des nun fertigen, vollreifsten und für die Ewigkeit bestandfähig aus den früheren Zuständen konsolidierten (gefestigten) Lebens, ausgerüstet mit der vollen Gottähnlichkeit.“

222. Kapitel. Das Endziel der gesamten Schöpfung.

01. (Der Herr:) „Wenn ihr dies nun von Mir zu euch Gesagte nur so ein wenig tiefer und reifer als die gewöhnlichen Menschen dieser Zeit überdenken wollet, so werdet ihr, wenn schon gerade nicht in aller Tiefe der Tiefen, leicht finden und einsehen, daß Moses mit seiner Schöpfungsgeschichte wohl nur die einzig wahre und mit aller Ordnung der ewigen Weisheit vollkommen übereinstimmende Entstehung und Fortbildung aller Dinge von ihrem Urbeginne bis zu ihrer höchsten Vollendung unter seinen trefflichen Bildern verstanden hat.

02. Wer Moses aber nicht also versteht, der soll ihn auch gar nicht lesen; denn liest er ihn und versteht ihn aber also verkehrt, so muß er endlich bei nur einigem Nachdenken ganz irre werden, und er kommt in einen rechten Ärger über die unlogische Dummheit Mosis und über die am Ende sogar böswillige Dummheit aller derer, die eine so unlogische dümmste Lehre, als sogar vom Geiste Gottes eingegeben, den Menschen unter Feuer und Schwert aufdringen ohne alle Rücksicht darauf, ob sie auch ihnen selbst als eine allergröbste Dummheit vorkommt.

03. Wer aber mit dem nun gezeigten rechten Verständnisse den Moses liest, der wird in ihm nicht nur den umfassendst weisen, sondern auch den vom Geiste Gottes allerdichtest durchdrungenen, wahrsten Propheten erkennen, der die ausgedehnteste Fähigkeit und danebst den festesten Willen hatte, all den Menschen alle Tiefe der Tiefen über Gott und über alle geschaffenen Dinge die vollwahrste Kunde also zu geben, wie er sie in seinem Riesengeiste vom Geiste Gottes Selbst empfangen hatte!

04. Also entstanden die Sonnen alle für sich, die Erden für sich, und jedes einzelne auf den Sonnen und Erden für sich, und also auch in ihrem allgemeinen Zusammenhange. Und so entstand der Mensch im engsten Sinne für sich, und eben also im allgemeinsten, weil die ganze Schöpfung in aller ihrer Allgemeinheit einem Menschen völlig gleicht und entspricht, und weil jedes einzelne, vom Größten bis zum Kleinsten, der ganzen geistigen und materiellen Schöpfung ebenfalls dem Menschen entspricht und entsprechen muß, weil der Mensch der eigentliche Grund und das Endziel der gesamten Schöpfung ist. Er ist das endlich zu gewinnende Produkt all der Vormühen Gottes.

05. Und weil eben der Mensch das ist, was Gott durch alle die Vorschöpfungen erreichen wollte und auch erreicht hat, wovon ihr als unwidersprechbare Beweise dastehet, so entspricht auch alles in den Himmeln und auf all den Weltkörpern in allem dem Menschen, wie es Moses auch in seiner Schöpfungsgeschichte dargestellt hat, und wie es auch andere Volkslehrer, wenn schon verhüllter, dargestellt haben. Prüfet aber nun alles, und ihr werdet es finden, daß es sich nur also und unmöglich anders verhält und verhalten kann! — Du, Cyrenius, aber sage es Mir, wie du nun mit Moses zufrieden bist!“

223. Kapitel. Zeugnis des Cyrenius über die Schöpfungsgeschichte.

01. Sagt Cyrenius: „Herr und Meister, wahrlich, Deine Weisheit geht über alles, was je die Erde als Weisestes segnete, unendlich hoch und weit darüber hinaus! Denn ist es schon viel, ein großer Weiser für sich zu sein, so ist es aber dennoch endlos mehr, die tiefste und verborgenste Weisheit Gottes mit verständiger Rede also darzustellen, daß sie Menschen, ohne irgendeine besondere Weisheitsbildung zu besitzen, wie wir da sind, leicht und klar fassen können. Das kann nach meiner Ansicht nur Gott allein möglich sein; denn ein noch so weiser Mensch kann am Ende gleich dem Moses seine vom Gottesgeiste empfangene Weisheit nur in entsprechende Bilder einfassen, oder diese werden ihm schon wie Samenkörner gegeben, die er dann gleich einem Sämann ins Erdreich der Menschenherzen legt. Von solchen Körnern gehen dann wohl so manche entsprechende Früchte hervor; aber die Menschen erkennen die Früchte oft ebensowenig, als sie die in ihre Herzen gestreuten Samenkörner erkannten, und es ist da mit einer solchen Aussaat am Ende wenig geholfen. Ernten die Menschen deren reif gewordene Früchte ein, so wissen sie aber dann am allermeisten dennoch kaum, was sie daraus machen sollen, und wozu sie eigentlich zu verwenden seien.

02. Gewöhnlich wird schon von den ersten Ausstreuern der Weisheitssamenkörner eine nie ganz richtige Anwendung gemacht, und um so weniger erst hernach von ihren späteren Nachfolgern; denn würden die allerersten Aussäer der Weisheitskörner von deren Früchten einen vollkommen richtigen und wahren Gebrauch gemacht haben, so müßten alle ihre Nachfolger auch unmöglich einen andern als nur einen rechten und wahren Gebrauch davon machen. Weil aber sicher aus einem unrechten Verständnisse schon die Propheten Fehler wider ihre schwachverstandene Lehre gemacht haben, so waren derlei kleine Fehler ganz sicher der Grund von den hernach großen in den späteren Nachfolgern.

03. Moses und Aaron mögen wohl sehr rein nach der ihnen vom Geiste Gottes geoffenbarten Lehre gelebt haben; ob sie aber ihre Lehre aus Gott kommend ebenso verstanden haben, wie Du sie uns nun enthüllt hast, ist eine große Frage und ist sehr zu bezweifeln. Denn man kann eine fremde Sprache und deren Schrift wohl recht gut und ganz richtig auf ein Blatt übertragen, ohne davon irgend etwas aus dem Grunde zu verstehen.

04. Aber also, wie Du, o Herr, uns nun die Genesis Mosis erläutert hast, kann kein weiterer Zweifel im Herzen des Menschen übrigbleiben, und die Befolgung solch einer Lehre sowohl im rechten Verständnisse und in rechter Tat danach kann dann ja offenbar keine andere als auch nur eine richtige sein.

05. Aber da Du, o Herr, nun schon so freigebig geworden bist mit der Enthüllung der tiefsten und verborgensten Wahrheiten, so gib uns allen noch so einen kleinen Aufschluß über den sogenannten ,Fall der Engel‘, als der ersten geschaffenen Wesen, dann vom ,Falle Adams‘ und endlich von der sogenannten ,Erbsünde‘, die als ein schlechtes Erbteil an alle späteren Menschen übergegangen ist. Wenn es nicht zu spät ist und wir solches nur einigermaßen zu fassen imstande sind, so tue noch einmal Deinen wahrhaft heiligsten Mund auf und gib uns davon nur so einige feste Winke, auf daß wir auch darin nur so ein wenig über die alltägliche Gewöhnlichkeit zu Hause sein möchten!“

06. Sage Ich: „Ja, Mein liebster Freund, das ist wohl eine noch härtere Nuß als die Mosaische Schöpfungsgeschichte selbst, obschon sie eigentlich in dieser völlig enthalten ist und für den emsigen Forscher nun schon wie ein Gold am freien Tage liegt. Wenn du aber nur nach einem bloßen festen Winke dürstest und nicht nach einer durchgeführten Lehre, so kann Ich dir solch einen Gefallen ja recht gerne erweisen; denn zur Aufstellung einer durchgeführten Lehre darüber hätten wir wohl alle zu wenig Zeit, da es nun schon um die dritte Nachtwache geworden ist. — Wer da Ohren hat, der höre!“

224. Kapitel. Über den Fall der Geister, den Fall Adams und die Erbsünde.

01. (Der Herr:) „Der Fall der erstgeschaffenen Geister oder der freien und belebten Ideen Gottes im endlosen Raume ist die große Scheidung, von der Moses sagt: ,Da schied Gott das Licht von der Finsternis!‘ Wie aber solches zu verstehen ist im wahren Sinne der rechten und vollrichtigen Entsprechung, habe Ich euch allen bereits zur Genüge gezeigt; der Erfolg davon — die notwendige materielle Welt, deren große und kleine Teile als Sonnen, Erden und Monde und alles, was in und auf denselben — ist durch den endlosen Raum ausgestreut.

02. Was aber da betrifft den ,Fall Adams‘, so hat solcher schon freilich mehr Objektivität als der sogenannte ,Fall der Engel‘, ist aber dabei in der Entsprechung dennoch homogen dem Falle der Engel; nur kommt bei ihm schon wirklich ein positives Gesetz zum Vorscheine, während es sich bei dem Falle der Engel noch lange um kein solches Gesetz handeln konnte, weil damals erst mit der großen Entwicklung der frei zu machenden Wesen der Anfang gemacht ward und sonach außer Gott noch keine solche Intelligenz dastand, der man irgendein positives Gesetz hätte geben können.

03. Darum geschah unter dem sogenannten ,Falle der Geister‘ auch eine notwendige und genötigte Scheidung, während die adamitische, als schon von ihm selbst ausgehend, eine freie war und sonach keine Nötigung, sondern ein freier Akt des schon in allen seelischen Sphären freien ersten Fleischmenschen. Im ganzen ist sie aber dennoch auch ein vorhergesehener Aktus aus der geheimen Ordnung Gottes, die zwar nie als eine absolute Nötigung, aber dennoch als eine Zulassung unter ,du sollst‘ und ,du sollst nicht‘ dem freien Willen des Menschen wegen seiner aus der eigenen Tätigkeit zu gewinnenden Konsolidierung gegeben wird.

04. Es ist da ein Unterschied wie zwischen einem Kindmenschen, der seine eigenen Füße noch nicht gebrauchen kann und daher von einem Orte zum andern hingetragen werden muß, und einem gesunden Manne, der schon lange oft nur schon zu gut und zu fest gehen kann.

05. Wer aber einmal selbst gehen kann, den braucht man ja doch nicht mehr gleich einem neugeborenen Kinde an einen Ort hinzutragen, den man mit dem Kinde und für das Kind erreichen will, sondern man zeige ihm den geradesten und untrüglichen Weg bis zum Orte der Bestimmung. Will der gesund— und starkfüßige Mensch darauf hingehen, so wird er das Ziel auch sicher und gefahrlos erreichen; macht er aber freiwillig Umschweife und Umwege, nun, so muß er sich's dann aber auch selbst zuschreiben, so er das vorgesteckte Ziel oft um vieles später, schwerer und mühevoller erreicht.

06. Und das sehen wir denn auch bei Adam. Hätte er das positive Gebot beachtet, so wäre die Menschheit, resp. die vollkommene Seele des Menschen, nicht zu dem sehr harten, schweren und gebrechlichen Fleischleibe gekommen, der nun mit gar vielen Gebrechen und Mängeln behaftet ist.

07. Aber der Ungehorsam gegen das positive Gesetz hat den ersten Menschen notwendig auf einen weiten Umweg gebracht, auf dem er nun das Ziel um vieles schwerer und um vieles später erreicht.

08. Du meinst freilich und sagst bei dir: ,Ei, was kann denn ein kleines, bloß moralisches Gesetz, ob es beachtet oder nicht beachtet wird, auf die gesamte Natur des Menschen für einen gar so wesentlichen Einfluß nehmen? Adam wäre ohne den dummen Genuß sicher ebenso der fleischliche Adam geblieben, als er es durch den Genuß des Apfels geblieben ist, und er hätte dereinst dem Fleische nach sicher ebensogut sterben müssen wie nun noch alle Menschen!‘

09. Du hast einesteils wohl recht; aber andernteils auch unrecht. Es ist der Genuß eines Apfels, der eine gesunde und süße Frucht ist, sicher nicht todbringend; denn sonst müßten nun alle Menschen, die Äpfel essen, bald darauf sterben. Also am Apfel selbst liegt wenig oder auch nichts. Aber so er zum Genusse auf eine unbestimmte Zeit verboten wird, und das bloß nur der größeren Konsolidierung der Seele wegen, die Seele aber, ihres freien Willens bewußt, das Gesetz mißachtet und übertritt, so macht sie gewisserart einen Durchbruch in ihrem Wesen, und dieser gleicht dann einer offenen Wunde, die schwer je völlig zu heilen ist, weil, wenn die Wunde auch vernarbt, durch die Vernarbung eine Anzahl von Gefäßen so beengt werden, daß durch sie fürder die Lebenssäfte der Seele nicht gut zirkulieren können und darum an der Stelle der Narbe stets einen unbehaglich schmerzlichen Druck ausüben.

10. Dadurch aber wird dann die Seele abgezogen, hauptsächlich nur fürs freie Gedeihen des Geistes in ihr zu sorgen, und sie verwendet nun zum größten Teil ihre Tätigkeit darauf, daß die Narbe wieder vergehe. — Und sehet, diese Narbe heißt ,Welt‘!

11. Die Seele will zwar diese Narbe gleichfort loswerden; denn sie schmerzt die Seele im Gefühle der Sorge resp. Weltsorge. Aber je mehr die Seele sich da abmüht, desto derber wird die Narbe, und je derber sie wird, desto mehr Sorge erzeugt sie; und die Seele hat am Ende nichts zu tun, als sich allein mit der Heilung dieser alten Narbe zu beschäftigen, das heißt, sich sorglos zu machen, geht am Ende selbst nahezu ganz in diese Narbe über und kümmert sich wenig mehr um ihren Geist. — Und sehet, das ist die sogenannte ,Erbsünde‘!“

225. Kapitel. Die Macht der Vererbung.

01. (Der Herr:) „,Wie aber kann sich so etwas wohl vererben?‘ — wird man fragen. Oh, sehr leicht, besonders in der organischen Seelengestaltung. Was aber diese einmal angenommen hat, das kann ihr Tausende von Jahren bleiben, wenn solches nicht durch den Geist in ihr wieder in die volle Ordnung gebracht wird. Sehet den Typus eines Volkes an! Stelle Ich euch heute die Gestalt seines Urstammvaters vor, so werdet ihr es alle bald erkennen, daß eine bedeutende Ähnlichkeit auf alle seine Nachkommen übergegangen ist. War der Stammvater ein guter und sanfter Mann und also auch dessen Weib, so wird am Ende mit wenig Ausnahmen das ganze Volk ein mehr gutes und sanftes sein als ein Volk, das da einen zornmütigen, stolzen und herrschsüchtigen Stammvater hatte.

02. Wenn ein leichter, verwischbarer Zug eines Urstammvaters physisch und moralisch noch nach ein paar Jahrtausenden in allen seinen Nachkommen gar wohl zu erkennen ist, um wieviel mehr ein Zug des ersten Menschen der Erde in allen seinen Nachkommen, indem seine Seele im Anfange viel empfänglicher und somit notwendig um vieles reizbarer war als die späteren Seelen, denen das Merkmal des Vaters gleich bei der Zeugung im Strome des Lebenssamens eingeprägt ward und hernach auf natürlichem Wege nicht mehr verwischt und gar getilgt werden konnte. Leider verunstaltet solche Narbe die Seele sehr, und Gott hat allzeit alles angewandt, auf daß es irgendeiner Seele aus sich möglich werden könnte, solch eine böse Narbe für alle Zeiten vergehen zu machen; aber es wollte die Sache bis auf jetzt herab eben nicht besonders gut gelingen, und Ich kam nun Selbst darum auf diese Erde, um solch eine alte, häßliche Narbe auszutilgen.

03. Und Ich werde sie auch tilgen; aber das wird geschehen durch die vielen Wunden, die in Mein Fleisch geschlagen werden. Solches aber könnet ihr nun nicht fassen; wenn es aber kommen wird, dann werdet ihr es auch fassen, und der heilige Geist aller Wahrheit wird euch dann darüber in alle Weisheit leiten.

04. Ihr aber habet es ja auch gelesen im Moses, wie er da spricht vom Fluche Jehovas über die Erde, und wie es da heißt: ,Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dir fürder dein Brot bereiten!‘ Und dann heißt es auch gleich nach dem Fluche über die Erde: ,Dornen und Disteln wirst du tragen.‘

05. Seht, so ihr das materiell verstehen möchtet dem äußeren Wortlaute nach, so hättet ihr auch, das heißt, so die Sache sich ernstlich also materiell verhielte, ein vollstes Recht, Gott einer vollen Unweisheit zu beschuldigen! Aber indem solch eine Diktion (Ausspruch) bloß nur seelisch und eigentlich geistig zu nehmen und zu fassen ist, so fällt so eine Beschuldigung von selbst weg, und der Mensch muß es sich immer selbst zuschreiben, wenn an seinem Wesen etwas verschlimmert wird, so wie er es sich auch selbst zuzuschreiben hat, so in irgendeinem Lande die Ernte manchmal schlechter wird, als sie in der Regel sein müßte; denn bei der Witterung hängt nicht alles von dem Willen Gottes, sondern auch von dem der Menschen ab.

06. Wenn eine Seele einmal ihrer selbst vollkommen bewußt ist und zum Gebrauche ihrer Vernunft kommt insoweit, daß sie in sich gar wohl die Ordnung Gottes erschauen und erkennen kann, so muß sie dann für fernerhin wegen ihrer Konsolidierung selbsttätig werden, natürlich nach der in ihr bestehenden und erkannten Gottesordnung. Tut sie aber in irgendeinem Punkte das nicht, sondern unterläßt das, oder tut dafür gar etwas Entgegengesetztes, so muß sie sich ja offenbar in dem betreffenden Punkte selbst einen nicht leicht vertilgbaren Schaden zufügen, von dem sie sich dann nimmer frei machen kann von sich selbst heraus, weil alle ihre Tätigkeit dadurch schon mehr oder weniger eine unordentliche wird, aus der offenbar mit der Zeit stets mehr und mehr seelische Beschränktheiten erwachsen müssen als: allerlei Blindheit, Dummheit, Unverstand, schwache Fassungskraft, Furcht, Mutlosigkeit, Traurigkeit, Angst, Verdruß, Zorn, Wut und am Ende gar die Verzweiflung selbst.

07. Und seht, das eben sind die ,Dornen‘ und ,Disteln‘, die das ,Erdreich‘, das heißt die verkümmerten Intelligenzfähigkeiten der Seele in ihr selbst hervorwachsen lassen werden, gleich den Schmarotzerpflanzen auf den sonst gesunden Ästen der Bäume!

08. Der ,Fluch Gottes‘ aber ist nichts denn die der sich selbst verdorben habenden Seele kundgegebene, erleuchtende Einsicht, daß sie sich wirklich wider die Ordnung selbst verdorben hat, und daß sie darum aus höchst eigenem Verschulden fürder ihr Brot im Schweiße ihres Angesichtes wird suchen müssen.

09. Und der ,Schweiß des Angesichtes‘ ist eben die schon bekanntgegebene Sorgennarbe der Seele, die sie sich selbst durch Genuß jenes mosaischen Apfels beigebracht hat, was sie auch ganz gut hätte vermeiden können.

226. Kapitel. Weltsorgen und deren üble Folgen für die Seele.

01. (Der Herr:) „Und Ich sage es nun euch allen darum, daß ihr alle unnötige Sorge von euch verbannen sollet; denn jede Sorge der Welt wegen ist eben ein materielles Band, durch das sich eine Seele aus der alten adamitischen Narbe mit der Materie verbindet! Je mehr sich aber die Seele mit der Materie ihres Fleisches verbindet, desto mehr muß die Ausbildung des eigentlichen Geistes Gottes in ihr verkümmern; und je mehr sich dann die Seele durch ihre Sorge verbindet mit dem Leibe, der in sich nur ein Gericht, eine leidige Notwendigkeit und somit der Tod selbst ist, desto mehr verliert sie dann auch das Bewußtsein und die Erkenntnis des ewigen, unverwüstbaren Lebens in ihr. Je mehr sie sich aber ablöst von diesem Bande, desto freier wird sie wieder in allem, und je mehr sie sich dann verbindet mit dem göttlichen Geiste in ihr, desto lebendiger und stets heller wird darauf das Bewußtsein und die Erkenntnis des ewigen Lebens in der Seele werden.

02. Wer daher noch irgendeine große Furcht vor dem Tode des Leibes hat, dessen Seele steht noch in einem starken Verbande mit dem Fleische und in einem äußerst schwachen mit dem Geiste; denn eine große Liebe zum Leben auf dieser Welt ist ein sicheres Kennzeichen, daß die Seele sich noch sehr wenig bekümmert hat um das ewige Leben ihres Geistes in ihr, und daran schuldet die alte Narbe, die Adam sich selbst und dadurch allen in sein Fleisch eingezeugten Seelen geschlagen hat.

03. Aber dennoch kann sich jede Seele, so sie es recht will, auch völlig heilen von solch einer bösen Narbe. Denn dafür hat Gott schon gleich in der Gegenwart Adams die sicheren Vorkehrungen getroffen, und Adam selbst ist in seiner letzten Zeit nahezu ganz wieder heil gemacht worden. Henoch aber ist davon vollends heil gemacht worden; daher er auch in seinem Fleische umgewandelt worden ist, so wie noch einige der Urväter der Erde. Aber da sich deren Nachkommen dennoch gemischt haben mit den Kindern nicht geheilter Väter, so blieb das alte adamitische Übel dennoch, mehr oder weniger mächtig auftretend, unter den Menschen gleichfort zu ihrer Qual.

04. Daher stammen auch die schmerzlichen Geburten der Weiber, und daher die meistens sehr schmerzlichen Todesarten bei den Menschen. Denn eine schon durch des Mannes Samenstrom verwundete Naturseele verbindet sich gleich recht hartnäckig zuerst mit dem Fleische der Mutter und muß hernach bei der Ausgeburt stets gewaltsam unter allerlei Bandzerreißungen in die Welt hinausgeboren werden. Kinder aber, wie ein Isaak und dergleichen noch eine Menge in der Welt, sind bei voller Schmerzlosigkeit der Mutter aus ihr in die Welt hinausgeboren worden.

05. Also ist es auch mit dem Sterben der Fall. Menschen, die sehr am irdischen Leben hängen, und bei denen alle ihre Sorge auf dasselbe gerichtet ist, haben schon während ihres kurzen Erdlebens sehr viel zu leiden, werden oft seelisch und bald darauf sicher auch fleischlich krank und sehr elend, und vor dem Scheiden aus dem Leibe haben sie stets mit oft unerträglichen Schmerzen zu kämpfen und scheiden in einem höchsten, alles betäubenden Schmerze aus dem Leibe, der gar oft nach der Löse vom Leibe einen langwährenden Nachhall findet, besonders bei jenen Seelen, denen es auf der Welt in ihren Leibern so recht wohl und behaglich erging. Dagegen jene Seelen, die auf der Welt zu der heilsamen Überzeugung gelangt sind, daß alle Schätze der Erde der Seele nichts nützen, weil sie in den Tod sinken müssen wie der Leib, und sich darum von der alten Narbe Adams so frei als möglich gemacht, aber dafür ihren Geist, das Atma Gottes, in sich gefunden und mit aller der wahren Sorgfalt gepflegt haben —, haben fürs erste wenig mehr eine irgend wie immer geartete Krankheit des Leibes zu bestehen.

06. Ist das Leben der Seele einmal mit ihrem Geiste verbunden, so wird denn auch nach und nach ihr Leib eine geistigere Richtung annehmen und darum gefühlloser werden für die Eindrücke von seiten der äußeren Materiewelt; denn eine jede Krankheit des Leibes entsteht gewöhnlich aus dem Zerreißen irgendeines Bandes mit der Welt. Kurz, der Leib wird durch die lebenshungrige Seele mit tausend der verschiedenartigsten Bedürfnisse angestopft. Kann er zufolge klimatischer und tausend anderer Verhältnisse wegen nicht zufriedengestellt werden, so muß darum ein und das andere Band abgerissen werden, und der Leib wird darauf bald krank und sehr leidend, und mit ihm auch die Seele, welche am Ende mit ihrem Leibe die gleiche und eigentlich die vorzügliche Schmerzträgerin ist.

07. So aber die Seele ihren Leib und dadurch sich selbst an möglichst viele Entbehrungen aus dem Todesbereiche der Welt gewöhnt hat, so werden am Ende eben nimmer viele Bande zwischen den toten Gütern der Erde und dem Leibe vorhanden sein, und es wird da denn auch wenig mehr zum schmerzlichen Zerreißen sich vorfinden. Ist aber dadurch möglichst aller Grund zu den Krankheiten des Leibes behoben, so möchte Ich dann nachher doch Selbst wissen, woher diese noch in den Leib und in die empfindsame Seele kommen sollten.

08. Ja, bei solchen Menschen fühlt der Leib selbst dann von irgendeinem Schmerze nicht leichtlich mehr etwas, wenn er auch durch äußere arge Mittel gemartert und gepeinigt wird.

09. Sehet die bekannten Jünglinge in dem Feuerofen an! Sie sangen in aller Lebenslust und priesen Gott. Und wenn schon ihre Leiber mit der Zeit von der äußeren bösen Gewalt verzehrt wurden, so empfanden sie aber dennoch keinen Schmerz dabei; denn sie waren schon lange vorher aller Bande mit der Welt ledig und waren eins mit ihrem göttlichen Geiste. Und so fühlt denn fürs zweite eine solche vollends mit ihrem Geiste vereinte Seele beim Lostrennen vom Leibe, mit dem sie schon lange in keinem festen materiellen, sondern nur in einem überzarten, geistigen Bande verbunden stand, auch durchaus keinen Schmerz, sondern nur eine all ihr Wesen durchzuckende selige Wollust und verliert beim Trennen unmöglich weder das Bewußtsein, noch das Licht der seelisch geistigen Sehe, und ebensowenig das Gehör, den Geruch, den Geschmack und den edelsten und allerfeinsten Tastsinn, wie solchen nun unser Engel Raphael besitzt.

10. Aber, wie gesagt, um das zu erreichen, muß der Mensch sich zuvor die alte adamitische Sünde vom Leibe schaffen, und das geht auf keine andere Weise, als auf die nur, die Ich euch soeben gezeigt habe: die Weltsorgen müssen von der Seele freitätig über Bord geworfen werden, ansonst gibt es kein Mittel! Werden aber diese hinweggeschafft, dann tritt beim Menschen wieder alles in die alte göttliche Ordnung zurück, und der Mensch ist dann wieder ganz Mensch nach der Ordnung Gottes. Und sieh, das ist es, was man mit Recht die ,Erbsünde‘ nennt! An und für sich ist es offenbar das Fleisch, das man mit Fug und Recht die Erbsünde nennt; entsprechend geistig genommen aber ist eben die vielfache Sorge um das Fleisch die schwer vertilgbare Sünde Adams bei allen seinen Nachkommen.

11. Diese Narbe der Seele aber kann durch kein anderes Mittel völlig getilgt werden, als allein durch das von Mir angegebene und durch noch ein Mittel, das aber den Menschen erst nach der Beendigung Meiner Sendung in diese Welt wird gezeigt und gegeben werden zum Heile ihrer Seelen. Johannes der Täufer in der Wüste hat für dieses Mittel bereits einen Vorläufer gemacht.“

227. Kapitel. Über den Geisterfall.

01. (Der Herr:) „Wie es aber beim Menschen im kleinsten Maßstabe herging, daß er fiel in die Sünde und sich darum verdarb in seiner Natur, nahezu ebenso ging es dereinst auch bei der Erschaffung der reinen Geister aus Gott her.

02. Haben die Gedanken und daraus entstandenen großen Ideen Gottes sich einmal soweit gefunden und zu einem mit endloser Intelligenz begabten Wesen nach der Urform Gottes verbunden und sich ihrer freien Selbständigkeit bewußt zu werden angefangen, so war denn auch sicher das erste, um sie vollends frei zu machen, daß ihnen die Gelegenheit zur freien Tätigkeit gegeben und gezeigt ward, wie und auf welche Weise sie freitätig werden und sein können.

03. Wie soll aber das geschehen? Soll man ihnen bloß gewisserart sagen: Ihr seid nun lebendig, wie aus euch selbst heraus, und könnet tun, was ihr wollet!? — Da fragt es sich, ob solche Wesen, deren Leben noch keine Erfahrungen hat, sich zu irgendeiner freien Tätigkeit werden anschicken können. Ja, sie werden vielmehr, einem Freßpolypen gleich, sich nur aufs bloße Sättigen ihres Wesens mit einer entsprechenden Kost werfen und sonst sicher nichts weiteres tun, wie ihr solches bei geistig noch sehr ungeweckten Völkern ganz naturmäßig sehen und erfahren könnet; denn alle ihre Sorge ist auf den Bauch gerichtet, und alle ihre Tätigkeit geht auf die bestmöglichste Befriedigung dieses Leibteiles hinaus.

04. Ein anderer meint: Man sage ihnen nach ihrer Intelligenzfähigkeit, was sie zu tun haben, und so werden sie wohl danach tätig werden! — Gut, sage Ich, so aber in den noch sehr zur alten Ruhe geneigten Wesen, weil sie aus solcher herausgegangen sind, gar kein Tätigkeitssinn geweckt ist und vorderhand auch nicht geweckt sein kann, die Liebe zur vollen Untätigkeit vorzuwalten beginnt und die Wesen sonach dennoch nicht selbsttätig werden, was dann? Nicht wahr, man zwinge sie durch die dem Schöpfer offenbarst innewohnende Allmacht!

05. Wäre alles recht; aber wo bliebe dann die absolute Selbsttätigkeit, durch die allein ein geschaffenes Wesen zur vollen unabhängigen freien Selbständigkeit gelangen kann? Siehe, ohne diese ausgesprochene volle unabhängige Selbständigkeit aber bliebe ja jedes geschaffene Wesen eine pure Maschine, die nur nach dem Willen und nach der freien Intelligenz des Maschinenmeisters tätig wird!

06. Ihr seht aus dem nun schon ganz leicht, daß es sich da mit irgendeinem Muß durchaus nicht tut und tun kann; denn unter ,Muß‘ wirken nur Maschinen, deren es leider auf dieser Erde mit der Erde selbst nur eine noch zu große und grobe Menge gibt. Auch der endlose Raum ist mit solchen Mußmaschinen allenthalben erfüllt. Denn alle zahllosen Sonnen und Erden und Monde sind pure Maschinen, und alle Körperwesen auf und in ihnen sind es auch, sowie auch der Leib eines jeden Menschen an und für sich nichts als eine kunstvollste Maschine ist, die durch den freien Willen der Seele in eine mannigfachste Bewegung gesetzt werden kann.

07. Wenn aber also, und unmöglich je anders, wie hernach sollten denn die erstgeschaffenen reinen Geistwesen zur bedingten freien Selbsttätigkeit gelangen und daraus allein möglich zur vollen Selbständigkeit? Offenbar nicht und auf gar keine mögliche Weise anders, als durch ein ,Du sollst‘—Gebot, wennschon nicht also positiv wie bei Adam.

08. Aber das Gebot allein würde auch umsonst gegeben sein, so mit dem Gebote nicht auch zugleich der Trieb oder Reiz zur Übertretung desselben dem neugeschaffenen Wesen mit eingegeben wäre. Ist aber der Übertretungsreiz dem Wesen eingegeben, so muß auch irgendeine daraus wie von selbst hervorgehende schlimme Folge als gewisserart eine Strafe eingegeben sein, und es müssen dem Wesen die Folgen gezeigt werden, daß sie wirklich sind, und wie und warum sie einer dem gegebenen Gebote zuwiderlaufenden Handlung allzeit folgen werden und müssen.

09. Ja, man muß dem Wesen sogar zeigen, daß sich möglicherweise für das Wesen, das das Gebot übertretende Wesen nämlich, wohl anfangs irgendein kurz währender Vorteil erreichen läßt, aus dem es aber späterhin stets einen lange währenden Nachteil herausziehen wird, dem zu begegnen es dann viel harte Mühe und schmerzliche Anstrengungen kosten wird. Mit allem dem versehen, kann erst das neugeschaffene Wesen einen wahren Gebrauch von seiner freien Intelligenz und der daraus hervorgehenden Tatfähigkeit zu machen beginnen, gehe es dann wie es wolle, krumm oder gerade, recht oder unrecht. Kurz und gut, das neugeschaffene Wesen wird nun einmal aus sich heraus selbsttätig und beginnt dadurch den Hauptakt zur vollen und wahren Selbständigkeit, und das ist es, um was es sich am Ende bei allen geschaffenen Intelligenzwesen handelt; denn die Selbständigkeit wird dadurch erreicht, so oder so, entweder auf einem kürzeren oder längeren Wege, und der vollen Vernichtung eines einmal geschaffenen intelligenten Wesens ist dadurch vorgebeugt.

10. Ob aber das Selbständigsein vorderhand ein seliges oder unseliges ist, das ist dann ein und dasselbe, natürlich dem Schöpfer gegenüber; denn es ist einem jeden Wesen das Tor offen gelassen, auf den vorgezeichneten Wegen zur Seligkeit einzugehen. Will es — wohl und gut fürs Wesen; will es aber nicht — auch gut! Denn daran trägt dann niemand die Schuld als das Wesen selbst. Es behält seine Selbständigkeit ewig. Ob selig oder nicht, das ist dann ganz ein Ding; denn im Grunde des Grundes muß es als Geschöpf dennoch der Totalordnung des Schöpfers entsprechen.

11. Wissen wir aber nun das, nun, so wird es dann wohl etwa nimmer gar zu schwer sein, sich von selbst den Fall der ersten geschaffenen reinen Geister herauszuformulieren; denn auch ihnen mußte ein Gebot gestellt werden und mit demselben der notwendige Reiz zur Übertretung, verbunden mit momentanen Vorteilen, und anderseits aber, wenn auch nicht mit dem überwiegenden Reize für die Handlung nach dem Gebote, so aber doch mit der klar gestellten Ansicht der ewigen Vorteile, die, wennschon etwas später, aber doch stets sicher der Handlung nach dem gesetzten Gebote folgen werden und folgen müssen!

12. Daß nun darauf ein Teil der Wesen das Gebot beachtete und ein Teil aber nicht, das geht klar aus der sichtbaren materiellen Schöpfung hervor, welche als ein Gericht oder als die angedrohte Strafe auf die Nichthaltung des gegebenen Gebotes folgen mußte, und an und für sich, geistig genommen, nichts ist als der längere Weg zur seligsten, vollfreien Existenz der geschaffenen Geister.

13. Anderseits aber ist auch wieder unser Engel, als nun hier unter uns weilend, ein ebenso klarer Beweis, demzufolge dennoch zahllose Heere von damals frei geschaffenen Geistern das gegebene, wenn auch nicht wie bei Adam fest positive Gebot beachtet haben, und nun ist alle materielle Schöpfung ihrer Macht, Kraft und Weisheit in allem untergeordnet.

14. Dieser Engel aber wird für die späteren Menschen freilich wohl wenig Beweis geben können von dem, daß ein übergroßer Teil der erstgeschaffenen reinen Geister durch das gegebene Gebot nicht gefallen ist; aber das ist zur Seligkeit eines jeglichen Menschen auch durchaus nicht nötig; besonders solange irgendein Mensch noch nicht zur Vollkenntnis seiner selbst durch seinen Geist gelangt ist.

15. Gelangt aber irgendein Mensch dahin, so stehen ihm dann ohnehin, wie man zu sagen pflegt, in jedem Augenblick alle sieben Himmel offen, und er kann sich daraus Beweise holen, soviel er derselben nur immer haben will. Und so ist hiermit schon für alles gesorgt.

16. Sage du, Mein lieber Cyrenius, ob du nun von dem Sündenfalle der erstgeschaffenen Geister so einen erklecklichen Begriff dir zu machen imstande bist!“

228. Kapitel. Kraft und Widerstand.

01. Sagt der nun ganz glückliche Cyrenius: „Herr, Du siehst es ja klarst in meinem Herzen und durchschauest ebenso klar meinen Gehirnkasten, auf daß Du daraus sicher am besten ersehen kannst, ob ich die Sache ganz oder nur halb begriffen habe! Ich meine es wenigstens, so wie ich es fühle, daß mir nun die Sache klar ist wie die Sonne am hellen Tage. Aber es können dahinter noch immer Tiefen der Tiefen stecken, von denen bis jetzt vielleicht noch nie selbst dem vollkommensten Engelsgeiste etwas in den Sinn gekommen ist. Allein, ich bin mit dem, was ich nun weiß, vollkommen zufrieden und werde an dem zeit meines Lebens in Vollgenüge zu kauen haben; denn das alles geht über den höchsten Horizont des menschlichen Wissens und Erkennens ja schon ohnehin endlos weit hinaus!

02. Nur ein Wesen wird als sicher bestehend mir noch zu einem Rätsel, und das ist der Satan und sein Teufelskollegium. Nur darüber, Herr, noch ein erläuternd Wörtlein, und meine Seele ist dann gesättigt bis zum Tode meines Leibes! Denn damit bin ich noch sehr im unklaren. Was und wer ist der Satan, und was und wer sind dessen Helfershelfer, die man ,Teufel‘ nennt?“

03. Sage Ich: „Auch das ist für deine Begriffsfähigkeit etwas zu früh, um diese Sache im Grunde des Grundes einzusehen. Um dir und euch allen aber auch in diesem Punkte ein mäßig Lichtlein zu verschaffen, will Ich euch gleichwohl auch davon eine kleine Kunde zum besten eures Verstandes geben. Und so höret Mich denn!

04. Sehet, alles, was da ist, besteht und irgendein Dasein hat, kann nicht anders bestehen, sein und irgendein Dasein haben, als durch einen gewissen beständigen Kampf.

05. Ein jedes Dasein, das göttliche nicht ausgenommen, hat in sich lauter Gegensätze, als verneinende und bejahende, die sich einander stets also entgegenstehen wie Kälte und Wärme, Finsternis und Licht, hart und sanft, bitter und süß, schwer und leicht, eng und weit, breit und schmal, hoch und nieder, Haß und Liebe, böse und gut, falsch und wahr, und Lüge und Wahrheit.

06. Keine Kraft kann irgend etwas wirken, wenn sich ihr nicht eine Gegenkraft entgegenstellt.

07. Stellet euch einen tausendfach goliathstarken Menschen vor, dessen Kraft es sicher mit einem ganzen Heere von Kriegern aufnähme! Wozu aber würde ihm alle seine Kraft und Stärke dienen, so man ihn stellete gleich den Wolken in den freien Luftraum? Sehet, ein leisestes Lüftlein, das auf dem Boden hier kaum ein Blättchen in Bewegung setzt, würde ihn trotz aller seiner Kraft und Stärke dennoch unaufhaltsam fortschieben nach der Richtung, in der das Lüftchen den Zug hat!

08. Damit aber der Riese von seiner Kraft einen wirksamen Gebrauch machen kann, muß er fürs erste einen festen Boden haben, der ihn trägt und ihm zu einer festen Stütze dient. Der Boden ist also schon ein Gegensatz zu unserem Riesen; denn dem Riesen ist zur Ausübung seiner Kraft die freie Bewegung nötig, daneben auch ein fester Stillstand der Unterlage, wo er sich mit der festen Ruhe der Unterlage oder des Bodens in Verbindung setzt und dann mit der mit ihm vereinten Ruhkraft des Bodens, auf dem er steht, jeder ihn anstürmenden Bewegung Trotz bietet. So kann der Riese von seiner Kraft erst den rechten Gebrauch machen. Ist der Boden ein Fels, so wird keine stürmische Bewegung gegen solch eine feste Ruhe etwas ausrichten, außer sie wäre in eben dem oder einem höhern Grade heftig, als wie konzentriert an und für sich in einem Felsen die Ruhe selbst es ist. Ist der Boden aber weich und somit weniger im Gegensatze mit der sturmähnlichen Bewegungsfähigkeit des Riesen, so wird fürs zweite die Kraft des Riesen in dem ihm entgegenstehenden Boden zu wenig Widerstand finden, und er wird dann einer viel kleineren ihn bedrängenden Kraft kaum trotzen können.

09. Stellet euch zum Überflusse des Verständnisses noch vor, daß dieser Riese zum Beispiel die hinreichende Kraft hat, um auf einem festen Boden ein Gewicht von tausend Menschen in die Höhe zu heben! Setzen wir ihn aber auf einen Sumpfboden, der kaum so viel Festigkeit hat, um das Gewicht des Riesen mit der genauesten Not zu tragen! Lassen wir auf solch einem Boden den Riesen ein Gewicht von nur hundert oder gar nur zehn Menschen heben, und er wird es sicher nicht vom Boden bringen; denn im Momente, als er das Gewicht zu bewältigen anfangen wird, wird er in den weichen Boden einzusinken anfangen, und alle seine Kraft wird eine vergebliche sein, weil er unter sich keine entsprechende Gegenkraft hat.

10. Es kann daher keine Kraft für sich etwas wirken, wenn sie sich zuvor nicht mit einer entsprechenden Gegenkraft in eine gewisserart kämpfende Verbindung setzt. Bei unserem Riesen kämpft offenbar die feste Ruhe des Bodens gegen sein Gewicht und gegen seine Bewegung und besiegt diese auch bis zu einem gewissen Grade; und ebendieser Ruhesieg des Bodens wird endlich zur Stütze der bewegenden Kraft und der Maßstab ihrer Stärke.“

229. Kapitel. Vom Wesen Satans.

01. (Der Herr:) „Wir hätten nun aus diesem hoffentlich so ziemlich handgreiflichen Beispiele wohl sicher recht deutlich wahrgenommen, warum ein Sein ohne ein Gegensein so gut wie gar kein Sein wäre, wie denn auch die Kraft unseres Riesen im freien Luftraume so gut wie gar keine in Hinsicht auf eine entsprechende Wirkung wäre; es muß darum jedes Sein irgendein Gegensein haben, damit es selbst wirkend sei.

02. Dieses Verhältnis muß darum in allem, was da ist, im rechten Maße vorhanden sein, ansonst es so gut wie gar nicht da wäre.

03. Und so muß denn auch das vollkommenste Dasein Gottes in sich selbst in jeder Hinsicht auch die ausgebildetsten Gegensätze fassen, ohne die es eben auch so gut wie gar kein Wesen wäre. Diese Gegensätze sind in einem ununterbrochenen Kampfe begriffen, aber stets also, daß der stetige Sieg der einen Kraft auch stets zur Stütze der gewisserart besiegten Kraft dient, wie wir solches gesehen haben beim steten Siege des festen Bodens über die bewegende Schwerkraft unseres Riesen.

04. Wollte nun Gott einmal aus Sich heraus Ihm ähnliche freie Wesen erschaffen, so mußte Er sie ja auch mit eben den streitenden Gegensätzen versehen, die Er in Sich Selbst von aller Ewigkeit her in den natürlich besten und reinst abgewogensten Verhältnissen besaß und besitzen mußte, ansonst Er sicher nie wirkend dagewesen wäre.

05. Nun, die Wesen wurden also völlig nach Seinem Ebenmaße gestaltet, und es ward ihnen am Ende darum auch die Fähigkeit notwendig eigen, sich selbst zu konsolidieren aus dem Kampfe der in ihnen aus Gott niedergelegten kämpfenden Gegensätze.

06. Jedem Wesen ward Ruhe und Bewegung, Trägheit und Tätigkeitssinn, Finsternis und Licht, Liebe und Zorn, Heftigkeit und Sanftmut und tausenderleiartiges als vollends zu eigen gegeben; nur war zwischen dem Maße darin ein Unterschied.

07. In Gott waren all die Gegensätze schon von Ewigkeit her in der höchst besten Ordnung. Bei den geschaffenen Wesen aber mußten sie erst durch den freien Kampf in die rechte Ordnung wie von sich selbst heraus also durch die bekannte Selbsttätigkeit gelangen.

08. Nun, da entstanden dann verschiedene Siege. In dem einen Teile ward die harte Ruhe zum überwiegenden Sieger, und die Bewegung ward dadurch zu sehr untergeordnet, daher sie sich denn auch stets gleichfort die größte und feurigste Mühe gibt, den Stein zu erweichen und ihn ihr ähnlicher und entsprechender zu machen; anderseits siegte wieder die Bewegung in allen ihren Teilen zu sehr und wird darum von der in ihr schwächern Ruhe stets bekämpft, um mit ihr in ein entsprechendes Verhältnis zu treten.

09. Bei vielen Wesen aber haben die Gegensätze ein rechtes Maß nach der Ordnung Gottes erreicht, und ihr Sein ist dadurch ein vollkommenes, weil sie sich durch ihre gleichartigen und gegenseitigen Intelligenzfähigkeiten fortwährend allerbestens unterstützen.

10. Nun seht, wo sonach irgendeine Kraft in einem sich frei konsolidierenden Wesen durch ihr überwiegend hartnäckiges Bestreben alle andern Gegenkräfte zum untätigen Schweigen in ihrer Sphäre bringen will und auch zum größten Teile bringt, da tötet sich gewisserart so eine Kraft selbst, dadurch, daß sie sich alle Gelegenheiten aus dem Wege räumt, bei denen sie ihre Kraft hätte äußern können. Eine Kraft aber ohne eine entsprechende Gegenkraft ist, wie schon gesagt, so gut wie gar keine Kraft, und wie wir solches eben schon aus dem früher angeführten Beispiele unseres Riesen sicher klar haben sehen können.

11. Solch eine sich selbst in allem gefangengenommene Kraft muß dann ja aber auch immer das Bestreben haben, noch mehr Kräfte in sich gefangenzunehmen, um sich selbst in ihrem schmerzlichen Gefangensein lediger zu machen. Und seht nun, das ist eben das, was man ,Satan‘ und ,Teufel‘ nennt!

12. Satan ist eine große Persönlichkeit und entspricht der zu starren Ruhe und Trägheit; denn diese geschaffene erste große Persönlichkeit wollte alle anderen Kräfte in ihre Wesenheit vereinen und ist aber darum tot und tatunfähig geworden in sich selbst. Aber die in ihr besiegten anderen Kräfte ruhen dennoch nicht völlig, sondern stehen in einer fortwährenden Tätigkeit und personifizieren sich dadurch wie selbständig. Durch solche Tätigkeit beleben sie aber das Grundwesen wie mit einem Scheinleben, und dies Leben ist dann offenbar nur ein Trugleben einem wahren freien Leben gegenüber.

13. Solche besiegten und doch den Sieg nicht annehmen wollenden Kräfte sind dann das, was man dem Satan gegenüber ,Teufel‘ oder ,böse Geister‘ nennt. — Und so siehst du, Mein liebster Cyrenius, daß Ich dir nun auch so einen kleinen Wink vom Satan und Teufel gegeben habe, wie du denn auch nur so einen kleinen Wink verlangt hast! Willst du aber mehr, so rede, und Ich will dir Ausführlicheres geben!“

230. Kapitel. Die Belehrung der Urgeister.

01. Sagt Cyrenius: „Ich habe nun wohl so einen Dunst bekommen, und es kommt mir vor, als verstünde ich so etwas davon, aber von einer gewissen Klarheit ist da noch lange keine Rede. Die Sache scheint in eine solche geistige Subtilität übergehen zu wollen, mit deren Klarheit es ein ganz anderes Einsehen hat, als wie man ungefähr einsehen kann, daß zwei Birnen und abermals zwei Birnen zusammen vier Birnen ausmachen. Es ist bei mir in dieser Hinsicht von einer klaren Einsicht noch lange keine Rede; denn die Abwägung der Kräfte untereinander ist also gestaltig subtil, daß sie in einem Wesen wie ich schwer in ein geordnetes gutes Verhältnis treten können und untereinander in ein und demselben Wesen sich also verhalten, daß daraus ein vollkommen gottähnliches Wesen wird in allem Tun und Lassen.

02. Das, bin ich der Meinung, kann denn doch ein neugeschaffenes Wesen, wie wir alle ein ähnliches sind, in sich und aus sich selbst unmöglich je vollkommen zustande bringen, und es kann sonach ja auch nicht gewisserart ganz allein die Schuld tragen, ob es sich ganz in der guten Ordnung oder teilweise, wo nicht ganz, wider die gute Ordnung ausgebildet hat; denn wer könnte einem Menschen die volle Schuld seiner Roheit beimessen, so er von der Geburt an nie die volle Gelegenheit hatte, sich in den feinen Sitten, wie sie unter wohlgebildeten Menschen gang und gäbe sind, auszubilden?

03. Wie aber läßt es sich denken, daß die primitiven Geistwesen, die sich erst als Urgedanken und Urideen Gottes zu einem Sein ergriffen haben, auch schon jene Einsicht hätten haben können, mit deren Hilfe sie sich nach der Ordnung des Schöpfers alsbald hätten ausbilden können? Das gewisserart persönliche Urwesen Satans konnte unmöglich die Einsicht eines Michael haben, sonst müßte es sich ja gleich dem Michael ausgebildet haben. Kurz, Herr, da bin ich noch sehr in einem Schwanken zwischen Licht und Finsternis und weiß es nicht, wie ich da so ganz eigentlich das Licht recht fassen soll! Wo ich mich demselben zu sehr nahe, da kommt es mir vor, als finge es wie eine Flamme mich zu brennen an; und entferne ich mich vom selben, nun, so wird's dann wieder finster, und ich stehe wieder an dem Flecke, von dem ich ausgegangen bin.

04. Daher wird es wenigstens für mich wohl noch nötig sein, in der behandelten Sache so noch ein wenig mehr Öl in die Lampe meines Verstandes zu geben, auf daß mir diese Sache, wenn auch nur ein wenig, heller wird. Denn jetzt komme ich mir vor wie ein Halbschlafender am Morgen. Einerseits drückt die Augen noch der lichtlose Schlaf, anderseits aber bearbeitet daneben des Tages Helle die noch schlaflüsternen Augen also, daß sie sich nimmer vollends dem Schlafe ergeben können. Darum wecke Du, o Herr, nun schon lieber ganz meine Augen, sonst kann es mir leicht noch geschehen, daß ich bei all dieser Morgenhelle ganz gut noch einmal einschlafe in der vollen Erkenntnis der göttlichen Ordnung in aller Weisheit und Liebe!“

05. Sage Ich: „Ja, liebster Freund, Ich habe es dir aber ja eben zum voraus gesagt, daß sich diese Dinge schwer werden in der Fülle fassen lassen! Aber weil denn dir schon gar so darum zu tun ist, etwas tiefer in dieser Sache eine rechte Einsicht zu besitzen, so will Ich gleichwohl es versuchen, durch Bilder und Gleichnisse dir ein etwas helleres Licht zu verschaffen.

06. Nur damit bist du aber vollkommen auf einem Sandwege, wenn du meinst, Gott habe den geschaffenen Wesen eher die eigene Selbstbildung überlassen, als bevor sie die Fähigkeit besaßen, die göttliche Ordnung in sich vollends zu erkennen und in aller Tiefe zu erfassen. Da ging viel Unterricht voran, und es vergingen lange Zeiträume zwischen dem ersten Werden der erstgeschaffenen Ordnung in den ersten Wesen und der Periode, in der dann solche Geister ihrer selbsttätigen Bildung anheimgestellt wurden.

07. Denke dir den Zeitraum zwischen Adam und dir, und siehe, diese ganze, schon ziemlich lange währende Zeit ist bis zur Stunde noch mit lauter Unterricht von allen Seiten her ausgefüllt worden!

08. Und nun nach so langer Vorbereitung bin erst endlich Ich Selbst da und zeige den Menschen klar die Wege, die sie zu gehen haben aus ihrer höchst eigenen inneren Kraft, die bisher die möglichste Bildung für das Pro und Kontra (das Für und Wider) erhalten hatte. Mit diesem Meinem Hiersein wird dem Menschen erst die vollste Freitätigkeit zu seiner Lebensvollendung gegeben und mit ihr ein neues Gesetz der Liebe, das im rechten göttlichen Vollmaße alle andern Gesetze und alle Weisheit aus Gott in sich faßt.

09. Wird ein Mensch von nun an nach diesem neuen Gesetze leben, so wird er sein Leben auch unfehlbar völlig nach der göttlichen Ordnung ausbilden und darauf alsogleich in die Fülle des wahren und freiesten ewigen Lebens eingehen können. Wird er aber solch ein neues Lebensgesetz nicht annehmen und sein Tun danach nicht wie aus sich selbst herausgehend einrichten, so wird er auch sicher den Zweck der wahren Lebensvollendung nicht erreichen.

10. Niemand aber wird dann sagen können: ,Ich habe es nicht gewußt, was ich hätte tun sollen!‘ Und würde ein Mensch, auch noch so weit von hier entfernt, dennoch sagen: ,Bis zu meinen Ohren ist der Gottesruf nicht gedrungen!‘, so wird ihm erwidert werden: ,Von dieser Stunde an gibt es keinen Menschen auf der ganzen Erde, der es nicht in sein Herz überkommen hätte, was da ist unter den Menschen vollends des Rechten.‘

11. Einem jeden wird eine warnende Stimme in sein Herz gelegt werden, die ihm zeigen wird, was da gut und allein wahr ist. Wer diese Stimme hören und sich danach halten wird, der wird zum größeren Lichte gelangen, und dieses wird ihm alle Pfade der göttlichen Ordnung erleuchten.“

231. Kapitel. Die Folgen des Abfalles Luzifers.

01. (Der Herr:) „Was Kurzes aber ist der Zeitraum von Adam bis auf uns gegen die beinahe für Menschenbegriffe endlose Dauer von der Periode des ersten Grundwerdens der urgeschaffenen Geister bis zu dem Standpunkte, wo sie in den Vollgebrauch ihres freien Willens gestellt wurden; und wieder, welch ein unmeßbarer Zeitraum seit ihrem Falle bis auf Adam und bis auf uns!

02. Siehe, es gibt im endlosesten Schöpfungsraume gewisse Ur— und somit Hauptmittelsonnen, die wegen ihrer zu großen Entfernung von hier, obschon sie unaussprechlich viele Male größer sind als diese Erde, kaum als kleine glitzernde Pünktlein gesehen werden — und das nur von Menschen, die sehr scharfe Augen haben! Diese Ursonnen haben ungefähr das Alter, wie die Periode vom Falle der Urgeister bis auf diese Zeiten herab. Und sieh, wollte man das Alter solcher Sonnen nach dem Maße der Erdjahre bestimmen, so wäre man nicht einmal imstande, über die ganze Erde eine Zahl aufzuzeichnen, in der die endlose Vielheit der Erdjahre genügend enthalten wäre! Und nähmest du für je tausendmal tausend Jahre dieser Erde ein kleinstes Sandstäubchen, aus deren zahllosen Menge die ganze Erde bestehen kann ihrer Größe, Breite und Dicke nach, das Maß des Meeres nicht ausgenommen, so wäre solch eine also berechnete Zeitendauer für eine besprochene Sonne noch viel zu kurz.

03. Eine solche Periode dauert dann etwa doch schon so hübsch lange, und doch ist sie kaum ein Etwas zu nennen gegen die Dauer jener Urperiode, in der Gott aus Seinen Gedanken und Ideen die ersten Geister zu bilden und selbständig zu machen begann. Was geschah in solch endlos langer Periode alles zur Vollbildung des freien Willens der Urgeister!

04. Und doch gab es am Ende jener endlos langen Bildungsperiode der Urgeister eine noch übergroße Menge solcher Art, die, obschon sie die rechten Bildungswege Gottes wohl begriffen, aber am Ende von einem sich freien Verhalten auf diesen Wegen dennoch nichts wissen wollten, sondern des schneller folgenden, wennschon nur kurz dauernden Vorteiles wegen von dem gebotenen und wohlgezeigten Ordnungswege Gottes abwichen und den Weg ihres höchst eigenen Verderbens betraten.

05. Denn der Hauptgeist des Lichtes, dem zahllose andere Lichtgeister innewohnten, jeder davon mit zahllos vielen Intelligenzen reichst versehen, sprach bei sich: ,Was bedarf es da noch weiteres? In mir liegen alle Eigenschaften wie in Gott, und Gott hat alle Seine Kraft in mich gelegt. Nun bin ich stark und mächtig über alles. Er hat alles, was Er hatte, aus Sich heraus hergegeben, und ich habe alles genommen. Nun hat Gott nichts mehr, ich aber habe alles; und wir wollen nun sehen, ob der auf die Übertretung des gegebenen Gebotes folgen sollende Vorteil wirklich nur von einer kurzen Dauer sein wird. Wir meinen: Mit unserer nunmaligen Allkraft und Macht werden wir uns die Dauer des kurz währen sollenden Vorteiles wohl so hübsch auf Ewigkeiten hinaus zu verlängern imstande sein. Wer wird sie uns zu verhindern imstande sein? Außer uns trägt der endlose Raum, der nun von uns erfüllt ist, keine höhere Macht und Intelligenz mehr, als da ist die unsrige; wer sollte uns dann den Vorteil streitig zu machen imstande sein?‘

06. Sehet, so dachte und sprach der Lichtgeist zu sich selbst und dadurch zu seiner ihm unterstehenden Sondergeisterschar. Gesagt und getan, und die Folge war die Sich—selbst—gefangen—Nehmung in seiner Trägheit, darin er sich stets mehr und mehr verdichtete, und wieder die Folge davon war die Schöpfung der Materie, ebenfalls ganz auf dem Wege der göttlichen Ordnung; denn der sichere Erfolg des Nichtbeachtens des göttlichen Gebotes war ebenso bestimmt vorgesehen, wie der freieste Zustand jener Geister, die das Gottesgebot an und in sich erfüllt haben.

07. Und so denn hatte sich durch solchen Fall fürs erste der Hauptgeist und mit ihm alle seine verwandten Untergeister selbst auf das hartnäckigste und bitterste gefangengenommen. Wie lange es ihm aber gefallen wird, in solcher Gefangenschaft zu verharren, das weiß außer Gott niemand in der ganzen Unendlichkeit, auch die Engel nicht.

08. Aber das ist gewiß, daß nun aus diesem verlorenen Sohne des Lichtes die Sondergeister durch die Macht Gottes wieder erweckt und ins Fleisch als Kinder der Welt gesetzt werden, und es ist ihnen, gleich wie den Kindern von oben, die Gelegenheit gegeben, sich zur höchsten Vollendung der Kinder Gottes emporzuheben.

09. Alle Materie ist darum Sondergeist, der als Seele in jedem einzelnen Menschen in ihrem Geiste zum ewigen Leben wiedergeboren werden kann. Wenn aber aus der Materie einer Welt alle Sondergeister herausgehoben sein werden, dann ist auch das volle Ende einer solchen Welt ins Dasein getreten.

10. Das aber geht bei einer Welt, wie diese Erde eine ist, freilich wohl so hübsch lange her, aber einmal kommt dann dennoch das Ende herbei.“

232. Kapitel. Hülse und Seele.

01. (Der Herr:) „Es ist aber dennoch einiges in der Materie, das sich nie völlig in einer Seele finden wird, und dieses besteht in dem bekannten Hülsstoffe, in dem stets irgendeine seelische Sonderpotenz eingeschlossen wird bis zu einer gewissen Selbständigkeitsreife. Ist die seelische Sonderpotenz einmal zu einer gewissen Reife gelangt, so zerreißt sie das Hülschen und vereinigt sich dann augenblicklich mit andern schon frei gewordenen ähnlichen oder wenigstens wohl entsprechenden freien Sonderpotenzen und schafft sich dann aus den entsprechenden Elementen der Luft, des Wassers und des Erdreichs alsogleich wieder irgendeine Umhülsung, wie ihr solches bei den Körnern der Pflanzen, Bäume und Gesträuche, sowie für jedermann handgreiflich bei den Eiern der Insekten, Vögel und endlich bei den Wassertieren usw. sehen könnt.

02. Das Hülstum ist stets nur eine von der Gottesordnung ausgehende Willensfixierung und hat somit nichts in und für sich seelisch Intelligentes, sondern ist bloß nur ein notwendiges Mittel, durch das eine Seelenintelligenz sich wie aus sich selbst heraus in solch ihrem Isoliertsein mit der Zeit zu einem wirklich völlig selbständigen und freien Wesen ausbilden kann und auch wirklich ausbildet.

03. Die Materiewelt ist darum gut zu zwei Dritteilen Seele, und ein Dritteil ist seelenlose Hülse als Träger des zuerst sonderlichen und für weiterhin stets gesammelteren und endlich schon ganz konkreten und reifen Seelenlebens. Die Hülsenmaterie oder der gefestete Gotteswille ist darum auch eine Erlösungsanstalt, durch welche die durch den Fall Satans mitgefallenen Sondergeister nach der bestehenden Ordnung wieder jene vollkommen selbständige Freiheit erreichen können, — wenn schon natürlich auf einem längeren Wege, als es die der ersten Periode gewesen wäre.

04. Aber da die Zeit Gott nicht beirrt und sie Ihm auch niemals lästig wird, weil Er die vollste Erreichung in der Realisierung Seiner großen Ideen stets wie gegenwärtig vor Seinen allessehenden Augen hat — gleichviel, ob die Zeit kurz oder lange währt —, so sind vor Gott tausend Jahre wie ein Tag oder wie ein Augenblick; und eine Erde kann dann mehr Jahre bis zur vollen Entbindung aller ihrer in ihrer Hülsenmaterie eingeschlossenen Geister vonnöten haben, als da wäre einer unaussprechlich großen Zahl nach des feinsten Sandes in ihrem ganzen Wesen, so ist solch eine Zeitendauer Gott gegenüber doch am Ende eben auch nichts mehr als nur ein kurzer Augenblick.

05. Ja, Ich sage es euch, es gibt im endlosen Schöpfungsraume schon etwelche Welten, die ihren Dienst vollaus geleistet haben. Sie bestehen aber als Weltkörper dennoch fort und werden auch fortbestehen als Träger der neuen freien Wesen, nur sind sie nun um vieles reiner und gediegener und sind auch in ihrem Gefüge unwandelbar, gleichwie der feste Gotteswille, der Seiner Weisheit und ewig gleichen Ordnung entspricht, ebenfalls für ewig unwandelbar ist und sein muß, weil ohne solch eine Festigkeit kein Wesen irgendeine Dauer haben könnte.

06. Denn wenn auch die Wesen nach ihrer geistigen Vollendung ein vollkommen freies Sein haben, das vom Gottessein ganz wie unabhängig dasteht, so würde solch eine wie selbständige Unabhängigkeit aber dennoch keine Dauer nehmen und haben können, so diese nicht schon von Ewigkeit her von Gott aus Seiner Ordnung heraus, und mit derselben eins seiend, zum voraus festgestellt wäre. Diese Feststellung von Ewigkeit her aber ist so ganz eigentlich für alle geschaffenen Wesen schon das, wodurch jedem geschaffenen Wesen die ewige Dauer fortwährend verschafft und erhalten wird.

07. Aus dem geht aber denn auch nun wie von selbst hervor, daß da gar kein Ding, das irgend von Gott einmal ins wie immer geartete Dasein gerufen worden ist, unmöglich je vergehen und zunichte werden kann. Es kann wohl die Form verändern und aus einer minder edlen in eine stets edlere übergehen, auch umgekehrt, wie wir solches beim Falle der erstgeschaffenen Geister gesehen haben; aber vernichtet kann da nichts mehr werden, was Gott einmal in irgendein Dasein gerufen hat. — Sage Mir nun, Cyrenius, ist dir die Sache nun etwas klarer?“

233. Kapitel. Vom Wissen.

01. Sagt Cyrenius: „Ja, Herr und Meister, nun ist mir die Sache so klar, wie sie einem noch blöden Geiste in seinem irdischen Sein nur immer klar sein kann. Daß ich dabei wohl um so manches und wohl um gar vieles noch fragen könnte, das ist gewiß; aber ich sehe es nun ein, daß das gar zu viele Wissen dem Menschen nicht einmal gut ist, denn er wird dadurch wohl ein weiser Mensch, aber dafür kein absonderlicher Tatmensch werden.

02. Mir kommt ein Mensch, der zuviel Weisheit besitzt, vor, wie ein in allem wohlversorgter, reichster Mann der Erde. Wozu sollte der noch die Erde bearbeiten, wozu die Ochsen spannen vor den Pflug? Seine Schreine und Scheuern sind bis zum Giebel gefüllt, seine Keller sind voll der besten Weine, und seine Gemächer strotzen von Gold, Silber, großen Perlen und von den kostbarsten Edelgesteinen. Er sieht, daß da eine weitere Mühe zur Bebauung der Erde eine Tollheit und Narrheit wäre; er legt sich daher zur Ruhe und genießt sorglos seine großen Reichtümer.

03. Und wie gesagt, ein gleiches Gesicht kann und muß am Ende ein Überweiser machen. Der noch in so manchem Unkundige sucht und prüft und hat eine große Freude, wenn er irgendeine neue Wahrheit aufgefunden hat; der Überweise aber kann nicht viel mehr auffinden und ist darum offenbar notwendig träge geworden, während der Jünger in irgendeinem Weisheitszweige emsig ist und beinahe Tag und Nacht forscht, um über eine etwas mehr denn gewöhnlich verborgene Sache ins möglich klarste Licht zu kommen. Ich weiß daher für jetzt in dieser Sphäre zur Genüge. Was mir aber noch mangelt, das wird mich denn auch in der steten Tätigkeit erhalten. — Habe ich recht oder nicht?“

04. Sage Ich: „Zuviel und zuwenig taugt nicht viel, aber immerhin noch besser, etwas zuviel als irgend etwas zuwenig; denn der einen Überfluß hat, der kann von solchem dann gar leicht denen mitteilen, die irgendeinen Mangel haben, was solchen stets gut zustatten kommen wird. Wer aber zuwenig hat, bei dem wird es dann mit dem Mitteilen wohl sicher seine sehr geweisten Wege haben. Darum in der wahren Weisheit etwas zuviel stets besser ist denn etwas zuwenig. Aber das sage auch Ich: Es wäre sogar keinem Engel gut, so er gleich Gott allwissend wäre!

05. Doch dafür ist von Gott aus auch schon gesorgt; denn sowenig ein Geist je die ganze Unendlichkeit Gott gleich erfüllen wird, ebensowenig auch wird je eines noch so vollendeten Geistes Weisheit alle die Tiefen der göttlichen Weisheit zu erforschen und zu erfassen imstande sein. — Verstehest du auch das?“

06. Sagt Cyrenius: „O ja, das verstehe ich, und es war dies schon von alters her ein Weisheitsspruch unter uns Römern und war auch schon gang und gäbe bei den Griechen und Ägyptern, und der Spruch lautete ganz kurz: Quod licet Jovi, non licet bovi, und ich meine, daß dieser Spruch, obschon ein Eigentum der Heiden, wie sie von den Israeliten benamset werden, auch ganz gut hierher taugt.

07. Gott gegenüber werden Mensch und Engel wohl für ewig die lieben boves bleiben, und es ist das auch gut; denn ich wenigstens wäre für eine zu große Weisheit durchaus nicht zu gebrauchen. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß jedes geschaffene Wesen am Ende allen Lebensreiz verlieren müßte, so es in der totalsten Unendlichkeit nichts mehr gäbe, was dem Menschengeiste nicht ebenso klar und bekannt wäre, wie einem Hausherrn die Gemächer seines Wohnhauses.

08. Darum ist das wohl höchst gut und überweise von Jehova eingerichtet, daß auch ein zwar allervollkommenster, aber dennoch geschaffener Geist in aller seiner Weisheit der Weisheit Gottes nie um ein Haarbreit näher kommen wird und näher kommen kann; denn was unendlich ist, kann von der Endlichkeit ewig nimmer erreicht werden!

09. Aber lassen wir nun das; denn darüber noch mehr Worte verlieren, wäre wahrlich sehr unnütz, da es noch eine Menge anderer Dinge gibt, deren Enthüllung uns mehr not tut als die Ausfertigung eines Maßstabes, mit dem der schwache Menschengeist die göttliche Weisheit bemessen könnte. Die Liebe steht offenbar höher denn alle noch so hohe Weisheit der Menschen und Geister.

10. Du sagtest ehedem, daß man die alte Seelennarbe durch das neue Gesetz der Nächstenliebe völlig heilen und sich dadurch von dem alten Erbübel ganz frei machen könnte, und es würde dann das vollste Bewußtsein des wahren, ewigen Lebens mit aller Kraft und Klarheit im Menschen wieder einkehren. Das wäre für den Menschen auf dieser Erde wohl der größte Gewinn; denn erst dadurch würde der Mensch ganz Mensch sein und würde auf der Erde schon im irdischen Leben entschieden Großes und Herrliches zu leisten imstande sein.

11. Mit dem die arme Menschheit stets quälenden Gefühle des sicheren Sterbens und Verschwindens vom Schauplatze des Lebens muß der Mensch am Ende allen Mut für eine höhere Tat verlieren, oder er muß sich am Ende in alle die tollen Weltergötzlichkeiten stürzen, um dadurch den Gedanken an den einstigen sicheren Tod zu verscheuchen und so das vergängliche Leben genießen, als wäre es ein ewiges. Es ist demnach von höchster Wichtigkeit, daß dem Menschen ein solches Gebot gegeben werde, durch dessen Beachtung er das einstige durch Adam verlorene Paradies in sich wieder finden und für ewig bewahren kann. Das Gebot der echten und wahren Nächstenliebe soll uns das Verlorene wiederbringen.

12. Aber da fragt es sich sehr, wie man solch ein allerwichtigstes Gebot der Ordnung Gottes gemäß zu beachten hat, um dadurch den großen von Dir verheißenen Zweck — sage — sicher und nicht halb, sondern ganz zu erreichen.“

13. Sage Ich: „Das ist von dir aus wahrlich eine gute und wahre Bemerkung, und Ich werde dir darüber eine richtige Antwort geben; aber vorerst wollen wir unsern alten Hausmann Markus auch einmal anhören, was er für Begriffe vom Nächsten hat, dem man alle Liebe zuwenden soll. Darauf erst werde Ich dann euch die volle und wahre Antwort mit der rechten Erläuterung darüber geben. Und so sage uns, du lieber Markus, wen nach deiner Ansicht man so ganz wahrhaft für seinen Nächsten halten solle und soll ihm erweisen alle Liebe in der Tat!“

234. Kapitel. Des Markus Ansicht über seinen Nächsten.

01. Sagt der alte Markus: „Herr, ich bin von allem dem, was ich nun mit meinem Hause vernommen habe, so durch und durch ergriffen, daß ich nun beim besten Willen aber auch nicht ein vernünftiges Wörtlein hervorzubringen imstande wäre, geschweige zu bestimmen, wer mir gegenüber ein rechter Nächster ist.

02. Natürlich wäre allerdings der mein Nächster, der meinem Leibe am nächsten stände, und so er einer Hilfe bedürftig wäre, müßte ich sie ihm geben. Wieder wären meine Nachbarn die Nächsten; wenn sie mich angingen um eine Hilfe, müßte ich sie ihnen nicht vorenthalten. Also sind auch mein Weib und meine Kinder meine Nächsten, und ich muß sorgen für ihr leibliches und geistiges Wohl und Fortkommen.

03. Als ich noch ein Krieger war, da waren auch meine Kameraden meine Nächsten, und es war meine Pflicht, ihnen im Falle der Not eine Hilfe zu leisten. Anderseits ist auch wieder jeder Mensch, welcher Religion er auch angehöre, im Falle der Not mein Nächster, und ich soll an ihm nicht vorübergehen, so er meiner Hilfe bedarf oder mich sich zur Hilfe begehrt.

04. Ja, ich meine, daß man sogar einem Haustiere die Hilfe nicht versagen soll, wenn demselben etwas fehlt. Kurz und gut, wie ich in meinem beschränkten Hausverstande mir's vorstelle, der Mensch soll so schön fein Gottes Regierung nachahmen und in seinem Tun und Lassen denn doch auch seine Sonne über alle Kreatur leuchten lassen, so wie auch Gott Seine Sonne über alle Kreatur leuchten läßt.

05. Freilich kann der Mensch als ein höchst beschränktes Wesen Gott seinen Schöpfer nur eben auch höchst beschränkt nachahmen; aber weil er schon die Ähnlichkeit Gottes in sich trägt oder eigentlich nach dem Ebenmaße Gottes erschaffen ist, so soll er auch das in sich vollends ausbilden, wozu ihm alle die Fähigkeiten verliehen worden sind. — Das ist so meine Ansicht, und Du, o Herr, aber wirst uns allen eine richtige Erklärung geben; denn ich höre Dein Wort tausend Male lieber, als ich selbst rede. Darum rede Du, o Herr, weiter — vorausgesetzt, daß Du in dieser Nacht noch etwas reden willst!“

06. Sage Ich: „Ja, Ich werde reden, obschon die Mitte der Nacht herbeigekommen ist; aber nun machen wir einen kleinen Ruhepunkt und horchen, ob sich vom Meere her kein Hilferuf vernehmen läßt!“

07. Bald auf diese Meine Bemerkung vernahm man vom Meere herüber einen Lärm, aus dem eine Menge von Menschenstimmen sehr wohl vernehmbar waren. Markus und seine Söhne fragten Mich eiligst, ob sie da hinaussollten zur Hilfe allfälliger Unglücklicher, die vielleicht mittels eines schlechten Fahrzeuges den Mitternachtswind zu bestehen haben würden, oder einen Wirbel, der sich vor der großen Bucht gerne ergibt.

08. Sage Ich: „Es ist ein schlechtes Fahrzeug voll junger Leviten und Pharisäer. Sie kommen von der Gegend Kapernaums und Nazareths und sind auf dem Wege nach Jerusalem. Sie haben den Weg zu Wasser dem trockenen Wege vorgezogen, weil er fürs erste näher und fürs zweite nicht so beschwerlich ist; aber sie bekamen in Sibarah nur ein schon ziemlich leckes Fischerboot, und es geht ihnen, da sich ein ziemlich starker Mitternachtswind erhoben hat, nun schlecht, — und so ihnen nicht zu Hilfe geeilet wird, da dürften sie wohl untergehen!“

09. Sagt Markus: „Herr, wahrlich, um die ist kein Schade, so sie den lieben Fischen zur Speise werden! Da möchte ich mir mit dem Zuhilfekommen fast ein wenig Zeit lassen. Aber wenn Du es willst, so soll ihnen dennoch Hilfe gebracht werden.“

10. Sage Ich: „Sagtest du doch selbst sehr richtig, der nach dem Ebenmaße Gottes geschaffene Mensch soll zufolge der ihm dazu verliehenen Fähigkeiten Gott in allem ähnlich zu werden trachten und soll auch seine kleine Sonne, die er im Herzen trägt, über alle Kreatur leuchten lassen und den als seinen Nächsten — ob er Feind oder Freund ist — ansehen, der sich in einer großen Not befindet und einer Hilfe bedarf!

11. Siehe, deine Worte sind recht und wahr, darum du auch danach handeln sollst, ansonst die Wahrheit noch lange nicht lebendig in dir zu Hause wäre! Denn die pure Wahrheit nützt dem Menschen fürs ewige Leben wenig oder nichts, solange er sie in sich nicht durch die Tat lebendig gemacht hat. Hat er aber das getan, so kommt dann das Licht des ewigen Lebens in Strömen und erleuchtet alle Wirrwinkel der Menschenseele, wie am hellen Mittage die Sonne in alle noch so tiefen Täler und Gräben ihr Licht spendet, sie erwärmt und dadurch mit ihrem Leben erfüllt. — Tue darum nun, was du willst!“

12. Sagt Markus: „Also nur schnell zur Hilfe, und trüge das morsche Schiff lauter Bären, Tiger, Löwen und Hyänen!“

13. Sogleich lief der alte Markus mit seinen Söhnen ans Ufer und bestieg auch sogleich ein gutes und ziemlich großes Fischerboot und ruderte hinaus an die Stelle, von wo der Ruf nach Hilfe immer gellender ward.

235. Kapitel. Markus rettet schiffbrüchige Pharisäer.

01. Als Markus in wenigen Augenblicken an das dem Untersinken schon sehr nahe gekommene Boot kam, hieß er die Unglücksbedrohten schnell in sein Boot übersteigen, nahm das morsche Sibaraher Boot ins Schlepptau und erreichte sogestaltig bald das Ufer. Der Geretteten aber waren bei dreißig an der Zahl.

02. Als sie gerettet im Trockenen waren, so fragten die Leviten denn auch gleich, welchen Lohn der Lotse für seine Mühe verlange, da sie erkannten, daß er ein alter Römer sei. Einen Juden hätten sie sicher nicht gefragt; denn der hätte sich es noch für eine große Gnade halten müssen, daß ihn Jehova dadurch würdigte, daß Er durch ihn Seine Diener von einer Gefahr habe erretten lassen. Denn Jehova würde solches dann und wann bloß nur der Menschen willen zulassen, damit sie dadurch eine Gelegenheit bekämen, ihre Festigkeit im Glauben und ihre unerschütterliche Anhänglichkeit an den Tempel zu zeigen, der da sei eine alleinige rechte Gotteswohnung auf Erden, wie sonst keine in Ewigkeit.

03. Aber Markus sagte: „Wenn ich auch ein alter Römer bin, so kenne ich dennoch den wahren Gott besser, denn ihr alle Ihn kennt; denn“, sagte er weiter zu den Geretteten, „kennet ihr Gott, fürwahr, ihr wäret weder Leviten noch Pharisäer, sondern ihr wäret Menschen! Aber weil ihr eben Den nicht im geringsten kennet, dessen Diener ihr euch zu sein dünket, so sage ich es euch: Verflucht sei der, der seinem Bruder in der Not half und darum einen Lohn verlangt! Denn Gott läßt nie eine gute Tat, die wir in Seinem Namen ausgeübt haben, unbelohnt. Belohnt uns aber Gott, der allein jeden Menschen wahrhaft belohnen kann, wie und weshalb sollten wir da dann noch von uns gegenseitig einen Lohn verlangen? Ihr aber seid darum allesamt schlechte Diener Gottes; denn ihr saget es, daß ihr Gott dienet, nehmet aber dafür von den armen Menschen einen oft unerschwingbaren Lohn.

04. Darum lernet es nun von mir, einem ergrauten Krieger des mächtigen Roms, wie man dem wahren und ewig lebendigen und allmächtigen Gott zu dienen hat, so man von Ihm angesehen und belohnt werden will!

05. Darum nehme ich auch nie einen Lohn von einem Menschen, dem ich in einer Bedrängnis Hilfe geleistet habe. Habe ich aber für mich und mein Haus gearbeitet, so nehme ich auch den geziemenden Lohn für meine Mühe und lasse mir meine Fische, die ich zu Markte bringe, nach Recht und Billigkeit bezahlen. Wollet ihr aber hier etwas zum Essen und Trinken haben, so werde ich mir solches von euch wohl nach Recht und Billigkeit bezahlen lassen.“

06. Sagen die Geretteten: „Wahrlich, aus deiner Rede gehet hervor, daß du ein Jude und kein Heide bist; denn so wahrheitstüchtig haben wir noch nie irgendeinen Heiden reden hören. Oh, wir werden dir darum ewig keinen Gram bezeigen. Wir sind auch nicht gar so stockfest mit all dem einverstanden, was du mit Recht an uns tadelst und verwirfst; aber wir sind denn nun einmal schon in dem Strome und müssen wenigstens im Angesichte des Tempels mit demselben schwimmen. Hätten wir irgend andere Aussichten, so kehrete kein Mensch dem Tempel eher den Rücken als wir; denn wir glauben, daß Gott nirgends weniger ist als in unserem Tempel. Aber was wollen wir und was können wir dagegen tun? Oh, wir sehen es so gut wie du, nur zu gut ein, daß der Tempel zu Jerusalem nunmehr nichts anderes ist als eine großartige Betrugsanstalt, hinter der kaum mehr eine wahre Silbe, geschweige irgendein wahres Wort mehr besteht; aber diese Anstalt ist nun von der großen Macht Roms sanktioniert, und da läßt sich dann nichts mehr dagegen tun.

07. Gibt es noch irgendeinen wahren und allmächtigen Gott, so wird Er solch einem Unfuge wohl ohnehin bald ein glorreiches Ende machen; gibt es aber keinen wahren Gott, und ist alles, was wir kennen und wissen, nichts weiter als eine pure alte Dichtung und Fabel, nun, so dichten und fabeln wir denn auch mit, und die Welt, die ohnehin den Betrug lieber hat als die Wahrheit, ist damit vollkommen zufrieden, und wir können da weder von uns noch von der blinden Welt unmöglich mehr verlangen.“

08. Sagt Markus: „Ihr seid wohl schöne Helden und schöne Menschen! Epikur ist euer Lehrer, wenn auch nicht in der Person, weil er schon hübsch lange das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht hat; aber desto mehr faktisch nach seiner Freßphilosophie. Saget darum, ob ihr etwas essen und trinken wollt, und es soll eurem Wunsche gewillfahrt werden!“

09. Fragt einer: „Was hast du denn dort neben deiner Behausung noch für wache Gäste? Denn es dürfte nun wohl schon um die Mitternachtsstunde sein — und noch so viele Gäste vor deinem Hause? Sind das vielleicht auch Gerettete? Denn das Meer geht heute sehr hoch ohne irgendeinen besonderen Wind.“

10. Sagt Markus: „Jene Gäste gehen euch wenig an und sind zu hohe römische Herrlichkeiten, als daß ihr euch zu ihnen hinwagen dürftet. Kurz, euer Charakter steht zu tief unter dem jener Gäste. Unter anderen ist auch der Hauptmann Julius von Genezareth dort anwesend, so ihr etwa mit ihm etwas zu reden habt, so kann ich ihn zu euch hierher bescheiden.“

11. Als die jungen Leviten und Pharisäer den Namen hörten, erschraken sie gewaltigst und baten den Markus, daß er sie nur mit diesem verschonen möchte; denn der sei kein Mensch, sondern ein unerbittlichster Teufel. Denn es waren hier etliche darunter, denen der Julius erst vor etlichen Tagen in Genezareth mit Lehm Augen und Ohren hatte verstopfen und sie dann unter militärischer Begleitung gen Kapernaum hatte befördern lassen. Sie überkam darum auch ein so gewaltiger Schreck, weil sie dachten, Julius werde ihnen solches wieder antun.

12. Aber Markus sagte zu ihnen: „Hier habt ihr nichts zu befürchten außer eine Revision der Wanderscheine, auf die bekanntermaßen die Römer überhaupt sehr strenge sind.“

13. Sagte einer aus der Zahl der Leviten: „Da ist eigentlich für uns der Stein des Anstoßes. Der Tempel will sich dieser römischen Anordnung noch immer nicht fügen, und wir unteren Diener des Tempels kommen darum in tausenderlei Verlegenheiten, die uns dann kein Mensch mehr vergütet, der Tempel nicht und jemand anders auch nicht, und doch müssen wir, vom Tempel aus bemüßigt, allerlei Bereisungen machen von einem Weltende zum andern; und leiden wir irgend Schaden, so wird er uns von keiner Seite her vergütet.

14. Wohl sind wir Kinder reicher Eltern, ansonst uns der Tempel sicher nicht in seine Dienste gelockt hätte. Nun aber sind wir schon einmal verdammt in die Gesetze der Mauern und können uns daraus nicht mehr losmachen. Die Folge davon ist, daß wir nun die eigentlichen Sündenböcke für die ganze Welt abgeben müssen. Wir sind nun einmal im Joche der wahren Weltverdammnis. Mache uns davon los, wenn du solches vermagst! Auf der einen Seite unsere zelotischen (glaubenseifrigen) Eltern und Verwandten, auf der andern Seite das eiserne Muß des Tempels. Da bewege sich einer frei, der da mag und will, wir aber können es nicht!“

15. Sagt Markus: „Wißt ihr was? Nach euren Worten taugt ihr doch nahehin für die Gesellschaft dort vor meinem Hause. Kommet nun mit mir, und ich werde ein gut Wörtlein für euch einlegen! Vielleicht rette ich euch doch aus dem Rachen des Tempels, der nach eurer Aussage gar so ,menschenfreundlich‘ um euch, seine Diener, besorgt ist.“

16. Sagen die Geretteten: „Wäre alles wohl schön und recht, wenn der Julius nicht anwesend wäre; denn wir haben keine Wanderscheine.“

17. Sagt Markus: „Nun, so wird er euch welche verschaffen.“

18. Sagen die Geretteten: „Das sicher; aber was für welche!“

19. Sagt Markus: „Kommt und folget mir! Die Wanderscheine werden besser ausfallen, als ihr meint; denn der Julius ist, wie ich, ein Freund von offenen Gemütern.“

20. Auf dieses Zureden von seiten des alten Markus und seiner beiden Söhne lassen sich endlich die Geretteten doch bewegen mitzugehen, und Markus führt sie etwas weilenden Schrittes recht frohen Mutes zu uns.

236. Kapitel. Kritik der Pharisäer über Julius.

01. Als die ganze Gesellschaft bei uns anlangt, wird ihr alsbald Platz gemacht, so daß sie an einem an den unsrigen anstoßenden Tische recht wohl Platz hat.

02. Markus kommt darauf zu Mir und fragt Mich, ob er den Geretteten Salz, Brot und Wein vorsetzen solle.

03. Sage Ich: „Frage sie und dein Herz, ob sie etwas verlangen, und ob dein Herz völlig zu geben bereit ist! Verlangen sie, und dein Herz will geben, so gib! Denn siehe, auch das ist eine Hauptregel der wahren Nächstenliebe! Der Nächste muß verlangen, entweder durchs vernehmbare Wort, durch Hilferuf, oder im schlimmsten Falle durch leicht ersichtliche stumme Not, und dein Herz muß alsogleich aus Liebe fest wollen, danach tätig zu sein; dann ist die Nächstenliebe wahrhaft in der göttlichen Ordnung ausgeübt worden, und die Wirkung davon für die Seele und für den Geist des Gebers wird da nicht unterm Wege verbleiben. — Verstehst du solches?“

04. Sagt Markus: „Ja, Herr, ich verstehe es nun vollkommen und werde nun alsogleich solcher Deiner Belehrung nachkommen.“

05. Sage Ich: „Gehe, aber mache Mich nicht ruchbar bei ihnen! Man darf ihnen noch nicht zuviel trauen; denn in ihrem Herzen wohnt noch tiefe Nacht, und ihre Seele fasset noch lange keine Wahrheitstiefe.“

06. Darauf begibt sich Markus schnell zu den Geretteten hin und fragt sie, ob und was sie nun zur Stärkung ihres Leibes benötigen werden.

07. Sagt einer: „Freund, wir sind zwar hungrig und durstig; aber unser ganzes Vermögen besteht nunmehr nur in neun roten Groschen. Dafür wird sich wahrlich hier in dieser bekannt brotarmen Gegend sicher nicht viel herrichten lassen. Kannst du uns aber dafür doch etwas Erkleckliches geben, so gib es uns, und wir wollen dir die neun Groschen darreichen!“

08. Sagt Markus: „Wenn es um euch also steht, so bedarf es auch der neun Groschen nicht, und ihr werdet dennoch zur Genüge zu essen und zu trinken bekommen.“

09. Hierauf ruft Markus sogleich sein Weib und seine Kinder und schafft ihnen, diese neuangekommene Gesellschaft mit Brot und Salz und Wein bestens zu versorgen; denn sonst wäre nun in der Mitternachtszeit wohl nicht leichtlich etwas zu haben. Am Morgen werden sie dann schon besser versorgt werden. Sogleich wird das Geschaffene herbeigebracht, und die Geretteten greifen wacker zu und loben das Brot und den Wein über die Maßen.

10. Einige sagen: „Das ist ein ägyptischer Königswein.“ Andere halten ihn persischer Abkunft. Einer aber meint, daß dies ein echter Römerwein sei.

11. Markus aber sagt: „Keines von allem, sondern der Wein ist hier gewachsen.“ — Darüber verwundern sich alle sehr; denn es war bekannt im ganzen Judenlande, daß in Galiläa der schlechteste Wein zu Hause war.

12. Nach ziemlichem Genusse des Weines aber ward die neu angekommene Gesellschaft so ziemlich lebendig und fing an — wie man zu sagen pflegt —, mit der Wahrheit auszupacken, ohne sich zu genieren vor uns, die wir in ihrer nächsten Nachbarschaft uns befanden.

13. Julius, der nun ganz knapp an ihrem Tische saß, fragt einen jungen Pharisäer, so mehr scherzweise als irgend ernstlich, ob er — der Pharisäer nämlich — nicht auch in Genezareth etwas zu tun habe.

14. Sagt der Befragte: „Herr, wer du auch sein magst, ob ein Cäsaräer oder ein Genezarether, das ist mir nun gleich; aber dieses Loch von einer Stadt ist sogar für den Teufel zu schlecht, geschweige für einen ehrlichen Menschen von meiner Art! Mich sieht dies Nest in meinem ganzen Leben sicher zum zweiten Male nimmer. Dort haust ein gewisser römischer Hauptmann Julius. Das ist genug; denn mit diesem Namen ist schon alles, was nur immer des Satans sein kann, gesagt. Wer aus der Zahl der Sterblichen sich je dem genaht hat, der hat auch den Satan persönlich kennengelernt. Seine Person habe ich zwar noch nie irgendwo zu Gesichte bekommen; aber seine Befehle habe ich verkostet und schließe daraus, daß seine Persönlichkeit auch seinen unmenschlichsten Befehlen auf ein Haar ähnlich sein wird.

15. Jener Julius scheint ein abgesagter Feind der Bewohner von Jerusalem zu sein, ansonst es denn doch nicht möglich sein sollte, gar so barbarisch und echt satanisch unbarmherzig mit Menschen unserer Art zu verfahren!

16. Es ist wohl wahr, daß man besonders den Templern eben nicht sehr gewogen sein kann, so man hinter ihre Tücken, Schliche und allerlei Betrügereien gekommen ist; aber man muß doch auch überall eine Ausnahme machen und erst dann irgendein Urteil richten, so man zuvor alle Verhältnisse genau abgewogen hat, unter denen irgendein Mensch einem Kollegium angehört. Hat der Mensch dasselbe frei gewählt, nun da kann man dann wohl mit Recht sagen: Volenti non fit iniuria. Aber wie viele gibt es oft als Mitglieder eines wenn an und für sich auch noch so lumpig schlechten Kollegiums, die dazu wider ihren Willen gezwungen worden sind.

17. Ist man ein ehrlicher Richter, der Herz und Kopf am rechten Flecke hat, so untersuche man zuvor, ob unsereins freiwillig oder gezwungen zum traurigen Mitgliede eines solchen Kollegiums ward! Ist man ein Freiwilliger, dann kann man für jede ausgeübte schlechte Vorschrift von seiten eines solchen ärgerlichen Kollegiums sicher mit allem Rechte gezüchtigt werden. Ist man aber, wie es bei unsereinem der Fall ist, ein sozusagen mit glühendem Eisen dazu Gezwungener und muß durch den gleichen Zwang die argen Vornahmen des Kollegiums in Vollzug bringen, so sollte man denn doch anders behandelt werden als ein freiwilliger schlechter Lump.

18. Es wird zum Beispiel ein überaus ehrlicher, junger und kräftiger Mensch von Räubern und Mördern überfallen und in die Höhle der Räuber gebracht. Dort werden ihm die martervollsten Todesarten vorgehalten, so er als ein kräftiger Mensch nicht ein Miträuber und Mörder werden wolle. Jeder noch so leise anscheinende Versuch zum Entfliehen wird schon mit einem martervollsten Tode bestraft.

19. Es geschieht aber, daß solch eine Räuber— und Mördergesellschaft vom strafenden Arme der Gerechtigkeit erreicht und zur Strafe gezogen wird. Ist es da recht, wenn der junge Mensch nun das Los derer teilen muß, die ihn mit glühenden Eisen zu einem Miträuber gemacht haben? Solch einen Unglücklichen sollte man nur nach aller Möglichkeit und nach allen Seiten hin zu retten suchen, nicht aber am Ende ohne alles Erbarmen ihn, gleich den wirklichen Missetätern, ans Kreuz hängen und ihm die Beine zerschlagen. Gerichtet und verdammt ist bald und leicht, besonders für den, der das Schwert und die Macht in seinen Händen hat; aber wie, — das ist eine ganz andere Frage!

20. Nach meinem Gefühle wäre es noch immer besser, so man zehn wirkliche Lumpen, deren Schuld man aber nicht völlig hat erweisen können, laufen ließe, als daß man einen solchen verurteilt, wie ich ihn in meinem Beispiele angeführt habe; denn solch ein Urteil scheint die allerhimmelschreiendste Versündigung an den heiligsten Rechten der Menschheit zu sein! Wenn es schon strafbar ist, so man einen glücklichen Menschen so ein wenig nur unglücklich macht, wie ungeheuer strafbar muß es dann erst dort sein, wo man einen ohnehin schon ohne sein Verschulden allerunglücklichsten Menschen noch unglücklicher macht, anstatt daß man als Mensch doch alles aufbieten sollte, ihn aus seinem ersten, höchst unverschuldeten Unglücke nach Möglichkeit zu erretten!

21. Und siehe, Freund, beinahe um kein Haar besser geht es mit uns jungen Templern. Auch wir sind als Söhne wohlhabender Eltern mit Gewalt dem Tempeldienste geweiht worden, ohne eigentlich dem Stamme Levi der Geburt nach anzugehören; denn solch eine Geburt kann man jetzt ums Geld haben, wie oft man sie will.

22. Wir sind nun einmal Leviten und können uns von diesem lieben Stande beim allerbesten Willen von der Welt nimmer losmachen. Ja, wir könnten zwar für uns wohl entfliehen und könnten als kräftige junge Männer dem Soldatenstande Roms uns anschließen; aber dann hätten wir damit auch den Stab alles Verderbens über unsere Eltern und Geschwister gebrochen, und sie rettet kein Gott vor dem herrlichen Genusse des verfluchten Wassers. Wer aber dieses scheußliche Giftwasser hat zu trinken bekommen, ist noch allzeit gestorben, und das auf die schmählichste und schmerzlichste Art von der Welt.

23. Man erzählt uns wohl, daß vor ungefähr dreißig Jahren ein Menschenpaar aus Galiläa nach dem Genusse des Satanswassers nicht gestorben sei. Möglich, — aber wir waren nicht zugegen!

24. Wer nun unsere Lage von solch einem Standpunkte aus betrachtet und uns dann gleich andern gemeinsten Menschenbestien behandeln kann, der hat ganz verdammt wenig Anspruch auf die Ehre, ein Mensch zu sein, zu machen! Da scheint das hochtrabende römische ,Fiat iustitia, pereat mundus!‘ eben nicht gar weit her zu sein.

25. Ich und noch einige von unserer diesmaligen armseligen Gesellschaft aber sind eben in Genezareth ohne all unser Verschulden von dem gewissen Hauptmann Julius auf eine Weise behandelt worden, wie man kein reißend Vieh ärger behandeln kann, und es wird daher begreiflich sein, warum wir für alle Zukunft diesen Ort, den der Julius beherrscht, wie die ärgste Pest meiden werden!“

237. Kapitel. Der Entschluß der Pharisäer.

01. Sagt inzwischen Julius: „Hm, sonderbar von dem Manne, der sonst doch allgemein den verdienten Ruf eines vollkommen streng ehrlichen und vollrechtlichen Mannes besitzt!? Aber kannst du mir denn so mutmaßlicherweise zum wenigsten sagen, was da Julius für einen Grund haben mochte, daß er sich gegen euch so strenge erwies? Denn eine ungerechte Sache muß sich denn doch noch immer irgend wieder gutmachen lassen, ansonst es mit allen gesellschaftlichen Verbänden auf dieser Erde für immer ein volles Ende hätte!“

02. Sagt der junge Pharisäer: „Oh, Gründe kann er mehrere gehabt haben; aber sie reduzieren sich am Ende alle darauf hin, daß man vor der Welt durch argen Zwang gar leicht ein Verbrecher oder zum wenigsten ein irgendeines Verbrechens verdächtiger Mensch sein kann, ohne es aus sich freiwillig zu sein! Sagt ihr doch in eurem Gesetze, daß zu irgendeiner schlechten und darum strafbaren Tat ein entschieden freier böser Wille erforderlich sei, was erwiesen werden muß; ansonst müßte man am Ende auch den ans Kreuz heften, der durch einen Zufall vom Dache fiel und durch diesen Fall ein unter dem Dache ruhendes Kind erschlug und tötete!

03. Wir jungen Pharisäer und Leviten werden nun allzeit vom Tempel aus sicher aller ehrlichen Welt gegenüber kaum je in einer respektablen Absicht abgesandt; ja wir tragen oft geheim so elende Tempelabsichten hinaus zu den harmlosen Menschen in die Welt, daß wir sie selbst offenbarst im tiefsten Grunde unseres Herzens verachten müssen! Aber was nützt alles das?

04. Wir gleichen da den Kriegern, die von ihren Feldherren genötigt, in ein Land als Feinde eines in sich ganz ruhigen Volkes einfallen und alles verheeren, bloß irgendeines geheimen feldherrlichen Zweckes wegen, von dem der gemeine Krieger vielleicht die Zeit seines ganzen Lebens hindurch keine Kenntnis bekommt; er muß als eine Maschine handeln, die höchstens, wenn sie zum Weiterhandeln untüchtig geworden ist, in irgendeinen stummen Ruhestand gesetzt wird.

05. Ich aber meine, wenn der Tempel mit seinen ruchlosen, geheimen Absichten eine den Römern sicher schon zu wohl bekannte Anstalt ist, von der aus Verbrechen über Verbrechen begangen werden, dem Staate so gut wie aller Menschheit gegenüber, so sollten dergleichen gerechte Juliusse das Übel gleich lieber von der Wurzel ausrotten und sich nicht stets an den Zweiglein vergreifen, die bei Gott nicht dafür können, daß sie von einem so schlechten Stamme ins Dasein getrieben worden sind! — Das ist so meine und unser aller, wie wir hier sind, Ansicht. Mache du daraus nun, was du willst; aber ich habe recht vor Gott und allen recht und billig denkenden Menschen!“

06. Fragt abermals Julius, sagend: „Das ist alles gut und wahr, und es ist euch in Genezareth offenbar Unrecht geschehen, das euch vergütet werden wird. Es wäre euch aber auch nicht so hart begegnet worden, wenn ihr in das Haus des dortigen Gastwirtes Ebahl nicht gar so diktatorisch gedrungen wäret! Aber lassen wir nun das; denn auch zu solch einem Benehmen könnet ihr vom Tempel aus die gemessensten Weisungen haben. Aber ich möchte von dir nun denn doch so als Freund jeder guten Sache in Erfahrung bringen, in welcher Absicht ihr denn so ganz eigentlich vom Tempel aus nach Nazareth und Kapernaum beordert worden seid.“

07. Sagt der Befragte: „Indem du nun durch mein sicher rückhaltlosestes Bekenntnis wirst gesehen haben, daß wir in unseren Herzen nicht im geringsten das sind, als was wir, besonders von den Römern, angesehen werden, so kann ich dir, der du ein Freund alles Guten und Wahren zu sein scheinst, ja auch den geheimen Grund näher bezeichnen. Sieh, es ist in Jerusalem und ganz besonders im Tempel überaus ruchbar, daß sich in Galiläa ein Mann herumtreibt, der eine neue, antijüdische, eigentlich antitemplische Lehre verbreitet, viele und große Zeichen zur Bekräftigung seiner Lehre verübt, so daß bereits bekanntermaßen sogar alte und sonst nagelfeste Pharisäer sich zu seiner Lehre bekennen!

08. Daß solch ein Mann vom Tempel aus wohlweisen Gründen nicht mit freundlichen Augen angesehen wird, kannst du dir wohl denken. Nun sind wir bloß zu dem Behufe unter Eid genommen und dann abgesandt worden, um zu eruieren, ob und was es denn so ganz eigentlich mit dem fraglichen Manne für eine Bewandtnis habe. Fänden wir ihn, so sollten wir ihn entweder für den Tempel zu gewinnen suchen oder ihn im Widerstrebungsfalle so klamm (heimlich) von dieser Welt in die andere befördern. — Nun, das war so ganz kurz gefaßt die hohe Absicht des Tempels, deren harmlose und total unschuldige Träger wir waren.

09. Es versteht sich aber übrigens von selbst, daß der bewußte, sicher höchst ehrliche, gute Mann von uns nie etwas zu befürchten gehabt hätte; denn hätten wir ihn auch gefunden, so wäre ihm von uns aus kein Haar gekrümmt worden.

10. Wie wir vielseitig erfahren haben, soll er im Ernste ein außerordentlicher Mensch sein, voll Wahrheit, Ehrlichkeit, Güte und Biederkeit, — Eigenschaften, die wir an jedermann noch stets über alles zu schätzen und zu achten verstehen. Kurz, hätten wir ihn auch irgendwo getroffen und gefunden, so hätte davon von uns aus der Tempel sicher nicht eine Sterbenssilbe erfahren; denn aufs sogenannte Maulhalten verstehen wir uns. Auch für den Tempel hätten wir ihn nie zu gewinnen gesucht; denn den Tempel und seine Niederträchtigkeiten kennen wir wie nicht leichtlich jemand anders. Wären wir aber in unseren Herzen auch des eigentlichen Tempelgelichters, so würden wir hier trotz des ein bißchen genossenen Weines nicht so offen mit dir reden.

11. Wir aber haben eine geheime Absicht, abgesehen von allem, was darum unsere Weltverwandten alles um unsertwillen werden zu gewärtigen haben, nun dem Tempel zu entwischen; denn es ist im selben durchaus nicht mehr zu bestehen. Wir sind darum auch hauptsächlich nächtlicherweile übers Wasser in diese Gegend gekommen, um von da irgend nach Tyrus oder Sidon zu gelangen und uns dort dem Cyrenius vorzustellen und ihm, der einer der weisesten Männer sein soll, unsere Not vorzutragen. Es ist aber die Meinung des größten Teiles von uns, daß wir zuvor dennoch nach Jerusalem auf einem möglichst kürzesten und von Ungemach freiem Wege gelangen und alldort sehen sollten, von unseren Verwandten wegen einer vorgeschützten frommen Geschäftsreise, im Interesse des Tempels natürlich, ein Geld zu bekommen, mit dem wir dann leicht eine Reise nach Tyrus und Sidon, oder am Ende gar nach Rom selbst, unternehmen könnten zur Erreichung unseres Zweckes. Zugleich aber müssen wir zu dem Behufe uns auch ordentliche Wanderscheine verschaffen, ohne welche man in dieser Zeit schwer anstandslos weiterkommt. Solche Scheine aber kosten Geld.

12. Es wäre einesteils darum wohl gut und nötig, uns von Hause aus ein genügend Geld zu verschaffen; aber ich und ein Teil denken da wieder anders und sagen: So wir dem Tempel entweichen, so werden darum unsere Alten, das heißt unsere Eltern und Geschwister, ohnehin vom Tempel aus alles mögliche Ungemach, vielleicht gar das verfluchte Wasser zu bestehen bekommen. Es wäre darum zu himmelschreiend ungerecht, so wir sie zuvor noch gewisserart um ihr Geld bringen wollten, wodurch sie dann am Ende kaum imstande wären, sich im äußersten Falle vom Genusse des gewissen Wassers loszulösen, was im Tempel oft geschieht, daß den Gravierten (Belasteten) die Wahl zwischen — natürlich — viel Geld und dem verfluchten Wasser freigestellt und nun auch fast durchgängig mit Geld als Sühne vertauscht wird.

13. Nun, da ist schwer zu entscheiden, was man da tun soll. Ich für mein Teil bin einmal fürs Nichtnachhausegehen, und das aus den bereits bekanntgegebenen Gründen und aus noch einem Grunde, den ich für einen Hauptgrund halte. Denn holen wir uns nun in Jerusalem vorher noch ein Geld unter einem erdichtet templisch frommen Vorwande, und kommt dann die Geschichte denn doch sicher auf, so trifft uns alle auch unvermeidlich der Tempelfluch im großartigsten Maße und mit dem der Fluch unserer Alten, und unser Glück in der Welt ist gemacht, daß es Gott erbarme! Gehen wir nun aber heimlich, so werden der Tempel und unsere Alten denken, daß wir etwa irgendwo verunglückt seien. Unter solchen Rücksichten werden dann der Tempel und unsere Alten um uns trauern, und beide werden für uns beten und uns segnen für die ganze, lange Ewigkeit. — Was meinst du, der du ein Freund des Rechtes und der Wahrheit zu sein scheinst, was ist da das Bessere und was ist da völlig Rechtens?“

238. Kapitel. Des Herrn Rat und Hinweis auf die praktische Nächstenliebe.

01. Sagt Julius: „Mir gefällt wohl euer Entschluß; aber die Mittel zu dessen endzwecklicher Ausführung können mir nicht gefallen, weil ihnen keine Wahrheit zugrunde liegt. Freilich ist hier der Fall, daß ihr mit der Verfolgung der vollen Wahrheit im Mittel sowohl als im zu erreichenden Zwecke eigentlich gar nicht zu dem euch vorgesteckten Ziele gelangen könnet. Ein Mittelweg aber läßt sich da auch nicht so leicht ausfindig machen. Lasset mich da ein wenig nachdenken, vielleicht finde ich so einen Weg, auf dem ihr am Ende vor Gott und vor der Welt als gerechtfertigt erscheinet!

02. Euer Tempeleid ist da freilich meines Erachtens das stärkste Hindernis. Wie ist der zu umgehen? Wenn ich diesen um eures dennoch vollwahren Gottes willen nicht respektierte, dann kostete es mich nur eines Wortes, und ihr wäret vor Gott und vor aller Welt schuldlos frei vom Joche eures Tempels. Aber euer feierlichst dem Tempel geleisteter Eid hindert mich da ganz ungeheuer daran, und ich muß mich darüber beraten mit den vielen Weisen, die an meinem Tische ruhen; und wir wollen dann sehen, wie wir uns aus dieser wahren Scylla und Charybdis herauszuziehen werden imstande sein.“

03. Sagt der junge Pharisäer: „Tue du das, und du tust wahrlich ein gutes Werk an uns! Sage mir aber doch noch gütigst zuvor, wer so ganz eigentlich die Gäste an deinem Tische sind, auf daß wir ihnen den gebührenden Respekt zollen können! Der alte Herr muß entweder ein gar vornehmer Römer oder mindestens ein sehr reicher Grieche sein!?“

04. Sagt Julius: „Lassen wir heute das; denn für derlei Aufklärungen wird sich noch morgen eine mehr als hinreichende Zeit finden lassen! Nun will ich zu eurem Besten mich lieber mit der Hauptsache beschäftigen.“ Damit war der junge Mann denn auch zufrieden, und Julius wandte sich darauf ganz unverhohlen an Mich in römischer Zunge, deren Ich sicher auch mächtig war, und sagte: „Herr, was wird da wohl Rechtens sein? Gewalt von meiner Seite würde alle Eide und alle Tempelgesetze über den Haufen werfen; aber da träte ich dann als ein Zerstörer des feierlichsten Gelübdes auf, und die Schuld des Eidbruches fiele dann auf mich. Ich halte freilich — unter uns gesagt — auf Eide, die zur Haltung böser Pflichten abgefordert und leider nur zu oft abgelegt werden, nicht nur nichts, sondern verachte sie tiefst, weil dabei Gott zur Steuer der Falschheit und Schlechtigkeit als Zeuge und Helfer angerufen wird. Aber der Tempel zu Jerusalem ist so eine fragliche Sache!

05. Auf der einen Seite ist er dennoch, wie von alters her, ein für alle Juden geheiligtes Bet—, Opfer— und Reinigungshaus und wird bis zur Stunde von mehreren tausendmal Tausenden in der Hinsicht frommgläubig geheiligt; auf der andern Seite aber werden nun nur zu bekanntermaßen alle Greuel der Greuel darin auf eine allergewissenloseste Weise begangen, wie sonst auf der lieben Erde nicht leichtlich noch irgendwo. Nur von da aus möchte ich wohl gleich jedes Gelübde vom Grunde aus zerreißen und zerstören.

06. Sage Du mir darum, was da vollends Rechtens vor Gott und den Menschen ist?! Denn wahrlich, wenn sich da alles so verhält, wie es mir diese Menschen nun ganz harmlos kundgaben, so dauern mich diese Jungen sehr, und ich möchte ihnen helfen.“

07. Sage Ich: „Es ist ja doch ehedem ausgemacht worden, wie man die rechte Nächstenliebe ausüben soll. Verlangen sie es, und dein Herz will es auch, da hast du ja schon den ganzen Rat beisammen. Zudem hast du doch selbst nie einen Eid dafür abgelegt, daß du des Tempels arge Gelübde ehren sollest. Wenn aber du durch keinen Eid irgend für den Tempel gebunden bist, was sollte dich hernach hindern zu tun, was dir gut und zweckdienlich dünkt?

08. Hast du doch schon oft Gewalt geübt gegen Menschengesellschaften, die an ihre alten Sitten und Gebräuche auch eidlich gebunden waren, und es war solches sogar ganz gut von dir; denn es staken in solchen alten Sitten und Gebräuchen nur zu häufig große geheime Grausamkeiten. Desgleichen kannst du auch hier ganz nach deinem rechtlichen Sinne tun.

09. Gewalt von der römischen Seite hebt jede eidliche Verpflichtung, auch vor Gott gültig, für ewig auf, das heißt, wenn derjenige, der im Eide gestanden ist, selbst vollends frei einsieht, daß erstens sein Eid ein wider seinen Willen gezwungener war, und daß zweitens der Eid einen durchgängig und wohl erkenntlich schlechten Zweck hatte, und daß der Eid mehr durch weltliche denn irgend göttliche Gesetze in der Art, wie er ist, sanktioniert ist.

10. Einen sogestaltig durch einen bösen Eid gefangenen Menschen aus solch einer argen Gefangenschaft des Satans erlösen, ist selbst dann ein groß—gutes Werk der wahren Nächstenliebe, wenn ein Mensch in der Schwäche seiner Erkenntnis von seinem geleisteten Eide in seinem Glaubensgemüte noch gefangengehalten würde, — geschweige hier, wo das vollste Einsehen des schlechtesten Eides von der Welt von den betreffenden jungen Männern klarst eingesehen wird. Tue du demnach hier nur ganz nach deinem Gutdünken, und Mein Freund Cyrenius wird dir dabei sicher seine Oberhilfe nicht versagen!“

11. Sagt sogleich Cyrenius: „Nicht nur nicht versagen, sondern, damit mein Julius noch gewissensfreier fürder atmen kann, werde ich an den dreißig Menschen die rechtliche Gewalt ausüben, und der Tempel soll dann von mir Rechenschaft verlangen!“

12. Über solch Mein und des Cyrenius Wort ward Julius über alle Maßen froh, und alle frohlockten über solch eine gute Maßnahme.

239. Kapitel. Julius gibt seinen besten Rat den Pharisäern kund.

01. Darauf wandte sich Julius abermals zu seinem jungen Pharisäer und sagte: „Nun, Freund, haben wir schon ein rechtes Mittel aufgefunden, durch das ihr samt euren Alten vor dem Tempel und allen seinen Forderungen als vollkommen gerechtfertigt erscheinen müsset und eure Alten am Ende sogar eine gerechte Klage wider den Tempel beim römischen Pflegeramte erheben können, worauf der Tempel sicher zum Ersatze an eure Alten für euren Verlust verurteilt wird, weil ihr zufolge der vom Tempel genötigten Nichtbeachtung der Gesetze Roms in Hinsicht der ordentlichen Wanderscheine, von denen der Tempel noch bis zur Stunde ganz hartnäckig keine Notiz nehmen will, von uns Römern gefangengenommen und sogleich unter das Militär der Fremdenlegion gesteckt worden seid! Ihr seid sonach nun schon gefangengenommen zu eurem Besten. Ist es euch angenehm?“

02. Sagen alle: „O Herr, wer du auch sein magst, diesen göttlichen Rat hat dir nur ein Gott geben können! Wahrlich, so erreichen wir den guten Zweck für uns und nicht minder für unsere Alten. O Wonne, wie süß schmeckest du, und um wieviel weiser ist das große Rom nun als unser allerschmutzigstes Jerusalem! Alter Wirt und Vater dieses Hauses, gehe und bringe uns auf diese für uns überfrohe Kunde noch einen Wein; denn nun muß alles leben, was sich hier befindet! Wir sind ja aus der Hölle in alle Himmel auf einmal erhoben worden. Die blinden Juden warten noch immer auf einen verheißenen Messias, der sie vom Joche der Römer befreien soll. Und sieh, wir haben aber nun eben bei und in euch, ihr lieben Römer, den echten und allein wahrhaftigen Messias aller Menschen gefunden! Die reine Wahrheit ist der wahre Messias aller Menschen. Diese aber ist nun in eurer Mitte, und so seid ihr mit der vollsten und reinsten Wahrheit unter euch und in euch der einzige und wahre Messias aller rein und bieder denkenden Juden, wie auch aller Menschen, deren Gemüter mit allerlei alten, nichtigen und durch und durch verdorbenen Lehren und daraus abgeleiteten noch schlechtesten Gesetzen gefangengehalten sind. Alter Wirt, geh, geh, und laß uns noch einen Wein aufsetzen auf das Wohl unserer Erlöser und Messiasse!“

03. Markus läßt sogleich noch mehr Brot und mehrere Krüge voll Wein auf den Tisch der Fremden bringen; und der junge Redner fragt noch einmal den Julius, wer sich denn doch alles bei der Gesellschaft befinde, und wer er eigentlich selber sei.

04. Sagt Julius: „Ich habe es dir ja zuvor gesagt, wem der von dir so sehr verrufene Julius von Genezareth irgendein Unrecht, freilich wider seinen Willen, zugefügt hat, dem wird er es auch zur rechten Zeit wieder gutzumachen sich sicher alle mögliche Mühe geben. Und der von euch so gefürchtete Julius bin ich selbst, und da, mir gegenüber, sitzt der erhabene Oberstatthalter von ganz Asien und Ägypten — Cyrenius, zu dem ihr nach Sidon ziehen wolltet. Und nun, sage mir, wie du mit uns harten, unerbittlichen Römern zufrieden bist!“

05. Als der junge Pharisäer solches vernimmt, erschrickt er anfangs sehr samt allen seinen Gefährten; aber er faßt sich bald wieder und sagt: „Hoher Gebieter, bist du uns gram wegen meiner früheren Rede, die dir doch offenbar nicht sehr schmeichelhaft hat vorkommen können? Aber ich kann da ja unmöglich dafür, wie auch du hast offenbar nicht dafür können, daß du uns mit durch Lehm verpichten Augen und Ohren nach Kapernaum hast transferieren lassen. Hättest du uns damals gekannt wie jetzt, so hättest du uns solches nicht angetan. Du hieltest uns aber für gewöhnliche Pharisäer schlechtesten Gelichters, und das entschuldigt nun vollkommen deine damalige harte Handlung mit uns. Vergib aber nun nur uns und besonders mir; denn du weißt es schon, was, wie und weshalb!“

06. Sagt Julius: „Mit freimütigen Menschen rede ich gerne, und nie wird mich die freie Rede beleidigen von Männern, die die Wahrheit ohne alle Furcht und Scheu frei heraus von sich geben ohne irgendeinen Hinterhalt; aber wehe auch denen, die anders denken und fühlen und ganz anders reden! Nichts ist vor mir häßlicher als die Lüge, und ich verdamme sogar eine Notlüge; denn es ist vor Gott und vor allen ehrlichen Menschen besser zu sterben — als sich zu retten durch eine Unwahrheit! Aber wie gesagt, bei euch gefällt mir eure offene Sprache. Und da mir eure Verhältnisse so ziemlich bekannt sind von Jerusalem und Bethlehem aus, so weiß ich es auch, daß ihr hier so ziemlich ohne Vorhalt euer Anliegen vorgebracht habt. Es steckt zwar noch etwas im Hintergrunde bei euch; das jedoch ist eine Kleinigkeit, und ihr werdet es auch erreichen, so ihr uns Römern eine wahre und stets offene Treue und brüderliche Ergebenheit erweisen werdet!“

07. Sagt der junge Redner: „Hoher Herr, sei auch du ganz offen und sage es gerade heraus, was das ist, das wir noch im Hinterhalte hätten, was zu diesem unserem Anliegen gehört! Denn freilich, wohl gibt es noch so manches in uns, das wir hier nicht haben kundtun können, da fürs erste die Zeit zu kurz war und man fürs zweite in einer so großherrlichen Gesellschaft denn doch über so manches nicht mit der ganzen Tür ins Haus fallen kann, besonders wenn ein höchster Herr als der Oberstatthalter von ganz römisch Asien zugegen ist, dessen Höhe und Majestät wir uns nicht einmal ganz offen anzusehen getrauen, seit wir wissen, daß er es ist. Zudem befindet sich auch ein Mägdlein an eurem Tische und ein Jüngling, und da heißt es denn doch: Halte deine Zunge ein wenig im Zaume! Wenn wir aber allein beisammen sein werden, dann werden wir gewiß vor dir, hoher Herr, nichts mehr irgend geheimhalten! Aber da du mit uns armen Sündern schon einmal so gnädig und barmherzig bist, so sage es uns in der Stille, was dir an uns noch als unbehaglich erscheint, und ob das etwa auch irgendein hoher Römer ist, mit dem du zuvor unsertwegen römisch geredet hast!“

08. Sagt Julius: „Nun, das, was ihr mir von euch des Dekorums wegen (des Anstandes wegen) verschwiegen habt, ist ohnehin von keiner Bedeutung mehr, weder für mich noch für euch. Aber wohl könnte für euch von höchster Bedeutung die Bekanntschaft mit jenem euch auffallenden Manne sein! Aber auch dazu ist heute durchaus keine Zeit mehr; darum morgen das Weitere!“ — Damit begnügten sich ganz ehrerbietigst die Geretteten und griffen wieder zu Brot und Wein und ließen alles leben in aller Heiterkeit ihrer nun frohen Gemüter.

240. Kapitel. Jarah gibt Zeugnis vom Herrn.

01. Am Ende brachte noch einer, der noch etwas Wein im Kruge hatte, einen Gesundheitstrank dem weisen Nazaräer in folgender Weise dar: „Auch der, den wir suchten, aber leider nirgends finden konnten, soll leben von uns aus für immerdar, so er noch irgendwo lebt und in guter Sicherheit ist. Wir werden seinem Leben, das ein Heil den Menschen ist, ewig nimmer feind werden. — Oh, hätte er sich nur von uns finden lassen, wir hätten ihm den Tempel, so er noch irgend etwas darauf halten sollte, auf eine Art beleuchtet, daß er sicher sich nimmer gleich uns nach ihm sehnen würde! Da wir ihn aber nicht finden konnten, so sei ihm, dem guten Leib— und Seelenarzte aus Nazareth, dieser Segenstrank dargebracht!“

02. Bei dieser Gelegenheit kamen dem Julius Tränen in die Augen, sowie dem ganz gerührten Cyrenius. Auch die Jarah bekam Tränen in ihre Augen und die meisten Meiner Jünger. Und die Jarah sagte ganz still zu Mir: „O Herr, dürfte ich jetzt reden, was könnte und was wollte ich diesen dreißig Geretteten doch alles erzählen von Dir!“

03. Sage Ich: „Ja, wenn du Mich nicht verrätst, so kannst du schon etwas von dir geben; denn diese Geretteten werden dich mit der allergespanntesten Aufmerksamkeit anhören!“

04. Sagt die Jarah voll Freuden: „Oh, wenn also, dann werde ich gleich die Gesellschaft um Aufmerksamkeit angehen!“

05. Sage Ich: „Nun, so tue das, aber du mußt dich fest halten, daß du Mir nicht zu weinen anfängst!“

06. Sagt die Jarah: „O Herr, das werde ich schon möglichst zu vermeiden trachten!“ — Nach solcher Versicherung erhob sich die Jarah und sagte mit sehr klarer und wohlvernehmlicher Stimme: „Höret, meine lieben Freunde, die ihr soeben einen Segenstrunk auf den von euch gesuchten und dennoch nicht gefundenen Heiland aus Nazareth dargebracht habt! Diesen Trunk teilte ich in meinem Herzen aus der tiefsten Tiefe meines Lebens mit euch; denn ich habe das unschätzbarste Glück gehabt, Seine Bekanntschaft, und zwar in Genezareth selbst, gemacht zu haben. Ich bin darum auch in der beseligendsten Lage, euch von Ihm, was da Seinen Charakter und Seine unerhörten Fähigkeiten betrifft, einen zwar kurzen, aber getreuest wahren Entwurf zu geben, so ihr übrigens einen solchen zu vernehmen wünschet.“

07. Sagen alle laut: „Ja, ja, holdestes Kind aus Genezareth! Fasse dich aber lieber etwas länger als leichtlich etwas zu kurz, das heißt, wenn es deine zarte Brust nur nicht etwa zu sehr anstrengt!?“

08. Sagt die Jarah: „Oh, sorget euch um etwas anderes! Meine Brust ist stark und kann schon etwas ertragen. Sehet und höret denn! So wie ihr, habe auch ich schon so manches von dem neu aufgestandenen Wunderheilande aus Nazareth gehört. Unsere Gegend aber war gleichfort eine der ungesundesten von ganz Galiläa; denn ein jeder Fremde, der dahin kam und sich dort nur ein paar Tage aufhielt, ward sicher so krank, daß er gar nicht mehr weiterzureisen vermochte. Es gab welche, die oft über ein Jahr lang dort bleiben mußten; den Einheimischen machte es weniger. So ganz kerngesunde Menschen wohl gab es nur sehr wenige; aber doch gab es unter den Einheimischen auch wenige, von denen man hätte sagen können, daß sie krank seien. Alle Reisenden vermieden darum sorgfältigst diesen Ort, und wen nicht unerläßlich dringende Geschäfte hintrieben, der kam sicher nicht nach Genezareth.

09. Als ich von dem bewußten Heilande aus Nazareth zuerst Kunde erhielt, da fing ich an, zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gar inbrünstig, zu beten, daß Er den Heiland auch nach dem höchst ungesunden Genezareth möchte kommen lassen. Und sehet, ich ward bald erhört, denn der Heiland aus Nazareth kam bald darauf zu uns nach Genezareth. Und man sah einen Heiland ohne Arzneien und fragte sich geheim: ,Wie wird denn der die vielen Kranken heilen?‘ Aber Er überzeugte uns nur zu bald, daß Er nichts als nur zu sagen brauchte: ,Ich will, sei oder seid gesund!‘ Und sehet, in einem Augenblick wurden alle, von was für verschiedenen heilbaren oder bekannt unheilbaren Krankheiten sie auch behaftet waren, mit Blitzesschnelle derart geheilt, daß bei ihnen aber auch keine Spur davon irgendmehr zu entdecken war, als wären sie je krank gewesen! Lahme, Blinde, Taube, Krüppel, Besessene, Gichtbrüchige, Aussätzige und noch viele mit hunderterlei andern Übeln Behaftete, das war dem Heilande eins; Sein Wort und Wille heilte sie alle. Julius, ein Römer, ist nebst Hunderten Zeuge davon gewesen.

10. Er heilte aber nicht nur die Leiber der Menschen, sondern auch die Seelen und deren Verständnis, fegte den blinden Aberglauben aus den Herzen der dummen und verirrten Menschen und belehrte die Unwissenden auf eine so klare und leichtfaßliche Weise, daß sich alle darob oft noch mehr verwunderten, als über Seine Heilungen durchs Wort.

11. Endlich aber zeigte Er Sich auch als ein vollendetster Herr und Meister der Natur; denn Ihm gehorcht Wasser, Luft, Feuer und Erde, und ich möchte es sogar behaupten und das für ganz gewiß, daß sich Sonne, Mond und all die Sterne Seinem Worte nicht ungehorsam bezeigen möchten; denn die Engel der Himmel fügen sich Seinem Willen.

12. Mich hatte Er sehr lieb, wie auch ich Ihn über alles, obschon Er äußerlich eben nicht ein schöner Mann ist; denn Er ist mehr klein von Statur, und Seine Hände sind rauh und arbeitnarbig, aber Sein Kopf ist würdevoll und Sein Auge wohl das schönste, das mir je zu Gesichte kam. Auch um den Mund hat Er einen überaus freundlichen, wenn danebst auch würdevoll ernsten Zug. Die Stimme Seines Mundes aber kann man eine wahrhaft männlich hinreißende nennen; denn sie klang wenigstens für mein Ohr angenehmer als der schönste und reinste Gesang.

13. Da habt ihr nun so einen möglichst kurzen Entwurf von dem allerberühmtesten Heilande aus Nazareth vollkommen der Wahrheit getreu, wofür, wie schon gesagt, hundert der allerbewährtesten Zeugen stehen können. — Wie gefällt euch nun der Heiland, den ihr gesucht und nicht gefunden habt?“

241. Kapitel. Enthüllung der Absichten des Tempels.

01. Sagen die Pharisäer, große Augen über die Beschreibung Jarahs machend: „Neues hast du uns zwar nichts Besonderes erzählt; denn solches und noch mehreres ist uns von ihm schon zu Ohren gekommen, als wir noch in Jerusalem waren; und weil ebenso außerordentliche Gerüchte von ihm, man könnte es sagen, schon durch ganz Israel wie beinahe das tägliche Brot gang und gäbe sind, so sind schon mehrere vom Tempel aus abgesandt worden, diesen Mann irgend ausfindig zu machen und ihn in den Tempel zu bringen, wo ihm dann vom Tempel aus zuerst sicher Anträge gemacht würden, seine wunderbaren Kenntnisse und Eigenschaften allein den Vorteilen des Tempels zu weihen. Und würde er solche Anträge von sich weisen, was sich von ihm mit der vollsten Sicherheit erwarten ließe, da er zugleich ein sehr guter, liebevoller und überaus weiser Mann sein soll, nun, da würde er auf jeden Fall den kürzeren ziehen müssen und einem tiefsten und festesten Kerker schwerlich je entgehen; er müßte denn nur im Ernste allmächtig sein. Denn der Tempel ist nun so arg geworden, daß jetzt anstatt der Menschen gleichwohl der Satan in aller Schlechtigkeit ganz gut noch zehn volle Jahre in die Schule gehen könnte, um in alle die Schändlichkeiten des Tempels vollends einzugehen und sie praktisch einzuüben.

02. Darum sagen wir, daß sich der Heiland aus Nazareth wohl nie zu den vielen Schändlichkeiten einlassen würde; gegenfalls er aber in jedem Falle ein Opfer des Tempels werden würde.

03. Es seien zwar durch die Macht seiner Worte und Werke schon gar viele Pharisäer bekehrt worden; aber was hat ihnen alles das genützt? Sie hatten am Ende ihre wahre Teufelsnot mit dem Tempelkollegium und haben auch, um im Kollegium wieder mit einiger Behaglichkeit leben und bestehen zu können, dazu noch müssen zu lügen anfangen, daß es davor nur gleichweg gestaubt hat. Denn das alte Tempelkollegium ist und bleibt schon einmal rein des Teufels, und es läßt sich mit demselben nichts anfangen.

04. Wenn der oberste Priester einmal sagt: ,Heute wird die Sonne den ganzen Tag der Erde nicht scheinen!‘, so darf kein unterer Templer nur von fernehin eine Bemerkung sich erlauben am selben hellichten Sonnentage, etwa nur so leise hin, bei der man zu verstehen gäbe, daß die Sonne dennoch scheine. Aus wäre es da für ein ganzes Jahr! Kurz, da darf niemand anders glauben als: die Sonne scheine an dem Tage durchaus nicht, — und müßte er sich vor den oft zu warmen Strahlen der Sonne in den dichtesten Schatten flüchten! Sagt der Oberpriester: ,Heute wird sieben Stunden lang nichts denn Blut fließen im Bache Kidron!‘ — wehe dem, der auf solchen Spruch etwa doch kein Blut fließen sähe! Kommt ein Kranker zum Oberpriester, und dieser sagt: ,Mein Sohn, du bist geheilt, gehe nun, opfere deine Gabe, und kehre dann getrost nach Hause!‘; nun, der Geheilte aber ist darauf ebenso krank und elend, wie er ehedem war. Sagt er aber: ,Mein Freund, ich bin noch so krank wie zuvor und kann daher kein Opfer geben!‘, o Gott, o Gott, da ginge es ihm dann schlecht! Kurz, das Wort des Oberpriesters muß helfen, und fürs Helfen muß gezahlt werden, wenn von einer wirklichen Hilfe auch nirgends eine Spur zu entdecken ist. Und wehe dem, der solch eine Nullhilfe nur im geringsten irgend verdächtigen möchte; nun, in dessen Haut wäre wahrlich nicht gut stecken!

05. Daß bei solchen Heilungen gegen ungeheuer dicke Opfer dein Heiland fürs Tempelkollegium sehr zu gebrauchen wäre, wirst du, liebstes Kind, nun wohl begreifen, wie auch, warum der Tempel stets Jagd auf den guten Heiland aus Nazareth macht.

06. Übrigens danken wir dir, daß du ihn uns näher beschrieben hast. Vielleicht wird auch uns irgend einmal das Glück zuteil werden, mit ihm irgendwo einmal zusammenzukommen. Dem allmächtig guten Jehova alles Lob, daß Er uns aus den Klauen des Tempels befreit hat! Kommen wir aber etwa einmal als Krieger nach Jerusalem, da freue dich, du heiliges Tempelkollegium! Wir werden dir deine Heiligkeit schon so hübsch auszutreiben verstehen!

07. Wenn du, liebstes und holdestes Mägdlein, aber von deinem höchst merkwürdigen Heilande noch etwas Besonderes zu erzählen weißt, so erzähle! Wir wollen dir bis zum Sonnenaufgange mit der größten Aufmerksamkeit von der Welt zuhören; denn der Mann interessiert uns bis aufs äußerste.“

242. Kapitel. Das Steinwunder des Erzengels Raphael.

01. Sagt die Jarah: „Ja, meine liebwerten Freunde, von dem Heilande aus Nazareth könnte ich euch tausend Jahre hindurch in einem fort die seltensten Dinge erzählen, wenn es durchgängig schon an der Zeit wäre, alles erzählen zu dürfen, was man alles gesehen und erlebt hat; aber Er hat es mir aus höchst weisen Gründen verboten, und darum darf ich nicht alles von Ihm erzählen, was ich weiß, sondern nur etwas Weniges, dazu Er Selbst mir die billige Erlaubnis erteilt hat.

02. Aber ich hatte zuvor zu euch unter anderem auch gesagt, daß Ihm, dem guten Heilande aus Nazareth, auch Sonne, Mond und all die Sterne gehorchen müßten, dieweil Ihm sogar die Engel der Himmel gehorchen. Und ich bemerkte, daß darob unter euch einige lächelnd den Kopf schüttelten und dadurch gewisserart sagen wollten: ,Liebes Kind, da gehst du in deiner kindlichen Einbildungskraft etwas zu weit; denn die reinen Engel der Himmel gehorchen nur Gott allein und sonst niemandem in der ganzen Unendlichkeit!‘ Aber ich sage es euch, daß sich hier die Sache dennoch also verhält, wie ich sie euch ganz harmlos kundgetan habe.

03. Ich hätte euch schon eher dafür den handgreiflichen Beweis geliefert, so ihr nicht gelächelt und mit dem Kopfe sehr zweifelgebend geschüttelt hättet; aber nun will ich darin euren Zweifel aufs Haupt schlagen, und ihr werdet mich darauf nicht gar so leicht wieder für eine junge verliebte Hascherin (Närrin) ansehen, die in bezug auf den Gegenstand ihres Herzens auf die gewöhnliche Weise, wie sie in der Welt gang und gäbe ist, aus einer Mücke nur gar zu gerne einen Elefanten macht. Oh, das mag wohl bei gar vielen Weltmädchen der großen Welt ungezweifelt der Fall sein; aber bei mir ist davon wahrlich auch nicht eine allerleiseste Spur anzutreffen, — wovon ich euch sogleich den lebendigsten und sicher handgreiflichsten Beweis liefern werde.

04. Da sehet hin, den Jüngling, der als zweiter zu meiner Rechten sitzt und sich soeben mit dem fest an meiner Rechten sitzenden Sohne des hohen Cyrenius bespricht, — für wen haltet ihr diesen Jüngling?“

05. Sagen die Befragten: „Nun, für einen Menschen von Fleisch und Blut — gleich uns allen!“

06. Sagt die Jarah, dabei nun ein wenig lächelnd und den Kopf schüttelnd: „Weit, ja himmelweit gefehlt, meine liebwerten Freunde! Sehet, das ist ein reinster Erzengel Gottes, den mir eben der berühmte Heiland aus Nazareth aus der nahezu von allen gesehenen Unzahl von Engeln auf meine höchst eigene Wahl zu meiner Leitung, Belehrung und Führung auf eine längere Zeit gegeben hat! So ihr aber solches nicht glauben könnet auf mein Wort, so kommet nur her und überzeuget euch davon mit allen euren Sinnen; denn er wird euch zu Diensten stehen auf einige Augenblicke!“

07. Sagt der frühere Redeführer: „Ja, davon muß ich mich denn doch wohl mit Händen und Füßen zugleich überzeugen; denn sonst geht mir die Aussage des sonderbar weise redenden Mägdleins schon rein ins mehr als allertiefst Himmelblaue über!“

08. Nach diesen Worten erhebt sich der junge Pharisäer und geht ganz ehrerbietigst zu Jarah hin und sagt: „Nun, wie wirst du mich von der Wahrheit deiner Aussage überzeugen?“

09. Sagt die Jarah: „Gehe hin zu dem Jünglinge, der den Namen Raphael führt, der wird dich davon selbst überzeugen!“

10. Der junge Pharisäer tritt darauf gleich zum Raphael hin, und Raphael erhebt sich, sieht dem jungen Pharisäer fest ins Auge und sagt: „Warum zweifelst du an dem, was dir meine Jüngerin von mir kundgegeben hat? Da, ergreife meine Hand, und sage es mir, was du dabei fühlst!“

11. Der Pharisäer tut das sogleich und sagt ganz verwundert: „Hm, merkwürdig, ich fühle eigentlich gar nichts, außer meine höchst eigene, ganz fest geschlossene Hand, in der nun nicht einmal eine Mücke, geschweige deine volle Hand Platz hätte! Kurz, ich greife dich durch und durch und ersehe daraus, daß du wahrlich nicht wie unsereins aus Fleisch und Blut bestehst.“

12. Spricht Raphael: „Hebe einen Stein, der zu deinen Füßen liegt, auf und reiche mir ihn dann!“

13. Der Junge hebt einen Stein auf, der ganz gut seine dreißig Pfund wog, sagte aber dabei bemerkend: „Geistig Wesen, wenn meine Hand die deinige durch und durch greift, so wird dieser schwere Stein am Ende wohl auch durch deine Hände fallen, wie durch die nichtige Luft; denn der Stein wiegt wenigstens dreißig Pfund, und wenn er mir am Ende durch deine Hände auf meine Füße fällt, so zerquetscht er mir dieselben!“

14. Sagt Raphael: „Wenn dies geschieht, so heile ich sie dir im schnellsten Augenblick darauf. Darum gib du den Stein nur ganz sorglos in meine Hände!“

15. Darauf gibt der junge Pharisäer den Stein in die Hände des Raphael.

16. Als Raphael den schweren Stein zum Erstaunen des Pharisäers in seinen Händen so spielend leicht hält, als hätte er das Gewicht von einem Federflaume, und denselben auch von einer Hand in die andere mit einer so erstaunenswerten Leichtigkeit herumwirft, als wäre er ein leichtester Flaumenball, da sagte der junge Pharisäer: „Höre, du lieblichster Geist oder sonsten was, mit dir sich in einen Kampf einzulassen, wäre nicht gut; da würde man sicher ganz entsetzlich den kürzeren ziehen! — Wo aber nimmst du diese ungeheure Kraft her?“

17. Sagt Raphael: „Siehe, das ist aber ja alles noch nichts; ich werde nun vor deinen Augen diesen sehr harten Kiesstein auch zum feinsten Staube zerquetschen!“ — Hier zerdrückt Raphael im Augenblick den Stein zu sichtlichem Staube, so daß sich auf dem Tische vor dem Raphael nun ein ganzer Haufe weißen, feinsten Staubes befand.

18. Als der junge Pharisäer dies zweite Manöver sah, bog er sich vor Erstaunen, und es eilten auch seine Kollegen hinzu, um dies Wunder mehr in der Nähe ansehen zu können.

19. Darauf sagt der Engel: „Es ist für einen, dem die Kraft eigen ist, eben nicht so schwer, einen solchen Stein zu Staub zu zermalmen, als den Staub dann wieder zu seiner früheren Festigkeit und in seine frühere Form zusammenzudrücken. Denn zermalmen kann jeder Mensch so einen Stein, wenn schon gerade nicht mit den Händen, gleich mir, so aber doch mittels sehr harter, eherner Schlägel. Aber das nachherige Zusammenpressen des Steinstaubes wird wohl kaum einem Menschen möglich sein, — besonders in die frühere Form. Auf daß du aber siehst, daß mir auch das möglich ist, so gib nun acht und siehe, ob du es mir nachmachen wirst!“

20. Hier schob Raphael den Steinstaub auf dem Tische zusammen, und in einem Augenblick ward der Stein wieder in seiner früheren Form und Schwere auf dem Tische vor dem Engel.

21. Bei diesem Manöver gehen dem jungen Pharisäer samt allen seinen Kollegen vor lauter Staunen die Augen über, so daß er nun nicht imstande ist, ein gesundes Wort über seine Lippen zu bringen.

22. Aber der Engel sagt zu ihm: „Sieh, das ist aber alles noch nichts! Gib nun acht, ich werde diesen Stein sogar bloß durch meinen Willen im Augenblick völlig zunichte machen!“ — Darauf spricht der Engel zum Steine: „Löse dich in den entsprechenden Äther auf und werde flüchtig, gleich dem feinsten Äther!“ — Auf diese herrschenden Worte war im Augenblick der Stein völlig unsichtbar geworden, und kein Mensch sah irgendwo mehr etwas vom Steine. — Da fragte der Engel den jungen Pharisäer: „Nun, wie gefällt dir das, mein Freund? Könntest du mir das wohl nachmachen?“

23. Sagt der junge Pharisäer: „Höre, du lieber Engelsgeist oder was du noch irgend bist, das ist etwas Unerhörtes! Nun glaube ich für meinen Teil vollkommen, daß du ein Engel Gottes bist. Nur begreife ich das eine nicht, wie du nämlich einem Menschen dieser Erde bei deiner, man kann es sagen, allmächtigen Kraft untertan sein kannst! Denn solches sagte auch dies Mädchen aus von dem bewußten Heilande aus Nazareth, und ich muß es ihr nun glauben, will ich's oder will ich's nicht.

24. Gibt es denn im Ernste ein Mittel auf dieser Erde, durch das man sich euch untertan machen kann? Wie ist jener Mensch dazu gekommen? Wir wissen aus der Schrift wohl auch Beispiele, wo Engel den Menschen auf Gottes Geheiß gedient haben; aber daß und wie du dich nun unter den sterblichen Menschen befindest, davon hat die Schrift wahrlich kein Beispiel aufzuweisen! Nein, nein, Freunde, da geht es auf keinen Fall so ganz geheuer zu! Du kannst zwar wohl ein Engel Gottes sein, aber auch ebensoleicht jemand ganz anders, wo man sagt: ,Jehova, steh uns bei!‘ — Es ist nun Nacht, ja gar Mitternacht auch noch dazu, und da gesellen sich gerne die ,Jehova—steh—uns—bei‘ zu den Menschen. Du scheinst mir zwar für einen gewissen ,Jehova—steh—uns—bei‘ viel zu schön, sanft, gut und weise zu sein; aber es sei auf das nicht immer viel zu geben!? Solltest du aber doch so etwas vom ,Jehova—steh—uns—bei‘ zu sein die verfl— Ehre haben, dann schaffen (halten) wir von der Bekanntschaft mit dem merkwürdigen ,Heilande‘ aus Nazareth eben nicht gar viel; denn das Pröbchen mit dem Steine hat mich nun auf ganz sonderbare Gedanken gebracht, — Jehova steh uns bei! Man sagt nicht umsonst, daß der Satan auch die Lichtgestalt der Himmel annehmen kann, wann er will! Und wärest du so etwas von einem ,Jehova—steh—uns—bei‘, dann möchten wir wohl lieber fliegen als gehen von hier; denn es möchte hier für uns fürderhin eben nicht geheuer sein!“

25. Auf diese Worte des jungen Pharisäers wollen nun alle die Flucht ergreifen; aber Cyrenius hindert sie daran und bescheidet sie wieder an ihre alten Plätze. Sie nehmen nun wohl wieder Platz, sitzen aber nun auf ihren Bänken, wie wenn diese mit lauter Nadeln besteckt wären.

243. Kapitel. Die Entschuldigungsrede des jungen Pharisäers.

01. Julius aber sagt zum sonst sehr offenen jungen Pharisäer: „Wahrlich, ich habe dich anfangs für weiser und vernünftiger gehalten, als du dich jetzt anlässest, — den sichtbar reinsten Engel auch für einen möglichen Satan zu halten! Ah, das geht ja über alles! Kannst du denn unseren Reden und Handlungen als ein nur einigermaßen vernünftiger Mensch nicht entnehmen, daß wir doch sicher nicht des Teufels sind? Will denn nach eurer Lehre der Teufel nicht gleichfort nichts denn eitel Böses nur? Und wir verabscheuen und bestrafen das Böse allzeit; wie sind wir dann des Teufels? Hat sich wohl der Satan je mildtätig und barmherzig gegen jemand erwiesen? Wir aber sind gegen jedermann gerecht, barmherzig und nach Möglichkeit mildtätig. Wie können wir einen Satan unter uns dulden? O ihr noch sehr blinden Narren! Habt ihr noch nie einen von einem Teufel besessenen Menschen gesehen? Ich habe deren mehrere gesehen, aber darunter keinen, der von seinem Einwohner gut behandelt worden wäre! Wenn ihr uns aber schon in eurer groben Dummheit für des Teufels haltet, für wen haltet ihr hernach die Templer und euch selbst, wo der Tempel — wie es nun doch schon aller besseren Welt bekannt ist — aus lauter Lug und Trug, aus der allerverschmitztesten Bosheit zusammengesetzt ist und ihr eben dieses Tempels Diener seid? Ihr selbst gesteht es ein, daß der Tempel nun ganz gut dem Satan zu einer Schule dienen könnte! Und uns, die wir Gutes über Gutes jedermann aus unseren treuen, guten Herzen erweisen, wollt ihr nun auch für des Teufels halten, weil ein Geist aus den Himmeln euch ein kleines Pröbchen von seiner ungeheuren Macht und Kraft gegeben hat? Ich möchte von euch denn nun doch erfahren, wie hernach das aussehen muß, was bei euch nicht des Teufels ist!“

02. Sagt der Pharisäer, nun schon ein wenig mehr gefaßt: „Nun, nun, freundlichster, hoher Julius, mußt uns diese Geschichte nicht gar zu sehr als eine Sünde anrechnen! Denn sieh, womit ein Mensch gefüttert wird, davon erhält sein Leib die Nahrung! Ist das Futter gut, so wird die Ernährung auch gut sein; ist aber das Futter schlecht, so wird auch die Ernährung schlecht sein. Ein verwahrloster Mensch, der am Ende mit den Schweinen frißt, der wird auch keinen andern Unflat von sich lassen als die Schweine selbst! Und so geht es uns nun auch geistig. Jahrelang ist der Magen unserer Seele mit der Schweinskost dotiert (bedient) worden, und es geht das schlechte Überbleibsel nicht so leicht und so geschwind, als man es meint, aus dem Magen der Seele heraus!

03. Wir haben unsere besseren Ansichten und Erkenntnisse, die freilich wohl mit noch sehr viel Unflat gemengt sind, einzig dem oft wiederkehrenden Umgange mit Römern und Griechen zu verdanken. Aber sind wir dann wieder nach Jerusalem, und zwar in den Tempel, zurückgekehrt, so genügten vierzehn Tage, um uns durch allerlei mystisch weise klingende Phrasen wieder so dumm wie möglich zu machen. Was Wunder, wenn bei so einer außerordentlichen Gelegenheit sich aus solchen Phrasen in unserer Seele von selbst einige derselben gleich finsteren Wolken am Himmel über unsere ohnehin schwachscheinende junge Erkenntnissonne hermachen und sie auf Momente derart verfinstern, daß wir darob bei Erscheinungen außerordentlichster Art am Ende uns in ein gleiches Verhältnis mit einem Wanderer in einer finstersten Mitternacht gestellt sehen, dem wohl auf einen Augenblick ein aus den Wolken fallender Blitz den sehr klippenreichen Pfad erhellt; aber das nützt dem Wanderer wenig, da auf eine solche nur momentane Beleuchtung gleich eine noch dickere Finsternis folgt!

04. Darum habe du mit uns nur Geduld, wir werden uns mit der Weile schon machen! Aber wie gesagt, plötzlich geht das nicht, und ich und wir alle sind nun recht froh, daß wir einzusehen anfangen, warum es eigentlich also geht und auch nicht anders gehen kann; denn aus einem harten und rohen Klotze wird nicht nach wenigen Meißelhieben des Bildners schon eine vollendete Menschengestalt fertig.

05. Wir haben von Engeln der Himmel wohl schon gar manches gehört und gelesen. Die drei Fremden, die Abraham besuchten, waren Engel; bei Lot waren Engel; Jakobs Leiter voll Engel ist bekannt; Bileams Lasttier verkündete dem es mißhandelnden Propheten die Gegenwart eines Engels; des jungen Tobias Begleiter und Führer war ein Engel; die Israeliten sahen den Würgengel Gottes von Haus zu Haus der Ägypter gehen; bei den drei Jungen im Feuerofen sah man Engel, — und es ist in der Schrift noch vielfach die Rede davon, daß die Engel Gottes wie leiblich sichtbar mit den Menschen dieser Erde verkehrt haben. Warum sollte das hier nicht möglich sein?

06. Aber hier ist die sichere Anwesenheit eines Engels eine so außergewöhnliche, daß man sie freilich wohl nicht so schnell fassen kann der vollen Wahrheit nach, als wie schnell man sie glaubt von lange vergangenen Zeiten her. Glauben ist leicht, weil man sich stets die vergangene Zeit für besser vorstellt, als da ist eine gegenwärtige, die man aus einer gewissen Pietät stets für derlei göttliche Erscheinungen zu unwürdig hält, ohne zu bedenken, daß es in Sodoma und Gomorra eben auch nicht sehr Gott wohlgefällig mag hergegangen sein, ansonst Er nicht Feuer vom Himmel über solche Orte hätte regnen lassen.

07. Kurz und gut, du mußt es selbst einsehen, daß diese Sache eine ganz außerordentliche ist, die ihresgleichen unseres Wissens auf dieser Erde noch nicht erlebt hat! Daß wir demnach bei den merkwürdigen Pröbchen, durch die der Engel uns von seiner himmlischen Wesenheit einen Beweis verschaffte, ein wenig aus der Fassung gekommen sind, wird ja auch wohl begreiflich sein, so man alle unsere früheren Lebensverhältnisse wohl erwägt. Daher wolle du, hoher Julius, unser momentan dummes Benehmen uns ja nicht für irgendeine böswillige Sünde anrechnen!“

244. Kapitel. Belehrung der Pharisäer durch Julius.

01. Sagt Julius: „Nun, ich habe es euch ja ohnehin gesagt, daß es von eurer Seite eine große Dummheit war, die euch von eurer ersten Erziehung noch in eurer Seele steckengeblieben ist. Was noch nicht ganz draußen ist, das wird schon noch mit der Zeit ganz aus euch hinausgebracht werden. Auf einmal geht das freilich wohl nicht; denn eine alte eingewurzelte Dummheit geht oft schwerer aus dem Menschen, als wie schwer man heilt ein altes Gebrechen des Leibes. Aber ein rechtes Mittel kann am Ende beides heilen.

02. Wir verargen niemandem seine angeborene und eingefleischte Dummheit, weil kein Dummer dafür kann, daß seine Erziehung keine bessere war. Aber wenn ihm hernach die Gelegenheit kommt, großartige Erfahrungen zu machen und sich mit Menschen zu besprechen, die mächtig sind in der wahren Weisheit und eine rechte Erkenntnis haben in allen Dingen, die auf dieser lieben Erde nur immer vorkommen können, so muß er seine alte Dummheit verlassen und das als allein wahr und gut annehmen, was er gesehen hat, und wie es ihm von unselbstsüchtigen, die Wahrheit und alles Gute aus ihr suchenden und innehabenden Männern erklärt wurde. Wenn er sich dawider hartnäckig sträubt, so ist er der Zuchtrute wert; und sollte diese auch nichts fruchten, dann ist ein solcher Mensch aus der Gesellschaft besserer Menschen zu entfernen und in eine Anstalt der Irrsinnigen zu bringen, weil sich an seiner zu hartnäckigen und zu tief eingewurzelten Dummheit die Menschen zu sehr ärgern würden — was da nicht gut wäre.

03. Aber bei euch ist das sicher nicht der Fall, weil eure Intelligenz schon zu sehr geweckt ward durch das ofte Zusammenkommen mit uns Römern und Griechen, die wir jetzt auf der lieben Erde wohl das erfahrenste und gebildetste Volk sein dürften, trotz all den Vorwürfen, daß wir nicht an den von euch gepredigten allein wahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glauben. So wir aber an euch die Frage stelleten, ob ihr daran gar so pichfest glaubet, als es nach euren Worten und Zeremonien zu erwarten wäre, so werden eure verkehrten und bösen Handlungen, wennschon nicht euer Mund, der noch allzeit ein Leumund war, die Antwort laut aussprechen und sagen: ,Wir glauben gar nichts, sondern heucheln vor dem dummen Volke nur einen Glauben und lassen uns aber für solche Heuchelei, die wir aus der Kunst verstehen, so dick wie möglich bezahlen!‘ Wenn ich dann unsern Glauben an euren Gott mit dem eurigen vergleiche, so glauben wir um tausendmal mehr denn ihr!

04. Ja, wir erkennen, daß euer Gott der allein wahre Gott ist, von dem unsere Götter eigentlich nichts als einzelne, erhabene, Seiner würdige Eigenschaften sind, die die menschliche Phantasie in allerlei Persönlichkeiten umgestaltet hat; aber ihr erkennet weder euren allein wahren Gott und darum noch weniger Seine erhabensten Eigenschaften, die wir in allegorischen Bildern darstellen und verehren. Darum müsset ihr nun noch so manches lernen, wohl prüfen und endlich einsehen, wie sich alle die Dinge in der Welt verhalten, und was etwa Wahres hinter ihnen steckt.

05. Habt ihr aber die Wahrheit gefunden, so nehmet sie an und bleibet bei ihr, und denket und handelt danach, so werdet ihr in der Tat Gottes Kinder sein, während ihr saget wie alle Juden nun sagen, daß sie Gottes Kinder seien, im Herzen aber nicht einmal glauben, daß es einen Gott gibt!“

— Ende des Bandes 02 —